Wirklich egal?!
Teil 6
Leise schloss Shuichi die Tür hinter sich. Er hatte die letzte Nacht bei Hiro verbracht. Er hätte es einfach nicht ertragen Yuki vielleicht am Morgen über den Weg zu laufen. Mit zügigen Schritten setzte er sich in Bewegung.
Es war noch recht dunkel. Die ersten Sonnenstrahlen lugten über die Baumwipfel. Die Vögel zwitscherten und die ersten Menschen machten sich auf den Weg zu ihrer Arbeit. Doch das alles bemerkte Shuichi gar nicht. Er war mit seinen Gedanken ganz wo anders.
Als er die Villa erreichte, öffnete eine überraschte Lila die Tür.
"Huch, Shuichi, was machst du denn schon so zeitig hier? Na, komm erst mal rein."
"Ich weiß auch nicht. Konnte halt nicht mehr schlafen."
Ein Lächeln erschien auf Shus Gesicht. Ein falsches Lächeln.
"Na dann kannst du dich ja schon mal umziehen. Ryuichi kommt bestimmt auch bald. Dann können wir ja schon zeitiger anfangen."
Mit leichtem Druck scheuchte Lila Shuichi in die Umkleidekabine. Den besorgten Blick von Lila bekam dieser gar nicht mehr mit. Etwas stimmte nicht. Da war sich Lila sicher. Dass Ryuichi zeitig kam, kannte Lila ja, aber Shuichi? Der erschien sonst immer auf dem letzten Drücker. Was war letzte Nacht passiert?
Lila wurde aus den Gedanken gerissen als es erneut an der Tür klingelte. Wie erwartet, stand dort der grünhaarige Sänger.
"Guten Morgen, Lila!"
"Guten Morgen, Ryuichi. Sag mal, was ist letzte Nacht passiert?"
"Hn?"
Fragend sah Ryuichi Lila in die Augen.
"Ich meine, Shuichi. W-"
"Ist der etwa schon da?"
Überrascht war Ryuichi aufgesprungen und in die Umkleide gerannt. Der ältere Sänger hatte sich letzte Nacht schreckliche Sorgen um Shuichi gemacht, als er bemerkte, dass dieser fehlte. Er hatte die ganze Disco abgesucht und später noch die umliegenden Straßen. Doch er hatte ihn nicht gefunden. Mit einem unguten Gefühl war er dann nach Hause gegangen und hatte sich hingelegt.
Mit einem lauten Krachen kam er in die Umkleide gestürzt, in der sich Shuichi gerade anzog. Mit einer halbgeöffneten Hose stand er mit im Raum und sah...sexy aus. Sofort schoss eine leichte Röte in das Gesicht des herein stürmenden Sängers.
"Oh, sorry. Aber ich hab mir schreckliche Sorgen gemacht. Du warst gestern einfach verschwunden. Was ist denn passiert?"
Mit zwei raschen Schritten war an Shuichi ran getreten, stand diesem nun gegenüber und schaute ihm direkt in die Augen. Mit einem sorgenvollen Blick musterte er den Pinkhaarigen.
"Tut mir leid, ....aber lass uns heute Abend darüber reden, ja?"
Obwohl Ryuichi nur ungern von dem Jüngeren abließ, nickte er und dreht sich seiner Garderobe zu. Er spürte genau, dass etwas mit Shuichi nicht stimmte. Es fehlte die Fröhlichkeit und die Unbeschwertheit. Natürlich hatte Shuichi sich in den letzten Wochen und vor allem in den letzten Tagen verändert. Die Krise in dessen Beziehung machte den jungen Sänger zu schaffen. Trotzdem hatte Shuichi immer darauf geachtet seine Maske nicht fallen zu lassen. Eine Maske, die Ryuichi längst kannte. Das sich der Kleine nun so hängen ließ, bedeutete nichts Gutes.
Ein nervöses Räuspern brachte Ryu wieder in die Realität zurück.
"Sag mal, Ryuichi, könnte... ich .... äh, eventuell heute bei dir.... übernachten?"
Das verlegene Kratzen machte Shuichis Gestalt richtig niedlich. Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des Älteren. Doch viel entscheidener Gedanke kam in Ryuichi hoch. Wenn Shuichi bei ihm übernachten wollte, dann hieß das, dass irgendetwas mit Yuki war. Aber was?
Ohne sich was anmerken zu lassen, kam ein fröhliches Nicken seinerseits und schon war die Sache abgemacht.
Das Fotoshooting war genauso wie die Tage zuvor und doch war es drastisch anders. Shuichi war viel aktiver. Was Ryuichi nicht unbedingt störte. Ganz im Gegenteil, doch es wunderte ihn.
Shuichi zog Ryu eng an sich, legte seinen Arm über dessen Schulter und küsste ihn! Und das nicht nur einmal im Verlaufe des Tages. Was auch immer vorgefallen war, es muss Shu ganz schön verletzt haben, da war sich der Grünhaarige sicher.
Während des ganzen Shootings zerbrach Ryu sich seinen Kopf über Shus Verhalten. Ab und zu gingen seine Gedanken etwas verloren, vor allem dann, wenn Shuichi ihn mal wieder küsste. Er liebte diese Küsse. Wie auch nicht. Er liebte diese Person. Er liebte es, wie Shuichi sang. Wie er lachte. Er litt, wenn der Wirbelwind unglücklich und weinte. Er freute sich, wenn Shu sich über eine Kleinigkeit freute.
Und er zerbrach an der unerwiderten Liebe.
Auch der Tag ging vorüber und als Lila den Schlusspfiff ertönen ließ, konnte Shuichi ein kleines Murren nicht unterdrücken. Langsam schlenderte er in die Umkleide, versucht, die aufkommenden Gedanken an den blonden Schriftsteller zu unterdrücken. Die letzte Nacht hatte ihm gereicht. Die ganze Nacht wurde er von Albträumen verfolgt, in denen der sich Yuki an der schwarzen Schönheit erfreute. Ein abgrundtiefer Hass hatte sich in Shuichi gesammelt. Hass auf den Schwarzhaarigen. Hass, der nur die Eifersucht Shus wiederspieglte.
Wütend schüttelte der pinkhaarige Sänger den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Und was tat er? Er verfiel in Selbstmitleid.
Das Fotoshooting war gut gewesen. Es hatte in mehr oder weniger abgelenkt. Ryuichis Nähe hatte ihn abgelenkt....
Den anderen Körper an seinen zu fühlen. Die anderen Lippen zu schmecken. All das hatte ihn auf andere Gedanken gebracht. Schönere Gedanken.
Und nun stand er hier und wartete auf Ryuichi, der noch in der Umkleide stand. Ein bisschen mies fühlte er sich schon, dass er den anderen so einfach ausnutzte. Aber Ryu hatte sich ja auch nicht beschwert und so..... Wieso sollte er die Chance sich ein bisschen abzulenken nicht nutzen?
Ein Klaps auf die Schultern ließ ihn aufschauen. Der grünhaarige Sänger stand hinter ihm und grinste ihn jugendlich an. Es erstaunte Shu immer wieder, wie dieser erwachsene Mann noch so kindisch sein konnte. Doch dann, in den erntscheidenden Momenten war er ernst. Erwachsen. Reif. Und unersetzlich. Ja, Shuichi brauchte ihn. Als sein Idol und als seinen Freund. Einen Freund mit dem er reden konnte.
Langsam machten sie sich auf den Weg zu Ryuichis Wohnung. Da es schon recht spät war, gingen sie zwar den längeren Weg, aber damit auch den sicheren. Shuichi war dankbar dafür, denn so konnte er noch etwas frische Luft schnappen. Während des ganzen Weges sprachen sie kein Wort. Shuichi, weil er in Gedanken den Scheiterhaufen seines Liebesleben betrachtete und Ryuichi, weil er den Jüngeren bei eben diesen Gedanken nicht stören wollte. Er wusste, wie wichtig es war, dass Shuichi wieder ins Klare mit sich kam.
Bei der Wohnung angekommen, schloss der Ältere die Tür mit einem Handgriff auf und hielt sie Shuichi offen.
„Darf ich dir noch etwas zu trinken anbieten?"
Shuichi schmiss seine Jacke übers Sofa und nickte leicht.
„Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht."
Stumm betrat Ryuichi die Küche und füllte ein Glas mit dem gewünschten Getränk. Zu spät merkte er, dass auch Shu die Küche betreten hatte. Noch während er sich umdrehte prallte er gegen den Oberkörper von dem Kleineren und verschüttete den ganzen Inhalts seines Glases. Ein großer, dunkler Fleck schmückte jetzt das Shirt, das Shuichi anhatte.
„Oh, I'm so sorry.... Das wollte ich wirklich nicht."
Schnell stellte er das Glas beiseite, griff nach Shuichis Hand und schleifte ihn ins Bad.
„Am besten, du duschst jetzt erst mal in aller Ruhe. Ich suche dir der Weile ein paar Sachen raus und bereite die Couch vor. OK?"
Shuichi nickte nur stumm. Er hatte den Vorfall mit der Flüssigkeit gar nicht so richtig mitbekommen. Kaum hatte sich die Badtür geschlossen, begann er sich langsam auszuziehen. Sein Selbstmitleid war wieder gekommen. Hinzu noch etwas Selbstzweifel und Shuichis Stimmung war perfekt.
Als auch die Boxershorts den Boden erreichte, drehte sich der Pinkhaarige zum Spiegel und musterte sich. Er hatte sich in der letzten Zeit nicht groß verändert. Strähnen der pinken Haare fielen in das Gesicht. Die schwarzen Strähnen gaben ihm immer noch ein etwas aufreizenderes Aussehen. Sein Körper war nicht besonders durchtrainiert doch allein wegen den vielen Konzerten und damit verbunden Choreografien hatte sein Körper an Muskelmasse zugelegt. Aus dem kleinen Bübchen war ein junger Mann geworden.
Shuichi drehte sich nach links, stieg unter die Dusche und drehte sie auf eiskalt. Die Kälte tötete unangenehme Gedanken ab, ließ den Sänger aber auch extrem frieren. Rasch stieg er wieder aus der Dusche aus und trocknete sich ab.
Nur mit einem Handtuch um die Hüfte bekleidet betrat er das Wohnzimmer. Eine große, flauschige Decke und ein Kissen lagen auf dem Sofa bereit.
„Ich habe dir Sachen rausgesucht. Ich hoffe, sie passen dir einiger maßen."
Mit diesen Worten drückte ihm der Grünhaarige eine Boxershorts und ein einfaches Shirt in die Hand. Schnell schlüpfte er in die Shorts als Ryuichi nochmal kurz in der Küche verschwand um die Gläser weg zu räumen. Als sein Idol wieder aus der Küche kam, saß er selber auf der Couch und starrte vor sich hin.
„Shuichi, was ist gestern passiert?"
Ryu setzte sich neben Shuichi und schaute ihn ernst an. Wieder war die kindische Seite von jetzt auf gleich verschwunden. Es dauerte eine Weile bis Shuichi zu ihm blickte und antwortete.
„Nichts ist passiert. Ich wollte einfach nicht mehr da bleiben und bin halt gegangen."
Eine Augenbraue von Ryuichi wanderte nach oben.
„Du willst mir weiß machen, du hättest keinen Bock mehr gehabt und wärst einfach gegangen?! Und wieso konntest du mir da nicht noch Bescheid sagen. Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht und dich überall gesucht!"
Der Zweifel und auch der Vorwurf waren deutlich aus der Stimme zu hören. Shuichi senkte seinen Blick.
„Tut mir leid. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich gehe."
„Das hättest du auch bestimmt, wenn du wirklich gegangen wärst, weil es dir keinen Spaß gemacht hat. Aber das war nicht der Grund. Halt mich nicht für blöd, Shuichi."
„Das tu ich nicht. Bitte, ich möchte schlafen."
Resigniert seufzte Ryuichi als er sich erhob, Shuichi noch eine gute Nacht wünschte und im Schlafzimmer verschwand. Er konnte den Jüngeren ja schlecht zwingen mit ihm zu reden. Und wenn der Kleine nicht reden wollte, dann würde er es auch nicht. Leise schloss er die Tür hinter sich.
Shuichi legte sich nicht hin. Er war nicht müde. Ganz im Gegenteil. Er machte sich Gedanken. Vielleicht zu viele Gedanken. Er wusste auch nicht wie spät es war, als er sich erhob und die Tür zum Schlafzimmer öffnete.
Gegen seiner Erwartungen war Ryuichi noch wach..
„Shuichi? Was-"
Bevor der Sänger die Frage zu Ende stellen konnte, war Shuichi auch schon unter die Decke zu ihm ins Bett gehüpft. Vorsichtig schmiegte er sich an den noch immer etwas überrumpelten Leader von Nittle Grasper. Seinen Kopf bettete auf den Oberarm des Anderen.
„Was wird das, wenn's fertig ist?"
Shuichi schob sich noch ein Stück näher an Ryuichi.
„Es tut so verdammt weh. ... Ich habe ihn gestern gesehen. Ich dem Club, meine ich."
„Wen? Yuki?"
„Ja..... So ein Typ hatte mich angemacht. Und als ich mich genervt umgeschaut hatte, da hab ich ihn gesehen. Er war nicht alleine. Ein anderer hatte es sich auf seinem Schoß breit gemacht. Und Yuki hatte es genossen! Genossen von diesem Mistkerl berührt zu werden. Zu mir sagte er immer, er hätte keine Zeit und dann finde ich ihn mit einem anderen in einem Club wieder. Und auch noch schwarze Haare. Meine waren ihm wohl zu bunt. Und zu kindisch bin ich ihm bestimmt auch. Wahrscheinlich bin ich ihm auch nicht attraktiv genug! Bin ja schließlich nur ein dummer Bengel, der sich eingebildet hat, den großen Eiri Yuki wirklich etwas zu bedeuten! Mein Gott, wie viel Spaß muss er gehabt haben wenn er mit dem Schwarzhaarigen gevögelt hat. Ich war wohl nicht gut genug im Bett!"
Während Shuichi geredet hatte, war er immer leiser geworden, bis es nur noch ein Zischen war, was seinen verbitterten Mund verließ. Ganz im Gegenzug war seine Hand zärtlich auf Wanderschaft gegangen. Schnell hatte sie einen Weg und das T-Shirt des älteren Sängers gefunden und dort die zarte Haut verwöhnt. Und nun näherte sie sich gefährlich dem Hosenbund.
„Shuichi...."
Es war mehr ein Stöhnen als ein wehren gegen das Bevorstehende und so ließ sich Shuichi auch nicht beirren. Langsam wanderte seine Hand tiefer. Gleichzeitig glitt er auf den Körper Ryuichis.
„Sag, Ryuichi .... findest du mich.....attraktiv?"
Es waren geflüsterte Worte, die soviel Angst mitbrachten, dass es Ryu eiskalt den Rücken runter lief. Es dauerte Sekunden, Minuten, Stunden in denen er sich in den Augen des Jüngeren verlos bevor er antwortete.
„Ja, ich finde dich mehr als attraktiv."
Damit legte er eine Hand um den Nacken Shus und zog ihn zu sich runter. Ein Kuss voller Leidenschaft, Sehnsucht und Angst entflammte zwischen den beiden bevor ihr Verstand ganz ausschaltete....
Es war dunkel als Shuichi aufwachte. Tastend streckte er den Arm neben sich aus. Doch das Bett war leer. Ein Stich schoss durch sein Herz. Er kannte dieses Gefühl zu gut, alleine im Bett aufzuwachen und er hasste es.
Der Mond schenkte noch immer viel Licht obwohl er schon abnahm. Ein Schatten hob sich vom Rest des Zimmer ab. Ryuichi stand vor dem Fenster. Leise stand Shuichi auf und wickelte sich die Decke um die Hüfte, da er sonst nackt gewesen wäre.
Langsam näherte er sich seinem Idol und blieb dicht hinter ihm stehen.
„Wieso hast du das gemacht?"
Ryuichis Stimme war brüchig.
„..."
„Wolltest du Yuki damit eins auswischen? Nach dem Motto: Du gehst fremd also mache ich es auch!"
Die Wut, die in Ryuichi kochte veranlasste das Lauterwerden der Stimme. Ihm war elend zu mute. Was hatten sie nur getan.
„Ich weiß es nicht.... Ich war wütend auf Yuki, eifersüchtig auf den Schwarzhaarigen und fühlte mich so abstoßend. Ich wollte wissen, ob ich jemanden noch gefalle. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht ausnutzen. Es tut mir so schrecklich leid."
Tränen rollten über Shuichis Wangen. Er wollte sich an Yuki rächen. Und wenn er ehrlich war, dann hatte er gehofft, dass Ryuichi mit ihm schlafen würde. Doch nun, da er sah, was er angestellt hatte, konnte er es einfach nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er hatte nicht nur Yuki betrogen. Nein, er hatte auch Ryuichi, seinen Freund und Zuhörer verletzt.
„Ja, mir tut es auch leid. Denn weißt du was, Shuichi? Ich liebe dich. Ich war all die Jahre in dich verliebt. Ich habe versucht, die Gefühle zu verstecken. Doch das klappte nicht. Und dann habe ich gehofft, dass Yuki irgendwann mal von dir genug hätte und ich dir meine Liebe geben könnte. Ich hatte gehofft. Und wenn die Hoffnung auch winzig klein war. Doch nun weiß ich, dass es dumm war zu hoffen, dass du meine Gefühle irgendwann mal erwidern würdest. Diese nacht hat es mir gezeigt. Denn hättest du auch nur ein Bruchteil Zuneigung für mich, dann hättest du mir das nicht angetan."
Mit diesen Worten drehte sich Ryuichi um und verließ das Schlafzimmer ohne Shu eines Blickes zu würdigen.
Shuichi stand zitternd wie Espenlaub in seiner Decke gewickelt und versuchte das eben gehört zu verarbeiten. Sein Ryuichi liebte ihn? Sein Idol? Schon all die Jahre? Aber wieso hatte er nie was gemerkt? Nie gemerkt, dass der Ältere ihn liebte. Und nun hatte er ihn verloren. Natürlich haben sie sich beide am Sex beteiligt doch es war der Rausch und die Lust, die sie nicht nachdenken ließ. Und Shuichi war nun mal derjenige, der es angefangen hatte. Vielleicht würden sie Freunde bleiben, wenn Gras über die Sache gewachsen war, doch ihr vertrauen zu einander war zerbrochen. Und daran war ganz allein Shuichi Schuld....
Teil 6
Leise schloss Shuichi die Tür hinter sich. Er hatte die letzte Nacht bei Hiro verbracht. Er hätte es einfach nicht ertragen Yuki vielleicht am Morgen über den Weg zu laufen. Mit zügigen Schritten setzte er sich in Bewegung.
Es war noch recht dunkel. Die ersten Sonnenstrahlen lugten über die Baumwipfel. Die Vögel zwitscherten und die ersten Menschen machten sich auf den Weg zu ihrer Arbeit. Doch das alles bemerkte Shuichi gar nicht. Er war mit seinen Gedanken ganz wo anders.
Als er die Villa erreichte, öffnete eine überraschte Lila die Tür.
"Huch, Shuichi, was machst du denn schon so zeitig hier? Na, komm erst mal rein."
"Ich weiß auch nicht. Konnte halt nicht mehr schlafen."
Ein Lächeln erschien auf Shus Gesicht. Ein falsches Lächeln.
"Na dann kannst du dich ja schon mal umziehen. Ryuichi kommt bestimmt auch bald. Dann können wir ja schon zeitiger anfangen."
Mit leichtem Druck scheuchte Lila Shuichi in die Umkleidekabine. Den besorgten Blick von Lila bekam dieser gar nicht mehr mit. Etwas stimmte nicht. Da war sich Lila sicher. Dass Ryuichi zeitig kam, kannte Lila ja, aber Shuichi? Der erschien sonst immer auf dem letzten Drücker. Was war letzte Nacht passiert?
Lila wurde aus den Gedanken gerissen als es erneut an der Tür klingelte. Wie erwartet, stand dort der grünhaarige Sänger.
"Guten Morgen, Lila!"
"Guten Morgen, Ryuichi. Sag mal, was ist letzte Nacht passiert?"
"Hn?"
Fragend sah Ryuichi Lila in die Augen.
"Ich meine, Shuichi. W-"
"Ist der etwa schon da?"
Überrascht war Ryuichi aufgesprungen und in die Umkleide gerannt. Der ältere Sänger hatte sich letzte Nacht schreckliche Sorgen um Shuichi gemacht, als er bemerkte, dass dieser fehlte. Er hatte die ganze Disco abgesucht und später noch die umliegenden Straßen. Doch er hatte ihn nicht gefunden. Mit einem unguten Gefühl war er dann nach Hause gegangen und hatte sich hingelegt.
Mit einem lauten Krachen kam er in die Umkleide gestürzt, in der sich Shuichi gerade anzog. Mit einer halbgeöffneten Hose stand er mit im Raum und sah...sexy aus. Sofort schoss eine leichte Röte in das Gesicht des herein stürmenden Sängers.
"Oh, sorry. Aber ich hab mir schreckliche Sorgen gemacht. Du warst gestern einfach verschwunden. Was ist denn passiert?"
Mit zwei raschen Schritten war an Shuichi ran getreten, stand diesem nun gegenüber und schaute ihm direkt in die Augen. Mit einem sorgenvollen Blick musterte er den Pinkhaarigen.
"Tut mir leid, ....aber lass uns heute Abend darüber reden, ja?"
Obwohl Ryuichi nur ungern von dem Jüngeren abließ, nickte er und dreht sich seiner Garderobe zu. Er spürte genau, dass etwas mit Shuichi nicht stimmte. Es fehlte die Fröhlichkeit und die Unbeschwertheit. Natürlich hatte Shuichi sich in den letzten Wochen und vor allem in den letzten Tagen verändert. Die Krise in dessen Beziehung machte den jungen Sänger zu schaffen. Trotzdem hatte Shuichi immer darauf geachtet seine Maske nicht fallen zu lassen. Eine Maske, die Ryuichi längst kannte. Das sich der Kleine nun so hängen ließ, bedeutete nichts Gutes.
Ein nervöses Räuspern brachte Ryu wieder in die Realität zurück.
"Sag mal, Ryuichi, könnte... ich .... äh, eventuell heute bei dir.... übernachten?"
Das verlegene Kratzen machte Shuichis Gestalt richtig niedlich. Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des Älteren. Doch viel entscheidener Gedanke kam in Ryuichi hoch. Wenn Shuichi bei ihm übernachten wollte, dann hieß das, dass irgendetwas mit Yuki war. Aber was?
Ohne sich was anmerken zu lassen, kam ein fröhliches Nicken seinerseits und schon war die Sache abgemacht.
Das Fotoshooting war genauso wie die Tage zuvor und doch war es drastisch anders. Shuichi war viel aktiver. Was Ryuichi nicht unbedingt störte. Ganz im Gegenteil, doch es wunderte ihn.
Shuichi zog Ryu eng an sich, legte seinen Arm über dessen Schulter und küsste ihn! Und das nicht nur einmal im Verlaufe des Tages. Was auch immer vorgefallen war, es muss Shu ganz schön verletzt haben, da war sich der Grünhaarige sicher.
Während des ganzen Shootings zerbrach Ryu sich seinen Kopf über Shus Verhalten. Ab und zu gingen seine Gedanken etwas verloren, vor allem dann, wenn Shuichi ihn mal wieder küsste. Er liebte diese Küsse. Wie auch nicht. Er liebte diese Person. Er liebte es, wie Shuichi sang. Wie er lachte. Er litt, wenn der Wirbelwind unglücklich und weinte. Er freute sich, wenn Shu sich über eine Kleinigkeit freute.
Und er zerbrach an der unerwiderten Liebe.
Auch der Tag ging vorüber und als Lila den Schlusspfiff ertönen ließ, konnte Shuichi ein kleines Murren nicht unterdrücken. Langsam schlenderte er in die Umkleide, versucht, die aufkommenden Gedanken an den blonden Schriftsteller zu unterdrücken. Die letzte Nacht hatte ihm gereicht. Die ganze Nacht wurde er von Albträumen verfolgt, in denen der sich Yuki an der schwarzen Schönheit erfreute. Ein abgrundtiefer Hass hatte sich in Shuichi gesammelt. Hass auf den Schwarzhaarigen. Hass, der nur die Eifersucht Shus wiederspieglte.
Wütend schüttelte der pinkhaarige Sänger den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Und was tat er? Er verfiel in Selbstmitleid.
Das Fotoshooting war gut gewesen. Es hatte in mehr oder weniger abgelenkt. Ryuichis Nähe hatte ihn abgelenkt....
Den anderen Körper an seinen zu fühlen. Die anderen Lippen zu schmecken. All das hatte ihn auf andere Gedanken gebracht. Schönere Gedanken.
Und nun stand er hier und wartete auf Ryuichi, der noch in der Umkleide stand. Ein bisschen mies fühlte er sich schon, dass er den anderen so einfach ausnutzte. Aber Ryu hatte sich ja auch nicht beschwert und so..... Wieso sollte er die Chance sich ein bisschen abzulenken nicht nutzen?
Ein Klaps auf die Schultern ließ ihn aufschauen. Der grünhaarige Sänger stand hinter ihm und grinste ihn jugendlich an. Es erstaunte Shu immer wieder, wie dieser erwachsene Mann noch so kindisch sein konnte. Doch dann, in den erntscheidenden Momenten war er ernst. Erwachsen. Reif. Und unersetzlich. Ja, Shuichi brauchte ihn. Als sein Idol und als seinen Freund. Einen Freund mit dem er reden konnte.
Langsam machten sie sich auf den Weg zu Ryuichis Wohnung. Da es schon recht spät war, gingen sie zwar den längeren Weg, aber damit auch den sicheren. Shuichi war dankbar dafür, denn so konnte er noch etwas frische Luft schnappen. Während des ganzen Weges sprachen sie kein Wort. Shuichi, weil er in Gedanken den Scheiterhaufen seines Liebesleben betrachtete und Ryuichi, weil er den Jüngeren bei eben diesen Gedanken nicht stören wollte. Er wusste, wie wichtig es war, dass Shuichi wieder ins Klare mit sich kam.
Bei der Wohnung angekommen, schloss der Ältere die Tür mit einem Handgriff auf und hielt sie Shuichi offen.
„Darf ich dir noch etwas zu trinken anbieten?"
Shuichi schmiss seine Jacke übers Sofa und nickte leicht.
„Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht."
Stumm betrat Ryuichi die Küche und füllte ein Glas mit dem gewünschten Getränk. Zu spät merkte er, dass auch Shu die Küche betreten hatte. Noch während er sich umdrehte prallte er gegen den Oberkörper von dem Kleineren und verschüttete den ganzen Inhalts seines Glases. Ein großer, dunkler Fleck schmückte jetzt das Shirt, das Shuichi anhatte.
„Oh, I'm so sorry.... Das wollte ich wirklich nicht."
Schnell stellte er das Glas beiseite, griff nach Shuichis Hand und schleifte ihn ins Bad.
„Am besten, du duschst jetzt erst mal in aller Ruhe. Ich suche dir der Weile ein paar Sachen raus und bereite die Couch vor. OK?"
Shuichi nickte nur stumm. Er hatte den Vorfall mit der Flüssigkeit gar nicht so richtig mitbekommen. Kaum hatte sich die Badtür geschlossen, begann er sich langsam auszuziehen. Sein Selbstmitleid war wieder gekommen. Hinzu noch etwas Selbstzweifel und Shuichis Stimmung war perfekt.
Als auch die Boxershorts den Boden erreichte, drehte sich der Pinkhaarige zum Spiegel und musterte sich. Er hatte sich in der letzten Zeit nicht groß verändert. Strähnen der pinken Haare fielen in das Gesicht. Die schwarzen Strähnen gaben ihm immer noch ein etwas aufreizenderes Aussehen. Sein Körper war nicht besonders durchtrainiert doch allein wegen den vielen Konzerten und damit verbunden Choreografien hatte sein Körper an Muskelmasse zugelegt. Aus dem kleinen Bübchen war ein junger Mann geworden.
Shuichi drehte sich nach links, stieg unter die Dusche und drehte sie auf eiskalt. Die Kälte tötete unangenehme Gedanken ab, ließ den Sänger aber auch extrem frieren. Rasch stieg er wieder aus der Dusche aus und trocknete sich ab.
Nur mit einem Handtuch um die Hüfte bekleidet betrat er das Wohnzimmer. Eine große, flauschige Decke und ein Kissen lagen auf dem Sofa bereit.
„Ich habe dir Sachen rausgesucht. Ich hoffe, sie passen dir einiger maßen."
Mit diesen Worten drückte ihm der Grünhaarige eine Boxershorts und ein einfaches Shirt in die Hand. Schnell schlüpfte er in die Shorts als Ryuichi nochmal kurz in der Küche verschwand um die Gläser weg zu räumen. Als sein Idol wieder aus der Küche kam, saß er selber auf der Couch und starrte vor sich hin.
„Shuichi, was ist gestern passiert?"
Ryu setzte sich neben Shuichi und schaute ihn ernst an. Wieder war die kindische Seite von jetzt auf gleich verschwunden. Es dauerte eine Weile bis Shuichi zu ihm blickte und antwortete.
„Nichts ist passiert. Ich wollte einfach nicht mehr da bleiben und bin halt gegangen."
Eine Augenbraue von Ryuichi wanderte nach oben.
„Du willst mir weiß machen, du hättest keinen Bock mehr gehabt und wärst einfach gegangen?! Und wieso konntest du mir da nicht noch Bescheid sagen. Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht und dich überall gesucht!"
Der Zweifel und auch der Vorwurf waren deutlich aus der Stimme zu hören. Shuichi senkte seinen Blick.
„Tut mir leid. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich gehe."
„Das hättest du auch bestimmt, wenn du wirklich gegangen wärst, weil es dir keinen Spaß gemacht hat. Aber das war nicht der Grund. Halt mich nicht für blöd, Shuichi."
„Das tu ich nicht. Bitte, ich möchte schlafen."
Resigniert seufzte Ryuichi als er sich erhob, Shuichi noch eine gute Nacht wünschte und im Schlafzimmer verschwand. Er konnte den Jüngeren ja schlecht zwingen mit ihm zu reden. Und wenn der Kleine nicht reden wollte, dann würde er es auch nicht. Leise schloss er die Tür hinter sich.
Shuichi legte sich nicht hin. Er war nicht müde. Ganz im Gegenteil. Er machte sich Gedanken. Vielleicht zu viele Gedanken. Er wusste auch nicht wie spät es war, als er sich erhob und die Tür zum Schlafzimmer öffnete.
Gegen seiner Erwartungen war Ryuichi noch wach..
„Shuichi? Was-"
Bevor der Sänger die Frage zu Ende stellen konnte, war Shuichi auch schon unter die Decke zu ihm ins Bett gehüpft. Vorsichtig schmiegte er sich an den noch immer etwas überrumpelten Leader von Nittle Grasper. Seinen Kopf bettete auf den Oberarm des Anderen.
„Was wird das, wenn's fertig ist?"
Shuichi schob sich noch ein Stück näher an Ryuichi.
„Es tut so verdammt weh. ... Ich habe ihn gestern gesehen. Ich dem Club, meine ich."
„Wen? Yuki?"
„Ja..... So ein Typ hatte mich angemacht. Und als ich mich genervt umgeschaut hatte, da hab ich ihn gesehen. Er war nicht alleine. Ein anderer hatte es sich auf seinem Schoß breit gemacht. Und Yuki hatte es genossen! Genossen von diesem Mistkerl berührt zu werden. Zu mir sagte er immer, er hätte keine Zeit und dann finde ich ihn mit einem anderen in einem Club wieder. Und auch noch schwarze Haare. Meine waren ihm wohl zu bunt. Und zu kindisch bin ich ihm bestimmt auch. Wahrscheinlich bin ich ihm auch nicht attraktiv genug! Bin ja schließlich nur ein dummer Bengel, der sich eingebildet hat, den großen Eiri Yuki wirklich etwas zu bedeuten! Mein Gott, wie viel Spaß muss er gehabt haben wenn er mit dem Schwarzhaarigen gevögelt hat. Ich war wohl nicht gut genug im Bett!"
Während Shuichi geredet hatte, war er immer leiser geworden, bis es nur noch ein Zischen war, was seinen verbitterten Mund verließ. Ganz im Gegenzug war seine Hand zärtlich auf Wanderschaft gegangen. Schnell hatte sie einen Weg und das T-Shirt des älteren Sängers gefunden und dort die zarte Haut verwöhnt. Und nun näherte sie sich gefährlich dem Hosenbund.
„Shuichi...."
Es war mehr ein Stöhnen als ein wehren gegen das Bevorstehende und so ließ sich Shuichi auch nicht beirren. Langsam wanderte seine Hand tiefer. Gleichzeitig glitt er auf den Körper Ryuichis.
„Sag, Ryuichi .... findest du mich.....attraktiv?"
Es waren geflüsterte Worte, die soviel Angst mitbrachten, dass es Ryu eiskalt den Rücken runter lief. Es dauerte Sekunden, Minuten, Stunden in denen er sich in den Augen des Jüngeren verlos bevor er antwortete.
„Ja, ich finde dich mehr als attraktiv."
Damit legte er eine Hand um den Nacken Shus und zog ihn zu sich runter. Ein Kuss voller Leidenschaft, Sehnsucht und Angst entflammte zwischen den beiden bevor ihr Verstand ganz ausschaltete....
Es war dunkel als Shuichi aufwachte. Tastend streckte er den Arm neben sich aus. Doch das Bett war leer. Ein Stich schoss durch sein Herz. Er kannte dieses Gefühl zu gut, alleine im Bett aufzuwachen und er hasste es.
Der Mond schenkte noch immer viel Licht obwohl er schon abnahm. Ein Schatten hob sich vom Rest des Zimmer ab. Ryuichi stand vor dem Fenster. Leise stand Shuichi auf und wickelte sich die Decke um die Hüfte, da er sonst nackt gewesen wäre.
Langsam näherte er sich seinem Idol und blieb dicht hinter ihm stehen.
„Wieso hast du das gemacht?"
Ryuichis Stimme war brüchig.
„..."
„Wolltest du Yuki damit eins auswischen? Nach dem Motto: Du gehst fremd also mache ich es auch!"
Die Wut, die in Ryuichi kochte veranlasste das Lauterwerden der Stimme. Ihm war elend zu mute. Was hatten sie nur getan.
„Ich weiß es nicht.... Ich war wütend auf Yuki, eifersüchtig auf den Schwarzhaarigen und fühlte mich so abstoßend. Ich wollte wissen, ob ich jemanden noch gefalle. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht ausnutzen. Es tut mir so schrecklich leid."
Tränen rollten über Shuichis Wangen. Er wollte sich an Yuki rächen. Und wenn er ehrlich war, dann hatte er gehofft, dass Ryuichi mit ihm schlafen würde. Doch nun, da er sah, was er angestellt hatte, konnte er es einfach nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er hatte nicht nur Yuki betrogen. Nein, er hatte auch Ryuichi, seinen Freund und Zuhörer verletzt.
„Ja, mir tut es auch leid. Denn weißt du was, Shuichi? Ich liebe dich. Ich war all die Jahre in dich verliebt. Ich habe versucht, die Gefühle zu verstecken. Doch das klappte nicht. Und dann habe ich gehofft, dass Yuki irgendwann mal von dir genug hätte und ich dir meine Liebe geben könnte. Ich hatte gehofft. Und wenn die Hoffnung auch winzig klein war. Doch nun weiß ich, dass es dumm war zu hoffen, dass du meine Gefühle irgendwann mal erwidern würdest. Diese nacht hat es mir gezeigt. Denn hättest du auch nur ein Bruchteil Zuneigung für mich, dann hättest du mir das nicht angetan."
Mit diesen Worten drehte sich Ryuichi um und verließ das Schlafzimmer ohne Shu eines Blickes zu würdigen.
Shuichi stand zitternd wie Espenlaub in seiner Decke gewickelt und versuchte das eben gehört zu verarbeiten. Sein Ryuichi liebte ihn? Sein Idol? Schon all die Jahre? Aber wieso hatte er nie was gemerkt? Nie gemerkt, dass der Ältere ihn liebte. Und nun hatte er ihn verloren. Natürlich haben sie sich beide am Sex beteiligt doch es war der Rausch und die Lust, die sie nicht nachdenken ließ. Und Shuichi war nun mal derjenige, der es angefangen hatte. Vielleicht würden sie Freunde bleiben, wenn Gras über die Sache gewachsen war, doch ihr vertrauen zu einander war zerbrochen. Und daran war ganz allein Shuichi Schuld....
