Miss Mary Bennet, Kapitel 3
Als Mary am nächsten Morgen das Frühstückszimmer betrat, war es noch sehr früh und so saß sie eine Weile allein, bevor Miss Dashwood sich zu ihr gesellte und sich auf den Platz gegenüber von Mary setzte. Der Butler brachte Tee, Toast, Butter und Marmelade.
"Ach," seufzte Miss Dashwood, nachdem sie einen Bissen des Toasts hinuntergeschluckt hatte, "wie sehr werde ich das hier alles vermissen."
"Das Frühstück?" fragte Mary nicht ohne einen Hauch von Ironie.
Margaret lachte. "Ja, vielleicht auch das Frühstück. Aber das wird es in Indien auch geben. Nein, ich werde die Darcys sehr vermissen, vor allem die Kinder, aber auch Ihre Schwester Elizabeth. Wissen Sie, Miss Bennet, ich habe zwar selbst schon zwei Schwestern, aber nach den Jahren, die ich hier verbracht habe, fühlt es sich an, als hätte ich auch noch eine dritte."
Mary erwiderte das nur mit einem Lächeln. Sie selbst konnte nur ahnen, wie man sich fühlte, wenn man eine Schwester hatte, eine, der man wirklich etwas anvertrauen konnte und die man nicht nur Schwester nannte, weil sie das von Geburt her war. Mary wollte das Thema wechseln und ihr fiel ein, dass sie Miss Dashwood noch gar nicht zum bisherigen Unterricht der Kinder befragt hatte.
"Miss Dashwood, es tut mir leid, dass ich Sie das erst jetzt frage, aber mir war es gestern nach all der Aufregung vollkommen entfallen: Was haben die Kinder bisher bei Ihnen gelernt?"
"Sie können alle lesen. William weiß bereits einiges über Geschichte und Geographie. Die Zwillinge beschäftigen sich am liebsten mit Tieren. John liest momentan vor allem in Kinderbüchern, lernt Reime und Lieder."
Sie sprachen noch eine Weile über die bisherige Ausbildung, bevor auch die anderen Bewohner Pemberleys am Frühstückstisch Platz nahmen.
Nur kurz nachdem sich alle neun eingefunden hatten, fuhr eine Kutsche vor und nur wenig später betrat ein junger Mann mit dunkelblondem Haar und braunen Augen, der ebenfalls eine rote Uniform wie der Colonel trug, den Raum. Abgesehen von Mary, die den Herren noch nie gesehen hatte, schienen auch alle anderen über dessen Besuch überrascht. Schon sprang Miss Dashwood von ihrem Platz auf, rief erstaunt "Robert!" und umarmte ihn stürmisch. Vermutlich war er ein Bruder von Miss Dashwood.
"Robert, wir hatten Sie heute am allerwenigsten erwartet. Welch wundervolle Überraschung! Nehmen Sie doch bitte Platz," begrüßte Ihn nun auch Elizabeth. Colonel Fitzwilliam und Mr. Darcy waren ebenso von ihren Plätzen aufgestanden und schüttelten die Hand des Besuchers.
"Und wer ist diese hübsche Dame, Darcy?" wandte er sich an ihren Schwager, als "Robert" an Marys Stuhl angelangt war.
"Robert, darf ich dir Elizabeths Schwester Mary Bennet vorstellen? Miss Bennet, das ist Leutnant Robert Townsend, Miss Dashwoods Verlobter."
"Hoch erfreut, Madame," begrüßte er sie und wandte sich dann wieder Margaret zu.
Also war Miss Dashwood gar nicht mit dem Colonel verlobt! Mary musste am Vortag etwas falsch verstanden haben. Wer würde auch Colonel Fitzwilliam freiwillig heiraten? Sie war immer noch leicht empört über sein Verhalten kurz nach der Rettung. Oh, wie es sie ärgerte, wie bloß er sie gestellt hatte.
"Mary? Miss Dashwood hat dich etwas gefragt," unterbrach Lizzy ihre Überlegungen. "Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?" setzte sie lachend hinzu.
"Ich... oh, verzeihen Sie bitte, Miss Dashwood, ich war für einen Moment abgelenkt."
Sie sah, wie Colonel Fitzwilliam verstohlen grinste und die Kinder beinahe zu lachen begannen.
"Miss Bennet, eine meiner Brautjungfern ist leider erkrankt und wird nicht an meiner Hochzeit teilhaben können. Nun kam mir der Gedanke, dass Sie vielleicht ihren Platz einnehmen könnten. Miss Bennet, würden Sie mir die Ehre erweisen?"
"Ich...," Mary wusste nicht, was sie antworten sollte, so plötzlich war diese Bitte an sie herangetragen worden. Bei ihren Schwestern hatte sie dies wie selbstverständlich getan. Aber darum gebeten hatte sie noch niemand. "Ich, nun ja, ich würde sehr gern zu Ihrer Hochzeit kommen, das heißt, wenn ich darf." Hierbei blickte sie Elizabeth und Mr. Darcy an, um stumm um Erlaubnis zu bitten.
"Aber natürlich darfst Du," antwortete Lizzy, "wir werden sowieso alle dort sein."
Margaret jubelte vor Freude. "Oh, es wird wundervoll!"
Schneller als es den Darcys lieb war, kam der Abschied von Miss Dashwood und ihrem Verlobten. Nachdem auch die letzten Koffer in der Kutsche verstaut waren, versammelte sich die Gesellschaft am Haupteingang, an dem man am Tag zuvor noch Mary begrüßt hatte. Die Zwillinge Emma und Josephine weinten bitterlich und auch John kullerten Tränen übers ganze Gesicht. Nur William bemühte sich, nicht zu weinen, war er doch immerhin der große Bruder und große Brüder sollten nicht weinen, glaubte er. Margaret Dashwood umarmte alle vier Kinder und nahm ihnen das Versprechen ab, möglichst lieb zu ihrer Tante und neuen Lehrerin zu sein. Dann umarmte sie Lizzy und verabschiedete sich mit einem Knicks von Mr Darcy, der ihr einen Handkuss gab. Ihm gleich tat es der Colonel. Mary lächelte bei der Verabschiedung leicht scheu, wurde aber von Margaret ebenfalls in eine Umarmung gezogen. Als das zukünftige Ehepaar dann endlich in der Kutsche saß, wurden weiße Taschentücher aus Taschen gezogen und so lange gewinkt, bis von den beiden und ihrem Gefährt nichts mehr zu sehen war.
Am Nachmittag sollte die erste Unterrichtsstunde unter Marys Leitung stattfinden. Natürlich war sie etwas nervös. Die Kinder hatten den Unterricht von Margaret geliebt. Würden sie Marys überhaupt akzeptieren, so kurz nach Margarets Abreise? Sie hatte lange über die erste Unterrichtsstunde nachgedacht. Margaret hatte bisher englische Geschichte behandelt, die Zeit der Römer allerdings ausgelassen. Damit wollte Mary anfangen: mit dem großen Imperium und den verschiedenen Eroberungen der Kaiser. Sie sah es als guten Start, bevor sie in den kommenden Monaten mit dem Lateinunterricht für William beginnen würde, den er brauchte, bevor er auf ein Internat gehen könnte. Sie wollte mit dem für sie spannendsten Thema, den Punischen Kriegen, beginnen.
Mary zog sich ihr dunkelblaues Kleid an, ließ sich ihr Haar von Jenny hochstecken und ging eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn in die Bibliothek, um den großen Atlas zu holen, den sie dort entdeckt hatte. Als sie unten angekommen war, vernahm sie Stimmen aus dem Zimmer und klopfte an, bevor sie es betrat. Dort standen Mr. Darcy und Colonel Fitzwilliam und unterbrachen ihr Gespräch, um Mary fragend anzusehen.
"Mr. Darcy, dürfte ich mir ihren Atlas ausborgen? Ich brauche ihn für die kommende Unterrichtsstunde."
"Aber natürlich, Miss Bennet. Fitzwilliam, würdest du den Atlas bitte nach oben bringen. Er ist sicherlich zu schwer für Miss Bennet."
"Gern."
"Nein," unterbrach ihn Mary, "nein danke, ich kann ihn allein tragen. Wirklich."
Und schon trat Mary an das Regal heran, holte den Atlas heraus und war bemüht, den Colonel keines Blickes zu würdigen. Eilig verließ sie die Bibliothek und lief die Stufen hinauf zum Zimmer der Kinder, wohl schneller als es sich gehörte, denn das Buch war schwer, auch wenn sie es nicht zugeben wollte - jedenfalls nicht vor dem Colonel.
Sie hatte noch genug Zeit, alles vorzubereiten. Sie suchte die passende Seite aus dem Atlas heraus, sortierte die Zeichnungen, die sie zusammen mit Eleanor und Elizabeth Morton in Bath angefertigt hatte und rief sich noch einmal alle wichtigen Fakten ins Gedächtnis. Schon bald betraten William, Emma, Josephine und John das Zimmer, wenn auch mit betrübten Mienen. Die vier nahmen an einem runden Tisch Platz, an dem Mary bereits saß. Sie lächelte ihre Schüler aufmunternd an, holte tief Luft und begann mit dem Unterricht. Mary zeigte ihnen zunächst die Karte von Italien, versuchte ihnen anhand der Zeichnungen das Leben vor so langer Zeit anschaulich zu machen, fuhr dann mit dem Zeigefinger die Grenzen des römischen Reiches ab und zeigte ihnen Karthago und dessen Machtbereich. Als sie gerade beginnen wollte, vom zweiten Punischen Krieg zu erzählen, meldete sich Josephine zu Wort und bemerkte, dass das vielleicht wichtig sei, ihr aber zu langweilig, da sie nicht viel für Kriege übrig hätte.
"Zu langweilig?" Mary überlegte, wie sie die Stunde noch anders gestalten konnte.
"Miss Bennet, wenn ich ihnen vielleicht etwas vorschlagen könnte?"
Mary fuhr überrascht herum und sah, dass der Colonel in der Tür stand. Wie lange er dort bereits ihren Unterricht beobachtet hatte, wusste sie nicht. Sie runzelte die Stirn und versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
"Ja? Was haben Sie vorzuschlagen, Colonel Fitzwilliam?"
"Sie sollten das ganze vielleicht etwas anschaulicher gestalten."
"Anschaulicher?" Marys Stimme war trotz aller Bemühung etwas höher als gewöhnlich. Wie sollte sie die Geschichte noch anschaulicher gestalten? Sicher genügten doch die Zeichnungen und die Karte?
"Wenn sie erlauben, dann...." Der Colonel betrat das Zimmer und schien etwas in seiner Tasche zu suchen. "Ah, hier." Er holte mit einem Lächeln zwei kleine punische Schiffe aus Zinn hervor, sowie drei Zinn-Elefanten und stellte sie an die betreffenden Stellen auf der Karte.
".... und seht ihr, nachdem der erste Krieg noch mit Schiffen ausgefochten wurde, geschah etwas ungewöhnliches im zweiten...." So berichtete, nein erzählte der Colonel vielmehr die Geschichte von der Überquerung der Pyrenäen und Alpen mit Elefanten. An dieser Stelle konnte er auch die Mädchen wieder für die Geschichte gewinnen, mochten sie doch Tiere so sehr.
"Oh, Elefanten!" riefen sie beide aus und fragten ihren Onkel, ob er auch welche in Indien gesehen hätte, und wie sie eigentlich wirklich aussähen und vor allem wie groß sie wären. Schließlich wollten sie unbedingt auch selbst welche sehen. Mary, die seinen Erzählungen bisher wortlos und leicht schmollend gelauscht hatte, fiel etwas ein, wie sie die Kinder dazu bringen konnte, ihr wieder zuzuhören und nicht dem schrecklichen Colonel, der ihr so unverfroren die Aufmerksamkeit geraubt hatte.
"In London sind vor wenigen Wochen drei Elefanten aus Indien eingetroffen. Wenn es Eure Eltern erlauben, können wir uns die ansehen, wenn wir dort sind."
Sofort erstrahlten alle vier Kinder und baten Mary, dass sie doch möglichst bald um Erlaubnis der Eltern fragen möge. Dann wandte sie sich mit einem unterkühlten Lächeln an den Colonel: "Ich danke Ihnen für diese interessante Stunde, aber ich glaube, dass ich von hier an wieder selbst übernehmen kann."
"Stets zu Ihren Diensten, Miss Bennet."
Er verbeugte sich und verließ das Zimmer mit einem Grinsen auf dem Gesicht, das Mary als selbstgefällig einstufte.
Nach nur noch wenigen Minuten, in denen sie vom letztendlichen Erfolg der Römer berichtete, was, nebenbei bemerkt, alle Kinder enttäuschte, schloss sie den Unterricht für dieses Mal und entließ die Kinder zum Spielen. Lachend liefen sie aus dem Zimmer und baten ihr Kindermädchen, doch schnell mit ihnen nach draußen zu gehen. Mary sammelte mit einem Seufzen alle Zeichnungen ein, band sie zusammen und verstaute sie in einer Tasche. Dann klappte sie den Atlas zu und brachte ihn wieder hinunter in die nun leere Bibliothek. Ihre erste Stunde war nicht so verlaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie war ganz und gar nicht glücklich über die Einmischung von Colonel Fitzwilliam. Wenn sie ähnliches in den nächsten Stunden vermeiden wollte, musste sie sich neue Methoden ausdenken. Mary war nun entschlossener denn je, ein würdiger Ersatz für Miss Margaret Dashwood zu werden.
...Fortsetzung folgt
© 2003 Anne
Als Mary am nächsten Morgen das Frühstückszimmer betrat, war es noch sehr früh und so saß sie eine Weile allein, bevor Miss Dashwood sich zu ihr gesellte und sich auf den Platz gegenüber von Mary setzte. Der Butler brachte Tee, Toast, Butter und Marmelade.
"Ach," seufzte Miss Dashwood, nachdem sie einen Bissen des Toasts hinuntergeschluckt hatte, "wie sehr werde ich das hier alles vermissen."
"Das Frühstück?" fragte Mary nicht ohne einen Hauch von Ironie.
Margaret lachte. "Ja, vielleicht auch das Frühstück. Aber das wird es in Indien auch geben. Nein, ich werde die Darcys sehr vermissen, vor allem die Kinder, aber auch Ihre Schwester Elizabeth. Wissen Sie, Miss Bennet, ich habe zwar selbst schon zwei Schwestern, aber nach den Jahren, die ich hier verbracht habe, fühlt es sich an, als hätte ich auch noch eine dritte."
Mary erwiderte das nur mit einem Lächeln. Sie selbst konnte nur ahnen, wie man sich fühlte, wenn man eine Schwester hatte, eine, der man wirklich etwas anvertrauen konnte und die man nicht nur Schwester nannte, weil sie das von Geburt her war. Mary wollte das Thema wechseln und ihr fiel ein, dass sie Miss Dashwood noch gar nicht zum bisherigen Unterricht der Kinder befragt hatte.
"Miss Dashwood, es tut mir leid, dass ich Sie das erst jetzt frage, aber mir war es gestern nach all der Aufregung vollkommen entfallen: Was haben die Kinder bisher bei Ihnen gelernt?"
"Sie können alle lesen. William weiß bereits einiges über Geschichte und Geographie. Die Zwillinge beschäftigen sich am liebsten mit Tieren. John liest momentan vor allem in Kinderbüchern, lernt Reime und Lieder."
Sie sprachen noch eine Weile über die bisherige Ausbildung, bevor auch die anderen Bewohner Pemberleys am Frühstückstisch Platz nahmen.
Nur kurz nachdem sich alle neun eingefunden hatten, fuhr eine Kutsche vor und nur wenig später betrat ein junger Mann mit dunkelblondem Haar und braunen Augen, der ebenfalls eine rote Uniform wie der Colonel trug, den Raum. Abgesehen von Mary, die den Herren noch nie gesehen hatte, schienen auch alle anderen über dessen Besuch überrascht. Schon sprang Miss Dashwood von ihrem Platz auf, rief erstaunt "Robert!" und umarmte ihn stürmisch. Vermutlich war er ein Bruder von Miss Dashwood.
"Robert, wir hatten Sie heute am allerwenigsten erwartet. Welch wundervolle Überraschung! Nehmen Sie doch bitte Platz," begrüßte Ihn nun auch Elizabeth. Colonel Fitzwilliam und Mr. Darcy waren ebenso von ihren Plätzen aufgestanden und schüttelten die Hand des Besuchers.
"Und wer ist diese hübsche Dame, Darcy?" wandte er sich an ihren Schwager, als "Robert" an Marys Stuhl angelangt war.
"Robert, darf ich dir Elizabeths Schwester Mary Bennet vorstellen? Miss Bennet, das ist Leutnant Robert Townsend, Miss Dashwoods Verlobter."
"Hoch erfreut, Madame," begrüßte er sie und wandte sich dann wieder Margaret zu.
Also war Miss Dashwood gar nicht mit dem Colonel verlobt! Mary musste am Vortag etwas falsch verstanden haben. Wer würde auch Colonel Fitzwilliam freiwillig heiraten? Sie war immer noch leicht empört über sein Verhalten kurz nach der Rettung. Oh, wie es sie ärgerte, wie bloß er sie gestellt hatte.
"Mary? Miss Dashwood hat dich etwas gefragt," unterbrach Lizzy ihre Überlegungen. "Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?" setzte sie lachend hinzu.
"Ich... oh, verzeihen Sie bitte, Miss Dashwood, ich war für einen Moment abgelenkt."
Sie sah, wie Colonel Fitzwilliam verstohlen grinste und die Kinder beinahe zu lachen begannen.
"Miss Bennet, eine meiner Brautjungfern ist leider erkrankt und wird nicht an meiner Hochzeit teilhaben können. Nun kam mir der Gedanke, dass Sie vielleicht ihren Platz einnehmen könnten. Miss Bennet, würden Sie mir die Ehre erweisen?"
"Ich...," Mary wusste nicht, was sie antworten sollte, so plötzlich war diese Bitte an sie herangetragen worden. Bei ihren Schwestern hatte sie dies wie selbstverständlich getan. Aber darum gebeten hatte sie noch niemand. "Ich, nun ja, ich würde sehr gern zu Ihrer Hochzeit kommen, das heißt, wenn ich darf." Hierbei blickte sie Elizabeth und Mr. Darcy an, um stumm um Erlaubnis zu bitten.
"Aber natürlich darfst Du," antwortete Lizzy, "wir werden sowieso alle dort sein."
Margaret jubelte vor Freude. "Oh, es wird wundervoll!"
Schneller als es den Darcys lieb war, kam der Abschied von Miss Dashwood und ihrem Verlobten. Nachdem auch die letzten Koffer in der Kutsche verstaut waren, versammelte sich die Gesellschaft am Haupteingang, an dem man am Tag zuvor noch Mary begrüßt hatte. Die Zwillinge Emma und Josephine weinten bitterlich und auch John kullerten Tränen übers ganze Gesicht. Nur William bemühte sich, nicht zu weinen, war er doch immerhin der große Bruder und große Brüder sollten nicht weinen, glaubte er. Margaret Dashwood umarmte alle vier Kinder und nahm ihnen das Versprechen ab, möglichst lieb zu ihrer Tante und neuen Lehrerin zu sein. Dann umarmte sie Lizzy und verabschiedete sich mit einem Knicks von Mr Darcy, der ihr einen Handkuss gab. Ihm gleich tat es der Colonel. Mary lächelte bei der Verabschiedung leicht scheu, wurde aber von Margaret ebenfalls in eine Umarmung gezogen. Als das zukünftige Ehepaar dann endlich in der Kutsche saß, wurden weiße Taschentücher aus Taschen gezogen und so lange gewinkt, bis von den beiden und ihrem Gefährt nichts mehr zu sehen war.
Am Nachmittag sollte die erste Unterrichtsstunde unter Marys Leitung stattfinden. Natürlich war sie etwas nervös. Die Kinder hatten den Unterricht von Margaret geliebt. Würden sie Marys überhaupt akzeptieren, so kurz nach Margarets Abreise? Sie hatte lange über die erste Unterrichtsstunde nachgedacht. Margaret hatte bisher englische Geschichte behandelt, die Zeit der Römer allerdings ausgelassen. Damit wollte Mary anfangen: mit dem großen Imperium und den verschiedenen Eroberungen der Kaiser. Sie sah es als guten Start, bevor sie in den kommenden Monaten mit dem Lateinunterricht für William beginnen würde, den er brauchte, bevor er auf ein Internat gehen könnte. Sie wollte mit dem für sie spannendsten Thema, den Punischen Kriegen, beginnen.
Mary zog sich ihr dunkelblaues Kleid an, ließ sich ihr Haar von Jenny hochstecken und ging eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn in die Bibliothek, um den großen Atlas zu holen, den sie dort entdeckt hatte. Als sie unten angekommen war, vernahm sie Stimmen aus dem Zimmer und klopfte an, bevor sie es betrat. Dort standen Mr. Darcy und Colonel Fitzwilliam und unterbrachen ihr Gespräch, um Mary fragend anzusehen.
"Mr. Darcy, dürfte ich mir ihren Atlas ausborgen? Ich brauche ihn für die kommende Unterrichtsstunde."
"Aber natürlich, Miss Bennet. Fitzwilliam, würdest du den Atlas bitte nach oben bringen. Er ist sicherlich zu schwer für Miss Bennet."
"Gern."
"Nein," unterbrach ihn Mary, "nein danke, ich kann ihn allein tragen. Wirklich."
Und schon trat Mary an das Regal heran, holte den Atlas heraus und war bemüht, den Colonel keines Blickes zu würdigen. Eilig verließ sie die Bibliothek und lief die Stufen hinauf zum Zimmer der Kinder, wohl schneller als es sich gehörte, denn das Buch war schwer, auch wenn sie es nicht zugeben wollte - jedenfalls nicht vor dem Colonel.
Sie hatte noch genug Zeit, alles vorzubereiten. Sie suchte die passende Seite aus dem Atlas heraus, sortierte die Zeichnungen, die sie zusammen mit Eleanor und Elizabeth Morton in Bath angefertigt hatte und rief sich noch einmal alle wichtigen Fakten ins Gedächtnis. Schon bald betraten William, Emma, Josephine und John das Zimmer, wenn auch mit betrübten Mienen. Die vier nahmen an einem runden Tisch Platz, an dem Mary bereits saß. Sie lächelte ihre Schüler aufmunternd an, holte tief Luft und begann mit dem Unterricht. Mary zeigte ihnen zunächst die Karte von Italien, versuchte ihnen anhand der Zeichnungen das Leben vor so langer Zeit anschaulich zu machen, fuhr dann mit dem Zeigefinger die Grenzen des römischen Reiches ab und zeigte ihnen Karthago und dessen Machtbereich. Als sie gerade beginnen wollte, vom zweiten Punischen Krieg zu erzählen, meldete sich Josephine zu Wort und bemerkte, dass das vielleicht wichtig sei, ihr aber zu langweilig, da sie nicht viel für Kriege übrig hätte.
"Zu langweilig?" Mary überlegte, wie sie die Stunde noch anders gestalten konnte.
"Miss Bennet, wenn ich ihnen vielleicht etwas vorschlagen könnte?"
Mary fuhr überrascht herum und sah, dass der Colonel in der Tür stand. Wie lange er dort bereits ihren Unterricht beobachtet hatte, wusste sie nicht. Sie runzelte die Stirn und versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
"Ja? Was haben Sie vorzuschlagen, Colonel Fitzwilliam?"
"Sie sollten das ganze vielleicht etwas anschaulicher gestalten."
"Anschaulicher?" Marys Stimme war trotz aller Bemühung etwas höher als gewöhnlich. Wie sollte sie die Geschichte noch anschaulicher gestalten? Sicher genügten doch die Zeichnungen und die Karte?
"Wenn sie erlauben, dann...." Der Colonel betrat das Zimmer und schien etwas in seiner Tasche zu suchen. "Ah, hier." Er holte mit einem Lächeln zwei kleine punische Schiffe aus Zinn hervor, sowie drei Zinn-Elefanten und stellte sie an die betreffenden Stellen auf der Karte.
".... und seht ihr, nachdem der erste Krieg noch mit Schiffen ausgefochten wurde, geschah etwas ungewöhnliches im zweiten...." So berichtete, nein erzählte der Colonel vielmehr die Geschichte von der Überquerung der Pyrenäen und Alpen mit Elefanten. An dieser Stelle konnte er auch die Mädchen wieder für die Geschichte gewinnen, mochten sie doch Tiere so sehr.
"Oh, Elefanten!" riefen sie beide aus und fragten ihren Onkel, ob er auch welche in Indien gesehen hätte, und wie sie eigentlich wirklich aussähen und vor allem wie groß sie wären. Schließlich wollten sie unbedingt auch selbst welche sehen. Mary, die seinen Erzählungen bisher wortlos und leicht schmollend gelauscht hatte, fiel etwas ein, wie sie die Kinder dazu bringen konnte, ihr wieder zuzuhören und nicht dem schrecklichen Colonel, der ihr so unverfroren die Aufmerksamkeit geraubt hatte.
"In London sind vor wenigen Wochen drei Elefanten aus Indien eingetroffen. Wenn es Eure Eltern erlauben, können wir uns die ansehen, wenn wir dort sind."
Sofort erstrahlten alle vier Kinder und baten Mary, dass sie doch möglichst bald um Erlaubnis der Eltern fragen möge. Dann wandte sie sich mit einem unterkühlten Lächeln an den Colonel: "Ich danke Ihnen für diese interessante Stunde, aber ich glaube, dass ich von hier an wieder selbst übernehmen kann."
"Stets zu Ihren Diensten, Miss Bennet."
Er verbeugte sich und verließ das Zimmer mit einem Grinsen auf dem Gesicht, das Mary als selbstgefällig einstufte.
Nach nur noch wenigen Minuten, in denen sie vom letztendlichen Erfolg der Römer berichtete, was, nebenbei bemerkt, alle Kinder enttäuschte, schloss sie den Unterricht für dieses Mal und entließ die Kinder zum Spielen. Lachend liefen sie aus dem Zimmer und baten ihr Kindermädchen, doch schnell mit ihnen nach draußen zu gehen. Mary sammelte mit einem Seufzen alle Zeichnungen ein, band sie zusammen und verstaute sie in einer Tasche. Dann klappte sie den Atlas zu und brachte ihn wieder hinunter in die nun leere Bibliothek. Ihre erste Stunde war nicht so verlaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie war ganz und gar nicht glücklich über die Einmischung von Colonel Fitzwilliam. Wenn sie ähnliches in den nächsten Stunden vermeiden wollte, musste sie sich neue Methoden ausdenken. Mary war nun entschlossener denn je, ein würdiger Ersatz für Miss Margaret Dashwood zu werden.
...Fortsetzung folgt
© 2003 Anne
