9. Lily

„Meine Güte, was zum...?"In diesem Moment fiel Lily wieder ein, warum der Muggelwecker auf ihrem Nachttisch laut schellte, obwohl es draußen noch nicht mal ganz hell war. Sie lange hinüber, und drückte auf den Knopf. Sieben Uhr Dreißig. Seufzend ließ sie sich noch einmal in die Kissen fallen, und ihr Blick strich über ihr noch aufgeschlagenes Fotoalbum. Schnell fuhr sie mit dem Finger über James' lachendes Gesicht aus dem fünften Schuljahr, ertappte sich dabei, und bekam, obwohl niemand da war, rosige Wangen. Schnell schlug sie es zu.

Leise zog sie sich an, und schlich ebenso leise durchs Haus.

Wenig später erreichte sie die Pferdeställe. Sie wusste wohl, wie sie zu einem Ritt ohne Lucius kommen würde!

Ryan war schon bei der Arbeit. Lily wurde schlagartig hellwach, als die das Kratzen der Mistgabel auf dem Steinboden und die Pferde trampeln hörte.

„Guten Morgen!", rief Lily fröhlich, und marschierte geradewegs an dem verdutzten Ryan vorbei zu Lhia.

„Lily! Guten Morgen- ausreiten?", rief Ryan ihr hinterher. Lily wandte sich um und nickte grinsend, als Lhias Box erreichte. Die Stute schnaubte und eine kleine Wolke bildete sich in der kalten Morgenluft um ihre Nase.

So schnell hatte Lily noch nie ein Pferd gesattelt. Nach einer Rekordzeit führte sie Lhia leise vom Hof, um im wunderbar ruhigen Wald aufzuspringen und loszutraben.

Gerade als die Sonne aufging, erreichten Lhia und Lily die Blumenwiese. In der hellen Morgensonne, glitzerte der Tau auf den bunten Blumen. Sie musste lächeln.

Lily ließ Lhia angaloppieren und verbrachte mit ihr einen schönen Vormittag in der Natur.

Glücklich, aber auch hungrig und außer Atem kehrte Lily gegen Mittag auf das Gut zurück. Ryan zeigte sich als wahrer Engel, und übernahm Lhia, sodass Lily vor dem Mittagessen noch duschen konnte.

Frisch geduscht gefiel Lily sich an diesem Tag gar nicht so schlecht im Spiegel. Sie achtete darauf, keinen tiefen Ausschnitt und keinen kurzen Rock anzuziehen, und war pünktlich zum Mittagessen im Garten. Alle starrten sie böse an, und deshalb setzte Lily sich direkt lächelnd neben Lucius, und hatte ihn damit sofort wieder au ihrer Seite.

Auch Petunia beruhigte sich schnell wieder, nur Rufus war schweigsam wie immer und starrte Lily auch noch beim Dessert böse an. Sie bemühte sich, zwar nett zu Lucius zu sein, ihm aber keineswegs Hoffnungen zu machen. Wie sich herausstellte, was es ganz schön schwer, auf dem Mittelweg zu bleiben.

Den Nachmittag verbrachte Lily mit Petunia, die auch immer mehr auftaute. Sie hatten endlich alle Post erledigt, und machten einen langen Spaziergang über die Länderein der Malfoys. Petunia hatte ihre Vorliebe für Kräuter und Gärten behalten, und als Petunia Lily mit strahlendem Gesicht ihren Chinesischen Garten zeigte, glaubte Lily ihre alte Schwester wieder zuhaben.

Der Tag war richtig schön verlaufen, und beim Abendessen glaubte Lily, nichts und niemand könne ihr diesen vermiesen. Sie hatte sie gedacht, dass sie so eine schöne Zeit hier verbringen würde.

Doch sie hatte nicht mit Lucius Malfoy gerechnet.

Lily beschloss an dem immer noch warmen Abend noch einen kleinen Spaziergang durch Petunias Chinesischen Garten machen. Sie nahm ihre Kamera mit, denn sie wollte im Dämmerlicht noch einige Fotos für ihr Album schießen. Auch von Lhia hatte sie noch kein Foto, deshalb führte sie ihr erster Weg zur Weide.

Als sie endlich auf den verschlungenen, weißen Kieswegen des Chinesischen Gartens lief, war es schon fast dunkel, und somit konnte sie keine Fotos mehr machen. Trotzdem lief sie immer weiter, denn sie wollte zu dem Holzpavillon, der auf einer Brücke über einen kleinen Teich führte.

Der Pavillon bestand im Prinzip nur aus einem sechseckigen, spitzen Dach, das auf sechs Pfählen stand. Zwischen den Pfählen waren niedrige Bänke angebracht. Sie hatte Pergament und Tinte dabei, denn sie wollte eigentlich James einen Brief schreiben, obwohl die graue Eule noch nicht wieder da war.

Doch als sie sich an den dicken Pfahl als dunklem Holz lehnte, das sanfte Plätschern des Wassers um sich herum vernahm, saß sie nur da, schloss sie Augen, und lauschte. Sie war ganz entspannt.

Umso mehr erschreckte sie sich, als sich eine kalte Hand in ihren Nacken legte. Es war schon ziemlich dunkel, aber Lily brauchte nicht lange nachzudenken, dass es ohne Frage Lucius war, der sich da an sie herangeschlichen hatte. Er lachte leise, und nahm die Hand wieder weg. Still setzte er sich Lily gegenüber, und lehnte sich an einen anderen Pfahl.

„Was willst du von mir?", fragte Lily genervt, die guten Vorsätze ganz und gar vergessend. Lucius blieb still. Lilys Herz beruhigte sich langsam wieder, und schlug nun wieder in einem normalen Rhythmus. Lily schloss wieder die Augen, und versuchte sich von seiner Anwesenheit nicht stören zu lassen. Eine Weile ging das auch gut, doch dann sagte Lucius mit leiser Stimme:

„Weißt du das nicht?"

„Was weiß ich nicht?", fragte Lily irritiert, denn sie hatte die vorangegangene Frage vollkommen vergessen.

„Was ich von dir will".

Lily seufzte. Sie hasste es, einem Jungen einen Korb zu geben. Schon zu oft hatte sie das tun müssen. Sie fiel in ihren sachlichen Tonfall, und sagte ruhig und bestimmt:

„Lucius- ich mag dich wirklich"Na gut, das stimmte eigentlich nicht, aber musste ja nicht unbedingt erwähnt werden. „Aber ich empfinde nichts für dich. Ich liebe einen anderen."Nun war es heraus. Die Luft schien eiskalt zu werden, und Lily war froh, Lucius' Gesicht nicht sehen zu müssen.

„Was hast du gesagt?", kam es noch kälter von Lucius herüber. Lily erschrak. Was hatte er vor? Mutig und mit fester Stimme wiederholte sie es, tastete unauffällig aber bereits nach ihrem Zauberstab in der Tasche.

„Niemand gibt MIR einen Korb!", fauchte Lucius, und sprang auf. Verzweifelt suchte Lily ihren Zauberstab, doch sie fand ihn nicht schnell genug. In ihrer Aufregung bekam sich nicht einmal Lucius' Fluch mit, sodass sie ihn auch nicht abwehren konnte. Lily konnte sich nicht mehr rühren. Lucius hatte sie versteinert! Nur die Augen konnte sie noch bewegen. Panisch blickte sie umher. Wo war er?

Da berührte er sie an der Wange. Lily erschrak abermals, doch sie konnte nicht zusammenzucken. Sie hörte Lucius' Stimme nah an ihrem Ohr, spürte seinen Atem an der Wange.

„Niemand gibt mir einen Korb", zischte er.

Lily war vollkommen wehrlos, sie konnte nicht einmal schreien!

Seine kalte Hand legte sich ihr auf die Schulter, selbst durch ihren Sommerpullover spürte sie, dass keine Wärme in ihm war. Innerlich schüttelte sie sich vor Ekel. Es war nun so dunkel, dass sie nichts mehr sehen konnte. Seine zweite Hand legte sich auf ihre andere Schulter. Lily wollte weglaufen, doch sie hatte keine Macht über ihre Muskeln mehr. Doch im selben Augenblick als Lucius langsam eine Hand ein Stückchen tiefer führte, hörte Lily etwas. Petunias Stimme, die nach ihr rief. Und da konnte sie sich auch wieder bewegen. Als ob sie die ganze Zeit nicht anderes vor gehabt hätte, versetzte sie Lucius eine schallende Ohrfeige. Der taumelte ganz perplex zurück in die Dunkelheit. Lily sprang geradewegs in den Teich, der zum Glück nicht sehr tief war, watete zum Ufer und rannte so schnell die konnte zum Herrenhaus zurück. Dort begegnete sie Petunia, doch ohne ein Wort zu sagen, stürmte Lily an ihr vorbei zur Tür. Es kümmerte sie nicht, dass sie auf dem Steinfußboden Pfützenweise das Teichwasser verteilte.

Schnell raffte sie oben in ihrem Zimmer ihre Klamotten zusammen, und stopfte sie in ihre Reisetasche. Fast hätte sie ihr Tagebuch vergessen, welches immer noch auf ihrem Bett lag. Auf der Treppe hörte sie schon Petunia, die laut mit Lucius sprach.

„Was hast du mit ihr gemacht?", kreischte Petunia, während sie der Tür immer näher kam. Mit einem Schlenker ihres Zauberstabes verschloss Lily die Tür von innen.

„Sprich nicht in diesem Ton mit mir!", schrie Lucius sie an. Es wurde an der Tür gerüttelt. Lily hatte fertig gepackt. Doch wohin sollte sie?

„WAS HAST DU MIT IHR GEMACHT???"Lily hätte nie erwartet, dass ihr Schwester so aggressiv sein könnte.

„SCHREI MICH NICHT AN – DU SCHLAMMBLUT!!!"Lily fuhr zusammen. Sie wusste, lange würde das Schloss nicht halten. Sie zog sich in die gegenüberliegende Ecke der Tür zurück.

„Alohomora", keifte Lucius wütend auf der anderen Seite der Tür.

Die Tür schwang auf, und Lucius stolperte, gefolgt von Petunia hinein. Sie sah Lily sofort, Lucius sah sie erst im Augenblick später. Gerade als sie beide zu Lily stürzen wollte, sagte diese leise:

„Petunia, es tut mit leid. So kann ich nicht länger bleiben". Die Reisetasche fest umklammert warf sie einen letzten Blick auf ihre Schwester, die vollkommen verdattert dreinblickte. Und mit einen PLOPP disapparierte Lily.

In der nächsten Sekunde tauchte der Bahnhof von Dragon's Empire vor Lilys Augen auf. Sie verfluchte es, dass sie nicht direkt nach Hogwarts apparieren konnte, denn mit Gepäck schaffte sie noch keine solch langen Strecken.

Ein gruselig aussehender Arbeiter sagte ihr, dass der Hogwarts-Express erst in ein paar Tagen abfahren würde.

Was gäbe Lily jetzt darum, sich in einen Hirsch oder einen Hund verwandeln zu können? Doch dann fiel ihr die Rettung ein, gerade in dem Moment, als sie von fern Hufgetrappel hörte, das zweifellos zu einer schwarzen Kutsche gehörte.

Sie riss ihren Zauberstab in die Höhe, den sie schon die ganze Zeit fest in der Hand hielt.

KRACH.

Nach einigen schlaflosen Stunden im ‚Fahrenden Ritter', kam Lily gegen Mitternacht vollkommen fertig in Hogsmeade an. Als sie endlich vor der großen Eingangstür stand, wusste sie nicht, wie sie den Fußweg nach Hogwarts geschaffte hatte. Nach einigen Schwierigkeiten die Tür zu überzeugen, dass sie kein Todesser oder Dementor war (welche übrigens auch nur durch Hagrid gelöst wurde, der, völlig perplex Lily zu sehen seinen großen Schlüsselbund zückte, und ihr, nach unendlichem Fragen ob denn auch alles in Ordnung sei, die Tür öffnete), betrat Lily gegen ein Uhr morgens endlich den Gemeinschaftsraum. Sie ließ sich zuerst mal in einen der Sessel fallen, und schloss die Augen.

Sie saß kaum zwei Minuten, als das Portrait abermals zur Seite schwang. Lily erschrak zum wiederholten Male an diesem Abend. Hatte sie ihre Verfolger nicht abgeschüttelt?

Ein ganzes Gebirge fiel ihr vom Herzen, als sie in zwei wohlbekannte Augen blickte.

„Sirius!"

„Lily! Was machst du denn hier?"

Lily konnte nicht antworten, ihre Stimme versagte völlig.

Erst als Sirius die verstörte und eiskalte Lily in die Arme schloss, lösten sich bei ihr alle Panik, aller Hass und alle Verwirrung. Die Tränen rollten über Lilys Wangen, und durchnässten Sirius' Umhang an der Schulter, während er fest an sich drückte.

„Wenn du's mir erzählen willst...", begann Sirius leise, doch Lily gab außer dem leisen Schluchzen keine Antwort.

Er fragte nicht, und sie war froh darüber.

Endlos lange lag sie in Sirius' Armen und als sie sich langsam wieder beruhigte, sich in dem verlassenen Gemeinschaftsraum umsah und endlich mal wieder ein vertraut lächelndes Gesicht sah, fühlte sie sich erleichtert, in Sicherheit und vor allem: endlich wieder zuhause. Lily sah zu Sirius hinüber.

„Danke".