19. Kapitel
Sankhya„Mach mal Platz da, Sachou." Träge kroch Káshira zur Wand und kuschelte sich an den Oberschenkel seines Senpai. „Ich bin so müde..." „Kannst du nicht woanders hin? Meine Füße tun weh." Aber noch während Sachou die ablehnenden Worte von sich gab, lächelte er bereits nachsichtig. Dieser Káshira. Im Moment wirkte er wie eine kleine Katze, die einen Milchtopf ausgeschleckt hatte und sich jetzt entspannt ausruhen wollte.
„Ach, Hotáru! Ich hasse es, hier festzusitzen! Ich will eine Dusche und frische Sachen und einen Spiegel und ein weiches Bett und – " „Schon gut, Kiíchigo! Aber da ich leider nicht zaubern kann, musst du dich eben auf Manua verlassen, klar? Was soll ich denn tun?" „Ich weiß nicht, irgendwas!" quengelte Kiíchigo aufgebracht und zog ein beleidigtes Gesicht.
Hotáru seufzte ergeben und beschloss, sie lieber zu ignorieren. Irgendwann würde auch Kiíchigo einsehen, dass man nicht auf Knopfdruck alles haben konnte, was einem gerade so durch den Kopf ging, schon gar nicht auf einem fremden Planeten.
„Ja... ja, da könntest du recht haben." Wie üblich unterhielten sich Kamomé und Kagamí leise miteinander; die übrigen konnten nur hin und wieder einige Wortfetzen aufschnappen und sich den Rest zusammenreimen.
„Was ist denn los? Wenn ihr etwas zu sagen habt, dann bitte laut, ich kann euer Geflüster nicht mehr ertragen!" polterte Tókui explosionsartig los und riss so alle aus ihrer Lethargie.
Kamomé dagegen schenkte ihr lediglich einen abschätzigen Blick und schüttelte leicht unwillig den Kopf. „Was willst du hören? Für euch ist das doch nur langweilig, oder? Kagamí und ich sind nur gerade zu dem Schluss gekommen, dass die Bewohner dieses Königreichs, soweit wir sie jetzt kennengelernt haben, eine Mischung aus Chinesen, Japanern und Indern zu sein scheinen. Mutmaßlich vermischten sich alle diese Mentalitäten untereinander sehr und bildeten eine neue Form, in der die Individualität der Kulturen trotzdem fortbesteht. „Samadhi" ist nämlich indisch, und woher „Shi Huángdì" kommt, wissen wir jetzt alle. Manua hat uns ja auch erzählt, dass sie einem anderen Volksstamm als der Königshof angehört. Das klingt also sehr logisch. Allerdings..." sie musterte die anderen scharf über ihre Brillenränder hinweg „Wir sollten nicht vergessen, dass wir uns hier auf einem anderen Planeten zu befinden scheinen. Also verstehe ich nicht, warum diese Kulturen hier auftreten. Das ist sehr rätselhaft, denn ich bezweifle stark, dass sich das Leben auf diesem Gestirn ähnlich, wenn nicht genauso wie auf der Erde entwickelt hat. Es muß also etwas anderes dahinterstecken, und darüber zerbrechen sich Kagamí und ich gerade den Kopf."
„So, so." Mehr fiel Tókui dazu auch nicht ein. „Aber diese Konkubine und die Heilerin? Die sind weder Chinesen, noch Japaner oder Inder. Jedenfalls kam mir das aus Manuas Erzählung so vor..." „Tja, das ist natürlich ein Faktor, der noch dazukommt. Auch finde ich die Namen der zwei Monde sehr seltsam... Melaja und Monuja... das sind keine Worte aus einer mir bekannten Sprache..." Kamomé wiegte den Kopf hin und her, während sie Tókui wieder vergessen zu haben schien und sich erneut Kagamí zuwandte.
„Na, dann vielen Dank, Professor Aranámi." Halb gelangweilt, halb ärgerlich drehte sich Tókui zu Moko und schüttelte aufgebracht ihre rote Haarmähne. „Wenn die ein Herz hat, dann steht die Welt kopf! Ich kann sie nicht leiden... ihre besserwisserische Art..."
„Ach, Tókui, reg' dich doch nicht auf, echt. Aranámi ist eben so, da kann man nichts machen." Beschwichtigend tätschelte ihr Moko kurz den Arm und zog seine Finger schnell wieder zurück, als er ihren Blick bemerkte. Vorsicht.
„Hey, seht mal! SEHT MAL!" Die Zwillinge kreischten entzückt, als der kleine Tisch plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln schien und hin- und herschwankte.
„Was soll das? Gibt es hier einen Poltergeist, oder was?" fauchte Sachou entsetzt, während er in Deckung ging und sich an Káshira klammerte, der indessen fasziniert zusah, wie die Kerze langsam auf den Boden polterte und vor ihre Füße rollte. „Nein, sieh mal..." Aufgeregt deutete er auf den Tisch, der mit einem lauten Knall zur Seite kippte und ein Viereck sichtbar werden ließ. „Eine Falltür, sieh einer an!"
Die kleine Tür knackte und wurde von der anderen Seite heftig hin- und hergerüttelt, während sich die Kinder in einem Halbkreis rund um das kleine Viereck stellten, bereit, sofort zuzuschlagen, sollte der Kopf eines Soldaten in der Öffnung sichtbar werden.
Paff! Die Tür löste sich und produzierte eine riesige Staubwolke, die alle an den Rand eines Asthmaanfalls brachte. Inmitten des Chaos kletterte eine schwarzhaarige Gestalt aus dem Durchgang; eine recht wütende Manua, die sich hustend ihren Ärmel vor den Mund hielt. „Verdammte Geheimgänge! Müssen die denn immer so dreckig und verstaubt sein? Das ist ja nicht zum Aushalten!"
Während sie immer weiter erbost vor sich hin zeterte, warf sie ihnen ein dickes Paket zu, dass in groben Leinenstoff gehüllt war. „Da, ich habe Kleidung für euch gefunden! Ich hoffe, es passt, sonst muß es eben so gehen! Mehr kriege ich im Moment nicht, tut mir leid."
„Aber das macht doch nichts! Wir sind dir - äh, Ihnen sehr dankbar..." Sachou katzbuckelte unterwürfig und lächelte begeistert. Ach, diese Frau...
„Sagt ruhig „Manua" und „du" zu mir. Das macht die Sache weniger kompliziert... Eure Namen habe ich mir leider noch nicht gemerkt, ihr müsst sie mir noch ein paar Mal sagen, ja? Die Kleider stammen aus meinen und meines Vaters alten Beständen. Sind aber gut erhalten, keine Sorge!"
Haná hatte inzwischen begonnen, den Kleiderstapel genauestens zu inspizieren. Ihr kleines Näschen rümpfte sich abfällig. „Hmm... so schön wie zuhause sind die aber nicht..."
„Ja, aber immer noch besser als unser jetziger Aufzug. Hier fallen wir ja auf wie bunte Hunde! Ich bin Manua und ihrem Vater sehr dankbar, dass sie uns ihre alte Kleidung überlassen." Moko hockte sich neben die Kleine und begann nun selbst im Stapel zu wühlen. „So, dann wollen wir mal! Hmm... das da sieht nach Frauenkleidung aus..." Farbenfrohe an Saris und indonesische Trachten erinnernde Gewänder flogen zur Seite, wo sie von den kritischen Augen der Mädchen geprüft wurden. Kamomé griff nach dem am wenigsten geschmückten Teil. „Das da ist meins. Die anderen sind mir viel zu auffällig..."
Kiíchigo dagegen packte ein prächtiges, über und über mit Gold- und Perlenstickerei verziertes Wickelkleid, das sie jubelnd an sich hielt. „Ja, ja, das gefällt mir. Das unterstreicht die Frische meines Teints – und abgesehen davon ist das diesen Sommer Mode-"
„Wir sind nicht zuhause, Kií- chan! Vergiss' die aktuelle Mode mal für einen Moment, ja, und denk daran, dass wir nicht allzu sehr auffallen sollten!" Kamomé war ärgerlich. Dieses kleine Hohlköpfchen dachte auch an gar nichts...
Maulend packte Kiíchigo das bunte Teil weg und griff nach einem weniger herausgeputzten Kleid. „Pah, du gönnst mir auch nicht das geringste..."
Moko war inzwischen bei der Männerbekleidung angekommen. „Seht mal... das hier sieht aus wie ein Yukata! Wer will ihn?" Káshira schnappte ihn und überreichte ihn grinsend an Hotáru, der ganz verlegen wurde. „Da, das passt am besten zu dir! In einem Hakamá siehst du jedenfalls richtig niedlich aus!" „Pah, Blödmann, halt die Klappe! Ich weiß selber, dass es dämlich aussieht!" Hotáru war dunkelrot vor Ärger geworden und ließ den Yukata zu Boden fallen, während er Káshira wütend und gedemütigt anfunkelte. Dieser hob das Kleidungsstück lediglich freundlich lächelnd auf und drückte es ihm erneut in die Hand. „Na, na, heute so empfindlich? Hast du etwa schlecht geschlafen? Eine Erbse unter deinem Bett?"
Mit einem gereizten Knurren machte Hotáru auf dem Absatz kehrt und wanderte wieder zu seinem alten Platz an der Wand zurück, wo er sich beleidigt niederließ. Elender Káshira. Irgendwann würde er ihm das alles zurückzahlen, jede einzelne Frechheit.
Als endlich jeder ein passendes Gewand gefunden hatte, meldete sich Manua wieder zu Wort.
„So, da nun jeder etwas anzuziehen hat, folgt ihr mir bitte paarweise nach draußen. Im Innenhof gibt es eine kleine Dusche, dort könnt ihr euch waschen und neu einkleiden."
„Toll!" Kiíchigo sprang begeistert auf und packte Tókui am Handgelenk. „Komm, wir gehen jetzt duschen! ENDLICH! Und neue Sachen! Ich bin ja so glücklich!"
„Gut, dann seid ihr zwei die ersten. Folgt mir!" Manua stieg die enge Treppe wieder nach unten, was vor allem bei Kiíchigo nicht gerade auf Begeisterung stieß. „Ähhh... so dreckig... na, aber wenn's sein muß..."
Auch über die Dusche, die sie im Innenhof vorfanden, war Kiíchigo alles andere als entzückt. Es gab kein fließendes Wasser, sondern lediglich zwei getrennte Kabinen mit einem riesigen Wasserbottich in der Mitte, aus dem man mit einer großen Kelle schöpfen musste, und eine großen Pumpe, deren Schnabel in den Zuber wies.
„Na dann... auf geht's!" meinte Tókui beherzt und betrachtete die Konstruktion mit großem Interesse. „Sieht ganz lustig aus, was meinst du, Kiíchigo?" „Bäh." war deren einzige Entgegnung. Tókui zuckte die Achseln und schnappte sich eines von den grobgewebten Tüchern, die neben der Dusche bereitlagen. „Sei froh, dass es hier überhaupt so etwas gibt. Der Fluß war dir ja auch nicht gut genug, oder?"
Manua wachte inzwischen angespannt über alle Vorgänge. Zu ihrem Glück war heute beinahe kein Diener in ihrem Haus, also konnten sich die Fremden in Ruhe säubern und ihre alten Kleider anziehen. Da Sankhya eine florierende Handelstadt war, brauchte sie sich kaum Sorgen zu machen, dass man die Kinder sofort als Fremde entlarven würde.
„Hey, Hotáru- kun! Los, gehen wir beide, okay?" Mit einem heftigen Ruck packte ihn Káshira an der Hand und zerrte ihn ohne Wenn und aber mit sich. Hotáru wehrte sich nicht sehr, sondern ließ sich eher bereitwillig mitziehen, was ihm einen ziemlich beleidigten Blick von Watarí einbrachte, den er aber ignorierte. „Hey, nicht so schnell..."
„Dieser Mistkerl! Dauernd..." zähneknirschend blickte ihnen Watarí nach und ärgerte sich maßlos. „Also ehrlich..."
„Gehst du mit mir, Watarí- kun?" Schüchtern zupfte ihn Kitsuné am Ärmel. Watarí blickte zu ihm hinunter und musste plötzlich lächeln. Kitsuné ähnelte seinem Bruder in einer Hinsicht sehr; beide erinnerten manchmal an unbeholfene kleine Kätzchen. Watarí wuschelte kurz über seinen orangen Haarschopf. „Aber sicher doch."
Nach und nach kamen alle an die Reihe, während Manua eifrig an der riesigen Wasserpumpe werkelte, so dass nach jedem Duschgang frisches Wasser in den Bottich rann, während das Benutzte durch ein Loch aus dem Zuber ablaufen konnte.
Hotáru genoss das erfrischende Gefühl des Wassers auf seiner Haut. Das hier war irgendwie besser als der Fluß – es war von Menschenhand gebaut worden, und bot ein Gefühl der Sicherheit, obwohl diese Dusche trotz ihrer Effizienz recht primitiv war. Aber dennoch – hier gab es Menschen, die ihre Sprache beherrschten und in der Lage waren, Dinge wie Seife und Wasserpumpen herzustellen. Soo schlimm konnte es also gar nicht sein.
Gerade als er seinen Yukata überstreifte, kam Káshira ebenfalls aus der kleinen Kabine und griff nach den bereitgelegten Kleidern. Er hatte sich für die selbe Bekleidung wie Hotáru entschieden, nur war sein Yukata nicht grün, sondern dunkelblau. Die Farbe stand ihm ausgezeichnet, wie Hotáru mit schnellem Blick bemerkte.
„Mmmh... Ich dachte mir, wenn du ständig in dem Zeug herumläufst, dann muß es ja bequem sein, oder? Also, Hotáru- kun... enttäusche mich nicht!" Káshira grinste freundlich und klopfte ihm auf die Schulter. „Diese Dusche war dringend nötig, meinst du nicht auch? Jetzt fühle ich mich wieder etwas Menschlicher." „Ja." Hotáru nickte kurz. „Ich bin froh, dass wir weniger auffällige Sachen bekommen haben... Weißt du, ist dir auch schon aufgefallen, dass diese Manua zwar einen indischen Namen hat, aber japanische Kleider in ihrem Schrank... ich meine, natürlich ist das hier nicht japanisch, aber... diese ganze Welt hier wirkt wie ein... ein Mischmasch aus dem asiatischen Teil der Erde... das ist doch total seltsam, meinst du nicht auch?" Fragend blickte er zu seinem Klassenkameraden.
Káshira schüttelte allerdings lediglich ratlos den Kopf und zupfte gedankenverloren an seinem Yukatagürtel. „Hmm... ja, weißt du, hier passieren so viele seltsame Dinge, dass ich mich schon gar nicht mehr wundern kann... sprechende Saurier, eine fremde Welt, zwei Monde..."
„Fertig?" Als sie aus dem kleinen Vorraum traten, in dem sie ihre Kleider angelegt hatten, erklang als erstes Kamomé's leise Stimme an ihre Ohren. Sie war gerade damit beschäftigt, ihre langen blauen Haare mit einigen langen Haarspangen, die mit funkelnden Edelsteinsplittern besetzt waren, nach oben in einen strengen Knoten zu stecken. Neben ihr saß eine hellauf begeisterte Kiíchigo, die ihre glänzenden braunen Haare mit einem Schildplattkamm bürstete und sich mit strahlender Miene in einem großen Spiegel musterte. „Oh, diese Kleider mag ich! Und Manua hat uns so wundervollen Haarschmuck geschenkt... ich bin ganz begeistert! Sieh mal..." Aufgeregt reichte sie eine der Spangen zu Hotáru, der sie kurz gleichgültig musterte und dann an Káshira weitergab, der sie dagegen mit weitaus größerem Interesse betrachtete, nach allen Seiten drehte und schließlich nahe an sein Gesicht hielt, um die Splitter kritisch unter die Lupe zu nehmen. „Das sieht aus wie Lapislazuli, Obsidian und Nephrit. Hübsche Arbeit; die Nadeln sind aus Bronze, sehr sorgfältig gemacht. Wären wir Zuhause, würden wir einiges dafür kriegen können!"
„Sieh einer an. Dafür, dass du nie im Laden deiner Mutter bist, kennst du dich aber ziemlich gut mit diesen Dingen aus, was? Respekt!" Hotáru verneigte sich spöttisch und lächelte subtil. „Pah, gar nicht wahr! Das weiß doch jeder!" Káshira wurde puterrot und blickte auf seine Sandalen, während er verlegen im Sand scharrte. Das kam dabei heraus, wenn die eigene Mutter einen Juwelierladen besaß.
„Willst du eins, Suigín?" Kamomé war inzwischen mit ihren Haaren fertig geworden und streckte die Hand aus, in der sich eine kleine, rotbraune Kugel befand. Hotáru nickte dankbar mit dem Kopf und packte den kleinen Ball vorsichtig mit zwei Fingern. Káshira beobachtete ihn erstaunt, während er die Kugel in seinem Mund verschwinden ließ, und konnte seine Neugier schließlich nicht mehr zügeln. „Hey, was ist denn das? Darf ich auch eins, Aranámi?"
„Klar doch." In Kamom's kühlem Gesicht rührte sich kein Muskel, während sie ihm eins der kleinen Bonbons reichte, die Káshira erwartungsvoll in den Mund schob und beinahe sofort wieder ausspuckte. „Bäh, das ist ja widerlich! Was ist das für ein Teufelszeug?"
„Tamarinde." Hotáru schaffte es gerade noch, ernst zu antworten, als er plötzlich von einem heftigen Lachanfall, den er verzweifelt zu unterdrücken versuchte, geschüttelt wurde.
„Aus Tamarinde, Zucker und Chilipfeffer gefertigte Bonbons" konnte Kamomé eben noch hinzufügen, bevor auch sie zu kichern begann. „Suigín und ich mögen keine Süßigkeiten." Káshira blieb für eine Sekunde sprachlos und wie erstarrt stehen, bevor er sich hastig auf dem Absatz umdrehte und das Weite suchte. Auf ihr schadenfrohes Gelächter konnte er jetzt gerne verzichten. Kiíchigo starrte ihm mit verständnislosem Blick hinterher und wandte sich dann zu Hotáru und Kamomé, die sich immer noch vor Lachen krümmten. „Was war denn los? Ich hab' nichts verstanden." Während die beiden Angesprochenen nur noch heftiger zu lachen begannen, schüttelte Kiíchigo abermals ratlos den Kopf und kümmerte sich wieder um ihre lockige Haarpracht.
„Uhuh, Káshira- Senpai, hast du Süßigkeiten für uns? Wir hätten sooo gerne welche!" Mit bettelnden Mienen hatten ihn die Zwillinge und Haná umkreist und zupften ungeduldig an seinen Ärmeln. „Ich habe nichts, aber Aranámi- san und Hotáru- kun dort hinten geben euch sicher gerne etwas ab..." „Suuper!!!" Aufgeregt kreischend ließen die Kleinen von ihm ab und eilten in Richtung Dusche. Káshira kicherte boshaft vor sich hin und setzte seinen Weg über den Innenhof in wieder etwas besserer Laune fort.
Das Anwesen des Bürgermeisters wirkte riesig, wenn man bedachte, dass dieser Teil lediglich das Haus seiner Tochter war. Manua Mayas Wohnsitz erinnerte sehr an eine persische Moschee, nur sehr viel kleiner, aber dennoch enorm für eine einzelne Bewohnerin, egal wie viele Diener sonst noch in diesem Heim leben sollten. Káshira betrachtete das Besitztum neugierig und war beeindruckt. Manua war also offensichtlich nicht gerade unbegütert.
Der zierliche Prachtbau schmiegte sich an die innere Seite der breiten Außenmauer, war also vor Dinosauriern oder sonstigen Angriffen bestens geschützt, aber dennoch eine vollkommen unabhängige Wohnstätte, in der Manua vermutlich tun und lassen konnte, was ihr gefiel, ohne dass ihr Vater es bemerkte.
Die Fassade war mit einem zarten Mosaik aus blauen, grünen und gelbbraunen Steinsplittern in allen Schattierungen geschmückt; die nach oben hin in einem sanften Bogen spitz zulaufenden Fensterrahmen wiesen unauffällige, raffiniert durchbrochene Muster auf, die Káshira an Darstellungen aus den Kunstbüchern seines Vaters erinnerte, die er zwischendurch gerne mal durchblätterte. Obwohl er sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als es freiwillig zuzugeben, besaß er eine ausgeprägte Vorliebe für kunstvolle Bauwerke und gute Bildbände, von denen er einige in seinem Zimmer hortete. Allerdings sehr tief im Schrank vergraben, damit sie keiner seiner Freunde durch Zufall finden konnte. Es gab kaum Dinge, die ihm unangenehmer gewesen wären als eine solche Entdeckung; der Juwelierladen seiner Mutter war da wirklich schon ausreichend genug.
„Sieh mal, das sieht aus wie eine Moschee, nicht wahr? Solche Bilder gibt es in meinem Geschichtsbuch, Senséi Watakúzu hat uns von den Persern und so erzählt, und da waren solche Moscheen drin." Chujitsu hatte seinen großen Bruder mit klappernden Sandalen eingeholt und plapperte nun atemlos vor sich hin, während er mit großen Augen die wirklich imposante Anlage des großen Herrenhauses, in dem Manuas Vater hauste, betrachtete. „Cool, sieh mal, der Turm da in der Mitte ist aber viel größer als der von ihrem Haus... fast doppelt so hoch!" Aufgeregt wies er mit dem Finger auf das riesige Gebäude, aus dessen Mitte ebenso wie aus dem kleinen Palast ein hoher Turm ragte, der in einer spitzen Kuppel endete. Die gesamte Außenmauer war durchbrochen worden, so dass man eine lange Wendeltreppe, die zur Kuppel führte, schemenhaft erkennen konnte. Anders als bei Manua zeigte sich dieses Haus in einer mittelbraunen und weißen Färbung, was es nicht nur durch seine Bauweise robuster wirken ließ. „Wozu der wohl gut ist? Man kann ja sogar die Treppe sehen!" Chujitsu war erstaunt und betrachtete das Gebäude so intensiv, dass er durch die leise Stimme, die plötzlich neben seinem Ohr erklang, heftig erschreckt wurde und mit einem Aufschrei zur Seite sprang. „Aah, Kitsun! Musste das denn sein?" Wütend drehte er sich zu dem orangehaarigen Jungen um, der ihn völlig ungerührt musterte und seine Worte mit monotoner Stimme wiederholte. „Ich sagte, der Turm ist vermutlich ein Wachtturm, von dem aus man gefährliche Dinosaurier oder Feinde sichten kann. Wäre doch logisch, oder?"
„Hmm... ja, warum eigentlich nicht" fiel Káshira ein. „Stimmt, ja, du könntest recht haben. Schließlich ist mit diesen Allosauriern und den Raptoren und dem Zeug nicht zu spaßen... Hier laufen ständig so komische Viecher auf der Mauer auf und ab... ganz kleine..." Misstrauisch blickte er um sich und deutete dann hastig auf den Boden. „Da- schon wieder!"
Kitsuné und Chujitsu bemühten sich, seinem Blick zu folgen und erkannten einen kleinen, bräunlichen Schemen, der eilig von einem Mauervorsprung zum anderen huschte. „Größer als eine Maus" war alles, was Chujitsu sagen konnte, bevor der Schatten auch schon wieder im aufgewirbelten Staub verschwunden war. Leises Lachen ertönte plötzlich hinter den Dreien. Ruckartig drehten sie sich um und sahen Kagamí, der abfällig grinsend zu ihnen getreten war. „Das da sind Lesothosaurier, ihr Schlauberger. Ihr habt wohl in der Schule nie aufgepasst, oder? Keine Angst, die sind völlig harmlos, nur Pflanzenfresser. Auf der Erde waren sie vermutlich eine der frühesten Ornithischier, also Vogelbeckensaurier. Aber möglicherweise fraßen sie doch Fleisch – vorne in ihrem Maul sind ziemlich spitze Zähne. Ich würde also lieber nicht versuchen, sie zu streicheln!" Die letzten Worte waren wohl mehr auf die Zwillinge gemünzt, die im Moment zwar abwesend, Káshira aber noch lebhaft in Erinnerung waren. Dämliche Kinder. Aber sie hatten ja nichts besseres zu tun gehabt, als sich gleich mit gefährlichen Raptoren anzulegen. Die beiden Namarí- Zwillinge waren schon in Hachinohe für ihr quirliges Temperament ziemlich berühmt gewesen.
„Woher weißt du das denn alles nur? Unmöglich... ein einzelner Mensch merkt sich das doch gar nicht alles!" Chujitsu schüttelte verzweifelt den Kopf und schämte sich. Kagamí war ein ganzes Jahr jünger als er, und schon um so vieles klüger... Er wagte einen kurzen Seitenblick zu Kitsuné, der schweigend vor sich hinstarrte und ruhelos die Finger bewegte. Chujitsu hielt es nicht mehr aus. „Schluss jetzt!" Heftig griff er nach seiner Hand und presste Kitsuné's Finger leicht zusammen, um die stetige Bewegung zu stoppen. Kitsuné zuckte zusammen und richtete seinen abwesenden Blick auf ihn. „Aya..." „Wovon redest du?" Chujitsu war verwirrt und drückte fester, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Endlich schien Kitsuné aus seinem Tagtraum zu erwachen und drehte sich ganz zu Chujitsu. „Was willst du eigentlich? Laß' mich in Ruhe." „Aber – " Ohne ihn weiter zu beachten, drehte sich der orangehaarige Junge auf dem Absatz um und spazierte davon. „Ja, aber..." Sprachlos starrte ihm Chujitsu nach und schnaubte mehr erstaunt als empört auf. „So was..."
„Mach dir keine Gedanken, Chū- chan. Die Suigín- Familie ist wohl eben so... damit sollten wir uns abfinden..." Káshira grinste aufgeräumt und legte seinem kleinen Bruder tröstend die Hand auf die Schulter. „Irgendwie ist es schön hier... was meinst du? Diese ganzen Gebäude... und ist dir aufgefallen, dass es so wirkt, als wären viele bekannte Stile zusammengeflossen? Das hier... ist wie... nein, es ist nicht nur indisch... es ist... persisch... und... alles fließt zusammen..." „Gut gesagt, Ryoki- kun. Gibst du öfter Kunstunterricht?" Leise war Hotáru wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht und lächelte zurückhaltend, während er die Gebäude selber interessiert musterte. „Äh, oh... ähm, nein." Káshira hüstelte verlegen und wurde puterrot. „Ich mag diese Bauwerke. Diese Häuser. Sie sind so... es wirkt, als wären sie gewachsen, nicht wahr? Wie die alten Tempel zuhause. Sie passen in die Landschaft... als würden sie dorthin gehören – ohne Wenn und Aber..." „Gewachsen?" Káshira grinste überrascht und wandte sich ganz zu Hotáru, der plötzlich wie ertappt zu lachen begann und verlegen an seinem Ärmel zupfte. „Ich würde so gerne ein Photo mit meiner Kamera schießen und es selbst entwickeln. Warst du schon einmal in der Dunkelkammer? Das rote Licht ist so- man beginnt- über sich selbst nachzudenken, und man..." Er lächelte schüchtern. „Kennst du das Gefühl?" „Oh, ich... äh, nein. Ich kenne mich mit so was nicht aus... bin ja nicht im Photoclub..." „Nein, klar, wie konnte ich das vergessen. Hachí- Senpai ist ja mit mir im selben Club, nicht du." Müde schüttelte Hotáru den Kopf und starrte stumm vor sich hin. Káshira betrachtete ihn besorgt und bemühte sich, ihn etwas aufzuheitern. „Magst du Photographie? Ich meine, bist du gut darin?" „Besser als in Sport." Hotáru blickte ihn bitter lächelnd an und wanderte an der Mauer entlang, weg von Káshira, der sich am liebsten selbst geohrfeigt hätte. So war das nicht gemeint gewesen; kaum ging Suigín etwas aus sich heraus und wurde zutraulicher, musste er wieder etwas Dummes sagen und ihn so verärgern.
„Hey du, warte mal." Rasch holte Káshira seinen Klassenkameraden ein und packte ihn am Ärmel. „So wollte ich das nicht sagen. Du bist doch auch im Schwimmclub gut." „Nein." Hotáru schüttelte ablehnend den Kopf und konnte Káshira nicht in die Augen sehen. „Ich bin die totale Niete." „Unsinn." Überraschend fühlte er sich an beiden Schultern gepackt, herumgedreht und von Káshira in den Arm genommen. „Hey, was soll denn das? Spinnst du? Verwechselst mich wohl mit Kiíchigo, was?" Mit brennenden Wangen befreite sich Hotáru aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück, während Káshira seine Verlegenheit mit einem Lachen überspielte. „War doch nicht so gemeint, beruhig' dich wieder! So wie mit Kiíchigo ist es bei dir ganz sicher nie!" „Hmm" brummte Hotáru ärgerlich und wurde schlagartig ernst. „Hey, Ryoki, weißt du was?" „Nein, was meinst du?" Káshira bückte sich und hob einen der Sandsteine auf, die vor seinen Sandalen lagen, um ziellos mit ihm zu spielen. Hotáru holte tief Luft und begann vorsichtig. „Wir Fünfzehn... sind hier auf diesem Planeten irgendwie gefangen, oder?" „Mmh, ja... und?" „Wir können uns ja nicht mal leiden, und trotzdem müssen wir uns aufeinander verlassen... krank, was?" „Was meinst du mit nicht leiden können?" Káshira blinzelte ihn verständnislos an und schüttelte seinen Kopf.
„Oh, tut mir leid, Ryoki- kun... ich meinte, wir können uns nicht alle leiden, oder? Du magst mich nicht, zum Beispiel." Hotáru hatte es ganz ruhig gesagt, trotzdem wirkte es auf Káshira, als hätte er ihm einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf gegossen. „Wie meinst du das? Natürlich mag ich dich. Irgendwie." „Jaja." Hotáru begann höhnisch zu lachen und machte sich, ohne noch einen Einwand gelten zu lassen, auf dem Rückweg. „Aber sicher doch."
„Ja aber – " Ebenso wie zuvor sein Bruder stand nun Káshira sprachlos da und starrte seinem ungerührt davonschlendernden Clubkameraden völlig perplex nach. Dieser Suigín...
„Essen ist fertig!" Hektisch eilte Manua von einem Ende des Hofes zum anderen, um die verstreute Kinderschar einzufangen. „Kommt mit mir mit, ja? Nach dem Essen können wir kurz auf den Markt gehen, dann seht ihr Sankhya richtig. Redet nur mit keinem, sonst fällte es auf, dass ihr nicht von hier seid." Kritisch musterte sie ihre Gäste. „Na, wenigstens ist Sankhya eine große Handelsstadt, da laufen ohnehin so viele Fremde umher... ein paar mehr oder weniger fallen da wohl auch nicht mehr großartig ins Gewicht." „Oh, Manua- san! Ihr- äh, du bist so barmherzig..." Sachou war wieder einmal völlig hingerissen und himmelte seine geliebte Manua unverfroren an. Tókui musste sich vor lauter Ärger über soviel männliche Dummheit auf den Kopf greifen. „Nein, nicht möglich. Und so einer ist unser Teamleiter... nicht auszuhalten..." „Arme Tókui. So eifersüchtig?" Hinterhältig lächelnd hatte sich Kamomé an den rothaarigen Wildfang herangeschlichen und brachte sich durch einen schnellen Sprung in Sicherheit, als Tókui's Hand gefährlich nahe an sie herankam. „Eifersüchtig, pah. Dieser Trottel ist mir doch egal wie Nichts..." maulte Tókui ärgerlich und blitzte Kamomé, die sie lediglich mit ungerührter Miene betrachtete, aufgebracht an. „So ein Unsinn..." „Komm, wir müssen jetzt Essen gehen, du hast Manua ja gehört." Kühl wanderte Kamomé zu den anderen, eine eingeschnappt vor sich hin murmelnde Tókui hinter sich. „Scheint ja was Wahres dran zu sein, wenn du dich gleich so aufregst..."
„Uäh, Káshira- Senpai, die Süßigkeiten, die uns Aranámi- san geschenkt hat, waren aber scheußlich! So bitter!" Ehe er sich's versah, war Káshira von den unermüdlich vor sich hin plappernden Kindern umringt, die ihn an den Ärmeln seines Yukata zupften und in Richtung Haus zerrten. „Hey, jetzt wartet mal! Nicht ganz so schnell, ja?"
Als endlich auch die Letzten im Haus verschwunden waren, atmete Manua befreit auf und machte sich auf den Weg in Richtung Speisesaal. „Dort ist mehr als genug Platz für alle! Meine drei treuesten Diener haben mir einen großen Gefallen getan und für euch ein nahrhaftes Mahl zubereitet. Ich hoffe, es wird euch schmecken!"
Gespannt folgten ihr die hungrigen Pfadfinder und ließen sich im geräumigen Speiseraum nieder. Der große Saal wurde von einem wuchtigen Steintisch in der Mitte beherrscht, um den viele bequeme Sitzpolster gehäuft worden waren. Die Wände wiesen leuchtende Steinmosaike auf, die allesamt aus kompliziert verschlungenen Mustern bestanden und dem ganzen Raum eine fröhliche Atmosphäre verliehen, was dazu führte, dass sich die Gäste langsam auf den weichen Kissen entspannten. „Manua- san, dein Haus ist aber groß! Und da wohnst nur du alleine?" wollte Haná neugierig wissen. „Hast du denn keinen Mann? Ich – " „Also wirklich, Haná! So was fragt man doch nicht!" Hiyokó errötete entsetzt und hob warnend ihren Zeigefinger. „Ein wohlerzogenes Mädchen macht so etwas nicht!" „Ja, ja, das sagt Mama auch immer" maulte Haná verschnupft und betrachtete angelegentlich die Tischplatte, die aus feinem Marmor bestand und bereits mit Tellern und Reisschälchen geschmückt war. „Ach, das macht mir doch nichts aus. Ihr dürft gerne fragen, wirklich!" Manua lächelte freundlich und beugte sich zu dem kleinen blonden Mädchen, das immer noch verlegen auf den Tisch starrte. „Natürlich wohne ich nicht ganz alleine hier, was ihr ja schon durch meine Diener gesehen habt. Ich habe ungefähr an die zehn Diener für mich allein, und Vater hat Zwanzig. Alleine würden wir mit diesen großen Häusern ja auch nicht zurechtkommen! Heute sind allerdings nur Drei im Haus, eben die, denen ihr für das Essen danken könnt. Der Rest ist in der Stadt, auf dem Markt, oder in den Ställen...
Die meisten unserer Saurier sind außerhalb der Stadt in den großen Stallungen untergebracht. Hier sind nur die Reitsaurier, und auch davon nur unsere absoluten Lieblinge.
Da sich ja auch die Felder in Umkreis der Stadt befinden, wäre es Kraftverschwendung, die armen Tiere auch noch bis hierher laufen zu lassen, nicht wahr?"
Bevor noch einer der Fünfzehn antworten konnte, öffnete sich die rückwärtige Tür und ein junger Mann trat ein, sich ehrerbietig vor Manua verbeugend. „Lady Samadhi, die Speisen sind gerichtet. Wenn Ihr nun beginnen wollt – " „Ja, tragt auf." Zu den Kindern gewandt begann Manua etwas verlegen zu lächeln und schickte den Diener mit einem schnellen Wink ihrer Hand nach draußen. „Es ist natürlich nichts Besonderes – aber ihr dürft nicht vergessen, es sind lediglich drei Diener hier, und da... Aber lasst es euch bitte trotzdem schmecken!"
Erwartungsvoll behielten die Kinder die Tür im Auge, aus der wenige Minuten später zwei weitere Dienstboten traten, die schwer an zugedeckten Schüsseln und Töpfen trugen, die sie mit erstaunlicher Geschicklichkeit auf den Tisch gleiten ließen, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen.
Der Inhalt der Schüsseln bestand aus einer sehr scharfen, dickflüssigen roten Suppe, zu der kleine, runde Fladenbrote gereicht wurden. Moko jubelte erfreut, als er das Gericht erkannte. „Hey, das kenne ich ja! Papa hat das mal am Wochenende gekocht. Das ist eine Suppe aus Tomaten und Erbsen, und dazu isst man diese Fladen, die man „Chapatis" nennt, stimmt's?" Manua nickte lächelnd und probierte kritisch. „Ich hoffe, es wird euch nicht zu scharf sein. Vor einiger Zeit waren einige Fremde bei meinem Vater zu Besuch, und er ließ Papadams und Samosas zu Beginn reichen. Leider war sein Besuch keine scharfen Speisen gewöhnt, und so, na, den Rest könnt ihr euch ja sicher denken!"
Sángo und Okami mussten bei dem Gedanken an die armen Fremden, die sicher das Gefühl von flüssigem Feuer im Mund gehabt hatten, herzhaft kichern und riefen so Haná's Zorn hervor. „Wenn man isst, dann spricht man nicht. Und das selbe gilt für Lachen!" rügte sie ernsthaft und drehte sich zu Hiyokó, um ihren Beistand zu bekommen. Da diese aber selber mit einem heftigen Kicheranfall zu kämpfen hatte, ließ sie es mit einem ärgerlichen Seufzen sein. „Barbaren... wenn Papa das wüsste..." Bei dem Gedanken an ihre Eltern, die sich sicher schon verzweifelt fragten, wo ihre kleine Tochter geblieben war, stiegen Haná plötzlich die Tränen in die Augen, die sie aber mit einer unerwarteten Aufwallung von Tapferkeit unterdrückte. Den Anderen wollte sie das Essen, von dem sie sehen konnte, wie gut es ihnen schmeckte, nicht verderben.
Hotáru mochte scharfe Speisen ebenso wenig wie Süße, würgte die Suppe aber trotzdem tapfer hinunter, nicht ohne Watarí vorher noch einen neidischen Blick zugeworfen zu haben, der die Schärfe des Gerichtes zu genießen schien, denn er griff noch einmal nach der Schüssel, um sich Nachschlag zu holen, was Hotáru mit einem unhörbaren Würglaut kommentierte. Kitsuné ging es ebenso wie seinem Bruder, er dagegen starrte ungläubig auf Chujitsu und Káshira, die alle beide mit großem Genuss die dickflüssige Suppe vertilgten und ebenso wie Watarí noch einmal nach der schlicht verzierten Schüssel fassten.
„Hoffentlich wird der Hauptgang besser" flüsterte Hotáru seinem kleinen Bruder zu, der verständnisinnig nickte und ebenso wie er ihre zufrieden schmatzenden Kameraden mit Ekel musterten. Nein, indische Gerichte waren nichts für sie.
Als sie nach und nach schließlich doch alle fertig wurden, räumten die Diener ebenso still und leise, wie sie zuvor alles hergeschafft hatten, die Suppentöpfe wieder ab und setzten riesige Schalen mit einer Mischung aus Garnelen, Zwiebeln und in Scheiben geschnittenem Fleisch auf bizarr aufgeblähten Nudeln an ihre Stelle. „Das hier ist „Mee Krob", ein sehr gutes und bekömmliches Nudelgericht, das mein Diener Hangi wundervoll zubereiten kann. Alle meine Freunde lieben es! Kein Wunder, dass sie immer zum Essen bleiben!" lachte Manua und reichte die geschickt garnierten Platten weiter. „Es ist noch so viel da, ihr müsst alles essen! Sonst wundern sich die anderen Diener noch, wie viele Gäste in ihrer Abwesenheit eigentlich hier waren!"
Das Mee Krob stieß bei allen auf große Begeisterung, selbst Hotáru und Kitsuné hatten ausnahmsweise nichts daran auszusetzen. Moko überschlug sich beinahe vor Entzücken und aß drei Portionen, wobei er ständig den Koch lobte und schwor, einmal selber so gut kochen zu können. „Pah, was ich jetzt mache, ist doch nur Kinderkram! Richtig kochen, ja, so wie dieses Essen, das ist Kunst! Jawohl, Kunst!"
Nachdem alle auch diesen Gang beendet hatten, trugen die Dienstboten noch eine Süßspeise auf, bei deren Anblick vor allem Kiíchigo und die Kleinen lauthals jubelten. „Oh, Fruchtsalat mit Kokoscreme! Das habe ich mal in einem thailändischen Restaurant gegessen, das schmeckt ja so toll! Oh, danke, Manua- san!" frohlockte Hiyokó, als sie die mundgerechten Leckerbissen in den Händen der geschmeichelten Diener sah. Hotáru und Kamomé dagegen sahen sich seufzend an und zuckten bedauernd die Achseln. War ja typisch, dass wieder mal etwas Süßes auf den Tisch kommen musste.
„Na, ihr zwei? Schlimmer als verwöhnte Schoßhündchen, ehrlich! Wenn man eine Liste von den Sachen, die ihr nicht essen wollt, schreiben würde, wäre es wohl einfacher, nur die zehn Gerichte, die euch munden, auf einen Zettel zu notieren und den Rest zu streichen, oder?" Tókui lachte schadenfroh, als sie Kamom's missgünstigen Blick begegnete. „War doch nur ein Vorschlag..."
Während die Anderen in tropischen Früchten und rahmiger Kokosmilchcreme schwelgten, begnügten sich Hotáru und Kamomé damit, ihren grünen Tee, der in kleinen Kannen vor ihnen stand, zu genießen und sich dabei leise über ihre Situation zu unterhalten.
„Ich glaube, wir können ihr im Moment vertrauen... immerhin verhilft sie uns zu Nahrung und unauffälligen Kleidern... Sie ist nützlich." „Ja" pflichtete ihr Hotáru nickend bei und betrachtete ihre glücklich vor sich hin schmausenden Kameraden. „Aber sie vertrauen ihr zu schnell..." „Das ist ihr größter Fehler. Aber so waren sie ja schon immer" stimmte Kamomé kühl zu und nahm noch einen Schluck. „Weißt du, ich muß mich bei dir entschuldigen."
„Warum?" Erstaunt starrte sie Hotáru an. „Weil ich dir Unrecht getan habe. Bevor wir auf diese Reise aufbrachen, wollte ich dich unbedingt aus dem Team haben. Ich war mir sicher, dass du sowieso nur alles absichtlich falsch machen würdest, nur um uns zu beweisen, wie wenig du uns leiden kannst. Aber inzwischen – " Sie lächelte beinahe, „Hat sich gezeigt, dass du viel reifer bist, als ich dachte. Es tut mir leid, und ich nehme alles zurück, was ich vorher gesagt und getan habe. Du bist ein guter Navigator, und ein wertvolles Teammitglied, obwohl wir alle einander wohl nie „tief verbunden" sein werden. Aber das macht nichts. Solange jeder mithilft, können wir es schaffen." Auch Hotáru lächelte jetzt leicht. „Danke, Aranámi. Das ist nett von dir... ich bemühe mich ja, aber es ist nicht so leicht, mit Vierzehn anderen zurechtzukommen... auch für Kitsuné ist es schwer..." „Ja, das kann man ihm ansehen. Ich glaube, er ist krank." „Meinst du?" Hotáru erschrak leicht und drehte sich zu seinem Bruder, der still und wie abwesend vor seinem Essen saß. Im Gegensatz zu allen anderen unterhielt er sich mit niemandem und war so weit wie möglich von seinen Sitznachbarn weggerückt. „Aber er ist doch immer so. Gesellig war er noch nie." „Er sieht trotzdem sehr schlecht aus. Vater wirkt manchmal so, wenn er in der Firma viel zu tun oder Mama, wenn sie wieder einmal die ganze Nacht durchgearbeitet hat. Vielleicht ist es eine Art Streß?" Kamomé wiegte ihren Kopf zweifelnd hin und her. „Leider kenne ich mich da nicht so aus."
„Hmm..." Beide beobachteten Kitsuné eine kleine Weile, dann wandten sie sich wieder ihren eigentlichen Sorgen zu. „Ob Manua und diese Soldaten unter einer Decke stecken? Es wäre so einfach für sie, uns übers Ohr zu hauen und auszuliefern. Ich bin ja mal gespannt, was da noch folgen wird..." „Hey, Aranámi!" mischte sich Káshira plötzlich in ihr Gespräch und grinste dümmlich. „Gerade ist mir aufgefallen, dass deine Brille weg ist. Kannst du denn überhaupt noch was sehen?" Kamomé seufzte ärgerlich auf und blitzte Káshira wütend an. „Würde ich nichts sehen, hätte ich sie nicht abgenommen. Sonst brauche ich sie natürlich, aber da wir auf diesem Planeten so unauffällig wie möglich sein sollen, kann ich natürlich nicht mit einer Brille herumlaufen, oder? Das würde selbst der Dümmste bemerken."
„Wenn ich mir Káshira ansehe, wäre ich mir da gar nicht so sicher..." fiel Hotáru leise ein und lächelte hinterhältig, was bei Kamomé ein boshaftes Grinsen hervorrief und Káshira nach einer kurzen Nachdenkpause in Rage brachte. „Was redest du da eigentlich? Es bringt gar nichts, wenn du so leise vor dich hinflüsterst, ich höre dich ja doch! Und abgesehen davon – "
„Jetzt streitet doch nicht die ganze Zeit! Das ist ja nicht auszuhalten..." Sachou fühlte sich nach dem guten Essen nicht in Stimmung, sich auch noch einen Streit zwischen den beiden anzuhören. Tókui pflichtete ihm bei. „Wie zwei alte Männer, die den ganzen Tag nichts besseres zu tun haben, als sich wegen jedem Unsinn in die Haare zu kriegen! Was seid ihr denn für Vorbilder, hä? Das ihr euch vor den Kleinen nicht schämt..."
„Kamomé, auf ein Wort." Kiíchigo ignorierte die Diskussionen um sich und packte das blauhaarige Mädchen am Ärmel. „Was willst du?" Kamom's Stimme klang ungerührt wie immer, was Kiíchigo plötzlich schrecklich ärgerte. „Du sprichst in letzter Zeit ja oft mit Hotáru- kun, nicht wahr?" warf sie ihr hin und bemühte sich, nicht wie ein verletztes Seelchen zu klingen. „Das er mein Verlobter ist, hast du ja wohl nicht vergessen, oder, Kamomé? Ich meine nämlich – " „Also daher weht der Wind. Hast du Angst, er würde entdecken, wie belanglos du bist, Tsutsumí? Außer deinem hübschen Köpfchen und einer reichen Familie hast du nämlich nichts vorzuweisen, und Suigín ist nicht der Typ, der nur mit diesen Dingen zufrieden wäre... weißt du, Tsutsumí?" fügte sie kaltblütig hinzu und musste den heftigen Drang zu lächeln unterdrücken. Kiíchigo sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. „Du bist ja so gemein! Wie kannst du das nur sagen?" Ruckartig sprang sie auf und presste ihre Hand vor den Mund. „Ich hasse dich, Aranámi! Oh, wie ich dich hasse!" Nachdem sie noch einmal heftig mit dem Fuß auf den Boden gestampft hatte, lief sie schluchzend aus dem Raum und ließ eine perplexe Gruppe zurück, die nach und nach ihre Blicke zu einer lediglich ungerührt in ihre Teeschale starrenden Kamomé wandte. Káshira war der Erste, der reagierte. „Aranámi, das war gemein, egal, was du zu ihr gesagt hast! Das sie sich da draußen die Augen ausweint, dass ist dir wohl egal, was?" Aufgebracht erhob er sich ebenfalls auf und verließ den Raum, um Kiíchigo zu finden und schnell zu trösten.
Sonst wagte es keiner, ein Wort zu Aranámi zu sagen. Ihre bissige Schärfe war nur zu gut bekannt. Lediglich Hotáru beugte sich leicht lächelnd zu ihr hin. „Nicht sehr freundlich zu unserem Goldherzchen? Arme Kií- chan. Das Weinen wird ihrem Teint nicht gut tun – und dann wird sie noch trauriger sein..." Kamomé antwortete darauf zwar nicht, ihre Ohren färbten sich aber leicht rötlich, als sie sich heftig das Lachen verkneifen musste. „Suigín, du bist ein Idiot. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass sie eifersüchtig wird, hä?" „Es ist eben ihr verletzter Stolz, Aranámi. So ist das nun mal... wäre ich ihr Teddybär, würde sie genauso reagieren." Er seufzte leicht und streckte bittend seine Hand aus. „Darf ich..."
Milde ihren Kopf schüttelnd holte Kamomé ein Tamarindenbonbon aus ihrer Tasche und ließ es in seine Handfläche gleiten, während sie selbst auch nach einem suchte. „Keine schlechte Idee... das brauche ich jetzt auch, nach diesem dummen Ärger..."
Manua hatte von dem ganzen Schlamassel nicht wirklich viel mitbekommen und sprang lebhaft auf die Beine. „Los, ihr Faulpelze! Jetzt haben wir wirklich lange genug mit Essen und Trinken verbracht, also, wir werden uns auf den Marktplatz von Sankhya begeben, dort seht ihr dann, wie es in einer großen Handelsstadt zugeht. Ich hoffe sehr, dass es euch gefällt, denn ich liebe den Markt!" Munter eilte sie den Pfadfindern voran, die ihr mit gemischten Gefühlen folgte. Die Kleinsten waren vorbehaltlos begeistert und hängten sich wie Kletten an die schwarzhaarige Frau, während die Älteren von leichten Zweifeln geplagt wurden. „Ob uns wirklich keiner erkennt? Ich will nicht von diesen Soldaten gefangen werden" flüsterte Moko Sachou leise ins Ohr. „Wir werden sehen. Ehrlich gesagt bin ich nach diesem Keller dankbar, dass wir wieder mal nach draußen können – und wer weiß, vielleicht finden wir sogar jemanden, der uns helfen kann..." antwortete Sachou betont optimistisch und bemühte sich, seine schöne Angebetete nicht aus den Augen zu verlieren. Vor der Tür schlossen sich ihnen Káshira und auch die inzwischen wieder beruhigte Kiíchigo an, ohne den Streit zu erwähnen.
