A/N: Megchen, vielen, vielen Dank für Deinen Review. Du weißt bescheid. ;) I.
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17. Kapitel
Die Beerdigung sollte in einem kleinen Kreis stattfinden, aber daraus wurde nichts. Viele hatten Tatum gekannt und gemocht. Alle aus dem Kensington-Heim, die hinaus durften, kamen zum Friedhof. Bis auf wenige Ausnahmen waren das alle und mit den Leuten, die nicht zum Heim gehörten, so wie James, Josh, Jez, ein paar Leute vom Yard und der Fürsorge waren es betimmt an die dreihundertfünfzig Menschen.
Wenn du das sehen könntest, Tatum, dachte Piper. Du magst dich wie ein Joker gefühlt haben, aber alle diese Menschen dachten anders darüber.
Sie trat an das Grab und warf einen Strauß Baccarat-Rosen auf den Sarg. Maiglöckchen waren Ende August einfach nicht zu kriegen. Tatum hätte bestimmt darauf bestanden, daß Piper ihre, also Pipers, Lieblingsblumen nahm, aber da das nicht möglich war, hatte Piper einfach Tatums Lieblingsblumen genommen. Sie würde dafür Maiglöckchen auf Tatums Grab säen.
James gehörte zwar eigentlich nicht mehr zum Heim, hatte aber lange dort gearbeitet und Tatum gut gekannt. Deshalb hielt er eine kurze Ansprache, wofür Piper ihm sehr dankbar war. Erstens wegen der Kürze und zweitens, weil sie keine Rede hätte halten können, ohne alle paar Worte in Tränen auszubrechen. Zwar hatte Piper sich inzwischen wieder beruhigt und konnte Tatum sogar verstehen, aber darüber nachzudenken und darüber zu sprechen, waren zwei verschiedene Dinge.
Wie es üblich war, trafen sich nach der Trauerfeier auf dem Friedhof noch zu einer kurzen "Teestunde" im Heim. Wäre das Wort "Leichenschmaus" nicht längst abgeschafft worden, Piper hätte heute darauf bestanden. Das klang einfach furchtbar.
Jez trat von hinten an sie heran und legte die Arme um sie.
"Wie fühlst du dich, Süße?"
Piper umschloss mit ihren Händen die seinen und lehnte sich vertrauensvoll an ihn.
"Besser," sagte sie schließlich ruhig. "Ich fühle mich besser."
Jez kannte sie inzwischen lange und gut genug, um zu wissen, daß sie noch nicht fertig war. Er schwieg und wartete.
"Ich habe lange über Tatums Brief nachgedacht und...Es klingt vielleicht...falsch für dich, aber ich kann sie verstehen. Ich kann nachvollziehen, was sie empfunden hat, denn ich hatte Momente, da fühlte ich ebenso. Sie hat mich daran erinnert. Das heißt nicht, daß ich heute noch genauso empfinde," beruhigte sie Jez, als sie merkte, wie seine Muskeln sich spannten. "Ich hatte es nur vergessen. Es ist so ähnlich wie mit dem erwachsen werden. Die meisten Erwachsenen erinnern sich kaum noch an ihre Kindheit. Je erwachsener sie werden, desto weniger erinnern sie sich ans "Kindsein", weshalb es ihnen sehr, sehr schwer fällt, ihre Kinder zu verstehen und ihre Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen. Der andere Extremfall erinnert sich an die Kindheit nur als ein riesiges Paradies. Man mußte sich um nichts kümmern, hatte immer genug zu Essen und zu Trinken, konnte den ganzen Tag mit seinen Freunden spielen und so weiter, blablabla...Sie haben diese unglaublichen Ängste vergessen. Vor den Gespenstern unter dem Bett, vor den Schlägen der Eltern, sie haben vergessen, daß sie gar keine Freunde hatten, mit denen sie hätten spielen können! Die Einsamkeit in der Schule, die Angst zu versagen, die Unsicherheit, wenn einem jemand gefiel...Ich habe meine Kindheit nie vergessen, deswegen komme ich mit Kindern gut klar, aber Tatum hat mich daran erinnert, wie es war, sich fehl am Platz zu fühlen. In diesem Fall hatte ich den nächsten Schritt längst gemacht. Ich bin sozusagen "erwachsen" geworden, aber ich habe auch mal so empfunden. Ich hatte oft das Gefühl, völlig nutzlos zu sein, unsichtbar und im wirklich vollkommen falschen Film. Ich habe, genau wie Tatum, gedacht, wenn es einen Gott gibt, dann hat er einen Fehler gemacht. Ich sollte noch gar nicht geboren sein. Das fühlt sich alles völlig falsch an. Aber ich hatte nie den Willen, diesen "Fehler" zu korrigieren, deshalb lebe ich noch. Und irgendwann ließ dieses Gefühl von ganz alleine nach. Vielleich haben wir alle Phasen, in denen wir zweifeln, aber die meisten verzweifeln nicht. Wie gesagt, das Gefühl wird weniger mit der Zeit. Bei manchen ist es vielleicht weniger ausgeprägt als bei anderen und die Phasen dauern nicht so lange. Ich denke nur...Wenn dieses Gefühl so lange anhält wie bei Tatum,..."
"Ja?" fragte Jez sanft.
Piper seufzte.
"Vielleicht hat sie dann die richtige Entscheidung getroffen."
"Aber...Bitte la' mich kurz den "Advocatus Diaboli" spielen und die Ansicht der breiten Masse kundtun!...findest du es nicht irgendwie feige, einfach so wegzulaufen?"
Piper mußte lächeln. Das war tatsächlich das häufigste Argument, das man hörte: Selbstmörder sind nur zu feige weiterzuleben.
"Ich finde, das hängt von zwei Dingen ab: Dem Grund für die Tat und zweitens...Ich weiß nicht! Also, ich hätte viel mehr Angst davor, in eine völlig unbekannte "Zukunft" zu rennen, anstatt dort zu bleiben, wo ich genau weiß, wo ich bin und was mich erwartet. Das ist natürlich nur meine persönliche Meinung, aber ich bleibe lieber am Leben, anstatt mich umzubringen, ohne auch nur annähernd zu wissen, was "danach" kommt. Vor dieser Ungewissheit hätte ich persönlich weit mehr Angst, als vor dem Leben."
"Ist es denn eine Ungewissheit?" fragte Jez leise und spürte, wie Piper sich spannte.
"Wie meinst du das?"
"Du warst schonmal tot, Piper. Vier für mich endlose Minuten lang. Was kam "danach"?"
"Sag' du's mir!" meinte sie leise. "Dein Autounfall, du erinnerst dich?"
Keiner von beiden antwortete. Es gab eben Dinge, die konnte man mit niemandem teilen. Nichtmal mit dem Menschen, der einem auf der Welt am meisten bedeutete. Noch nicht zumindest. Schließlich wandte Piper sich zu ihm um und sagte: "La'...La' uns gehen, ja? Ich...möchte nach Hause."
"Kein Problem."
Jez küßte sie sachte auf die Schläfe und ließ sie los, damit sie sich in Ruhe verabschieden konnte. Von den Gästen und von Tatum.
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Es wurde langsam Winter und fast hatte Jez sich daran gewöhnt, daß die im Fall des mysteriösen "Japan-Killers" nicht weiter kamen. Was nicht hieß, daß ihm das gefiel! Er saß gerade an seinem Schreibtisch, als Red ins Großraumbüro stürmte und rief: "JEZ, KATE, DUNCAN, ZU MIR!!"
Bevor irgendjemand was fragen oder sagen konnte, lief er schnurstracks in sein Büro und wartete. Jez stand langsam auf. Wenn Red sich so benahm, dann hieß das für gewöhnlich, daß weitere Morde geschehen waren.
"Jetzt reicht's!" rief er, kaum daß alle in seinem Zimmer standen und Jez die Tür geschlossen hatte. "Diesmal waren es eine amerikanische Studentin, japanischer Herkunft und eine professionelle Liebesbriefschreiberin!! Und wir sind noch immer keinen Schritt weiter! Ich habe langsam die Schnauze voll!! Wo sind wir denn?? Ihr holt mir sofort alle Polizisten, Postboten, Schuhputzer, Milchmänner und was da sonst noch kreucht und fleucht von Highgate hierher!! Und die lassen wir dann so lange nicht wieder weg, bis einer von ihnen gestanden hat, und zwar ALLES!!!"
Red schäumte vor Wut. Jez und Kate sahen sich zweifelnd an, aber Duncan, der Red schon länger kannte, meinte nur: "In Ordnung. Welche Gruppe willst du persönlich verhören?"
"ALLE!"
"Okay."
Duncan lief zur Tür und bedeutete Jez und Kate, ihm zu folgen. Als sie wieder in der weiträumigen "Sicherheit" des Großraumbüros standen, meinte Kate: "Das geht nicht! Wie sollen wir das denn anstellen?? Wenn wir hier alle Verdächtigen auf unbestimmte Zeit einbuchten, dann haben wir keinen Platz mehr für die richtigen Kriminellen!"
"Wir brauchen nur etwas Zeit," sagte Duncan ruhig. "Fangt mit den Polizisten an. Die meisten findet ihr sowieso um die Ecke, denn wir sind in Highgate."
"Duncan..."
"In der Zwischenzeit hat Red Gelegenheit, den Schwachsinn seiner Anweisungen einzusehen. Er wird es natürlich nicht zugeben, aber wenn er rauskommt, fragt er sicher, mit welcher Gruppe wir anfangen wollen. Und ich habe mich soeben für die einfachste Variante entschieden: Polizisten. Und, Jez, es wäre vielleicht nicht ganz schlecht, wenn du Piper herholst, falls sie gerade Zeit hat."
Jez sah Duncan mißtrauisch an. Er hatte das, was er, also Duncan, das letztemal angerichtet hatte, noch nicht vergessen.
"Warum?"
"Weil," antwortete Duncan, "sie sich gut mit Gesichtsausdrücken auskennt, mit dem ganzen Psychokram. Wenn wir die falschen Fragen stellen, kann sie uns das sagen."
"Das kann auch jeder von unseren Kriminalpsychologen."
"Wenn du denen mehr zutraust, als deiner Frau, bitte, aber ich persönlich glaube, Piper kennt sich damit besser aus, als unsere Fachidioten, die kaum "Felderfahrung" besitzen. Soweit ich weiß, beschäftigt sich Piper jede Sekunde mit verkrachten Existenzen, dir eingeschlossen, also wird sie wohl einen Psychopathen erkennen, wenn sie einen sieht und hört."
"Dann solltest du ihr wohl besser nicht gegenübertreten," erwiderte Jez.
"Jungs, jetzt haltet mal den Ball flach," unterbrach Kate, bevor das wieder zu einem offenen Krieg ausarten konnte. "Jez, ich finde die Idee ziemlich gut, denn auch ich würde mich im Ernstfall lieber auf Piper verlassen als auf unsere psychologische Abteilung. Ruf' sie an und frag'! Duncan und ich, wir kümmern uns um die Polizisten und dann sehen wir weiter. Bis dahin hat Red sich bestimmt beruhigt."
Zumindest hoffte Kate das. Jedenfalls hatte sie keine Lust, sich alleine mit Jez und Duncan rumzuschlagen, die malwieder um dieselbe Frau stritten. Oder zumindest wegen derselben Frau.
"In Ordnung," knurrte Jez schließlich und trat an seinen Schreibtisch.
Kate zog Duncan mit sich davon, bevor der noch einen blöden Kommentar loswerden konnte.
"Clifton."
Jez lächelte. Sie waren jetzt schon lange zusammen und auch schon etwas über vier Monate verheiratet, aber er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, daß sie sich jetzt mit "Clifton" anstatt "Williams" meldete.
"Ich bin's," antwortete er. "Habt ihr viel Stress zur Zeit?"
"Klingt, als hättet ihr welchen."
"Ja. Mehr oder weniger. Hast du Zeit, deine reizende Nase malwieder in unsere Angelegenheiten zu stecken?"
Piper lachte.
"Für euch habe ich doch immer Zeit. Außerdem würde ich dich nie in Schwierigkeiten bringen, indem ich Red widerspreche."
"Der weiß noch gar nichts von seinem Glück."
"Oh. Dann hast du dich also für mich entschieden?"
"Aber ja. Ich habe dich geheiratet."
"Jeremy!"
Er verzog das Gesicht.
"Autsch! Hey, kein Grund, förmlich zu werden! Nein, ich würde ja gerne den Ruhm für mich beanspruchen, aber...es war Duncan."
"Duncan??"
"Ja."
"Warren??"
"Ja. Er meinte, er hätte lieber dich dabei, als einen von unserer psychologischen Abteilung."
"War das ein Kompliment oder muß ich mich beleidigt fühlen?"
"Bin mir nicht sicher. Aber Kate fand die Idee auch gut, also dachte ich mir, ich frage dich wenigstens mal."
"Danke," sagte Piper trocken. "Ich glaube, ich kann ein paar Minuten verschwinden. Wie lange wird es denn dauern?"
Jez atmete tief durch.
"Mehrere Tage."
"Verzeihung?"
"Red will alle Uniformierten von Highgate nochmal gründlich vernehmen. Alle, verstehst du?"
"Die Uniform war also nicht geliehen?"
"Nein. Außerdem haben wir festgestellt, daß der Stoff von Leihuniformen anders beschaffen ist, als der einer Originaluniform. Der Stoff für die Leihuniformen ist billiger. Klar! Die müssen ja auch nur authentisch aussehen und nicht den Ansprüchen genügen, die die Firmen an ihre echten Uniformen stellen. Zum Beispiel Tragekomfort, Haltbarkeit und so weiter."
"Tragekomfort? Ich erinnere mich noch gut an meine erste Uniform. Sie hat sich angefühlt wie Sandpapier und war so flexibel wie ein Stück Holz."
Jez schmunzelte.
"Ich sagte Firmen, Piper. Wir sind der Staat."
"Ihr, mein Liebster, seid der Yard. Du verwechselst da was."
Nun mußte Jez lachen.
"Du bist wirklich ein furchtbares Weib!! Also, kommst du jetzt?"
"Ja, natürlich! Bis gleich!"
Sie legte auf.
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A/N: BIIIIIIIIIIIIIIIIITTEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEE!!! Ich brauche Reviews!!! I.
