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Fast gar nicht in dich verliebt...
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~ Kapitel 2: Seltsame Gestalten ~
Kali starrte die vor ihr stehende Frau aus großen Augen an.
Heute war wirklich nicht ihr Tag. Zuerst die Halluzinationen, dann die Standpauken von Tessa und jetzt das.
„Entschuldigt, meine Dame.", sprach die Frau mit einem Lächeln und verbeugte sich knapp. „Ich wäre ja zur Seite gegangen, aber ich hätte nicht gedacht, dass ihr in mich hinein laufen würdet."
Seltsam, sie hatte wirklich eine tiefe Stimme. Aber irgendwie klang diese trotzdem angenehm melodisch und dennoch nicht wirklich nach einer Frau.
War sie nun eine Frau oder ein Mann?
‚Oh mein Gott! Natürlich.', schoss es Kali plötzlich durch den Kopf.
‚Ein Transvestit!'
Sie war ja nicht von gestern und hatte schon häufig davon gehört, dass Männer sich als Frauen verkleiden oder gar ihr ganzes Leben als Frau verbringen.
Zwar kamen Transvestiten in Atlantis nicht vor, zumindest hatte sie noch nie einen getroffen, dennoch fand sie diesen Gedanken schon immer interessant:
Ein Mensch der mit dem von Gott gegebenem nicht zufrieden ist und sich gegen dessen Willen stellt, indem er sich selbst verändert und somit das Leben für sich erträglicher macht.
Ein faszinierender Gedanke.
Ungewollt und mit einem Schmunzeln entsinnte sich Kali ihrer Kindheit.
Damals als sie sechs Jahre alt war verspürte sie bereits das Verlangen sich zu ändern, jemand anderes zu sein.
Aus Verdruss hatte sie sich damals die schwarzen Haare abgeschnitten, nur um sich den Hänseleien der anderen Kinder zu entziehen.
Ihr Vater und ihr Kindermädchen hatten getobt wie ein wildes Unwetter und seit dieser Zeit bekam Kali nur noch Unterricht im Palast.
Ja, sie war anders und das wollte sie nicht sein.
„Geht es Euch gut?"
Mit einem Mal wurde Kali unsanft aus ihren Gedanken gerissen.
„Ihr habt Euch doch hoffentlich nicht verletzt?", fragte die Frau besorgt (Kali entschied sich für eine Frau, da sie augrund ihres Aussehens anscheinend doch sehr bestrebt war weiblich auszusehen.).
„N-Nein", stotterte Kali „Mir geht es gut."
Mühsam versuchte sie ein Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen und ihre Gedanken zu ordnen.
Nun gut.
Sie wollte sich kurz fassen:
Vor ihr stand also ein Mann aus irgendeinem fremden Land, verkleidet als Frau mit, angeklebten, spitzen Ohren und einem verwirrtem Gesichtsausdruck...
Spitze Ohren?
Wozu denn das? Hatten die Frauen in seinem Land etwa spitze Ohren?
Nun war Kali komplett verwirrt.
Insgesamt sah er, oder sie, wohl eher aus wie ein Clown oder ein Pierrot aus dem ihr nur zu gut bekannten Theater. Allein schon dieses blasse Gesicht machte einen recht seltsam gekünstelten Eindruck.
Die Atlanter trugen bei Aufführungen im Theater immer Schminke, aber... Na toll!
Jetzt war sie komplett verwirrt.
„Darf ich fragen wie Ihr heißt?", fragte die Frau plötzlich und schaute Kali dabei so tief in die Augen, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Kali.", kam die Antwort rasch, „Kali Ata-".
Plötzlich stockte sie.
Wenn sie ihren wahren Namen verrate würde, dann wüsste die Frau mit Sicherheit sofort wer sie war... und das wollte sie nicht, aus welchem Grund auch immer.
Kali biss sich auf die Lippen.
„Kali Atar, Tochter von Serfu.", setzte sie erneut an und diesmal mit mehr Erfolg. Sollte sie doch denken, vor ihr stünde ein normales Mädchen aus einfachem Hause. Mal sehen wie man sie dann behandelt würde.
„Kali also. Nun, Kali, es ist mir eine Freude von Euch beinahe überrannt worden zu sein.", erwiderte die Frau mit einem Lächeln auf Kali blickend.
„Überrannt?", warf Kali empört zurück. „Also entschuldigt bitte. Wenn Ihr hier nicht wie eine versteinerte Säule rumgestanden hätte, dann wäre ich wohl kaum in Euch ‚hinein gerannt', wie Ihr euch auszudrücken vermögt."
„Nun.", erwiderte die Frau mit einem Schmunzeln. „Hättet Ihr nicht von einem Ork geträumt, wobei ich euren Geschmack wirklich in Frage stelle, dann hättet Ihr mich wohl noch rechtzeitig erblickt."
Kali traute ihren Ohren nicht. Was hatte dieser Clown gesagt?
Nun, es war weniger was, sondern wie sie es gesagt hatte und zwar mit einer unglaublich arroganten Genugtuung in der Stimme
Dies würde Kali mit Sicherheit nicht auf sich beruhen lassen.
Mit einem gewaltigen Schritt trat sie näher an die Frau, stellte sich auf die Zehspitzen, da diese doch um gut einen ganzen Kopf größer war als sie selbst und blickte ihr bedrohlich funkelnd in die tiefblauen Augen.
„Nun, Ihr dürft an meinem Geschmack zweifeln soviel ihr wollt,", gab Kali so hochmütig wie sie nur konnte zur Antwort, „ aber habt dann bitte auch Nachsicht mit mir, wenn ich aufgrund eurer albernen Ohren, der massiven Schminke in Eurem Gesicht und der Tatsache, dass Ihr euch noch nicht einmal vorgestellt habt an eurem Verstand zweifle."
Dann macht sie auf dem Absatz kehrt, zog sich wieder die Kapuze über den Kopf und verschwand laut schnaubend in den endlosen Wirren der Gänge des Schlosses.
Die seltsame Gestalt hingegen konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Was fiel dieser Göre nur ein?
Wusste sie denn nicht mit wem sie gerade geredet hatte? Wer war sie überhaupt? Ein Dienstmädchen? Eine Adelige? Oh nein, das bestimmt nicht.
Hoheiten benahmen sich nicht so wie sie, das wusste sie selbst nur allzu gut.
„Na, da hat sich mal endlich jemand getraut zu sagen, was allen Geschöpfe dieser Welt bei eurem Anblick auf dem Herzen liegt!"
Erschrocken wand sich die Frau mit einer Raschen Bewegung um und verdrehte sichtbar die Augen.
„Du schon wieder! Seit wann schleichen sich Zwerge so gekonnt an?", fragte sie um ihrem Freund eines auszuwischen, doch dieser begann lauthals zu lachen, sichtbar unberührt.
„Ha! Sie zweifelt an deinem Verstand!", begann der Zwerg.
„Ja, du hast es gehört. Das ist doch wohl eine bodenlose Frechheit."
„Oh nein. Mit Verlaub, Euer Hoheit.", erwiderte er mit einem gequält ernsten Gesichtsausdruck und deutete eine Verbeugung an. „Die einzige Frechheit ist, dass bis jetzt jeder an eurem Verstand gezweifelt hat und Ihr es nur noch nicht bemerkt habt."
Kaum hatte der Zwerg diese Wort zuende gesprochen, schon konnte er sich einen lauten Lachanfall nicht verkneifen.
Die Frau hingegen beachtete ihren Freund nicht.
Stattdessen machte sie sich auf den Weg in die Gemächer, die ihr König Raures zugeteilt hatte und beschäftigte sich damit ihr verletztes Ego wieder aufzubauen indem sie ihre Ohren befühlte um sicherzugehen, dass sie nicht zu spitz waren, was ihr im Nachhinein wie eine ziemlich dumme Geste vorkam.
Sie konnte nicht glauben, dass sie sich von einem dahergelaufenen Dienstmädchen (dessen war sie sich nach ihrer Art zu sprechen sicher), verunsichern und beleidigen lies.
Mit einem lauten Schluchzen schritt sie in ihre Gemächer und verschloss die Tür.
Welche Überraschungen sie in diesem seltsamen Land noch erwarteten, vermochte sie sich gar nicht vorzustellen.
~~~
Ein süßer Duft von frischen Blumen und Unmengen von Wein stieg Kali kitzelnd in die Nase.
Sie liebte die Freiheit der Straßen von Atlantis, die betörenden Geräusche die von den Menschen ausgingen, laut und durcheinander redend. Zwar verstand Kali kein Wort, doch das war auch nicht ihre Absicht.
Schnell schritt sie durch die engen Gassen und Straßen an den Unmengen von fremden Menschen vorbei und musste feststellen, dass das Getuschel viel stärker war als an sonst einem anderen Tag im Jahr. Hatte es einen besonderen Grund?
‚Wahrscheinlich ist es nur das wunderbare Wetter, das die Menschen heute auf die Straße lockt.', dacht Kali bei sich, zog ihre Kapuze noch tiefer ins Gesicht und lief direkt in den Wald hinein.
Sie hasste die Stille und liebte jegliche Geräusche, besonders die der Natur.
Langsam schritt sie durch das Unterholz des Waldes und lauschte dem Gesang der Vögel.
Wie gerne würde sie einfach hier im Wald liegen und an nichts denken. Frei und losgelöst von allen Sorgen und Nöten, die sie in letzter Zeit so häufig plagten.
Mit einem Mal verkrampfte sich ihr Herz und sie musste wieder an Theodred denken.
Da war es wieder, dieses Gefühl. Kalt und bedrohlich schien es von ihr Besitz zu ergreifen.
Ihr wurde übel.
Hitze.
Hitze stieg in ihr auf. Sie hatte das Gefühl zu verbrennen.
Eine Frau!
Was machte sie da? Ein Dolch aus den heiligen Zeremonien der Priesterinnen und –
„Nein!", schrie Kali.
Mit einem Mal fiel sie mit dem Rücken auf den Boden und blickte erschrocken auf ihr Hand.
Blut!
Blut klaffte aus einer Wunde an ihrem Bauch.
Sie wollte schreien, doch sie konnte nicht. Ihr Kehle brachte keine Laute hervor, doch plötzlich wollte sie es auch gar nicht mehr. Sie sah keinen Grund als sie endlich jemand ergriff und auf seine Arme hob.
Er war es. Er war doch gekommen.
Das Letzte was sie sah, waren seine schwarzen Haare und zwei hell funkelnde, tiefbraune Augen. Er war es wirklich.
Dann wurde es dunkel...
~~~
„Was im Namen aller Götter ist passiert?", fragte der König und lief, ohne auf den in dem großen Zimmer wartenden Arzt zu achten, direkt auf das Bett seiner Tochter zu.
„Euer Sohn hat sie im Wald gefunden und unverzüglich hierher zu mir gebracht.", begann der Arzt. „Sie hat zwar keine sichtbaren Wunden, dennoch hält sie ihre Hand fortwährend auf ihrem Bauch, ganz so als hätte sie Schmerzen und ihr Zustand hat sich während der letzten Stunden ebenfalls nicht gebessert."
Raures, der die Hand seiner Tochter fest umklammert hielt versuchte seine Gedanken zu ordnen, während er unentwegt von Heilern umkreist wurde, die entweder darauf bedacht waren Kali mit Kräutern einzusalben oder ihre glühende Stirn mit kalten Tüchern zu kühlen.
Der Anblick seiner Tochter bereitete ihm Angst.
Ihre sonst so lebendigen blauen Augen zuckten unentwegt nervös unter ihren Lidern, Schweiß perlte von ihrer Stirn und ihre leblose Hand fühlte sich kalt und verkrampft an.
Raures schossen die Tränen in die Augen.
Auf genau dieselbe Art und Weise hatte er bereits seine geliebte Frau Rala verloren.
Damals war er machtlos gewesen gegen das Fieber, das sie befallen hatte. Tage und Nächte verbrachte er bangend an ihrem Bett und vergoss Unmengen bitterer Tränen, bis sie ihm letztendlich nach einer unglaublich langen Zeit der Hoffens und Bangens stumm durch seine Finger glitt. Er gab sie wortlos weg, ohne jeglichen Protest und dabei hätte er soviel sagen können, doch er vermochte es nicht, waren Worte doch nur leere und bedeutungslose Mittel, die Gefühle nicht auszudrücken vermochten.
„Wir müssen abwarten.", setzte der Arzt an, dem das kummervolle Gesicht des Königs nicht entgangen war. „Sie braucht viel Ruhe und vor allem Zeit, die wir ihr zu geben nicht im Stande sind."
Gerade als er diese Worte zu Ende gesprochen hatte, ging die schwere hölzerne Tür auf und ein großer blonder Mann trat in den Raum, verbeugte sich knapp und trat zu dem König.
Mit einer kurzen Handbewegung deutete Raures dem Mediziner und seinen Heilern ihn einen Augenblick zu entschuldigen, denn er wollte ungestört mit seinem Sohn sprechen.
Gerade als der letzte Heiler den Raum verlassen hatte, wandte sich König Raures seinem Sohn zu.
„Lias! Sag mir, was ist geschehen", forderte er seinen Sohn mit knapper, jedoch vor Sorge bebender Stimme auf. „War sie etwa wieder bei einer dieser Zeremonien oder gar in diesem verfluchten Theater?"
Der Blick des Königs war ungewollt kalt und angsteinflössend, sodass es Lias beim Anblick seines Vaters erschaudern lies.
„Sprich mein Sohn!"
„Nun", setze Lias etwas unsicher an, „heute morgen ist mir nicht entgangen wie Kali sich wiedereinmal aus dem Schloss geschlichen hat, also bin ich ihr kurzerhand gefolgt, wie immer. Plötzlich, mitten im Wald fiel sie zu Boden. Als ich zu ihr kam, sah sie mir in die Augen und sagte etwas wie ‚Du bist also doch noch gekommen!', oder so ähnlich und wurde bewusstlos."
Lias atmete noch einmal tief durch.
„Jetzt liegt sie hier, bereits einen halben Tag und wacht nicht auf." Dann senkte er seinen Blick und schaute auf seine Schwester, die immer noch um ihr Leben zu kämpfen schien.
Es klopfte an der Tür und ein Bote trat ein.
„Euer Majestät." Er verbeugte sich und fuhr fort. „Hier ist, ähm, nun." Verunsichert stockte der Bote und entschied sich letztendlich dazu, sich kurz zu fassen.
„Ein Elb steht vor der Tür und gedenkt mit euch zu sprechen mein König." Dann drehte er sich schnell um, verlies den Raum und lies den Elb eintreten.
Der König jedoch duldete den ihm angekündigten Besuch keines Blickes. Stattdessen wandte er sich ab und gesellte sich wieder ans Bett zu seiner Tochter.
„Entschuldigt mein plötzliches Auftreten, euer Majestät", begann der Elb, „aber mir ist zu Ohren gekommen, dass eure Tochter sehr schwer erkrankt ist und dass eure Ärzte keinen Rat wissen, wie sie ihr helfen könnten."
Was erlaubte er sich!
Raures biss seine Zähne so stark zusammen, dass es schmerzte und ballte seine Fäuste.
Hilflos stand er nun vor diesem Wesen da, dessen Rasse er abgrundtief hasste und nur in seinem Palast duldete, weil Theoden ihn als „Reisebegleiter" mitgebracht hatte.
„Vielleicht", begann der Elb erneut, „vielleicht, mit eurer Erlaubnis, könnte ich versuchen eurer Tochter zu helfen."
Raures traute seinen Ohren nicht. Was mutete sich dieser Elb zu?
Mit einem blitzartigen Ruck fuhr der König hoch.
Nie würde er einem solch verkommenen Geschöpf erlauben seine Tochter anzurühren, niemals.
Gerade als er etwas erwidern wollte, baute sich plötzlich Lias vor ihm auf und versuchte ihm Einhalt zu gebieten.
„Vater. Vergesst nur für einen Augenblick eure Verurteilungen und erlaubt ihm wenigsten sich sie anzusehen."
„Das darf doch nicht wahr sein.", entfuhr es dem König.
Wie konnte sein eigener Sohn ihn nur so schamlos hintergehen und all seine Prinzipien verraten an denen er bisher so demonstrativ festgehalten hatte.
„Lias. Wieso nimmst du diesen Elb auch noch in Schutz? Weißt du denn nicht –"
„Vater!", unterbrach ihn Lias, „Hier geht es nicht um eine Meinungsverschiedenheit zwischen Euch und ihm oder seinem Vater. Es geht um Kalis Leben. Ihr wisst ich würde nie etwas tun was ihr schaden könnte und ihr genauso wenig."
Raures glaubte nicht, was er da hörte. Das Leben seiner Tochter sollte nun in den Händen dieses Elben liegen? Das durfte er nicht zulassen.
Doch andererseits war sie verloren und es bestand kaum Hoffnung auf Besserung und seine einzige Tochter zu verlieren würde er nicht verkraften.
„Ich bin einverstanden", sprach der König letztendlich resignierend und trat vom Bett seiner Tochter, "aber ich warne Euch –".
Doch der Elb verbeugte sich nur knapp und stand bereits konzentriert bei Kali, deren Hände er ergriff und zu ihr zu sprechen begann.
„Brennil o gwaew. Tolo dan na gilgalad."
~~~
„Ein Licht!
Siehst du das Devon? Ein Licht! Es ruft mich. Lass mich bitte gehen.
Bitte!"
„Aber du kehrst doch zu mir zurück, meleth nin?"
„Ich verspreche es"
~~~
Alles drehte sich.
Ihr Kopf, ihre Augen... alles schmerzte. Das Licht war so grell..
War sie etwa gestorben?
War dies das Reich der Götter?
Dort! Ein Gesicht.
Sie blinzelte heftig. Ihre Sicht war verschwommen und sie konnte nichts erkennen.
Ja, da war etwas.
Ein Gott, es musste einer sein. Er hatte weiches, goldenes Haar und einer wunderbare Stimme.
Aber kannte sie diese Stimme nicht? War es nicht –
Kali traute ihren Augen nicht.
Sie war gestorben und das Erste sah, war der unverschämte Clown der ihr heute im Schloss über den Weg gelaufen war.
Na toll, sie war tot und in der leibhaftigen Hölle...
~~~~ * ~~~~
Fast gar nicht in dich verliebt...
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~ Kapitel 2: Seltsame Gestalten ~
Kali starrte die vor ihr stehende Frau aus großen Augen an.
Heute war wirklich nicht ihr Tag. Zuerst die Halluzinationen, dann die Standpauken von Tessa und jetzt das.
„Entschuldigt, meine Dame.", sprach die Frau mit einem Lächeln und verbeugte sich knapp. „Ich wäre ja zur Seite gegangen, aber ich hätte nicht gedacht, dass ihr in mich hinein laufen würdet."
Seltsam, sie hatte wirklich eine tiefe Stimme. Aber irgendwie klang diese trotzdem angenehm melodisch und dennoch nicht wirklich nach einer Frau.
War sie nun eine Frau oder ein Mann?
‚Oh mein Gott! Natürlich.', schoss es Kali plötzlich durch den Kopf.
‚Ein Transvestit!'
Sie war ja nicht von gestern und hatte schon häufig davon gehört, dass Männer sich als Frauen verkleiden oder gar ihr ganzes Leben als Frau verbringen.
Zwar kamen Transvestiten in Atlantis nicht vor, zumindest hatte sie noch nie einen getroffen, dennoch fand sie diesen Gedanken schon immer interessant:
Ein Mensch der mit dem von Gott gegebenem nicht zufrieden ist und sich gegen dessen Willen stellt, indem er sich selbst verändert und somit das Leben für sich erträglicher macht.
Ein faszinierender Gedanke.
Ungewollt und mit einem Schmunzeln entsinnte sich Kali ihrer Kindheit.
Damals als sie sechs Jahre alt war verspürte sie bereits das Verlangen sich zu ändern, jemand anderes zu sein.
Aus Verdruss hatte sie sich damals die schwarzen Haare abgeschnitten, nur um sich den Hänseleien der anderen Kinder zu entziehen.
Ihr Vater und ihr Kindermädchen hatten getobt wie ein wildes Unwetter und seit dieser Zeit bekam Kali nur noch Unterricht im Palast.
Ja, sie war anders und das wollte sie nicht sein.
„Geht es Euch gut?"
Mit einem Mal wurde Kali unsanft aus ihren Gedanken gerissen.
„Ihr habt Euch doch hoffentlich nicht verletzt?", fragte die Frau besorgt (Kali entschied sich für eine Frau, da sie augrund ihres Aussehens anscheinend doch sehr bestrebt war weiblich auszusehen.).
„N-Nein", stotterte Kali „Mir geht es gut."
Mühsam versuchte sie ein Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen und ihre Gedanken zu ordnen.
Nun gut.
Sie wollte sich kurz fassen:
Vor ihr stand also ein Mann aus irgendeinem fremden Land, verkleidet als Frau mit, angeklebten, spitzen Ohren und einem verwirrtem Gesichtsausdruck...
Spitze Ohren?
Wozu denn das? Hatten die Frauen in seinem Land etwa spitze Ohren?
Nun war Kali komplett verwirrt.
Insgesamt sah er, oder sie, wohl eher aus wie ein Clown oder ein Pierrot aus dem ihr nur zu gut bekannten Theater. Allein schon dieses blasse Gesicht machte einen recht seltsam gekünstelten Eindruck.
Die Atlanter trugen bei Aufführungen im Theater immer Schminke, aber... Na toll!
Jetzt war sie komplett verwirrt.
„Darf ich fragen wie Ihr heißt?", fragte die Frau plötzlich und schaute Kali dabei so tief in die Augen, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Kali.", kam die Antwort rasch, „Kali Ata-".
Plötzlich stockte sie.
Wenn sie ihren wahren Namen verrate würde, dann wüsste die Frau mit Sicherheit sofort wer sie war... und das wollte sie nicht, aus welchem Grund auch immer.
Kali biss sich auf die Lippen.
„Kali Atar, Tochter von Serfu.", setzte sie erneut an und diesmal mit mehr Erfolg. Sollte sie doch denken, vor ihr stünde ein normales Mädchen aus einfachem Hause. Mal sehen wie man sie dann behandelt würde.
„Kali also. Nun, Kali, es ist mir eine Freude von Euch beinahe überrannt worden zu sein.", erwiderte die Frau mit einem Lächeln auf Kali blickend.
„Überrannt?", warf Kali empört zurück. „Also entschuldigt bitte. Wenn Ihr hier nicht wie eine versteinerte Säule rumgestanden hätte, dann wäre ich wohl kaum in Euch ‚hinein gerannt', wie Ihr euch auszudrücken vermögt."
„Nun.", erwiderte die Frau mit einem Schmunzeln. „Hättet Ihr nicht von einem Ork geträumt, wobei ich euren Geschmack wirklich in Frage stelle, dann hättet Ihr mich wohl noch rechtzeitig erblickt."
Kali traute ihren Ohren nicht. Was hatte dieser Clown gesagt?
Nun, es war weniger was, sondern wie sie es gesagt hatte und zwar mit einer unglaublich arroganten Genugtuung in der Stimme
Dies würde Kali mit Sicherheit nicht auf sich beruhen lassen.
Mit einem gewaltigen Schritt trat sie näher an die Frau, stellte sich auf die Zehspitzen, da diese doch um gut einen ganzen Kopf größer war als sie selbst und blickte ihr bedrohlich funkelnd in die tiefblauen Augen.
„Nun, Ihr dürft an meinem Geschmack zweifeln soviel ihr wollt,", gab Kali so hochmütig wie sie nur konnte zur Antwort, „ aber habt dann bitte auch Nachsicht mit mir, wenn ich aufgrund eurer albernen Ohren, der massiven Schminke in Eurem Gesicht und der Tatsache, dass Ihr euch noch nicht einmal vorgestellt habt an eurem Verstand zweifle."
Dann macht sie auf dem Absatz kehrt, zog sich wieder die Kapuze über den Kopf und verschwand laut schnaubend in den endlosen Wirren der Gänge des Schlosses.
Die seltsame Gestalt hingegen konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Was fiel dieser Göre nur ein?
Wusste sie denn nicht mit wem sie gerade geredet hatte? Wer war sie überhaupt? Ein Dienstmädchen? Eine Adelige? Oh nein, das bestimmt nicht.
Hoheiten benahmen sich nicht so wie sie, das wusste sie selbst nur allzu gut.
„Na, da hat sich mal endlich jemand getraut zu sagen, was allen Geschöpfe dieser Welt bei eurem Anblick auf dem Herzen liegt!"
Erschrocken wand sich die Frau mit einer Raschen Bewegung um und verdrehte sichtbar die Augen.
„Du schon wieder! Seit wann schleichen sich Zwerge so gekonnt an?", fragte sie um ihrem Freund eines auszuwischen, doch dieser begann lauthals zu lachen, sichtbar unberührt.
„Ha! Sie zweifelt an deinem Verstand!", begann der Zwerg.
„Ja, du hast es gehört. Das ist doch wohl eine bodenlose Frechheit."
„Oh nein. Mit Verlaub, Euer Hoheit.", erwiderte er mit einem gequält ernsten Gesichtsausdruck und deutete eine Verbeugung an. „Die einzige Frechheit ist, dass bis jetzt jeder an eurem Verstand gezweifelt hat und Ihr es nur noch nicht bemerkt habt."
Kaum hatte der Zwerg diese Wort zuende gesprochen, schon konnte er sich einen lauten Lachanfall nicht verkneifen.
Die Frau hingegen beachtete ihren Freund nicht.
Stattdessen machte sie sich auf den Weg in die Gemächer, die ihr König Raures zugeteilt hatte und beschäftigte sich damit ihr verletztes Ego wieder aufzubauen indem sie ihre Ohren befühlte um sicherzugehen, dass sie nicht zu spitz waren, was ihr im Nachhinein wie eine ziemlich dumme Geste vorkam.
Sie konnte nicht glauben, dass sie sich von einem dahergelaufenen Dienstmädchen (dessen war sie sich nach ihrer Art zu sprechen sicher), verunsichern und beleidigen lies.
Mit einem lauten Schluchzen schritt sie in ihre Gemächer und verschloss die Tür.
Welche Überraschungen sie in diesem seltsamen Land noch erwarteten, vermochte sie sich gar nicht vorzustellen.
~~~
Ein süßer Duft von frischen Blumen und Unmengen von Wein stieg Kali kitzelnd in die Nase.
Sie liebte die Freiheit der Straßen von Atlantis, die betörenden Geräusche die von den Menschen ausgingen, laut und durcheinander redend. Zwar verstand Kali kein Wort, doch das war auch nicht ihre Absicht.
Schnell schritt sie durch die engen Gassen und Straßen an den Unmengen von fremden Menschen vorbei und musste feststellen, dass das Getuschel viel stärker war als an sonst einem anderen Tag im Jahr. Hatte es einen besonderen Grund?
‚Wahrscheinlich ist es nur das wunderbare Wetter, das die Menschen heute auf die Straße lockt.', dacht Kali bei sich, zog ihre Kapuze noch tiefer ins Gesicht und lief direkt in den Wald hinein.
Sie hasste die Stille und liebte jegliche Geräusche, besonders die der Natur.
Langsam schritt sie durch das Unterholz des Waldes und lauschte dem Gesang der Vögel.
Wie gerne würde sie einfach hier im Wald liegen und an nichts denken. Frei und losgelöst von allen Sorgen und Nöten, die sie in letzter Zeit so häufig plagten.
Mit einem Mal verkrampfte sich ihr Herz und sie musste wieder an Theodred denken.
Da war es wieder, dieses Gefühl. Kalt und bedrohlich schien es von ihr Besitz zu ergreifen.
Ihr wurde übel.
Hitze.
Hitze stieg in ihr auf. Sie hatte das Gefühl zu verbrennen.
Eine Frau!
Was machte sie da? Ein Dolch aus den heiligen Zeremonien der Priesterinnen und –
„Nein!", schrie Kali.
Mit einem Mal fiel sie mit dem Rücken auf den Boden und blickte erschrocken auf ihr Hand.
Blut!
Blut klaffte aus einer Wunde an ihrem Bauch.
Sie wollte schreien, doch sie konnte nicht. Ihr Kehle brachte keine Laute hervor, doch plötzlich wollte sie es auch gar nicht mehr. Sie sah keinen Grund als sie endlich jemand ergriff und auf seine Arme hob.
Er war es. Er war doch gekommen.
Das Letzte was sie sah, waren seine schwarzen Haare und zwei hell funkelnde, tiefbraune Augen. Er war es wirklich.
Dann wurde es dunkel...
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„Was im Namen aller Götter ist passiert?", fragte der König und lief, ohne auf den in dem großen Zimmer wartenden Arzt zu achten, direkt auf das Bett seiner Tochter zu.
„Euer Sohn hat sie im Wald gefunden und unverzüglich hierher zu mir gebracht.", begann der Arzt. „Sie hat zwar keine sichtbaren Wunden, dennoch hält sie ihre Hand fortwährend auf ihrem Bauch, ganz so als hätte sie Schmerzen und ihr Zustand hat sich während der letzten Stunden ebenfalls nicht gebessert."
Raures, der die Hand seiner Tochter fest umklammert hielt versuchte seine Gedanken zu ordnen, während er unentwegt von Heilern umkreist wurde, die entweder darauf bedacht waren Kali mit Kräutern einzusalben oder ihre glühende Stirn mit kalten Tüchern zu kühlen.
Der Anblick seiner Tochter bereitete ihm Angst.
Ihre sonst so lebendigen blauen Augen zuckten unentwegt nervös unter ihren Lidern, Schweiß perlte von ihrer Stirn und ihre leblose Hand fühlte sich kalt und verkrampft an.
Raures schossen die Tränen in die Augen.
Auf genau dieselbe Art und Weise hatte er bereits seine geliebte Frau Rala verloren.
Damals war er machtlos gewesen gegen das Fieber, das sie befallen hatte. Tage und Nächte verbrachte er bangend an ihrem Bett und vergoss Unmengen bitterer Tränen, bis sie ihm letztendlich nach einer unglaublich langen Zeit der Hoffens und Bangens stumm durch seine Finger glitt. Er gab sie wortlos weg, ohne jeglichen Protest und dabei hätte er soviel sagen können, doch er vermochte es nicht, waren Worte doch nur leere und bedeutungslose Mittel, die Gefühle nicht auszudrücken vermochten.
„Wir müssen abwarten.", setzte der Arzt an, dem das kummervolle Gesicht des Königs nicht entgangen war. „Sie braucht viel Ruhe und vor allem Zeit, die wir ihr zu geben nicht im Stande sind."
Gerade als er diese Worte zu Ende gesprochen hatte, ging die schwere hölzerne Tür auf und ein großer blonder Mann trat in den Raum, verbeugte sich knapp und trat zu dem König.
Mit einer kurzen Handbewegung deutete Raures dem Mediziner und seinen Heilern ihn einen Augenblick zu entschuldigen, denn er wollte ungestört mit seinem Sohn sprechen.
Gerade als der letzte Heiler den Raum verlassen hatte, wandte sich König Raures seinem Sohn zu.
„Lias! Sag mir, was ist geschehen", forderte er seinen Sohn mit knapper, jedoch vor Sorge bebender Stimme auf. „War sie etwa wieder bei einer dieser Zeremonien oder gar in diesem verfluchten Theater?"
Der Blick des Königs war ungewollt kalt und angsteinflössend, sodass es Lias beim Anblick seines Vaters erschaudern lies.
„Sprich mein Sohn!"
„Nun", setze Lias etwas unsicher an, „heute morgen ist mir nicht entgangen wie Kali sich wiedereinmal aus dem Schloss geschlichen hat, also bin ich ihr kurzerhand gefolgt, wie immer. Plötzlich, mitten im Wald fiel sie zu Boden. Als ich zu ihr kam, sah sie mir in die Augen und sagte etwas wie ‚Du bist also doch noch gekommen!', oder so ähnlich und wurde bewusstlos."
Lias atmete noch einmal tief durch.
„Jetzt liegt sie hier, bereits einen halben Tag und wacht nicht auf." Dann senkte er seinen Blick und schaute auf seine Schwester, die immer noch um ihr Leben zu kämpfen schien.
Es klopfte an der Tür und ein Bote trat ein.
„Euer Majestät." Er verbeugte sich und fuhr fort. „Hier ist, ähm, nun." Verunsichert stockte der Bote und entschied sich letztendlich dazu, sich kurz zu fassen.
„Ein Elb steht vor der Tür und gedenkt mit euch zu sprechen mein König." Dann drehte er sich schnell um, verlies den Raum und lies den Elb eintreten.
Der König jedoch duldete den ihm angekündigten Besuch keines Blickes. Stattdessen wandte er sich ab und gesellte sich wieder ans Bett zu seiner Tochter.
„Entschuldigt mein plötzliches Auftreten, euer Majestät", begann der Elb, „aber mir ist zu Ohren gekommen, dass eure Tochter sehr schwer erkrankt ist und dass eure Ärzte keinen Rat wissen, wie sie ihr helfen könnten."
Was erlaubte er sich!
Raures biss seine Zähne so stark zusammen, dass es schmerzte und ballte seine Fäuste.
Hilflos stand er nun vor diesem Wesen da, dessen Rasse er abgrundtief hasste und nur in seinem Palast duldete, weil Theoden ihn als „Reisebegleiter" mitgebracht hatte.
„Vielleicht", begann der Elb erneut, „vielleicht, mit eurer Erlaubnis, könnte ich versuchen eurer Tochter zu helfen."
Raures traute seinen Ohren nicht. Was mutete sich dieser Elb zu?
Mit einem blitzartigen Ruck fuhr der König hoch.
Nie würde er einem solch verkommenen Geschöpf erlauben seine Tochter anzurühren, niemals.
Gerade als er etwas erwidern wollte, baute sich plötzlich Lias vor ihm auf und versuchte ihm Einhalt zu gebieten.
„Vater. Vergesst nur für einen Augenblick eure Verurteilungen und erlaubt ihm wenigsten sich sie anzusehen."
„Das darf doch nicht wahr sein.", entfuhr es dem König.
Wie konnte sein eigener Sohn ihn nur so schamlos hintergehen und all seine Prinzipien verraten an denen er bisher so demonstrativ festgehalten hatte.
„Lias. Wieso nimmst du diesen Elb auch noch in Schutz? Weißt du denn nicht –"
„Vater!", unterbrach ihn Lias, „Hier geht es nicht um eine Meinungsverschiedenheit zwischen Euch und ihm oder seinem Vater. Es geht um Kalis Leben. Ihr wisst ich würde nie etwas tun was ihr schaden könnte und ihr genauso wenig."
Raures glaubte nicht, was er da hörte. Das Leben seiner Tochter sollte nun in den Händen dieses Elben liegen? Das durfte er nicht zulassen.
Doch andererseits war sie verloren und es bestand kaum Hoffnung auf Besserung und seine einzige Tochter zu verlieren würde er nicht verkraften.
„Ich bin einverstanden", sprach der König letztendlich resignierend und trat vom Bett seiner Tochter, "aber ich warne Euch –".
Doch der Elb verbeugte sich nur knapp und stand bereits konzentriert bei Kali, deren Hände er ergriff und zu ihr zu sprechen begann.
„Brennil o gwaew. Tolo dan na gilgalad."
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„Ein Licht!
Siehst du das Devon? Ein Licht! Es ruft mich. Lass mich bitte gehen.
Bitte!"
„Aber du kehrst doch zu mir zurück, meleth nin?"
„Ich verspreche es"
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Alles drehte sich.
Ihr Kopf, ihre Augen... alles schmerzte. Das Licht war so grell..
War sie etwa gestorben?
War dies das Reich der Götter?
Dort! Ein Gesicht.
Sie blinzelte heftig. Ihre Sicht war verschwommen und sie konnte nichts erkennen.
Ja, da war etwas.
Ein Gott, es musste einer sein. Er hatte weiches, goldenes Haar und einer wunderbare Stimme.
Aber kannte sie diese Stimme nicht? War es nicht –
Kali traute ihren Augen nicht.
Sie war gestorben und das Erste sah, war der unverschämte Clown der ihr heute im Schloss über den Weg gelaufen war.
Na toll, sie war tot und in der leibhaftigen Hölle...
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