21. Kapitel
Ein unvergessliches Fest
Am nächsten Morgen ließ sie Manua lange ausschlafen, da sie selbst zu sehr mit den nötigen Vorbereitungen für den Empfang, der am Abend stattfinden sollte, beschäftigt war. Zwar würde alles im Hause ihres Vaters stattfinden, und dessen Diener kümmerten sich bereits eifrig darum, aber gewisse Probleme wie beispielsweise die Kleiderfrage musste von ihr höchstpersönlich gelöst werden, was einige Zeit in Anspruch nahm. Für die Pfadfinder hatte Manua noch einmal ihre Kleiderbestände gefilzt und sie alle mit weiten, langen Hosen und sehr chinesisch wirkenden Hemden ausgestattet. Káshira grinste Hotáru, mit dem er natürlich wieder einmal gleichzeitig die Duschkabinen belegte, schelmisch an. „Oh, wie schade... und im Yukata warst du echt s..."
Die Kinder wurden eilig mit „Daal", also Linsenbrei und „Rótii", Brotfladen, bedacht, da Haná, Hiyokó und Kiíchigo aber allzu heftig die Nasen rümpften, ließ Manua auch noch Sesambrötchen, „Shāobǐng" und „Xīfàn", wässrigen Reisbrei, bringen, womit die Mädchen allerdings auch nicht wirklich zufrieden waren. Moko kaute bereits mit vollen Backen und warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. „Also ehrlich, Manua- san sorgt doch wirklich gut genug für uns, diese Rótii sind einfach klasse. Probiert mal!"
Watarí beugte sich irgendwann zu Hotáru und legte ihm besorgt seine Hand auf die Schulter. „Warum isst du nichts? Seit gestern Mittag hast du nichts im Magen." „Keinen Hunger." „Stimmt was mit dem Essen nicht?" „Nein, alles in Ordnung. Ich... ich kann nur nicht... mein Magen fühlt sich voll an." Die tollste Ausrede der Welt, die ihm nicht einmal mehr Watarí abkaufte. „Kitsuné ist genauso stur wie du. Ihr werdet noch mal zusammenklappen, aber warte dann nicht darauf, dass ich euch auch noch trage." Ärgerlich wandte sich Watarí nach diesen Worten wieder seinem Essen zu und schwieg daraufhin pikiert, was Hotáru ziemlich ärgerte. „Pah, keiner hat dich um deine Hilfe gebeten, klar?" murrte er zurück, was sein bester Freund allerdings lediglich mit einem abfälligen Schulternzucken kommentierte. Dämlicher Watarídori. Sollte er doch schmollen; ihm war das auf jeden Fall völlig egal.
„Suigín, hier gibt es einfach nichts Richtiges zu trinken... wenn ich nicht bald einen schönen, schwarzen Kaffee bekomme, dann..." Kamomé gesellte sich zu ihm, nachdem sie ein bisschen von Daal und Shāobǐng probiert hatte und nun elegant an einer Tasse Tee nippte, was von Hotáru mit einem kleinen Lächeln quittiert wurde." „Das verstehe ich gut, Aranámi. Schade, dass es hier keine Kaffeeautomaten gibt – ist dir eigentlich schon was aufgefallen..." Kamomé beugte sich weiter nach vorne, als er plötzlich seine Stimme senkte und leicht errötete. „Was?" „Na ja... also, ähm... Diese Toilettenanlagen..." „Ja?" „In der Art und Weise gab es die in Indien früher jedenfalls noch nicht, oder? Ich meine, äh... Wasserbetrieben..." Hotáru hüstelte und blickte verlegen um sich, während Kamomé gar nicht mehr auf ihn achtete, sondern Kagamí mit einer heftigen Kopfbewegung zu sich rief. „Komm her, Mángetsu. Suigín hat gerade eine interessante Entdeckung gemacht..."
Während die Beiden über dieses Problem zu diskutieren begannen, erhob sich Hotáru nach einer kurzen Entschuldigung eilig und wanderte ziellos nach draußen. Da die meisten ihrer Diener im Hause ihres Vaters zu arbeiten hatten, durften sie sich ohne Sorgen im Innenhof aufhalten, darauf hatte sie Manua schnell noch hingewiesen, bevor sie sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatte um ihr Kleiderrepertoire durchzuforsten.
Kiíchigo stand an die Außenmauer gelehnt da und wirkte sehr verlassen und einsam, was bei Hotáru plötzlich ein sehr schlechtes Gewissen auslöste. Immerhin hatte er sich geschworen, auf sie und seinen Bruder ganz besonders aufzupassen, aber Kiíchigo hatte er wohl doch nicht aufmerksam genug behandelt – und Káshira schwänzelte zu sehr um sie herum. Vorsichtig stellte er sich neben seine Verlobte und bemühte sich, einigermaßen freundlich zu wirken.
„Guten Morgen, Kií- chan. Was – äh, tust du hier so alleine?" „Pah" war die einzige Entgegnung, die sie gab, ohne sich auch nur umzudrehen. „Bist du beleidigt?"
„Tss, worauf, dich etwa? Das bist du doch gar nicht mal wert." Kiíchigo rümpfte abfällig ihre Nase und warf den Kopf in den Nacken. „Na gut, was ist es dann?" bohrte Hotáru weiter, ohne ihre verächtlichen Worte groß zu beachten. „Nichts. Willst du nicht lieber zu deiner geliebten Aranámi zurück? Die wartet sicher schon auf dich." Schmollend wandte Kiíchigo ihr Gesicht leicht zu ihm und schnaubte verdrießlich. „Na los, geh' schon!"
„Pah, du wirst doch nicht eifersüchtig sein, oder, Kií- chan?" Hotáru musste grinsen, bekam aber schnell die Quittung dafür. „Bilde dir bloß nichts ein!" kreischte Kiíchigo unvermittelt wütend auf und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, deren Wucht ihn einige Schritte zurücktaumeln ließ. „Diese blöde Aranámi kann ja ruhig glauben, sie wäre ach – so – klug, und alles... aber sie ist nichts Besonderes oder Besseres, das kannst du ihr gerne ausrichten – du unterhältst dich ja ständig mit ihr, also bitte – aber mit mir nicht..." Ununterbrochen leise vor sich hinmurmelnd lehnte sie sich weit über die Brüstung und schrak plötzlich heftig zurück. „Hotáru, sieh mal!" Eher überrascht als verärgert rieb sich Hotáru vorsichtig die Wange und beugte sich ebenfalls weit über die Mauer, während er nach dem Grund für Kiíchigo's Aufregung suchte, der schnell gefunden war. Tief unter ihnen wurde gerade eine kleine Herde Saurier von einigen Soldaten ziemlich brutal unter Einsatz von Peitschen und Stockhieben in Richtung Marktplatz getrieben, während die Tiere verzweifelt aus dem Gefängnis der schweren Ketten auszubrechen versuchten. Es war ein von Beginn an aussichtsloser Machtkampf, den nur die Krieger gewinnen konnten. Die meisten der Saurier trugen bereits blutende Striemen, und die eisernen Ketten hatten die Haut um Hals und Beinen tief aufgescheuert und hinterließen schwärende Wunden, um die Fliegen und Mücken schwirrten und die Tiere noch mehr quälten. „Wie scheußlich" murmelte plötzlich eine leise Stimme neben Kiíchigo. „Die armen Tiere." „Ach, Káshira." Sie begann zu schluchzen und drückte sich für ihn völlig unerwartet fest an ihn, was bei Hotáru ein sehr unangenehmes Gefühl auslöste. Was hatte sie bloß mit diesem Kerl? „Kannst du den armen Sauriern denn nicht helfen?" „Oh, arme Kií." Zärtlich nahm sie Káshira in den Arm und streichelte sanft über ihr braunes Haar. „Wir werden uns etwas überlegen."
„So ein schöner Beweis von Zuneigung, nicht wahr?" flüsterte eine leise Stimme so überraschend neben Hotáru, dass er im ersten Moment heftig zusammenzuckte und sich dann ärgerlich zur Sprecherin umdrehte. Tókui grinste boshaft und streckte ihm die Zunge heraus. „Eifersüchtig, was? Sorry, aber da hast du keine Chancen." „Pah, halt die Klappe." „Huh, so charmant heute? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?" „Du bist hier, das reicht schon." „Seid doch still! Müsst ihr denn jedes Mal streiten?" Sachou trabte verschlafen auf sie zu und gähnte verhalten. „Uh, und ich bin noch so müde... Habt ihr Manua- san gesehen?" erkundigte er sich sofort eifrig, während Tókui lediglich, als wäre sie des Themas endgültig überdrüssig, die Augen verdrehte und ein lautes Seufzen ausstieß. „Nein, deine holde Manua hat sich noch in die Tiefen ihres Kleiderschranks zurückgezogen und wünscht nicht gestört zu werden. Ach, du Armer, dass du heute auch so ein Pech hast! Da du von den Soldaten gesucht wirst, wird es dir nicht möglich sein, mit ihr zu tanzen!" „So was wollte ich auch gar nicht wissen", brummte Sachou verlegen und trollte sich puterrot. Tókui lachte niederträchtig und gab Hotáru eine lockere Kopfnuss, die ihn ebenfalls zu einem ironischen Grinsen veranlasste. „Sieh an, unsere standhafte Tókui – wenn sie nur nicht selber eifersüchtig wäre..." „Ach, das hast du bloß falsch verstanden." Immer noch grinsend stolzierte sie auf die andere Seite der Mauer, um sich die Stadt von hier oben anzusehen. Die Soldaten mit den gequälten Sauriern waren bereits im dichten Getümmel verschwunden. Tókui legte die Hand über ihre Augen, um gegen die grelle Tropensonne, die harte Schatten warf und stark blendete, noch etwas zu erkennen. Die roten Haare hatte sie zu einem kurzen Zopf geflochten, der sich langsam löste und den Wind immer wieder lange Strähnen in ihr Gesicht wehen ließ. Die große Stadt summte wie ein aufgeregter Bienenschwarm, was sie plötzlich an Hachinohe erinnerte.
„Hey Moko, glaubst du, wir kommen nach Hause, noch bevor die Ferien zu Ende sind? Ich will hier nicht ewig bleiben." „Ach, wird schon werden. Wir sind hergekommen, also kommen wir auch wieder weg", meinte der wie aus dem Nichts aufgetauchte schwarzhaarige Junge gemütlich, während er in ein Shāobǐng biss, das er mitgenommen hatte. „Hmm, wenn doch nur jeder so sein könnte wie du..." Tókui ließ ihren Blick durch den schattigen Innenhof schweifen, in dem sich nun beinahe die ganze Gruppe aufhielt. „Aber du hast recht, wir werden es schon schaffen."
Den Vormittag verbrachten sie damit, faul im Schatten zu liegen oder langsam im Innenhof hin – und herzuspazieren, die Zwillinge amüsierten sich mit den kleinen Sauriern, die auf der Mauer auf und abliefen, Kamomé las irgendein lehrreiches Buch, Kagamí malte mit einem Zweig komplizierte Berechnungen in den Sand... Hotáru hatte sich am Fuße einer Palme zusammengerollt und schlief wieder einmal tief und fest, während Chujitsu ein Schachbrett in den weichen Sand gezeichnet und nun mit dem sich zuerst heftig sträubenden Kitsuné ein Spiel begonnen hatte, wo sich auch bald Watarí einfand, der fachmännische Kommentare dazu abgab. Umsonst besuchte er ja nicht schon das fünfte Jahr den Schachclub!
Kiíchigo bürstete ihre weichen braunen Haare und kramte zusammen mit Hiyokó und Haná glücklich zwischen einem Haufen kostbar verzierter Haarnadeln und anderem Schmuck, den ihnen Manua netterweise überlassen hatte, während Tókui einen weichen Sandstein gedankenvoll in der Hand hin und her rollte, bis sie kurz entschlossen in ihre Tasche fasste und ihr einen langen, eisernen Nagel entnahm. Káshira beobachtete sie erstaunt. „Was soll denn das werden? Hast du einen Meuchelmord vor?" „Ach was, Unsinn. Der Stein hier ist bloß so schön weich, er schreit direkt nach ein bisschen Bearbeitung – " gab Tókui zurück, während sie unterdessen bereits damit begonnen hatte, kräftig mit dem Nagel in das weiche Gestein zu hämmern. „Also echt, das du in deiner Garage mit dem Schweißbrenner Metall verbiegst und so was, das wusste ich, aber das du auch Stein bearbeitest – Respekt!"
„Ist doch nichts Großartiges." Tókui wurde knallrot vor Stolz und beugte sich eifrig über ihre Arbeit. „Das kann doch echt jeder, und gut bin ich auch noch nicht damit." „Na, ich kann's jedenfalls nicht." Káshira grinste ihr noch einmal freundschaftlich zu, bevor er sich an Moko wandte und ihn zur Seite zog. „Hey, Moko- kun, ich müsste was mit dir besprechen – aber nicht gerade so, dass es alle hören – " „Was gibt's?" Erstaunt folgte ihm der wohlbeleibte Junge in eine Ecke, wo sie sich ruhig unterhalten konnten, ohne von den Kleinen gestört zu werden. „Hast du heute diese Saurier gesehen? Wie diese Soldaten sie gequält haben, ohne sich auch nur im Geringsten um sie zu kümmern? Das fiel mir schon gestern auf, als wir durch Sankhya spazieren durften. Da waren es aber Parasaurolophus, keine Lambeosaurier wie heute. Die waren in ganz kleine Käfige gesperrt, furchtbar, und das bei der Hitze!"
„Ja, schlimm, aber was sollen wir da schon machen?" „Na, was wohl. Wir könnten sie befreien, oder? Ist doch logisch." Káshira war so in seine Gedanken über den Plan vertieft, dass er Mokos ungläubige Miene zuerst völlig übersah und ihn erstaunt musterte, als er in grölendes Gelächter ausbrach. „Wahaha, du bist echt ein Scherzbold! Hahaha!" „Psst! Sei doch leiser!" zischte Káshira ärgerlich, als sich ihnen einige verdutzte Gesichter zuwandten. „Das soll doch nicht jeder wissen, also echt!" „Ja, sag nur, du meinst das auch wirklich ernst." Moko war platt. Er kannte Káshira nun zwar schon seit ca. elf Jahren, aber so was... na, er war eben immer für eine Überraschung gut.
„Red' nicht lange darum herum, was ist, hilfst du mir? Tókui ist sicher auch mit von der Partie, da wären wir schon zu dritt – und heute Nacht ist doch diese Feier, also kann uns Manua nicht erwischen. Cool, oder?" Er war von seinem eigenen Plan Feuer und Flamme, während Moko noch zweifelnd den Kopf schüttelte. Den Dinosauriern ging es zwar schlecht, aber wenn die Truppen sie erwischten – das wäre auch kein Spaß. „Warten wir mal ab, was Tókui meint", antwortete er schließlich vorsichtig und hoffte, dass sie vernünftiger sein würde als er. Was natürlich wie vorherzusehen ein Irrtum war.
„Klar, wann? Ich bin dabei!" war das Einzige, das sie ihnen zerstreut hinwarf, als sie gerade vorsichtig einige scharfe Kanten mit ihrem improvisierten Meisel glättete. Moko hatte den bösen Verdacht, sie hätte gar nicht richtig hingehört und versuchte es noch einmal. „Ich meine, wir sind bloß drei Leute, und die Soldaten suchen uns, und – " „Schon klar, Sachou wird uns sicher auch helfen. Jetzt seid brav und verschwindet, damit ich in Ruhe arbeiten kann." Das hatte gesessen, und die Beiden trollten sich wieder, Káshira stolz und siegessicher, Moko besorgt und ärgerlich auf sich selbst. War ja klar, dass er es wieder mal nicht geschafft hatte, die Zwei umzustimmen.
Um die Mittagszeit herum erschien Manua ganz aufgelöst und verstört auf dem Innenhof und bat sie, sich im Keller zu versammeln. Als endlich auch der Letzte auf seinem Platz saß, begann sie äußerst fahrig hin – und herzuwandern, während sie hastig zu sprechen begann. „Es ist ein wahres Unglück! Soeben habe ich erfahren, dass General Mosar mit einigen seiner Leute unserem Fest beiwohnen wird, da er heute in der Stadt eingetroffen ist und mein Vater ihn einladen musste. Was sollen wir bloß tun? Ich wollte euch ja eigentlich aus Sankhya heraus und an einen sichereren Ort bringen, aber jetzt ist es schon zu spät, fürchte ich. Am besten ist es wohl, ihr versteckt euch solange im Keller, denn wenn er euch findet, dann wird er euch ganz sicher vor den König führen, oder hinrichten lassen, oder..." Vor lauter Anspannung begann sie beinahe zu weinen. „Ist ja schon gut, Manua- san, wir bleiben im Keller, versprochen", bemühte sich Sachou eilig, sie zu beruhigen. „Er wird uns nicht finden, und wenn doch, dann sagen wir ihm, du hättest mit der ganzen Sache nichts zu tun, da wir uns einfach in dein Haus eingeschlichen haben, okay? Dann geschieht dir sicher nichts."
„Ach, um mich macht euch doch keine Sorgen." Manua hatte sich wieder etwas gefangen und wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. „Ihr dürft nur nicht in die Hände des Königs fallen! Er ist so grausam und herrisch – und er hört sehr auf den Hohenpriester, der jegliche Technik verboten hat, und sowohl euer Schiff als auch euer Gefährt sind ja voll davon. Abgesehen davon seid ihr ohne Erlaubnis in Asante – ihr kommt ja von weit her, nicht wahr..." „Manua- san, was geschieht mit den Sauriern, die diese Soldaten auf den Marktplatz treiben und die dann in Käfigen gehalten werden?" warf Káshira gedankenverloren ein. „Diese Saurier? Nun, die Taranga und Rangi, die ihr gesehen habt, werden meistens als Futter für die gefährlichen Tipua und Patupaiarehe gebraucht, deshalb bringt man sie per Käfig in die Hauptstadt, wo die Spiele stattfinden." „Spiele? Was für Spiele?" schaltete sich Kiíchigo neugierig ein. „Saurierhetzen, das sind diese sogenannten Spiele, eine ziemlich brutale Form des Zeitvertreibs. Vielen gefällt es, aber es gibt auch schon Gegner dieser grausamen Hetzen, denn es sterben so viele Tiere bestialisch und so sinnlos – das kann doch nicht richtig sein."
Alle nickten mehr oder weniger betroffen, Kagamí verdrehte sogar gelangweilt die Augen, während sich Káshira in seinem Vorhaben mehr und mehr bestätigt fühlte. Die Zwillinge zogen zwar angemessen empörte Gesichter, warfen aber gleich darauf taktlos ihre Bitte nach Essen ein. Manua lächelte sie wieder an, etwas zerstreut zwar, aber immerhin. „Ja, Meikín wird euch gleich etwas bringen – heute ist es wirklich nur ein schnelles Gericht, ich habe wegen diesem Fest ja leider nur zwei Diener hier – es ist „Uttapám", kennt ihr das?" Natürlich wusste wieder einmal keiner außer Kamomé Bescheid, die mit gelangweilter Miene lediglich „Fladenbrot mit Gemüsebelag" hinwarf und zu Kagamí, der wie immer treu neben ihr saß, kurz „Unser letzter Indienurlaub" sagte. „In Indien waren ich auch schon mal, mit Großmutter. Opa hatte keine Lust, der mag Urlaub ungefähr genauso gern wie Fußpilz." „Wie war es?" „Och, Oma ist leider nie geduldig genug, um in Museen längere Zeit zu bleiben. Einige Bauwerke wie das Taj Mahal wollte sie ja auch sehen, aber sonst – eigentlich sind wir die ganze Zeit in irgendwelchen maroden Taxen durch Mumbai oder Delhi gefahren und haben an diesen Straßenbuden Tháalii oder Daal gegessen. Oma ist eben mehr für so was", setzte er ein bisschen verlegen hinzu. „Opa mag das nicht."
„Ach, da fällt mir ja was ein!" rief Manua plötzlich begeistert auf, als die junge Dienerin gerade mit großen Platten Uttapám auftauchte und die Messingteller belud.
„Ich habe jemanden gefunden, der für das Kaija – Junge sorgen will. Garíibii, die mir auch von Mosars Ankunft erzählt hat, sagt, ihre kleine Schwester würde das Kleine gerne bei sich aufnehmen. Ich bin mir doch sicher, es ist die bessere Alternative, nicht wahr? Und noch eine tolle Neuigkeit: Garíibii hat etwas über einen Verbannten gehört, der sich mit Technik beschäftigt hat und deshalb auf die Insel Uēru geschickt wurde, damit er kein weiteres Unheil anstellen kann. Der König höchstpersönlich soll das angeordnet haben! Dieser Verbannte kann euch vielleicht sogar helfen, Uēru ist gar nicht mal soweit weg. Eine kleine Schiffahrt, und wir könnten sie in einigen Tagen erreichen!" „Super, toll!" kreischten die jüngeren unter den Kindern mit vollen Backen durcheinander, während sich die Älteren leicht skeptisch ansahen. Warum sollte ihnen gerade so ein Kerl helfen können, der vermutlich gerade mal erst einen kleinen Schritt in Richtung Benzinmotor getan hatte? Allzu große Vorfreude schien hier doch etwas verfrüht.
Manua blieb auch nur bis zum Ende des Essens und verschwand dann eilig mit Omócha im Arm nach draußen, wobei sie von den doch ziemlich spitzen Dornen an seiner Nackenplatte beinahe gekratzt worden wäre. „Also, das kann ich mir nicht leisten, wie sieht das denn am Fest aus?"
Sénsō murrte unzufrieden, als Omócha und Manua außer Hörweite gekommen waren. „Pah, und ich? Nie kümmert sich wer um mich, immer bin ich – " „Soo arm und geknechtet – armer Sénsō! Da fällt mir ein – du hast uns ja nie richtig erzählt, warum die Soldaten auch hinter dir her sind. Wäre Zeit, dass du das mal nachholst!" Kamomé grinste boshaft und beobachtete genüsslich, wie sich der kleine Pteranodon unruhig hin – und herwand. „Bin jetzt müde, hab' zuviel gefressen", war das Einzige, das jetzt noch aus ihm herauszubringen war. Kagamí starrte ihn stirnrunzelnd an und wandte sich dann fragend an Kamomé. „Weißt du, was mich so wundert? Warum er eigentlich sprechen kann. Dinosaurier haben doch keine Stimmbänder, oder? Jedenfalls wissen wir nichts davon." „Könnte ja eine Mutation sein." Kamomé gähnte gelangweilt und schüttelte zweifelnd ihren Kopf. „Irgendwie muss sich die Tatsache, dass hier Menschen und Saurier nebeneinander leben, ja auswirken. Genauso wie auf die Pflanzenwelt. Ich meine, soweit wir wissen, gab es im Jura keine Blütenpflanzen, und auch in der Kreide waren sie nur sehr unscheinbar. Aber hier auf Noa gibt es Palmen, Reisfelder, Blumen... auch das dürfte die Saurier verändert haben, auch wenn sie äußerlich unseren altbekannten Lehrbuchdarstellungen sehr ähnlich sind... nicht wahr, Suigín- kun?" „Äh... ja... vermutlich", schreckte Hotáru auf. Er war mit seinen Gedanken überhaupt nicht bei der Sache gewesen, was ihm einen strafenden Blick von Kagamí einbrachte. „Weißt du, bei Dinosauriern kenne ich mich nicht so aus, aber du hast bestimmt recht. Es war ja schon irgendwie komisch, die Saurier der drei Zeitalter so bunt durcheinandergemischt zu sehen, nicht wahr?"
„Mmmh, ja. Da hast du allerdings recht..."
„Hört mal alle her! Ich will euch etwas Wichtiges sagen, okay? Also, ich, Moko, Tókui und Sachou sind zu dem Beschluss gekommen – " „Wieso ich? Davon höre ich ja jetzt zum ersten Mal!" fiel Sachou dem eifrigen Káshira ins Wort, der allerdings nur achtlos abwinkte. „Egal jetzt, sobald du gehört hast, was wir vorhaben, bist du garantiert mit von der Partie! Es geht nämlich um die Saurier!" „Wen interessiert das?" flüsterte Hotáru leise Kamomé zu, die zustimmend nickte, aber dennoch beschloss, Káshira ausreden zu lassen. „Möglicherweise hat er ja mal was Sinnvolles vor", murmelte sie gedämpft zurück. „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn."
„Also, es ist so, wir alle haben die schrecklichen Zustände, unter denen die Saurier hier von den Soldaten gehalten werden, und zu welchem Zweck sie dienen sollen, gesehen und gehört. Deshalb schlage ich vor, dass wir die armen Tiere auf dem Marktplatz befreien – das wäre doch das Beste, dass den Viechern passieren kann – sonst enden sie doch nur qualvoll! Wer ist dafür?" Káshira hatte sich für das Thema bereits sosehr in Feuer geredet, dass er Kamomés erhobene Hand beinahe übersah. „Ja, was ist denn?" „Nette Idee, Ryoki", meinte sie kühl, ohne auf seine Begeisterung sonderlich einzugehen.
„Aber wie stellst du dir denn das praktisch vor? Glaubst du allen Ernstes, wir würden auch nur in die Nähe der Tiere kommen, ausgerechnet jetzt, wo doch die ganzen Soldaten hier sind?" „Klar doch! Wir machen die Aktion gleich heute nacht, da sind doch die ganzen Soldaten auf diesem Fest! Eine bessere Gelegenheit gibt's nicht!"
„Ja, ich stimme Káshira zu. Den armen Tieren muss geholfen werden, und zwar so schnell wie möglich." Kiíchigo hatte sich aufrechter hingesetzt und musterte die Gruppe mit ernster Miene. „Das sind doch keine annehmbaren Zustände."
„Sieh an, Tsutsumí, unsere tapfere Tierschützerin. Ein ganz neuer Zug an dir..." Kamomé lächelte rätselhaft, was Kiíchigo plötzlich entsetzlich in Rage brachte. „Ach, halt doch die Klappe, du blöde Ziege! Glaubst du, hier ist irgendwer auf deine nutzlosen Kommentare scharf? Außer herumzusticheln und nie etwas Sinnvolles beizutragen, kannst du doch überhaupt nichts!" Vor lauter Wut war sie beinahe den Tränen nahe. „So ist das also, ja? Im Gegensatz zu dir laufe ich eben nicht Blauäugig und mit einer doppelten rosa Brille durch das Leben!" fauchte Kamomé wütend und blitzte Kiíchigo, der nun wirklich die Tränen kamen, wutentbrannt an. „Nur wegen eurer Dummheit liefere ich mich doch keinem unnötigen Risiko aus! Glaubt ihr etwa, bloß weil ihr ein paar mickerige Saurier rettet, könnt ihr damit auch nur irgend etwas bewirken? Da liegt ihr leider falsch." „Jetzt kannst du aufhören, Aranámi. Wir wissen, dass du nicht damit einverstanden bist, ist ja gut." Káshira hatte die schluchzende Kiíchigo in den Arm genommen und tröstete sie freundlich, während Moko vorsichtig zu beschwichtigen suchte. Hotáru schlug diese Szene auf den Magen. „Ich finde, Aranámi hat ganz recht. Das ist doch eine wirklich dämliche Idee..." „War ja klar, dass du mit ihr mitziehst, Suigín. Machst du eigentlich immer alles, was sie will?" unterbrach ihn Káshira mit einem zynischen Lächeln, während Watarí vor Schreck den Atem anhielt und Hotáru vorsichtig beobachtete. Dieser konnte sich jedoch erstaunlich gut beherrschen. „Mit einer vernünftigen Idee ziehe ich jederzeit mit, aber eine, die sich gar nicht lohnt..." Achselzuckend wandte er sich ab und verließ das Speisezimmer. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um. „Ihr könnt ja gerne machen, was ihr wollt, verraten werden wir euch schon nicht, aber ihr braucht nicht zu erwarten, dass wir mitmachen, bloß weil wir zufälligerweise im selben Club sind." Auch Kamomé erhob sich, nun wieder beruhigt, eifrig gefolgt von Watarí und Kitsuné. „Suigín hat recht. Wir verraten euch nicht bei Manua oder sonst wem, aber auf Hilfe braucht ihr nicht zu hoffen." Damit verließen auch diese Drei den Raum. „Puh", atmete Sachou auf. „Mit dieser Aranámi ist wirklich nicht zu spaßen." „Und die anderen Zwei sind brave Anhänger unseres Duo infernale." Nahezu jeder im Speisesaal begann erleichtert zu lachen, alle, außer Kagamí, der sehr nachdenklich auf seinem Platz saß und in den Resten seines Uttapám rührte. Irgendwie hatte er ein sehr schlechtes Gewissen Kamomé gegenüber, obwohl er sich einfach nicht dazu entschließen konnte, diesen Raum ebenfalls zu verlassen. Gar zu gerne wollte er Káshiras Plan hören.
„Also, spitzt die Ohren und hört gut zu. Es ist so..." Verschwörerisch lächelnd beugte sich Káshira zu den anderen nach vorne und senkte geheimnisvoll die Stimme.
Der große Ballsaal in Bürgermeister Samadhis Haus war mit hunderten von Lampions und Kerzen prächtig geschmückt und taghell erleuchtet. Immer mehr Gäste tummelten sich in der großen Halle, eifrig bedient von den vielen Dienern, die das Hause Samadhi sein Eigen nannte. Die Damen glänzten in sorgfältig herausgeputzten Roben, die vor lauter Perlen und Edelsteinen mit den Laternen um die Wette funkelten. Glücklicherweise lag das Stimmengewirr wie ein lautes Surren in der Luft, darum konnte man den entzückten Aufschrei nicht hören, der von einem winzigen Balkon knapp unter der steinernen Decke zu kommen schien. „Psst, Haná! Wenn man uns hört, dann geht's uns schlecht! Wenn Manua wüsste, dass wir hier sind..." „Ach, Hiyokó! Sei doch nicht immer so langweilig! Hast du dieses Kleid gesehen?" Begeistert hockte der Großteil der Kinder hinter dem niedrigen Steingitter, von dem aus man bequem den ganzen Saal überblicken konnte.
Aufgeregt und ein bisschen neidisch starrten sie nach unten und beobachteten die eleganten Festbesucher, die sich nichtsahnend amüsierten und liebenswürdig miteinander plauderten. „Kannst du Manua schon sehen?" wisperte Sángo aufgeregt und stieß seinen Bruder Okami verschwörerisch an. „Sie ist sicher die Schönste von allen!"
„Pssst... ich glaube, da kommt sie schon!" flüsterte Haná aufgeregt und deutete vorsichtig nach unten, wo die Tür des Saals gerade wieder aufschwang und den Blick auf eine exquisit herausgeputzte junge Dame frei, die elegant in den Festsaal trat und die Augen aller Besucher sofort auf sich zog. Auffallend viele Herren versuchten nun so unauffällig wie möglich in ihre Nähe zu gelangen, während sie von den Damen eher misstrauisch gemustert wurde, hie und da auch mit einem sauren Lächeln bedacht. Der stattliche Diener an der Tür kündigte sie an. „Die Tochter des Bürgermeisters, Fräulein Samadhi Manua Maya..." Manua nickte höflich und fächelte sich mit einem herrlich geschmückten Fächer etwas Luft zu. Die Halle begann bereits unerträglich warm zu werden, jedenfalls für jemanden, der seine Taille kräftig zusammengeschnürt hatte.
Kurz darauf erschien jemand, den sowohl die Kinder als auch Manua lieber nicht gesehen hätten; der Diener meldete sie an. „General Mosar Jīngtǐ Dāo, Heerführer der königlichen Armee, Major Sākuru Híwa und Hauptmann Matandua."
Mit einem gerissenen Lächeln betrat der stattliche General vor seinen beiden Begleitern den großen Ballsaal. Nun bemühten sich die meisten weiblichen Gäste, möglichst unauffällig in seine Nähe zu kommen, um ein Gespräch mit dem unnahbar wirkenden Mann zu beginnen. Selbst Manua, die sich verzweifelt bemühte, ihre Gefühle zu unterdrücken, konnte nicht umhin, zu bemerken, wie attraktiv der junge General in seiner Galauniform wirkte. Schnurstracks steuerte er auf sie zu und lächelte schelmisch. „Oh, Fräulein Samadhi... würden Sie mir die Ehre eines Tanzes geben?" „Oh..." Manua schwankte und begegnete dann dem drängenden Blick ihres Vaters, der ihr klar und deutlich zu verstehen gab, dass sie jetzt tanzen musste. „Natürlich, sehr gerne, General." Sie lächelte nervös. Zart ergriff Mosar ihre Hand und führte sie inmitten der anderen Tänzer, die das Paar interessiert musterten und leise miteinander zu tuscheln begannen. Mosar war ein ausgezeichneter Tänzer, was Manua mit leisem Groll in ihrem Herzen bemerken musste. Dieser Kerl konnte wohl auch alles.
„Ihr seid wahrhaft biegsam wie eine Peitsche, ehrenwertes Fräulein. Darf ich Euch Manua nennen?" „Nun..." Sie stockte verwirrt, was Mosar mit einem unergründlichen Lächeln bemerkte. „Wirklich, biegsam wie eine Peitsche. Wie gerne würde ich einmal versuchen, wie sich diese Peitsche wohl anfühlen mag, wenn man sie ganz vorsichtig zwischen den Fingern biegt..."
„Ihr wisst sehr eigenartige Komplimente zu machen, und ich muß sagen, sie gefallen mir ganz und gar nicht!" Energisch löste sich Manua von ihm und trat empört einige Schritte nach hinten. „Was denkt ihr Euch dabei, mich im Hause meines Vaters zu beleidigen?"
Noch ehe Mosar darauf antworten konnte, erscholl lautes Geschrei, das zweifellos immer näher und näher kam... bald darauf stürzte ein Trupp Soldaten in den Saal, die sich vor ihrem General zu Boden warfen und heftig keuchend ihre Neuigkeiten hervorstießen. „General, unbekannte Verbrecher haben soeben die gefangenen Saurier am Marktplatz befreit... die Tiere stürmen jetzt haltlos durch die ganze Stadt..." „Ich danke Euch, Soldat.", meinte Mosar gleichmütig und wandte sich dann zu Manua, die schreckensbleich der Szene gefolgt war. Ihr schwante Übles... „Fräulein Manua, es wird Zeit, mit den Spielchen aufzuhören. Ich weiß über die Wahrheit Bescheid, schon seit langem. Ich wusste, dass Ihr diese Kinder nach Sankhya gebracht und in Eurem Haus versteckt hieltet. Dafür müsst Ihr nun bezahlen." Emotionslos winkte er seinen Major herbei und hielt die sich verzweifelt windende Manua mit einer Hand fest. „Wartet mit dem Verhör auf mich. Zuerst sehe ich draußen nach dem Rechten, dann kümmere ich mich um diese Verräterin."
Als er eilig nach draußen schritt, teilten sich die Festbesucher hastig in zwei Gruppen auf, die wie ein schreckenstarres Spalier zu beiden Seiten standen und den General entsetzt musterten.
Unterdessen waren die Kinder, die das Fest von der versteckten Galerie aus beobachtet hatten, fassungslos zurück in den Innenhof gelaufen, wo die restlichen Pfadfinder außer Káshira, Moko, Tókui und Sachou müßig herumsaßen und bei der Ankunft der Fünf erstaunt die Köpfe hoben. „Was ist denn los?" „Manua – " stießen Kiíchigo und Hiyokó gemeinsam aus. „Die Soldaten wollen sie verhören und haben sie mitgenommen – dieser General will jetzt nach draußen gehen und nach denen suchen, die daran schuld sind, dass die Saurier befreit worden sind – das sind doch Káshira und die anderen, oder? Was sollen wir denn jetzt bloß machen?"
„Wenn sie den falschen Weg gehen, werden sie unweigerlich erwischt. Einer von uns müsste sie finden und warnen, bloß, wer geht freiwillig?" Stumm starrten sich die Pfadfinder in die Augen und versuchten, den jeweils anderen zu dieser Tat zu bewegen. Schließlich hielt es Hotáru nicht mehr aus und zuckte mit den Schultern. „Ich tu's." „Echt?" Skeptisch wurde er von allen Seiten gemustert, lediglich Kamomé lächelte verhalten. „Danke, Suigín. Du weißt ja, wo sie hinwollten, oder?" „Ich werde sie schon finden.", antwortete er beherrscht. „Also dann, je eher ich gehe, desto besser." „Viel Glück." „Wird schon klappen." Ohne ein weiteres Wort trat er zur Außenmauer und schwang sich geschmeidig nach oben. Dank seiner guten körperlichen Verfassung und der vielen Jahre, in denen er aktiv Sport betrieben hatte, gelang es ihm, nach dem gewagten Sprung in die Tiefe ohne jegliche Verletzung auf dem Boden zu landen und in Richtung Marktplatz zu laufen. Auf der Straße herrschte riesiger Tumult; die Menschen rannten chaotisch durcheinander und bemühten sich verzweifelt, die wildgewordenen Dinosaurier, die sich ihren Weg vom Marktplatz ausgehend durch die engen Straßen und Gassen zu bahnen versuchten, einzufangen und wieder in die Käfige zu treiben. Nur Wenigen gelang die Flucht in den Urwald und somit in die Freiheit, weit weg von dem Menschen.
Verzweifelt bemühte sich Hotáru, die Vier in dem dichten Getümmel zu finden. Plötzlich hörte er neben sich einen leisen Zischlaut. „Psst, Suigín! PSST!" In einer dunklen Gasse standen Moko, Tókui und Sachou, die ihn ungeduldig zu sich winkten. „Was tust du hier?" „Der General und seine Leute sind hinter euch her. Wenn wir nicht vorsichtig sind, dann fängt er uns ebenso wie Manua." „WAAS? Manua- san – gefangen??" Entsetzt kreischte Sachou auf und empfing einen heftigen Tritt von Tókui, die ihn ärgerlich musterte. „Klappe, ja? Es soll ja nicht gleich jeder hier wissen, dass wir die Gesuchten sind, ja?" „Wo ist Ryoki? Wir müssen uns beeilen." „Äh..." Verlegen starrten sich die Drei an, während sie nach einer Antwort suchten. Hotáru wurde ungeduldig. „Was ist los? Wo ist Káshira?" „Nun, er... Er wollte die Saurier in Richtung Tor treiben, deshalb hat er sich am Marktplatz von uns getrennt... wollte keine Hilfe haben..." „Na toll! Und jetzt?" Hotáru überlegte fieberhaft, während ihn die anderen betreten musterten. „Ihr geht zu Manuas Haus zurück, und ich suche ihn... Seid bitte vorsichtig, schleicht irgendwie hin, aber ja nicht durch die Vorder – oder Hintertür.. am besten durch ein Fenster oder so. Ach, was sage ich da – " Er griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ihr geht zurück zu diesem Brunnen, von dem aus wir überhaupt erst in ihr Haus gelangt sind, und holt das Fahrzeug aus dem Schuppen. Dann geht ihr durch den Brunnen ins Haus und holt die anderen. Ich suche inzwischen Ryoki und komme dann nach, okay?" „Geht klar. Wir lassen uns nicht erwischen.", antworteten die Vier einhellig und hasteten vorsichtig davon.
Hotáru blieb sekundenlang völlig regungslos stehen und schloss die Augen. Seine Gedanken rasten und suchten verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Schließlich hob er wieder seinen Kopf und machte sich auf den Weg in Richtung Stadttor, das ihnen Manua aus der Ferne gezeigt hatte, als sie den Markt verlassen hatten.
Nachdem er seine Begleiter zurück zu Manua geschickt hatte, hastete Kashira in Richtung Stadttor und kam dabei an unzähligen Hafenkneipen vorbei, aus denen lautes Gelächter, Schreie und Grölen klangen.
Aus dem oberen Fenster einer dieser Kaschemmen sprang plötzlich ein junger Mann aus dem Fenster, der einen kleinen Lederbeutel in seinen Händen hielt und mit gehetztem Blick die Straße hinauf – und hinunterstarrte.
Káshira beobachtete ihn erstaunt und wunderte sich, warum der Mann nach einigen Sekunden mit fieberhafter Eile die Gasse in Richtung Stadttor verließ. Ob er wohl etwas gestohlen hatte?
Wenige Sekunden nach diesem Zwischenspiel krachte die hölzerne Tür der Schenke explosionsartig auf und ließ eine Horde laut durcheinanderbrüllender Männer und Frauen nach draußen, vor denen sich Káshira eilig in Sicherheit brachte, indem er einfach in irgendeine dunkle Gasse lief und wie elektrisiert bemerkte, dass die Dächer der Häuser sehr nahe beisammen standen. Wenn es ihm gelingen würde, auf eines der mit tönernen Schindeln gedeckten Hausdächer zu springen, könnte er sich von dort aus frei und sicher weiterbewegen. Gedacht, getan. Ohne sich viele Gedanken über das enorme Risiko zu machen, klomm er wie ein Affe geschickt an einer Regenrinne nach oben und setzte sich aufatmend für eine Sekunde hin. Von hier oben konnte er genau erkennen, wie sich die Lichter vieler Laternen in den engen Gassen verteilten... das Brüllen der befreiten Saurier war aus dem Stimmengewirr deutlich zu hören. Káshira verfluchte sich selbst, dass er ihnen nun nicht mehr wie geplant helfen konnte, sondern sie ihrem Schicksal überlassen musste, da er auch viele blitzende Rüstungen erkannt hatte. Die Soldaten waren hinter ihnen her, er musste vorsichtig sein, um nicht gefangen zu werden. Von seinem luftigen Standort aus bemerkte er plötzlich, dass jemand bereits das riesige Stadttor geöffnet haben musste, denn die beiden hölzernen Flügel standen weit offen und entließen die Dinosaurier in die Freiheit; leider bemerkten nur wenige der verwirrten und erschöpften Tiere diese Möglichkeit.
Nach der kurzen Verschnaufpause machte sich Káshira wieder auf den Weg zurück zu Manua. Eifrig klomm er über die Dächer und sprang geschickt von Spitze zu Spitze, als er vor sich plötzlich einen leisen Laut vernahm. Irritiert blieb er stehen, und das keine Sekunde zu früh; in der Dunkelheit vor ihm stand eine undeutliche Gestalt, die ein langes, gekrümmtes Schwert in der Hand hielt, dessen Spitze direkt auf seine Kehle deutete. „Ganz ruhig, du kleiner Dieb." Die Stimme, die aus der Finsternis zu ihm herwehte, trug einen gefährlichen Unterton in sich. „Wir werden aus der ganzen Sache keine Staatsaffäre machen, wenn du mir auf der Stelle den Stein wiedergibst – ich werde dir nicht einmal deine Schlitzohren abschneiden, oder deine diebischen Hände." „I – Ich bin kein Dieb, ich schwör's!" stieß Káshira entsetzt aus, als sich die tanzende Spitze seinem Hals immer weiter näherte. „Bitte, so glauben Sie mir doch!" „So, du lügst also noch immer, du Ahimsa- Bastard." Mit einem heftigen Sprung erreichte ihn die Unbekannte und packte ihn brutal am Kragen. Verzweifelt schnappte Káshira nach Luft und versuchte, ihr noch einmal zu sagen, er wäre kein Dieb, als sie ihn auch schon wieder losließ. „Sieh einer an, du bist wirklich nicht dieser Langfinger. Wie ärgerlich; jetzt ist er sicher bereits über alle Berge. Tut mir leid, dich erschreckt zu haben. Aber wenn Leute so wie du auf den Dächern herumschleichen, dann haben sie meistens was auf dem Kerbholz." Die Sprecherin lachte und entpuppte sich als hübsches junges Mädchen, das ebenso wie er eine weite Hose und einen chinesisch anmutenden Überwurf trug. „Was tust du hier, wenn ich fragen darf, hmm, Junge?" „Ich... ich wollte zu... zu einem Haus, in dem ich wohne," log er „und da muß ich jetzt schnell hin, denn sonst - " „Ach, du wohnst also hier, ja? Wo denn?" „Äh... dort hinten..." Vage deutete er in Richtung Markt. Das Mädchen sah ihn skeptisch an und schüttelte dann lachend den Kopf. „Lügen kannst du aber schlecht. Von hier bist du auf jedem Fall nicht, das merkt man schon an deiner Art zu sprechen. Wenn ich raten müsste – " Sie lachte wieder, „Dann würde ich sagen, du gehörst zu denen, die von der königlichen Armee gesucht werden, richtig?" Káshira erstarrte heftig und konnte kaum noch atmen. Wie hatte sie ihn bloß so schnell durchschauen können? Alleine an seiner Reaktion musste sie jetzt gemerkt haben, das ihre Vermutung ein Schuss ins Schwarze gewesen war.
