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Fast gar nicht in dich verliebt...

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~ Kapitel 1: Überraschungen ~

Atlantis war ein einziger azurblauer Traum.

Unendliche strahlende Flüsse und Seen durchzogen das Land und paradiesische Landschaften mit Bergen, Bäumen und allerlei Pflanzen schienen buchstäblich aus dem Wasser zu sprießen.

Wer einmal das Glück gehabt hatte Atlantis zu erblicken und sich seiner Schönheit bewusst wurde, der konnte auch den unbeschreiblichen Stolz und das unglaubliche Ehrgefühl der Atlanter nachvollziehen, die ihnen förmlich in den Augen abzulesen waren.

Doch ebenso wie das Land, erfüllte auch der König des Landes die Erwartungen seines Volkes indem er weise und dennoch gütig regierte.

Die Zeiten der Ringkriege waren vorbei.

Die spannenden Geschichten um Isildur bis hin zu den Gefährten waren erzählt, die schrecklichen Ereignisse längst vergessen und die einst bestehenden, innigen Bündnisse mit Atlantern und Elben schienen weit in die Ferne gerückt und unvorstellbar zu sein.

Bereits zu den Zeiten Isildurs kam man in Atlantis zu dem Schluss, nicht in die Angelegenheiten Mittelerdes verwickelt werden zu wollen.

Zu hoch waren die Verluste auf Seiten der Atlanter, nachdem sie erkannt hatten, dass der Ring der Macht nie vernichtet werden sollte.

Zu groß waren der Schmerz und die Trauer inmitten der Bevölkerung und unbeschreiblich die Enttäuschung König Kohans, der dermaßen betrogen wurde, diente seine Hilfe doch nur dem Zweck, den Ring an die Menschen auszuliefern.

Nach Isildurs Tod wurden auf Geheiß Kohans die Grenzen von Atlantis für alle Wesen Mittelerdes geschlossen, denn obwohl sein Volk tapfer mit den Menschen und Elben gekämpft hatte, wollte er, nachdem ihm der erneute Verlust des Ringes zu Ohren gekommen war, keinen weiteren Verrat dulden, geschweige den einen weiteren Krieg und den Tod vieler tapferer atlantischer Soldaten heraufbeschwören.

Auch heute noch, einige Jahre nach der Vernichtung des Ringes, fragte niemand König Raures, den Erben von König Kohan nach seinen Beweggründen die Grenzen seines Landes weiterhin geschlossen zu halten, denn man war viel zu glücklich in dem scheinbar neu aufblühenden Land um derart belanglose Fragen zu stellen und obwohl man sich sicher war, dass es anderer Beweggründe bedurfte sich über Hunderte von Jahren hinweg von der Außenwelt und seinen engen Verbündeten von Einst freizusprechen, verlor niemand auch nur ein Wort über die Gründe des Königs.

So kam es also, dass man in Atlantis weder die Bedeutung von Hunger noch Krieg, von Leid noch Trauer kannte und sich weit entfernt von allen Völkern der Erde einer scheinbar paradiesischen Idylle erfreute.

Bis heute hatte nie jemand nach dem Geheimnis des Königs gefragt...

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„Kali! Nein! Das dürft Ihr nicht!"

Das kleine aber doch enorm laute Mädchen riss der Prinzessin einen Korb aus der Hand und schaute sie bestrafend an.

„Ach und weshalb nicht? Kannst du mir das mal bitte sagen?", warf die Prinzessin in einem ungewöhnlich scharfen Ton zurück, der bewirkte, dass das Mädchen unter ihren Worten zu schrumpfen schien.

„Aber, Euer Vater hat Euch doch verboten – ...",

„Ich weiß sehr wohl was mein Vater gesagt und was er mir erlaubt oder verboten hat", unterbrach Kali sie und mit einem Griff schnappte sie sich zwei Körbe, voll gepackt mit Kleidern und bemühte sich diese aus ihrem Zimmer zu tragen.

Gerade jetzt, wo sie es so eilig hatte, musste sie sich die Standpauken dieser kleinen Göre nicht anhören.

Immer noch war sie viel zu erschöpft von den Ereignissen der letzten Nacht, die ihr immer mehr wie ein böser Alptraum erschienen.

Vielleicht hatte das Fieber sie zu sehr geschwächt und die Stimmen in ihrem Kopf waren möglicherweise nur Einbildung gewesen, aber wenn es so war, dann erschreckte es sie, dass sie anscheinend eine sehr lebhafte und vor allem sehr reelle Fantasie hatte.

Angestrengt schüttelte Kali den Kopf als wollte sie versuchen ihre wirren Gedanken wieder in Ordnung zu bringen, doch es wollte ihr nicht gelingen.

In letzter Zeit erging es ihr immer häufiger so wie letzte Nacht. Stimmen und Bilder schwirrten scheinbar ziellos in ihrem Kopf, ein plötzliches Fieber stieg in ihr auf und von einem Schlag auf den Anderen war alles wieder vorbei.

Keiner der Ärzte in Atlantis konnten ihr bisher helfen.

‚Zuviel Aufregung', lautete die wohl dümmste Begründung die Kali je gehört hatte und der ihr Vater zu allem Übel noch den meisten Glauben schenkte.

Welche Aufregung?

Bisher wurde sie nur verhätschelt und neuerdings durfte sie auf Geheiß ihrer Vaters nicht einmal mehr das Schloss verlassen.

Das regte sie wiederum tatsächlich auf. Nie durfte sie alleine über ihr Leben bestimmen und wenn ihr Vater ihr nicht reinzureden versuchte, dann irgendwelche dahergelaufenen kleinen Dienstmädchen.

Doch nun würde sich alles ändern, jetzt da sie endlich alt genug war.

Bald wäre sie weit weg von hier.

Weg von diesen Bediensteten die sich immer wieder zu viel herausnahmen, von der beklemmenden Enge dieses Palastes und was das Wichtigste war:

Weg von Atlantis.

Kali blickte zu dem kleinen Mädchen auf, das mit den in die Hüften gestemmten Armen versuchte sich bedrohlich vor ihr aufzubauen, doch es wollte ihr nicht so recht gelingen und letztendlich konnte sich Kali ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.

„Anstatt mir ellenlange Moralpredigten zu halten könntest du mir lieber helfen!", sagte sie mit einem nahezu unhörbaren Lächeln doch noch bevor Kali diese Worte zu Ende gesprochen hatte, hörte sie wie die Tür in den Riegel fiel und musste feststellen, dass das Mädchen nicht mehr da war.

„Na toll! Jetzt beschwert sie sich wieder höchstpersönlich bei meinem Vater.", knurrte Kali, die noch ein letztes Mal versuchte das schwere Gepäck zu heben. Doch ganz gleich wie sehr sie sich bemühte, es wollte sich nicht von der Stelle rühren.

Sie hatte wohl, so wie Tessa sie ermahnt hatte, zuviel eingepackt.

Es war unglaublich!

Sie, eine neunzehnjährige Prinzessin lies sich von einem vierzehnjährigen Dienstmädchen zurechtweisen und belehren, als ob sie selbst nicht ihren eigenen Kopf hätte. Aber irgendwie brachte sie es nicht übers Herz die Kleine zu beschimpfen.

Kali wusste genau, wenn sie sich beschweren würde, dann würde man sie entlassen und bis auf gelegentliche Ausschweifungen erledigte Tessa ihre Arbeit als Dienstmädchen doch sehr gewissenhaft.

Letztendlich gab sie auf.

Sollte sich doch jemand anderes um ihr Gepäck kümmern! Sie wollte nur so schnell wie möglich raus, raus unter Menschen und nicht wie ein Vogel in seinem Käfig verrotten.

Ein letztes Mal vor ihrem Aufbruch nach Edoras wollte sie noch einmal die paradiesische Landschaft von Atlantis bewundern und den Wind über dem Wasser, der ihr immer so liebevoll durch die Haare strich, ein letztes Mal spüren.

Wütend zog sie sich die Kapuze ihres Mantels ins Gesicht und versteckte ihre braunen, gelockten Haare.

Auf den Straßen von Atlantis würde sie unter lauter blonden Menschen, wie Atlanter eigentlich aussahen nur unnötig auffallen und jetzt wo das Fieber endlich weg war, Zugegebenerweise ungewöhnlich schnell, konnte sie wieder raus aus diesen vier Mauern.

Irgendwie kam es ihr sehr seltsam vor... von wem hatte sie nur die braunen, ja fast tiefschwarzen Haare geerbt?

Von ihrem Vater nicht und von ihrer Mutter genauso wenig. Beide waren blond.

Genau wie ihr Bruder und alle anderen Menschen in Atlantis.

Ach wie beneidete sie ihn darum.

Mit einem lauten Seufzer schritt sie die scheinbar endlosen Gänge des Palastes entlang.

Das Licht der Sonne spiegelte sich in den Unmengen von Wasser die das Schloss umgaben wieder und warf kleine, wellende Lichtreflexe auf die kahlen Mauern. Das Licht wiederum schien förmlich auf den Wänden zu tanzen und hüllte dass Schloss in eine bunte und träumerische Unterwasserwelt ein, die jeden der daran vorbeiging in seinen Bann zog..

Jeden, außer Kali, die all dies nicht wahrzunehmen schien und stattdessen inständig darum bemüht war eine Erklärung für ihr doch ziemlich ungewöhnliches Aussehen zu finden.

Vielleicht lag es ja an ihren Großeltern?

Kali versuchte sich ihre Bilder in Erinnerung zu rufen. Sie kniff die Augen zusammen um sich konzentrieren zu können und da waren sie schon die Bilder beider Großmütter und eines Großvaters. Alle drei blond und demnach wahrscheinlich Atlanter.

Aber was war mit dem Vater ihrer Mutter, irgendwie hatte sie das Gefühl noch nie ein Bild von ihm gesehen zu haben.

„Bestimmt ein Ork!", sagte sie kleinlaut vor sich hin und konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen, als sie daran denken musste wie sehr sie sich immer gefürchtet hatte, wenn sie als kleines Mädchen die gruseligen Bilder dieser Monster in ihren Märchenbücher bestaunte.

„Was gibt es denn hier zu Lachen?", ertönte plötzlich eine Stimme und ehe Kali, die die ganze Zeit ihre Augen geschlossen hatte, sich versah, war sie schon in den Mann vor ihr reingelaufen.

Im letzten Moment, kurz bevor sie zu Boden fallen konnte wurde sie von ihm aufgefangen und hing nun wie ein nasser Lappen über seinem linken Arm.

Skeptisch beschaute er ihre Haare die sich bei dem Zusammenstoß unter ihrer Kapuze herausgelöst hatten und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.

„Ach. Ihr seid anscheinend auch nicht von hier!"

‚Auch nicht von hier?' schoss es ihr durch den Kopf.

Er war kein Atlanter? Wie war das möglich?

Seit Jahren war es keinem Fremde erlaubt gewesen ohne Genehmigung nach Atlantis zu kommen, geschweige denn durch den Palast zu spazieren.

Doch das war nun nebensächlich, denn endlich würde sie jemanden treffen, der aus einem fernen Land stammt und viele interessante Geschichten zu erzählen vermochte.

Wohlmöglich war er ja sogar aus Mittelerde, von dem sie schon so viele Geschichten gehört hatte.

So schnell sie konnte richtete Kali sich auf um ihn zu betrachten und sich natürlich zu entschuldigen. Ein mächtiges Kribbeln überkam sie plötzlich und als sie ihm endlich in die Augen sah... wollte sie ihnen nicht trauen.



Vor ihr stand eine großgewachsene, gut gebaute und nach ihrem Zusammenstoß zu urteilen extrem starke, fremdländisch aussehende Frau mit ungewöhnlich tiefer Stimme und komischen -

WAS?

Das durfte doch nicht wahr sein!

In diesem Moment wusste Kali nicht ob sie einfach laut lachen oder frustriert weinen sollte, denn sahen alle Menschen so aus wie sie (und sie war mit Sicherheit ein Mensch da sie für eine Atlanterin eine viel zu blasse Haut hatte), dann sollte sie sich wohl auf ein großes Abenteuer gefasst machen...

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„Bei allen Göttern!"

König Raures wollte seinen Augen nicht glauben, als sein Blick auf den Mann vor ihm fiel.

Fünfzig Jahre waren vergangen, seit die beiden Männer sich das letzte Mal begegnet waren.

Ein halbes Jahrhundert, das auch an ihnen nicht spurlos vorbeigezogen war.

„Bei allen Göttern, Theoden!"

Raures ergriff seinen Freund und umarmte ihn, ganz genau so wie damals.

„Raures, mein Freund! Sag wie siehst du eigentlich aus? Ich habe dich viel frischer in Erinnerung gehabt.", warf Theoden mit einem spöttischem Tonfall ein.

Ungläubig starrten sich die beiden Freunde an und erst jetzt wurde ihnen wirklich bewusst, dass sie alt geworden waren.

Fünfzig Jahre waren eine enorm lange Zeit, die aus zwei Menschen, die einst beste Freunde gewesen waren und füreinander gestorben wären mit einem Schlag zwei Fremde gemacht hatte.

Lachend nahm Raures seinen alten Freund wieder in die Arme.

„Nun", begann er mit einem ironischen Gesichtsausdruck, „als König ist man immer in Eile und hat kaum Zeit etwas Ruhe zu finden und so wie du aussiehst, scheinst du ja zu wissen wovon ich spreche."

„Immer noch der Alte, wie mir scheint.", scherzte Theoden und musste zugeben, dass Raures Recht hatte.

Zwar waren seit ihrem letzten Treffen etliche Jahre vergangen und auch er war alt geworden, dennoch änderte sich nichts daran, dass sie beide Freunde waren und immer bleiben würden, möge kommen was wolle.

„Komm!", sagte Raures lachend und ergriff seinen Freund. „Wir beide werden erst einmal zusehen, dass wir hier etwas zu Essen bekommen und uns in Ruhe der guten alten Zeiten entsinnen."

Freudig stimmte Theoden ihm zu, denn bei all den Pflichten die zwei Königen zugesprochen waren, war ein ruhiger Abend mit einem alten Kameraden ein besonders seltener Moment, für den er heute unbeschreiblich dankbar war.

So verbrachten sie den Abend größtenteils damit, ihre Erlebnisse auszutauschen und alte Erinnerungen wieder aufzufrischen, darauf bedacht alles was sie in den langen Jahren der Trennung verpasst hatten nachzuholen.

Doch das Schicksal spielte ihnen einen ganz besonderen Streich, denn Raures ahnte in diesem Moment noch nicht, dass Theoden noch eine viel größere Überraschung für ihn geplant hatte.

Theoden wiederum ahnte nicht, dass seine Überraschung ebenfalls eine Überraschung bei sich hatte, die bereits jemand anderem über die Füße gelaufen war und Kali...

... Kali war nach ihrem Zusammenstoß mit der Überraschung sichtlich überraschter als irgendjemand sonst zu diesem Zeitpunkt in ganz Atlantis.

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