31. Kapitel
VerhängnisKáshira stand wie erstarrt und wollte seinen Augen nicht trauen. Seit wann gab es denn so was? Bekleidete Saurier, noch dazu so geschmacklos –
„He, das ist mein Saurier! Finger weg!" Noch eine Stimme; diesmal schien sie einem jungen Mädchen zu gehören. Während ihn der Saurier immer noch mit starrem Blick fixierte und keinen Schritt zur Seite wich, näherten sich drei Schemen durch die dichte Regenwand und entpuppten sich schließlich als Talingo, ein junges, kostbar gekleidetes Mädchen und einen alten Soldaten, der Káshira vage bekannt vorkam. Wo hatte er diesen Glatzkopf nur schon gesehen? Es wollte ihm nicht einfallen...
„Myuu, sei brav! Was fällt dir bloß ein, so davon zu laufen, wenn ich auf dir reiten will! Böses, böses Tier!" schmollte die Braunhaarige und packte den großen Dinosaurier einfach an seinem Halsband. Talingo lächelte kalt und schüttelte den Kopf, während der Alte nachsichtig grinste, zu Káshira trat und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Darf ich vorstellen, dass hier ist die edle und erhabene Prinzessin dieses Landes, Asuka- híme. Ihre Schönheit überstrahlt selbst noch die Sonne, und ihre Güte – " „Oh, genug jetzt!" seufzte das Mädchen geschmeichelt auf. „Ihr braucht hier nicht soviel Süßholz zu raspeln, Oberleutnant. Es ist ja schon gut – " Selbstgefällig schmunzelnd drehte sich die Prinzessin um die eigene Achse und fasste Káshira näher ins Auge. „Wer ist das, und was tut er hier?" warf sie hochmütig zu Talingo hin und betrachtete ihn von allen Seiten, während Myuu reuig um ihre Herrin herumschlich und leise brummte. „Dies ist einer der Fremden, Híme. Ihr habt gewiss schon davon gehört – " antwortete die Heilerin mit ruhiger Stimme und tätschelte den Kopf des ansehnlichen Tieres mit kräftigen Klapsen. Die Prinzessin lächelte und schien plötzlich in andere Sphären abgedriftet zu sein. „Oh, einer der Fremden! Da fällt mir ja ein, warum ich hier im Regen stehe – Talingo, ich möchte den blonden Jungen sehen. Ich – ich möchte mich davon überzeugen, wie es ihm geht... schließlich soll keiner sagen können, auf dem Königshof werde man schlecht behandelt!" „Natürlich, Híme. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, dann führe ich Euch sofort hin. Und du, Junge," sie wandte sich abrupt an Káshira und winkte auffordernd mit der Hand. „Ich will wissen, warum der Patient wieder isst – was hast du gemacht?" „Äh... mein persönliches Geheimrezept..." grinste er verlegen und scharrte unruhig mit den Füßen. „Ich – ich bin sehr hungrig, kann ich jetzt essen gehen?"
Die drei Personen starrten ihn sekundenlang schweigend an und wandten sich dann ruckartig wieder ihren eigenen Geschäften zu; die Prinzessin huschte mit ihrem Saurier und Talingo im Schlepptau den Krankenquartieren zu und der alte Soldat trottete in Richtung Mauer zu, an die sich viele kleine Häuser schmiegten. Vorher allerdings schenkte er Káshira noch ein wissendes Grinsen und lachte boshaft. „Das muß aber sehr anstrengend gewesen sein, deinem Freund zu helfen, was?" Sein Grienen wurde noch eine Spur hinterhältiger, falls das überhaupt noch möglich war – „Zungenakrobatik, was? Hahaha!" Erst als Káshira entsetzt zusammenzuckte und ein entgeistertes „Was? Woher wissen Sie – " hervorpresste, weiteten sich seine Augen mit schockartigem Begreifen. „Das – das war doch bloß ein Scherz! Ich hätte nie gedacht – zwei junge Männer und – " Eilends ergriff der Alte mit schamrotem Kopf die Flucht und hoppelte auf seinen hohen Géta durch den Regen auf eines der kleinen Häuser zu. „Na toll! Ich Trottel musste mich ja verraten!" stöhnte Káshira und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Hätte ich doch bloß – "
„Ähm... Darf ich ihm was da lassen? Zufälligerweise habe ich da nämlich ein paar Süßigkeiten mitgenommen – bloß so..." trällerte Prinzessin Asuka mit unschuldigem Augenaufschlag und drückte Dengei, der sich neben Talingo gestellt hatte, einen riesigen Korb mit Obst und Backwerk, den sie über dem Arm getragen hatte, in die Hand.
Dann endlich bekam sie ihren Willen und durfte den Patienten sehen – nun unter den strengen Augen der Heilerin. Und wieder regte sich ein zärtliches Gefühl in ihrem Herzen...
Hotáru schlief bereits tief und fest; Káshiras Besuch hatte ihn ziemlich erschöpft. Kitsuné allerdings lag putzmunter und aufmerksam neben seinem Bruder und schenkte der hingerissenen Prinzessin lediglich einen abschätzigen Blick. Was die wohl wollte?
„Oh! Ein hübscher Junge ist er wahrlich! Kaum zu glauben, dass solche Menschen unsere Feinde sein könnten – unvorstellbar!" jauchzte Asuka hellauf begeistert und verschlang Hotáru mit ihren glühenden Blicken. Kitsuné streckte ihr ärgerlich die Zunge heraus und hielt den Arm seines Bruders noch viel fester; man konnte ja nie wissen, was diese seltsame Person vor hatte. Asuka allerdings bemerkte nicht das geringste und war weiterhin damit beschäftigt, den Schlafenden anzustarren, bis sich Talingo schließlich räusperte. „Asuka- híme, Meisterin Míkan wird nicht sehr zufrieden mit Euch sein, wenn Ihr den Unterricht versäumt. Soweit ich weiß, beginnt in wenigen Minuten das Reittraining, und da solltet Ihr – "
Mehr brauchte sie nicht zu sagen; als Asuka den Namen ihrer gefürchteten Lehrmeisterin hörte, sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf und schlug die Hände vor den Mund. „Ach, du liebe Zeit! Wie konnte ich das nur vergessen! Myuu, los, komm mit." Herrisch begann sie an der langen Kette zu reißen und schaffte es schließlich, den großen Herrerasaurus von Hotáru wegzuzerren. Der Saurier hatte sich ebenso wie sie über den schlafenden Jungen gebeugt und sanft an seinem Gesicht geschnüffelt, auch sie schien dem Geschmack ihrer Herrin nicht gerade abgeneigt zu sein. Kitsuné allerdings machte sich vor Angst beinahe in die Hosen und keiner war glücklicher als er, nachdem sowohl Saurier als auch Prinzessin endlich verschwunden waren.
Inzwischen hatte es Káshira geschafft, in den Palast zurückzukommen und seine Kameraden wiederzufinden, die bereits leicht beunruhigt auf ihn gewartet hatten und nun fragend auf ihn zustürzten. „Wo warst du? In einem kleinen Speisesaal gibt's Frühstück, so ein richtiges Buffet – mit tollen Sachen, weißt du – " brabbelte Chūjitsu aufgeregt und strahlte begeistert. „Wo ist denn eigentlich Kitsuné- kun? Immer noch bei Hotáru- Senpai? Wie geht es ihm?"
Kamomé hob aufmerksam ihren Kopf und starrte durchdringend in seine Richtung, allerdings ohne ein Wort zu sagen. Zu Hotáru wollte sie ja selber noch –
„Am besten, du bringst Kitsuné was zu essen und spielst ein bisschen mit ihm. Ich glaube, er hatte seinen Handheld gar nicht dabei, und das ist doch für ihn das Wichtigste hier, oder? Jedenfalls hat er immer damit gespielt, soweit ich mich erinnere. Wird sonst wohl ziemlich langweilig für den Kleinen..." „Ja, klar! Mache ich doch gleich!" trällerte sein Bruder eifrig und sprang auf. „Kommst du mit? Dann kannst du schon mal was essen, und ich packe für Kitsuné- kun gleich etwas ein – regnet es denn immer noch so schlimm? Ich frage mich, wo man hier einen Regenschirm bekommen kann – " „Klar doch!" lächelte Káshira freundlich und fühlte sich erleichtert. Wenigstens Chūjitsu fühlte sich wohl. „He! Ich komme auch mit!" Moko hastete den beiden Brüdern eilig nach, als sie bereits auf den langen, marmornen Gang getreten waren und in Richtung Speisesaal marschierten. Nach kurzer Zeit waren sie bereits knapp vor der großen hölzernen Tür angekommen, als eine plötzliche Bewegung ihre Aufmerksamkeit erregte und alle drei dazu bewog, erstaunt um sich zu starren. Als erster lenkte Káshira seinen Blick nach oben zur großen Galerie, die sich über die Breitseite der Decke erstreckte und konnte aus dem Augenwinkel gerade noch eine schmale Gestalt erkennen, die hastig in einer der oberen Türen verschwand. „Habt ihr das gesehen? Wer immer uns beobachtet hat, wollte offensichtlich nicht erkannt werden!" „Da oben wohnt ja jemand. Vermutlich irgendein Adeliger oder so was; sowieso komisch, dass wir hier überhaupt wohnen dürfen. Eigentlich hätte ich ja erwartet, dass sie uns ins Gefängnis werfen!" antwortete Moko verträumt und gähnte genussvoll. „Eigentlich interessiert mich Essen jetzt mehr..."
„Oh! Asuka- híme." Eine der Konkubinen war hinter ihr aufgetaucht und lächelte höflich.
„Was tut Ihr denn hier draußen?" Mit leicht gerümpfter Nase wurde Asuka von oben bis unten beäugt und für ekelhaft befunden. „Reittraining, nicht wahr? Nun ja, dann geht mal lieber schnell ins Haus! Dieser Stallgeruch..." Shōbu zwinkerte versteckt herablassend, was die eingebildete Prinzessin zur Weißglut brachte. „Ach, Konkubine. Hat mein Vater euch alle schon so satt, dass ihr hier heraußen stehen müsst?" „Aber, aber, Híme. Shi Huángdì liebt uns noch wie am ersten Tag – allerdings ist mir zu Ohren gekommen, dass Euer Stern im Sinken steht. Der göttlich Erhabene ist mit den langsamen Fortschritten, die Ihr im Lernen macht, nicht recht zufrieden – er hätte sich wohl eine klügere Tochter gewünscht."
„Wie könnt Ihr es wagen! Wer, glaubt Ihr eigentlich zu sein, hä? Eine Herumtreiberin wie Ihr hat jemandem von königlichem Geblüt schon – " „Híme! Ich möchte Euch warnen!" Shōbu's Augen hatten bereits begonnen, äußerst gefährlich zu blitzen. „Wenn Shi Huángdì wünscht, würde jede von uns mit Freuden ein Kind von unserem Herren in die Welt setzen – und dieses Kind könnte dann Euch von dem Platz am Throne vertreiben, über den Ihr euch schon viel zu sicher zu sein scheint – vergesst nicht, auch die verlorene Prinzessin muß nicht zwingend tot sein. Was würdet Ihr denn tun, wenn sie wiederkäme? Oder diese lästige Herzogin Erfolg hätte?" Sie hatte sich in Feuer geredet und trat nun noch einen Schritt auf die wie gelähmt wirkende Prinzessin zu. „Wenn Herzogin Kānēshon den König für sich gewinnen kann, dann seht Ihr leider ziemlich alt aus, denn sie wird gewiss ihren eigenen Sohn zur Nachfolge einsetzen. Oder warum, glaubt Ihr, schwänzelt sie sonst so penetrant hier an Hofe herum?"
Asuka wusste darauf nichts zu entgegnen und schwieg verwirrt. Konnte das denn sein? Dass ihr geliebter Vater einfach so mir nichts, dir nichts jemand anderen diesen Thron überlassen würde? Aber sie war doch immer eine so gute Tochter gewesen –
„Ihr lügt doch wie gedruckt! Kein einziges Wort glaube ich davon! Blödes Frauenzimmer!" schrie sie plötzlich mit kreischender Stimme auf und rannte zurück in ihren Palast. Die Konkubine lachte boshaft auf und rief ihr noch ein gehässiges „Warum, glaubt Ihr wohl, hat man diese Fremdlinge bei Euch einquartiert, hmm, schöne Prinzessin? Ihr seid langsam ausrangiert!" nach. Die Prinzessin allerdings tat, als hätte sie nicht gehört und floh hastig in die prunkvolle Halle, in der sie unglücklicherweise mit Chūjitsu zusammenstieß, der sich gerade anschickte, einen großen Korb mit Nahrungsmitteln aus dem Tor zu schleppen. Er schaffte es zwar noch, seine Fracht vor einem harten Aufprall zu schützen, fiel dabei aber selbst ziemlich heftig auf die Nase. „Aua! Das tut weh!" jammerte der Kleine und hielt mit schmerzverzerrter Miene sein blutendes Knie. Asuka bemerkte es nicht einmal.
„He, du blöder Bauer! Soll ich dir Benehmen beibringen lassen, damit du solche Dinge nicht noch einmal machst? Unfähiger Schwachkopf!" „Aber ich wollte doch nur – " setzte Chūjitsu zu seiner Verteidigung an, kassierte dafür aber nichts als Schelte. „Du wagst es, einer Prinzessin Wiederworte zu geben? Schämst du dich nicht, du nutzloser Kerl?"
„Hör sofort auf, so mit meinem Bruder zu reden! Was glaubst du eigentlich, wer du bist?" mischte sich der gerade erst hinzugekommene Káshira heftig ein und half ihm beim Aufstehen. „Wenn du nicht aufpassen kannst – " „Du dreckiger, heruntergekommener Taugenichts wagst es, so mit mir zu reden? Weißt du denn nicht, wen du vor dir hast?" zischte Asuka tödlich beleidigt und richtete sich eilig auf. Ihre prachtvollen Kleider und der kostbare Schmuck ließen Káshira stutzig werden und genauer hinsehen. „Wer seid – "
„ICH bin Híme Asuka von diesem Königreich, falls du das nicht weißt, dummer Bauer! Und ich werde dich und diesen Unfähigen hier einsperren und foltern lassen, nur, damit du es weißt! WACHEN!" Plötzlich fiel es ihm wieder ein. „Oh nein, Ihr seid das Mädchen von vorhin – die, deren Schönheit sogar die Sonne überstrahlt – " „WACHEN!!" Ihre Augen blitzten siegessicher, als drei hochgewachsene Männer durch das Tor eilten und sich vor ihr verneigten. „Híme! Stets zu Diensten!" „Nehmt diesen frechen Kerl da fest! Er hat mich beleidigt!" befahl die Prinzessin mit eisiger Ruhe und wies mit ausgestrecktem Finger auf Káshira. „Werft ihn in den Kerker! Ich werde inzwischen darüber nachdenken, wie er angemessen bestraft werden soll!"
Gerade, als die Soldaten ihren Befehl ausführen wollten, erklang hinter ihnen eine leise, sanfte Stimme. „Also ich, schönste Prinzessin, würde diesen frechen Schurken draußen auf ein Kreuz binden lassen, damit er dem Spott des Volkes ausgesetzt ist – der Regen hat aufgehört, bis zum Abend wird das Wetter wohl halten." Überrascht drehte sich die Prinzessin um und stieß einen erstaunten Aufschrei aus. „Ach, Ihr seid es, Mágusa- san! Ja, diese Idee hört sich gar nicht schlecht an – Los, bringt ihn nach draußen auf den Innenhof und bindet ihn dort fest. Ein paar Stunden an der frischen Luft werden ihm gut tun, dann kann er auslüften und über seine Fehler nachdenken!"
Gesagt, getan. Nach kurzer Zeit hatten die Soldaten ein grobes Kreuz aus Holzbalken gezimmert und schnürten seine Arme und Beine trotz heftiger Gegenwehr daran fest. „So, du Schurke! Das hast du jetzt davon; niemand beleidigt unsere Prinzessin ungestraft."
Káshira bemühte sich, auf dem harten Kreuz einigermaßen bequem die Balance zu halten und an nichts zu denken. Schon nach kurzer Zeit begannen seine Schultern abscheulich zu schmerzen, es fühlte sich an, als würden die Gelenke langsam Stück für Stück herausgedreht werden. Nach zwei Stunden war er wie gerädert und wünschte sich nur noch, sanft und friedlich einzuschlafen, ohne etwas zu fühlen... schön langsam konnte er Hotáru immer besser verstehen. Und überhaupt, Hotáru – während er auf diesem blöden Kreuz hängen musste, schweiften seine Gedanken immer wieder zu den Krankenquartieren ab und brachten ihn in furchtbar sentimentale Stimmung. Seit sie hier auf Noa waren, hatte sich so vieles geändert...
„He! HE! Helft mir!" Unter ihm eilten gerade einige der Einheimischen über den gepflasterten Hof und starrten mit Befremden zu ihm empor, ohne stehen zu bleiben oder gar zu antworten. Káshira schnaubte ärgerlich und begann, so heftig wie möglich gegen die gespannten Seile anzukämpfen; es nützte allerdings nicht viel. Plötzlich erscholl lautes Gelächter, und Major Sākuru erschien in seinem Blickfeld. „Ha! Na, wirst du schon weich? Ziemlich dumm von dir, die Prinzessin zu beleidigen, dass weiß doch jeder!" „Na toll! Lassen Sie mich herunter, bitte! Meine Arme reißen gleich aus!" Er war den Tränen nahe und wünschte sich nur noch, dass sich der boshafte Offizier erweichen lassen würde. Alles würde er dafür geben...
„Tut mir ja leid, aber dieser Befehl kommt von ganz oben, da kann ich nichts machen. Selbst wenn ich wollte." Sākuru lachte wieder und streckte vorsichtig die Hand aus. „Oh, es beginnt wieder zu regnen – das tut mir aber leid! Na dann, noch viel Vergnügen da oben! Keine Sorge, so was passiert vielen Leuten, die übliche Strafe eben." Und weg war er.
„Nein, bitte... so helft mir doch..." stammelte Káshira verzweifelt und streckte das Gesicht gen Himmel, was ihn darüber aufklärte, dass Sākuru recht gehabt hatte. Es regnete nicht nur, sondern begann in Strömen zu gießen; es dauerte nicht lange und er war bis auf die Haut durchnässt. „He! Jetzt seid doch nicht so! Mir ist kalt!" Der Schmerz wurde unerträglich, die harten Seile schnitten tief in seine Handgelenke und Arme ein und sein ganzer Körper fühlte sich wie ein schwerer Sack, dessen Gewicht sich immer weiter in Richtung Beine verlagerte. „Aua! He, ich wusste doch nicht, dass sie eine Prinzessin ist, verflucht!" Káshira begann zu schluchzen und leise vor sich hin zu wimmern, bis ihn eine energische Stimme aufschreckte. Benommen blickte er nach unten und entdeckte die Heilerin nebst einigen Soldaten und einem sehr missmutig dreinblickenden General, der sich augenscheinlich eher in sein Bett als unter dieses Kreuz wünschte.
„Lasst den Kerl sofort herunter!" Talingo stampfte wütend mit dem Fuß auf und blitzte den General gebieterisch an. „Los, macht schon, Herr General! Ich lasse nicht zu, dass nur wegen solcher Dummheiten einer meiner Patienten stirbt! Und schon gar nicht er, ich habe mir geschworen, diesen Querkopf zur Vernunft zu bringen. Nun ja, und da nur er ihn dazu bringen kann, etwas zu essen, müsst ihr ihn eben herunterholen."
„Na, nun aber mal langsam, Heilerin. So einfach ist das aber nicht, immerhin hat er die Prinzessin – " warf Mosar müde ein, wurde aber sofort unterbrochen. „Na und? Er hängt jetzt schon seit drei Stunden da oben, ich denke, dass ist Strafe genug." Sie verdrehte die Augen.
„Kommt schon, ich bitte Euch, ja? Wenigstens solange, bis der König die endgültige Strafe entschieden und angeordnet hat. Dem Kranken geht es im Moment zwar besser, aber sein Zustand kann sich jede Minute verschlechtern, und dieses Risiko ist mir zu hoch." Als Talingo sein Zögern sah, stampfte sie wieder böse auf und zischte ärgerlich vor sich hin, bis Mosar schließlich die Geduld verlor und die Arme in die Seiten stemmte. „Also gut! Bitte! Ihr sollt Euren Willen haben! Los, holt ihn da runter!"
Gesagt, getan. Wenige Minuten später hatten die Soldaten das Kreuz gestürzt und Káshira losgebunden; aufatmend erhob er sich und taumelte ziellos im Kreis. Die Stricke hatten das Blut in seinen Armen beinahe abgeschnürt und es dauerte eine ganze Weile, bis er sie wieder richtig spüren konnte. Als er aufblickte, stand bereits Talingo vor ihm und packte seinen Arm. „Los, folge mir! Essenszeit! Bring' deinen Freund dazu, noch eine Schüssel zu essen, ja? Nicht, dass es mir nicht schon langsam auf die Nerven geht, immer wegen solcher Lappalien hin und herzulaufen..." „Ich komme ja schon!" murmelte Káshira erleichtert und trabte brav hinter dem schwarzhaarigen Mädchen her. General Mosar murmelte Unverständliches und machte sich murrend wieder auf den Weg zurück in die Wohnung seiner Géisha, die ihn schon mit Ungeduld erwartete und eilig mit sich ins Wohnzimmer zog.
„He, Hotáru- kun, was machst du denn? Bist du schon wieder krank? Heute morgen war doch noch alles in Ordnung!" flüsterte Káshira in das stille Zimmer und schlich leise hinein. Kitsuné war nicht da, eine gute Gelegenheit, um mal richtig mit ihm zu sprechen –
Der blonde Junge lag friedlich dösend auf seinem Bett und öffnete überrascht die Augen; gerade erst hatten ihn zwei Heiler aus dem Baderaum zurückgebracht und er trug nichts außer einem kleinen Handtuch um die Hüften. Die nassen Haare ringelten sich auf den blassen Wangen und machten ihn nicht nur für Asuka äußerst anziehend; Káshira wurde ganz nervös.
„Naja, diese Talingo hat mir gesagt, du sollst wieder was essen und willst nicht, deshalb haben sie mich von diesem blöden Kreuz heruntergeholt und – " „Kreuz? Was für ein Kreuz?" stammelte Hotáru verwirrt und legte sanft seinen Zeigefinger auf die Lippen seines Kameraden, als er sich neben ihn setzte. „Hattest du Ärger? Oh – das tut mir leid..."
„Ach, schon in Ordnung." Káshira lachte verlegen auf und kratzte sich eilig am Kopf. „Ist ja nicht weiter schlimm – "
„Das wäre alles nicht passiert, wenn ihr nicht auf diesen Königshof gekommen wärt – wenn ich nicht da gewesen wäre – dann hättet ihr doch sicher fliehen können, oder?" warf Hotáru plötzlich leise und nachdenklich ein. „Weißt du, das darfst du jetzt nicht persönlich nehmen, aber ich glaube, ihr wärt viel glücklicher gewesen, wenn ich wirklich gestorben wäre, oder? Das hätte vieles einfacher gemacht – " Seine Stimme klang ernst und sanftmütig, nicht einmal bitter. Für einen Moment stockte Káshira der Atem und er musste das Gehörte erst einmal verdauen. Dann allerdings legte er los. „Was? Ja, spinnst du denn? Glaubst du, wir hätten uns keine Sorgen um dich gemacht? Kitsuné ist beinahe ausgerastet – " „Ja, das schon." Immer noch diese ruhige, gelassene Stimme, die schlimmer war als jede Anklage. „Trotzdem wäre es euch sicher lieber, wenn ich nicht da wäre, oder? Ich meine, jetzt habt ihr mich am Hals. Vielleicht könnt ihr ja mal fliehen, dann könnt ihr mich ja zurücklassen, nicht wahr?" Hotáru meinte es völlig ernst und war erstaunt, als Káshira wütend auf die Beine sprang und aus der Tür lief. Draußen fing er irgendeinen der Heiler ab und befahl ihm, für die nächste Zeit niemanden in das Zimmer zu lassen. Dann kehrte er wieder zurück und legte mit einer schnellen Handbewegung den kleinen hölzernen Riegel vor, der an der Innenseite angebracht worden war. „So, und jetzt will ich dir mal was sagen, klar? Hältst du uns wirklich für solche Monster, dass wir dich einfach im Stich lassen würden? Na gut, wir hatten einige Streitereien, aber in einer solchen Situation ist das vergessen, okay? Hotáru, ich würde dich niemals alleine lassen, wenn du mich brauchst." Auch Káshira war es vollkommen Ernst; als er in das sanfte, verwirrte Gesicht seines Gegenüber sah, wurde er weich und verfluchte sich im Gedanken selbst. Das konnte er nicht – „Los, komm' mal – " Hastig beugte er sich nach vorne und noch ehe er selbst zu Ende gedacht hatte, drückte er bereits seine Lippen auf die seines Senpai.
„Mmmh... was..." stöhnte Hotáru überrumpelt und starrte Káshira entsetzt – überrascht an. „Wonach sieht das wohl aus? Du hast das selbst herausgefordert, möchte ich nur sagen!" flüsterte der braunhaarige Junge zwischen zwei Küssen begehrlich und packte seinen Kopf mit beiden Händen. „Nach meiner Therapie wird es dir sicherlich besser gehen – dafür sorge ich schon – "
„Mmh – was machst du denn mit mir?" presste Hotáru noch heraus, ehe Káshira seine Hand nach unten gleiten ließ und vorsichtig am Knoten des Handtuches zupfte. „Das blöde Ding stört..." „Aber wie – wie kommst du denn auf so was? Warum jetzt..." „Einfach so. Frag' nicht. Möchtest du es denn nicht?" flüsterte Káshira verführerisch und ließ die Zunge sanft über seinen Oberkörper gleiten. Hotáru erstarrte und keuchte erregt, als ihm einer seiner Träume einfiel – Hachí hatte sich ebenso verhalten, so zärtlich und bestimmend...
Als er von Káshira geküsst wurde, bemerkte er wieder, wie sehr er Yún ähnelte – er besaß nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre sanfte, liebevolle Art zu küssen – wie sehr er das alles vermisst hatte...
Unterdessen war der braunhaarige Junge dazu übergegangen, mit seinen Lippen vorsichtig den schlanken Körper vor sich genauestens zu erkunden und allmählich immer weiter und weiter nach unten zu wandern. „Mmmh... deine Haut ist so weich..." Bald war er am Bauchnabel angekommen und ließ seine Zunge sanft rundherum streifen, bis sich Hotáru plötzlich stöhnend aufbäumte und aufgewühlt nach seinen Haaren griff. „Ah – umh – " „Gefällt dir das? Soll ich weitermachen?" murmelte Káshira sanft und schob sich wieder nach oben. „Ich könnte etwas tun, dass dir vielleicht noch viel, viel mehr gefällt... aber nicht erschrecken, ja? Könnte sich im ersten Moment etwas – hmm, ungewöhnlich anfühlen..."
„Ja, ja, mach' es!" seufzte Hotáru leidenschaftlich und beugte sich nach vorne, um wieder geküsst zu werden. Statt dessen aber steckte ihm Káshira zwei Finger in den Mund und lächelte verschmitzt. „Na, nicht so hastig – du kriegst schon noch alles, laß' dir nur Zeit – " „Umh... ah..." Hotáru stöhnte wieder und schloss verlegen die Augen, genoss aber dennoch alles sehr. Woher Káshira seinen Körper so gut kannte, wusste er nicht, war damit aber ausgesprochen einverstanden. Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas gefühlt – noch nie war er von jemanden in dieser Art berührt worden. „Mmmh..." Káshira entfernte seine Finger wieder und lächelte sinnlich. „Sag' mal, ist das eigentlich – hattest du schon mal eine Freundin? Nicht, dass du schlecht bist oder so – aber noch so süß unschuldig – unberührt – "
Hotáru schoss das Blut in die Wangen und er senkte verschämt die Augen. „Hmm... wenn du's genau wissen willst – nein. Ich – nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber es – es ging nicht..." „Dieses Mädchen, dass du liebst? Diese – Yún? Aus China?" „Woher – " begann der blonde Junge verwirrt und senkte die Lider, als er plötzlich begriff. „Kitsuné oder Watarí, nicht wahr? Wer von beiden hat es dir erzählt?" „Kitsuné war's. Er war völlig fertig, als die Soldaten dich mitgenommen haben – hat geflennt wie ein Schoßhund. Ich habe auch das Photo gesehen – sie war wirklich wunderschön." „Ich habe sie verloren. Aber trotzdem kann ich sie nicht vergessen – das ist sehr dumm, nicht wahr?" Hotáru lächelte, obwohl Tränen in seinen Augen glitzerten und er sich nur noch mit Mühe zusammenreißen konnte. Káshira bemerkte es sofort und küsste ihn zärtlich. „Oh, oh, verzeih' mir. Das habe ich nicht gewollt – Ich bin schon ein dummer Trampel!" „Nein, bist du nicht. Ich – ich werde immer weicher, seit wir auf Noa gestrandet sind – fange immer an zu heulen und solche Dummheiten. Du musst mich ja schon für eine Heulboje halten, das ist mir so peinlich – " „Pah, kein Wunder, wenn du mit den Nerven ein bisschen herunter bist. Das kann ich verstehen – überhaupt heulst du gar nicht so viel. Ich – ich mag – dich sehr, weißt du?" Káshira errötete heftig und zupfte verlegen an Hotáru, speziell seinen Haaren und der Augenbinde, herum. Als er seinen Liebling schließlich zärtlich küsste und mit den Lippen sanft an den Verbänden zog, legte ihm dieser liebevoll die Arme um den Hals und kuschelte sich fest an ihn. „Ich – ich mag dich auch sehr gerne – "
Langsam drückte ihn Káshira in die Kissen zurück und lächelte schelmisch.
„Ganz ruhig – nicht, dass dir schlecht wird oder so – wir haben heute noch viel vor... " Seine linke Hand löste sich von Gesicht und Augenbinde, glitt sanft über Hals, Nacken und Schultern, um schließlich an einer interessanten Stelle unterhalb des Nabels stehen zu bleiben.
„Mmmh... das magst du, oder?" raunte Káshira sinnlich in sein Ohr, als sich Hotáru wieder heftig aufbäumte und die Oberschenkel auseinander spreizte. „Nicht – nicht aufhören – " „Wie könnte ich?" flüsterte sein Liebhaber liebevoll und begann mit einer sehr entspannenden Massage, die allen beiden ausgesprochen gut gefiel und Hotáru dazu veranlasste, seine Finger tief in die Schultern des Yūkata zu graben, den Káshira gerade trug. „Mmmh..."
„Sehr schön..." Der braunhaarige Junge grinste zärtlich und betrachtete eingehend sein blasses, angestrengtes Gesicht. „Du bist süß..." „Umh – " Hotáru presste seinen Kopf fest in die Kissen und stöhnte erregt, während er mit beiden Händen rastlos durch Káshiras Haare und über seine Schultern strich. „Uh, nicht aufhören..."
Nach einiger Zeit löste Káshira wieder sanft seinen Griff und ließ seine Finger leicht über Hotárus Oberschenkel und seinen Bauch wandern, bis hinauf zu Brust und Hals. Inzwischen lag er schon ganz auf dem schmalen Bett und drückte sich eng an Hotáru, der völlig erschöpft und beinahe schlafend in den Kissen lag und nur noch den Arm um ihn legen konnte. Sein schmaler Körper schmiegte sich fest an ihn, irgendwann konnte er sich noch zu einem kleinen Kuß aufraffen und schlief dann friedlich ein.
Während der Regen heftig an die Scheiben schlug und in weiter Entfernung kleine Blitze zuckten, schob Káshira sanft seinen Arm zur Seite und wickelte die Decke um ihn. Dann erhob er sich, drückte ihm noch einen Abschiedskuss auf die Wange und entfernte sich leise aus dem Krankenzimmer.
Nachdenklich und zärtlich gestimmt wanderte er langsam den langen Korridor nach unten, um nach draußen und zu seinen Kameraden zu gelangen; weit kam er allerdings nicht. Schon nach wenigen Metern hielt ihn eine scharfe Stimme zurück. „He, Fremder! Stehen bleiben! Im Namen des Königs nehme ich Euch hiermit in Gewahrsam und bringe Euch zu General Mosar, der das Urteil verkünden wird!"
„Was soll denn der Unsinn? Ihr habt mich doch freigelassen, oder? Wozu ein Urteil?" biss Káshira wütend zurück „Das ist ja echt das Blödste, was ich – " „Sei bloß still!" zischte der Soldat wütend und hob die Hand, woraufhin seine zwei Begleiter nach vorne schossen und ihn brutal an den Armen packten. Káshira versuchte zuerst wütend, dann mit wachsender Verzweiflung seine Handgelenke frei zu bekommen, scheiterte aber kläglich. „Shit! Lasst mich gefälligst frei! He, jetzt lasst das!!"
Alle Versuche fruchteten nichts; die Soldaten drehten seine Arme nach hinten und zwangen ihn, sie zu begleiten. Nach einem langen Marsch über Innenhof und mehrere Treppen tief in den Untergrund des Hauptpalastes gelangten sie schließlich in einen großen Raum, der unschwer als Kerker zu erkennen war. Trotz heftigster Gegenwehr wurde Káshira in einen der vergitterten Räume gestoßen und fiel hart auf den steinernen Boden; die Tür schloss sich mit lautem Knall und das abscheuliche Knirschen eines eisernen Riegels war das vorläufig letzte, dass ihm an die Ohren klang. Allein und verängstigt blieb er in der Dunkelheit der kalten Zelle zurück, während die Soldaten lachend das Gefängnis verließen und alle Tore verriegelten; Flucht unmöglich...
„Mmh..." Hotáru drehte sich langsam um und öffnete abrupt die Augen. Es ärgerte ihn, dass er nur noch auf einer Seite sehen konnte; wenn ihm diese Heilerin doch endlich diese Augenbinde abnehmen würde – aber vielleicht würde er dann der Wahrheit ins Gesicht blicken müssen...
„He, Suigín- kun." Aranámi saß seltsam dreinblickend auf der Bettkante und lächelte merkwürdig. Noch vor einem Moment hatte er eine sanfte Ruhe in seinem Herzen gefühlt, nun aber durchfuhr ihn ein eisiger Schreck und er setzte sich heftig auf. „Was – was ist denn los? Warum siehst du so – " Er stockte und starrte sie an, als sie leise zu sprechen begann.
„Ich dachte, du solltest es wissen. Ryōki ist vor einer Stunde verhaftet und in einen der Kerker verfrachtet worden – er hat dich besucht, nicht wahr? Wegen dem Essen?"
„Essen?" begann Hotáru verwirrt und brach verstört ab. „Ist ja egal jetzt. Was wollt ihr denn tun? Ihr müsst ihm – " „Keine Chance, tut mir leid. Aus dem Kerker bringt man keinen raus - Wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Die wollen ihn zu Tode verurteilen – sein Bruder ist schon halb wahnsinnig. Ich dachte nur, du solltest – " Sie brach ab, als sie seinen verzweifelten Blick sah und betrachtete ihn genauer. „Was hast du denn? Soll ich – "
Heftig hatte er nach ihrem Arm gepackt und die Fingernägel tief hineingegraben. „Aranámi, schnell. Bitte, bitte, du musst mir einen Gefallen tun – hol' mir diesen General her – bitte, es ist so wichtig!" „Ja, aber – was willst du denn tun? Yumí will ja um seine Begnadigung bitten, er ist zuversichtlich, und irgendwas müssen wir ja auch machen – "
„Kamomé, verstehst du denn nicht? Ich muß sofort mit dem General sprechen, in Ordnung? Bitte! Bitte!" flüsterte er flehentlich und starrte ihr beschwörend in die Augen, bis sie schließlich nachgab und sich unvermittelt und leicht gereizt erhob. „Wenn du unbedingt willst, na gut."
Nachdem sie den Raum verlassen hatte, lehnte er sich verzweifelt in die Kissen zurück und vergrub sein Gesicht in die Hände. Warum konnte das Leben nicht einmal normal verlaufen? Jedes, aber auch wirklich jedes Mal musste irgendwas Schlimmes passieren, wenn es gerade so schien, als würde alles in Richtung Normalität treiben, es war zum Auswachsen. Schön langsam konnte er es nicht mehr ertragen –
„Nun, hier bin ich. Deine Freundin meinte, du möchtest mich sprechen..." Mosar war leise eingetreten und näherte sich dem blassen Jungen mit schnellen Schritten. Kamomé lugte zwar noch zur Tür herein, sah aber den Blick, der ihr von Hotáru zugeworfen wurde und entfernte sich mit einem lauten Knall. Obwohl sie offensichtlich wütend war, konnte er im Moment keine Rücksicht darauf nehmen. Dieses Gespräch hier war einfach wichtiger –
„Ja, ich habe darum gebeten, mit Ihnen sprechen zu dürfen – äh, Herr General, Herr – " stammelte Hotáru zuerst unsicher, schluckte dann aber heftig und straffte seine Gestalt, soweit dies momentan überhaupt möglich war. „Es ist so – vor ein, zwei Stunden haben Sie jemanden verhaftet – einen Jungen mit braunen Haaren, wissen Sie?" Mosar nickte zögernd und setzte sich auf den niedrigen Sessel neben das Bettgestell. „Ja, das ist wahr. Allerdings ging der Befehl nicht von mir, sondern der edlen Prinzessin Asuka aus – anscheinend wurde sie von ihm schwer beleidigt, darum wurde er nun in den Kerker gebracht und wartet auf die Urteilsvollstreckung." Der junge General betrachtete den Kranken vor sich mit Sorge; sein Gesicht war noch bleicher und verzagter geworden als zuvor und er atmete schwerer. Mit einem verzweifelten Ruck richtete er sich schließlich aus den weichen Kissen auf, griff nach dem weiten Kimonóärmel des Offiziers und begann leise und gepresst zu sprechen.
„Bitte – ich möchte, dass Sie – dass Sie ihn verschonen, bitte - Er ist ein Idiot, aber ein guter Mensch..." „Tut mir leid, aber das liegt nicht mehr in meiner Hand.", antwortete Mosar bedauernd und betrachtete die sorgenvollen Augen vor sich. „Ich würde ja gerne etwas tun, aber leider – " Entmutigt biss sich Hotáru auf die Lippen und senkte den Kopf. Plötzlich schoss eine Erinnerung durch seinen Kopf – irgendwann hatte er sich gefragt, ob er sein Leben nicht lieber zugunsten jemand anderes aufgeben sollte – vielleicht war jetzt die Zeit dazu...
„Ich – ich möchte Sie bitten, ihn nicht zu – ich möchte, dass Sie – " Endlich wusste er, was er wollte, was er tun musste, schon seit langer Zeit – „Sie brauchen doch nur einen Sündenbock, oder? Ich möchte, dass Sie – dass Sie mich nehmen." Als es ausgesprochen war, fühlte er sich, als fiele ein großer Stein von seinem Herzen, und er konnte beinahe lächeln. „Es ist doch egal, wer hingerichtet wird, oder? Dann töten Sie mich. Káshira hat das nicht verdient – "
Mosar fühlte sich, als würde ihm jemand die gesamte Luft aus den Lungen quetschen und das Herz wie einen Ball hin und herwerfen. „Bist du denn verrückt? Du kannst ja kaum laufen! Und du hast der Prinzessin nichts getan! Warum sollte ich dich hinrichten lassen?"
„Weil Káshira – weil er die Menschen glücklich macht. Er ist jemand, der andere zum Lachen bringt, wissen Sie?" lächelte Hotáru traurig und ließ den Ärmel langsam los. „Es gibt Menschen, die sind wichtig für die anderen, und Menschen, die bringen nie was Richtiges zustande – so wie ich. Da ist es doch am besten, man lässt diejenigen am Leben, die andere glücklich machen, oder?" „Trotzdem. Das kann ich nicht tun.", beharrte der General auf seinem Standpunkt und drückte ihn sanft an den Schultern in die Kissen zurück. „Schlaf jetzt und vergiss' die ganze Sache, ja? Du bist krank, bemühe dich erst mal, gesund zu werden. Vielleicht wird ja doch noch alles gut." „Wollen Sie sich über mich lustig machen? Nichts mehr wird gut. Ich hab' dieses Leben satt! Es kann nicht richtig sein, dass jemand wie Káshira sterben muß, und ich lebe wie die Made im Speck! Das ist nicht richtig! Wenn Sie schon jemanden töten müssen, dann mich! OKAY?" Hotáru hatte begonnen, ihn anzuschreien; dieser Kerl war so verdammt stur...
„Sei still! Kein Wort mehr!" Mosar war aufgesprungen, starrte den Jungen aus wütend –entsetzten Augen an und wandte sich zur Tür. „Der Gefangene wird für seine eigenen Fehler bezahlen, hast du verstanden? Warum sollte ich einen Unschuldigen töten lassen, so einfach ohne Grund?" „Woher wollen Sie denn wissen, dass ich unschuldig bin, hmm? Vielleicht habe ich – habe ich einen Ihrer Soldaten auf dem Gewissen oder so. Das können Sie doch nicht wissen!" Hotáru würde nicht aufgeben, das hatte er sich geschworen. Er musste ihm einfach helfen –
„Nein, nein, nein! Mein letztes Wort!" fauchte der General bestürzt und knallte die Türe wuchtig hinter sich zu. Draußen musste er sich für eine Sekunde an die Wand lehnen, die Augen schließen und seine Fassung wiederfinden. Was dachte sich dieser Junge eigentlich –
„General." Talingo war unvermittelt hinter ihm aufgetaucht und betrachtete ihn kühl. Ihre Stimme zeigte keinerlei Gefühlsregung, allerdings zuckte die rechte Augenbraue verdächtig.
„Warum müsst Ihr dem Jungen das antun? Und gerade, nachdem ich ihn soweit hatte – " „Heilerin." Mosar sprach ebenso gefasst wie sie und zeigte seinen Schock in keiner Weise. „Verbrechen werden bestraft, falls Ihr das nicht wisst. Und der Fremde wird für seine Beleidigungen bezahlen müssen, so leid es mir tut." Nach diesen Worten zog er es lieber vor, ihr den Rücken zuzukehren und so schnell wie möglich zu verschwinden. Der Blick dieses Mädchens war tödlich...
„HE! Ihr müsst uns anhören! He!" Aufgebracht trommelten Tókui und Sachou an die Tür des Palastzimmers, hinter dem sie den König vermuteten. Plötzlich erscholl eine wütende Stimme und die ältliche Frau erschien. „Verflixte Gören! Seht zu, dass ihr verschwindet! Das darf ja wohl nicht wahr sein, so was von frech! Einfach unglaublich!"
„Wir wollen doch bloß unserem Freund helfen! Bitte, ihr müsst ihn freilassen, er ist unschuldig! Er wusste doch nicht mal, dass er mit einer Prinzessin spricht – "
„Nun, das wird ihn lehren, immer respektvoll und freundlich zu sein, nicht wahr? Zwar wird ihm das nicht mehr viel nützen, aber immerhin – " Die Frau lachte spöttisch auf und packte beide am Ellenbogen. „Na los, kommt schon – hier hängt ihr jedenfalls nicht länger herum!"
„Oh, bitte! Lassen Sie uns doch vor, wir möchten doch nur mal mit ihm sprechen!" heulte Sachou auf und wand sich erstaunlich geschickt aus ihrem Griff. „NEIN! Jemand, der auf einer so niedrigen Stufe steht wie ihr, hat nicht einmal das Recht dazu, den „Göttlich Erhabenen" auch nur mit bloßem Auge zu sehen. Und da wollt ihr mit ihm sprechen? Das ich nicht lache!" keifte die Alte und erwischte ihn wie eine junge Katze am Genick. „Raus mit euch, aber schnell, sonst baumelt ihr morgen am Galgen, klar?"
„Oh, Mist! Warum sind die alle bloß so stur?" zischte Tókui wütend, als sie schließlich und endlich von der alten Frau unsanft vor die Tür gesetzt worden waren. Sachou zuckte bedauernd mit den Schultern und seufzte traurig. „Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Wenn sich keiner für ihn einsetzt, dann... dann sehe ich schwarz..." „Ach, du Pessimist." Aber mehr fiel Tókui dazu auch nicht ein.
„Na, du siehst aber bedrückt aus!" meinte Yamanéko spöttisch – besorgt, als sie sich zu Mosar setzte und langsam seinen Kimonó öffnete. „Was ist denn los?"
„Ach." Er seufzte müde und schüttelte bekümmert seinen Kopf. „Es sind schon wieder diese Kinder, weißt du? Es ist einfach schrecklich. Ich – ich habe ein schlechtes Gewissen..."
„Und warum?" hakte Yamanéko nach einer Weile behutsam nach, während sie stetig sanft über seinen Arm strich. Ruckartig hob er den Kopf und blickte sie sorgenvoll an. „Oh, weißt du – Yamá chan – der Junge, der am Kreuz hing – du erinnerst dich – er wurde auf Befehl der Prinzessin wieder inhaftiert und soll nun getötet werden. Und der Kranke, der auf der Krankenstation liegt, hat mich allen Ernstes gebeten, ihn statt dem Verhafteten hinrichten zu lassen. Das ist doch Irrsinn! Ich meine, wir sind doch keine Monster, die einfach wahllos alle Leute hinrichten, oder?"
„Armer Junge.", meinte Yamanéko sanft, ohne direkt auf seine Worte einzugehen und blickte sinnend vor sich hin. „Du nimmst ihm seinen Freund weg, meinst du nicht auch? Kein Wunder, dass er traurig ist. Und er ist krank, vergiss' das nicht, Jīngtǐ. Du kannst nicht erwarten, irgendwelches Verständnis von ihm zu kriegen." „Ja, aber – " Mosar fühlte sich in die Ecke gedrängt und senkte bockig den Kopf. „Du stehst doch bloß auf ihrer Seite, weil du mit allem und jedem Mitleid hast." „Pah, du Kindskopf! Das wirst du doch einsehen können, oder? Ich habe jedenfalls recht!" zischte die Géisha ärgerlich und verpasste ihm eine leichte Kopfnuss, woraufhin er sie heftig um die Hüften packte und auf das kleine Sofa drückte. Angesichts des verletzten Stolzes, den er an den Tag legte, musste Yamanéko kräftig lachen und ihm noch einen spielerischen Klaps auf die Schulter versetzen. „Wenn du nicht so süß wärst..."
„Warum redest du denn nicht einfach mit der Prinzessin, wenn's dir schon so wichtig ist?" schlug Watarí leise vor und schmollte. Was Hotáru schon wieder mit Káshira hatte – war doch bloß gut, wenn der lästige Störenfried endlich verschwand...
„He, das ist die erste gute Idee, die du seit langem hast – würdest du mir den Gefallen tun und sie herholen? Bitte.", säuselte Hotáru sanft und bemühte sich zu lächeln. Watarí hatte wieder einen seiner bockigen Tage und da wusste man nie, wie er reagieren würde – allerdings schien er für eindringliche Bitten, so flehentlich wie möglich vorgetragen, noch am ehesten empfänglich zu sein. Und richtig; wieder einmal hatte er mit dieser Strategie Erfolg...
„Na, dann meinetwegen! Ich hol' sie dir eben, wenn's dir so wichtig ist!" schnaubte der Junge und zog ab. Als sich die Tür hinter ihm schloss, wandte sich Hotáru aufatmend an seinen kleinen Bruder, der die Diskussion äußerlich desinteressiert mitverfolgt hatte. „Das ist gut. Ich will nicht, dass sie ihn töten..." „Hast du dem General wirklich angeboten, lieber dich statt Ryōki hinzurichten?" warf der Kleinen plötzlich und völlig unerwartet mit eiserner Stimme ein und musterte ihn mit eisigen Augen. Hotáru fühlte sich überrumpelt und starrte ihn bestürzt an. „Wo – woher weißt du – " „Ich hab' an der Tür gelauscht, falls du es genau wissen willst. Und ich muß dir sagen, dass ich das echt blöd und gemein von dir finde. Wie kommst du bloß dazu, so was zu machen? Wir alle machen uns wie die größten Idioten Sorgen um dich, nur um dann zu erfahren, dass dir ohnehin alles egal ist. Falls du Wert auf meine Meinung legst, das ist echt fies und voll zum Kotzen, überhaupt Watarí und mir gegenüber. Aber ich bin ja bloß dein Bruder.", zischte Kitsuné unerbittlich und rammte seine Faust in die Bettdecke, auf der er gerade saß. „Du kümmerst dich wohl gar nicht um das, was wir sagen, oder? Hältst du uns echt für so herzlos?" Hotáru wusste nicht, was er auf diese anklagend hervorgepressten Worte antworten sollte; überdies trat in diesem Moment hinter einem stolz dreinblickenden Watarí ein junges, sehr schönes und prachtvoll gekleidetes Mädchen durch die Tür. „Ist er hier? Ihr anderen könnt gehen. Und sagt meinen Zofen nicht, wo ich bin, ja?" lächelte die schöne Prinzessin hochmütig und entließ die beiden mit einem nachlässigen Wink. Dann beugte sie sich mit strahlendem Lächeln über das Bett und tätschelte zärtlich seine Hand. „Na, wie geht es meinem Lieblingspatienten denn heute...?"
