Jäger des Todes Das heimische Schloss?

Part 18

Ein Schatten huschte durch den schmalen Nebengang. Nahezu unhörbare Geräusche kündeten von den Tritten flinker Raubtierfüße, die sich zielstrebig fortbewegten. Sonst war es still im Gang, sogar im gesamten Schloss. Das ganze Gebäude war von einer unnatürlichen Stille erfüllt, die drückend in den dunklen Ecken lauerte.

Wachsame Augen leuchteten auf, als sie verstohlen einen abzweigenden Gang entlangblickten. Die Jägerin erspähte nichts, nur einen breiten Streifen Mondlicht, der durch ein vergittertes Fenster hereinfiel. Keine Zeit, sich weiter aufzuhalten. Ohne zu zögern setzte Amber ihren Weg fort. Hin und wieder sog sie die abgestandene Luft gierig ein und hielt sich mit Gewalt davon ab, in Erinnerungen zu schwelgen. Endlich wieder zu Hause... Dieser Gedanke pochte immer wieder in ihrem Herzen.

Ein Knall.

Sie zuckte zusammen, kauerte sich auf den eiskalten Steinboden. Ein plötzlicher Luftzug stob durch ihr Fell und bürstete es gegen den Strich. Es prickelte in ihren Schnurrhaaren. Amber schnupperte und lauschte. Ihre Ohren richteten sich nach allen möglichen Richtungen, versuchten schier ausser Kontrolle geraten, jedes Geräusch aufzufangen.

Stille antwortet ihr. Es gab nichts anderes als diese unheimliche Lautlosigkeit, der sich Amber mühelos anschloss. Sie lag noch einige Sekunden so da und starrte vor sich hin, dann überwand sie sich nach einem erbittertem inneren Kampf wieder aufzustehen und weiterzugehen.

Ein Blick zurück in die hinteren Schatten.

Nichts.

Mondschatten schlich weiter. Doch ihre Aufmerksamkeit schwand zusehends. Immer wieder kam sie an ihr bekannten Räumlichkeiten vorbei, in denen sie viele glückliche Stunden mit Freunden verbracht hatte.

Eine alte Geschichte fiel ihr ein.

Damals, es war schon eine ganze Dekade her, hatte sie ihr erstes großes Besäufnis gehabt. Das Fest, an dem sie sich so hatte zulaufen lassen, hatte in einer mittelgroßen Halle stattgefunden und der Anlass war der 17 Geburtstag Orions gewesen. Ambers erste Bekanntschaft mit dem alkoholischen Getränk Badjalla war Anfangs recht erfreulich gewesen, bis sie die Kontrolle über sich verloren hatte und dann plötzlich von einem Augenblick zum anderen umgefallen war und bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen hatte. Anschließend mussten sich wohl zwei der Jäger, natürlich Jim und Pierre, darum bemüht haben, dass niemand Amber anfasste. Selbstverständlich hatte nicht einmal das geringste Maß an Gefahr in diese Richtung bestanden, doch wie zwei fast Brüder sorgten sich die beiden älteren Jäger um die Heranwachsende.

Sie zuckte mit dem rechten Ohr und riss sich zurück. Für Erinnerungen war später noch Zeit. Falls sie überlebte. Die Gegenwart... die Gegenwart und die nahe Zukunft waren nun jene Zeitepochen, denen sie sich widmen musste.

Ihr Ziel waren die Kerker. Die Gefängnisse im tiefsten Punkt des Schlosses, die nur wenige, ausgewählte Personen jemals zu Gesicht bekommen hatten. Doch Amber wusste aus Erzählungen, wie es in der dunklen Vergangenheit der Jäger um Gefangene bestellt gewesen war.

Die Kerker hatten damals Grauen bedeutet, Qualen und unerträgliche, zum Wahnsinn treibende Angst. Unzählige Legenden rankten sich um diesen Teil des Schlosses, da nur wenige jemals lebendig wieder daraus hervorgekommen waren. Es hieß, das dort unten seelenfressende Monster hausten, oder das die Henker keine Norena waren, sondern boshafte Geister, die irgendwie von der Ebene des Grauens entkommen waren. Noch weniger wussten, dass diese Legende bis zu einem kleinen Teil der Wahrheit entsprach...

Mühsam lenkte sie ihre Gedanken in eine andere Richtung. Der Weg zu den Kerkern... Wo war nur die versteckte Treppe zu den unteren Räumlichkeiten? Es dauerte nur Sekunden, bis sie ihrer Erinnerung den Weg entrissen hatte.

Wieder zweigte ein Gang ab und sie bog geduckt in jenen ein. Hastige Blicke nach allen Seiten. Noch immer niemand zu sehen.

Wo waren nur all die übermächtigen Feinde? Waren es doch nicht so viele, wie alle geglaubt hatten? Vielleicht hatte jeder vier oder fünf Abbilder von sich erzeugt, Klone, die nach einer gewissen Zeit wieder verschwanden? Gwaihir hatte doch davon berichtet, dass die Feinde ausgezogen waren, um die Drachen zu vernichten. Durch das Ablenkungsmanöver waren ebenfalls viele ausgerückt. Diese Nacht war perfekt für einen Einbruch ohne gesehen zu werden.

Der Gang wurde dunkler, das Licht kränklicher. Die Luft war erfüllt von einer schrecklichen Vorahnung und sogar die Bilder schienen ihr feindselig nachzublicken. Undurchsichtige Schatten lauerten in den Ecken, doch Amber schenkte ihnen kaum Beachtung.

Ihre Schritte schienen von der Luft im Gang erstickt zu werden, die Veränderung der Aura dieses Korridors vibrierte unangenehm in ihren Schnurrhaaren. Der Atem des Drachen fuhr durchdringend durch das Schloss und erkaltete, er war voll von der Kunde der Feinde, die das Schloss nun bewohnten. Plötzlich erstarben die Erinnerungen und räumten einem loderndem Hass das Feld. Wie konnte es ein anderes Volk nur wagen, die Königin der Jäger in einem Kerker einzusperren, in ihrem eigenen Kerker, in dem schreckliche Dinge hausten?! Die Anwesenheit der Sith lag wie ein widerlicher Gestank in der Luft, durchdrang den geistigen Schutzschild, mit dem Amber ihren Hass eindämmte und raubte ihr fast den Atem. Ein böser Geist hatte sich im Schloss einquartiert und dort, in den verwundenen Gängen die damals noch unzählige fantastische Geheimnisse verborgen hatten, nistete nur noch eine undefinierbare Drohung, deren Gestalt man erst zu Gesicht bekam, wenn es bereits zu spät war. Die Gefahr wurde ihr nun wirklich bewusst und die Befürchtung eines schnellen Todes nahm schärfere Konturen an.

Der Wind trug ihr die Kunde eines neuerlichen Geruches zu und noch ehe ihr Gehirn die Nachricht wirklich verarbeitet hatte, hörte sie schon die Schritte eines näher kommenden Feindes. Das Gerüst des mühsam aufgebauten Mutes brach in sich zusammen und es blieb nur noch das Gefühl rasender Angst. Ihre strahlend-blauen Katzenaugen weiteten sich und ihr Fell sträubte sich zum Zeichen äußerster Panik.

Was nun? Wohin gehen?

Der Klang schleifender Schritte kam bedrohlich immer näher, sie konnte sogar schon den keuchenden Atem eines Wächters hören, der sich mühsam durch den Gang schob.

All ihre Sinne schrien nach Flucht, doch Amber konnte einfach nicht ihrer inneren Stimme folgen. Was sollte sie nur machen?

Warum bist du überhaupt hierher gekommen?, fragte sie sich selbst.

Du wusstest doch, dass du früher oder später kämpfen musst. Oder denkst du wirklich, dass dir die beiden Schutzgötter Unbesiegbarkeit schenken? Entweder du bewegst dich jetzt weg von hier und versteckst dich oder schließt mit deinem Leben ab. Schon wieder... Und dann gehst du zurück zu den anderen.

Leichte Verwunderung keimte auf.

Zurück zu den anderen? Ohne meine Mutter? In keinem Fall!!!

Die Bedrohung kam näher.

Du willst dich nicht zurückziehen? Dann musst du dich trotzdem bewegen!

Ich werde nicht...

Ja, ja... Steh auf. Amber, steh auf und such dir ein Versteck!

Sie führte ein Streitgespräch mit... Mit wem?

Wer bist du?

Ein Freund. Bitte, vergiss deine Angst, ich bin mit dir.

Diese Stimme... Genau jene hatte doch...

Der Tempel des Ursprungs... Jener Krieger, der ihr als Bajar vorgestellt worden war. Sie riss die Augen noch weiter auf und musterte nun mit mehr Genauigkeit den leeren Gang. Dunklere Umrisse hoben sich von den Schatten ab. Etwas schimmerte an der linken Seite des Flurs.

Eine Tür?

Es schien, als wäre dort der Weg in die Freiheit, ein Pfad in die Sicherheit und neue Hoffnung.

Ja, geh dort hin und versteck dich.

Sie roch ihren eigenen Angstschweiß, der aus sämtlichen Drüsen quoll. Endlich erhob sie sich auf zitternde Beine und bewegte sich auf den letzten Ausweg zu. Der Geruch des Feindes drang ihr schon fast beißend in die Nase und vergiftete ihre Gedanken.

Geh schon! Tu es für deine Mutter!

Ein Stich in ihrem Herzen. Als hätte sie jemand getreten schlich sie weiter, die trampelnden Schritte hämmerten auf ihr Trommelfell ein. Eine andere Stimme kam aus den Untiefen ihrer Seele herauf.

Warum stellst du dich nicht dem Feind? Er kann es in keinem Fall mit der Tochter der Schatten aufnehmen! Du wirst ihn zerquetschen!

Ich bin nicht die Tochter der Schatten. Ich bin Amber, eine Jägerin des Todes, die Tochter von Felicity, der Königin der Norena. Und ich werde mich zurückziehen, denn ich bin nicht allmächtig und kann kein großes Risiko eingehen. Viele meiner Freunde warten nämlich auf mich und ich will sie nicht enttäuschen.

Bestürzt versuchte sie sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie plötzlich mit einem Teil ihrer Seele ein Streitgespräch führte, der bis vor wenigen Wochen noch in tiefster Dunkelheit gelegen hatte.

Ich werde die Stimmen einfach ignorieren... Ich bin doch nicht verrückt.

Kopfschüttelnd wandte sie sich der unangenehmen Möglichkeit zu, gefangen zu werden und welche Folgen daraus entstehen würden. Bei einer Gefangennahme würden die Sith sie sicherlich in den Kerker sperren. Nun ja, dann war sie zumindest dort, wo sie hinwollte. Aber trotzdem, in spätestens drei Stunden würde sie die Kontrolle über ihren Körper verlieren und samt ihrer Kraft ein Leben in den Wäldern beginnen oder als Schoßkatze für die Sith dienen und ihre Essensreste fressen. Sie schauderte. Sogar der Tod war besser als solch ein würdeloses Leben Endlich erreichte sie die Tür und erhob sich vorsichtig auf ihre Hinterbeine um mit den Vorderfüßen die Türklinke herunterzudrücken. Lautlos schwang die weiße Tür nach innen und gab den Blick in den dunklen Raum frei. Ein schwacher Lichtstrahl fiel in das Zimmer und beleuchtete einen riesigen Tisch an dessen Seiten unzählige Stühle aufgereiht waren. Es war eines jener Zimmer, das für die Feste der Krieger diente und einst nahezu jeden Abend betrunkenen Kriegern so etwas wie einen Schlafplatz gestellt hatte. Leise trat sie in den Raum hinein und stieß mit einer unnatürlichen Bewegung ihres Kopfes die Tür zu. Ein Geräusch ertönte, das etwas endgültiges in sich hatte, und das Zimmer lag plötzlich vollkommen im dunkeln. Nur ein schwacher Schein von kränklichem Sternenlicht fiel in steilem Winkel durch eines der unzähligen, kleinen Fenster, die sich an der einen Seite des Zimmers aufreihten. Sie sog noch einmal die Luft ein und erkannte, das dieses Zimmer schon lange keiner mehr betreten hatte.

Kein Sith... Kein Jäger... Und zwar schon seit Ewigkeiten... Sogar durch das massive Holz-Stahlgemisch der Tür konnte sie den fremden Krieger erspüren.

Dreh um... Bitte...

Er näherte sich. Die Jägerin sprang vor Schreck auf, als sie die Vibrationen des Bodens fühlte, die seine Schritte erzeugten. Amber glitt lautlos unter den Tisch und lugte aus weit aufgerissenen Augen darunter hervor.

Er hat das Klicken der Tür gehört, als sie ins Schloss fiel, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte Angst... Ein beschämendes und zugleich vernichtendes Gefühl. Der mentale Damm brach und die mühsam zurück gehaltenen Aggressionen überschwemmten ihre Vernunft. Das Gefühl der vernichtenden Kraft kehrte zurück, doch diesmal schien sie beschränkte Kontrolle darüber zu haben. Doch ein rasendes Verlangen nach Blut ergriff sie. Es war so fordernd und alles einnehmend, dass es ihr schwer fiel zu warten, bis der Wächter hereingekommen war.

Ich darf ihn nicht töten...

Der Feind besiegelte sein Schicksal, als er sich jenem Zimmer zuwandte, in dem Amber Obdach gesucht hatte. Langsam schwang die Tür nach innen auf, doch nicht so makellos und leise wie zuvor. Ein durchdringendes Knarren verriet jedem Wesen in nächster Umgebung, dass diese Tür geöffnet wurde. Der Umriss einer Gestalt hob sich vom Hintergrund strahlendem Mondlichts ab. Die Jägerprinzessin presste ihre Lider zusammen, denn sie wusste, dass ihre Augen rot aufglühten. Doch die Gestalt des Feindes hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt, sie sah ein ahnungsloses Opfer, das viele ihrer Freunde getötet hatte.

Komm nur... Komm herein... Ich warte auf dich...

Und er kam. Langsam und prüfend. Er schritt in das Zimmer hinein, hörte wie die Tür ins Schloss fiel und vernahm plötzlich ein Geräusch, das einem Donnergrollen gleich kam. Zwei dunkelrote Lichter glühten unter dem Tisch hervor und lähmten ihn. Eine Katze kam unter dem Möbelstück hervor, schleichend wie der Tod, der ihr Begleiter war.

Der Sith riss seine dunkelgrauen Augen auf, vor sich sah er jenen Alptraum, der ihn seit geschlagenen vier Jahren Nacht für Nacht heimsuchte. Er verfolgte seine letzten Minuten mit der Verwunderung, das Gefühl zu haben, den Zeitpunkt seines Todes schon seit Jahren zu kennen und dieses Wissen tief in seinem Unterbewusstsein vergraben zu haben. Er war völlig ruhig, auch wenn sich der Tiger nur wenige Meter von ihm entfernt wie eine Sprungfeder zusammenzog und sich zum Angriff vorbereitete. Ambers Augen leuchteten in solch einem beängstigendem Rot, als wäre das Feuer aus den Tiefen der Hölle heraus in ihre Pupillen geraten.

Er wartete auf sein Ende, doch es geschah nichts. Amber stand wieder auf, schien es sich anders überlegt zu haben und verweilte reglos an der gleichen Stelle. Langsam wandte er sich der Tür zu, griff blitzschnell nach dem Türgriff, doch ehe er ihn erreicht hatte spürte er, wie sich spitze Zähne in sein Bein bohrten und ihn zurückrissen. Er schrie auf und verlor sein Gleichgewicht. Ein paar endlose Sekunden rang er mit der Schwerkraft, doch ein neuerlicher Zug am Bein ließ ihn endgültig seinen Schwerpunkt verlieren. Der Sith prallte mit dem Kinn gegen die Tür, brach sich den Unterkiefer und rutschte am noch immer geschlossenen Ausgang zu Boden.

Etwas für ihn völlig fremdes machte sich in ihm breit, etwas, das ihm sein logisches und kühles Denken verwehrte, ihm sogar nur den einen Gedanken übrig ließ: Renn weg und rette dich! Die Katze rüttelte weiterhin an seinem Bein, als wollte sie es ihm ausreißen. Er trat mit seinem zweiten Fuß nach dem Kopf Mondschattens, ohne wirklich zu glauben, dass diese Aktion eine Reaktion hervorbringen würde. Doch tatsächlich, die Gesetze der Physik schienen endlich wieder ihren natürlichen Bahnen zu folgen, ließ die Großkatze von ihm ab und blickte ihn aus rot glühenden Augen an. Ambers Zähne waren rot, sogar ihr feines Fell war blutbefleckt. Sie nahm wieder ihre alte Position ein, kauerte sich auf den Boden und starrte ihn an. Der Sith nutzte die Gelegenheit, um seine Beine aus Ambers Reichweite zu bringen und presste sie eng an seinen Körper. Währenddessen ließ er die Großkatze nicht aus den Augen und tastete nach der Klinke, um die Tür zu öffnen. Er streckte sich, denn er wagte nicht, aufzustehen. Der Sith fühlte etwas kaltes an seiner Handfläche und blickte einen kurzen Moment lang erleichtert auf. Während dieser Sekunde hörte er ein letztes Geräusch und plötzlich wurde es dunkel. Die Jäger erreichten das Rebellenquartier erst lange nach Sonnenaufgang. Während ihres Rückwegs hatten sie viele Umwege in Kauf nehmen müssen, denn die Wächter waren zurückgekehrt. Die Heerschar war in jeder neuen Gasse angewachsen, da sie an alle Türen geklopft hatten, um die Bewohner der Häuser zum mitkommen aufzufordern. Nahezu jeder Jäger war dem Aufruf gefolgt und befand sich nun auf dem Weg in eine vielversprechende Zukunft oder zumindest hatte er die Gelegenheit, einen ehrenvollen Tod zu sterben. Als Letzte gingen Ambers beste Freunde als wollten sie ,so lange wie es möglich war, in greifbarer Nähe zu ihr sein. Doch sie wussten, dass es nur eine Illusion war, denn wenn der Jägerin nun etwas zustieß, konnte ihr niemand mehr helfen. Keiner von ihnen sprach ein Wort, als trauerten sie um einen verstorbenen Freund. Der König war unter ihnen, begleitet von seinem letzten verbliebenen Wächter und hing ebenfalls trüben Gedanken nach.

Eigentlich hatte ihn der Beschluss Ambers überhaupt nicht verwundert, es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie ihren Sturkopf durchsetzte und alleine Spaß hatte. Sie wollte wirklich nichts teilen, nicht einmal einen Haufen von Feinden, wo doch genug für jeden da war. Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, doch er schaffte es, das hartnäckige belustigte Gefühl zu verdrängen. Wenn man ihn Lächeln sah, würden ihn die Jäger töten.

Warum lächelte er überhaupt?

Die Jägerprinzessin würde sterben, so sicher wie die Sonne im Westen unterging, und er... grinste vor sich hin?! Ich glaube nicht, dass sie stirbt... Sie würde es sich nicht gestatten. Nicht gestatten? Ich bin verrückt... Obwohl... Sie hat Kräfte, die einer anderen Sorte als die meinen es sind angehören... Vielleicht...

Nein. Ich werde mich damit abfinden, wie ich es immer getan habe. Alle Lebewesen sterben nun einmal. Das ist der Lauf der Dinge. Soll ich aufhören zu leben, nur weil sie gestorben ist? Ich würde so etwas nicht wollen. Wenn ich tot bin, ist das Spiel für mich aus, aber warum sollten andere aufhören zu leben? Sie sollten mich vergessen und weitermachen, bis ihre Zeit gekommen ist. Ich bin sicher, sie denkt genauso.

Durch diesen Gedanken hatte er es immer verkraftet, Freunde sterben zu sehen. Er war immun geworden gegen das nagende Trauergefühl und hatte gelernt einen Verlust ohne aufgearbeitet zu werden, zu den Akten zu legen. Etwas in ihm legte energischen Widerspruch ein. „Sie wird nicht sterben..."„Nein. Sie wird morgen zu uns zurückkehren und ihre Mutter mitbringen."Vegeta blickte fragend auf. Hatte er den letzten Gedanken laut ausgesprochen? Es schien so. Er erwiderte nichts darauf und so schwieg Pierre ebenfalls vor sich hin. Die Jägerschar schlich die verstaubte Treppe hinauf und erreichte so die oberen Räumlichkeiten, die Hauptzentrale der Rebellenbewegung. Vegeta stieß sich seinen Weg bis ganz nach vorne frei und betrat den Raum als erster.

„Los Leute, macht euch fertig!"fragende Blicke antworteten. „Wir werden in die Wälder fliehen!"erklärte Jim. „Fliehen? Niemals!"Die geballte Aufmerksamkeit von mehr als zweihundert Kriegern richtete sich auf Tenka. „Gut, dann bleibst du eben hier."erwiderte Vegeta schlicht. Er hatte beschlossen, sich nicht mehr wegen des pubertierenden Verhaltens der vorlauten Jägerin ärgern zu lassen. Sie starrte ihn wütend an. „Deine bösen Blicke sind kaum zu übertreffen, aber Amber schlägst du nicht. Sie hat mich oft so angesehen und ich muss sagen, das Feuer in deinen Augen ist mickrig."Sein Tonfall troff vor Ironie. Tenka zog sich zurück und räumte so das Feld dem ältesten Jäger. „Entschuldige bitte ihr Verhalten."Der König schüttelte ärgerlich den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Halte sie mir lieber vom Leib, sonst wirst du sie eines Tages halb tot in irgendeiner Ecke finden."Er ging nicht darauf ein. „Wo ist Amber?" Vegetas Miene veränderte sich. Der Alte zog die Augenbrauen zusammen und sah plötzlich recht furchterregend aus. „Du hast sie im Stich gelassen? Warum verdammt noch mal? Hattest du nicht den Mumm, ihr zu folgen? Egal wo sie jetzt ist, sie könnte dich brauchen! Und du bist hier, in Sicherheit, willst mit uns in die Wälder fliehen! Und du willst ein König sein?"Die Stimme des Saiyajin war nun wieder fest und stolz. „Sie wollte nicht, dass ich ihr folge. Eure Prinzessin braucht mich nicht, sie braucht nur ihren freien Willen und den Wind."Tenka erhob ihre einnehmende Stimme. „Und was könnte ihr der freie Wille oder der Wind helfen? Wind kann nicht sehen, Wind kann nicht schlagen. Wir werden..."„Kleine, du kennst Amber nicht. Du hast deine Zeit immer nur damit verschwendet, sie zu hassen und sie zu beneiden. Sie wollte niemanden bei sich haben, um ganz sicher zu sein, es wirklich zu schaffen. Und wenn nicht, nur ihr eigenes Leben in Gefahr zu sehen. Ihr seht es als selbstverständlich an, aber Amber vergisst durch euch zu leben. Sie weiß, dass ihr nicht in der Lage wärt, zusammen zu bleiben und selbstständig zu agieren, wenn sie euch alleine ließe. Ihr fresst sie auf, mit jedem neuen Tag wächst das Verlangen nach Einsamkeit. Sie sah in der letzten Nacht eine Gelegenheit zur Flucht, ihr alleine seid schuld, dass sie diese ergriffen hat. Aber doch war ihre Sorge um uns alle noch so groß, dass sie daran erinnert hat, in die Wälder zurückzukehren. Und Jäger, ich sage euch, das sollten wir tun."Die Jäger schwiegen und starrten trübsinnig vor sich hin. Ausgerechnet ein Fremder musste so etwas sagen und sie alle konnten nicht einmal etwas erwidern. Er hatte recht, sosehr wie wenn ein Vogel etwas von der Beschaffenheit des Windes sagte.

„Brüder und Schwestern, zur nächsten Abenddämmerung brechen wir auf."Der letzte ausgesprochene Satz hallte noch immer im Zimmer, während sich die Angesprochenen aufsetzten und den Anweisungen des Ältesten Folge leisteten. Sie verließ den Raum, stürmte nahezu in Panik unachtsam auf den Gang hinaus und rannte ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen, in Richtung der Kerker. Hilflos dachte sie über das nach, was sie gerade getan hatte. Schon wieder hatte sie jemanden getötet, ohne es wirklich zu wollen. Mit Ausreden hielt sie sich gar nicht erst auf, ihr fehlte einfach die Kontrolle über diese Macht. Irgendwie musste man sie doch versiegeln können... Was, wenn sie eines schönen Tages einen bitterbösen Streit mit ihrer Mutter hatte und sie sie dann umbrachte? Die Schwierigkeiten, die daraus entstehen würden, wären unermeßlich. Amber schritt weiter aus und erreichte ein Eichenportal

Endstation...

So eine riesige und vor allem schwere Tür konnte sie nicht in dieser Gestalt öffnen. Wie eine Raubkatze, die schon jahrelang in einem Käfig eingesperrt ist und noch immer nach einem Ausweg sucht, schlich sie an der Tür entlang und begutachtete jeden Zentimeter. Es half nichts. Sie erspähte nur dünne Risse, Kerben im Holz und ein paar verbogene Eisenbeschläge. Die Ritze zwischen Tür und Boden bäte nicht einmal einer Maus genug Platz, um sich darunter hindurchzuquetschen. So wandte sie der Tür den Rücken zu.

Langsam, mit wachsender Angst in den Augen, schlich sie durch den Gang zurück und blickte hektisch in alle Richtungen. Nun atmete sie wieder unkontrolliert, stoßweise und fühlte eine Atemnot in sich aufkeimen. Es ging wie von selbst, aber sie merkte, wie sich ihr Unterkiefer herabsenkte und sich ihre Zunge zwischen den Zähnen nach vorne schob. Amber hechelte wie ein Tiger in den Tiefen des Dschungels an einem besonders schwülen Tag mitten in der Trockenzeit. Gewaltsam zog sie die Zunge wieder zurück und presste die Kiefer mit einem lauten Krachen aufeinander. Es ging schon los...

Da hast du den Salat! Bildest dir doch tatsächlich ein, deine Mutter ganz alleine retten zu können! Und das in weniger als vier Stunden! Was glaubst du eigentlich, wie viel Zeit du noch hast? Na? Ich sag's dir: Es ist weniger als eine Stunde! Entweder du findest dieses Gerät oder bringst dich aus dem Einflussbereich dieser Teufelsmaschine!

Bajar. Hör auf, mich durch deine Belehrungen zu entmutigen. Ich finde einen Weg! Nicht umsonst ist mein Name Mondschatten! Tja, leider wirst nicht einmal du von der Macht der Sith verschont werden! Ich lasse es auf einen Versuch ankommen! Aber ich merke doch, wie dich die Angst durchströmt. Sie... Amber würgte die fremde Stimme in ihrem Kopf ab und bog wieder in den Hauptgang ein. Dann würde sie es eben von der anderen Seite her versuchen! Die Schatten krochen näher an sie heran, schmiegten sich an ihren Körper und verwehrten jedem den Blick auf die schleichende Gestalt, die sich verbotenerweise im Schloss aufhielt. Tatsächlich... Horus schenkte ihr den Deckmantel der Unsichtbarkeit. Seltsam... Sie fühlte sich nicht anders als sonst. Eher ängstlicher, verletzlicher und fremden Blicken mehr ausgeliefert als üblich. Die Jägerin schluckte mehrmals, aber der Klos in ihrem Hals blieb bestehen. Kälte drang durch ihre Beine und machte die sonst so stählernen Muskeln weich und zaghaft. Die Luft wurde schneidender und brachte ihr die Botschaft, dass der Ausgang nicht mehr weit entfernt war. Der Flur wurde niedriger, er führte zu einem einzelnen Fenster an der Kopfseite hin und endete dort ohne jegliche Abzweigung nach links oder rechts. Den Sith musste dieser Korridor sinnlos vorgekommen sein, ein unbrauchbarer Gang mitten in einem bis oben hin bewohnten Schloss, in dem jeder noch so geringe Platz gebraucht wurde. Stumpfsinnig wie sie waren, hatten sie nicht bemerkt, dass man von diesem Fenster aus den Mond sehen konnte, wo immer sich der Himmelskörper auch befand. Bestimmt hatte niemand einen Blick durch das verzauberte Kristallglas geworfen, bevor man es zerstört und eine unschließbare Lücke in der Kultur der Norena zurückgelassen hatte. Doch die Wut, die Amber anfangs über jede noch so kleine Zerstörung in der Stadt empfunden hatte, war schwach geworden. In Bezug auf solche Ärgernisse spürte sie nur noch ein taubes Gefühl, das ihr bei näherer Überlegung als seltsam aufgefallen wäre. Doch die Jägerin hatte keine Zeit, sich über das Ausbleiben ihres Temperaments zu wundern. Gierig sog die Jägerprinzessin die warme Luft des Nachmittags ein, doch erlaubte sie sich keine Pause. Ein kräftiger Sprung und sie landete auf einem eher beängstigend dünnen Ast eines Baumes, der in nächster Nähe zum Hauptsitz der Königsfamilie wuchs. Sie hielt sich nicht mit mühsamen herunterklettern auf, sondern ließ sich einfach fallen. Sie drehte sich in der Luft, wie es nur Katzen können, und kam auf allen Vieren unten an. Trotzdem erklang ein dumpfer Ton und hätte sie bestimmt verraten, wäre sie nicht sofort losgelaufen um Schutz vor dem Feind zu suchen.

Minuten später stand sie an jener Seite des Schlosses, an der die Treppe zu den Kerkern hinunterführte. Hier musste eine große Anzahl von Fenstern sein, die dazu bestimmt waren, dem Sonnenlicht Einlass zu gewähren. Vor langer Zeit einmal, auf einem ihrer ersten Streifzüge auf dem Schlossgelände, hatte sie eines gesehen, das in tausend Splitter zerbrochen war. Die Lücke hatte eine gewisse Anziehung gehabt und schrecklich geheimnisvoll gewirkt. Da war Jim an sie herangetreten, hatte sie mit den Zähnen am Nackenfell gepackt und zurückgezogen. Auf ihre drängenden Fragen hatte er nur stets geantwortet, dass dort unten die Kerker waren und das Fenster wegen Amber wieder verschlossen werden würde. Doch sie wusste, dass dies niemals geschehen war und setzte somit ihre ganze Hoffnung auf die Unzuverlässigkeit der feindlichen Wächter. Hätte sie ihre andere Gestalt gehabt und somit die Möglichkeit, durch ihr Mienenspiel Einblick auf ihr Gefühlsleben zu geben, so hätte sie bestimmt elend wie der Tod ausgesehen.

Vor dem zerbrochenen Fenster lehnte eine 20cm dicke Steinplatte und versiegelte den einzigen noch möglichen Weg zu den Kerkern. Traurig ließ sich Amber im Gras nieder, rieb ihren Kopf an den Vorderfüßen und schlug wild mit dem Tigerschwanz hin und her. Nach einer Weile stand sie auf und wanderte rastlos an den Fenstern auf und ab. Sie inspiezierte jeden Millimeter und stieß trotzdem auf massiven Stein. Nach vielen endlosen Minuten kauerte sie sich auf den Boden und blieb reglos liegen. Ihre blauen Augen blitzten flehend zu den Fenstern hinüber, doch sie wusste, dass ihr letzter Weg für immer verschlossen war. Ambers Zeitgefühl schwand von Sekunde zu Sekunde und sie wartete auf ihr Schicksal. Niemals würde sie es schaffen, in fünfzehn Minuten die Stadt zu verlassen und in den Schutz der Wälder zurückzukehren.

„Du willst nun wohl endgültig verschwinden, um der Verantwortung zu entfliehen, was? Nein? Dann sieh zu, dass du rechtzeitig wieder zurück bist, sonst wirst du die Hölle erleiden. Denk an meine Worte und zwar auch in deinem Interesse." Das Gesicht des Königs, schärfer als je zuvor, tauchte vor ihrem inneren Auge auf und zeigte plötzlich einen Ausdruck, den sie bisher vollkommen verdrängt hatte. Er hatte besorgt gewirkt, als er dies zu ihr sagte, ja, fast schon ängstlich. Wahrscheinlich hatte er gewusst, wie es mit ihr zu Ende gehen würde. Er zeigte jetzt schon eine hochempfindliche Wahrnehmung in Bezug auf zukünftige Ereignisse, welche nur wenige, alte und erfahrene Jäger zu Tage legten. Ambers Blut hatte ihre Wirkung getan. Nur, dass Vegeta die Eigenschaften eines Jägers so vollkommen übernommen hatte, zeigte sein Vertrauen zu einem Lebewesen, das er vor vielen Jahren zum ersten Mal getroffen hatte. Sicherlich verhielt er sich nun in Gegenwart der Jägerschar unüberlegt oder ihnen viel zu ähnlich. Viele wussten von seinem unverbesserlichem Stolz, seiner überheblichen Art und wenn es sein musste, seiner tödlichen Grausamkeit. Ja, er würde auffallen wie ein Löwe in einer Herde voller Gnus. Die Sonne brannte herunter, heizte ihr Fell unangenehm auf und machte sie schläfrig. Die Jägerprinzessin wollte sich in den Schlaf treiben lassen, um ein letztes Mal in die Felder der Träume zu gelangen und zu sehen, was geschehen würde. Bestimmt gestatteten Artemis und Horus ihr diesen letzten Wunsch, bevor sie für immer in trügerischen Empfindungen versinken würde. Vielleicht konnte sie einen letzten Blick auf ihre Freunde werfen um zumindest mit dem Wissen zu gehen, dass sie alle in Sicherheit waren.

Sie gähnte, riss ihr Maul auf und entblößte höchst angsteinflößende, blitzende und dolchähnliche Zähne. Langsam entspannte sie sich, fühlte die ersten Wellen des Schlafes, die über sie hinweg wogten. Ihre Angst verging, irgendwie würden sie ihre Instinkte am Leben erhalten und vielleicht konnte Mondschatten in einem Augenblick, in dem sie die Kontrolle zurück erlangte erkennen, ob die Jäger wieder glücklich und frei waren. Es stand ihr kein schönes Leben bevor, zugegeben, aber trotzdem würde sich das Rad des Schicksals weiter drehen, andere talentierte Kämpfer hervorbringen und vielleicht würde einmal einer kommen, dem die Kraft der Monde geschenkt war. Irgendwann würden die Sith verschwinden, denn wenn die Jäger nicht schafften, die Feinde aus dem Land zu vertreiben, dann würden es die Geister selbst tun. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die alten Mächte erwachten und wieder Frieden einkehren ließen. Irgendwann... In ferner Zukunft, oder vielleicht niemals. Für sie selbst würde es keine Rolle mehr spielen...

Jim und Pierre... Ich hoffe, dass ihr nicht durch die Hand eines Feindes den Tod finden werdet... Ich wünsche euch ein langes Leben oder einen kurzen Tod. Ihr sollt nicht leiden, nur weil ich versagt habe... Ihr Mächte des Ursprungs... Bitte vergebt mir...

Das Feuer in ihren Augen erlosch und ließ nur noch ein Glänzen zurück, das zeigte, dass dort einmal die wilde Flamme des Lebens gelodert hatte. Schwerfällig schlossen sich die Lider und im verbrannten Gras lag ein schlaffer Körper, dessen Seele sich für die letzte Wanderung bereit machte.

Ende Part 18