Kapitel

Hätte er sie geküsst, wäre er nicht gegangen. Die Narbe an seiner Stirn pochte, und wieder dachte er daran, was sie bedeutete. Was sein Freund in diesen Tagen für ihn getan hatte, als er zwischen Tod und Leben schwebte. Er schauderte, als er an die harten Hände der Orks dachte, die Peitschen, den Gestank. Nie sollte sein Kind einen Ork zu Gesicht bekommen, nie diese Schrecken erfahren, denen er selbst ausgesetzt war. Sam hatte schon beide Ponies gesattelt und stand wartend am Tor. Sie stiegen auf und trabten durch die mondhelle Nacht davon. Sie waren noch nicht lange geritten, als Sam sich zu Merry umwandte. „Ihm geht es sehr schlecht, Merry. Er – Faramir hat es dem König nicht mitgeteilt, doch er hat mir sofort Kunde geschickt. Von einem langen Ausflug ist er seltsam verändert zurückgekehrt. Seitdem hat sich sein Zustand stets verschlechtert. Keiner weiß, was ihm zugestoßen ist, doch er liegt in hohem Fieber und redet wirres Zeug. Es ist gut, dass du mitkommst." Merry schnaubte. „Natürlich komme ich mit", erwiderte er und gab seinem Pony einen leichten Klaps. Sam hatte Mühe, mit seinem alten Lutz aufzuholen, doch bald hatte er zu Merry aufgeschlossen.

„Was meinst du, Merry – was fehlt ihm? Und warum hat Faramir nicht den König informiert? Er muss es doch wissen, wenn einem seiner alten Freunde etwas zustößt?!"Ratlos sah Samweis ihn an, und Merry hob die Schultern. „Ich weiß es nicht, Sam. Ich habe ihn sehr lange nicht gesehen – eigentlich seit meinem vorletzten Geburtstag vor fast drei Jahren. Bald ist es ja wieder so weit. Er ist nicht gekommen. Zweimal."

Merry schalt sich selbst, dass er seinen Freund nicht eher aufgesucht hatte, doch seine Briefe hatten stets fröhlich und unbekümmert geklungen. Jetzt fiel ihm auf, wie töricht er gewesen war. Seit den Ringkriegen – seit der Zeit, die sie so nah zueinander geführt hatte – war sein Freund nicht mehr der unbekümmerte Pippin – er hatte sich verändert, und in jedwedem Brief hatte er neben seinen fröhlichen Berichten auch immer seine eigenen Gedanken niedergeschrieben, die er sonst niemandem anvertraute. Nur in den neuen Briefen nicht. Merry hatte sich nicht gewundert. Hatte sich nicht wundern wollen, sondern sein Leben mit Estella in vollen Zügen genossen.

Nun war es vielleicht zu spät.

Es war weit nach Gondor. Sehr weit. „Was hat Faramirs Bote gesagt?"wollte Merry wissen und sah Sam beunruhigt an. Der hob die breiten Schultern. „Das was ich schon sagte."

Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück und hielten erst an, als sie vor dem Tor nach Bree standen. „Hier waren wir schon einmal auf einem ungewissen Weg", murmelte Sam. Sein Begleiter nickte stumm. Das Tor öffnete sich, und sie ritten langsam durch die Straßen.