Vorbemerkung: Wie gehabt, die Geschichte gehört Lessien; das hier ist lediglich eine Interpretation von mir (elektra121). Ich würde mich natürlich trotzdem sehr über Reviews freuen.

Viel Spaß beim Lesen!


Faramirs POV zum Kapitel „Die Betrogenen"

Ich ertrage es nicht länger, der Totenkopf (s.u.) auf meiner eigenen Hochzeit zu sein, alle um mich herum lachen und tanzen zu sehen, während du jetzt irgendwo mit dem König bist; ihm schöne Worte sagst, seine Hand hältst, ihn küsst... - ich will es mir nicht ausmalen. Zu wissen, dass es geschieht; ist schlimm genug.

In dem fröhlichen Treiben (das MEINE Hochzeit ist!) gelingt es mir, mich davonzustehlen, ohne dass man es bemerkt.

Ich möchte am liebsten hinaus in die Dunkelheit laufen; außer Hörweite von Rufen und Lachen; außer Sichtweite der hellerleuchteten Halle; dorthin, wo die klare dunkle Nachtluft und der ewige Sternenhimmel genauso sind wie überall und immer. Aber die Vorstellung, auf dem Weg nach draußen vielleicht zufällig auf euch zu stoßen, da ihr wohl auch die Dunkelheit sucht, hält mich davon ab.

Ich lenke meine Schritte stattdessen zu unserer Kammer. Deine und meine Kammer, in der wir jetzt zusammen glücklich sein sollten. Ich werde mich in das Bett legen, dein und mein Bett, und werde auf dich warten. Irgendwann musst du ja kommen, auch wenn es wohl lange dauern kann. Dann werde ich vorgeben zu schlafen; und wahrscheinlich auch, so betrunken gewesen zu sein, dass ich nichts bemerkt habe...

Schon habe ich die Kammer erreicht und betrachteeinen Moment lang wehmütig die Schwelle (ich hatte mir ausgemalt, wie ich dich darüber tragen wollte), dann öffne ich die Tür.

...

Und in diesem Moment sehe ich, was ich nie glauben konnte oder wollte; kein anderes Bild hätte es mir so in all seiner grausamen Klarheit vor Augen stellen können:

Dass es in dieser Welt keine Gerechtigkeit gibt. Dass alle Hoffnungen eitel sind und der Glaube an das Gute nichts als eine gefährliche kindische Dummheit.

Die Erkenntnis sickert in mich ein wie Blut aus einer tödlichen Wunde, und dann ist der Schock vorbei und der Schmerz da. So heiß, so quälend, so entsetzlich, dass es nicht zu ertragen ist; dass ich nur noch eines wünsche: IHM weh zu tun, DIR weh zu tun, euch weh zu tun wie mir weh getan wurde. Das wäre gut. Es wäre richtig. Es wäre GERECHT.

Meine Hand macht die vertraute Bewegung ganz von allein, und doch: als sie sich um den Schwertgriff schließt, zögere ich ein letztes Mal.

SIEH MICH AN! SAG, DASS DU MICH LIEBST und dass es dir leid tut, und ich will dir vergeben. Selbst jetzt noch. SAG NUR DASS DU MICH LIEBST... Ich weiß es doch, du liebst mich, du selbst hast es gesagt, du hast mich geheiratet...

Aber du sagst es nicht.

Deine Augen erbitten keine Verzeihung, bergen kein Bereuen. Kalt sind sie und stolz und voller Verachtung für mich. Es sind nicht mehr deine Augen, die ich gekannt habe. Du bist eine andere, als ich gekannt habe.

Ich will die Klinge aus der Scheide ziehen und es schnell hinter mich bringen. Man muss solche Sachen schnell tun, ohne zu überlegen, ich kenne das aus dem Krieg.

Aber mein Schwert ist auf einmal schwer wie Blei und lässt sich nur mit aller Gewalt, Zoll für Zoll, bewegen. Es kostet meine ganze Kraft, es bloß zu ziehen, und als ich es endlich bereit halte,

ist es zu spät.

Ich sehe den König (was für ein König! Ein schmutziger Ehebrecher!); ich sehe dich (eine Fremde; eine Hure, die nicht einen Tag, nicht eine Nacht warten konnte), ich sehe euch beide und ich weiß, dass ich euch nicht töten werde. Ich kann es nicht.

Nicht etwa, damit dem Volk von Gondor sein neuerrungener „König" erhalten bliebe (nach dem sie sich sehnten wie die unvernünftigen Kinder nach einem „richtigen" Vater, auch wenn ein Onkel noch so gut für sie sorgt).

Nicht etwa, damit euch (oder mir) Schande erspart bliebe.

Nichteinmal um euch einem grausameren Schicksal zu überlassen als es der schnelle Sühnetod wäre.

Nein.

Sondern weil ich es nicht kann.

Weil der schmutzige König, so nackt und ehr- und würdelos er ist, genauso aussieht wie alle anderen, all die vielen Männer, die ich im Krieg habe sterben und tot daliegen sehen, und denen ich wünschte, dass sie noch am Leben sein könnten.

Weil du, selbst wenn du nur eine Hure bist, die weder Liebe noch Treue kennt, genauso aussiehst wie sie; so entsetzlich ähnlich der, die ich liebte...- dass ich es nicht kann... weil ich dich behalten will. Ich will dich bei mir behalten, zur Erinnerung; so wie man das Kleidungsstück eines Toten lange aufhebt und noch manchmal hervorholt und ansieht, um sich an den geliebten Menschen zu erinnern.

Das ist der einzige Grund.

Weil ich ein egoistischer Feigling bin.

Die Klinge kippt aus meiner Hand und fällt mit einem anklagenden Scheppern zu Boden.

Das ist es. Ein widerwärtiger erbärmlicher Feigling bin ich.

Der junge Mann, der eben noch hier stand, der an das Gute glaubte und an die Gerechtigkeit und der hoffte und liebte und kämpfte, ist nun eben so tot wie seine Liebste. Faramir und Eowyn sind tot, und es wird nicht einmal ein Grab geben, an dem man sie betrauern kann; es sei denn dieses Zimmer; Schwelle und Bett, wo sie starben.

Wenn ich weinen könnte, würde ich weinen, denn Faramir und Eowyn haben VERDIENT, dass man um sie weint. Nichts weniger und soviel mehr; ach! So viel mehr.

Niemand hat mir je mehr bedeutet als diese beiden, und ich werde um sie trauern, solange ich lebe.

Der heiße Schmerz kühlt langsam ab und hinterlässt eine entsetzliche gähnende Leere in mir, die ich mangels eines besseren Namens Weisheit zu nennen beschließe.

Weisheit, die ich immer erstrebte. Weisheit, die Dinge zu kennen; zu sehen, wie sie wirklich sind. Jetzt hast du mich gelehrt; aber die Erkenntnis ist so bitter, dass ich wünschte, ich wäre in Ewigkeit der einfältige Narr geblieben, der ich war.

Ich drehe mich um und laufe vor mir selbst davon.

ENDE.


(Hinweis:)
Auf Hochzeiten bzw. großen Festen sollen früher Totenköpfe aufgestellt worden sein, um die Feiernden daran zu erinnern, dass alle irdischen Freuden vergänglich sind.