Viertes Kapitel ~ Entscheidung in Edoras
So vieles schon hat man mir über sie zugetragen - von ihrem seidenen, nachtschwarzen Haar, das den Glanz des Mondlichts eingefangen haben soll ... von ihren wundervollen Augen, gleich strahlenden Sternen, in die man sich verlieren möchte ... ihrer zarten, schneeweißen Haut, schimmernd wie Morgentau in der aufgehenden Sonne ...
Geradezu begierig verschlang ich alles, was über sie in Erfahrung zu bringen war. Jedes Wort über sie war ein Dolchstoß in mein Herz, jedes verklärte Seufzen der Boten brachte mich dem Tod ein Stück näher.
Und doch konnte ich nicht aufhören damit. Wieder und wieder ließ ich mir alles berichten, jede grausame Einzelheit, erbarmungslos gegen mich selbst. Keiner ahnte auch nur im geringsten, was in mir dabei vorging.
Ich wahrte den äußeren Schein, lächelte, heuchelte Begeisterung für die ferne Königin. Auch wenn ich dabei fast zugrunde ging.
~ ~ ~ ~
In Edoras seh ich sie endlich.
Es ist ein Schock.
Darauf war ich nicht vorbereitet. Eine Frau habe ich erwartet, eine schöne Frau - ja! - aber nicht das ... ein Wesen, fremd und unbegreiflich, eine Lichtgestalt, nicht von unserer Art ...
Ein Kobold in meinem Kopf beginnt hämisch zu lachen. SIEH HIN, ÉOWYN. SIEH GENAU HIN.
Ihr Anblick macht mich frieren. Davonlaufen möcht ich, mich verstecken in einer dunklen Kammer, nichts mehr sehen, nichts mehr hören ... Aber mir bleibt nur, die Augen zu schließen ... wenigstens das.
SCHAU SIE DIR AN! kreischt es in mir.
Es ist wie in einem Albtraum - ein unwiderstehlicher Zwang treibt mich dazu, noch einen Blick zu wagen ... auch wenn mein Blut ins Stocken gerät und jeder schwere Schlag meines Herzens mir den Kopf zu bersten droht ...
Nichts von all der verzückten Schwärmerei, keine der glühenden Schilderungen wird ihr auch nur annähernd gerecht. Sie ist mehr als schön. Alles, was auf und jenseits dieser Welt an Herrlichem ist, hat sich in dieser einen Frau vereint. Ihr Liebreiz ist unbeschreiblich. Jede ihrer anmutigen Bewegungen verströmt einen betörenden Duft. Jede ihrer unnachahmlichen Gesten versetzt selbst die Luft in einen Rausch. Sie ist kostbar, sie ist einzigartig.
Und es heißt, sie sei nicht nur schön, sondern auch gut: makellos an Leib und Seele.
Alle lieben sie. Alle verehren sie. Sie liegen ihr zu Füßen, staunend wie Kinder, die nicht zu begreifen vermögen, was sie sehen. Sie hängen an ihren Lippen, fiebern auf jedes ihrer Worte, wetteifern darum, ihre unausgesprochenen Wünsche zu erraten. Ihr wenigstens ein Mal zu dienen, ist ihr ganzes Bestreben. Ihr Lächeln auf sich zu spüren, wäre höchste Glückseligkeit. Welch Zauber sie verbreitet, welch Wahnsinn sie bewirkt! Ein Wink von ihr, und sie würden alles für sie tun, würden lügen, stehlen, morden. Ein sanfter Augenaufschlag, und jeder Mann zöge freudig in einen sinnlosen Tod.
Doch sie tut nichts dergleichen. Sie tut gar nichts. Ihre bloße Gegenwart genügt, genügt sich selbst, und allen anderen auch. Sie ist nur da, gehüllt in einen unsichtbaren Umhang vollendetsten Gleichmuts.
Sie ist vollkommen.
Keine andere kann neben ihr bestehen. Sie ist die Verkörperung geheimster Träume, eine wahrgewordene Sehnsucht.
Ihre Unsterblichkeit soll sie für ihn aufgegeben haben, raunt man ehrfurchtsvoll hinter vorgehaltener Hand. Und wenn schon - was hätte sie damit angefangen? Jetzt aber hat sie ein ganzes Menschenleben vor sich, mit ihm als Gefährten. Ich hingegen habe alles verloren, und nicht einmal das Schicksal wollte das Opfer meinerselbst annehmen. Sogar der Tod hat mich zurückgewiesen.
Wie glücklich sie ist - nein, sie ist mehr als das. Sogar hierin übertrifft sie uns andere Frauen. Das Glück liegt über ihr wie ein funkelnder Schleier. Ein seliges Strahlen geht von ihr aus.
Sie ist seine Gemahlin.
Und deshalb steht ihr allein es zu, an seiner Seite zu sein. Nur sie hat das Recht, ihn zu berühren. Einzig ihr gebührt der Anspruch auf seine Zärtlichkeit, seine Liebe, sein Bett.
Aber die Gewissheit, ihn zu lieben, teilt sie mit mir. Spürt sie das nicht?
Nein. Sie ist völlig ahnungslos. Sie ist arglos. Sie weiß nichts. Weder von mir noch von der Nacht in Dunharg. Und wenn sie's wüsste, würde es sie nicht berühren. Ein Geschöpf, so rein wie sie, sieht nicht den Morast menschlicher Abgründe. Ihr Blick würde an mir vorbeigleiten, nicht unfreundlich, auch nicht gleichgültig, und doch getragen vom Bewusstsein der Unantastbarkeit ihrer unermesslichen Liebe. Das eine Mal - was hat das schon zu bedeuten. Für ihn sicher nichts. Für mich - alles.
Seine Frau. Seine Königin. Sein Herz.
Mit ihr stirbt meine letzte Hoffnung, die aller Vernunft zum Trotz hartnäckig in den Tiefen meines törichten Herzens ausgeharrt hat. Ich kann es nicht länger verleugnen: Mein Geliebter hat mir nie gehört.
Nicht einmal verabscheuen kann ich sie. Ich fühle nichts mehr ...
~ ~ ~ ~
Es ist ein wichtiger Tag für Éomer, heute, wo alle auf ihn trinken, den neuen König der Mark. Ob er König bleibt, wird vom großen Herrscher aus Minas Tirith abhängen, von seinem und seiner Gemahlin Wohlwollen. Und von mir ...
Wieder muss ich meine Rolle spielen. Dabei bin ich müde, so müde ...
Éomer schickt mir eine stumme Warnung, seine Augen schießen Pfeile. Seine angespannte Haltung ist eine einzige Drohung. NIMM DICH ZUSAMMEN, SCHWESTER!
Ich weiß, was er von mir erwartet. Nach Gondor soll ich gehen, als Unterpfand seiner Treue. ES IST DEINE PFLICHT, ÉOWYN! - das hat er mir schon mehrmals nahe gelegt, seit er Faramirs Interesse an mir bemerkte. ROHAN MUSS UNSER BLEIBEN.
Immer ist es Sache der Frauen, die Opfer zu bringen.
Faramir steht dicht bei mir; ich fühle sein unausgesprochenes Drängen. Er wartet auf das entscheidende Wort. Éomer sieht mich bedeutungsschwer an. WAS IST JETZT, SCHWESTER?
Beide setzen ihre ganze Hoffnung auf mich, eine Frau, die für sich nichts mehr zu erwarten hat. Außer ihr Gesicht zu wahren.
Aragorns Blick streift mich flüchtig aus der Ferne. Und sie ist neben ihm, eine strahlende Siegerin, die nichts weiß von Kampf und Leidenschaft. Ich aber hab auf den Feldern des Pelennor sein Land verteidigt, hab gegen seine Feinde gefochten. Und hab nicht auch ich den Schwarzen Heermeister niedergestreckt? - ja, durch die Hand einer Frau kam er um, einer Frau mit zärtlichen Brüsten hinter schwerem Leder, und sehnsüchtigen Lippen unter herber Maske. Doch kein Mann wird mich für diese Taten lieben. Ein wahrer Krieger vollbringt selbst die Heldentat, und die Geliebte darf ihm Beifall zollen.
An mir aber haftet der Geruch von Blut und Stahl, und meine Hände sind rau vom Heft des Schwertes. Was bin ich schon, was könnt ich ihm schon sein, im Vergleich zu ihr ...
TU ES. LASS ES. TU ES. LASS ES. TU ES. LASS ES ... der Kobold tanzt in meinem Kopf.
Da siegt mein Stolz. Mein Ehrgefühl. Die Pflicht.
Ich vermähle mich mit Faramir.
So vieles schon hat man mir über sie zugetragen - von ihrem seidenen, nachtschwarzen Haar, das den Glanz des Mondlichts eingefangen haben soll ... von ihren wundervollen Augen, gleich strahlenden Sternen, in die man sich verlieren möchte ... ihrer zarten, schneeweißen Haut, schimmernd wie Morgentau in der aufgehenden Sonne ...
Geradezu begierig verschlang ich alles, was über sie in Erfahrung zu bringen war. Jedes Wort über sie war ein Dolchstoß in mein Herz, jedes verklärte Seufzen der Boten brachte mich dem Tod ein Stück näher.
Und doch konnte ich nicht aufhören damit. Wieder und wieder ließ ich mir alles berichten, jede grausame Einzelheit, erbarmungslos gegen mich selbst. Keiner ahnte auch nur im geringsten, was in mir dabei vorging.
Ich wahrte den äußeren Schein, lächelte, heuchelte Begeisterung für die ferne Königin. Auch wenn ich dabei fast zugrunde ging.
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In Edoras seh ich sie endlich.
Es ist ein Schock.
Darauf war ich nicht vorbereitet. Eine Frau habe ich erwartet, eine schöne Frau - ja! - aber nicht das ... ein Wesen, fremd und unbegreiflich, eine Lichtgestalt, nicht von unserer Art ...
Ein Kobold in meinem Kopf beginnt hämisch zu lachen. SIEH HIN, ÉOWYN. SIEH GENAU HIN.
Ihr Anblick macht mich frieren. Davonlaufen möcht ich, mich verstecken in einer dunklen Kammer, nichts mehr sehen, nichts mehr hören ... Aber mir bleibt nur, die Augen zu schließen ... wenigstens das.
SCHAU SIE DIR AN! kreischt es in mir.
Es ist wie in einem Albtraum - ein unwiderstehlicher Zwang treibt mich dazu, noch einen Blick zu wagen ... auch wenn mein Blut ins Stocken gerät und jeder schwere Schlag meines Herzens mir den Kopf zu bersten droht ...
Nichts von all der verzückten Schwärmerei, keine der glühenden Schilderungen wird ihr auch nur annähernd gerecht. Sie ist mehr als schön. Alles, was auf und jenseits dieser Welt an Herrlichem ist, hat sich in dieser einen Frau vereint. Ihr Liebreiz ist unbeschreiblich. Jede ihrer anmutigen Bewegungen verströmt einen betörenden Duft. Jede ihrer unnachahmlichen Gesten versetzt selbst die Luft in einen Rausch. Sie ist kostbar, sie ist einzigartig.
Und es heißt, sie sei nicht nur schön, sondern auch gut: makellos an Leib und Seele.
Alle lieben sie. Alle verehren sie. Sie liegen ihr zu Füßen, staunend wie Kinder, die nicht zu begreifen vermögen, was sie sehen. Sie hängen an ihren Lippen, fiebern auf jedes ihrer Worte, wetteifern darum, ihre unausgesprochenen Wünsche zu erraten. Ihr wenigstens ein Mal zu dienen, ist ihr ganzes Bestreben. Ihr Lächeln auf sich zu spüren, wäre höchste Glückseligkeit. Welch Zauber sie verbreitet, welch Wahnsinn sie bewirkt! Ein Wink von ihr, und sie würden alles für sie tun, würden lügen, stehlen, morden. Ein sanfter Augenaufschlag, und jeder Mann zöge freudig in einen sinnlosen Tod.
Doch sie tut nichts dergleichen. Sie tut gar nichts. Ihre bloße Gegenwart genügt, genügt sich selbst, und allen anderen auch. Sie ist nur da, gehüllt in einen unsichtbaren Umhang vollendetsten Gleichmuts.
Sie ist vollkommen.
Keine andere kann neben ihr bestehen. Sie ist die Verkörperung geheimster Träume, eine wahrgewordene Sehnsucht.
Ihre Unsterblichkeit soll sie für ihn aufgegeben haben, raunt man ehrfurchtsvoll hinter vorgehaltener Hand. Und wenn schon - was hätte sie damit angefangen? Jetzt aber hat sie ein ganzes Menschenleben vor sich, mit ihm als Gefährten. Ich hingegen habe alles verloren, und nicht einmal das Schicksal wollte das Opfer meinerselbst annehmen. Sogar der Tod hat mich zurückgewiesen.
Wie glücklich sie ist - nein, sie ist mehr als das. Sogar hierin übertrifft sie uns andere Frauen. Das Glück liegt über ihr wie ein funkelnder Schleier. Ein seliges Strahlen geht von ihr aus.
Sie ist seine Gemahlin.
Und deshalb steht ihr allein es zu, an seiner Seite zu sein. Nur sie hat das Recht, ihn zu berühren. Einzig ihr gebührt der Anspruch auf seine Zärtlichkeit, seine Liebe, sein Bett.
Aber die Gewissheit, ihn zu lieben, teilt sie mit mir. Spürt sie das nicht?
Nein. Sie ist völlig ahnungslos. Sie ist arglos. Sie weiß nichts. Weder von mir noch von der Nacht in Dunharg. Und wenn sie's wüsste, würde es sie nicht berühren. Ein Geschöpf, so rein wie sie, sieht nicht den Morast menschlicher Abgründe. Ihr Blick würde an mir vorbeigleiten, nicht unfreundlich, auch nicht gleichgültig, und doch getragen vom Bewusstsein der Unantastbarkeit ihrer unermesslichen Liebe. Das eine Mal - was hat das schon zu bedeuten. Für ihn sicher nichts. Für mich - alles.
Seine Frau. Seine Königin. Sein Herz.
Mit ihr stirbt meine letzte Hoffnung, die aller Vernunft zum Trotz hartnäckig in den Tiefen meines törichten Herzens ausgeharrt hat. Ich kann es nicht länger verleugnen: Mein Geliebter hat mir nie gehört.
Nicht einmal verabscheuen kann ich sie. Ich fühle nichts mehr ...
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Es ist ein wichtiger Tag für Éomer, heute, wo alle auf ihn trinken, den neuen König der Mark. Ob er König bleibt, wird vom großen Herrscher aus Minas Tirith abhängen, von seinem und seiner Gemahlin Wohlwollen. Und von mir ...
Wieder muss ich meine Rolle spielen. Dabei bin ich müde, so müde ...
Éomer schickt mir eine stumme Warnung, seine Augen schießen Pfeile. Seine angespannte Haltung ist eine einzige Drohung. NIMM DICH ZUSAMMEN, SCHWESTER!
Ich weiß, was er von mir erwartet. Nach Gondor soll ich gehen, als Unterpfand seiner Treue. ES IST DEINE PFLICHT, ÉOWYN! - das hat er mir schon mehrmals nahe gelegt, seit er Faramirs Interesse an mir bemerkte. ROHAN MUSS UNSER BLEIBEN.
Immer ist es Sache der Frauen, die Opfer zu bringen.
Faramir steht dicht bei mir; ich fühle sein unausgesprochenes Drängen. Er wartet auf das entscheidende Wort. Éomer sieht mich bedeutungsschwer an. WAS IST JETZT, SCHWESTER?
Beide setzen ihre ganze Hoffnung auf mich, eine Frau, die für sich nichts mehr zu erwarten hat. Außer ihr Gesicht zu wahren.
Aragorns Blick streift mich flüchtig aus der Ferne. Und sie ist neben ihm, eine strahlende Siegerin, die nichts weiß von Kampf und Leidenschaft. Ich aber hab auf den Feldern des Pelennor sein Land verteidigt, hab gegen seine Feinde gefochten. Und hab nicht auch ich den Schwarzen Heermeister niedergestreckt? - ja, durch die Hand einer Frau kam er um, einer Frau mit zärtlichen Brüsten hinter schwerem Leder, und sehnsüchtigen Lippen unter herber Maske. Doch kein Mann wird mich für diese Taten lieben. Ein wahrer Krieger vollbringt selbst die Heldentat, und die Geliebte darf ihm Beifall zollen.
An mir aber haftet der Geruch von Blut und Stahl, und meine Hände sind rau vom Heft des Schwertes. Was bin ich schon, was könnt ich ihm schon sein, im Vergleich zu ihr ...
TU ES. LASS ES. TU ES. LASS ES. TU ES. LASS ES ... der Kobold tanzt in meinem Kopf.
Da siegt mein Stolz. Mein Ehrgefühl. Die Pflicht.
Ich vermähle mich mit Faramir.
