Kapitel 5

Etwas irritiert sah er den Elben an. Doch hatte er eigentlich nichts anderes erwartet, wie konnte er sich auch nur erdreisten ihn anfassen zu wollen? Er war zudem überrascht, dass sie ein Zimmer für ihn zur Verfügung stellten. Den Blicken der meisten konnte er entnehmen, dass er nicht sehr willkommen war. Trotzdem schienen sie es zu dulden, dass er sich frei bewegte. Dancadas dachte zurück an Larcam. Dort hätte man Feindliche Eindringlinge beiweitem nicht so freundlich aufgenommen. Sie wurden entweder gleich getötet oder in die Kerker von Myrmenis Palastes gebracht.

Eine Stimme riss ihn aus den Gedanken.

„Kommt mit mir!", forderte Athelas ihn auf.

„Und weshalb?"

„Ihr sollt während des Essens anwesend sein!"

„Nein danke, kein Interesse."

Dancadas wandte sich wieder dem Buch zu.

Indes begann Athelas immer ärgerlicher zu werden. Doch als Lord hatte er gelernt, sich nicht zu unkontrollierten Wutausbrüchen hinreißen zu lassen. Daher schritt er langsam um den Vampir herum und sagte:

„Dies war eigentlich nicht als Bitte gedacht. Kommt, ich werde euch begleiten."

Obwohl er äußerlich ruhig und gelassen blieb; Dancadas spürte seine Anspannung. Es war dieselbe Art von Anspannung, die auch Myrmenis zu haben schien, bevor es zu einem seiner  gefürchteten Ausbrüche kam.  Der Vampir wollte lieber nichts riskieren, daher legte er das Buch murrend weg, und ging dem Elbenlord hinterher.

Nachdem sie durch endlos lange Gänge geeilt wären, von denen sich einer, wie der andere glich, kamen sie vor einer etwas größeren Tür an. Dahinter konnte man bereits viele Stimmen vernehmen. Athelas öffnete und schob den Gast vor sich hinein.

Als der Vampir in den Raum gestolpert kam, wurde es plötzlich ganz ruhig. Alle  hielten bei ihrer Tätigkeit an, ganz gleich ob sie gerade eine Traube in den Mund stecken, von Brot abbeißen, oder etwas trinken wollten, und starrten den eintretenden an.

Athelas hingegen störte sich nicht daran, er setzte sich an seinen Platz, und nahm sich ein paar Speisen auf den Teller.

So schnell wie das Schweigen da war, kehrte auch wieder ein Gemurmel ein. Nur der Vampir stand noch immer neben Athelas da.

„Und was bitte soll ich jetzt hier?"

Schneller als er reagieren konnte, hatte Athelas ihn an der Schulter gefasst, und auf den Platz neben sich gezogen.

„Vielleicht möchtest du dich setzen? Iss ein wenig. Du siehst so blass aus.", mit diesen Worte schob er ihm ein Stück Lembas zwischen die Zähne.

Etwas verdutzt kaute der Vampir, doch schon wenige Momente danach spürte er eine Übelkeit in sich aufsteigen. Hustend sorgte er dafür, dass das Lembas wieder den Weg an die frische Luft fand.

Um ihn herum begannen einige Elben zu kichern. Als er aufblickte, sah er, dass es die Zwillinge waren. Doch er merkte,  dass sich auch die anderen abmühten, keine Miene zu verziehen.

„Verdammter  Elb. Warte nur ab, du.."

Mit einem Ruck stand der Elbenlord auf.

„Hüte deine Zunge, Blutsauger!", fuhr er ihn an. Zwar war seine Stimme leise, doch sie war eindeutig verärgert.

„Gut, dann kann ich ja auch draußen warten!" Der Vampir schrie diese Worte fast heraus und stapfte zur Tür. Was bildete sich dieser Elb überhaupt ein?  Natürlich hörte er nicht auf seine Stimme, die ihn aufforderte, sich wieder hinzusetzten.

.Dennoch, er konnte es einfach nicht, er konnte nicht wütend sein, auf diesen eingebildeten Elben. Er wusste nicht wieso, aber er konnte es nicht.

Seufzend lehnte er sich an die Wand, um zu warten, bis Athelas wieder herauskam. Doch dies  dauerte noch einige Stunden. Viele andere Elben gingen währenddessen ein und aus.

Als Dancadas zwischendurch lauschte, vernahm er schöne Musik aus dem Raum. Er fragte sich, wer da wohl singen würde, mit einem solch glockenhellen Ton.

In Larcam konnte man solche Gesänge nie hören, darum war der Vampir auch so fasziniert von der Musik. Er hatte so etwas noch nie  vorher gehört.

Plötzlich ging die Tür wieder auf. Aus seinen Gedanken aufgeschreckt sprang der Vampir von der Tür weg.

Heraus trat Lord Athelas, der den Gang abbog, der zu seinen Gemächern führte.

Dancadas folgte ihm, wobei er versuchte, möglichst leise zu sein, er kannte ja das gute Gehör der Elben noch nicht.

Schweigend gingen sie den Gang hinunter, und bogen in den Flur ein, in dem Athelas Gemächer lagen.

Kurz vor seiner Tür hielt der Elb an.

„Glaubst du etwa ich hätte dich nicht bemerkt, Dancadas?"

Erschrocken sog er zischend den Atem ein, während Athelas sich umdrehte und den Vampir fixierte.

„Warum folgst du mir, wie ein Hund seinem Herrn?"

„ich, dachte, ich.. ich wollte nur... nein!" Das letzte Wort hauchend, wich er einen Schritt zurück, als Athelas mit erhobenem Arm auf ihn zutrat, mit einem kaum deutbaren Ausdruck im Gesicht.

Verwundert darüber, auf einmal eine Art von Panik in den Augen des Vampirs zu erkennen,  hielt Athelas inne.

Er betrachtete das Wesen, das da vor ihm stand und befand, dass diesem ein Bad nicht schaden könne.

„entschuldige, wenn ich vorhin etwas,  unhöflich war.", sagte er, während er auf ihn zuging.

„Komm mit, ein Bad kann Wunder wirken."

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Er hörte, dass der  Vampir hinter ihn trat, das er drehte sich nicht um. Dancadas derweil strich fasziniert über das glänzende Haar, des vor ihm im Sessel sitzenden Elben. Sie schienen so leicht zu sein, so rein. Verträumt spielte er mit seinen Fingern in Athelas Haaren. Dieser fragte erst nach einer Weile, lachend:

„Gefallen sie dir so gut?"

„Verzeiht, ich hatte nicht die Absicht.."

„Nun, es stört mich nicht ihm geringsten."

Trotzdem hatte der Vampir  sich wieder ein Stück von ihm entfernt. Tausende von Fragen gingen ihm durch den Kopf. Unter anderem fragte er sich auch, was für ein eigenartiges Gefühl es war, das ihn umfangen hielt.

Als er es wagte, wieder zu dem Elben zu schauen, saß dieser nicht mehr in seinem Sessel. Da stieg ein Angstgefühl in ihm auf. Hastig drehte er sich um seine eigene Achse, und konnte den Elben doch nicht erblicken.

Langsam wurde ihm bewusst, dass er Athelas vermisste,  auch wenn er ihn eigentlich hassen wollte, insbesondere dafür, dass er ihn im Esszimmer vor den anderen bloßgestellt hatte. Doch er konnte ihn nicht hassen. Langsam ging er zu einer weiteren Tür. Diese führte in das Arbeitszimmer von Lord Athelas. Den Eingang zierten zwei kleine gewundene Säulen. Zudem befanden sich zwei Schränke mit Büchern sowie ein Schreibtisch dort.

Vor diesem Schreibtisch, mit einer Feder in der Hand über ein Schriftstück gebeugt, saß der Elb, nach dem Dancadas verzweifelt suchte.

„Was  willst du?"

Athelas stellte die Frage neutral, doch trotzdem verunsicherte er den Vampir mit seiner kühl ausgesprochenen Frage.

Langsam, quälend langsam, ging Dancadas weiter. Am Stuhl angekommen hob er seine Hand und strich von hinten über Athelas Wange. Sofort packte dieser die Hand mit eisernem Griff.

Dancadas Gedanken überschlugen sich fast. Was bezweckte der andere damit, indem er ihn festhielt. Außerdem fragte der Vampir sich, warum er überhaupt hergekommen war. Ob Athelas nun wütend sein würde oder ihn gar aus seinen Gemächern rausschmeißen würde?

Umso mehr registrierte er mit Verwunderung, und auch leichter Freude, dass Athelas letzteres wohl nicht vorhatte.

Im Gegenteil: er umfasste mit seiner Hand den Vampir am Hinterkopf und drehte ihn zu sich, um  auch mit der anderen Hand sein Gesicht sanft zu halten.

Dancadas schloss die Augen, ihm kam es vor wie ein Traum, als er plötzlich Lippen auf seinen fühlte.

Er gab sich diesen Lippen hin, doch wollte er seine Augen nicht öffnen, aus Angst, der Traum würde dann vorbei sein.

Doch dann waren die Lippen weg, und er fühlte nur die kühle Luft.

„Shh, öffne deine Augen. Hab keine Angst."

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