17. Kapitel
Manua„Wa... hat der Dinosaurier gesprochen? Ich – " „Unmöglich... wir müssen uns geirrt haben – " Ungläubig starrten die Fünf auf das kleine Tier, das einige Meter weit geflattert war und sie mit wütender Miene musterte.
„Klar kann ich reden! Ich bin Dokuritsu-sénsō, das habe ich ja schon gesagt! Und dass ich dafür einfach so weggeworfen werde... eine Unverschämtheit!"
Ärgerlich starrte er in die blassen, entsetzen Mienen der Pfadfinder und brach in meckerndes Gelächter aus. „Hihihi, ihr seht aber blöd aus! Habt ihr noch nie einen sprechenden Saurier gesehen? Woher kommt ihr? Von Melaja oder Monuja? Hahaha!"
„Wo – wovon redest du eigentlich?" warf Sachou mit schwacher Stimme ein. „Und seit wann können Saurier sprechen?"
„Mann, du bist aber dämlich! Woher kommt ihr Schwachköpfe?" Dokuritsu-sénsō kicherte boshaft. Kamomé schluckte und raffte sich dann zu einer Frage auf. „Wer oder was sind Melaja und Monuja?" „Na, die zwei Monde natürlich! Dabei fällt mir auf – " Zum ersten Mal betrachtete er sie genauer. „Ihr tragt aber komische Kleider! Ihr müsst von weit her sein – wer ist der König eures Landes? Ich dachte immer, Nánfēng Kuàide Shi Huángd wäre der Herrscher über diesen Kontinent – " „Shi Huángdì? Der Göttlich Erhabene´?" Hotáru horchte auf. „Ist hier – seid ihr hier – äh, ist hier ein Chinesisches Reich oder so?"
„Ihr befindet euch im Königreich Asante, wisst ihr das denn nicht?" Der Pteranodon schüttelte ungläubig seinen Kopf. Sachou plagten derweil andere Sorgen. „Sag' mal, Suigín- kun... woher weißt du denn, dass Shi Huángdì „Göttlich Erhabener" bedeutet?"
Hotáru musterte ihn gleichgültig. „Ich lerne seit ungefähr fünf Jahren ein bißchen Chinesisch, und seit zwei Jahren richtig. Inzwischen habe ich ein wenig mitbekommen, falls du das meinst. Abgesehen davon ist der Titel „Shi Huángdì" nichts Neues. Chinesische Kaiser benutzten ihn bereits." „Stimmt" warf Kagamí ein. „Der Kaiser Quín Shi Huángdì regierte von 259 bis 210 vor Christi. Er baute den größten Teil der chinesischen Mauer und in seinem Grab fand man an die 6000 Terrakotta- Statuen – " „Psst, sei still!" zischte Watarí genervt und rollte mit den Augen. „Du bist ein wandelndes Lexikon!"
Kagamí schwieg beleidigt und nahm den Flugsaurier, der hochmütig herangewatschelt war, wieder auf den Arm. „Pah, Banausen" murmelte er verächtlich und warf einen schiefen Blick zu Watarí. „Sage ich eben nichts mehr..."
Sachou wandte sich wieder an den kleinen Saurier. „Also, Dokuritsu-sénsō, hör mal... immer deinen ganzen Namen zu nennen ist ziemlich anstrengend. Wie wäre es, wenn wir einen Spitznamen für dich finden – sofern du nicht schon einen hast..."
„Nein." Der kleine Pteranodon wirkte plötzlich verlegen. „Sucht ruhig..."
„Wie wäre es ganz einfach mit Sénsō?" bemerkte Kagamí spitz. Er war noch ein wenig eingeschnappt und warf seinen Kopf mit einer verdrießlichen Bewegung nach hinten. „Aber die einfachsten Dinge sieht man nicht..." „Na gut, warum nicht... ist wenigstens kurz." Die Pfadfinder nickten einträchtig, selbst Hotáru und Watarí hatten nichts einzuwenden. „Na gut, Sénsō. Dann erzähl' uns mal mehr über dieses Königreich... und über den Grund deines Absturzes hätten wir auch gerne mehr erfahren." Kamomé beugte sich zu dem kleinen Pterosaurus und tätschelte kurz seinen Kopf. Als er daraufhin lediglich den Kopf senkte aber keine Anstalten machte zu sprechen, wurde sie nachdrücklicher. „Bitte, du musst es uns erzählen... wir wissen nicht, warum uns diese Soldaten verfolgen – und in Wirklichkeit..." sie sah sich kurz zu den anderen um und fuhr dann zögernd fort „...kommen wir auch gar nicht von hier – wir sind von einem anderen Planeten – der Erde..."
Für eine Sekunde hielt Sénsō den Atem an, dann brach er in kreischendes Gelächter aus. „Hahaha, ihr Menschen seid aber lustig – woher sollt ihr gekommen sein, von der Erde? So ein dummer Name... hahaha..." Er konnte sich gar nicht mehr halten vor Lachen. „Hier jedenfalls befindet ihr euch auf dem Planeten Noah... im Königreich Asante, das von unserem erhabenen Herrscher Nánfēng Kuàide regiert wird... Warum euch die Soldaten verfolgen, weiß ich nicht. Vielleicht wollen sie euch ja fragen, wie es auf der Erde aussieht... hahaha..." Sénsō krümmte sich vor Heiterkeit und kugelte beinahe auf den Boden. Im letzten Moment konnte ihn Kagamí noch auffangen und fest unter seinen Arm klemmen.
„Warum die Soldaten dich fangen wollten, wäre auch noch interessant! Also los! Rede!"
„Ja, ja, schon gut..." Sénsō schüttelte sich und wurde unvermittelt ernst. „Keine Ahnung, warum sie hinter mir her sind. Die wollen mich töten! Zum Glück konnte mich Quánshuǐ retten... das kostete ihr Leben..." Der Kleine quietschte kurz und steckte den Kopf zwischen seine ledrigen Flügel.
Danach war aus ihm nicht mehr viel herauszubringen, bis Moko das Essen fertig hatte. „Los, kommt, solange es noch so einigermaßen heiß ist!"
„Was gibt es?" „Misoshiru und Saba no Ageni. Ich hoffe, das jeder von euch Makrelen und Zwiebeln isst!" „Ja, wir schon. Aber Káshira- kun mag Saba no Ageni gar nicht gerne..."
Kiíchigo's Wangen färbten sich leicht rosa, als sie plötzlich Hotáru's Blick begegnete. Verlegen rechtfertigte sie sich. „Na ja, er hat es mir mal erzählt... ihr wisst schon..." „Klar doch." Er nickte trocken und drehte sich um, ohne noch weiter mit ihr zu sprechen. Ihr schuldbewusster Blick folgte ihm, bis er bei Kitsuné angelangt war und sich zu seinem kleinen Bruder beugte.
„Na, wie geht es dir? Willst du nichts essen? Was ist los?" Er war aufrichtig besorgt und legte ihm vorsichtig die Hand auf seine Schulter, zog sie aber schnell wieder weg, als Kitsuné eine abwehrende Bewegung machte. „Schon gut, mir fehlt nichts. Laß' mich bloß in Ruhe!"
Zögernd nahm Hotáru neben ihm Platz und holte tief Luft. „Ich mache mir Sorgen, Kitsu- chan. Ich weiß nicht, wie wir nach Hause zurückkommen sollen... es ist, als wäre alles nur ein Traum... sprechende Dinosaurier, Menschen, die mit Sauriern zusammen leben... Einfach krank..."
„Gib dir bitte keine Mühe, ein Gespräch anzufangen... Ist schon alles okay, Ho- chan. Kümmere dich lieber um dich selbst." Kalt erhob er sich und kehrte zum Auto zurück. Hotáru blieb noch einige Augenblicke bewegungslos sitzen, dann sprang er auf und folgte Kitsuné hastig. Auf halbem Wege holte er ihn ein und packte seinen Bruder heftig an den Schultern. „So, jetzt ist es genug! Fang endlich an zu reden! Du machst mich wahnsinnig!"
Kitsuné drehte sich um und verpasste ihm unbewegt eine schallende Ohrfeige. „Du sollst mich in Ruhe lassen. Auf Hilfe von dir, nur weil ich dein Bruder bin, kann ich wirklich verzichten." Als Hotáru nicht antwortete, sondern lediglich bestürzt in seine Augen starrte, lachte er kalt auf. „Sieh mich nicht so an! Auf Almosen verzichte ich gerne. Abgesehen davon gehst du mir genauso wie die anderen ziemlich auf die Nerven."
Hotáru nickte nach einem Augenblick langsam und schloss widerwillig die Augen. „Ja, das kann ich verstehen. Bitte sei trotzdem vorsichtig. Dir darf nichts passieren." „Warum, wird Vater dann ärgerlich sein? Wenn – Falls wir zurückkommen?" Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wandte er sich wieder dem Wagen zu. „Du bist ja so pflichtbewusst. Aber Vater ist weit, weit weg... vielleicht werden wir ihn nie wieder sehen... Warum also fühlst du dich ihm dann immer noch verpflichtet? Du bist echt erbärmlich." „Ich mache mir Sorgen um dich." „Nein." Kitsuné schüttelte immer noch sanft lächelnd seinen Kopf. „Du machst dir Sorgen um dich selbst."
Darauf konnte Hotáru nichts erwidern. Schweigend ließ er seinen Bruder ziehen und drehte sich zu den Essenden um. Zu ihnen wollte er nicht gehen. Der Hunger war ihm bereits seit Beginn ihrer Reise mit der Zeit vergangen, das war immer so.
Wenn er sich nicht wohl fühlte, stellte sich kein Hungergefühl ein. Das er dabei immer müder, lustloser und gereizter wurde, war eben eine der unangenehmen Nebenerscheinungen, die sich dabei einstellten.
Auf einem weiter entfernten Hügel saß eine Gestalt am Fuße eines riesigen Baumstumpfes, im Schatten verborgen, reglos, und beobachtete die Gruppe aufmerksam.
„Fassen wir zusammen. Der Pteranodon kann sprechen und heißt Dokuritsu-sénsō, Spitzname Sénsō. Das Königreich, in dem wir uns befinden, heißt Asante, der regierende König nennt sich Nánfēng Kuàide Shi Huángdì. Shi Huángdì steht für „Göttlich Erhabener". Und der Saurier spricht Japanisch mit... hmm, einer Art... chinesischen Akzent. Dieser Planet ist sehr seltsam..." Kühl zog Kamomé Bilanz, während die restliche Crew damit beschäftigt war, den Herd und die Essensreste wegzuräumen. Lediglich Kagamí hörte ihr aufmerksam zu.
„Auf diesem Planeten scheinen sich die Dinosaurier anders entwickelt zu haben als auf der Erde. Die drei Perioden greifen ineinander über, wie wir gesehen haben, existieren Saurier aus der Trias neben denen des Jura. Wir können also definitiv nicht auf der Erde sein... in der Vergangenheit oder so..."
„Natürlich nicht, Dummkopf. Dinosaurier lebten niemals in der selben Zeitlinie wie die Menschen – damals gab es nicht einmal besonders viele Säugetiere. So dumm es auch klingt, aber wir müssen in einer anderen – hmm, Dimension sein... vielleicht... ach, durch ein Wurmloch oder etwas Ähnliches... ich weiß nicht..." Kamomé legte ihre Fingerspitzen an die Schläfen und schloss die Augen; ihr zartes Gesicht wirkte sehr müde und abgekämpft.
„Kamomé- san, was sollen wir jetzt tun?" Erwartungsvoll fixierte sie Kagamí und wartete ab; zum ersten Mal wirkte er nicht mehr so gleichgültig wie sonst, sondern aufgeregt wie ein gewöhnlicher Junge seines Alters.
„Wenn ich das wüsste! Was sollen wir tun? Keine Ahnung! Können wir diesem Saurier überhaupt trauen? Was will er? Warum spricht er? Was wollen diese Soldaten von uns?" Zweifelnd schüttelte sie ihren Kopf. Kagamí wischte ihre Einwände zur Seite. „Ich glaube, wir können ihm vertrauen. Warum er sprechen kann, das werden wir schon noch herausfinden, laß' mir nur Zeit, und abgesehen davon – " Seine Augen glitzerten begierig. „Glaubst du, ich darf ihn mitnehmen, falls wir irgendwie nach Hause kommen? Dort könnten wir nachsehen, wie er von innen aussieht – das würde die Forschung um Jahre weiterbringen- endlich würde Klarheit herrschen – " „Mángetsu! Also ehrlich! Wenn wir es schaffen, wieder nach Hause zu kommen, dann darf natürlich keiner von dieser Odyssee erfahren – was glaubst du wohl, was man mit uns machen würde? Ich will nicht im Irrenhaus landen!" Kamomé wirkte ärgerlich, aber gleichzeitig etwas abgelenkt. „Merkst du was?" „Nein, was meinst du?"
Kagamí wirkte leicht verdattert, während Kamomé argwöhnisch die Gegend betrachtete. „Hier... hier ist Etwas..."
Während nun auch Kagamí aufmerksam die Hügel absuchte, machten sich die Kinder langsam auf den Weg in Richtung Wagen.
Plötzlich und mit lautem Krachen wurde die Lichtung lebendig. Vor den Augen der entsetzten Kinder brachen Soldaten aus dem Wald und hinter den Hügeln hervor, um einen Kreis um das Fahrzeug zu bilden, was Hotáru als Erster bemerkte.
„Verdammt, die wollen uns umzingeln! Los, in den Wagen! Beeilt euch!!" Hastig packte er Kagamí, der ihm am Nächsten stand und gerade Sénsō auf den Arm genommen hatte, um die Taille und zerrte den protestierenden Jungen in das Auto. Dabei glitt ihm Sénsō aus den Armen und kugelte auf den Boden. Laut kreischend bemühte sich der kleine Pteranodon, ebenfalls in die Sicherheit des Wagens zu fliehen, als sich die Tür mit lautem Knall schloss und er verdattert neben den Reifen saß.
„Hey, nehmt mich mit! Hilfe!!" Sénsō kreischte verzweifelt und klammerte sich mit letzter Kraft an eine Radachse, als sich das Auto mit quietschenden Reifen in Bewegung setzte, um den Soldaten, die sie beinahe erreicht hatten, zu entkommen.
„Psst! Duckt euch! Seht mal!" Káshira lugte hinter zwei großen Büschen hervor. „Hier... der Wagen. Soldaten..." Erschrocken hockten sich Tókui und Chujitsu neben ihn und starrten auf die Lichtung, auf der ihre Kameraden gerade verzweifelt versuchten, ihren Verfolgern zu entkommen. „Verdammt, was machen wir jetzt? Wie sollen wir ihnen helfen?" Tókui wirkte verstört und ratlos. Káshira ging es ebenso, er wollte es aber nicht zeigen. „Ganz einfach, wir helfen ihnen... folgen ihnen..." „Klar, du Schlauberger. Und wie sollen wir das machen, zu dritt, und ohne Waffen? Abgesehen davon, die Typen da sind Kämpfer. Die sind ausgebildet. Und wir – " Sie stockte. „Wir sind nur Kinder."
„Ach, Unsinn!" Káshira wirkte ärgerlich. „Wir müssen ihnen helfen können – es muß eine Möglichkeit geben..."
„Ich kann euch helfen." Wie aus dem Nichts erklang hinter ihnen eine Stimme. Für eine Sekunde erstarrten die Drei zu Eis, dann drehten sie sich vorsichtig um. Halb von dem Schatten eines uralten Cycadeenbaumes verborgen stand eine junge Frau und fixierte sie ernst. Ihre tiefschwarz schimmernden Haare befanden sich in einem hoch gebundenen und mit einem Metallring gesicherten Zopf; ihre Kleidung wirkte Chinesisch mit leicht indischem Touch. Die zierlichen Füße steckten in geschnürten Strohsandalen und waren mit zahlreichen Ringen, Ketten und Hennabemalung geschmückt.
„WAAH!!" Chujitsu zuckte entsetzt zusammen, während Tókui und Káshira in eine defensive Haltung wechselten. Die Frau rührte sich nicht, sondern blieb abwartend stehen. „Ich kann euch helfen und eure Freunde retten." wiederholte sie ruhig. Tókui hatte sich inzwischen wieder einigermaßen gefasst. „Woher sollen wir wissen, dass wir dir vertrauen können? Wer weiß, vielleicht lockst du uns in eine Falle und lieferst uns den Soldaten aus."
„Wenn ich das gewollt hätte, wären die Soldaten bereits hier und ihr in Haft." „Das beweist gar nichts. Womöglich führst du uns geradewegs zu ihnen." „Entweder ihr vertraut mir, und zwar schnell, oder ihr lasst es bleiben. Es liegt ganz bei euch."
Káshira überlegte kurz, kratzte sich dann am Kopf und lachte. „Ach was, ich glaube, wir können ihr glauben. Wenn wir nicht schnell handeln, dann sind die anderen über alle Berge... und das wäre nicht gerade von Vorteil..." Tókui sah so aus, als wollte sie etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben, als sie sah, dass Chujitsu seinem großen Bruder voll und ganz zustimmte. Na gut, dachte sie ärgerlich. Typisch, dass Káshira einem gut ausgefüllten Hemd mehr traute als seinem Verstand. War ja nichts Neues.
„Also gut, was sollen wir tun?" „Nach unten sehen." Die Frau wies auf das Ende der Hügelkette, an der sich der Wagen gerade befand, von den Soldaten verfolgt und offensichtlich in Schwierigkeiten, denn er bewegte sich kaum von der Stelle.
„Was zum – " Káshira und Tókui schrieen beinahe gleichzeitig vor Überraschung laut auf.
„Der Sand dort unten ist sehr tückisch. Wer dort hineingerät, bleibt nach einiger Zeit unweigerlich stecken. Wenn wir euren Freunden helfen sollen, müssen wir schnell handeln."
Tókui wurde ungeduldig und aggressiv. „Na dann – anstatt sinnlos im Kreis herum zu reden, sollten wir handeln, und zwar gleich! Sonst erreichen diese Soldaten das Fahrzeug und dann ist es – Aus!" „Gut." Die Fremde nickte und hob ein gewaltiges Horn, dass sie aus einem großen Leinensack, den sie auf der Schulter trug, an die Lippen. Ein tiefer, röhrender Ton erklang, und nach einem kurzen Moment der Stille erzitterte die Erde unter dem Gewicht vieler tonnenschwerer Körper, die sich einen Weg aus dem Dschungel bahnten und in Richtung Wagen donnerten, wobei sie eine Unmenge von Staub aufwirbelten.
„Schnell, sucht euch einen der kleineren Saurier aus, hängt euch an seinen Hals und dann ab zu eurem Gefährt! Wenn wir Glück haben, können wir dort abspringen und es aus dem Sand ziehen!" Die Frau hatte alles eilig herausgepresst und war bereits in Begriff, auf eines der Tiere zu springen. Káshira hatte plötzlich schreckliche Angst um seinen Bruder und wollte ihm befehlen, sich nicht von der Stelle zu rühren, weil er zu klein dafür wäre, als sich Chujitsu bereits ein Herz gefasst hatte und neben einem der Saurier herlief. Káshira konnte nur noch entsetzt keuchen und es ihm gleichtun.
Mit klopfendem Herzen glich er seinen Lauf dem eines der Dinosaurier an und schaffte es schließlich, sich mit einem gewaltigen Sprung an seinen Hals zu klammern und mittragen zu lassen.
Die Soldaten, die den Wagen eingekreist und beinahe erreicht hatten, stoben völlig überrumpelt auseinander, als die Herde an ihnen vorbeizog und die Erde zum Zittern brachte. Die drei Pfadfinder hielten sich angestrengt an den schwankenden Hälsen fest und bemühten sich, nicht zu Boden zu blicken. Nach kurzer Zeit erreichten sie das Fahrzeug im Schutz der Herde und bemerkten, dass die Räder bereits zur Hälfte im Sand steckten und sich sinnlos im Kreis drehten. „I... ich komme hier nicht runter!" schrie Káshira zu der Fremden, deren Saurier gerade neben seinem Reittier rannte. „Schon gut! Wo kann ich das Seil festbinden?" rief sie nach kurzem Überlegen zurück. „Dort, siehst du den großen Haken da vorn? Der ist stabil!" „Gut!" Die Fremde sprang plötzlich von ihrem Saurier ab und schaffte es irgendwie, ihn dazu zu bewegen, ruhig neben ihr stehen zu bleiben. Im Davonreiten konnte Káshira gerade noch erkennen, wie sie ein dickes Seil aus ihrer Tasche zog und gerade in Begriff war, es um den eisernen Haken zu winden, als ihn lautes Kreischen ablenkte. Der kleine Pteranodon rannte unbeholfen aus dem Schatten des Wagens, von dessen Achse er gestürzt war, und schrie zum Steinerweichen. „Hilfe! HILFE!! Nimm mich mit!!!"
Obwohl Káshira im ersten Moment perplex war, beugte er sich doch aus Reflex noch tiefer und schaffte es irgendwie, den kleinen Flugsaurier zu packen und hochzuziehen. Das kleine Tier krallte sich mit aller Kraft in seinen Arm und kreischte ohne Unterbrechung. Káshira meinte, sich getäuscht zu haben. Dieses Vieh hatte doch nicht wirklich gesprochen, oder? Nein, das musste ein Irrtum gewesen sein.
Langsam schaffte es der Wagen, sich wieder aus dem Sand zu arbeiten und der Saurierherde mit quietschenden Reifen zu folgen. Die Soldaten blieben verdattert in einer riesigen Staubwolke zurück und waren unschlüssig, ob sie dem seltsamen Gefährt folgen oder lieber zuerst zu ihrem Truppenstützpunkt zurückkehren sollten. Der Hauptmann der Einheit sprach schließlich ein Machtwort. „Ruhe jetzt! Wir kehren zuerst zum Stützpunkt zurück, morgen sehen wir weiter. Hier in der Gegend gibt es nicht viele Städte, in die sie geflohen sein können. Wir werden sie finden..."
Weit entfernt hielt die Saurierherde endlich an und begann wieder ruhig zu grasen, als hätte die turbulente Verfolgungsjagd niemals stattgefunden. Mit zitternden Knien und schmerzenden Armen stiegen die Drei von ihren Reittieren ab und ließen sich erleichtert ins hohe Gras fallen.
„Uff... ich dachte schon, jetzt wäre alles aus. Das wir entkommen sind..." Tókui keuchte und streckte außer Atem die Zunge heraus. Chujitsu schlang die Arme um seine Knie und zitterte heftig. Káshira bemerkte es und nahm seinen kleinen Bruder tröstend in den Arm. „Oh, es tut mir leid... Wir hätten dich nicht mitnehmen sollen. Das ist jetzt meine Schuld..." „Nein, nein, ist schon gut. Ich wollte ja selber mit. Geht gleich vorbei." Tapfer bemühte sich Chujitsu, mit dem Zittern aufzuhören und dem gerade ankommenden Wagen entgegenzublicken.
„Oh Gott! Káshira! Tókui! Chujitsu! Ihr habt es geschafft! Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht! Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen..." Beinahe heulend vor Erleichterung sprang Sachou aus dem Wagen, stürzte auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Tókui schien das Ganze eher peinlich zu sein, Káshira und sein Bruder ließen es freundlich über sich ergehen. „So, jetzt ist es aber genug! Sachou, du bist peinlich!" Energisch befreite sie sich aus seiner Umarmung. „Reiß' dich gefälligst zusammen!"
Auch der Rest der Pfadfinder wagte sich langsam aus dem Auto und scharten sich um Káshira und die anderen. Eine Weile lang schnatterten alle aufgeregt durcheinander, dann fiel Sachou plötzlich wieder die Fremde ein, die immer noch geduldig neben dem Wagen stand und sie amüsiert beobachtete. „Äh, ähm... Wer sind Sie? Warum... haben Sie uns geholfen? Und – Vielen Dank, danke schön!" Puterrot verbeugte er sich und linste wieder auf die Fremde, die ihn in ihren Bann gezogen hatte... so eine schöne Frau...
„Mein Name ist Samadhi Manua Maya. Mein Vater ist der Bürgermeister der Stadt Sankhya im Westen. Wenn ihr wollt, können wir mit dem Gefährt in einem Tag dort sein und ihr könnt euch in meinem Haus vor den Soldaten verstecken."
„Woher wissen wir, dass wir dir vertrauen können?" Hotáru, der sich bis zu diesem Zeitpunkt im Hintergrund gehalten hatte, trat nach vorne und blickte dem Mädchen geradewegs in die Augen. Sie lachte leise auf. „Hätte ich euch nicht geholfen, würdet ihr jetzt in den Kerkern des Königs sitzen und euer Schicksal bejammern. Der General sucht bereits nach euch, soweit ich weiß. Und er ist nicht für seine Freundlichkeit bekannt."
„Trotzdem." „Pah, Hotáru- kun, sei still. Wenn uns – Manua- san nicht geholfen hätte, dann hätten wir jetzt ein ziemliches Problem, oder? Komm schon, laß' die Arme in Ruhe."
Káshira setzte sich für die schwarzhaarige Schönheit ein und kassierte dafür einen beleidigten Seitenblick von Hotáru, der sich daraufhin genervt wieder in den Hintergrund zurückzog und verärgert schwieg. Watarí betrachtete ihn besorgt und stellte sich nachdenklich zu ihm. „Ho- chan... Was hast du?" fragte er vorsichtig und berührte sachte seinen Arm. Hotáru schien es nicht zu bemerken. „Woher wissen wir, dass sie uns keine Falle stellt, hmm? Wir kennen sie nicht... wissen nicht, was sie will..." „Aber ohne sie wären wir nicht hier" stellte Watarí behutsam fest, um seinen Freund nicht zu reizen. „Das könnte auch eine Falle sein! Ich sage ja nicht, dass es eine ist, aber es wäre möglich! Oder nicht?" „Mmmh, ja, du hast ja ganz recht." Watarí warf ihm einen achtsamen Blick zu. „Aber im Moment sollten wir ihr schon glauben."
Hotáru beschloss, diesen Einwurf stur zu überhören und erst abzuwarten, bevor er noch einmal gegen diese Frau Einspruch erhob. Es stimmte ja – diese Manua hatte ihnen geholfen. Aber es ärgerte ihn eben, dass sich sowohl Sachou als auch Káshira von der Frau so leicht überzeugen ließen. Aber auch die anderen hatten nicht viel einzuwenden, wie es schien.
„Was tust du hier? Warum hast du uns geholfen? Woher kommst du?" Die Kinder bestürmten Manua mit Fragen über Fragen, die sie lächelnd beantwortete. „Ich war auf Wanderschaft durch den Wald, ich wollte die Saurierherden beobachten und neue Wege erkunden. Mein Reitsaurier ist aber leider zu Hause geblieben, ich bin zu Fuß hier, deshalb musste ich auf einem der Herdentiere reiten. Mit eurem Gefährt sind wir allerdings um zwei Tage schneller als ich, wir können es bis morgen Mittag schaffen, wenn ihr mitkommen wollt. Zuhause kann ich euch verstecken und angemessene Kleidung beschaffen. Und natürlich möchte ich wissen, woher ihr kommt! Ich hörte, dass Fremdlinge mit einem seltsamen Wagen angekommen seien... von den Soldaten gesucht und so... kommt ihr aus einem fremden Land, das unsere Schiffe noch nicht erreichen konnten?" Manua schien ebenso neugierig wie die Kinder zu sein. Sachou kratzte sich verlegen lachend am Kopf. „Äh, wie soll ich sagen... das alles ist etwas komplizierter..."
Die ganze Wahrheit erfuhr Manua noch nicht, es schien ratsamer, ihr eine vage Geschichte von wegen – „Schrecklicher Sturm... weit weg von Zuhause..." aufzutischen. Sie wussten ja selber noch nicht genau, was mit ihnen eigentlich geschehen war.
Die Tochter des Bürgermeisters hielt also Einzug in die Mädchenabteilung des Bodenfahrzeugs, zum Glück gab es insgesamt 16 Stockbetten in dem kleinen Raum. Sie war restlos begeistert und konnte sich an all den Wunderdingen nicht sattsehen. Die Stoffe der Bettdecken, die kleinen Nachtlichter, all das war absolutes Neuland für sie.
„Zuhause besorge ich euch dann neue Kleider;" betonte sie eifrig. „Die Uniformen, die ihr jetzt tragt, sind viel zu auffällig, jeder würde sofort sehen, dass ihr Fremde seid. Es ist wohl besser, wenn euch die Soldaten des Königs nicht wegen solcher dummen Fehler entlarven. Das Gefährt können wir in der Scheune eines Freundes unterbringen, er hat nichts dagegen. Dort dürfte es keiner finden." Die Pfadfinder waren ihr sehr dankbar; ohne Manua's tatkräftige Hilfe würden sie wohl keine dieser Hürden bewältigen können.
In dieser Nacht schliefen die Kinder zufrieden und einigermaßen beruhigt ein; selbst Hotáru schaffte es, zum ersten Mal seit ihrer Ankunft einige Stunden friedlich zu schlafen.
