Kapitel
Diese Nacht würde sie im Garten verbringen, ihrem geliebten Örtchen...
Dreimal nur war sie so aufgebracht gewesen, seit sie und Merry hier eingezogen waren. Dreimal...
Es war, als wirbelte der laue Nachwind die Vergangenheit hoch...
Die Vermählung war ein rauschendes Fest gewesen, an das sich die Hobbits um Bockland und auch aus den weiteren Regionen noch lange erinnern sollten. Estella war mit ihrer Mutter und ihrem Vater schon am Abend zuvor in Krickloch angekommen – sicher, sie wohnte nicht weit entfernt, doch Merry hatte sie gebeten, die letzte Nacht vor Ihrer Hochzeit unter seinem Dach zu schlafen – „ich – nun, ich möchte, dass wir morgen das erste Frühstück vor unserer Heirat zusammen einnehmen!"So förmlich hatte er sich ausgedrückt, und Estella war verlegen errötet. „Du drückst dich sehr vornehm aus, Merry Brandybock – kann ich denn mit deiner edlen Sprache mithalten?"scherzte sie lachend, doch sie war ebenso verlegen wie er. Er hatte nach ihrer Hand gegriffen und sie ernst angesehen. „Wir kennen uns nun schon lange, Estella, und ich weiß nicht, ob ich dich immer richtig behandeln werde. Viele nennen mich einen großen Hobbit. Aber ich bin immer noch Merry, ich weiß nichts besser als manch anderer. Und schon gar nicht, wie ich mit dir umgehen soll, wenn wir erst verheiratet sind."Sanft hatte er seine Lippen auf ihren Handrücken gepresst. „Aber vergiss nicht, dass ich dir niemals weh tun will. Niemals."Doch dabei hatten seine Augen merkwürdig verletzt ausgesehen. Als wüsste er etwas, dass sie wirklich verletzen würde. Doch niemals hatte er es ihr erzählt. Sie ahnte, dass es mit der Reise zu tun haben musste, doch nie drängte sie ihn zu erzählen.
Als sie in dieser Nacht in ihrem Gästezimmer lag, konnte sie keinen Schlaf finden... erst war ihr zu heiß, dann wehte der Wind zu scharf, schließlich wurde sie durstig... Als sie kurz aufgestanden war, um sich einen Becher Wasser zu holen, tappte sie unhörbar durch den langen Flur und erschrak plötzlich bis ins Mark. „Neeeeeiiiiiiiiin! Tu das niiiiiiiiiiiiicht!" Es war ein wilder, schmerz erfüllter Schrei, der ihr durch Mark und Bein ging in seiner Verzweiflung. Und er kam aus dem Schlafzimmer ihres zukünftigen Mannes. Sie ließ den Becher fallen und rannte. Rannte wie um ihr Leben. Und erst, als sie die duftenden Sträucher des Gartens erreicht hatte, blieb sie entsetzt stehen – weit aufgerissene Augen starrten durch die dunklen Löcher der Fenster. Das war nicht er gewesen. Nein. Das war etwas anderes. Etwas schwarzes, finsteres, das ihm solchen Schmerz verursachte. Sie keuchte leise, als sie eine Kerze aufglimmen sah und versteckte sich hinter dem Brunnen. Doch es war nur der alte Saradoc Brandybock, der sich in die Speisekammer schlich, um sich einen Becher Bier einzuschenken. Estella atmete auf. Doch Schlaf fand sie keinen mehr in dieser Nacht...
Estella strich mit sanften Fingern über einen blühenden Strauch und mit der anderen Hand über ihre Stirn. Bis heute hatte sie nicht erfahren, was es gewesen war, das ihn so verletzt hatte.
Das zweite Mal war sie so aufgebracht gewesen, als er wieder aufgebrochen war – doch nun, um jemandem Lebwohl zu sagen – jemandem, der lange Zeit wie ein Bruder für ihn gewesen war und der nun das Auenland verließ. Für immer, so hieß es. Estella vermisste ihn manchmal – oft hatte er sie in Krickloch besucht, und sie hatte erfahren, dass es außer ihrem Mann noch andere Hobbits gab, die „anders"waren. Nachdenklicher vielleicht als die anderen – und vielleicht mutiger? Die Leute in Hobbingen und auch hier in der Ostmark redeten viel – von der Reise der vier Freunde, die so viel erlebt hatten, von dem sie so wenig erzählten. Sicher. Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk waren mit prächtigen Rüstungen heimgekehrt, und sie waren so groß gewachsen, dass so mancher das Wort Bullenrassler führte, wenn er ihrer ansichtig wurde. Doch sie wusste – die wirkliche Last hatte Frodo getragen.
Schon einmal hatte Merry mit diesem Hobbit eine Reise gemacht. Schon einmal war er merkwürdig verändert wieder gekehrt. Und in diesen Tagen – es war kurz nach ihrer Vermählung – hatte sie stets wach gelegen und sich gefragt, was ihnen damals widerfahren war. Was sie so verändert hatte, dass fast alle Verwandten und Nachbarn sie nun seltsam nannten. Doch stets hinter vorgehaltener Hand. Estella störte sich nicht an solchen Bemerkungen – sie war selbst schon einmal einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Was sie beunruhigte, war der Kern dieser Bemerkungen. Der Kern, der tief in dem Gerede steckte und der von Wahrheit durchdrungen war.
Von einer Wahrheit jedoch, die hier verächtlich beäugt wurde... Obwohl sie bedeutete, dass die Reisenden viel auf sich genommen hatten. Mut bewiesen hatten und Treue. Dennoch: Missgunst und Engstirnigkeit waren die Richter über die trotzdem hoch angesehenen Hobbits. Und vielleicht ein klein wenig Dummheit... Estella lächelte unruhig. Sie kannte diese Dummheit nur zu gut...
„Stella, nun sieh es doch ein!"sprach Fredegar leise und gutmütig, doch sie schüttelte den Kopf. „Daran ist nichts einzusehen, Dick. Du kannst es nicht verstehen – aber frag nur Rosie!"Ihre Wangen waren gerötet, und die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Ihr großer Bruder wiegte den kopf hin und her, während er besorgt auf sie einredete. „Du kannst das nicht tun. Sieh nur, Bree ist eine große Stadt – dort gibt es nicht nur so nette Hobbits wie hier. Es gibt düstere Menschen und alle Sorten von Verbrechen!" Seine Stimme senkte sich in ein bedrohliches Flüstern. Seine erloschene Pfeife lag kalt in einer Tonschale. Estella lachte ihn aus. „Dick, mein lieber Bruder! Ich lasse mich doch von deinen Gruselgeschichten nicht ins Bockshorn jagen! Mutter hat schon zugestimmt, und wenn sie ja sagt, wird Vater ihr nicht widersprechen."Dann sah sie ihrem Bruder liebevoll ins Gesicht. „Du würdest das nicht wollen. Aber versteh mich bitte – versuch es wenigstens! Ich werde lange weg sein. Bitte begleite mich auf der ersten Strecke."Diese Bitte sprach sie nicht aus Angst – sie wusste, worauf sie sich einließ. Nein, sie sprach sie, weil sie wusste, ihr geliebter Bruder würde nicht eher Ruhe geben, bis er sich von ihrem Wohlergehen überzeugt hatte. Fredegar nickte nach einer Weile.
Diese Nacht würde sie im Garten verbringen, ihrem geliebten Örtchen...
Dreimal nur war sie so aufgebracht gewesen, seit sie und Merry hier eingezogen waren. Dreimal...
Es war, als wirbelte der laue Nachwind die Vergangenheit hoch...
Die Vermählung war ein rauschendes Fest gewesen, an das sich die Hobbits um Bockland und auch aus den weiteren Regionen noch lange erinnern sollten. Estella war mit ihrer Mutter und ihrem Vater schon am Abend zuvor in Krickloch angekommen – sicher, sie wohnte nicht weit entfernt, doch Merry hatte sie gebeten, die letzte Nacht vor Ihrer Hochzeit unter seinem Dach zu schlafen – „ich – nun, ich möchte, dass wir morgen das erste Frühstück vor unserer Heirat zusammen einnehmen!"So förmlich hatte er sich ausgedrückt, und Estella war verlegen errötet. „Du drückst dich sehr vornehm aus, Merry Brandybock – kann ich denn mit deiner edlen Sprache mithalten?"scherzte sie lachend, doch sie war ebenso verlegen wie er. Er hatte nach ihrer Hand gegriffen und sie ernst angesehen. „Wir kennen uns nun schon lange, Estella, und ich weiß nicht, ob ich dich immer richtig behandeln werde. Viele nennen mich einen großen Hobbit. Aber ich bin immer noch Merry, ich weiß nichts besser als manch anderer. Und schon gar nicht, wie ich mit dir umgehen soll, wenn wir erst verheiratet sind."Sanft hatte er seine Lippen auf ihren Handrücken gepresst. „Aber vergiss nicht, dass ich dir niemals weh tun will. Niemals."Doch dabei hatten seine Augen merkwürdig verletzt ausgesehen. Als wüsste er etwas, dass sie wirklich verletzen würde. Doch niemals hatte er es ihr erzählt. Sie ahnte, dass es mit der Reise zu tun haben musste, doch nie drängte sie ihn zu erzählen.
Als sie in dieser Nacht in ihrem Gästezimmer lag, konnte sie keinen Schlaf finden... erst war ihr zu heiß, dann wehte der Wind zu scharf, schließlich wurde sie durstig... Als sie kurz aufgestanden war, um sich einen Becher Wasser zu holen, tappte sie unhörbar durch den langen Flur und erschrak plötzlich bis ins Mark. „Neeeeeiiiiiiiiin! Tu das niiiiiiiiiiiiicht!" Es war ein wilder, schmerz erfüllter Schrei, der ihr durch Mark und Bein ging in seiner Verzweiflung. Und er kam aus dem Schlafzimmer ihres zukünftigen Mannes. Sie ließ den Becher fallen und rannte. Rannte wie um ihr Leben. Und erst, als sie die duftenden Sträucher des Gartens erreicht hatte, blieb sie entsetzt stehen – weit aufgerissene Augen starrten durch die dunklen Löcher der Fenster. Das war nicht er gewesen. Nein. Das war etwas anderes. Etwas schwarzes, finsteres, das ihm solchen Schmerz verursachte. Sie keuchte leise, als sie eine Kerze aufglimmen sah und versteckte sich hinter dem Brunnen. Doch es war nur der alte Saradoc Brandybock, der sich in die Speisekammer schlich, um sich einen Becher Bier einzuschenken. Estella atmete auf. Doch Schlaf fand sie keinen mehr in dieser Nacht...
Estella strich mit sanften Fingern über einen blühenden Strauch und mit der anderen Hand über ihre Stirn. Bis heute hatte sie nicht erfahren, was es gewesen war, das ihn so verletzt hatte.
Das zweite Mal war sie so aufgebracht gewesen, als er wieder aufgebrochen war – doch nun, um jemandem Lebwohl zu sagen – jemandem, der lange Zeit wie ein Bruder für ihn gewesen war und der nun das Auenland verließ. Für immer, so hieß es. Estella vermisste ihn manchmal – oft hatte er sie in Krickloch besucht, und sie hatte erfahren, dass es außer ihrem Mann noch andere Hobbits gab, die „anders"waren. Nachdenklicher vielleicht als die anderen – und vielleicht mutiger? Die Leute in Hobbingen und auch hier in der Ostmark redeten viel – von der Reise der vier Freunde, die so viel erlebt hatten, von dem sie so wenig erzählten. Sicher. Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk waren mit prächtigen Rüstungen heimgekehrt, und sie waren so groß gewachsen, dass so mancher das Wort Bullenrassler führte, wenn er ihrer ansichtig wurde. Doch sie wusste – die wirkliche Last hatte Frodo getragen.
Schon einmal hatte Merry mit diesem Hobbit eine Reise gemacht. Schon einmal war er merkwürdig verändert wieder gekehrt. Und in diesen Tagen – es war kurz nach ihrer Vermählung – hatte sie stets wach gelegen und sich gefragt, was ihnen damals widerfahren war. Was sie so verändert hatte, dass fast alle Verwandten und Nachbarn sie nun seltsam nannten. Doch stets hinter vorgehaltener Hand. Estella störte sich nicht an solchen Bemerkungen – sie war selbst schon einmal einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Was sie beunruhigte, war der Kern dieser Bemerkungen. Der Kern, der tief in dem Gerede steckte und der von Wahrheit durchdrungen war.
Von einer Wahrheit jedoch, die hier verächtlich beäugt wurde... Obwohl sie bedeutete, dass die Reisenden viel auf sich genommen hatten. Mut bewiesen hatten und Treue. Dennoch: Missgunst und Engstirnigkeit waren die Richter über die trotzdem hoch angesehenen Hobbits. Und vielleicht ein klein wenig Dummheit... Estella lächelte unruhig. Sie kannte diese Dummheit nur zu gut...
„Stella, nun sieh es doch ein!"sprach Fredegar leise und gutmütig, doch sie schüttelte den Kopf. „Daran ist nichts einzusehen, Dick. Du kannst es nicht verstehen – aber frag nur Rosie!"Ihre Wangen waren gerötet, und die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Ihr großer Bruder wiegte den kopf hin und her, während er besorgt auf sie einredete. „Du kannst das nicht tun. Sieh nur, Bree ist eine große Stadt – dort gibt es nicht nur so nette Hobbits wie hier. Es gibt düstere Menschen und alle Sorten von Verbrechen!" Seine Stimme senkte sich in ein bedrohliches Flüstern. Seine erloschene Pfeife lag kalt in einer Tonschale. Estella lachte ihn aus. „Dick, mein lieber Bruder! Ich lasse mich doch von deinen Gruselgeschichten nicht ins Bockshorn jagen! Mutter hat schon zugestimmt, und wenn sie ja sagt, wird Vater ihr nicht widersprechen."Dann sah sie ihrem Bruder liebevoll ins Gesicht. „Du würdest das nicht wollen. Aber versteh mich bitte – versuch es wenigstens! Ich werde lange weg sein. Bitte begleite mich auf der ersten Strecke."Diese Bitte sprach sie nicht aus Angst – sie wusste, worauf sie sich einließ. Nein, sie sprach sie, weil sie wusste, ihr geliebter Bruder würde nicht eher Ruhe geben, bis er sich von ihrem Wohlergehen überzeugt hatte. Fredegar nickte nach einer Weile.
