Kapitel XIII – Manus Conserere

Am nächsten Morgen war ich eigentlich noch zu schwach, um das Krankenhaus verlassen zu dürfen, doch Karel musste die Ärzte wohl bestochen haben. Solange ich mich noch in einem dermaßen schlechten Zustand befand, konnte ich mich nicht wehren. Erholung hatte ich bitter nötig. Karel führte mich behutsam zu einem schwarzen Mercedes, setzte mich hinein und legte mir erneut Handschellen an, diesmal allerdings vor dem Körper. Wenn er mich bald für seine Pläne einsetzen wollte, war ich verloren.

„Wie fühlen Sie sich, Lara?"

So sehr ich es hasste, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm gegenüber charmant und freundlich zu sein. „Ich habe starke Kopfschmerzen, Übelkeit und fühle mich sehr schwach, aber danke der Nachfrage."

„Ich habe die Ärzte nicht darum gebeten, sie früher zu entlassen, um so schnell wie möglich mit der Prozedur anfangen zu können."

Fragend und überrascht sah ich in seine leuchtenden falschen Augen. Er legte seine Hand auf meine Schulter. „Die Umstände sind in türkischen Kliniken in der Regel außerordentlich schlecht, selbst hier, in einer Stadt in Cappadocia. Man steckt sich hier eher an, als dass man gesund wird!" Diese Worte entlockten mir ein fahles Lächeln. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde mich um Sie kümmern."

Ganz egal, was dieses „um-Sie-kümmern" beinhaltete, war ich war froh, dadurch Zeit gewinnen und mir unterdessen Fluchtpläne überlegen zu können.

Der Wagen verließ die Innenstadt von Nevsehir und fuhr einige Meilen auf der geraden öden Landstraße, bis die ungezügelte wilde Schönheit der von der Naturgewalten geformten Landschaft mir den Atem raubte. Immer schon hatte ich das Verlangen gehabt, die berühmten Feenkamine von Cappadocia zu Gesicht zu bekommen.

Ungefähr 30 Kilometer südlich von Nevsehir, in Derinkuyu, fand die Fahrt schließlich ein Ende. Einige Jeeps und Lieferwagen waren nicht weit vom Eingang in die unterirdische Stadt geparkt. Ein eleganter dunkler Mantel wurde um meine Schultern gelegt. „Da unten wird es ziemlich kalt sein." Karel griff fest nach meinem Arm und führte mich durch das Labyrinth von engen und niedrigen Tuffsteintunneln und Galerien, in denen sich kleine Nischen für Kerzen und Öllämpchen befanden.

Wir stiegen bis zum dritten Stockwerk hinab und vor uns erstreckten sich die grandiosen Überreste von gewaltigen Kirchen, Waffenkammern und Gemeinschaftsräumen. Ehrfürchtig betrachtete ich die zahlreichen Wandmalereien. „Wer ließ diesen Ort errichten? Byzantiner? Hethiter?"

"Derinkuyu war in der Tat erst hethitisch, wurde dann von den Phrygiern besiegt. Ende des Sechsten Jahrhunderts nach Christus, im Krieg zwischen den Byzantinern und Arabern, wurde die Stadt dreimal überfallen. Als sich im siebten Jahrhundert das Christentum ausbreitete, baute man Kirchen in die Höhlen hinein und gegen Ende des siebten Jahrhunderts gehörte dieses Gebiet den Sendschuken, die ihre Kirchen mit diesen Felsbildern versahen. Im vierzehnten Jahrhundert besiedelten die Osmanen das Gebiet. Das ist zumindest die offizielle Version, aber seien Sie ehrlich, ist es nicht verwunderlich, wer diese gigantischen unterirdischen Städte angelegt haben muss warum?"

„Sagen Sie es mir."

„Diese unterirdischen Städte sind Heiligtümer der Nephili. Wir benutzten sie als Geburtsstätten für unsere Nachkommen. Um Neunzehnhundert vor Christus wurden wir vertrieben, alle Fetusse vernichtet. Alle, bis auf einen, der sich glücklicherweise in seinem Kokon konserviert hat und jetzt nur noch auf Lebenssaft wartet, der ihn erneut zum Leben erwecken kann."

Plötzlich drehte er sich zu mir: „Dieser Lux Veritatis hat ähnliche Bluteigenschaften wie Sie, Lara. Ich bitte Sie, überdenken Sie mein Angebot! Ich kann Ihnen alles bieten! Ich kann Sie unsterblich machen!"

Trotzig betrachtete ich den Tuffstein unter meinen Füßen und antwortete nicht. Ein anderes Leben aufs Spiel setzten? Kurtis' Leben? Niemals würde ich ihm diesen Gefallen tun. Erwartungsvoll starrte er mich an, zögerte kurz, hob dann meinen Kopf ruckartig hoch und presste seine Lippen an meine. Angeekelt drückte ich ihn noch im selben Moment von mir weg und spuckte auf den Boden. Bitter enttäuscht verpasste er mir eine schallende Ohrfeige. „Sie haben es so gewollt, Miss Croft!"

„Ein Gentleman hätte eine Lady nie zu einem Kuss gezwungen und hätte es erst recht nicht gewagt, sie zu verletzen!"

„Halten Sie den Mund, naive Sterbliche!"

„Sie haben mir nichts zu verbieten! Ich werde solange und soviel reden, wie ich es für angemessen halte!"

Er rief einige unverständliche Worte und sofort traten aus der Kirche einige dunkel gekleidete Männer, darunter auch Keaton. Karel nickte ihm zu und er näherte sich mir. Kurz bevor er mich erreicht hatte, traf ich ihn mit einem geschickten gedrehten Seitwärtstritt aufs Brustbein. Er schnappte nach Luft und war im Begriff nach Hinten umzufallen, als ich meine gefesselten Hände um seinen Hals schlug und seinen Oberkörper zu mir zog. Mit einem festen Knieschlag rammte ich sein Nasenbein in den Schädel und Keaton sank leblos zu Boden.

„Das ist dafür, dass Sie es im Laster überhaupt gewagt haben, daran zu denken!" betonte ich, doch er konnte mich nicht mehr hören. Die umstehenden Männer erholten sich von dem Schock, griffen dann sofort nach ihren Waffen und zielten auf mich.

„Aber, aber, meine Herren! Ist das denn wirklich nötig? Ich versichere Ihnen, an meiner Stelle hätten Sie das gleiche getan." Ich wurde ergriffen, betäubt und auf eine Plattform geführt, von der man die gesamte grandiose Arena aus überblicken konnte. In der Mitte befand sich eine senkrecht stehende hölzerne Scheibe mit zahlreichen konusförmigen Löchern. An den Kanten waren vier eisernen Schlaufen angebracht. Stählerne Handfesseln schlangen sich um meine Hand- und Fußgelenke und die Männer entfernten sich.

Die Aula, gut vier Meter unter, mir wurde von drei Säulen gestützt. An der Mittleren erkannte ich Kurtis, der gefesselt war und auf den ersten Blick bewusstlos schien. Besorgt rief ich seinen Namen. Er zuckte kurz zusammen und hob den Kopf langsam in meine Richtung. Als er mich an dieser Apparatur gefesselt sah, senkte er wieder seinen Kopf und konzentrierte sich. Der Strick, mit dem er angebunden war, fing an, sich zu lösen. Kurtis zappelte, versuchte sich zu strecken und warf schließlich das Seil herunter. Er hatte sich durch seine mentalen Fähigkeiten befreit. Sein besorgter Blick richtete sich auf mich. Ich spürte die stumme Gewissheit, dass er mich bald aus meiner Lage befreien würde.

Karel lachte höhnisch auf. „Sehr schön, Mr. Trent. Wie ich sehe, sind Sie jetzt bereit. Lasset uns beginnen!"

Eine unscheinbare Tür öffnete sich. Herein trat ein Mann mittleren Alters, schlank, nicht besonders großgewachsen, mit schwarzgrauen Haaren, auffallenden Gesichtszügen und einer markanten Nase. Er trug einen seidenen rotbraunen Beduinenmantel und hielt einen kunstvoll geschnitzten Gehstock in der linken Hand.

Kurtis blieb einige Sekunden wie angewurzelt stehen und fiel schließlich auf die Knie. „Vater?" keuchte er.