Miss Mary Bennet, Kapitel 4

Obwohl Elizabeth bereits hochschwanger war, und eine Reise für andere Damen im gleichen Zustand undenkbar gewesen wäre, war es ihr möglich zur Hochzeit von Margaret zu reisen. Dabei war es günstig, dass Matlock Manor nur etwa eine halbe Stunde vom Stadthaus der Darcys in London gelegen war. Ende August machten sich Mr. und Mrs. Darcy, gemeinsam mit Kindern und natürlich Mary, auf nach London. Colonel Fitzwilliam war im Auftrag von Mr. Darcy bereits zwei Wochen zuvor abgereist, um in London alles für die Familie richten zu lassen. Hätte er das normalerweise selbst erledigt, so wollte er Elizabeth in ihrem derzeitigen Zustand nicht aus den Augen lassen.

Da waren sie gut 10 Jahre verheiratet und liebten sich jeden Tag mehr. Mary wurde beim Anblick von Lizzy und Mr. Darcy stark an ihre Onkel und Tante Gardiner erinnert, mit denen sie ein paar Jahre zuvor ebenfalls etwas Zeit hätte verbringen können. Manchmal fragte sich Mary, ob sie selbst nicht auch eine derartige Liebe erleben wollen würde. Manchmal wünschte sie sich das sehr. Dann wischte sie aber den Gedanken an derartiges aus ihrem Kopf und besann sich auf ihre tatsächliche Aufgabe. Wenn Gott ihr keinen Ehemann zugedacht hatte, so war es ihre Pflicht, die Rolle, die der himmlische Vater ihr gegeben hatte, auch mit allem, was sie geben konnte, auszufüllen.

In London angekommen, wurde ihr ein Zimmer zugewiesen, dass gleich neben dem Zimmer lag, was für die Studien der Kinder gedacht war. Genau wie das Studienzimmer in Pemberley war dieses hier sehr gut ausgestattet mit allem, was man für den Unterricht benötigte. Da gab es Schiefertafeln, Kreide, ein wenig Papier für besondere Anlässe, große Bilderbücher mit Abbildungen von Tieren und auch ein großer Atlas.

Jener sah noch sehr neu aus. Sein roter Einband erstrahlte im Mittagssonnenlicht. Vorsichtig strich Mary über ihn und öffnete die erste Seite und erschrak, als sie sah, dass dieser Atlas wohl von nun an ihr gehörte. Ihr Name stand fein säuberlich darin, aber Mary konnte die Handschrift nicht erkennen. Als sie sich noch darüber wunderte, klopfte auch schon Jenny an die Tür.

"Miss, ich habe Sie in ihrem Zimmer gesucht. Der Tee steht bereit. Darf ich Ihnen behilflich sein, sich frisch zu machen."

Mary kam sich fürchterlich vornehm vor und lächelte ihre treue Gehilfin an. "Vielen Dank, Jenny, das habe ich bereits erledigt, aber könntest Du bitte mein Haar erneut hochstecken?"

Zusammen gingen sie in Marys Zimmer, wo sie sich vor den Spiegel begaben.

"Mit Verlaub, Miss, wollen sie vielleicht ihr neues hellgelbes Kleid anziehen?"

"Denkst Du, dass das angemessener wäre?"

Mary war sich in solchen Dingen manchmal noch immer unsicher. Bisher hatte sie auf ein gepflegtes Äußeres geachtet, jedoch nie auf die Farbe oder den Schnitt ihres Kleides. Sie legte nicht viel wert auf Mode. Das hellgelbe Kleid war ein Geschenk Elizabeths gewesen und lag bei ihrer Ankunft bereits in ihrem Zimmer.

"Nun ja, wie ich höre, sollen noch andere Herrschaften zum Tee geladen sein. Und wer weiß, vielleicht sind ja auch einige hübsche Gentlemen darunter."

Kaum das sie es gesagt hatte, errötete Jenny auch schon.

"Oh, Miss Mary, das meinte ich nicht so. Ich finde nur, dass Ihre dunklen Augen in dem hellgelben Kleid besser zur Geltung kommen. Also..."

"Ist schon gut Jenny, Du hast ja recht. Es ist ein Geschenk Elizabeths und sie wird sich etwas dabei gedacht haben, als sie es mir kaufte."

Nachdem Mary das neue Kleid angezogen und Jenny Marys Haar neu hergerichtet hatte, ging die junge Lehrerin die lange Treppe hinunter in das Gesellschaftszimmer. Und tatsächlich vernahm sie fremde Stimmen aus dem Zimmer. Als sie das Zimmer betrat, war sie umso erstaunter, etwa 7 Damen mit Teetassen zu sehen.

"Mary, wie schön Dich endlich wieder zu sehen!"

Jane! Das war Jane, die sie da so freudig begrüßte und, ganz unddamenhaft auf sie zustürmte.

"Oh, Jane," sagte Mary, "ich bin so froh, dass Du schon hier bist."

Auch ihre Tante Gardiner war hier, zusammen mit ihrer ältesten Tochter, Alison, die bereits vor einem Jahr einen jungen Offizier geheiratet hatte. Dann erkannte Mary auch noch Miss Bingley. Mit einem höflichen Knicks begrüßte sie die Dame, die ihr nur einen abschätzenden Blick und gespitzte Lippen entgegenbrachte.

Auch Margaret Dashwood war dort und kam ihr mit gleicher Begeisterung entgegen wie Jane.

"Mary, ich muss Ihnen meine älteren Schwestern vorstellen! Das sind Mrs. Marianne Brandon und Mrs. Elinor Ferrars."

Mary begrüßte die freundlich lächelnden Damen ebenfalls mit einem Knicks. In ihren Gesichtern war die gleiche Grundehrliche Freundlichkeit wie in dem ihrer Schwester Margaret zu erkennen.

"Miss Bennet," sagte nun Marianne, "ich bin hoch erfreut, Sie endlich kennenzulernen. Margaret konnte gar nicht mehr aufhören, von Ihnen zu erzählen."

Mary lächelte und fragte sich, was Margaret berichtet hatte. Immerhin hatten sie sich kaum gesehen. Allerdings freute sie sich auf eine Teestunde mit den Damen, die, mit Ausnahme von Miss Bingley, allesamt von fröhlicher Grundstimmung zu sein schienen. Schnell fand sie heraus, dass Mrs. Brandon sich, ebenso wie Mary selbst, für Literatur interessierte. Vor allem die Romantiker hätten es ihr angetan. Mary und Mrs. Brandon zogen sich in eine Ecke zurück und diskutierten die neuesten Erscheinungen aus Deutschland.

"Miss Bennet, bitte nennen Sie mich Marianne. Ich fühle es, wir sind verwandte Seelen!"

"Gern, Marianne. Aber nur, wenn Sie mich Mary nennen."

Die Damen waren zu einer Abmachung bekommen und lachten über eine lustige Zeile aus einem Märchen der Gebrüder Grimm, als einige Herren das Zimmer betraten und die Damen zu einem Spaziergang im Hyde Park baten. Elizabeth bat darum, sich entschuldigen zu dürfen, da sie lieber etwas ruhen wollte, aber alle anderen nahmen die Einladung gern an. So machte sich die Gesellschaft auf, die Kutschen zu besteigen, da der Park doch immerhin zwei Straßen entfernt lag.

"Oh, Mary," bat Marianne, "sie müssen mit uns kommen. Ich möchte Ihnen meinen Gatten, Colonel Brandon vorstellen."

Mary willigte ein und ging mit zur Kutsche von Marianne. Dort stand allerdings ein anderer Colonel und half den Damen beim Einstieg: Fitzwilliam begrüßte Mary höflich mit einer Verbeugung und reichte ihr dann seine Hand zum Einstieg. Mary nahm sie dankend an, bemühte sich aber, ein kühles Gesicht zu bewahren.

Colonel Fitzwilliam nahm ebenfalls in der Kutsche Platz, gefolgt von einem etwas älteren Herren mit sandfarbenem Haar und einigen Linien auf seinem sonst so jugendlich wirkenden Gesicht.

"Mary, darf ich Ihnen meinen Gatten vorstellen? Das ist Colonel Brandon."

"Erfreut, Miss Bennet, ich habe schon so manches von Ihnen gehört," antwortete er schmunzelnd und wandte sich dann an Fitzwilliam, der neben Mary saß. "Das ist also die Dame, die Du aus einer misslichen Lage befreit hast, Fitzwilliam!"

Mary sah Fitzwilliam unverständlich an. Was hatte Colonel Brandon da eben gesagt? "Ich... Wie können Sie nur, Fitzwilliam? Ich dachte nicht, dass sie das Unglück all ihren Freunden erzählen würden," brach es aus Mary weniger damenhaft hervor. Sie war wütend und den Tränen nah.

Colonel Brandon kam ihm sofort zur Hilfe, Mary zu beschwichtigen. "Oh, Miss Bennet, vertrauen Sie mir, Fitzwilliam verriet mir keine Details. Aber immerhin war er mir eine Entschuldigung schuldig, nachdem er mich bei unserem geplanten Jagdausflug versetzt hatte.

Mary war nicht wirklich beschwichtigt, schwieg jedoch für die den Rest der Fahrt, die kaum länger als 5 Minuten dauerte. Im Park angekommen nahm sie widerwillig die Hand des Colonels Fitzwilliam, der ihr aus der Kutsche helfen wollte und stand dann etwas abseits von der Gruppe der Freunde, die nun zum Spaziergang ansetzte. Auch die Kinder waren mitgekommen, versammelten sich jedoch um Margaret, die sie schrecklich vermisst hatten. Mary seufzte und gesellte sich ebenfalls zu Margaret - für den Fall, dass sie hätte aushelfen müssen. Immerhin war sie die Gouvernante der Kinder. Es tat ihr ein wenig weh, zu erkennen, dass sie Margaret immer noch viel lieber hatten als sie. Aber das war wohl zu erwarten. Immerhin unterrichtete sie sie erst seit wenigen Wochen. Schweigend ging sie neben der fröhlichen Gruppe her und hatte kaum einen Blick für die schönen Bäume übrig. Zu sehr kam sie sich nur wie ein überflüssiges Anhängsel vor. Sie fragte sich, woher diese Gefühl kam, dass sie lange nicht mehr empfunden hatte. Zudem machte sich auch ein leichter Kopfschmerz immer mehr breit. Mary rieb ihre Schläfe unbewusst und blickte umher. Da sah sie, dass sich Miss Bingley an Colonel Fitzwilliams Arm festhielt und ihn mit klimpernden Wimpern anhimmelte. Offenbar hatte die Dame ihr Interesse auf den Cousin verlegt, nachdem Mr. Darcy Marys Schwester Elizabeth unablässig liebte. Mary konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Armer Colonel Fitzwilliam! Allerdings...vielleicht hatte er das Interesse der reichen Erbin mit Absicht auf sich gezogen. Als zweiter Sohn eines Lords hatte er kein eigenes Vermögen und musste zusehen, dass er eine reiche Dame heiratete. Plötzlich sah sie Colonel Fitzwilliam direkt an und verdrehte schmunzelnd seine Augen, als er Marys schadenfrohes Schmunzeln sah. Da erschrak sie und sah schnell wieder weg. Was fiel diesem Halunken nur ein so mit ihr zu kommunizieren? Wahrlich unschicklich!

Fortsetzung folgt...

© Anne

Matlock Manor - Sitz von Colonel Fitzwilliams Eltern, Lord und Lady Matlock. Hm. Steht so nicht in "Stolz und Vorurteil", aber da sich Miss Austen über die Eltern vom Colonel ausschweigt, gehe ich hier mit der allgemeinen Überzeugung der JA-Fanfiction-Schreiber und nenne die Familie Matlock.