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Fast gar nicht in dich verliebt...
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~ Kapitel 4: Erwachen ~
„Und jetzt erkläre mir bitte, wozu diese Reise gut war, na?", empörte sich Legolas, der gerade dabei war seine Sachen, die er gestern erst ausgepackt hatte, wieder in seine Taschen zu verstauen.
Neben ihm lag ein großer Haufen Hosen, Hemden und Mäntel, dessen Ausmaß darauf hindeutete, dass Legolas wohl tatsächlich damit gerechnet hatte, länger als einen Tag in Atlantis zu verweilen.
„Nun", setzte Gimli an, „zum Beispiel, um dir endlich verständlich zu machen, dass du auch nur ein Elb mit viel zu spitzen Ohren bist."
Erbost blitzte Legolas seinen Freund an.
„Darüber macht man keine Scherze, Gimli."
„Aber sicher nicht, Euer Hoheit", sprach der Zwerg und verbeugte sich lauthals lachend, „dies sollte man genauso ernst nehmen wie Eure wechseljahrbedingten Gemütsschwankungen."
Wie bitte?
Legolas glaubte sich verhört zu heben! Wechseljahre?
Zwerge mochten vielleicht dann und wann unter Wechseljahren leiden, aber doch nicht Elben!
Solch eine dreiste Bemerkung würde er nicht auf sich sitzen lassen.
„Ach, ist es so, Gimli?", fragte Legolas schließlich und verkreuzte die Arme hochmütig vor seiner Brust.
„Natürlich!"
„Nun, dann stell dir doch einmal vor, man würde dir offen ins Gesicht sagen, dein Bart sei zu kurz, was er, wenn du mich fragst, in Anbetracht der Tatsache, dass du ein Zwerg bist, tatsächlich ist."
Erschrocken hielt Gimli die Luft an.
„Hey Prinzchen, das ist nicht lustig!"
„Tja", antwortete Legolas mit Genugtuung, „die Ohren eines Elben sind genauso wenig lustig."
Selbstzufrieden und mit einer sehr elbischen, vielleicht auch etwas weiblichen Geste, warf er die Haare zurück und lachte verschmitzt.
„Sind sie also nicht?", hackte Gimli nach.
„Nein, sind sie nicht."
„Dann erkläre mir doch einmal, wieso dieses Mädchen sie dann ausgelacht hat, na?"
„Sie hat meine Ohren nicht ausgelacht!", gab Legolas etwas pikiert zurück „Sie war lediglich etwas verwundert, das ist alles. Vielleicht hat sie noch nie zuvor einen Elben gesehen, wäre doch möglich."
„Oh sicher! Einen Elben mit sooo spitzen Ohren bestimmt nicht", konterte der Zwerg lachend und machte sich wieder daran, sein Gepäck zu verstauen.
Schnaubend ergriff Legolas seinen Umhang.
Er hatte nun wirklich genug Beleidigungen über sich ergehen lassen und wollte jetzt einfach nur etwas Ruhe haben.
„Weißt du was?", begann er schließlich, „wenn du fertig gepackt hast, dann ruf mich! Ich gehe spazieren."
Dann fiel die Tür mit einem lauten Knall in den Riegel und der Elb war verschwunden.
„Ich sage es ja", murmelte Gimli kleinlaut vor sich hin, „Wechseljahre!"
~~~
Atlantis.
Seine Wasser und seine Schönheit waren endlos.
Entspannt lehnte sich Theodred an die kühle Palastmauer und sog die frische Briese des Meeres tief ein, um die vollendete Pracht Atlantis' noch ein letztes Mal genießen zu können.
Der Morgen war noch jung und nur langsam wich die müde Nacht den ersten Sonnenstrahlen. Ein neuer Tag, ein Tag des Abschieds.
Heute Abend würde er wieder in seine Heimat aufbrechen müssen, in sein Land.
Edoras.
Wie oft hatte er bereits diese fantastische Wasserwelt, schweren Herzens zurücklassen müssen?
Wie oft gebot er Abschied, obwohl sich sein Herz nach diesem Land verzehrte?
Doch diesmal war es anders.
Dieses Mal würde ihm der Abschied nicht schwerfallen.
Ganz im Gegenteil.
Er verspürte keinen Schmerz, noch nicht einmal Trauer. Vielmehr überkam ihn ein Gefühl der Zufriedenheit und Freude.
Freude darüber, dass er das Liebste was er besaß, das was ihn am meisten an Atlantis faszinierte, mitnehmen durfte und nie wieder herzugeben brauchte.
„Hey, lass das!"
Neugierig lehnte sich Theodred über das Geländer des Balkons, um herauszufinden von wo die Stimme ertönte und als er unverhofft Kali erblickte, musste er lachen.
Sie war gerade damit beschäftigt im Schlossgarten Blumen anzupflanzen, als ein kleiner Vogel sich demonstrativ auf ihren Kopf setzte und auf diesem rumzupicken begann.
„Jetzt geh. Flieg schon", forderte sie den kleinen Finken auf, der sich jedoch keinesfalls wegzufliegen anschickte, sondern sich seelenruhig auf jenes Stück Erde setzte, auf dem Kali gerade frische Orchideen anpflanzen wollte.
Als sich der Vogel, auch nach mehrmaligem Zureden, immer noch nicht rührte, ergriff sie ihn kurzerhand und setzte ihn auf einen in der Nähe stehenden Baum.
„So, jetzt bleibst du aber da, damit ich die schönen Blumen in Ruhe einpflanzen kann, einverstanden?"
Theodred schmunzelte.
Dies war wahrhaft ein außergewöhnlicher Anblick. Sie behandelte den Finken wie einen ihrer Freunde und schenkte ihm die gleiche aufrichtige Zuneigung und Beachtung, die sie allen anderen Lebewesen auch entgegenbrachte.
Aber so war sie nun einmal, seine Kali.
Ihre herausragendste Eigenschaft war ihre unglaubliche Verbundenheit mit der Natur, wie er fand. Doch nicht nur sie war diejenige, die die Natur liebte.
Nein, die Natur liebte sie noch viel mehr.
Schon damals, als er noch ein kleiner Junge war und mit ihr die endlosen Strände Atlantis' entlang spazierte, hatte er das Gefühl gehabt, in ihrer Anwesenheit, den Wind flüstern und das Wasser singen zu hören.
Es war, als ob sich Mutter Natur und all ihre Lebewesen förmlich um Kali drängten und ihre Anwesenheit sie glücklich machte.
Bis zum heutigen Tage hatte sich daran nichts geändert.
Sie war und blieb einfach unbeschreiblich, ein unergründetes Geheimnis, wie er fand, und durchaus mehr als nur eine einfache Atlanterin.
„Na Theodred, schon gepackt?", ertönte eine Stimme hinter dem Prinzen.
„Ja, schon seit gestern!", gab Theodred lachend zurück, der sich nicht umzudrehen brauchte um Legolas' Stimme zu erkennen.
„Du hast es dir also gar nicht erst heimisch gemacht, was?"
Doch Theodred, der viel zu sehr damit beschäftigt war Kali bei ihrem Kampf mit dem Vogel zu beobachten, versäumte es seinem Freund zu antworten.
Also lehnte sich Legolas neugierig über das Geländer des Balkons und blickte ebenfalls in den Garten hinab.
„Es ist wegen ihr, nicht wahr?", fragte er schließlich, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen hatten.
„Was?"
„Dass wir alle hier sind, meine ich. Ist es nicht so?"
Stumm blickte Theodred in die Ferne.
„Wie lange kennt ihr euch? Sicherlich nicht erst einen Tag wie uns alle weiß machen wollen", bemerkte Legolas
„Ja, so ist es. Gut beobachtet Elb!", antwortete Theodred und blickte auf seinen Freund, der leise lächelte „Wir kennen uns schon ewig. Weißt du, damals, vor fünfzehn Jahren, wollte mein Vater unbedingt, dass ich nach Atlantis reise. ‚Es ist so wunderschön', sagte er immer."
Theodred holte tief Luft.
„Wenn du mich fragst, hat er all das hier schlau eingefädelt. Ich konnte problemlos in Atlantis ein- und ausreisen und bei ihr sein. Er wusste, dass wir uns über den Weg laufen würden."
„Und Raures?", fragte Legolas.
„Er ist König. Er hat wichtigeres zu tun, als jeden Einreisenden persönlich zu kontrollieren. Glaube mir, Atlantis ist längst nicht so sicher wie man allen weiß machen will."
Etwas verwirrt blickte Legolas zu Theodred.
Wozu diese ganzen Vorsichtsmaßnahmen?
„Wie dem auch sei. Mit der Hilfe meines Vaters bekam ich Unterricht in Atlantis und war immer in ihrer Nähe."
Theodred verstummte und sein Blick blieb ein weiteres Mal in der Ferne hängen.
„Es war von Anfang an vorbestimmt, dass wir heiraten sollten und er wollte es uns vereinfachen."
„Dafür kannst du ihm dankbar sein", erwiderte Legolas leise lachend, „es hat geklappt, sie geht mit dir nach Edoras."
„Ja, aber dennoch nicht aus freien Stücken. Ich kenne sie nur zu gut, Legolas, um zu wissen, dass ihr Herz an diesem Land, mit all seinen Menschen und Flüssen hängt, auch wenn sie stets das Gegenteil behauptet."
Mit einem Mal beugte sich Legolas weit über das Geländer und begann lauthals zu lachen.
„Bist du dir da sicher?", fragte er und deutete auf Kali.
Der Vogel hatte sich in der Zwischenzeit in ihren Haaren verfangen und sie war nun dabei, wie eine aufgebrachte Furie, in Kreisen durch den Garten zu rennen und sich laut schreiend den Kopf zu halten.
„Nun ja", ergänzte Theodred lachend „auf jeden Fall gut genug um zu wissen, dass wir schleunigst hier weg sollten."
„Willst du ihr nicht helfen?"
„Oh nein. Das lasse ich schön bleiben und dir wäre besser geraten es mir gleich zu tun. Komm." Dann ergriff Theodred Legolas' Arm und zerrte ihn hinter sich zurück ins Schloss.
„Wir gehen lieber rein. Wenn sie uns entdeckt, dann werden wir die jenigen sein, die Hilfe brauchen."
~~~
„Ich fasse es immer noch nicht, Gandalf."
Wütend lief Raures in dem großen Zimmer auf und ab.
„Warum hat er Gimli und Legolas hierher gebracht? Ich verstehe es einfach nicht!"
Gandalf, der einmal mehr genüsslich in einem großen, weichen Sessel saß und an seiner Pfeife zog, blickte durch das Fenster des königlichen Schlafgemachs, hinaus in den Garten.
Die Sonne war eben erst aufgegangen und kitzelte mit ihren warmen Strahlen die müden Vögel aus ihren Nestern. Ein dünner Nebelschleier umhüllte sanft die Blumen und Blätter in ganz Atlantis und zauberte, hier und dort, regenbogenähnliche Strahlen an den Himmel, die Gandalf in ihren Bann zogen.
„Jetzt erwartet er auch noch, dass ich meine Tochter ohne jegliche Begleitung nach Edoras gehen lasse!", fügte Raures völlig entgeistert hinzu und rief Gandalf aus dessen Gedanken, zurück in die Gegenwart.
„Wenn er glaubt, dass ich das tue, dann irrt er sich aber gewaltig."
„Sie wird nicht allein gehen, Raures", fiel ihm Gandalf plötzlich ins Wort, der seinen Blick von den Regenbögen auf Raures richtete.
„Ja, ja doch, ich weiß", antwortete Raures und nahm auf einem Sessel, gegenüber dem alten Zauberer Platz,„Ich denke nur, dass auch einige Atlanter mit ihr gehen sollten. Jemand, den sie kennt, versteht du Gandalf? Nicht, dass sie mir hinterher noch so einen Schock erleidet wie bei dem Elb!"
Plötzlich brach Gandalf in ein herzhaftes Lachen aus.
„Ja, das ist mir bereits zu Ohren gekommen, mein Freund.", erwiderte er und blickt Raures tief in seine Augen,
„Nach der Begegnung mit deiner Tochter lief Legolas einen ganzen Tag lang verwirrt durch sein Zimmer und betrachtete seine Ohren im Spiegel."
Raures schmunzelte und versuchte sich ein Lachen zu verkneifen, doch es wollte ihm nicht gelingen.
„Meine Tochter beleidigt Thranduils Sohn... Dass ich das noch erleben darf."
Dann besann er sich wieder und blickte mit ernster Mine aus dem Fenster.
„Seit Ralas Tod habe ich ihn nicht mehr gesehen, Gandalf. Wie es ihm wohl geht?"
„Nun", begann Gandalf und blickte eindringlich unter seinen buschigen Augenbrauen hervor auf Raures „du könntest doch seinen Sohn fragen. Was denkst du wieso Thranduil ihn mit uns geschickt hat?"
„Gandalf, ich bitte dich."
„Wäre es nicht langsam an der Zeit, dass ihr eure Fehde endlich beendet?", hackte der Zauberer nach.
„Oh nein! Fang nicht wieder damit an!"
Genervt verdrehte Raures die Augen „Wir haben uns nichts mehr zu sagen, schließlich trägt er die Schuld an Ralas Tod."
„Du weißt, dass dem nicht so ist", gab Gandalf zurück und diesmal mit einem etwas strengeren Ton, „Euer Problem ist einfach nur, dass ihr beide sture Esel seid und dass sich keiner von euch wagt, auf den anderen zuzugehen. So ist es und nicht anders."
Dann lehnte sich Gandalf wieder zurück in den weichen Sessel und zog an seiner Pfeife.
Raures indessen kochte vor Wut.
Warum waren in letzter Zeit alle gegen ihn? Zuerst seine Tochter, dann sein Sohn und jetzt noch seine alten Freunde.
Er sollte auf diesen verdammten Elb zugehen? Nie im Leben! Warum auch?
All die Leiden die er durchstanden hatte waren Thranduils Verdienst. Damals hätte er ihm als Einziger helfen können und dennoch tat er es nicht.
Bei Ralas Grab hatte er geschworen, nie wieder einem Elben zu vertrauen.
Nie.
„Denkst du, Rala hätte das gewollt?"
Erschrocken starrte Raures auf den vor ihm sitzenden Mann.
Konnte er etwa Gedanken lesen?
„Anstelle sich den Kopf über dumme Zwistigkeiten zu zerbrechen, Raures", entgegnete Gandalf mit einer überraschend besorgten Stimme, „solltest du ihm lieber dankbar sein. Er ist ein erfahrener Krieger und so wie es aussieht, werden wir auf der Reise nach Edoras jeden Schutz brauchen, den wir kriegen können.",
„Wie- Wie meinst du das, Gandalf?"
Der Zauberer schluckte sichtlich nervös, was Raures das Blut in den Adern gefrieren lies. Noch nie hatte er Gandalf dermaßen besorgt erlebt und das verhieß, bei Eru, nichts gutes.
„Allem Anschein nach wurden sie damals nicht versiegelt, zumindest nicht stark genug. Auch durch Ralas Tod sind sie nicht vollkommen verschwunden und jetzt – ", Gandalf stockte als er Raures' entsetzten und gleichzeitig leeren Blick vernahm, „jetzt sind sie wieder frei und müssen ein weiteres Mal gebändigt werden."
„Was –"
In diesem Moment hatte Raures das Gefühl, dass seine ganze Welt um ihn herum, in Zeitlupe einstürzte. All die Kraft und Zeit, die er in Kalis wohlbehütetes Leben investiert hatte, all die Bemühungen sie vor ihrem Schicksal zu schützen, all die Lügen und Opfer, die er im Verlauf der letzten Jahre in Kauf genommen hatte – alles, schlichtweg alles, war vergebens.
„Gandalf, wie kannst du dir da sicher sein, ich meine, wie -?"
„Weil er wieder da ist, Raures."
Wie ein Schlag ins Gesicht oder ein böses Erwachen aus einem wundervollen Traum, ereilte ihn die Bedeutung dieser Nachricht.
Raures' Knie wurden weich und für den Bruchteil einer Sekunde, verlor er jegliche Wahrnehmungsfähigkeit.
„Der Wächter ist wieder aufgetaucht", fügte Gandalf mit mitleidiger Stimme hinzu.
„Im Namen der Götter!"
Wie von einer Hornisse gestochen sprang Raures auf.
„Was sollen wir jetzt tun, Gandalf?"
„Nichts", erwiderte der Zauberer, „wir können nichts weiter tun, als Rala von hier wegzubringen und abzuwarten."
„Abwarten?"
Raures traute seinen Ohren nicht.
Seine Tochter befand sich in Lebensgefahr und er sollte abwarten?
„Eines solltest du noch wissen", begann Gandalf, der nun aufstand und seine Hand beruhigend auf Raures' Schulter legte.
„Nicht nur Orthis, auch Suit ist zurückgekehrt und befindet sich bereits auf der Suche nach ihr."
~~~
„Na also!"
Erleichtert atmete Kali aus.
Endlich war es ihr gelungen den Finken aus ihren Haaren zu entwirren.
Tessa, die bei Kalis jämmerlichem Anblick beinahe den Verstand verloren hätte, konnte noch im letzten Augenblick davon überzeugt werden, von drastischeren Maßnahmen abzusehen und die Schere wegzulegen, mit der sie bereits Kalis Haare abschneiden wollte, tief in dem Glauben, dass die von dem Vogel vollkommen verknoteten Haare, nie wieder hätte auseinander gewirrt werden können.
„Das war nicht nötig, nicht wahr?", fragte Kali den kleinen Vogel in ihrer Hand, der ihr mit einem fröhlichen Gesang antwortete und kurz darauf wegflog.
„Ja, da habt ihr Recht", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr, „es wäre zu schade gewesen."
Mit einem Mal fuhr Kali hoch und verbeugte sich so schnell sie konnte.
Legolas hingegen, dessen Verwunderung ihm die Sprache verschlug, war zu nichts anderem im Stande, als völlig perplex den Mund aufzureißen und dumm dazustehen.
Seit wann verbeugte sie sich vor ihm? Tat sie das überhaupt?
„Was tut Ihr da?", fragte er schließlich.
„W-Wie bitte?"
Kali fasste es nicht. Sie war gerade dabei sich zu entschuldigen und dieser komische Älb wagte es sie auszulachen?
„Nun", setzte Kali beleidigt an, „ich beobachte das Gras beim Wachsen, was durchaus interessanter ist, als eine Konversation mit Euch. Wenn ihr mich entschuldigen würdet?"
Gerade als sie gehen wollte, ergriff Legolas sie entschuldigend am Arm.
„Wartet. Es tut mit leid, wenn ich Euch beleidigt oder gelangweilt habe", begann er, "glaubt mir, ich wollte mich lediglich mit Euch unterhalten."
„Ach? Tatsächlich."
Mit einem heftigen Schwung riss sie sich von dem Elben los und blickte ihn, mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue, an.
„Nun, wie Ihr meint."
Dann setzte sie sich ins Gras und schaute Legolas fragend an.
„Wollt ihr Euch nicht setzten?"
„Ins Gras?", fragte er schließlich etwas irritiert.
„Nein, auf meinen Schoß.", gab ihm Kali mit einem ironischen Unterton zur Antwort.
Erschrocken hielt Legolas die Luft an.
„Wie bitte? Ich bin doch sicherlich zu schwer für Euch."
Plötzlich konnte Kali nicht anders, als in ein lautes Lachen auszubrechen..
„Ich glaube es nicht. Bei den Göttern, sind denn alle Älbn so wie Ihr?"
Vorsichtig nahm Legolas neben ihr Platz.
„Ihr meint sicherlich Elben, nichtwahr? Erlaubt mir eine Frage. Habt Ihr tatsächlich noch nie einen Elben gesehen?", hackte Legolas nach.
„Nein, bis gestern nicht."
‚Irgendwie verrückt', schoss es ihr durch den Kopf.
Bis vor einem Tag hatte sie noch nicht einmal von der Existenz dieser Wesen gewusst und jetzt – jetzt waren sie bereits zweimal verstritten und wieder versöhnt und saßen schließlich fröhlich tratschend im Gras.
Kali schaute ihm tief in die Augen und war auf einmal erstaunt.
„Oh, sie sind azurblau, wusstet ihr das", stellte sie überrascht fest „Eure Augen meine ich?"
Legolas lächelte.
„Ja, das wusste ich, und wusstet Ihr, dass Ihr braune Augen habt?"
Plötzlich lief sie krebsrot an.
„Ja, das wusste ich."
‚Welch dumme Frage', dachte sie und wünschte sich so schnell wie möglich ein Loch in dem sie sich verkriechen könnte ‚Jetzt hält er dich sicherlich für blöd.'
„Meine Augenfarbe ist nichts Besonderes", antwortete sie schließlich etwas wehmütig „In Euren Augen hingegen, spiegelt sich das Blau des Meeres... Meiner Heimat."
Ihr Blick wurde auf einmal intensiver und stechender, sodass Legolas plötzlich einen kalten Schauer verspürte und innerlich zusammenzuckte, doch Kali wandte ihren Blick von ihm ab, legte ihren Kopf auf die Knie und schloss die Augen.
Der Elb indessen hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen. Er konnte sich nicht erklären warum, aber diese Stille war ihm unangenehm und er musste sie brechen.
„Kali", begann er schließlich, „Ich möchte mich bei Euch entschuldigen. Ihr müsst mir glauben, ich wollte Euch nicht dermaßen er–"
„Nein", unterbrach sie ihn plötzlich, „ich bin diejenige, die sich bei Euch entschuldigen sollte.
Ihr habt mir mein Leben gerettet und ich bedanke mich noch nicht einmal. Entschuldigt bitte."
Dann sprang sie auf und rannte aus dem Garten.
Kurz bevor sie das Schloss erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um.
„Ach und Legolas!", rief sie, „Ihr könntet ja einmal versuchen Eure Haare über die Ohren zu kämmen, dann fallen sie vielleicht nicht mehr so stark auf."
Schließlich winkte sie ihm kurz zu, dankte noch einmal und war verschwunden.
Es war unglaublich!
Legolas ertappte sich dabei, wie er beinahe vergaß den Mund zu schließen.
Es war nicht was sie gesagt hatte, sondern die Art und Weise wie sie sich verhielt.
Und ganzgleich, wie sehr er es auch zu drehen und wenden versuchte, er fand einfach keinen Sinn in ihrem Verhalten.
Gerade noch hatte er geglaubt sie zu mögen aber jetzt...
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Fast gar nicht in dich verliebt...
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~ Kapitel 4: Erwachen ~
„Und jetzt erkläre mir bitte, wozu diese Reise gut war, na?", empörte sich Legolas, der gerade dabei war seine Sachen, die er gestern erst ausgepackt hatte, wieder in seine Taschen zu verstauen.
Neben ihm lag ein großer Haufen Hosen, Hemden und Mäntel, dessen Ausmaß darauf hindeutete, dass Legolas wohl tatsächlich damit gerechnet hatte, länger als einen Tag in Atlantis zu verweilen.
„Nun", setzte Gimli an, „zum Beispiel, um dir endlich verständlich zu machen, dass du auch nur ein Elb mit viel zu spitzen Ohren bist."
Erbost blitzte Legolas seinen Freund an.
„Darüber macht man keine Scherze, Gimli."
„Aber sicher nicht, Euer Hoheit", sprach der Zwerg und verbeugte sich lauthals lachend, „dies sollte man genauso ernst nehmen wie Eure wechseljahrbedingten Gemütsschwankungen."
Wie bitte?
Legolas glaubte sich verhört zu heben! Wechseljahre?
Zwerge mochten vielleicht dann und wann unter Wechseljahren leiden, aber doch nicht Elben!
Solch eine dreiste Bemerkung würde er nicht auf sich sitzen lassen.
„Ach, ist es so, Gimli?", fragte Legolas schließlich und verkreuzte die Arme hochmütig vor seiner Brust.
„Natürlich!"
„Nun, dann stell dir doch einmal vor, man würde dir offen ins Gesicht sagen, dein Bart sei zu kurz, was er, wenn du mich fragst, in Anbetracht der Tatsache, dass du ein Zwerg bist, tatsächlich ist."
Erschrocken hielt Gimli die Luft an.
„Hey Prinzchen, das ist nicht lustig!"
„Tja", antwortete Legolas mit Genugtuung, „die Ohren eines Elben sind genauso wenig lustig."
Selbstzufrieden und mit einer sehr elbischen, vielleicht auch etwas weiblichen Geste, warf er die Haare zurück und lachte verschmitzt.
„Sind sie also nicht?", hackte Gimli nach.
„Nein, sind sie nicht."
„Dann erkläre mir doch einmal, wieso dieses Mädchen sie dann ausgelacht hat, na?"
„Sie hat meine Ohren nicht ausgelacht!", gab Legolas etwas pikiert zurück „Sie war lediglich etwas verwundert, das ist alles. Vielleicht hat sie noch nie zuvor einen Elben gesehen, wäre doch möglich."
„Oh sicher! Einen Elben mit sooo spitzen Ohren bestimmt nicht", konterte der Zwerg lachend und machte sich wieder daran, sein Gepäck zu verstauen.
Schnaubend ergriff Legolas seinen Umhang.
Er hatte nun wirklich genug Beleidigungen über sich ergehen lassen und wollte jetzt einfach nur etwas Ruhe haben.
„Weißt du was?", begann er schließlich, „wenn du fertig gepackt hast, dann ruf mich! Ich gehe spazieren."
Dann fiel die Tür mit einem lauten Knall in den Riegel und der Elb war verschwunden.
„Ich sage es ja", murmelte Gimli kleinlaut vor sich hin, „Wechseljahre!"
~~~
Atlantis.
Seine Wasser und seine Schönheit waren endlos.
Entspannt lehnte sich Theodred an die kühle Palastmauer und sog die frische Briese des Meeres tief ein, um die vollendete Pracht Atlantis' noch ein letztes Mal genießen zu können.
Der Morgen war noch jung und nur langsam wich die müde Nacht den ersten Sonnenstrahlen. Ein neuer Tag, ein Tag des Abschieds.
Heute Abend würde er wieder in seine Heimat aufbrechen müssen, in sein Land.
Edoras.
Wie oft hatte er bereits diese fantastische Wasserwelt, schweren Herzens zurücklassen müssen?
Wie oft gebot er Abschied, obwohl sich sein Herz nach diesem Land verzehrte?
Doch diesmal war es anders.
Dieses Mal würde ihm der Abschied nicht schwerfallen.
Ganz im Gegenteil.
Er verspürte keinen Schmerz, noch nicht einmal Trauer. Vielmehr überkam ihn ein Gefühl der Zufriedenheit und Freude.
Freude darüber, dass er das Liebste was er besaß, das was ihn am meisten an Atlantis faszinierte, mitnehmen durfte und nie wieder herzugeben brauchte.
„Hey, lass das!"
Neugierig lehnte sich Theodred über das Geländer des Balkons, um herauszufinden von wo die Stimme ertönte und als er unverhofft Kali erblickte, musste er lachen.
Sie war gerade damit beschäftigt im Schlossgarten Blumen anzupflanzen, als ein kleiner Vogel sich demonstrativ auf ihren Kopf setzte und auf diesem rumzupicken begann.
„Jetzt geh. Flieg schon", forderte sie den kleinen Finken auf, der sich jedoch keinesfalls wegzufliegen anschickte, sondern sich seelenruhig auf jenes Stück Erde setzte, auf dem Kali gerade frische Orchideen anpflanzen wollte.
Als sich der Vogel, auch nach mehrmaligem Zureden, immer noch nicht rührte, ergriff sie ihn kurzerhand und setzte ihn auf einen in der Nähe stehenden Baum.
„So, jetzt bleibst du aber da, damit ich die schönen Blumen in Ruhe einpflanzen kann, einverstanden?"
Theodred schmunzelte.
Dies war wahrhaft ein außergewöhnlicher Anblick. Sie behandelte den Finken wie einen ihrer Freunde und schenkte ihm die gleiche aufrichtige Zuneigung und Beachtung, die sie allen anderen Lebewesen auch entgegenbrachte.
Aber so war sie nun einmal, seine Kali.
Ihre herausragendste Eigenschaft war ihre unglaubliche Verbundenheit mit der Natur, wie er fand. Doch nicht nur sie war diejenige, die die Natur liebte.
Nein, die Natur liebte sie noch viel mehr.
Schon damals, als er noch ein kleiner Junge war und mit ihr die endlosen Strände Atlantis' entlang spazierte, hatte er das Gefühl gehabt, in ihrer Anwesenheit, den Wind flüstern und das Wasser singen zu hören.
Es war, als ob sich Mutter Natur und all ihre Lebewesen förmlich um Kali drängten und ihre Anwesenheit sie glücklich machte.
Bis zum heutigen Tage hatte sich daran nichts geändert.
Sie war und blieb einfach unbeschreiblich, ein unergründetes Geheimnis, wie er fand, und durchaus mehr als nur eine einfache Atlanterin.
„Na Theodred, schon gepackt?", ertönte eine Stimme hinter dem Prinzen.
„Ja, schon seit gestern!", gab Theodred lachend zurück, der sich nicht umzudrehen brauchte um Legolas' Stimme zu erkennen.
„Du hast es dir also gar nicht erst heimisch gemacht, was?"
Doch Theodred, der viel zu sehr damit beschäftigt war Kali bei ihrem Kampf mit dem Vogel zu beobachten, versäumte es seinem Freund zu antworten.
Also lehnte sich Legolas neugierig über das Geländer des Balkons und blickte ebenfalls in den Garten hinab.
„Es ist wegen ihr, nicht wahr?", fragte er schließlich, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen hatten.
„Was?"
„Dass wir alle hier sind, meine ich. Ist es nicht so?"
Stumm blickte Theodred in die Ferne.
„Wie lange kennt ihr euch? Sicherlich nicht erst einen Tag wie uns alle weiß machen wollen", bemerkte Legolas
„Ja, so ist es. Gut beobachtet Elb!", antwortete Theodred und blickte auf seinen Freund, der leise lächelte „Wir kennen uns schon ewig. Weißt du, damals, vor fünfzehn Jahren, wollte mein Vater unbedingt, dass ich nach Atlantis reise. ‚Es ist so wunderschön', sagte er immer."
Theodred holte tief Luft.
„Wenn du mich fragst, hat er all das hier schlau eingefädelt. Ich konnte problemlos in Atlantis ein- und ausreisen und bei ihr sein. Er wusste, dass wir uns über den Weg laufen würden."
„Und Raures?", fragte Legolas.
„Er ist König. Er hat wichtigeres zu tun, als jeden Einreisenden persönlich zu kontrollieren. Glaube mir, Atlantis ist längst nicht so sicher wie man allen weiß machen will."
Etwas verwirrt blickte Legolas zu Theodred.
Wozu diese ganzen Vorsichtsmaßnahmen?
„Wie dem auch sei. Mit der Hilfe meines Vaters bekam ich Unterricht in Atlantis und war immer in ihrer Nähe."
Theodred verstummte und sein Blick blieb ein weiteres Mal in der Ferne hängen.
„Es war von Anfang an vorbestimmt, dass wir heiraten sollten und er wollte es uns vereinfachen."
„Dafür kannst du ihm dankbar sein", erwiderte Legolas leise lachend, „es hat geklappt, sie geht mit dir nach Edoras."
„Ja, aber dennoch nicht aus freien Stücken. Ich kenne sie nur zu gut, Legolas, um zu wissen, dass ihr Herz an diesem Land, mit all seinen Menschen und Flüssen hängt, auch wenn sie stets das Gegenteil behauptet."
Mit einem Mal beugte sich Legolas weit über das Geländer und begann lauthals zu lachen.
„Bist du dir da sicher?", fragte er und deutete auf Kali.
Der Vogel hatte sich in der Zwischenzeit in ihren Haaren verfangen und sie war nun dabei, wie eine aufgebrachte Furie, in Kreisen durch den Garten zu rennen und sich laut schreiend den Kopf zu halten.
„Nun ja", ergänzte Theodred lachend „auf jeden Fall gut genug um zu wissen, dass wir schleunigst hier weg sollten."
„Willst du ihr nicht helfen?"
„Oh nein. Das lasse ich schön bleiben und dir wäre besser geraten es mir gleich zu tun. Komm." Dann ergriff Theodred Legolas' Arm und zerrte ihn hinter sich zurück ins Schloss.
„Wir gehen lieber rein. Wenn sie uns entdeckt, dann werden wir die jenigen sein, die Hilfe brauchen."
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„Ich fasse es immer noch nicht, Gandalf."
Wütend lief Raures in dem großen Zimmer auf und ab.
„Warum hat er Gimli und Legolas hierher gebracht? Ich verstehe es einfach nicht!"
Gandalf, der einmal mehr genüsslich in einem großen, weichen Sessel saß und an seiner Pfeife zog, blickte durch das Fenster des königlichen Schlafgemachs, hinaus in den Garten.
Die Sonne war eben erst aufgegangen und kitzelte mit ihren warmen Strahlen die müden Vögel aus ihren Nestern. Ein dünner Nebelschleier umhüllte sanft die Blumen und Blätter in ganz Atlantis und zauberte, hier und dort, regenbogenähnliche Strahlen an den Himmel, die Gandalf in ihren Bann zogen.
„Jetzt erwartet er auch noch, dass ich meine Tochter ohne jegliche Begleitung nach Edoras gehen lasse!", fügte Raures völlig entgeistert hinzu und rief Gandalf aus dessen Gedanken, zurück in die Gegenwart.
„Wenn er glaubt, dass ich das tue, dann irrt er sich aber gewaltig."
„Sie wird nicht allein gehen, Raures", fiel ihm Gandalf plötzlich ins Wort, der seinen Blick von den Regenbögen auf Raures richtete.
„Ja, ja doch, ich weiß", antwortete Raures und nahm auf einem Sessel, gegenüber dem alten Zauberer Platz,„Ich denke nur, dass auch einige Atlanter mit ihr gehen sollten. Jemand, den sie kennt, versteht du Gandalf? Nicht, dass sie mir hinterher noch so einen Schock erleidet wie bei dem Elb!"
Plötzlich brach Gandalf in ein herzhaftes Lachen aus.
„Ja, das ist mir bereits zu Ohren gekommen, mein Freund.", erwiderte er und blickt Raures tief in seine Augen,
„Nach der Begegnung mit deiner Tochter lief Legolas einen ganzen Tag lang verwirrt durch sein Zimmer und betrachtete seine Ohren im Spiegel."
Raures schmunzelte und versuchte sich ein Lachen zu verkneifen, doch es wollte ihm nicht gelingen.
„Meine Tochter beleidigt Thranduils Sohn... Dass ich das noch erleben darf."
Dann besann er sich wieder und blickte mit ernster Mine aus dem Fenster.
„Seit Ralas Tod habe ich ihn nicht mehr gesehen, Gandalf. Wie es ihm wohl geht?"
„Nun", begann Gandalf und blickte eindringlich unter seinen buschigen Augenbrauen hervor auf Raures „du könntest doch seinen Sohn fragen. Was denkst du wieso Thranduil ihn mit uns geschickt hat?"
„Gandalf, ich bitte dich."
„Wäre es nicht langsam an der Zeit, dass ihr eure Fehde endlich beendet?", hackte der Zauberer nach.
„Oh nein! Fang nicht wieder damit an!"
Genervt verdrehte Raures die Augen „Wir haben uns nichts mehr zu sagen, schließlich trägt er die Schuld an Ralas Tod."
„Du weißt, dass dem nicht so ist", gab Gandalf zurück und diesmal mit einem etwas strengeren Ton, „Euer Problem ist einfach nur, dass ihr beide sture Esel seid und dass sich keiner von euch wagt, auf den anderen zuzugehen. So ist es und nicht anders."
Dann lehnte sich Gandalf wieder zurück in den weichen Sessel und zog an seiner Pfeife.
Raures indessen kochte vor Wut.
Warum waren in letzter Zeit alle gegen ihn? Zuerst seine Tochter, dann sein Sohn und jetzt noch seine alten Freunde.
Er sollte auf diesen verdammten Elb zugehen? Nie im Leben! Warum auch?
All die Leiden die er durchstanden hatte waren Thranduils Verdienst. Damals hätte er ihm als Einziger helfen können und dennoch tat er es nicht.
Bei Ralas Grab hatte er geschworen, nie wieder einem Elben zu vertrauen.
Nie.
„Denkst du, Rala hätte das gewollt?"
Erschrocken starrte Raures auf den vor ihm sitzenden Mann.
Konnte er etwa Gedanken lesen?
„Anstelle sich den Kopf über dumme Zwistigkeiten zu zerbrechen, Raures", entgegnete Gandalf mit einer überraschend besorgten Stimme, „solltest du ihm lieber dankbar sein. Er ist ein erfahrener Krieger und so wie es aussieht, werden wir auf der Reise nach Edoras jeden Schutz brauchen, den wir kriegen können.",
„Wie- Wie meinst du das, Gandalf?"
Der Zauberer schluckte sichtlich nervös, was Raures das Blut in den Adern gefrieren lies. Noch nie hatte er Gandalf dermaßen besorgt erlebt und das verhieß, bei Eru, nichts gutes.
„Allem Anschein nach wurden sie damals nicht versiegelt, zumindest nicht stark genug. Auch durch Ralas Tod sind sie nicht vollkommen verschwunden und jetzt – ", Gandalf stockte als er Raures' entsetzten und gleichzeitig leeren Blick vernahm, „jetzt sind sie wieder frei und müssen ein weiteres Mal gebändigt werden."
„Was –"
In diesem Moment hatte Raures das Gefühl, dass seine ganze Welt um ihn herum, in Zeitlupe einstürzte. All die Kraft und Zeit, die er in Kalis wohlbehütetes Leben investiert hatte, all die Bemühungen sie vor ihrem Schicksal zu schützen, all die Lügen und Opfer, die er im Verlauf der letzten Jahre in Kauf genommen hatte – alles, schlichtweg alles, war vergebens.
„Gandalf, wie kannst du dir da sicher sein, ich meine, wie -?"
„Weil er wieder da ist, Raures."
Wie ein Schlag ins Gesicht oder ein böses Erwachen aus einem wundervollen Traum, ereilte ihn die Bedeutung dieser Nachricht.
Raures' Knie wurden weich und für den Bruchteil einer Sekunde, verlor er jegliche Wahrnehmungsfähigkeit.
„Der Wächter ist wieder aufgetaucht", fügte Gandalf mit mitleidiger Stimme hinzu.
„Im Namen der Götter!"
Wie von einer Hornisse gestochen sprang Raures auf.
„Was sollen wir jetzt tun, Gandalf?"
„Nichts", erwiderte der Zauberer, „wir können nichts weiter tun, als Rala von hier wegzubringen und abzuwarten."
„Abwarten?"
Raures traute seinen Ohren nicht.
Seine Tochter befand sich in Lebensgefahr und er sollte abwarten?
„Eines solltest du noch wissen", begann Gandalf, der nun aufstand und seine Hand beruhigend auf Raures' Schulter legte.
„Nicht nur Orthis, auch Suit ist zurückgekehrt und befindet sich bereits auf der Suche nach ihr."
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„Na also!"
Erleichtert atmete Kali aus.
Endlich war es ihr gelungen den Finken aus ihren Haaren zu entwirren.
Tessa, die bei Kalis jämmerlichem Anblick beinahe den Verstand verloren hätte, konnte noch im letzten Augenblick davon überzeugt werden, von drastischeren Maßnahmen abzusehen und die Schere wegzulegen, mit der sie bereits Kalis Haare abschneiden wollte, tief in dem Glauben, dass die von dem Vogel vollkommen verknoteten Haare, nie wieder hätte auseinander gewirrt werden können.
„Das war nicht nötig, nicht wahr?", fragte Kali den kleinen Vogel in ihrer Hand, der ihr mit einem fröhlichen Gesang antwortete und kurz darauf wegflog.
„Ja, da habt ihr Recht", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr, „es wäre zu schade gewesen."
Mit einem Mal fuhr Kali hoch und verbeugte sich so schnell sie konnte.
Legolas hingegen, dessen Verwunderung ihm die Sprache verschlug, war zu nichts anderem im Stande, als völlig perplex den Mund aufzureißen und dumm dazustehen.
Seit wann verbeugte sie sich vor ihm? Tat sie das überhaupt?
„Was tut Ihr da?", fragte er schließlich.
„W-Wie bitte?"
Kali fasste es nicht. Sie war gerade dabei sich zu entschuldigen und dieser komische Älb wagte es sie auszulachen?
„Nun", setzte Kali beleidigt an, „ich beobachte das Gras beim Wachsen, was durchaus interessanter ist, als eine Konversation mit Euch. Wenn ihr mich entschuldigen würdet?"
Gerade als sie gehen wollte, ergriff Legolas sie entschuldigend am Arm.
„Wartet. Es tut mit leid, wenn ich Euch beleidigt oder gelangweilt habe", begann er, "glaubt mir, ich wollte mich lediglich mit Euch unterhalten."
„Ach? Tatsächlich."
Mit einem heftigen Schwung riss sie sich von dem Elben los und blickte ihn, mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue, an.
„Nun, wie Ihr meint."
Dann setzte sie sich ins Gras und schaute Legolas fragend an.
„Wollt ihr Euch nicht setzten?"
„Ins Gras?", fragte er schließlich etwas irritiert.
„Nein, auf meinen Schoß.", gab ihm Kali mit einem ironischen Unterton zur Antwort.
Erschrocken hielt Legolas die Luft an.
„Wie bitte? Ich bin doch sicherlich zu schwer für Euch."
Plötzlich konnte Kali nicht anders, als in ein lautes Lachen auszubrechen..
„Ich glaube es nicht. Bei den Göttern, sind denn alle Älbn so wie Ihr?"
Vorsichtig nahm Legolas neben ihr Platz.
„Ihr meint sicherlich Elben, nichtwahr? Erlaubt mir eine Frage. Habt Ihr tatsächlich noch nie einen Elben gesehen?", hackte Legolas nach.
„Nein, bis gestern nicht."
‚Irgendwie verrückt', schoss es ihr durch den Kopf.
Bis vor einem Tag hatte sie noch nicht einmal von der Existenz dieser Wesen gewusst und jetzt – jetzt waren sie bereits zweimal verstritten und wieder versöhnt und saßen schließlich fröhlich tratschend im Gras.
Kali schaute ihm tief in die Augen und war auf einmal erstaunt.
„Oh, sie sind azurblau, wusstet ihr das", stellte sie überrascht fest „Eure Augen meine ich?"
Legolas lächelte.
„Ja, das wusste ich, und wusstet Ihr, dass Ihr braune Augen habt?"
Plötzlich lief sie krebsrot an.
„Ja, das wusste ich."
‚Welch dumme Frage', dachte sie und wünschte sich so schnell wie möglich ein Loch in dem sie sich verkriechen könnte ‚Jetzt hält er dich sicherlich für blöd.'
„Meine Augenfarbe ist nichts Besonderes", antwortete sie schließlich etwas wehmütig „In Euren Augen hingegen, spiegelt sich das Blau des Meeres... Meiner Heimat."
Ihr Blick wurde auf einmal intensiver und stechender, sodass Legolas plötzlich einen kalten Schauer verspürte und innerlich zusammenzuckte, doch Kali wandte ihren Blick von ihm ab, legte ihren Kopf auf die Knie und schloss die Augen.
Der Elb indessen hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen. Er konnte sich nicht erklären warum, aber diese Stille war ihm unangenehm und er musste sie brechen.
„Kali", begann er schließlich, „Ich möchte mich bei Euch entschuldigen. Ihr müsst mir glauben, ich wollte Euch nicht dermaßen er–"
„Nein", unterbrach sie ihn plötzlich, „ich bin diejenige, die sich bei Euch entschuldigen sollte.
Ihr habt mir mein Leben gerettet und ich bedanke mich noch nicht einmal. Entschuldigt bitte."
Dann sprang sie auf und rannte aus dem Garten.
Kurz bevor sie das Schloss erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um.
„Ach und Legolas!", rief sie, „Ihr könntet ja einmal versuchen Eure Haare über die Ohren zu kämmen, dann fallen sie vielleicht nicht mehr so stark auf."
Schließlich winkte sie ihm kurz zu, dankte noch einmal und war verschwunden.
Es war unglaublich!
Legolas ertappte sich dabei, wie er beinahe vergaß den Mund zu schließen.
Es war nicht was sie gesagt hatte, sondern die Art und Weise wie sie sich verhielt.
Und ganzgleich, wie sehr er es auch zu drehen und wenden versuchte, er fand einfach keinen Sinn in ihrem Verhalten.
Gerade noch hatte er geglaubt sie zu mögen aber jetzt...
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