11. Kapitel
Zelotypia (ζηλουπία)
Der Schulhof war überfüllt. Es schien noch schlimmer als an allen anderen Tagen zu sein, denn heute war Verteilung der Valentinstagsgeschenke, und beinahe jedes Mädchen hatte Päckchen mit Schokolade für den Jungen ihres Herzens mit.
Hōtáru quälte sich langsam über den Platz. Abgesehen davon, dass er absolut unausgeschlafen war, schien das kalte Wetter seinem Knöchel nicht gut zu tun. Mehrere Male war er jetzt schon eingeknickt, und er schmerzte schrecklich. Die Mädchen, die ihm ihre Geschenke in die Hand drücken wollten, waren nicht wirklich hilfreich.
„Könntet ihr mich bitte in Ruhe lassen? Wenn ihr das unbedingt bei mir abladen wollt, dann tragt es gefälligst selbst in die Klasse und legt es auf meinen Tisch, okay?"
„Was soll das? Was habt ihr bei meinem Verlobten zu suchen, hä? Seht zu, dass ihr weiterkommt!!" Kiíchigo war zornrot hinter ihnen aufgetaucht und scheuchte die Mädchenschar auseinander. „Du bist wohl zu geizig, um dir was zu kaufen, hmm? Schämst du dich gar nicht? Was-" „Wozu sollte ich Geld ausgeben, wenn ich es ja doch geschenkt bekomme? Abgesehen davon- von Hono und Omu hab' ich ebenfalls schon was bekommen... und da kommt ja auch Kasutéra..."
Namakó näherte sich wirklich mit verlegenem Blick. „Ähm... Kií- chan, tut mir leid, aber ich... ich müsste was mit Suigín- kun besprechen..."
„Namakó! Soviel Charakterschwäche hätte ich von dir nicht erwartet!! Und von Tsurú und Sumómo auch nicht! Ja, schämt ihr euch denn nicht?"
„Ach, jetzt reg' dich doch nicht auf! Du wirst doch wohl nicht gleich ausflippen, nur weil wir.. hm, na ja, deinem Verlobten ein winziges Valentinspräsent machen... Schließlich tut das die halbe Schule... ist doch schön, wenn man so einen begehrten Mann kriegt..."
„Pah! Das ist keine Ausrede! Also ehrlich, Namakó, dann zeig' mal her, was du ihm geben wolltest... sicher so ein billiges Zeug..."
„Hono- san hat mir ein riesiges weißes Päckchen gegeben... und das Grüne ist von Omu- san- du hast ja soo nette Freundinnen..." Hōtáru zog eine unschuldige Miene und steckte sich ein Stück Schokolade in den Mund, obwohl sie ihm eigentlich nicht sonderlich schmeckte. Aber man konnte sie damit so herrlich auf die Palme bringen. Richtig keuchte sie wütend. „Also so was! Als ob in Honos überhaupt noch was drin wäre! Die frisst doch sowieso gleich alles raus... das Päckchen ist leer..."
„Fehlanzeige, Kiíchigo. Ihr Geschenk ist sogar schwerer als deins... schäm dich, so wenig kümmerst du dich um mich... vielleicht sollte ich mich doch deinen Freundinnen eher zuwenden als dir... die Verlobung ist ja nichts festes..."
Kiíchigo war so wütend geworden, dass ihr Kopf aussah, als würde er gleich platzen. „So kannst du nicht mit mir reden, hörst du? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?"
Schlagartig endete seine gute Laune, und er hörte auf zu lächeln. „Sei endlich still, Kiíchigo. Du gehst mir mit deinem Geschnattere auf die Nerven. Abgesehen davon muß ich für eine Prüfung lernen, und habe keine Zeit für solche Dummheiten."
Abrupt drehte er sich um und ließ sie endgültig stehen. Mit offenem Mund blieb sie stocksteif stehen und starrte ihm ungläubig nach. So eine Frechheit. Das war ihr wirklich noch nie passiert, bisher war jeder Junge dankbar gewesen... was dachte sich Hōtáru dabei?
„Hey, Suigín! So viele Geschenke, und so ein saures Gesicht? Wenn du mal lächelst, bricht dir dabei sicher kein Zacken aus deiner Krone! Du verdirbst allen damit nur den Tag und ihre gute Laune!" Grinsend war Káshira aufgetaucht, ebenso beladen wie Hōtáru. „Haben dir das deine Eltern geschenkt, damit es nicht zu blöd aussieht, wenn du gar nichts hast?"
„Halt den Mund, Idiot. Mir wäre es egal, wenn ich gar nichts kriege. Gerade vorher hat mir Yumí's kleine Schwester was in die Hand gedrückt, und fast geheult. Die Kleine geht mir auf die Nerven. Wie wär's, wenn sie sich an dich hängt, und mich in Ruhe lässt?" Seine Augen blitzten ärgerlich. „Das würde mir einiges ersparen. Harigané's kleine Schwester klebt ja auch an dir wie eine Klette. Eine mehr oder weniger dürfte dir da nicht mehr auffallen, oder?"
Káshira lächelte nur. „Gibs zu, du magst es, wenn dir viele Mädchen nachlaufen, stimmt's? Noch dazu aus allen Klassen. Schön gemischt!"
Hōtáru zog es vor, darauf erst gar nicht zu antworten, sondern verschwand gleich im Klassenzimmer und auf seinen Platz. Ehrlich gesagt konnte er nicht mehr allzu lange stehen, sein Fuß machte das nicht mehr mit.
Auch auf seinem Tisch lag ein Haufen Päckchen. Er betrachtete sie seufzend und schüttelte den Kopf. Wenn er ein Mädchen wäre, und jemand würde ihn so behandeln... bisher hatte keine genug Rückgrat gehabt, um ihm das Päckchen einfach auf den Kopf zu knallen. Das war die einzig richtige Reaktion in diesem Fall.
„Ach, Hōtáru- kun..." Watarí näherte sich seinem Tisch. „Du hast aber viele Valentinsgeschenke bekommen..."
„Gerade recht, Will- kun... hilf mir bitte, das ganze Zeug aufzuessen... mir wird heute sonst noch schlecht, ich kann das Zeug einfach nicht leiden..."
„Du hast soviel Glück, Hōtáru- kun... so viele Verehrerinnen... ich hab'... ähm... "
Hōtáru blinzelte ihn an. „Wie viel hast du bekommen? Komm schon, Watarí- kun... nicht so schüchtern..."
Watarí schluckte trocken und straffte seine Schultern. „Nichts, gar nichts. Offensichtlich bin ich gerade nicht der gefragte Typ... na ja..."
„Hier, du kannst essen, soviel du runterkriegst... Auf soviel Schokolade habe ich gar keine Lust, also, bedien' dich..." Hōtáru achtete nicht sonderlich auf die Liebesnöte seines Freundes. Wen kümmerte solcher Unsinn schon. Abgesehen davon...
„Hey, sieh' mal, da hat sich eine die Mühe gemacht, die Schokolade wie Bienen zu formen... so ein kleiner Bienenkorb..." Aufmerksam hob er den Kopf und linste in die Runde. Das Mädchen mit den tiefsten Augenringen dürfte dann wohl diese geheimnisvolle Verehrerin sein...
„Wie geht es, Suigín- kun?" Unbemerkt hatte Hachí die Klasse betreten und tauchte hinter Hōtáru auf, der ihm ein kleines Lächeln schenkte.
Hachí sah müde und übernächtig aus, abgesehen davon befand sich unter seinem linken Auge ein blauer Schatten.
„Hast du dich geprügelt, Senpai?" Überrascht starrte ihn Hōtáru an. Hachí war für sein sanftes Temperament berühmt.
„Äh... na ja, Kíngyo hat mir noch einmal nachdrücklich erklärt, was er von meiner Meinung hält... die Sache kurz vor Weihnachten hängt ihm wohl noch nach..." Tsúyu grinste schief und konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Wow... ein Bienenkorb... da hat sich jemand aber viel Mühe gegeben..." „Ja, völlig sinnlos. Wozu macht man sich die Mühe, die ganze Nacht in der Küche zu stehen, oder viel Geld auszugeben, für nichts und wieder nichts? Ich meine, man kann sich doch nie sicher sein, dass man was zurückbekommt, oder? Ist doch nur Verschwendung von Zeit, Geld und Nerven, und noch dazu völlig kindisch. Was für den Kindergarten!"
Hachí nickte leicht. „Ja, aber manchmal hilft es wohl, dem Angebeteten etwas zu schenken... man kann sich der Illusion hingeben, man würde bemerkt werden... das tut dem gebrochenen Herz gut..."
„Pah, Senpai! So was hätte ich nicht von dir erwartet... so sentimental..." Hōtáru wirkte mehr erstaunt als wirklich genervt. Hachí lächelte vorsichtig. „Manche Menschen meinen es ernst mit ihren Valentinsgeschenken... dasselbe wie der White Day... manchmal entwickelt sich etwas daraus..."
„Ha! "White Day" ist doch einer der dümmsten Tage überhaupt! Als würde das nur ein einziger Typ ernst meinen! Das ist die totale Verarschung, Hauptsache, das Mädchen ist dumm genug, auf so eine plumpe Anmache hereinzufallen!"
Hōtáru wirkte nicht mehr so lethargisch wie sonst, wenn es um andere Leute ging. Diesmal schien ihm sogar etwas an diesem Thema zu liegen.
„Sieh an, ich hätte nicht gedacht, dass dich so was genügend interessiert, um so eine flammende Rede zu halten..." Hachí grinste und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wie geht es deinem Knöchel? Und im Club? Ich hoffe, du fühlst dich wohl..."
„Hmm, Hachí- kun, nicht wirklich... Der Knöchel tut weh, und ich kann die Leute im Club nicht ausstehen... also wie immer... Danke, dass du dir Sorgen machst..." Hōtáru lächelte dankbar, und Hachí wurde rot. „Schon gut, ich möchte nur gerne wissen, wie es dir so geht... schließlich... Ach, ich fühle mich irgendwie schuldig... na ja, dass das alles passiert ist..."
„Senpai, ich habe dir schon einmal gesagt, es ist und war am wenigsten deine Schuld... Schließlich war es meine eigene Dummheit, dass ich zu Kíngyo's Team gewechselt habe... ich habe dich enttäuscht, nicht wahr... schließlich sind Kíngyo und du keine... hmm, besonderen Freunde..."
„Ach, Akári wird wohl gar nicht so schlimm sein, wenn man ihn erst näher kennenlernt und seine dumme Art akzeptieren kann, glaube ich wenigstens..." Hachí wurde schon wieder rot und drehte den Kopf auf die Seite.
„Weißt du, Kíngyo- kun und ich sind schon seit der Grundschule in der selben Klasse... und am Anfang hätten wir auch sicher Freunde werden können... aber weißt du, er war immer von so vielen anderen umringt... und er hat keinen sonderlich guten Charakter... deshalb konnte ich mir nicht sicher sein, wie ernst er es meint... na ja, man wird eben nicht gerne ausgelacht, nicht wahr..."
„Der Unterricht beginnt jetzt! Alle, die nicht in diese Klasse gehören, entfernen sich jetzt bitte schnell!"
Hachí schenkte ihm noch ein warmes Lächeln und verschwand eilig. Auch Watarí machte sich hastig auf die Socken und stopfte sich noch ein paar Schokoladenherzen in den Mund.
Káshira winkte Hōtáru über die Bankreihen boshaft zu und zeigte auf einen kleinen Gegenstand in seiner Hand. „Hey, Suigín- kun! Das hier ist ein anonymes Geschenk... aber ich erkenne die Handschrift deiner bezaubernden Verlobten..."
„So alleine, Hachí- kun? Was tust du hier? Heute ist doch kein Sport mehr, also, was suchst du in einer Umkleidekabine? Mußt du dich nicht bei allen deinen kleinen Verehrerinnen bedanken, die dich schon suchen?" Kíngyo sprach mit seiner üblichen eiskalten Stimme. Gerade war er zufällig in den Umkleideraum des Volleyballteams gekommen und hatte Hachí dort mutterseelenallein auf einer Bank sitzend vorgefunden.
„Warum bist du nicht mehr auf der Uni? Sind keine Vorlesungen mehr, oder schwänzt du nur schon wieder?" Tsúyu hatte keine Lust mehr, freundlich zu sein. Er war hastig vor allen Verehrerinnen und Valentinsgeschenken in die Sicherheit der Kabinen geflüchtet und wollte am wenigsten von allen Menschen gerade seinen Rivalen Akári sehen. Der antwortete auch nicht gerade liebenswürdig. „Ich hab' meine Uhr verloren. Und da ich vor zwei, drei Tagen zufällig hier war, dachte ich, ich sehe mal nach. Vielleicht liegt sie hier ja irgendwo." Mit einem raschen, verschlagenen Blick musterte er seinen Erzfeind aus den Augenwinkeln und trat einen Schritt nach vorne. „Wann kommt denn deine Brut wieder hierher? Oder irgendein Senséi, was weiß ich?" „Bis heute abend ist kein Training angesetzt. Und Lehrer lassen sich hier auch keine sehen, jedenfalls um diese Zeit nicht. Aber warum willst du das denn wissen? Kannst du mich nicht einfach nur in Ruhe lassen und gehen?" erwiderte Hachí müde und unaufmerksam; lustlos musterte er die Bank neben sich und zuckte nur leicht die Achseln, als Kíngyo bösartig lächelnd antwortete.
„So freundlich, Tsúyu? Jetzt kennen wir uns schon so lange, und du lässt erst jetzt deine Maske ein bisschen fallen? Erstaunlich... was der Valentinstag alles bewirkt..."
„Ach, sei still. Schon, seit wir in der ersten Klasse Grundschule sind, hasst du mich, und machst mir das Leben schwer!" „Ach ja? Das selbe könnte ich von dir sagen! Jeden Tag, an dem ich dein Gesicht sehen muß, wird mir schlecht!"
Hachí drehte den Kopf zur Seite und bemühte sich, so unbeteiligt wie möglich vor sich zu blicken. Kíngyo packte ihn unerwartet an den Schultern und schüttelte ihn heftig.
„Ich hasse dich! Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, beleidigst du mich ständig!"
„Ach ja? Du warst doch immer der, dem alle hinterhergelaufen sind... und der immer über alle anderen blödes Zeug erzählt hat..."
„Du hast wohl vergessen, dass ich dir angeboten habe, dass wir Freunde werden... du warst eben zu hochnäsig, um das auch nur in Betracht zu ziehen... du bist ja so was Besseres... "
„Pah! Wie hätte ich jemandem wie dir vertrauen können? Du bist ja nicht einmal zu dir selber ehrlich!" Tsúyu bemühte sich redlich, Akáris Hand zur Seite zu schieben. Das schien den Kapitän der Handballmannschaft allerdings erst so richtig zur Weißglut zu bringen, denn er packte mit hartem Griff seine Handgelenke und drückte ihn auf die Bank, bis sich ihre Gesichter beinahe berührten.
„Ich bin also nicht ehrlich? Soll ich ehrlich sein? Gut, du hast es so gewollt!"
Bevor er reagieren konnte, hatte ihm Akári schon einen heftigen, beinahe verzweifelten Kuß auf die Lippen gedrückt. „So, das hast du jetzt davon! Du bist an allem schuld!"
Für eine Sekunde herrschte entsetzte Stille zwischen den beiden, bis sich Tsúyu schließlich ein Herz fasste und ihn kräftig von sich stieß. „Spinnst du jetzt völlig? Solche dummen Scherze kannst du mit jemand anderem machen, nicht mit mir! Glaubst du vielleicht, dass ich mich jetzt selig schluchzend in deine Arme werfe, und du allen erzählen kannst, dass ich pervers bin?" „Das war nicht so gemeint! Warum nimmst du eigentlich immer das Schlechteste von mir an?" zischte sein Gegenüber mit urplötzlich kreidebleich gewordenem Gesicht und richtete sich wieder halb auf, jedoch ohne seine Hände loszulassen. Hachí schluckte. „Ja, was soll ich denn sonst annehmen? Du hast doch noch nie irgendwelche guten Seiten gezeigt, du bist so – " Plötzlich drängte sich eine ungebetene Erinnerung in seinen Kopf. Der siebzehnjährige Akári, wie er mit einem sanften Lächeln den Kopf einer kleinen Katze streichelte – „Ich – ich wollte doch nie..." stammelte er unbeholfen weiter und schwieg verstört, bis sich Akári abrupt nach vorne beugte und ungestüm die Arme um ihn schlang. „Tsúyu, ich sage es dir lieber gleich, und wenn du mich dann noch mehr hassen willst, dann ist das in Ordnung. Aber ich – liebe dich schon seit drei Jahren, und wenn ich das noch länger verschweigen muß, dann werde ich platzen. Also, was sagst du?" sprudelte er in einem Atemzug hervor und holte dann, befreit wie einer, der lange gelitten hat, tief Luft.
Hachí schwieg für einen Augenblick mit gesenktem Kopf; woher konnte er sich denn sicher sein, dass sich sein jahrelanger „bester Feind" nicht nur einen schlechten Scherz erlaubte? Bei Akári war so was ohnehin anzunehmen. Der hatte doch von solchen Sachen mehr als genug auf Lager. Trotzdem musste er es wagen, denn er hatte das untrügliche Gefühl, wenn er jetzt nicht endlich die Gelegenheit am Schopf ergriff, dann würde er es ewig bereuen...
„Ich – ich liebe dich auch – " flüsterte er schließlich mit Tränen in den Augen und hob wie geprügelt den Kopf. „Und wenn du das jetzt allen erzählen willst, dann tu' es ruhig, es ist egal. Das macht jetzt keinen Unterschied mehr. Denn wenn du mich nicht liebst, sondern das alles nur ein dummer Scherz war, dann verschwinde und laß' mich in Ruhe. Aber dann siehst du mich auch nie wieder, weil ich sonst lieber den Spiegel zerschlage und mir eine Scherbe in den Hals ramme, klar?"
„Du elender Idiot!" Akári hatte es mit wütender, verhaltener Stimme gezischt und packte ihn fester. „Wie kannst du an so etwas überhaupt nur denken? Ich habe es ernst gemeint, falls du es genau wissen willst, und solchen Blödsinn solltest du lieber nicht machen, sonst kriegst du es mit mir zu tun!" Wie ein welkes Blatt im Herbstwind strich eine Erinnerung an seinem inneren Auge vorüber. Sein kleiner Hachí, nach einem langweiligen Schultag im Park – als ihm zum ersten Mal dieses sanfte, wunderschöne Gesicht aufgefallen war –
Mit geschickten Fingern strich er zärtlich über den Nacken seines Lieblings und küsste ihn vorsichtig. Nunmehr tatsächlich weinend ließ es Hachí über sich ergehen, ohne zunächst auch nur einen Finger zu rühren, aus Angst, er könnte Akári verscheuchen; mit der Zeit wurde er allerdings etwas mutiger. Schüchtern zupfte er leicht an seinem Hemdkragen und vermied es, ihn direkt anzusehen. Akári hatte seinen Spaß daran.
„Na, was willst du denn? Soll ich eine private Stripshow für dich abziehen? Aber dann kann ich natürlich auch nicht tolerieren, dass du angezogen bleibst. Los, weg' damit!" Und mit diesen Worten befreite er sein kleines Herzblatt von Hemd und Gürtel. Tsúyu erstarrte vor lauter Schreck, als er sich ihrer Lage plötzlich bewusst wurde, und packte Akári fester am Arm. „Wir sind hier doch in einem Umkleideraum! Was sollen denn die Leute von uns denken, ich meine, was tun wir, wenn ein Lehrer hier hereinkommt?"
„Wen kümmert das?" entgegnete Akári leichtfertig und öffnete mit geübten Fingern den obersten Knopf seiner Hose. „Ich hasse diese elenden Dinger. Man kriegt sie so schwer auf, sag' mal, willst du mir denn nicht mal helfen?" „Fällt mir gar nicht ein. Wenn schon, dann will ich wenigstens ausgezogen werden!" antwortete Tsúyu kichernd und wurde puterrot.
„Na, sieh' einer an! Du bist ja ein richtiger Draufgänger, Tsúyu! Oder soll ich dich lieber Tsú- chan nennen?" grinste Kíngyo verschlagen, während er den schweren Stoff über die Schenkel seines Lieblings zog und sich langsam an darunterliegenderen Zonen zu schaffen machte. Plötzlich hielt er erstaunt inne, sog scharf die Luft ein und ließ sie mit einem anerkennenden Pfiff wieder entweichen. „Na, sieh' einer an, Tsú- chan! Da hat ja einer die längste Praline der Welt!" „Stimmt ja gar nicht, hör' doch auf!" kreischte Tsúyu, im höchsten Maße verlegen, auf und bemühte sich redlich, seinen Liebhaber von seiner neuesten Entdeckung abzulenken. „He, willst du mich nicht vielleicht küssen?"
„Fällt mir im Moment nicht ein", entgegnete Kíngyo lächelnd, während er immer noch fasziniert seine neueste Entdeckung begutachtete. „Wie kannst du mit so was – also, trägst du eigentlich noch normal geschnittene Hosen, oder wie ist das? Also, ich – " „Psst, Klappe, hör' jetzt auf! Das reicht!" zischte Hachí peinlich berührt und versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. Da allerdings reagierte sein Liebhaber endlich und schlang wieder zärtlich die Arme um seinen Hals. „Mmmh... ein bisschen Freude über deine ungeahnten Schätze wirst du mir ja wohl noch gönnen. So was sieht man schließlich auch nicht alle Tage! Wer hätte gedacht, dass du so was verbirgst! Tsúyu, du bist mir vielleicht einer..."
„Mmh. Das ist mir wirklich peinlich!" murrte Hachí verlegen und kuschelte sich fest an seine Brust. „Weißt du eigentlich noch, wie du dich mal nach dem Sportunterricht mit einer riesigen Schere hingestellt und allen befohlen hast, ihre Hosen herunterzuziehen und dir – ihr Teil zu zeigen?" Als Akári zu lachen begann, grinste er verschmitzt und strich ihm sanft über die Lippen. „Ja, und ich bin so schnell wie möglich geflohen, weil ich fürchten musste, dass du ihn mir wirklich abschneidest – du warst damals so entschlossen!"
„Damals war ich schließlich nicht in dich verliebt wie jetzt. Und als kleiner Junge – aber was soll's, wir verreden ja die ganze Zeit, die uns hier bleibt!" Heftig begann er an seinem eigenen Hemd zu ziehen, bis sich die Knöpfe endlich lösten und es langsam von seinen Schultern glitt. Hachí verfolgte alles mit größter Aufmerksamkeit; scheu zupfte er zunächst leicht, dann immer fordernder an seinem Liebhaber, bis dieser sich lächelnd erbarmte und ein schmales, längliches Päckchen aus der Hose zog. „Keine Sorge, Tsú- chan. Ich bin für alle Eventualitäten gerüstet... " „Trägst du so was immer mit dir herum? Ist ja schrecklich!"
„Nein, wieso? Die Mädels stehen auf so was. Du würdest mir nicht glauben, wenn ich dir erzähle, wie viele ich nur damit rumgekriegt habe, indem ich ihre Adresse auf einen Gummi geschrieben habe – " „Pfui! Das will ich gar nicht hören!", japste Hachí entsetzt auf, während sich Akári unterdessen glücklich von seinen Hosen getrennt hatte und sanft mit der Zunge über den Bauch seines Lieblings strich. Noch vor einer Woche waren sie die erbittertsten Feinde gewesen, hatten sich ständig geprügelt (sogar die Lehrer wussten davon und hatten deswegen schon des öfteren mit ihnen gesprochen) und gegenseitig schlechtgemacht.
Und nun lagen sie auf dem harten Boden eines Umkleideraumes und kümmerten sich nicht im geringsten um die drohende Gefahr einer Entdeckung.
Hachí musste vor allem an Hōtáru denken, seine, wie er sich schon seit Jahren völlig sicher gewesen war, einzige und wirklich große Liebe. War wohl ein Irrtum. Seit er neue Seiten an Akári entdeckt hatte, war er mit fliegenden Fahnen übergelaufen. Oder war auch Hōtáru ein wenig schuld daran? Warum hatte er auch das Team wechseln müssen, warum hatte er sich denn überhaupt verlobt? Solche Dinge konnte Hachí ganz und gar nicht verstehen, noch weniger gutheißen. Für irgend so ein Weibsstück gab er seine ganze Karriere auf – sein ganzes Leben – dieser Trottel!
Eigentlich regten sich in Hachí's von Grund auf freundlichem Charakter so gut wie nie so mürrische Gedanken. Aber als ihm Hōtáru damals von seiner Verlobung mit einem Mädchen erzählt hatte, und das gerade in dem Moment, in dem sie zusammen in einer Dunkelkammer standen – vor Schreck war Tsúyu die Glasplatte aus den Händen gerutscht und in tausend Stücke zerborsten.
Dank Akári's stürmischen Bemühungen wurde er ruckartig aus seinen trüben Gedanken gerissen und krallte sich ebenso erschrocken wie heftig in den Rücken seines Liebhabers. Gleichzeitig durchzuckte ihn aber wieder ein neuer Schrecken; was, wenn er ihm damit Schmerzen zufügte?
Auf die leise, schüchterne Anfrage reagierte Akári allerdings lediglich mit einem zärtlichen Kopfschütteln und sanften Küssen. Dieser Hachí. Schon als kleiner Junge hatte er sich durch viel zu große Freundlichkeit und beträchtliche Zurückhaltung ausgezeichnet; die meisten Leute hatten ihn zwar wegen seiner Hilfsbereitschaft gern um sich, echte Freunde gab es aber kaum.
„Mmh – nicht so schnell, ich kann mich – ich kann nicht mehr – " stöhnte Tsúyu entsetzt auf, als er heftige Vorgänge in seinem, wie ihm schien, bis zur Weißglut erregten Körper spürte. Aber dann war es auch schon zu spät. Zwar versuchte er noch tapfer, sich zu entspannen und alles etwas ruhiger anzugehen, aber nichts half...
Ernüchtert richtete sich Akári ein wenig auf und seufzte leise. Na ja, die nötige Ausdauer würde er ihm schon noch beibringen –
„Tut mir so schrecklich leid. Das wollte ich wirklich nicht, es tut mir wirklich leid!" stöhnte Hachí bestürzt und fühlte, wie sich schon wieder ein paar Tränen ihren Weg in seine Augen bahnten. „Jetzt habe ich deine ganzen Sachen ruiniert. Och, warum bin ich bloß so ein schrecklicher Trottel?"
„Shhh... nicht weinen! Ist doch gar nichts passiert. Das geschieht doch jedem mal!" lächelte Akári zärtlich und half ihm dabei, sich wieder aufrecht hinzusetzen. Hachí nützte die günstige Gelegenheit und verbarg das verweinte Gesicht an seiner Brust. „Ach, ich kann einfach nichts richtig machen! Jetzt habe ich dir den ganzen Spaß verdorben, und..." Schluchzend vor sich hin wimmernd schlang er nach Halt suchend die Arme um seinen Liebhaber. „Deine ganzen Kleider sind schmutzig! Das ist ja schrecklich!"
„He, glaubst du vielleicht, ich habe keine Waschmaschine zuhause? Und unter dem Wintermantel sieht man sowieso nichts. Abgesehen davon finde ich es niedlich, dass du zu früh „gekommen" bist!" grinste Akári erheitert und strich ihm sanft über den Nacken. „Nur schade, dass es bei mir nicht so ganz geklappt hat! Na ja, wir können ja noch öfter üben, nicht wahr?" „Ich kann auch gleich noch ein bisschen üben. Ehrlich gesagt würde ich noch ganz gern etwas ausprobieren!" hauchte Hachí mit einem plötzlichen, frivolen Augenaufschlag und hob schnell den Kopf, die Wangen von einer feinen Röte überzogen. „Wenn du dich mal kurz nach hinten lehnen willst..."
„Ah!" Akári grub seine Finger so fest in die Schultern seines Liebhabers, dass dieser die roten Striemen noch einige Tage lang zurückbehielt. Trotzdem klagte Hachí mit keinem Ton sondern bearbeitete nun seinerseits die intimen Regionen seines Geliebten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.
Akári schien es sehr gut zu gefallen, denn ohne Einwände ließ er alles mit geschehen, und zu seinem größten Erstaunen bewies Hachí auf diesem Gebiet ziemliches Geschick.
Allerdings drangen bald beunruhigende Laute an sein Ohr; auf dem Flur marschierten offensichtlich Lehrer und Schüler hin und her, und von ihnen geschnappt zu werden widerstrebte ihm. Als Hachí eine kurze Pause einlegte, küsste ihn Akári heftig auf den Mund und schob ihn bedauernd von sich. „Tsú- chan, wir müssen hier weg, und zwar schnell. Da draußen klingt es wie ein Volksaufmarsch, und ehrlich gesagt, wenn jetzt irgendwer hereinplatzt und den Kapitän des Volleyballteams mit seinem verfeindeten Kollegen nackt am Boden liegen sieht – einen Herzinfarkt schließe ich da nicht aus!"
Hachí fügte sich folgsam und erhob sich wankend auf die Knie, obwohl er kurz darauf wieder mit einem müden Seufzen zur Seite knickte. „Ich kann nicht – habe seit zwei Tagen kaum geschlafen, und jetzt das – ach, laß' mich doch einfach hier liegen..."
„Das hättest du wohl gern! Los, dann beweg' dich wenigstens soweit, dass ich dir das ganze Zeug anziehen kann! Langsam wird es wirklich Zeit!" drängte Akári heftiger, als er eigentlich gewollt hatte, und bereute seine hastigen Worte sofort, denn Tsúyu senkte den Kopf und schwieg mit einem äußerst gequälten Gesichtsausdruck. Akári strich ihm über den Kopf.
„Ich möchte, dass du zu mir nach Hause kommst, jetzt gleich. Dann mache ich dir was zu essen, und du übernachtest bei mir, ja?" Als Hachí immer noch stumm zu Boden blickte, umarmte er ihn heftig. „Tsú- chan, was ist denn nur los mit dir? Habe ich dir weh getan?"
„Mmmh... nein, das ist es nicht. Ich mache mir bloß Sorgen.", antwortete sein Liebling leise und kuschelte sich wieder fest an ihn. „Akári... wenn du – wenn du das Ganze hier als eine Art – " Wieder musste er sich verlegen räuspern; solche Worte nahm er sonst so gut wie nie in den Mund; „ähm, „One – Night – Stand" siehst, dann musst du mir das sagen, ja? Das verstehe ich dann natürlich... weißt du, ich..." Nervös hatte er damit begonnen, die bereits getrockneten Flecken von Akári's Hosenbein zu kratzen und bemerkte gar nicht, dass er von seinem Geliebten amüsiert gemustert wurde.
„Jetzt musst du dir aber sicher gleich den Mund mit Seife auswaschen, stimmt's? Hui, Hachí Tsúyu, solche Ferkeleien sind wir ja gar nicht von dir gewöhnt – wo verbirgst du denn deine ganzen Geheimnisse noch, außer in der Hose?"
„Uäh, igitt, das ist ja widerlich. Wenn du in dem Ton weiter mit mir redest, dann gehe ich sofort.", versetzte Tsúyu peinlich berührt und schüttelte sich verlegen. „Ich meine ja bloß, du musst mich nicht unbedingt zu dir nach Hause einladen, deine Eltern werden sicher nicht sehr begeistert sein, wenn du da irgend jemanden mitschleppst, den sie nicht kennen – " „Keine Sorge, ich habe schon seit zwei Jahren eine eigene Wohnung. Ist übrigens gerade mal fünf Minuten mit dem Bus entfernt. Meine guten Eltern konnten es ehrlich gesagt nicht mehr aushalten, dass meine Freundinnen ständig wechselten – Mutter kam mit den Namen ganz durcheinander und nannte jede einfach irgendwie. Das war echt peinlich!" antwortete Akári und lächelte verlegen, während er sanft über Tsúyu's rotblondes Haar strich. „Aber das dürfte sich jetzt wohl aufhören, denn ich habe nicht vor, dich so schnell wieder gehen zu lassen."
Plötzlich klangen die Schritte vor der Tür ganz nah und beide hoben alarmiert die Köpfe, um zu lauschen. „Himmel, wir müssen uns endlich anziehen und verschwinden. So langsam sinkt mein Hormonpegel wieder empfindlich auf Normalmaß, und wenn uns jetzt ein Lehrer erwischt, dann sind wir auf ewig das Gespött der Uni, von der Schule ganz abgesehen. Los, komm'!" spornte Akári den trotz aller Vorsätze beinahe eingeschlafenen Hachí an, während er ihm mit geschickten, zarten Fingern die Kleider überzog und mit leichter Hand die Knöpfe schloss. Tsúyu genoss es mit einem leicht verruchten Gefühl, dass ihm gleichzeitig wieder peinlich war... aber wenn Akári so schnell war und sowohl sich als auch ihn anziehen konnte, hatte er denn da keinen Spaß verdient?
„Na endlich! So, jetzt gehe ich mal als Erster raus, wir treffen uns dann in einer Viertelstunde draußen an der kleinen Mauer. Okay, Tsú- chan? Sieht nicht gut aus, wenn wir da beide gleichzeitig nach draußen spazieren.", meinte Akári freundlich und lächelte ihn zärtlich an.
Hachí nickte dankbar, empfing noch einen letzten, innigen Kuß von seinem Liebhaber und blieb dann schweigend auf der Bank sitzen. Ständig musste er an Akári denken, an sein unerwartetes Erlebnis, etwas, von dem er nie zu träumen gewagt hätte.
Mitten in seine Überlegungen klappte die Tür und Hachí hob erstaunt den Kopf. Konnte es denn sein, dass Akári zurückgekommen war? Was wollte er denn –
„Guten Tag, Hachí- san. Ist das Training für heute vorbei?" Einer der Lehrer, Herr Okuyúki, war soeben eingetreten und musterte ihn neugierig. „Sie wirken ja so erschöpft!"
„Ja – ja, das Training ist schon vorbei. Ich – ich wollte nur noch ein wenig nach... nachsehen, ob alles in Ordnung ist..." „Nun ja. Der Boden ist ein wenig verschmutzt, diese Jungs haben sicher wieder irgendwas ausgeschüttet. Sind Schüler nicht manchmal furchtbar?" grinste er dem Mannschaftskapitän freundlich zu und zwinkerte spitzbübisch. „Ich bin sehr froh, dass Sie sich so gut um unser Team kümmern. Seit ich auf dieser Schule bin, ist zwar noch nicht so lange, aber – noch nie waren die Jungs so gut." Der Lehrer klopfte ihm im Weggehen noch freundschaftlich auf die Schulter und winkte. „Das ganze Lehrerkollegium ist sehr stolz auf Sie! Ich werde jemanden hierher schicken, der ein wenig aufräumt."
Als die Türe schlussendlich geräuschvoll hinter ihm zufiel, seufzte Hachí halb erleichtert, halt beschämt auf und barg sein Gesicht in beide Hände. Wie peinlich, wie erniedrigend! Hatte der Senséi denn etwas bemerkt?
Nach einigen Minuten konnte er sich endlich dazu aufraffen, sich langsam auf die Beine zu quälen und schläfrig nach draußen zu wandern, aus der Schule hinaus und auf das niedrige Mäuerchen zu, auf dem Akári bereits auf ihn wartete.
Grinsend ließ er seine Beine baumeln und winkte Hachí zu. „He, Tsú- chan! Hier ist Schokolade für dich, die kannst du jetzt sicher gut gebrauchen, was? Ein bisschen Zucker danach – warum siehst du eigentlich so traurig aus?"
„Okuyúki- Senséi hat mich erwischt. Aber ich denke nicht, dass er was gemerkt hat – er dachte, es wäre so was wie Cola oder so. Hoffe ich jedenfalls."
Akári zuckte desinteressiert mit den Schultern und schob ihm ein Stückchen Valentins – Schokolade aus einem seiner Päckchen in den Mund. „Liebling..."
Hachí setzte sich mit Schwung neben ihn und schmiegte den Kopf an seine Brust. „Ach... Akári, im Grunde weiß ich so gut wie gar nichts über dich. Gehst du gern ins Kino? Welche Filme siehst du dir gern an? Oder... welche Musik magst du gern?"
„Hmm... wir haben durch unsere dumme Streiterei so schrecklich viel versäumt... Ich schäme mich richtig. Ich möchte dir so viel erzählen – und alles über dich wissen – Mist, ich kriege eine Winterdepression.", stöhnte Akári müde auf und vergrub sein Gesicht in Hachí's duftenden Haaren. „Eigentlich musst du mich hassen wie sonst keinen auf dieser Welt, oder nicht? Ich hab' dir doch das Leben so lange schwergemacht und dich gequält – wie kannst du es eigentlich noch ertragen, dass ich dich berühre?"
Zu seinem großen Erstaunen hob Tsúyu langsam seinen Kopf und lächelte ihn zärtlich an. „Weil ich dich schon so lange liebe. Und weil der ganze Schlamassel zu einem großen Teil auch auf mein Konto geht. Ehrlich gesagt, ich wundere mich ja selbst, dass es passiert ist."
„Na ja, wenn wir auf dich gewartet hätten, wäre wohl nichts passiert, bevor wir alt und grau geworden wären. Ich merke schon, bei dir muß man die Initiative selbst ergreifen..."
„Jetzt hör' aber auf! Schließlich habe ich auch was getan, ja?" ereiferte sich Hachí eifrig und klopfte ihm peinlich berührt auf den Oberschenkel. „Los, komm', du wolltest mich doch in deine Wohnung einladen. Hier wird mir schön langsam ziemlich kalt! Abgesehen davon, was tun wir, wenn einer unserer Eltern oder irgendwer, der uns kennt, vorbeikommt? Das wäre mir ja so peinlich!" „Ach was, peinlich. Aber na gut, du hast recht, es wird wirklich empfindlich kühl hier auf den Steinen.", antwortete Akári kopfschüttelnd und hangelte sich gemächlich von der Mauer herunter. „Mein Auto steht gleich um die Ecke, wir müssen nicht weit laufen. Zuhause können wir duschen und uns umziehen, und ich mache was zu essen – du siehst irgendwie hungrig und verfroren aus, Liebling."
Nur zu gern nahm Tsúyu dieses Angebot an und ließ sich von Akári zu seinem tiefschwarzen, elegant geschwungenen und so wie sein Besitzer regelrecht aggressiv wirkenden Sportwagen führen.
Zu Akári's heimlichen Missvergnügen brach er keineswegs in Erstaunen, oder, wie seine ganzen anderen Freunde, etwa in Extase gegenüber der erstaunlichen Motorleistung oder sonstigen Extras aus – mit einem freundlichen, ziemlich naiv wirkenden Lächeln meinte er lediglich, dass ihn das Auto an eine seiner beiden Kätzchen erinnere. Aber so war Hachí eben.
„Wie heißen deine Katzen eigentlich?" bequemte sich Akári schließlich, ein wenig herablassend, zu fragen, nachdem er seinen Ärger über dieses Desinteresse hinuntergeschluckt hatte. Hachí errötete sofort und wand sich wie ein Aal. „Ach, weißt du – ganz dumme Namen." „Na los, sag' sie mir doch! Na komm, Tsú- chan!" bettelte sein Geliebter mit einem fiesen Grinsen. Schließlich überwand er sich. „Na gut, wenn du es unbedingt wissen musst! Sáke und Hōtáru." „Na, sieh' einer an! „Hōtáru" wohl nach deiner verstorbenen Großmutter, und Sáke – ja, wer könnte denn da gemeint sein?" grinste Akári verschlagen und küsste Hachí schnell. „Niemand, gar keiner! Ich – ähm, ja, Hōtáru nach meiner Tante, und Sáke heißt deshalb so, weil – weil sie gerne Fisch frisst! So ist das, und nicht anders!" zischte Hachí verlegen und zog seinen feixenden Liebhaber mit sich. „Komm, steigen wir schnell ein und fahren!"
Als sie nach kurzer Fahrt im Wohnviertel angekommen waren, sprang Hachí gleich begeistert aus dem Wagen und starrte die stummen Gebäude, die im fahlen Mondlicht glänzten, beinahe ehrfurchtsvoll an. Im Gegensatz zu Akári hatte er noch nie in einer eigenen Wohnung gelebt, da seine Eltern in der Nähe der Kaikyō wohnten; abgesehen davon hatte er auch nie den Wunsch danach verspürt.
Akári nahm ihn um die Hüften und zog ihn mit sich in den engen Hauseingang. Hachí genoss für eine Sekunde den Geruch, den der bodenlange Ledermantel verströmte, vermischt mit Aftershave und Zigarettenrauch, und schmiegte sich fest an seinen Liebhaber, die Gefahr einer Entdeckung für eine Sekunde ignorierend.
Nachdem Akári die Tür aufgeschlossen hatte, betraten beide die große Eingangshalle und blieben dort für eine Minute stehen, da er zuerst seine Post sortieren wollte. Hachí sah sich inzwischen ein wenig um und blieb staunend vor dem Lift stehen, der sich zwischen den sanft geschwungenen Treppen befand und ihn ein wenig an die Lifte der 20-er Jahre, die er in einigen amerikanischen Filmen gesehen hatte, erinnerten.
Die Kabine schien auf dem ersten Blick nach vorne zur Halle hin geöffnet zu sein, lediglich durch ein schönes, schwarzes, schmiedeeisernes Gitter abgetrennt. Dann allerdings konnte man das spiegelblanke Glas dahinter blitzen sehen, durch dass die Sicherheit der Fahrgäste gewährleistet werden konnte; nun konnte sich niemand mehr darin verheddern oder etwas zwischen den Öffnungen nach unten werfen.
„Na, gefällt er dir? Das Glas da ist hier, damit die alten Weiber nicht aus dem Lift fallen oder ihre Halstücher am Gitter zerreißen. Irgendwie gefällt's mir ja, obwohl es – mir zu romantisch ist." „Wirklich? Mir gefällt es wirklich gut, wie bei Al Capone oder so. Du kannst von Glück sagen, dass du in so einem schönen Haus eine Wohnung bekommen hast!" antwortete Hachí lächelnd und hauchte Akári einen blitzschnellen Kuß auf die Wange, bevor sie Seite an Seite den Lift betraten. Während er sich lautlos in Bewegung setzte, strich ihm Akári kurz über den Kopf. „Tsú- chan... ist zwar eine blöde Idee, aber... na ja, also, wenn du deine Wohnung wechseln willst, dann bist du mir hier herzlich willkommen – also, was ich wirklich meine, ist nämlich – " Er stockte abrupt und senkte für eine Sekunde den Kopf, weil er sich ziemlich schämte, überwand sich dann aber und sah ihm direkt ins Gesicht. „Ja, sag' mal, Tsú- chan, willst du nicht vielleicht zu mir ziehen? Jetzt gleich, ich meine, so in einer Woche oder so? Tsúyu, ich vermisse dich jetzt schon. Wie kann ich denn auch nur einen Tag allein in meinem Bett liegen, wenn ich weiß, dass du da sein könntest? Ich – ich meine – "
Verwirrt brach er ab und schwieg, bis Hachí lächelnd seine Hand drückte und spitzbübisch kicherte. „So, ich dachte, du hättest immer wen im Bett! Aber na gut – ich will ja nicht so sein. Gleich morgen bitte ich meine Eltern darum – aber ich denke schon, dass sie es mir erlauben werden." Er fühlte sich so erleichtert. Endlich brauchte er sich nicht mehr jeden Tag vor seinem ehemaligen Erzfeind zu fürchten, nicht mehr heulend auf seinem Bett zu liegen, weil ihn Akári schon wieder einmal beleidigt oder verprügelt hatte. Dieses Gefühl war, so schien ihm, momentan unübertrefflich wohltuend.
Akári zog ihn rasch in seine große Wohnung und schloss die Tür sorgfältig hinter ihm zu. „Okay, in Ordnung! Zieh' jetzt deine Klamotten aus und geh als Erster unter die Dusche. Gleich die zweite Tür, mit der kitschigen Ente drauf." Für eine Sekunde schwieg er verlegen. „Die ist nicht von mir, sondern von meiner kleinen Schwester. Die steht auf solchen Schrott."
„Also, mir gefällt sie, ich mag solche Sachen. Bei dir sieht alles hier so – so modern aus..." lächelte Hachí sanft und sah sich staunend in der vor lauter Chrom und anderen Metallen kühl und stählern blitzenden Wohnung um. Wie wohl das Badezimmer aussah? Er freute sich schon darauf.
Seine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Passend zum Rest der Wohnung glänzte und funkelte auch das Bad in kühler Geradlinigkeit; besonders von der wie frei in der Luft schwebenden Dusche war er angetan. Das elegant geschwungene Stahlrohr war nämlich nur an einem Ende an der Wand befestigt; der Rest ragte halterlos in den Raum.
Hastig begann Hachí damit, seine Kleider anständig aufzuknöpfen und ordentlich auf den großen Wäschekorb aus Bast zu legen. Akári hatte viel zu sehr daran herumgezerrt; nicht auszudenken, wenn etwas kaputtgegangen wäre! Seine Mutter war in dieser Hinsicht manchmal gegen ihre Gewohnheit furchtbar streng, denn sie würde sicher wieder glauben, dass er von einem Jungen aus seiner Klasse verprügelt worden war.
Einige Zeit später räkelte er sich bereits unter dem wundervoll heißen Wasserstrahl, der heftig auf ihn niederprasselte... schön langsam begann er sich mit dem Gedanken anzufreunden, hier zu wohnen. Es würde zwar eine ziemliche Umstellung werden, aber Akári –
„Ah! Hey!" Plötzlich fühlte er sich aus dem heißen Wasserstrahl gegen die kühle Wand gepresst und von hinten zärtlich umarmt. „Hmm... hättest du jetzt vielleicht noch ein bisschen Lust zu spielen?" raunte ihm Akári leise ins Ohr und drückte ihn noch ein wenig fester gegen die Mauer. „Aber was – was machst du denn hier? Wolltest du nicht kochen?" keuchte Hachí erstaunt, aber nicht gerade unwillig, ohne den Kopf zu drehen, da sein Nacken gerade von Akári mit Küssen förmlich überschüttet wurde.
Ihm war nach einiger Zeit alleine in der Küche langweilig geworden; das Essen war längst fertig, er musste es nur noch aufwärmen – und so alleine ohne Hachí hatte er einfach beschlossen, seinen Liebling in der Dusche zu besuchen.
„Du hast ja noch Kleider an! Akári, das ist ja – " „Psst, sei jetzt – einfach nur mal still, okay?" murmelte Akári sanft in sein Ohr und wanderte mit der Zunge sanft über seinen Rücken. „Mmh... würdest du vielleicht für mich die Beine breiter machen? Schließlich muß ich da – " Als er leise zu kichern begann, klatschte ihm Hachí mit einem Anflug von Ärger mit der flachen Hand auf den ausgestreckten Arm. „Wirst du wohl aufhören? Wie redest du eigentlich mit mir?"
Akári lachte lediglich amüsiert auf und schritt nun endlich zur Tat über. Hachí stöhnte hörbar auf, als seine Beine durch einen kräftigen Ruck auseinandergepresst wurden und Akári heftig in ihn eindrang. Ziellos wanderte seine rechte Hand an der feuchten Mauer auf und ab, während er sich mit der Linken abstützen musste. Diesmal hielt er länger durch.
„Mmmh – du bist viel besser geworden. Respekt!" kicherte ihm Akári von hinten ins Ohr, „Hast du etwa schon genug?"
Als Tsúyu nicht antwortete, sondern vielmehr vollauf damit beschäftigt war, keuchend nach Atem zu ringen, schlang er ihm heftig die Arme um die Hüften und drehte ihn um. „Komm, noch einmal!"
In der Ecke, die an die frei schwebende Dusche grenzte, befand sich ein breiter Mauervorsprung, auf dem Akári normalerweise seine diversen und natürlich äußerst teuren Badeutensilien aufbewahrte. Heute allerdings war ihm der Wert seiner Sachen herzlich egal, als er mit einem einzigen, großzügigen Handschlag alles von seinem Platz fegte und seinen Liebhaber darauf platzierte. Hachí keuchte entsetzt auf. „Was soll denn das werden? Was willst du denn mit m – AH!"
Der Mauervorsprung lag so günstig, dass Akári lediglich seine Hüften ein wenig anzuheben brauchte, um ihn besser nehmen zu können.
Tsúyu quietschte erregt auf und grub seine Fingernägel tief in Akári's Schulterblätter ein; die Beine schlang er, nachdem er sich sicher genug war, ihm damit nicht unabsichtlich weh zu tun, um seine Hüften.
Akári grinste kurz in sich hinein, als er Tsúyu's Vorsicht bemerkte. Als wäre er von seinen Freundinnen etwa zarter behandelt worden... –
„Ah... Hhah... Ich – ich kann jetzt nicht mehr. Nein, nicht – bitte nicht mehr hier – " keuchte Hachí, nachdem er wieder und wieder gekommen war. Akári hatte ihn gerade auf den Boden geworfen und schob langsam seine Finger in ihn, bis er von Hachí durch einen heftigen Griff daran gehindert wurde. „Ich will jetzt endlich mal ins Bett! Der Boden ist mir viel zu hart.", schmollte er und kuschelte sich fest an ihn. „Du hast doch sicher ein schönes Bett in deiner Wohnung, oder etwa nicht? Bitte, bitte! Ich glaube, ich kann nicht mehr lange wach bleiben."
„Na gut. Aber nur, weil du es bist!" antwortete Akári, nun ebenfalls ein wenig außer Atem, aber immer noch lächelnd, erhob sich mit einer fließenden Bewegung und nahm den beinahe schlafenden Tsúyu sanft auf die Arme. Dieser kam erst wieder so richtig zu sich, als er bereits in eine flauschige Decke gewickelt auf dem großen Bett im Futónstil lag und vor sich eine gewaltige Schüssel mit Soboro Góhan entdeckte.
„Na? Wieder wach?" grinste ihn Akári gut gelaunt an, während er ihm eine Ladung Reis in den Mund schob. „Wie schmeckt es?" „Mmmh – gut. Wirklich gut!" beeilte sich Hachí zu versichern, bevor er vorsichtig ein anderes Thema anschnitt. „Ich muß doch noch meine Eltern anrufen, keine Ahnung, was die sonst tun. Immerhin ist es schon so spät, bei der ganzen Sache ging ziemlich viel Zeit drauf!" „Dann ruf' doch an. Gleich neben dem Bett ist ein Telefon, wie du siehst, und ich erlaube dir natürlich gnädigst, es zu benutzen."
Während Hachí hastig eine Nummer wählte und sich oftmals bei seinem Gesprächspartner – offensichtlich sein Vater – entschuldigte, knotete Akári seufzend seinen locker sitzenden Bademantel etwas sorgfältiger und erhob sich leise. Hachí sah ihn gerade noch in der Küche verschwinden, bevor er sich wieder einmal die wortreichen Vorwürfe seines erbosten Vaters anhören musste. Dieser verglich ihn, wie schon so oft, mit seinem, wie es schien, perfekten Bruder und wünschte sich händeringend einen besseren Sohn. Dann hängte er einfach abrupt auf, mitten in Hachí's verzagte Antwort hinein.
Akári fand ihn zwar lächelnd, dennoch mit einigen Tränen in den Augen, wartend auf dem Bett sitzen. „Soll ich dir helfen? Himmel, ich bin so faul und lasse mich immer bedienen – " „Ach, sei still, du Dummkopf. Da, probier' lieber!" entgegnete der schwarzhaarige Junge kopfschüttelnd und strich ihm sanft über den Kopf, während er ihm einen Teller mit Brownies vor die Nase stellte. „Die sind ganz frisch – na ja, jedenfalls von gestern." „Was machst du denn mit den Sachen, die du nicht isst?" fragte Hachí schüchtern, während er beherzt nach einem der duftenden Gebäckstücke griff. Akári zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Die schmeiße ich weg, was glaubst du denn, wie ich sonst meine Figur behalte, hmm?" „Ja, aber – das ist doch schade darum! Warum schenkst du es denn nicht deinen Mitbewohnern?" „Diesen alten Weibern? Pah! Wart's nur ab, bis die dich mal auf dem Flur fragen, warum sich deine Freundin ständig die Haare färbt, oder ähnliche Sachen!" nörgelte Akári unzufrieden zurück und beugte sich schnell nach vorne, um ihn zu küssen und dadurch auf andere Gedanken zu bringen. Und als Hachí die Arme um seinen Hals schlang, war bereits klar, dass das Essen diesmal kalt werden musste... –
