Disclaimer: Siehe Vorspann

Kapitel 11

Gestern schienen all meine Probleme so fern Jetzt sieht es so aus, als ob sie ewig bleiben würden Ich glaube an gestern

Es wurde Abend, bis ich wieder dazu kam, mich mit Lass zu beschäftigen. Nachdem er erneut seinen Mageninhalt vor meinen Füße geleert hatte, war er eingeschlafen, und ich war nach oben gegangen um mich zu waschen und Elenath zur Hand zu gehen. Umziehen tat ich mich erst gar nicht, ich wusste, Lass war nicht der einzige der sich nicht eben wohl fühlte.

Es überraschte mich immer wieder, was für grenzenlose Säufer Elben doch sein konnten. Nach außen hin wirkte sie immer so beherrscht, so vollkommen, geradezu arrogant. Doch unter diesem Deckmantel der hochnäsigen Überlegenheit befand sich ein total verlotterter Sauhaufen. So elegant und perfekt sie auch wirken mochten, so verheerend waren doch ihre wirklichen Verhaltensweisen.

Ich war den ganzen Tag unterwegs, rührte Brechmittel und Katzenjammermedizin zusammen, verteilte literweise Wasser gegen den Brand, teilte Schüsseln aus, sammelte sie wieder ein, leerte und wusch sie, teilte sie wieder aus.

Man sollte denen hier die Technik des Magenauspumpens näher bringen, dachte ich seufzend. Diese Kotzerei ist ja widerlich.

Elenath stimmte mir zu, wollte dann aber stirnrunzelnd wissen, was das sei und wie es funktionierend sollte. Ich erklärte es ihr und mit leuchtenden Augen pflichtete sie mir lauthals bei. Anschließend stellten wir fest, dass das hier jedoch eh nie funktionieren würde. Wir seufzten im Chor und machten weiter.

Als wir uns abends irgendwann total erledigt in die Sessel fallen ließen und ich zum ersten Mal seit über 36 Stunden etwas zu Essen zu mir nahm –ihr wisst schon, NAHRUNG- fragte Elenath: „Was ist eigentlich mit deinem brechenden Patienten?"– „Welcher denn?"

Ich hatte an diesem Tag so viele brechen sehen, ich wusste, ich würde mich davor nie wieder ekeln. Der heutige Tag hatte mich total abgehärtet. Ich hatte mich ausgeekelt.

„Na, der von heute morgen. Der, den du im Wald aufgegabelt hast."– „Ach du Sch... LIEGT DER ETWA IMMER NOCH DRAUSSEN???"- „Ich hab ihn nicht reingeräumt..."– „Scheiße."

Ich spurtete die Treppe hinunter und tatsächlich, da lag er, friedlich schlafend, doch sein Umfeld ließ erahnen, dass er heute mehrfach aufgewacht und seine Umgebung mit halbverdauten Nahrungsmitteln verziert haben musste. Uähh.

Ich beugte mich über ihn und wurde ganz unvermutet von einer Alkoholwolke getroffen. Ich hatte zwar die Luft angehalten – ich hatte heute über den Umgang mit besoffenen EINIGES gelernt- aber etwas derartiges hatte ich partout nicht erwartet, zumal er doch den ganzen Tag Zeit gehabt hatte, um sich ausnüchtern zu lassen.

Ich ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen und entdeckte zwei –leere- Likörflaschen. Aha. Blieb nur nach die Frage, wo er das Zeug her hatte und warum er es zu sich genommen hatte. Dem ging es doch schon schlecht? Andererseits war das sein Problem.

Ich kam auch nicht dazu weiter darüber nachzudenken, denn er fing an sich zu bewegen und schlug die Augen auf.

„Mae aur, ernilwen1)"

Ich fuhr zurück. Einmal ganz abgesehen von seinem Mundgeruch, der wirklich UMWRFENDE Wirkung hatte, WAS hatte der sich da in seinem alkoholischen Delirium zusammengeträumt?

„Spr... sprich.. sprichsu nich mit mich?"O Gott. O Gott. Ogottogottogott. WIE. BESOFFEN. WAR. DER.

„Bidde... bidde nich sauer sainn. Sch binnn besoffn!"Ach nein. Wie kam er nur auf die Idee... „Daaarfsu nisch saua sein. Sch binn nämmlisch..."

Ich würde nie erfahren, was er nämlich war, denn er verdrehte die Augen und schlief wieder ein. Ich atmete auf und begann um ihn herum aufzuräumen.

Als das getan war und ich so wieder etwas Luft zum Atmen und Arbeiten hatte, holte ich eine Liege von oben und stellte sie neben Lass auf, der ja immer noch auf dem Boden lag. Dann nahm ich meine gesamte längst nicht mehr vorhandene Kraft zusammen und schleiftehieftezog Lass auf die Liege.

Als ich es endlich vollbracht hatte schnaufte ich wie ein besoffenes Walross nach einem Marathonlauf, aber ich war stolz auf mich.

Da man Lass vor allem geruchlich anmerkte, dass er heute den ganzen Tag nichts anderes als Schlafen und Kotzen fertig gebracht hatte, beschloss ich, ihn wenigstens oberflächlich zu waschen. Elben haben nicht nur sehr gute Augen, sie haben auch einen sehr feinen Geruchsinn.

Ich zog ihm also sein Hemd aus – nicht ohne seine wirklich gut trainierten Bauchmuskeln zu registrieren und bewundern- und warf es in einen Wasserbottich. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ein neues Hemd für ihn zu suchen, denn erstens hatte ich sowieso keins da, und zweitens wollte ich wenigstens ein bisschen was davon haben, wenn ich mir schon für ihn den Arsch aufriss.

Ich wusch sein Gesicht und seinen Oberkörper oberflächlich. Na ja, sagen wir, ich brachte sie mit etwas Wasser in Kontakt. Dabei fiel mir seine Kette auf. Es war ein schwarzes Lederband mit einem kleinen Dolchförmigen Anhänger aus irgendeinem Metall, das ein bisschen wie Silber glänze, aber garantiert keines war. Ich betrachtete es interessiert genauer –so sah also Mithril aus.

Es war ein hübscher Anhänger, wenn er auch nicht sehr groß war, er passte gerade in meine Handfläche hinein. Ich probierte das aber nicht so genau aus, das Ding war mörderisch scharf. Es war ein kleiner, silberner Dolch mit hübschen, blattartigen Verzierungen, und an seinem Knauf war irgend so ein gezacktes Symbol eingearbeitet, eine Krone vielleicht, oder ein Stern-

„Hier steckst du also!"Ich drehte mich um. Hinter mir stand eine grinsende Elenath. „Ich dachte du wärst nicht an ihm interessiert..."– „Bin ich auch nicht!"

Elenath zog die Augenbraue hoch. „Ach, aber es genügt, um ihn auszuziehen, ja?"

„ELENATH!!! Ich hab ihm nur das Hemd ausgezogen, weil ich vorhabe, es zu waschen, er stinkt nämlich wie ein Ork-"

Ich brach ab. Zu Elenaths hochgezogener Augenbraue hatte sich ein anzügliches Grinsen gesellt. Sie glaubte mir kein Wort.

Allmählich wurde es mir zu bunt. Kochend vor Wut schleuderte ich ihr Lass´ nasses Hemd ins Gesicht. „Da, prüfs doch nach!"

Elenath befreite sich von dem Hemd, dann nahm sie aber doch allen Mut zusammen und versenkte vorsichtig die Nase darin. Innerhalb weniger Millisekunden flog das Hemd, begleitet von einem angeekelten Aufschrei zurück in den Wasserbottich; Elenaths Teint hatte eine leicht grünliche Farbe angenommen.

Ich habe erwähnt, dass Elben ebenfalls einen feineren Geruchsinn besitzen?

„Du. Bist. Widerlich. WI-DER-LICH."– „Danke gleichfalls. Glaubst du mir jetzt?"

Sie streckte mir als Antwort lediglich die Zunge heraus und wandte sich in Richtung Treppe. „Oh, mach doch was du willst. Begrabbeln ihn, zieh ihn aus, wenn's dir Spaß macht. Ich geh ins Bett!" „Ich würde mich vorher waschen..."rief ich ihr hinterher, woraufhin sie mir ein Gesicht schnitt und sich dann nach oben verzog.

Ich drehte mich wieder zu Lass um. Er sah eigentlich ganz friedlich aus wenn er schlief. Fast wie ein Engel... Sein lautes Schnarchen unterbrach meinen Gedankengang. Ein Engel mit Stirnhöhlenproblemen...

Ich seufzte. Die Sonne war inzwischen untergegangen, es war tiefste Nacht. Ich zündete eine Lampe an um besser lesen zu können. Gerade wurde es richtig spannend, als ein leises Ächzen mich aus meinen Gedanken riss. Lass war wach.

Er stöhnte auf –jede Bewegung musste höllisch schmerzen. Tja, sein Pech. Er drehte sich wimmernd ganz, ganz vorsichtig auf die andere Seite und kniff jaulend die Augen zusammen.

„Es ist so hell..."

Ich dunkelte die Funzel, deren Streukreis keinen halben Meter Durchmesser hatte, mit einem Tuch ab. „Und wie geht's uns, Dornröschen?"

Sein schmerzverzerrtes Gesicht war Antwort genug. Weichei! dachte ich verächtlich. Soooo schlimm war kein Kater. Da hatte ja ich schon schlimmeres erlebt.

Er runzelte die Stirn – auch das musste ihm höllische Schmerzen bereiten- und fragte: „Dornröschen?"

„Kennst du das nicht?"Meine Verachtung, eben nur in Gedanken hörbar, schwang nun laut und deutlich in meiner Stimme mit.

Ich war ehrlich erstaunt, bis mir einfiel, dass meine angestammten Kindermärchen hier ja gar nicht bekannt waren. Schon komisch... Da lebte man bereits jahrzehntelang bei einem fremden Volk und hatte sich immer noch nicht an alles gewöhnt.

Er schüttelte den Kopf und verzog das Geicht. Er schien mit sich zu kämpfen, dann fragte er: „Könntest du es mir vielleicht erzählen?"– „Was?"

Wie denn, was denn, wo denn? Jetzt Märchenstunde, oder wie? Hmm... warum nicht?

„Oh... okay."

Er sah mich erwartungsvoll mit großen Augen an. Er war richtig zappelig vor Ungeduld, stellte ich überrascht fest. Wie ein Fünfjähriger, dem eine spannende Gute-Nacht-Geschichte versprochen worden ist.

Ich räusperte mich, holte tief Luft und fing an. „Es war einmal, vor langer, langer Zeit, in einem weit entfernten Land..."

Ich erzählte und erzählte. Meine Mutter war zwar nie der Typ gewesen, der sich jeden abend ans Kinderbett setzte und Märchen vorlas, aber solche Standartdinger kriegt frau wohl grade noch zusammen.

Als ich schließlich mit dem obligatorischen „... und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende"schloss und zu ihm rüber sah, stellte ich überrascht fest, dass er noch wach war.

Er hatte sich die ganze Zeit nicht einmal gemuckst, so dass ich angenommen hatte, er sei eingeschlafen. Ich hatte einfach trotzdem weitererzählt, einmal, weil ich wusste, dass Elenath oben saß und mithörte, und außerdem, weil ich so zumindest eine sinnvolle Beschäftigung hatte.

Er schlief jedoch keineswegs. Mit riesengroßen kugelrunden Kinderaugen sah er mich groß an. Irgendwie irritierte mich das. „Ist was?"

Er zuckte zusammen. „Was? Ich meine, äh, ähm, nein, äh... kennt Ihr noch mehr solcher Geschichten?"

Ich sah ihn stark irritiert an. „Wie bitte?"

Er wurde rot und sah weg. „Nichts. Egal."

Aaaaha. Okay. Ich erhob mich. „Auch gut. Nun, wenn sonst nichts mehr ist, werde ich mich zurückziehen-"

„NEIN!"

Ich zuckte zusammen und drehte mich erschrocken zu ihm um. „Was ist denn los?" Er sah weg. Sein Gesicht, vor allem seine Ohren, erglühten im schönsten Rot. Er wirkte, als sei er über sich selbst zu Tode erschrocken. Dann fing er sich wieder.

„Ich, ähm, ich, nun, ich meinte..."Eine kleine Pause folgte. „Ihr seid doch nicht etwa schon müde?"

„Nein."Er atmete hörbar auf. „Aber du solltest es sein, es ist nämlich schon spät, und ich würde mich gerne noch etwas ausruhen, bevor ich morgen weiterarbeiten muss."

Er wirkte, als würde er sich gerne selbst ohrfeigen. „Na- natürlich, Mylady. Ich hatte das nicht bedacht. Verzeiht. Gute Nacht."

Ich sah ihn irritiert an. Er redete wie irgendso ein eingebildeter Hofschranze, wie eins von diesen arroganten Ekelpaketen, die den ganzen Tag in irgendwelchen Thronsälen damit verbrachten, sich sonst was auf ihre achsovornehme Herkunft einzubilden.

Ich musterte ihn abschätzend. Wer war er eigentlich?

„Schon in Ordnung", sagte ich schließlich. „Aber wenn ich dir noch mal sagen muss, dass du mich duzen sollst, werden wir zwei ganz schon Stress kriegen."

Er sah mich verwundert an und wollte wohl noch etwas sagen, doch ich war schon in nach oben verschwunden, und so unterließ er es.

Als ich am nächsten Morgen runterkam, schlief er noch. Mir war das sehr recht. Ich hatte keine Lust mit ihm zureden, bevor ich nicht wusste, wer eigentlich war. Ich nahm mir vor Elenath zu fragen, und um zu vermeiden, dass es aufwachte, bevor ich näheres über ihn wusste, flößte ich ihm einen Löffel voll Lostomaeextrakt2) ein, ein sehr starkes Schlafmittel, dass Narthan normalerweise bei Operationen verwendete.

Ich hatte es extra aus Narthan persönlichem Vorrat, na, sagen wir, geliehen, ich wollte schließlich sicher gehen. Die Mühe hätte ich mir allerdings sparen können, weder wusste Elenath etwas, noch konnte sie mich an jemanden verweisen, der eventuell was wusste.

„Ich hab wirklich keine Ahnung. Warum ist dir das überhaupt so wichtig?"Da war er wieder, dieser lauernde Blick. Ich hob abwehrend die Hände. „Nur so! Ich mein, hey, er hat mein Kleid versaut und ich versorg ihn heut den dritten Tag, da wird ich doch wohl wissen dürfen, wer er ist..."

Diese Erklärung schien vor ihren Augen Gnade zu finden, sie nickte. „Frag ihn doch selbst", meinte sie noch, bevor sie in ihr Zimmer verschwand.

Ich war sauer. Da hatte man sich einmal den idealen, perfekten, fantastischen, vollkommenen Aushorchplan zurechtgelegt, und dann war niemand zum aushorchen da, typisch.

Kochend vor Wut verpasste ich Lass noch eine Ladung Lostomae, wünscht ihm, er solle dran verrecken und verzog mich auf einen langen Spaziergang in den Wald, der mir allerdings nicht eben viel brachte. Als ich wieder in meinem Zimmer war, beförderte ich fünf Vasen und drei Tassen directement über den Umweg Wand in den Mülleimer, und danach ging es mir etwas besser, aber immer noch nicht gut genug, so dass ich noch Lass´ Klamotten zerfetzen und ihm sein Kettchen klauen musste, das mir ja schon vorher so gut gefallen hatte.

Schließlich, ich hatte was verdient dafür, nicht wahr, dass ich ihn tagelang pflegte, mir den Arsch aufriss, meine Zeit vergeudete, mir die Nacht um die Ohren schlug...!!! Außerdem, die Kette stand ihm eh nicht richtig. An mir sah sie viel besser aus.

Lass schlief auch die ganze Nacht durch, er wachte auch nicht auf, als ich es mit jener effektiven Weckmethode versuchte, bei der man Wasser, das zwar nicht gefroren ist, aber eben gerade so nur so nicht, über den Kopf des Patienten leert, und ihm anschließend mit 100%igem Stimmbändereinsatz direkt in die Ohren hinein mitteilt, dass es Zeit wäre, aufzustehen.

Er wollte und wollte nicht aufwachen, und wutentbrannt schickte ich noch ein paar Tassen ins Keramiknirwana, weil Lass mich einfach nur saumäßig nervte und ich auch noch für ihn Lügen musste, nur weil er so dumm war, das bisschen Schlafmittel schlecht zu vertragen. Weichei...

Aber irgendwie half das alles gar nichts, am besten wäre es gewesen, er wäre selbst wach, so dass ich ihn hätte zur Schnecke machen können. Glücklicherweise musste ich meine Wut nicht ewig an unschuldigen Tonerzeugnissen auslassen, was gut war, denn Narthan und Elenath waren von dem Gedanken, dass ihnen noch etwas Geschirr übrig bleiben würde, doch recht angetan.

Sie hatten sich zwar daran gewöhnt, dass ich bei jedem Wutanfall in Ermangelung anderer Abreagierreaktionen etwas Geschirr zertrümmerte, aber das kam nur vor, wenn alle andere, wie zum Beispiel ausgedehnte Waldläufe versagten was allerdings selten der Fall war. Dennoch waren sie wohl doch recht erleichtert, warum auch immer, als ich auf den in der Tat komplizierten Gedanken kam, Lass das Aufweckmittel zu geben.

Er wachte dann doch recht bald auf. Als er mein Gesicht sah, musste er lächeln. Ich hatte vorgehabt, ihn anzumaulen, ihn richtig zur Schnecke zu machen, aber irgendwie funktionierte das nicht. Solche entwaffnende Grinsen sollten verboten werden, vor allem, wenn man in voller Montur angetreten ist.

Er gähnte, reckte und streckte sich. Als er den Mörderblick sah, mit dem ich ihn dabei musterte, hörte er auf und sah mich verwirrt an. „Ist irgendetwas?"– „Du bist wach." „Ja. Und?"Er wirkte sehr, sehr verwirrt, was meine Laune sprunghaft ansteigen ließ.

Eine Idee formte sich in meinen Kopf, eine bösartige, rächende, wundervolle Idee. Ich wartete, bis sie sich vollendet und mich ganz durchdrungen hatte, dann sagte ich ruhig: „Du solltest aufstehen."

Er sah mich noch verwirrter an, irgendwas in meiner Stimme musste ihm wohl ein ungutes Gefühl bereiten, denn er fragte mit ein wenig unsicherer stimme: „Warum?"

Ich lächelte. „Tja, ich weiß ja nicht, wie man das bei euch handhabt, aber bei uns ist es so, das man aufsteht, BEVOR es wieder abend ist. Außerdem willst du wohl irgendwann in diesem Leben wohl noch mal nach Hause, nehme ich an."

Er nickte, doch dann runzelte er die Stirn, diesmal schmerzfrei. Der lange Schlaf hatte immerhin seinen Kater vertrieben, wenigstens etwas.

„Was meint Ihr mit „irgendwann noch mal nach Hause"?"Ein spöttisches Lächeln huschte über meine Lippen. Es schien zu klappen. „Welcher Tag ist heute?"Entzückt registrierte ich die leise Panik, die in seiner Stimme mitschwang.

Dennoch riss ich mich zusammen. Mein Gesicht wirkte vollkommen gelassen. „Keine Ahnung... ich gebe nichts auf Daten. Ein Tag wie andere, wenn man unsterblich ist, nicht wahr? Ach, die Unsterblichkeit..."Fasziniert bemerkte ich, dass es unruhig auf seiner Liege rumrutschte. „Bitte, Mylady! Wisst Ihr es denn nicht, könnt Ihr denn nicht jemanden fragen, bitte... "

Ich summte nachdenklich. „Hmm... eigentlich... kann ich das schon... glaub ich.", stellte ich schließlich nach längerer Pause fest.

Er war die ganze Zeit hibbelig herumgerutscht, jetzt mit eindeutiger Panik in seinen Gesichtszügen. „Was? Was, Mylady?"Ich sah ihn an, ein mildes nachsichtiges Lächeln umspielte meine Lippen. "Dir helfen..."

Ich strich mir übertrieben gelassen eine Haarsträhne aus dem Gesicht, sah weg, lächelte verträumt. Ohhh, das war richtig gut. Ich sah seine aufsteigende Panik, seinen gehetzten Gesichtsausdruck.

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, warum er so verzweifelt reagierte, aber ich fand es toll. Das war besser als Geschirr an die Wand zu schmeißen - Rache am lebenden Opfer.

Er ergriff wieder das Wort, und ich bemerkte mit Interesse den Angstschweiß, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte. Das war ja VIEL besser als Geschirr an die Wand zu schmeißen. Geschirr kann schließlich nicht jammern.

„Bitte, Mylady! Ich- ich muss nach Hause, dringend! WELCHER TAG IST HEUTE???"

Die Panik in seiner Stimme, die allerdings in Wut umzuschlagen drohte, brachte mich dazu, nun doch zu antworten. Wenn der jetzt irgendwie handgreiflich wurde vor lauter Panik, dass er nicht rechtzeitig wieder bei seiner Mama war...

„Hmm... muss wohl doch schon ne Weile her sein seit ich dich im Wald aufgegabelt habe... vier, fünf Tage vielleicht..."

„VIER TAGE?"Heulte der etwa? Ich gestattete mir einen Blick zur Seite. Nein. Nein, tat er nicht. Zu schade.

„Oder doch etwas mehr... "

„WIE VIEL MEHR???"

Er klang jetzt so richtig sauer, ich befürchtete, er würde jetzt wirklich zuschlagen. „Eine Woche", behauptete ich und ich musste mir das Lachen verkneifen, als ich seinen entgeisterten Gesichtsausdruck sah. „EINE WOCHE?"

Er sah mich mit großen bittenden Augen an, augenscheinlich betend, dass ich gelogen hätte, dass es nicht wahr wäre, dass er nicht schon eine Woche von zu Hause weg wäre...

Fast tat er mir leid.

„Das scheint ja ein ziemliches Problem für dich zu sein. Aber tut mir leid, es ist wirklich schon über eine Woche her"–bei dem Wort „über"zuckte er noch mal zusammen- „aber das lässt sich auch nicht ändern. Du kannst ja immer noch los, wenn du dich beeilst bist du bestimmt schnell daheim..."

Er sah mich an, und ich musste wohl sehr ernst ausgesehen haben, denn er kaufte es mir ab. Wie der Blitz war er von der Liege runter und zog sein Hemd an, dass ich zum Trocknen an einen Baum gehängt hatte.

„Wo willst du denn auf einmal hin?"

Er sah mich an, als hätte ich Düsterwald so eben zur Republik erklärt. „Ich muss zurück! Ich bin viel zu lange geblieben. Oh, das gibt Ärger...", fügte er etwas leiser hinzu. Er wollte seien Sachen zusammen packen, doch dann fiel ihm auf, dass er gar nichts bei sich gehabt hatte, und so ließ er es. Er wandte sich zu mir um. „Mylady, habt Ihr Pferde? Eins, dass Ihr mir geben könntet?"

Ich kaute an meiner Lippe rum. Klar hatten wir Pferde, jeder hatte Pferde in diesem Land, aber sollte ich ihm wirklich eins geben? Einmal gehörten sie gar nicht mir, sondern Narthan, und außerdem, wer wusste schon, ob ich die dann jemals wiedersehen würde... Ich entschied mich dagegen.

„Ich kann doch gar nicht reiten... "

„Oh. Verzeiht, das hatte ich vergessen."Und er begann so übel zu fluchen, das ich mich direkt an meine alte Klasse erinnert fühlte. Als er jedoch meinen verblüfften Gesichtsausdruck sah, hörte er unverzüglich auf und wurde rot.

Er sah so fertig aus, dass ich mich dann seiner doch erbarmte und ihm noch schnell etwas zu essen gab. Er war jetzt aufbruchsbereit, und ich wollte nur noch, dass er endlich ging. Ich wollte, dass er weg war, das er mich nicht mehr mit diesen großen, fertigen Augen ansah. Ich wollte, dass er aufhörte, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

Er wollte gehen, war so gut wie weg, als ihm noch etwas einfiel. „Mylady..."

„Was."Ich war sehr, sehr genervt.

„Meine Kette..."

„Was für eine Kette?"

„Nun, meine, ich habe sie nicht mehr.."

Ich hob vorsichtig eine Augenbraue. „Tatsächlich."

Er nickte. „Es ist ein silberner Anhänger, an einem schwarzen Lederband... habt Ihr sie nicht gesehen?"

„Ich habe DEINE Kette nicht gesehen.."Nö, wie denn auch. Ist ja jetzt meine...

Er sah noch verzweifelter aus. „Tja, dann... werde ich sie wohl verloren haben... "

„Vermutlich...", stimmte ich ihm zu.

Er nickte, und machet sich dann endgültig auf. Ich drehte mich um und war schon halb die Treppe rauf, als er mich noch einmal rief. „Mylady!"

Wutentbrannt drehte ich mich um. „NICHT MYLADY!", schrie ich. Erschreckt zuckte er zurück. Ich war innerhalb kürzester Zeit wieder unten und schrie ihn jetzt aus 30cm Entfernung an.

„Hör auf, mich mit MYLADY anzureden. Du sollst mich duzen! Ich duze dich ja auch, also, verdammt noch mal, duz mich, ich bin keine Edeldame, ICH WILL KEINE EDELDAME SEIN, nicht mehr, nie mehr, es hat sich ausgeedelt, ich heiße Em- ich meine, Carië3)..."

Carië war der Name, den ich für meine Zeit in Düsterwald gewählt hatte. Ich konnte schließlich nicht einfach Emilia heißen. Das klang überhaupt nicht elbisch. Außerdem fiel eine Carië viel weniger auf als eine Emilia, speziell wenn jetzt gewisse doofe Elbenköniginnen einen suchten, weil man abgehauen war... Hm, tja, lassen wir das.

Er lächelte. „Mylad-, Verzeihung, ich meinte, Carië, das war alles, was ich wollte, Euren, äh, deinen, äh, Namen..."

Meine Stirn war eine perfekte Nachbildung der Emyn Muil, gezackt, gefaltet, ein unüberwindliches Gebirge.

„Tja, jetzt weißt du ihn."

„Tja, ähm- ja."

„Ja."

„Wollt Ihr, verzeih, willst du denn meinen nicht erfahren?"

„Den weiß ich doch schon."

„Oh. Tatsächlich."Er schien irgendwie enttäuscht. So, als hätte er sich eine andere Reaktion von mir erwartet, mir war nur nicht ganz klar, worauf, und vor allem, welche. Aber im Prinzip war das ja eh egal..

Ich zog die Augenbraue hoch. Er stand immer noch da, wie festgewurzelt am Boden, und machte keine Anstalten zu gehen. „Tschüss."

Ich drehte mich um und ging. Hinter mir machte auch er sich auf, drehte sich um und verschwand, nicht wissend, dass ich seine Kette hatte, nicht wissend, dass ich ihn angelogen hatte, nicht wissend, dass er keine drei Tage von zu Hause fort gewesen war. Und oben drehte ich mich um, sah ihm hinter her, fragte mich, warum zur Hölle ich meine Launen immer an Unschuldigen auslassen musste, sagte mir, dass es egal war, sagtemir, dass er es wohl überleben würde. Wir würden uns eh nie wieder sehen.

1) mae aur ernilwen = guten Morgen, Prinzessin

2) losto mae = schlaf gut

3) carië = Schöpfung
...
...
... So, das wars. Hoffe, es gefällt euch auch weiterhin, obwohl in diesem Kapitel nicht so arg viel vorkommt, gell, Eso? Ich hab jetzt die ganze Nacht dran gesessen und mir soooooooo viel Mühe gegeben, also, tja, gelesen habt ihrs jetzt wohl hoffentlich schon, aber lasst vielleicht ne klitzekleine Review da, bitte... Dackelblick aufsetzt