Hier kommt das dritte Kapitel, und ich hoffe wirklich, dass diesmal alles klar geht, mit dem Hochladen der Story. Falls nicht: Hier http://www.harrypotter-buch.de/forum/viewtopic.php?t=1060&start=0 findet ihr die gesamte FF vollständig (erst „Turning Around", danach „And Today?".

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3. Lily

Schon seit Stunden vernahm Lily nichts anderes als den gleichmäßigen und etwas einschläfernden Rhythmus des ratternden Zugs, der stetig Richtung Norden fuhr.

Sie hatte die UTZ-Lektüren in ihrem Abteil verteilt, in welchem sie ganz alleine saß, und vertiefte sich zeitweise in Verwandlung, Zauberkunst oder Verteidigung gegen die Dunklen Künste, und versuchte so den Stoff nachzuholen, den sie bereits verpasst hatte, und den sie noch verpassen würde.

Doch sie hatte ihre Gedanken nie länger als einige Minuten beim Thema lassen können, und hatte somit das Buch, welches sie gerade las, weglegen und sich einem neuen Thema zuwenden müssen. Sie hatte alles getan, um ihre Gedanken nicht schon wieder nur um James kreisen zu lassen, und hatte somit schon alle Schulbücher mal in der Hand gehabt. Doch schließlich hatte sie es aufgeben müssen.

Nun war sie in ihrem Sitz heruntergerutscht, die langen Beine hatte sie auf dem Platz gegenüber ausgestreckt und ihren Kopf träge gegen die Fensterscheibe gelegt, hinter der es draußen langsam immer dunkler wurde. Einige rote Haarsträhnen wippen im Takt des Zuges mit, und kitzelten Lily an der Wange, doch sie nahm es kaum war.

Auf ihren Knien lag ein noch geschlossenes, dickes, blaues Fotoalbum. Ein Muggelfotoalbum. Ein normales, eines dieser blauen mit goldenen Querstreifen am Buchrücken. Doch der Inhalt war alles andere als normal. Lily hatte schon immer gerne Fotos gemacht, und in diesem Fotoalbum, welches mittlerweile schon unheimlich dick war, weil Lily von Zeit zu Zeit immer mehr Seiten dazuzauberte um kein neues anfangen zu müssen, war praktisch ihr ganzes Leben abgebildet. Lily nannte es manchmal ‚Tagebuch' und im Prinzip war es so etwas. Wenn es ihr schlecht ging, waren die Fotos anders aufgenommen als wenn es ihr gut ging. Lily konnte es nicht erklären, aber immer wenn sie sich ein Foto ansah, wusste sie sofort was sie an dem Tag, an dem es gemacht wurde, getan hatte und wie sie sich dabei gefühlt hatte.

Als sie es aufschlug, wusste sie, dass sie nachgegeben hatte. Sie hatte dem Wunsch nachgegeben an James zu denken, denn nun würde sie auf ihren Fotos nach alten Abbildungen von ihm, Sirius und den anderen suchen.

Auf den ersten Seiten waren die Fotos noch unbeweglich. Die Bilder zeigten Lily. Lily mit Mum, Lily mit Dad. Doch mit einem Schlag kam Leben in die toten Seiten. Sie kämpfte gegen ihre Tränen an, an sie sah, wie ihr Papa ihr mit der für ihn so typischen Handbewegung die Haare aus dem Gesicht strich, und die sechsjährige Lily an sich drückte. Ja, als sie von der Fähigkeit, Fotos lebendig werden zu lassen erfahren hatte, war sie erst sechs Jahre alt gewesen. Und sie wusste genau, warum es dieser Zeitpunkt war, und nicht erst als sie nach Hogwarts gekommen war.

Sie blätterte einige Seiten zurück, zu dem ersten Bild was sich bewegte- da war ihre Antwort. Ihr Schwester lächelte sie aus dem Bild heraus an und hielt ihr sechsjähriges Foto-Ich in den Armen. Wie an jedes Foto, erinnerte sie Lily auch an die Geschichte dieses Bildes als wäre es gestern gewesen. Es war an Weihnachten, kurz vor Lilys siebtem Geburtstag. Petunia war aus ihrem ersten Schuljahr in Hogwarts zum ersten Mal wieder zuhause. Ja, aus Hogwarts. Lily hatte immer noch Probleme sich mit dem Gedanken abzufinden.

Petunia in Howarts. In ihrem, geliebten, heiß geliebten, über alles geliebten Hogwarts. Aber es gehört zur Vergangenheit. Zu Petunias Vergangenheit, nicht zu ihrer. Als Lily mit zehn Jahren ihre ‚Karriere' in Hogwarts startete, sollte Petunia ihr sechstes Jahr beginnen. Dazu war es jedoch nie gekommen. Petunias ZAGs waren nicht schlecht. Lily kannte ihre Ergebnisse noch immer auswendig. Dreimal ‚Ohnegleichen'. Kräuterkunde, Arithmantik und Alte Runen. Und noch dreimal ‚Erwartungen übertroffen'. Verwandlung, Zaubertränke und Pflege magischer Geschöpfe. Wie sehr hatte sie mit ihrer Schwester gefiebert, hin- und hergerissen zwischen dem Bangen um Petunias Noten und der Aufregung in diesem Sommer selber nach Hogwarts zu kommen. Lily schlug die Seite auf, auf welcher sich das letzte gemeinsame Foto von ihr und Petunia befand. Ein fünfzehnjähriges und ein zehnjähriges Mädchen, beide hübsch jedoch nicht als Schwestern zu erkennen. Stolz und grinsend hielt Petunia ihren Brief in die Kamera. Nur das Hogwartswappen war aus der Entfernung zu erkennen. Lilys rote Haare wetteiferten mit dem vollen Blondton von Petunias Haaren, in beiden goldene Reflexe funkelnd, durch das Sonnenlicht in der Gartenlaube ihrer Eltern hervorgerufen.

Ursache und Wirkung. Das hatte sie gelernt- nicht in irgendeinem Physikunterricht in einem Gymnasium an dem sie nie gewesen war. Nein, durch Erfahrung. Lily kam sich alt vor, als sie sich das eingestehen musste, aber es war so. Sie hatte viel für den Unterricht gelernt und hatte bei ihrer ZAG-Prüfung acht mal ein ‚Ohnegleichen' geschafft, vier mal die ‚Erwartungen übertroffen'. Sie hatte sich als Vertrauensschülerin bewährt, und war zur Schulsprecherin ausgewählt worden. Alles passte so schön ins Muster. Selbst ihre Beziehung – konnte man es so nennen? – zu James konnte sie so begründen.

Aber der Tod ihrer Eltern?

Und Petunia? Nachdenklich fuhr sie mit dem Zeigefinger über die lachenden Gesichter. Sie hatte Petunia geliebt. Wirklich und bedingungslos geliebt. Und jetzt- würde sie ihre Schwester wiedererkennen, wenn sie Lily am Bahnsteig erwarten würde?

In dem Moment hielt der Zug und Lily blieb der Bahnhof von der Dunkelheit verhüllt, denn als sie aus dem Fenster sah empfing sie nur die Schwärze der Nacht.

Laut hallten Lilys Schritte auf dem nassen Bahnsteig, als sie in Richtung des verwitterten Bahnhofsgebäude lief. Es hatte aufgehört zu regnen, und es war auch nicht besonders kalt. Trotzdem fröstelte es Lily, als sie an der halbverfallenen Bretterbude ankam, an der ein verdrecktes, wohl ehemals weißes, Schild schief herunterhing.

‚Dragon's Empire' war in schwarzen, halb abblätternden Buchstaben geschrieben. Dragon's Empire. Was für ein Name! Und in dieses Nest hatte es Petunia nun verschlagen? Lily zog ihren Mantel enger um die Taille. An der Bretterbude hingen einige Lampen und sie tauchte ein Stück des Bahnsteigs in ein schwaches Licht.

Da hielt eine schwarze Kutsche, mit zwei schwarzen Pferden davor, neben Lily. Sie erschrak. Sie hatte keine Pferdehufe gehört! In der Tasche umklammerte sie ihren Zauberstab. Der Kutscher schob seine schwarze Kapuze zurück. Bei seinem Anblick entspannte sich Lily wieder.

Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig, mit lustigen, blauen Augen und einem hellen Blondschopf, lächelte sie freundlich an.

„Lily Evans?"

„Genau.", nickte Lily vertrauensvoll.

„Mein Name ist Ryan. Ich bin der Kutscher von den Malfoys. Deine Schwester schickt mich. Bitte, steig ein."

„Danke", sagte Lily, und schob ihre Tasche ins Innere der Kutsche. Sie waren kaum zwei Minuten unterwegs, als die Kutsche schon wieder hielt. Lily kam es vor, als wären sie zehn Kilometer oder noch mehr in dieser kurzen Zeit gefahren, denn als sie ausstieg, waren sie auf einer Anhöhe, und sie konnte in der Nacht keine Spur von dem erleuchteten Bahnhofsgebäude sehen. Lily drehte sich um. Ein paar hundert Meter vor ihr, erhob sich der schwarze Landsitz der Familie Malfoy gen Himmel. Unwillkürlich schauderte sie, und trat einen Schritt zurück. Der hohe Bau mit den unzähligen Erkern und Türmen sah aus, als wäre es geradewegs einem Alptraum entstiegen und gruselte sie. Eigentlich fehlte nur noch der Sturm und das Gewitter.

„Den Rest des Weges müssen wir zu Fuß gehen." Lily fuhr herum. Ryan stand neben ihr. Sie hatte ihn wieder nicht gehört.

„Wo ist die Kutsche?", fragte Lily. Auch die Pferde waren weit und breit nicht zu sehen. Ryan wies auf einen Stall, der etwas versteckt hinter einigen großen Pappeln lag. Lily fragte nicht, warum es so schnell gegangen war.

„Soll ich deine Tasche tragen?"

„Gern." Schweigend näherten sich Lily und Ryan dem Herrenhaus. Lily fühlte sich unbehaglicher, je näher sie dem Haus kamen, und verlangsamte ihre Schritte. Ryan blieb lachend stehen.

„Mir ging es genauso, als ich das erste Mal hier war."

Lily fühlte sich etwas bloß gestellt und schwieg. Ryan jedoch lachte wieder, und kam ein paar Schritte zu ihr zurück. Sein Lachen klang nett und keineswegs höhnisch.

„Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Die Angestellten sind alle ganz okay." Etwas beruhigt setzte Lily mit ihm den Weg fort.

„Na ja, vor dem Lord musst du dich ein wenig in Acht nehmen. Manchmal ist er ein wenig ruppig, aber im Grunde ist auch er in Ordnung. Du darfst dich nur nicht von seinem Aussehen erschrecken lassen." Lily blieb stehen.

„Wie meinst du das?"

„Nun ja, wie soll ich dir das erklären? Ich schätze, man muss ihn sehen."

„Versuch es, bitte." Ryan schwieg eine Weile, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

„Ich drücke es jetzt mal so aus: Er mag es gerne schwarz." Als Lily sich immer noch nicht vom Fleck rührte und so nach einer näheren Erklärung verlangte, fügte er noch hinzu: „Jetzt komm. Beeil' dich, sonst werden der Lord und deine Schwester nicht sehr erfreut sein." Lily gab nach, und wenig später standen sie vor dem großen Portal aus schwarzem Ebenholz. Eine silberne Schlange hing neben dem Türrahmen frei in der Luft, wie an einer unsichtbaren Kette. Offensichtlich war es eine Art Klingel, denn Ryan ergriff sie und zog sanft an ihr. Obwohl Lily keinen Laut hörte, öffnete sich kurz darauf die schwere Tür, und ein Hauself stand in der Tür.

„Beeilen sie sich, Sir. Der Herr ist schon ungeduldig. Ich werde die Tasche der jungen Dame schon in ihr Zimmer bringen."

„Danke, Dobby.", sagte Ryan und gab dem Hauself Lilys Tasche. Dobby verschwand auf der großen Treppe, die im hinteren Teil der Eingangshalle in einem großen Bogen in den ersten Stock führte. Unsicher folgte Lily Ryan, der sie mit schnellen Schritten zu einer weiteren Tür führte, die wohl in einen der Flügel führte. Er riss schnell die Tür auf, und ein langer Gang erstreckte sich vor Lily. Auf dem Boden lag ein kostbarer, dunkelroter Teppich, an den Wänden brannten silberne Kerzenleuchter und viele verschlossene, dunkle Türen gaben einen kleinen Einblick, wie groß dieses Haus wirklich war.

„Die dritte Tür auf der rechten Seite.", sagte Ryan, und wies auf die richtige Tür.

„Kommst du nicht mit?", fragte Lily ein wenig erschrocken.

„Nein, ich muss zurück zu den Pferden. Ich sollte dich nur ins Haus bringen, und das habe ich getan. Mach's gut, wir sehen uns vielleicht morgen." Und weg war Ryan. Lily schien es, dass er über den Boden flog und nicht lief, so schnell war er.

Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Ihre Stiefeletten klapperten trotz des dicken Teppichs. So flink und leicht Ryan zu sein schien, desto behäbiger und schwerer kam sie sich mit jedem Schritt vor, der sie näher zu der Tür brachte. Zaghaft klopfte sie an.

„Herein.", rief eine Männerstimme von drinnen.

Vorsichtig öffnete Lily die Tür einen Spalt und zwängte sich hindurch. Sie stand in einem großen Raum. Links stand ein großer Esstisch, an dem im Dunkel zwei Personen saßen. Der Tür direkt gegenüber befand sich ein großer Kamin, und war neben dem Dreiarmigen, großen Kerzenhalter auf dem Tisch die einzige Lichtquelle. Rechts hingen Geweihe an der Wand. Daneben Hörner von Einhörnern und noch andere Trophäen, die Lily nicht zuordnen konnte.

„Hallo?", fragte Lily leise, und ihre Stimme zitterte ein wenig. Sie ärgerte sich ein wenig darüber, und richtete sich kerzengerade auf.

Die beiden dunklen Gestalten am Tisch erhoben sich. Mutig ging Lily hinüber zum Esstisch. Zuerst erkannte sie einen Mann, der ins Licht getreten war. Als sie ihn genauer ansah, zuckte sie kaum merklich zurück. Seine beinahe schwarzen Augen funkelten sie aus dunklen Höhlen an. Seine Haut um die Augen war mit schwarzen Strichen noch dunkler gemalt als sie ohnehin schon war und seine restliche Haut war bleich. Seine pechschwarzen Haare waren aalglatt zurückgekämmt. Er trug eine ebenfalls schwarze Robe.

„Hallo, Lily.", sagte eine Stimme hinter ihm. Lilys Augen weiteten sich, als sie ihre Schwester erkannte, die gerade ins spärliche Licht des Kerzenleuchters trat.

Ihre einst so hübsche Schwester hatte sich verändert. Abgemagert war sie. Sie hatte beinahe die Statur eines schmächtigen Jungen. Die Schultern waren heruntergefallen und gaben ihrem Hals eine fast unnatürliche Länge. Ihr blondes Haar, das im Nacken zu einem Knoten gefasst war, war stumpf und ohne den Glanz, um den Lily sie immer beneidet hatte. Sie trug eine lange, dunkelviolette Robe, die ihr viel zu groß schien.

„Petunia.", sagte Lily langsam. Ihre Schwester musste ihre Verblüffung bemerkt haben, doch sie überspielte sie. Sie kam um den Tisch herum, und umarmte Lily vorsichtig. Lily war nun fast so groß wie Petunia. Früher hatte sie immer in ihre hübschen, blauen Augen aufgesehen, nun sah sie zwei müde, traurige blaue Augen direkt vor sich. Lily fühlte ihre Rippen, jeden Knochen, als sie ebenso vorsichtig ihre Arme um Petunia schloss.

„Rufus, darf ich dir meine Schwester Lily Evans vorstellen?", fragte Petunia zu ihrem Mann gewandt. „Und Lily, dass ist mein Mann, Rufus Malfoy." Als er Lily die Hand reichte, erkannte sie, dass seine Fingernägel ebenfalls schwarz verfärbt waren.

„Lily, bitte setzen sie sich. Sie haben doch bestimmt Hunger.", sagte Rufus freundlich. Unsicher ließ Lily sich auf einem der gepolsterten Stühle nieder, erschauderte noch einmal bei seinem Anblick.

Doch es waren seine Augen, die ihr wirklich Angst machten. Und sie erkannte, dass Worte lügen konnten, Augen jedoch nicht. Eines stand fest:

Dieser Mann hasste sie.