2 Fast gar nicht in dich verliebt...

Kapitel 6: Um dich zu vergessen

Dunkelheit. Was war passiert? Wo war sie nur? Sie konnte nichts erkennen, nichts fühlen außer diesem Schmerz. Er saß tief, so tief, dass sie noch nicht einmal im Stande war zu sagen, wo genau er sich befand. Am Liebsten hätte sie eine Hand auf die schmerzende Stelle gelegt und kräftig zugedrückt, doch sie konnte es nicht. Stattdessen überkam sie plötzlich eine schreckliche Traurigkeit. Doch weshalb? Was war geschehen? So sehr sie sich auch bemühte, sie vermochte sich nicht zu erinnern.

Plötzlich wurde es hell. Schützend hielt sich Kali eine Hand vor die Augen, um nicht geblendet zu werden. Als sie sich endlich an das Licht gewöhnt hatte, staunte sie nicht schlecht. Vor ihr lag ein riesiges Meer von Blumen, in scheinbar unendlicher Pracht. Wie schön es doch war und wie es duftete... nach Lilien!

„Hallo!" Erstaunt blickte Kali zum Boden. Vor ihr stand ein kleines Mädchen mit blonden gelockten Haaren und einem Strauß Blumen in der Hand. „Hallo", antwortete sie der Kleinen, duckte sich und blickte in die stahlblauen Augen des Mädchens, „Wie heißt du denn?" „Ich heiße Moloch und du?" „Kali Amarant. Sehr erfreut." Kali strahlte, doch das Mädchen blickte sie nur entsetzt an. „Die unsterbliche Blume des Paradieses", flüsterte es kaum hörbar, so dass Kali nur einen Bruchteil verstand. „Ich, äh...", setzte sie an, doch das Mädchen unterbrach sie. „Du darfst gar nicht hier sein", fing es an und ihr Blick verfinsterte sich. „Was willst du hier? Kommst du etwa, um mit uns Frieden zu schließen?" Kali begann zu zittern und eine unbändige Angst machte sich in ihr breit. Moloch... Sie kannte diesen Namen. Plötzlich drehte sich die Kleine um und begann zu weinen. „Was hast du gegen uns, dass du uns an diesem Ort störst? Schau!" Sie hob ihren kleinen Blumenstrauß. Wie schön er doch war... diese Farben. Kali wollte ihn nur einmal berühren, ganz kurz. „Du weißt was passiert, wenn du ihn berührst." Ja, sie wusste es genau, doch das Verlangen diese Blumen anzufassen, sie zu fühlen, zu zerdrücken, war stärker. Wie im Trance streckte sie ihre Hand aus und griff nach einer der Blüten. „Wie schön!", staunte sie und lachte. „Eine Lilie!" Langsam hob Kali die Blume zu ihrer Nase, um ihren betörenden Duft einzuatmen, doch kaum hatte sie einen Atemzug wagen können, gaben ihre Knie nach und sie fiel zu Boden. „Riechst du das?", fragte das Mädchen mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Was war das für ein Geruch? Ihr wurde schlecht. Als Kali aufsah und sich umblickte, waren alle Blumen verwelkt und ein Geruch der Verwesung lag in der Luft. „Du bist schuld!", rief es, „nur du allein! Warum bist du hier hergekommen? Verschwinde!" Das Weinen der Kleinen wurde immer bitterer. Kali wollte sie trösten, doch sie verbarg ihr Gesicht. „Geh weg!", rief es. „Sieh mich nicht an!" „Aber was ist denn plötzlich passiert? Wo sind all die schönen Blumen?" Sie ergriff das Mädchen an den Schultern. „ Ich will dir doch nur helfen –" Mit einem Ruck drehte sich die Kleine um und Kali stockte der Atem! Sie weinte... Blut. Es tropfte von ihrem Gesicht auf den Boden. Immer mehr! Kali wollte weg, wollte schreien, doch es ging nicht. „Ja, es ist wahr", sprach das Mädchen und eine unglaubliche Kälte ging von ihr aus. „Sieh mich nicht so an! Schließlich bist du schuld! Du hast uns verlassen!" Kali fiel zu Boden. Es konnte nicht wahr sein! Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte es nicht gewollt! Oder doch...? Langsam, wie eine Raubkatze beugte sich die Kleine über die Prinzessin, sodass das Blut langsam herab tropfte und sich auf Kalis Gesicht verteilte.

„Er hat dich geliebt", flüsterte das Kind und streichelte sanft über Kalis Wange, „doch du hast ihn verlassen. Alles ist deine Schuld! Er sucht dich und hat uns vergessen! Wir welken und ihn interessierst nur du." „Titius", flüsterte Kali, „Wo ist er? Ich muss ihn sehen!" Was erzählte sie da? Woher kannte sie diesen Namen? Titius... Sie wollte ihn sehen... Jetzt! „Er sucht dich. Ist das nicht witzig?", setzte das Mädchen erneut an. „Du weiß genau, dass es sein Blut ist, nicht wahr?" Plötzlich war diese unbeschreibliche Trauer wieder da. „Sein Blut?" Unsicher und verwirrt blickte sie ein weiteres Mal in die blauen, stechenden Augen, die keinen Moment von ihr abließen und ihr kalte Schauer über den Rücken jagten. „Ja", fauchte das Kind, „sein Blut." Dann beugte es sich weiter zu Kali hinab, ganz dicht an ihr rechtes Ohr und flüsterte „Sein Blut. An deinen Händen... und im Schnee."

Schnee. Alles war weiß. Wie hatte sie ihn nur vergessen können? Theodred. „Ja, du bist schuld! Merk dir das.", fauchte die Kleine sie erneut an, stand auf und strich sich das Röckchen zurecht. Dann umarmte sie Kali, während sie ihr einen Kuss auf die Stirn drückte und sich verabschiedete. „Ich muss gehen, sonst wird der Tee noch kalt und meine Mami schimpft dann mit mir." Dann verschwand sie und es wurde wieder dunkel. Theodred! Es wurde immer kälter. Sie hatte keine Kraft mehr und wollte einfach nur schlafen! Schlafen.

„Kannst du etwas erkennen?" Mit einem Satz sprang Legolas von dem hohen Baum, auf dem er gerade noch Ausschau gehalten hatte und landete direkt vor dem besorgten Zwerg. „Ihre Spuren führen von hier weg, in Richtung Edoras", berichtete er zügig und schaute sich um. Sie waren nur noch zu dritt. Gandalf war bereits mit Theoden und seinem schwer verwundeten Sohn weitergeritten, in der Hoffnung den Thronfolger noch retten zu können. Hoffnung. Bei dem Gedanken daran wurde Legolas wehmütig. Es war eindeutig, dass jede Hilfe zu spät kommen würde, doch sie hatten Hoffnung und diese wollte er ihnen nicht nehmen. Hatte nicht eben diese Hoffnung auch ihm und seinen Gefährten im Ringkrieg Kraft gegeben? „Was gedenkt Ihr zu tun?" Kraftlos saß Lias auf einem Fels. Er hatte seinen Kopf in die Hände gebettet und schaute erwartungsvoll erst zu Gimli und dann zu dem Elb. „Wir sollten ihr folgen", unterbrach der Zwerg plötzlich das Schweigen und erntete einen überraschten Blick von Lias. „Was denn?", fuhr der Zwerg fort, „Wenn sie freiwillig weggelaufen ist, dann wird sie schon in Edoras ankommen, aber das glaubt Ihr genauso wenig wie ich, nicht wahr?" „Nein, sie ist nicht freiwillig fortgegangen", erwiderte der Atlanter, „irgendjemand muss bei ihr sein." „Wenn dem so ist, sollten wir uns beeilen", erklärte Legolas und deutete in die Richtung, die Kali eingeschlagen hatte. „Wenn wir diesen Weg nehmen, müssten wir sie früher oder später finden." „Mhm", brummte Gimli, „früher wäre mir lieber... Also nichts wie los."

„Du darfst nicht schlafen!" Diese Stimme... Sie kannte diese Stimme. „Wer bist du?" Sie öffnete ihre Augen, um zu sehen wer mit ihr sprach und eine unglaubliche Erleichterung breitete sich in ihr aus. Es war ein großer Mann, mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze, sodass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Dennoch freute sie sich ihn zu sehen. „Schlaf nicht ein, hörst du?", warnte er sie erneut.. Plötzlich beugte er sich zu ihr herab und hob sie auf seine Arme. „Ich bringe dich in Sicherheit. Hab keine Angst." Seine Stimme war so ruhig uns sanft... Sie kannte ihn, da war sie sich sicher. Überglücklich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und da war er wieder, dieser Duft. Lilien. Wie sehr sie es liebte...

Vorsichtig öffnete sie ihr Augen. Die Sonne strahlte von dem azurblauen Himmel herab. Atlantis. Sie war zu Hause. „Sommer", flüsterte sie kaum hörbar. „Ja", antwortete der Mann, „hier ist es immer Sommer." „Warum?" „Weil ich es so will." Kali war viel zu müde um nach einer Erklärung zu fragen. Sie schloss ein weiteres Mal ihre Augen und bettete ihren Kopf auf seine Schulter. „Es ist die Hochsommersonne", setzte er aufeinmal an, „die Jahreszeit, die mit meiner Erinnerung zusammenfällt und mein Herz in Flammen aufgehen lässt." „Ich liebe den Sommer", erwiderte Kali, „und den Wind." Er seufzte leise, was sie dazu veranlasste seine Arme nur noch stärker um ihn zu schlingen. Sie spürte, dass er traurig war und sie war der Grund. „Wir sind da." Plötzlich hielt er inne. Ja, da war es! Sie atmete tief durch. Das Rauschen eines Flusses, des Wassers. Wie wunderbar es doch war. „Du darfst nicht schlafen, hörst du, Kali?" „Ich bin aber so müde." „Du darfst nicht schlafen."

Sie erschrak. Seine Stimme war plötzlich so weit weg. Er durfte nicht gehen! „Geh nicht", rief sie, „ich will dich nicht noch einmal verlassen! Hörst du, Titius! Komm zurück." Verzweiflung machte sich in ihr breit. Sie wollte aufstehen, doch sie konnte es nicht. Überall um sie herum waren Unmengen von Wasser. „Wir werden uns wiedersehen", beschwichtigte er sie, „dann wirst du all deinen Kummer und deine Sorgen vergessen haben, nur schlafe nicht ein!" Seine Stimme war plötzlich wieder so nahe. „Schlaf nicht ein! Hörst du mich? Mädchen, wach auf!" ‚Ich schlafe doch gar nicht', dachte sie, „ich schwimme." „Wach auf!" „Nein, es ist so kalt! Komm zurück zu mir!" „Wach auf, hörst du nicht?"

Licht! Alles war weiß. Erschrocken schaute sie sich um. Schnee. „Wo bist du?" Sie sprang auf, doch ihre Beine gaben nach und sie fiel. Im letzten Augenblick jedoch, wurde sie von zwei starken Armen aufgefangen, die sie vor einem harten Aufprall schützten. „Ruhig!", besänftigte sie der Mann und legte sie in seinen Schoß. „Ihr wart lange ohnmächtig, da könnt Ihr nicht einfach aufspringen und davon rennen." Kali, der immer noch etwas mulmig zu Mute war, konnte ihren Blick nicht von dem Mann neben ihr wenden, der sie nun milde anlächelte. Er sah makellos aus. Seine kurzen haselnussbraunen Haare fielen ihm locker über die Stirn und in seinen dunklen Augen schien ein unbändiges Feuer zu flackern. Die endlose Tiefe in ihnen... Vielleicht kannte sie ihn? Plötzlich wurde sie rot und löste sich so schnell wie möglich aus seinem Griff. Irgendwie war ihr die Situation unangenehm, vertraut, aber dennoch unangenehm. Der Mann lächelte sie sanft an, sodass ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief. „Ich heiße Titius Acheron", stellte er sich ihr knapp vor, „Ihr habt Glück, dass ich gerade zufällig hier vorbeigekommen bin." „Kali", begann sie und stockte plötzlich, als sie spürte, wie ihre Kehle unglaublich brannte. Schmerzvoll verzog sie ihr Gesicht. „Kali Amarant" „Mhm, aus Atlantis, nicht wahr?", hackte er nach und einmal mehr traf sie sein zauberhafter Blick. Das Blut schoss ihr ins Gesicht und so schnell sie konnte drehte sie sich von ihm weg. Woher kannte er sie? Plötzlich stand der Mann auf und reichte ihr seine Hand. „Kommt", forderte er sie auf, „Ich bringe Euch nach Edoras. Dort wolltet ihr doch hin, nicht wahr?" Kali öffnete verwundert ihr Augen. Rohan, schoss es ihr durch den Kopf. Das Land der Pferdeherren. Zaghaft streckte sie ihre Hand seiner entgegen und mit einem festen, aber dennoch sanften Griff half er ihr auf die Beine. „Woher wisst Ihr das?", fragte sie neugierig. Doch anstatt ihr zu antworten, lächelte er sie nur gutmütig an. „Das ist ein Geheimnis", antwortete er, „Ich weiß aber nicht, weshalb Ihr hier im Wald bewusstlos auf dem Boden lagt." Erwartungsvoll blickte er sie an, ganz so als wartete er auf eine Antwort. Eine Antwort? Wie hätte sie ihm eine geben können, wusste sie doch selbst nicht wie sie hier herkam. Titius hingegen bemerkte die Verwirrung in ihren Augen. „Ja, wir haben alle unsere Geheimnisse, nicht wahr?" Dann half er ihr auf sein Pferd, setzte sich hinter ihr in den Sattel und ritt langsam los.

Sie waren noch nicht allzu lange unterwegs, als sich allmählich die Sonne hinter den Wolken hervorzwängte. Müde räkelte Kali sich im Sattel des Pferdes. Doch ehe sie sich den letzten Schlaf aus den Augen reiben konnte, drohten ihr einmal mehr die Sinne zu schwinden. Diesmal jedoch nicht aufgrund einer unbändigen Müdigkeit, sondern vielmehr aufgrund einer unbändigen Überwältigung. Vor ihr lag Rohan, in all seiner Pracht. Überglücklich sah sie sich um. Grüne, sagenhafte Steppen zogen sich scheinbar endlos in die Weite und der Duft frischen Grases umwehte ihre Nase. „Ausgeschlafen?" Mit einem Mal wurde Kali unsanft aus ihren Gedanken gerissen und zuckte ungewollt zusammen, als sie Titius leicht schmunzelnd hinter sich bemerkte. „Entschuldigt bitte, ich wollte Euch nicht erschrecken." Etwas unsicher wandte er den Blick von ihr ab, doch sie starrte ihn aus großen Augen förmlich an und war ein weiteres Mal fasziniert, wie seine Augen in der Ferne der Landschaft weilten und ein in ihnen brennendes Feuer zu bändigen versuchten. Wie hatte sie sich nur erschrecken können? Die ganze Zeit lehnte sie an seiner Brust und merkte es noch nicht einmal. Doch jetzt glaubte sie plötzlich zu wissen, weshalb er ihr so unglaublich vertraut erschien. Es war Legolas. ‚Er ähnelt ihm', dacht sie bei sich. Die gleichen feinen Gesichtszüge und der selbe ernste, aber dennoch verträumte Blick, voller Vertrauen und... Hoffnung? Sie wusste es nicht recht zu deuten, doch glaubte sie, dass auch seine Augen bereits vieles gesehen hatten, wie die von Legolas. Wie sie es auch zu drehen und wenden versuchte, sie fand einfach keine Erklärung. Titius schien nicht so alt zu sein wie Legolas. Das wäre für einen Menschen auch unmöglich gewesen, außer - er war ein Elb. Er sah genauso aus wie einer des unsterblichen Volkes. ‚Bis auf die Ohren', schoss es ihr plötzlich durch den Kopf und sie lachte ungewollt lautstark los. „Was ist denn so amüsant?", fragte Titius neugierig und scheinbar amüsiert, als er ihr lautes Lachen vernahm. „Das wollt Ihr mit Sicherheit nicht wissen", antwortete Kali, „aber es hat mit Euren Ohren zu tun." „Meine Ohren?", fragte er belustigt, „Was stimmt denn nicht mit meinen Ohren?" „Sie sind nicht spitz", schmunzelte sie. „Nun ja,"erwiderte er amüsiert und strich ihr mit seiner Hand eine Haarsträhne hinters Ohr, „Wenn mich meine Augen nicht täuschen, sind Eure aber auch nicht gerade spitz." Kali, die weniger den Inhalt seiner Worte mitbekam als seinen warmen Atem und seine Berührungen an ihrem Gesicht, lief ein wohliger Schauer über den Rücken, gefolgt von einer kribbelnden Gänsehaut. Was tat er nur mit ihr? „Ist Euch kalt?", fragte Titius etwas spitz und schlang seine Arme fester um sie, dass ihr beinahe die Luft zum Atmen wegblieb. Was sollte sie antworten? Sie wollte sich nicht rühren, nicht sprechen, sondern einfach nur seine Berührungen fühlen und schweigen.

„Ihr werdet bestimmt schon erwartet", durchbrach er ein weiteres Mal die erdrückende Stille. „Darf ich fragen, wer Euch begleitet hat?" Kali überlegte kurz, scheinbar verwirrt. „Wir waren zu siebt", antwortete sie letztendlich etwas unsicher. „Es ist seltsam", begann sie plötzlich. „Ich kann mich nicht erinnern, wer als siebtes mit uns gereist ist." Ungläubig hielt sie sich den Kopf. „Ich habe es schlichtweg... vergessen." „Vielleicht irr Ihr Euch auch einfach nur", beschwichtigte Titius sie. „Nein", warft Kali ihm etwas pikiert an den Kopf, sodass er sie verwundert anschaute. „Ich bin mir sicher, dass da noch jemand war. Ich werde schon noch drauf kommen."

Tbc.