Hermine hatte es sich schlimmer vorgestellt tot zu sein. Eigentlich fühlte sie sich sogar ziemlich gut. Am Anfang hatte sie ihren Augen nicht getraut aber jetzt hatte sie sich schon daran gewöhnt. Es war als würde sie in einem endlosen grünen Meer schwimmen ohne Grund und Oberfläche. Langsam ließ sie sich durch ihre Umgebung gleiten. Zeit hatte hier keine Bedeutung, genauso wenig wie normale Körperfunktionen. Selbst das Denken war hier anders, es war wie als müsste sie gegen eine unsichtbare Wand ankämpfen um überhaupt einen Gedanken zu fassen. Also dachte sie nicht - sie schwebte einfach vor sich hin. Oder besser gesagt sie ließ sich dahin treiben, denn Arme und Beine zu bewegen war fast genauso schwierig wie denken. Aber sie empfand es nicht als schlimm so hilflos zu sein. Im Gegenteil, sie fühlte sich so warm und geborgen und alles schien so klar und richtig. Sie ließ alles einfach geschehen.
Stunden später
Die Todesesser, die abkommandiert wurden waren, um hier alles abzuschließen, hatten klare Instruktionen von Voldemort.
Leute die trotz allem fliehen konnten töten - Hogwarts endgültig zerstören - das Schlachtfeld nach nützlichen Gegenständen absuchen
Das waren Aufgaben, die eines hochgestellten Todesessers nicht würdig waren und deshalb von Neulingen oder weniger wichtigen zuteil wurden. Das wussten alle. Dementsprechend war auch hier die Begeisterung der kleinen Gruppe, die diesmal dran war. Langsam zogen sie durch die Gänge Hogwarts und suchten nach Überlebenden. Aus lauter Langeweile begannen sie Bücher in Brand zu stecken. Aber irgendwie gab es ihnen nicht das gleiche Gefühl der Befriedigung wie das Töten eines Lebewesens und dessen Schreie.
"Das ist mal wieder typisch. Während die da draußen die Welt übernehmen, müssen wir hier aufräumen." "Aber nicht mehr lange. Bald haben wir alle Schlammblutsklaven und dann können wir uns zurücklehnen." "Damit dein Arsch noch breiter wird?!" Die Gruppe verfiel in Gelächter. Als die Stimmung sich legte fing wieder einer an zu reden. "Wisst ihr was mich wirklich ankotzt? Während die da draußen ihren Spaß mit wehrlosen Muggeln haben, müssen wir hier den ganzen Tag rumlaufen und alte Gebäude in Schutt und Asche legen. Seh ich aus wie'n Abrissunternehmen?" Die anderen stimmten zu. Auch sie würden lieber draußen ein paar Muggel quälen. Plötzlich hatte einer eine Idee. "Wieso sollen wir uns hier abrackern? Nehmen wir doch einfach den Explosare. Hogwarts zerspringt in kleine Stücke, wir fleddern die Leichen und dann ham wir den Nachmittag frei." Die anderen schauten skeptisch. Das war ein gehobener Zauber den nur erfahrene Profis anwenden konnten. Aber im Prinzip stand ja nichts dagegen...
"EXPLOSARE!" Aber von einem Unkundigen griff der Zauber nicht so. Hogwarts verwandelte sich nicht in einen Funkenregen wie Harry Potter. Es zersprang in tausende Stücke, Staub, handgroße und größere Brocken. Dicke Stücke flogen durch die Gegend, tödliche Geschosse. Aber der Hauptzweck war erfüllt. Jahrhunderte an Baukunst und Geheimnissen, das zeitweilige Heim tausender Schüler und Menschen. Zerstört in einem Moment, einem Wimpernschlag. Doch wer hätte es verhindern können? Es war ja keiner mehr übrig...
Die Gruppe erhob ihre Köpfe als die Explosion vorbei war. "So das wars! Gehen wir zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung über."
Einige hundert Meter entfernt
Er erwachte durch einen Knall aus seiner Ohnmacht. Was an sich schon ein Wunder war, so wie er zugerichtet war. Sein halbes Gesicht war taub; einige Zauber hatten ihn dort direkt hin getroffen. Durch eine glückliche Schicksalsfügung waren aber zumindest seine Augen verschont geblieben. Wo war er? Und warum war es hier so ruhig? Vorsichtig versuchte er sich auf die Ellenbogen zu stützen um einen besseren Überblick zu bekommen. Aber nach einem schmerzhaften Versuch überzeugte er sich, dass es vielleicht doch besser war noch etwas liegen zubleiben. Er lauschte nach Geräuschen, die etwas über den Ausgang der Schlacht vermuten ließen. Doch nichts. Nichts außer dem Rauschen der Bäume am Rande des Schlachtfelds. Unheilverkündende, grausige Stille. Da war doch etwas. Nein. Es war nur der einsame Schrei eines Raben. Er starrte in den grauen Himmel über sich. Wolkenverhangen. Wie als wollte die Sonne ihr Gesicht vor dem Unheil verbergen.
Plötzlich hörte er ein Geräusch in der Ferne.
"Aua! Verdammte Scheiße. Selbst im Tod machen diese Leute noch Ärger." Ein Todesesser fluchte, weil er über eine der Leichen gestolpert war.
Er hörte wie sie langsam näher kamen. Noch konnte er sie nur hören, weil er etwas abseits lag. Aber bald würden sie ihn auch nach Wertsachen absuchen und feststellen das er durchaus lebendig war. Er musste wohl oder übel weg. Er biss die Zähne zusammen und mit der letzten Kraft die er aufbringen konnte kroch er langsam immer weiter zum Rand des Schlachtfelds. Immer auf Deckung bedacht erreichte er schließlich einen versteckten weg im lichten Gebüsch. Aber noch war er nicht geschützt. Diese Leute würden wahrscheinlich ziemlich gründlich sein, da ja auch etwas für sie abfiel. Und hier war der Weg unbedeckt . Er wusste was er zu tun hatte. An einem schmalen Baum zog er sich auf seine Füße. Und dann rannte er. Einfach nur fort von hier. Seine Lungen brannten. Die Welt um ihn herum schien wie in einem Schleier. Sein aufgerissenen Wunden begannen durch die Erschütterung wieder zu bluten. Aber er beachtete es nicht. Während der ganzen Zeit hatte er nicht einmal bemerkt dass einer seiner arme ausgekugelt war. Er hatte keine Zeit für so etwas. Er wollte einfach zu einem sicheren Ort. Und er wusste wo er einen finden würde.
Doch je näher er an die Ruinen kam desto mehr verlangsamte sich sein Schritt. Er konnte es nicht glauben. Alles war zerstört. Er schritt durch die Ruinen´, nur noch durch Verzweiflung angetrieben. Er suchte nach irgendeinem Zeichen der heilen Welt die in sich zusammengebrochen war. Eine Wand. Ein Stück Decke dass noch oben war. Einige Treppenstufen. Doch er fand nichts dergleichen. Der Zauber war vielleicht schlecht ausgeführt aber immer noch mächtig gewesen.
Ihm traten die Tränen in die Augen. Seine brennenden Wunden machten sich bemerkbar. Und seine letzten Hoffnungen lösten sich in Asche auf. Alles war verloren.
Plötzlich stieß sein Fuß an etwas. Durch die Tränen erkannte er das bild eines Buches als er an seinen Fuß blickte. Er bückte sich.
'Das Geheimversteck' - ein seltsamer Buchtitel. Wahrscheinlich ein Roman. Als er sich danach bücken wollte ertönte auf einmal ein knirschendes Geräusch und er verlor den Boden unter den Füßen. Er schlug einige Meter weiter unten auf einem Steinboden auf. Neben ihm klatschte das Buch auf. Aber es war nicht so schlimm gewesen, da der Sturz nicht tief war und er auf einem Stück extrem dicken Teppichs....
Teppichs?
Tatsache. Er war in einem der geheimen Räume Hogwarts gelandet. Ein richtiger Klassenraum sogar mit Stühlen, Tischen, einem Schreibtisch, Bücherregalen und sogar einer Tafel. Der Raum wurde von oben beleuchtet, anscheinend hatte er eine verzauberte Decke wie die große Halle. Aber dieser Raum war durch seine unterirdische Lage wohl verschont geblieben. Er fühlte wie ihm neue Tränen kamen. Doch diesmal waren es pure Freudentränen. Noch war die Welt nicht ganz zerstört. Noch gab es Hoffnung...
Und wie um dieses irreale Gefühl festzuhalten griff er nach dem Buch. Wie damals als er noch im Gryffindorgemeinschaftsraum auf einem Stück Bodens lag und Bücher über Quidditsch verschlungen hatte. Jetzt schienen ihm diese Tage so fremd wie das Leben einer völlig anderen Person. Dabei war es höchstens eins-zwei Jahre her.
Als er die Seiten des Buches öffnete begann das Buch auf einmal zu glühen. er hatte schon schlechte Erfahrungen mit geheimnisvollen Büchern gemacht. Deswegen rappelte er sich schnell auf und rannte in die andere Seite des Raumes, während sich ein gleißendes Licht um das buch herum breit machte...
Auf einmal setzte sich das Meer um Hermine in Bewegung. Im Wasser entstanden wilde Wirbel und anstatt gemächlich dahin zu treiben wurde Hermine hin und her gestoßen, wodurch sie aus ihrer Trance erwachte. Um sie herum ertönte ein Tösen und Lärmen als die Wassermassen sich in Bewegung setzten. Und dann begann sich ein kleines Loch mitten im Wasser zu bilden. Aus ihm strahlte helles Licht und das Licht wurde immer gleißender. Das Loch begann zu wachsen und zu wachsen. Wasser begann hineinzustrudeln. Hermine kämpfte um den reißenden Wassermassen zu entkommen, die sie mit sich zogen. Sie peitschte wild auf das Wasser ein, aber sie konnte nicht entkommen. Unbarmherzig wurde sie eingesogen in ein ungewisses Schicksal.
Ihr war als fiele sie ins nichts. wenn sie vorher ein Gefühl von Leichtigkeit gehabt hatte, war dieses ein Gefühl absoluter Schwerelosigkeit. Dann auf einmal vertönten die anderen Geräusche des Wassers um sie herum. Alles wurde still und auf einmal fühlte sie wieder wie es war in ihrem Körper zu sein. Und sie fühlte zum ersten Mal seit Ginny den Zauber auf sie geworfen hatte wieder einen Boden unter sich. Sie lag auf dem Bauch auf einem harten, kalten Steinfußboden. Ihr Arm lag auf einem Stück flauschigen Teppichs. Sie fühlte wieder! Und sie konnte auch ihre anderen Sinne wieder nutzen. Sie fühlte nicht nur Boden, sie roch auch wieder etwas. Ein vertrautes Aroma. Was war es nur? Es roch etwas muffig, erdig und in der Luft hing ein Hauch von Gewürzen und ... Büchern? Sie öffnete ihre Augen. Zuerst war sie etwas geblendet, denn sie hatte ja lange kein normales Licht mehr gesehen. Sie konnte nur dunkle Schemen erkennen im trüben Licht das von der Decke fiel. Langsam erkannte sie vertraute Konturen. Tische. Stühle. Bücherregale. Außerdem sah sie noch einige Dinge die sie nicht gleich zuordnen konnte. Trotzdem war dies unverkennbar ein Klassenzimmer gewesen. Sie dreht sich etwas um mehr zu sehen.
Da stand jemand. Hermine war nicht allein in diesem Raum. Sie kniff ihre zimtfarbenen Augen etwas zusammen um mehr zu erkennen. Als die Person näher kam setzte ihr Atem einen Moment aus. Die eine Gesichtshälfte bestand nur noch aus Hautfetzen und Schrammen. Die andere aber war unverkennbar. Wie konnte das möglich sein?
"Harry?!"
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Derweil an einem anderen Ort:
Ohne eine Regung ließ Ginny sich von den Frauen des engsten Todesesserkreises in die rituellen Gewänder kleiden. Sie stand einfach da. Still und anmutig ohne jede Regung.
Eine Klingel ertönte und die Frauen verließen eilig den Raum. Und dann die Stimme von Lucius Malfoy. "Der Meister hat mich gebeten euch in seine Gemächer zu führen." Er hielt ihr seine Hand hin und musterte sie skeptisch. Keiner von beiden zeigte irgendeine Gefühlsregung. Und dann nickte Ginny stumm und ergriff Lucius Hand. In wenigen Stunden wäre sie in jeder Hinsicht die Gefährtin Voldemorts, die Beherrscherin einer neuen Generation von reinblütigen Zauberern und die Königin einer neu geschaffenen Weltordnung. Ob sie es wollte oder nicht war keine Frage mehr. Das Alte war tot, genau wie Dumbledore, Harry oder ihr Vater. Dies war der neue Weg. Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit. Das zählte nicht mehr. Es zählte nur noch zu überleben.
