Kapitel II – Caveat Impius

„Kurtis?" rief ich in den dunklen Raum. Leises Murmeln drang in meine Ohren. Vergebens tastete ich die Wand nach einem Lichtschalter ab. Ich zündete eine Magnesiumfackel an, entdeckte den Hebel für die Stromversorgung und betätigte ihn. Die Neonröhren erstrahlten in einem kalten blauen Licht. Ich befand mich in einer Leichenschauhalle. Gegenüber war Kurtis an die Wand gelehnt. Sein T-Shirt war um die Bauchregion mit Blut verschmiert und er schien fast bewusstlos zu sein. „Oh mein Gott!" rief ich verzweifelt, stürzte auf ihn zu und packte sofort ein Medipack aus.

„Lara? Bist du es wirklich?"

„Ja, ich bin es. Pass auf, ich muss deine Wunde versorgen." Ich hob sein T-Shirt hoch und erstarrte bei diesem grässlichen Anblick.

„Sie... hat mir ... den Magen durchbohrt."

„Rede mit mir, Kurtis. Bleibe bei Bewusstsein!"

„Lara, ich... du... kannst mir nicht helfen. Ich habe schon zu viel Blut verloren." Er legte seine Hand auf meine Wange und lächelte bitter. „Ich kann mich glücklich schätzen, dich... kennen gelernt zu haben, Lara Croft... auch wenn wir nicht viel Zeit hatten..."

„Nein! Kurtis! Rede mit mir!" Sein keuchender Atem wurde ruhiger und immer leiser, er ließ die Augen zufallen.

Ich verband die Wunde so gut und schnell ich konnte. „Halte durch, ich hole Hilfe" flüsterte ich ihm zu und wollte gerade aufstehen, als sein Körper unter meiner rechten Hand erschlaffte. Bittere Tränen strömten mein Gesicht herunter. Ich konnte meine Trauer nicht mehr zurückhalten und schrie mir die Seele aus dem Leib. Warum müssen immer diejenigen sterben, mir etwas Wert sind? Ich berührte sein Gesicht. „Kurtis, komm zurück. Verlass mich nicht" ich wollte seinen Tod einfach nicht wahr haben.

Dann spürte ich ein leichtes Kribbeln in meiner Handfläche, die auf seiner Wunde ruhte. Es wurde warm und ich hatte das Gefühl, als würde meine Hand durch Tausend Nadeln durchstochen werden. Die Intensität nahm zu und war bereits kaum auszuhalten. Unbewusst führte ich meine linke Hand zu meinem Bauch und merkte das selbe Prickeln in meiner Bauchgegend, als ob meine Innereien durch die Handfläche gezogen würden.

Kurtis zuckte zusammen, keuchte, riss die Augen auf und schaute in mein fassungsloses Gesicht. „Du hast mir das Leben gerettet." flüsterte er. Einen Augenblick lang, in dem ich ungläubig und fassungslos wie gelähmt war, spürte ich, wie mein Herz auszusetzen schien. Ich öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus. Wie konnte das sein? Er war doch tot. Entgeistert und fragend starrte ich ihn an. Er fuhr fort: „Du hast eine außergewöhnliche Aura. Indem du deine Hand auf meine Wunde gelegt hast, hast du unbewusst einen Kanal geöffnet, durch den deine Energie in meinen Körper fließen konnte. Du hast meine Blutung gestoppt und meine Magenwände fast regeneriert! Ich erkläre es dir ein anderes Mal gerne genauer." Endlich bekam ich meine Stimme wieder: „Kurtis?" Pause. Er stand auf, hob mich und nahm mich in seine starken Arme. „Es ist alles okay, Lara, es geht mir gut." Er lebte. Der Gedanke breitete sich in mir aus, erfüllte mich mit Helligkeit. Was war das für ein Gefühl in mir? Unbeschreibliche Erleichterung? Eine Zentnerlast Schuld, die von mir abfiel? Oder reine Freude, Dankbarkeit, dass er am Leben war? Ich konnte es kaum fassen, schwang meine Arme um seinen Hals und inhalierte hungrig seinen maskulinen Duft. Mein Kopf vergrub sich in seinem T-Shirt und ich schluchzte leise, woraufhin er meinen Körper stärker an seinen presste und mir besänftigend über den Rücken streichelte. Ich fühlte mich sicher und geborgen.