A/N: Kurz und schmerzlos... I.
6. Kapitel
"Wieder da, wie ich sehe," meinte Red. "Und? Wie war's?"
"Schöne Grüße zurück."
"Danke. Was sagt sie zu dem Fall?"
"Keine Ahnung."
"Ihr habt ihr nichts erzählt?"
"Nein. Kate meinte, ich soll erstmal dich fragen, ob dir das recht ist. Dienstgeheimnis und so."
"Wow. Kate denkt mit. Es ist mir recht. Hol' sie morgen in den Yard!"
"Kate?"
"Idiot! Piper."
"Sir, ja, Sir!"
"Wo ist sie?"
"In Prof. Dr. Kensingtons Heim für mißhandelte Kinder und Jugendliche. Sie hat ihren Doktor in Psychologie gemacht."
"Entschuldige, Jez. Diesmal habe ich mich wirklich mißverständlich ausgedrückt. Ich meinte Kate."
"Oh. Sie wollte sich Tee besorgen."
"Piper hat ihren Doktor in Psychologie gemacht?"
"Jepp!"
"Nicht schlecht. Gar nicht schlecht. Du hast ihr nichts gesagt, oder?"
"Okay, langsam verliere ich den Überblick. Wem habe ich wovon nichts gesagt?"
"Du hast Kate nichts von Piper gesagt und Piper nichts von dir."
"Wie jetzt?"
"Beides solltest du echt nachholen."
"Hat sich irgendwas neues ergeben, während wir weg waren?"
Red ließ zu, daß Jez auswich.
"Ja. Ein Postbote namens Jason Lively war in allen Häusern der Mordopfer, er trug natürlich eine Postbotenuniform und hat Schuhgröße sechsundvierzig."
"Habt ihr ihn verhaftet?"
"Nein. Er gibt zu, in Miss Yamamotos Wohnung gewesen zu sein. Er ist öfter in den Wohnungen der Leute, denn ab und zu hat er ein Einschreiben oder sie bieten ihm einen Tee an oder sowas. Manchmal nimmt er an, manchmal lehnt er ab."
"Aber hast du nicht gesagt, er war in allen Häusern?"
"Ja, Jez. Und ich weiß auch warum, denn er hat es mir gesagt. Es ist sein Gebiet! Er ist der Postbote von Highgate. Leider gibt es da noch Charles Pennington, den Milchmann von Highgate, die Officers Jackson, Walker, Nightley, Travers und Carruthers, die Polizisten von Highgate und etliche Schuhputzer, die auch alle Uniformen tragen und dummerweise hausieren gehen."
"Also haben wir wieder nichts."
Red seufzte.
"Nicht wirklich. Zumindest noch nicht. Das ganze wäre wirklich viel einfacher, wenn wir das Muster kennen würden. Das macht mich noch wahnsinnig!"
"Hallo, ihr zwei."
Kate betrat das Büro.
"Ich hab' noch kurz in der Pathologie reingeschaut. Sie obduzieren gerade Miss Komoto. Viel habe ich nicht gesehen, aber sie hat ein nettes Tattoo auf dem Rücken. Ein großes, rotes Herz mit einem kleinen schwarzen Teufelchen darin. Niedlich. Könnte mir glatt gefallen, aber nicht in der Größe."
"Süße, manchmal wirst du mir echt unheimlich," sagte Jez.
Kate warf ein paar Akten auf Reds Schreibtisch.
"Die Obduktionsberichte von Miss Yamamoto, Mrs. Tashimi und Miss Takeshi. Miss Komoto ist, wie ich gerade sagte, noch in Arbeit."
"Okay, danke."
Jez stand auf.
"Wo willst du hin?" fragte Red.
"Nach Hause," antwortete Jez. "Ich nehme die Akten mit heim und lese sie mir nochmal von ganz vorne bis ganz hinten durch. Vielleicht kommt mir ja die Erleuchtung."
"Falls du Piper zufällig triffst, kannst du ihr den Kram ja mal zeigen. Vielleicht fällt ihr ja was Schlaues dazu ein. Aber erinner' sie daran, daß sie dann absolutem Stillschweigen unterliegt."
"Ich treffe Piper nicht."
Weg war er. Kate lief ihm nach.
"Jez! Jez, warte doch mal!"
Er blieb stehen und wandte sich um.
"Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet."
"Welche Frage?"
"Was hast du getan?"
"Wann?"
"Das, was Piper gesagt hat. Es lag nicht daran, was du getan hast. Was hast du getan? Du hast mir nicht geantwortet, weil James und Josh dazwischen kamen."
Jez sah zu Boden.
"Warum willst du das unbedingt wissen?"
"Ist es denn wirklich so schlimm?"
"Ich habe ihn umgebracht."
"Wen?"
"Randy. Damals, in Pipers Wohnung."
"Na und? Er hatte sie fast totgeschlagen. Du hast in Notwehr gehandelt."
"Siehst du? Das ist genau das Problem."
"Verstehe ich nicht."
"Als Randy mich im eingetretenen Türrahmen stehen sah, da hat er den Baseballschläger weg geworfen und die Hände gehoben. Er war absolut unbewaffnet und hat aufgegeben, weil er wußte, daß hinter mir noch eine ganze Horde von bewaffneten und stinkwütenden Polizisten die Treppen rauftrampelt. Aber mir war das vollkommen egal. Ich sah Piper am Boden liegen, blutüberströmt, regungslos, ich sah sie nichtmal atmen! Und ich wußte, jeder anderen Frau, die auf Randy hereinfiel, konnte es genauso gehen. Da erst habe ich geschossen. Ich schoss mein ganzes Magazin leer, so wie wir es bei der Ausbildung gelernt haben. Red hat es gesehen, Duncan auch, aber sie haben nie ein Wort darüber verloren. Piper starb noch an Ort und Stelle, aber es gelang uns, sie wiederzubeleben und ins Krankenhaus zu bringen."
Jez hob den Blick und sah Kate an.
"Das habe ich getan."
Damit drehte er sich um und ging. Kate hielt ihn nicht zurück.
***
Jez rannte die Treppen hinauf. Hinter sich hörte er Red keuchen, aber er lief deswegen nicht langsamer. Er mußte in diese Wohnung. Jetzt! Ohne sich lange mit klingeln aufzuhalten, trat Jez die Tür ein. Randy stand über Piper gebeugt,warf den Baseballschläger zu Boden und Jez zögerte ein paar Sekunden, bevor er schoss. Einmal, zweimal, dreimal... Schließlich war das Magazin leer. Jez ließ die Waffe fallen und kniete sich neben die regungslose Piper.
"Piper, kannst du mich hören? Piper! Gott, bitte nein..."
Sie schlug die Augen auf und lächelte schief.
"Ätsch, verarscht...," murmelte sie nahezu lautlos und starb.
Mit einem Schrei wachte Jez auf und schlug auf den Lichtschalter an seiner Nachttischlampe. Ein Traum. Es war nur ein Traum gewesen. Oder? Unfähig, seine Angst zu beherrschen, griff Jez nach seinem Handy und wählte die Nummer, die auf Pipers Karte stand.
"Williams."
Jez schloss die Augen. Es war ihre Stimme. Sie lebte also wirklich. Vor Erleichterung traten ihm Tränen in die Augen.
"Hallo? Wer ist denn da?"
Erst jetzt fiel ihm auf, daß er sich noch nichtmal gemeldet hatte.
"Piper, ich bin's. Jez. Tut mit leid. Ich...wollte nur..."
Was? Was hatte er nur gewollt?
"Ich habe schlecht geträumt und mußte mich nur überzeugen, daß du noch lebst."
"Oh. Aber das weißt du. Du hast mich damals ins Krankenhaus gebracht. Du hast mich wiederbelebt. Wir haben uns heute mittag getroffen."
"Ja...Ja, natürlich. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken. Schlaf'...Schlaf' einfach weiter! Gute Nacht!"
Jez legte auf, bevor er sich noch weiter zum Trottel machen konnte. Sie mußte ihn für einen vollkommenen Idioten halten. Er rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Kurz vor vier. Naja...Er stand auf und ging duschen. Zwar mußte er erst um acht im Yard sein, aber an Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken.
Eine halbe Stunde später stand Jez in der Küche und nippte vorsichtig an seinem Tee. Die Begegnung mit Piper hatte ihm wieder bewußt gemacht, daß er viel lieber Tee trank als Kaffee. Als es an seiner Tür klingelte, blickte er überrascht auf. Langsam lief er zur Tür und als er neben dem Rahmen stand, fragte er: "Wer ist da?"
"Piper."
Jez öffnete.
"Piper?"
Sie schob sich an ihm vorbei in die Wohnung und Jez schloss die Tür wieder.
"Was...?"
"Du klangst fertig vorhin. Ich habe drei Mittel dagegen: Tee, den du dir – dank deiner angeborenen britischen Überlebensreflexe - schon selber gemacht hast," sie hielt einen Videofilm in die Höhe, "Nightmare before Christmas und...mich."
Jez sah sie lange an und Piper hielt seinem Blick ruhig stand. Sie veränderte ihre Haltung nicht. Seit mehr als acht Jahren bekam er diese Frau nicht aus dem Kopf. Sie beherrschte sein Denken, Handeln und Fühlen mehr als sonst irgendjemand. Sie hatten sich, seit ebenfalls mehr als acht Jahren, nicht mehr gesehen und trotzdem las sie noch immer in ihm wie in einem Buch. Er fühlte sich seltsam beruhigt, wenn sie in seiner Nähe war, und irgendwie... sicher.
"Piper, hast du einen Freund?"
Sie blinzelte überrascht.
"Nein."
"Du bist nicht in irgendeiner Weise gebunden oder verpflichtet oder sonstwas?"
"Ah...nein. Warum?"
Jez ging auf die Knie.
"Piper, willst du mich heiraten?"
Stille.
Piper starrte Jez an, aber er nahm seine Worte nicht zurück. Es war sein absoluter Ernst. Er hatte in den letzten acht Jahre, und auch davor, mit vielen Frauen geschlafen und nie auch nur ansatzweise ans Heiraten gedacht, aber bei Piper war alles anders. Er wollte nicht mit ihr schlafen – doch, natürlich auch, aber...Er wollte, daß sie bei ihm blieb! Daß sie ihn liebte und mit ihm lebte. Wenn sie nicht wollte, dann nicht, aber diese Frage würde er nie wieder einer anderen stellen, sollte Piper ablehnen.
"Ja, Jez."
Jetzt war er es, der Piper anstarrte. Sie blickte ruhig zurück.
"Bitte steh' auf," bat sie und hielt ihm die Hand hin. "Das muß tierisch auf die Knie gehen."
Jez ließ sich von ihr helfen und erhob sich. Piper lächelte.
"Hast du noch einen Tee für mich?"
"Bedien' dich!"
Er konnte nicht glauben, daß sie wirklich ja gesagt hatte.
"Ahm...Piper, ich..."
"Ja, Jez. Es war ein Ja. Und wenn du es wirklich ernst meinst, dann bleibt es ein Ja."
Sie sah ihn abwartend an. Jez mußte erstmal schlucken und nickte schließlich.
"Ich meine es ernst. Sehr ernst. Sonst hätte ich dir diese Frage nicht gestellt, das weißt du."
"Dann sind wir wohl jetzt verlobt."
Piper goss sich Tee ein und stolperte über seinen unsicheren Blick. Liebevoll griff sie nach seiner Hand.
"Entspann' dich, Jez! Keine Angst. Wir sind erstmal verlobt. Das können wir auch eine Weile bleiben. Wir müssen ja auch nicht gleich zusammenziehen. Laß' dir die Zeit, die du brauchst! Du kannst deine Meinung immer noch ändern. Ich würde dich sehr gerne heiraten, aber wenn du doch nicht willst, komme ich damit klar. Also, ganz locker!"
Sie lächelte.
"Und jetzt mach's dir bequem! Der Film ist phantastisch. Mit einem großen P. Oder F – je nachdem wie du's schreibst."
Sie lachte und lief zum Videorekorder, um die Kassette einzulegen.
***
Piper sah auf die Uhr und dann zu Jez. Kaum hatte der Film angefangen, war er wieder eingeschlafen. Sie lächelte. Genau das hatte sie ja bezweckt. Wenn er auch nur ansatzweise so war wie früher, dann schlief er viel zu wenig. Deswegen hatte sie einen Film gewählt, den sie liebte, der Jez aber nur mäßig interessieren würde. Piper lief langsam zu seinem Bett. Er sah so niedlich aus, wenn er schlief. Wenn er wach war, sah er einfach nur spitze aus.
"Jez," flüsterte sie und berührte ihn sanft an der Wange. "Jez, du mußt langsam aufstehen."
"Hmmmmm...was?" murmelte er verschlafen.
Piper streichelte liebevoll durch seine Haare.
"Du mußt zur Arbeit."
Jez blinzelte.
"Bin...Bin wach."
Piper schmunzelte.
"Ja, das sieht man. Na, wenigstens bist du schon komplett angezogen und geduscht. Möchtest du was essen? Ich habe Brötchen geholt."
"Ja. Das wäre toll."
Jez war noch immer nicht so ganz da.
"Ich dachte, du warst ein Traum."
Piper sah ihn fragend an. Jez lächelte müde.
"Ich bin froh, daß du keiner warst."
Piper lachte weich.
"Steh' endlich auf, du Held!"
Sie lief in die Küche. Jez folgte ihr wenig später.
"Wenn du Zeit hast, kannst du mich begleiten," sagte er, während er sich frischen Tee eingoss. "Red meinte, du solltest dir den Fall ruhig mal ansehen, aber ich muß dich dann daran erinnern, daß du kein Sterbenswort zu irgendjemandem sagen darfst."
"In Ordnung."
"In Ordnung was, Piper?"
"In Ordnung, ich sehe mir den Fall an und in Ordnung, ich sage kein Wort zu niemandem."
"Hast du Zeit?"
"Ich komme nach, okay? Der Notfall von gestern beschäftigt mich noch etwas. Tut mir übrigens leid, daß ich so schnell weg mußte."
Jez lächelte.
"Ich bin drüberweg."
Piper lachte.
"Fein."
"Was war denn los? Oder fällt das unter die ärztliche Schweigepflicht."
Piper seufzte leise.
"Ein junges Mädchen – sie heißt Merlyn – hat versucht, sich umzubringen. Vergewaltigungsopfer."
"Tut mir leid."
"Du hast ihr ja nichts getan."
"Du weißt, wie ich das meine. Habt ihr...Ich meine, haben wir den Kerl geschnappt?"
"Bis jetzt nicht, aber bei uns ist sie erstmal sicher, sollte er Weiderholungstäter sein."
"Wie arbeiten eure Systeme? Soll ich von den Jungs mal ein paar vorbeischicken? Vielleicht könnt ihr was verbessern."
"Das wäre lieb von dir, aber ich glaube, ihr habt momentan alle Hände voll zu tun, oder nicht?"
"Das machen wir so nebenbei, Süße."
"Okay. In diesem Fall, danke gern. Du mußt los."
Piper stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn sanft. Es war der erste Kuß, den sie teilten, denn egal, wer damals was gedacht hatte, zwischen ihnen war nie etwas gelaufen. Piper wollte Randy treu sein und Jez hatte das respektiert. Respektieren müssen. Es wurde ein langer Kuß. Er war wundervoll und machte Lust auf mehr, aber Piper hatte recht, er mußte zur Arbeit. Sie lösten sich voneinander und Piper lächelte.
"Ich komme in den Yard, sobald ich kann. Falls du nicht da bist, an wen soll ich mich wenden?"
"Frag' erstmal nach den üblichen Verdächtigen. Wenn tatsächlich weder Red, noch Kate, noch Duncan oder ich da sein sollten, dann geh' zu Detective-Sergeant Charlie Malloy. Ich sage ihm bescheid, falls ich weg muß."
"In Ordnung. Bis nachher." Sie schmunzelte. "Schatz."
Jez stutzte einen Moment, dann lachte er.
"Klingt prinzipiell gar nicht schlecht, aber ich glaube nicht, daß diese Bezeichnung sonderlich zu mir paßt."
Piper lächelte.
"Dann überlege ich mir eine andere. Wenn alle Stricke reißen, dann kann ich dich immer noch so nennen wie dich sonst garantiert keiner nennt."
"Nämlich?"
"Jeremy."
"Hey, woher kennst du meinen Taufnamen?"
Sie lachte.
"Im Gegensatz zu Red und dir, lese ich Personalakten, anstatt sie nur von einer Seite zur anderen zu räumen."
"Du wirst ganz schön frech, Lady."
"Verklag' mich!"
Jez lachte leise.
"Später vielleicht. Na, komm! Mein Bike ruft und ich könnte schwören, daß da irgendwo in der Nähe Red rumbrüllt."
Piper kicherte und verließ mit Jez seine Wohnung.
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A/N: Und? Wie ist es so? Macht's noch Spaß? I.
