- KAPITEL SECHS

Verloren


Als Nala am nächsten Morgen aufwachte, kam ihr gleich schmerzlich wieder in Sinn, was sie am letzen Abend erlebt hatte. Stöhnend stand sie auf und schlurfte ins Bad. Sie betrachtete sich im Spiegel und musste feststellen, dass sie fürchterlich aussah. Zerzauste Haare, dunkle Augenringe und ein bleiches Gesicht standen ihr gegenüber. Mit ihren Fingern fuhr sie über die kleine Verletzung am Hals. Da waren zwei kleine Einstiche in ihrer Haut, als wäre sie tatsächlich von einem Vampir gebissen worden. "Gebissen" war eigentlich ein zu starker Ausdruck, "probiert" würde es eher treffen.
Warum hatte Snape das getan? Mit ihr zu streiten, sich mit ihr zu duellieren, ja sogar sich mit ihr zu prügeln, war noch etwas gewesen, was sie halbwegs verstehen konnte und wobei sie sogar mitmachte, wenn sie wütend genug war, doch dass er sie gebissen hatte, war einfach unfassbar. Das ging ihr viel zu weit. Er hatte kein Recht sie zu beissen, egal, wie sie sich ihm gegenüber verhalten hatte. Na gut, sie hatte ihn mit einem Fluch belegt und ihre Hand hatte seine Wange ziemlich hart getroffen und sie musste zugeben, dass vor allem diese Ohrfeige eine totale Befriedigung für sie gewesen war.
Was Nala am meisten verwirrte, war die Tatsache, dass er sie nicht gebissen hatte, weil er sich in Not wehren musste, sondern dass es aus einer Laune, aus seinem Temperament heraus geschehen war. Nur ungern erkannte sie, dass er sie völlig im Griff gehabt hatte, denn es liess sie an ihren eigenen Kräften zweifeln. Sie war keine schwache Frau, sondern sportlich und ziemlich stark, doch er hatte sie an der Wand festnageln können. Für sie war das beängstigend. Sie konnte sich aber ein wenig trösten, weil sie wusste, dass sie über sich selbst erschrocken war, als sie ihm den Kitzel-Fluch angehängt hatte und so war sie gar nicht gefasst um weiterzukämpfen. Deshalb hatte er sie entwaffnen können und deshalb war es soweit gekommen. Sie hatte eigentlich gar nie ihren Zauberstab gegen ihn richten wollen. Als er sie zurückgehalten hatte, war sie nicht mehr sie selbst gewesen und es war einfach passiert.
"Was muss er mich auch immer Missy nennen!" fluchte sie vor sich hin, doch sie wusste genau, dass er sie nicht allein wegen diesem kleinen Wort so auf die Palme brachte. Sie konnte ihn einfach nicht leiden, doch bis vor kurzem war es eigentlich ganz amüsant gewesen sich mit ihm zu streiten. Jedes Mal war es eine kleine Herausforderung und das Blut begann so schön zu rasen, wenn sie beide sich angifteten. Aber Beissen ging nun wirklich zu weit. Sie wollte sich nicht ausmahlen, was da als Nächstes kommen würde.
Aber sie musste sich noch etwas anderes eingestehen. Für einen winzigen Augenblick hatte es sich gut angefühlt, als er sie gebissen hatte, bevor sie dann zur Vernunft gekommen und schockiert darüber war. Es war gar kein Biss gewesen, sondern viel mehr ein zärtliches Knabbern, wobei er leider ein bisschen zu scharfe Eckzähne hatte. Sie konnte es weder begreifen noch erklären und sie fühlte sich von ihrem eigenen Körper verraten.

Plötzlich fiel ihr noch etwas anderes ein. Sie hatte alles vergessen an diesem Abend und hatte nur noch weg gewollt und so hatte sie unglücklicherweise ihren Zauberstab irgendwo vor dem Schloss liegen gelassen. Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie das letzte Mal so den Kopf verloren hatte.

Sie machte sich zurecht und wollte sich auf die Suche nach ihrem Zauberstab machen. Vorsichtig trollte sie durchs Schloss, weil sie es vermeiden wollte einem gewissen Zaubertränkelehrer über den Weg zu laufen. Vor dem Schlosstor suchte sie eine Weile, bis sie die Hoffnung aufgeben musste. Ihr Zauberstab war hier draussen nirgends zu finden. Langsam wurde ihr richtig mulmig. Ohne ihren Zauberstab war sie nur eine halbe Hexe. Gut, sie beherrschte zwar auch die Handmagie, wenn es sein musste, aber das war viel schwieriger und sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass es immer funktionierte. Zum Glück war heute Samstag, so musste sie keine Schule geben, aber sie brauchte ihren Zauberstab! Sie wollte Dumbledore nichts davon sagen, denn er würde wissen wollen, weshalb sie ihren Zauberstab vermisste. Er wäre zutiefst enttäuscht von ihr, wenn er erfahren würde, dass sie Snape fast ohne Grund angegriffen hatte.
Aber wo konnte ihr Zauberstab schon sein? Es gab nur einen Weg. Snape war die einzige Person, die vielleicht eine Ahnung haben könnte, was mit ihrem Zauberstab geschehen war, deshalb musste sie wohl oder übel ihn fragen. Wahrscheinlich hatte er ihn sogar.
Mist! Es war erst acht Uhr morgens. Sie konnte doch jetzt noch nicht zu Snape gehen. Es war Samstagmorgen und er schlief vielleicht noch.
Sie fühlte sich, als wäre ihr Magen bis obenhin zur Kehle mit Steinen gefüllt. Um die Zeit tot zu schlagen, ging sie frühstücken, ohne dass sie wirklich Hunger hatte. Ein paar Schüler waren schon in der Grossen Halle und am Lehrertisch sassen McGonagall, Dumbledore und Sprout. Erleichtert setzte sich Nala zu ihnen und trank eine Tasse Schwarztee. Die ganze Zeit studierte sie, wie sie Snape entgegentreten sollte ohne gleich wieder in einen Wutanfall auszubrechen. Was sollte sie zu ihm sagen? Wie sollte sie sich verhalten?

Ihr war es ganz recht, dass ihre drei Kollegen nicht so gesprächig waren an diesem Morgen. Sie hatten wohl ziemlich gefeiert und die wilde Nacht lag ihnen noch in den Knochen.
"Wie fühlst du dich?" wollte Dumbledore aber trotzdem von ihr wissen.
"Ganz gut", log sie.
Der Schulleiter musterte sie misstrauisch, fragte aber nicht mehr nach.

Irgendwie schaffte sie es so langsam zu frühstücken, dass es neun Uhr wurde. Snape war nicht aufgetaucht und so musste sie der Tatsache ins Auge sehen, dass sie jetzt zu ihm hinunter zu den Kerkern musste. Sie brauchte jetzt ihren Zauberstab.
Das Bisschen Frühstück lag ihr schwer im Magen, als sie sich aufmachte in Richtung Kerker. Es kam ihr vor, als wäre der Weg zu Snapes Büro noch nie so kurz gewesen. Viel zu schnell stand sie vor seiner Tür. Sie atmete tief durch und schluckte schwer, dann klopfte sie.

Es kam keine Antwort. Vorsichtig öffnete sie die Tür und steckte ihren Kopf hinein. Snape war nicht da. Sie ging hinein und sah sich etwas um. Ihr war völlig klar, dass Snape toben würde wie ein tollwütiges Wildschwein, wenn er sie hier beim Schnüffeln finden würde, aber das kümmerte sie nicht. Eigentlich spornte es sie geradezu dazu an hier zu bleiben und ihre Neugier zu stillen. Sie begann nach ihrem Zauberstab zu suchen, fand ihn aber nirgends. Auch sonst hatte sie in seinem Büro nichts allzu Verdächtiges entdeckt.

Da waren nur Unmengen von Zutaten für seine Zaubertränke und schon fertige Zaubertränke, ein paar Stapel Aufgaben von Schülern und die üblichen Dinge, die auch sie in ihrem Büro hatte. Sein Büro war ziemlich gross. Neben dem Schreibtisch und einem ähnlichen Stuhl, wie sie ihn hatte, waren noch einige schwarze Ledersessel darin verteilt. Zwei kleine Fenster erhellten den Raum ein wenig, aber nicht genug, dass man hätte vergessen können, dass man sich in einem Kerker befand. Es gab Öllampen und Kerzenhalter, die aber nicht angezündet waren. Ihr fiel auf, dass es fast peinlich ordentlich in seinem Büro war. Alles hatte genau seinen Platz, nur sein Schreibtisch schien etwas zu überfüllt zu sein. Sie fand drei Bücher darauf. Ein Exemplar von Höchst potente Zaubertränke, eine spezielle Ausgabe von Tausend Magische Kräuter und Pilze und ein Buch, dass Nala selbst zwar auch einmal gelesen hatte, aber von dem sie schon sehr lange nichts mehr gehört oder gesehen hatte. Es hiess Verwandlungen für Profis: Wie man von seiner Animagischen Gestalt lernen kann. Genau in diesem Buch hatte sie gelernt ein wenig ihre Sinne zu trainieren und man konnte in ihm auch sehr viel über sich selbst erfahren. Es zeigte einem, weshalb man genau zu dem Tier wurde, das man wurde und was es zu bedeuten hatte. Nala fragte sich, weshalb Snape wohl diese Buch las.

Schliesslich fand es Nala an der Zeit zu gehen. Seine wirklich interessanten Sachen hatte er vermutlich in seinen Gemächern und ihr Zauberstab war nicht hier. Sie vergewisserte sich, dass alles noch am rechten Platz lag und schlich dann hinaus in den Gang. Keine drei Meter war sie gegangen, als sie eine dunkle Stimme hörte, die ihren Namen rief.

*

Snape war an diesem Morgen sehr spät aufgewacht und wurde gleich von Kopfschmerzen geplagt. Er hatte ein paar Gläser Whisky zu viel getrunken letzte Nacht. Er stand auf, nahm einen Trank gegen seine Beschwerden und zog sich an. Da fand er in seinem Umhang, den Zauberstab, der nicht ihm gehörte. Er hatte ihn mitgenommen, als Nala davongelaufen war und hatte ihn noch nicht einer Hauselfe geben können, die ihn bei ihr abgeben sollte. Letzte Nacht nach diesem Vorfall wollte er nur noch in seiner Wohnung sitzen und sich ein wenig betrinken. Ausserdem würde es der Silver ganz gut tun, wenn sie ihren Zauberstab ein wenig suchen musste. Jetzt wollte er aber das Ding loswerden und liess eine Elfe kommen, die dann mit der Lieferung gleich wieder davonsauste.
Er wunderte sich ein wenig, dass er noch nichts von einem wütenden Dumbledore gehört hatte, der ihn wegen seinem Benehmen tadelte. Konnte es sein, dass sie Dumbledore nichts gesagt hatte? Weswegen bloss? Es wäre die beste Gelegenheit gewesen um ihn wieder anzuschwärzen.
Aber dann verstand er ihre Beweggründe. Es war doch auch in ihrem Interesse, wenn Dumbledore nichts davon erfahren würde, schliesslich hatte sie den Kitzel-Fluch zuerst auf ihn gehetzt. Und sie hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, so dass man ihren Handabdruck noch ein, zwei Stunden hatte sehen können. Na gut, er wusste, dass er sie nicht hätte beissen dürfen, aber sie hatte es verdient. Sie hatte es wirklich verdient. Doch er war über sich selbst entsetzt, als ihm klar wurde, dass er es wieder tun wollte. Von dem Moment an, als ihre Hand seine Wange getroffen hatte, hatte er komplett die Kontrolle verloren. Als er sich zu ihr hinuntergebeugt hatte, hatte sein Verstand endgültig ausgesetzt. Ihre weiche Haut zwischen seinen Zähnen war etwas Wunderbares gewesen, obwohl er das nicht gewollt hatte. Und sie roch so gut. Doch er hatte nie beabsichtigt sie zu verletzen. Als er ihr Blut schmeckte, wurde er wieder langsam sich selbst und merkte, was er eigentlich tat. Was hatte er nur gedacht? Und was viel wichtiger war: Warum hatte er nicht gedacht?
Er verfluchte sie und er verfluchte sich selbst. Er konnte sie nicht ausstehen, warum also war es ein Vergnügen gewesen sie zu beissen? Und warum war er überhaupt in diesem blöden Kostüm zum Essen gegangen? Wäre er doch lieber in seinen Räumen geblieben, wie er es eigentlich auch gewollt hatte. Verflucht!
"Gott! Was mache ich eigentlich?" stöhnte er und ging frühstücken. Doch als er von der Grossen Halle zurückkam, sah er gerade wie Silver aus seinem Büro huschte.

"Miss Silver! Was tun Sie in meinem Büro?" herrschte er sie an.
"Es ist wirklich einfach ihn wütend zu machen", dachte sie befriedigt und blieb mutig stehen.
Er baute sich in seiner üblichen Art vor ihr auf. "Haben Sie herumschnüffeln müssen?" motzte er weiter.
"Nein, ich bin nur auf der Suche nach meinem Zauberstab", antwortete sie sachlich.
"Und Sie gedenken diesen in meinem Büro zu finden?"
"Tatsächlich hoffte ich, dass Sie Ihren Blutdurst gestillt hätten und dass sie mir zurückgeben, was mir gehört!"
Beide waren schon wieder sehr aufgebracht. Er machte sie einfach so wütend. Ihm ging es umgekehrt nicht viel anders. Puls und Atem von beiden gingen schneller und ihre Augen weiteten sich. Snape war fast froh, dass sie einen Rollkragen trug, denn sonst hätte nicht gewusst, ob er sich zurückhalten könnte.
"Ich habe Ihren Zauberstab nicht!" fuhr er sie zornig an. "Und Sie haben kein Recht unerlaubt mein Büro zu betreten! Ausserdem sind sie eine miserable Hexe, wenn sie ihren Zauberstab einfach liegen lassen!"
Nala hatte ihm nichts mehr zu sagen. Sie drehte sich um und ging, doch während sie davonlief, machte sie eine Handbewegung und zündete alle Kerzen im Gang an.

Snape war davon wenig beeindruckt. Schön, sie konnte Handmagie, aber das konnte er auch. Er kontrollierte, ob in seinem Büro noch alles da war und als er nichts entdeckte, das fehlte, verschwand er wieder in seinen Gemächern.

In der Zwischenzeit bekam es Nala langsam mit der Angst zu tun. Sie wollte sich keinen neuen Zauberstab kaufen. Sie wollte ihren eigenen zurückhaben. Aber, wenn ihn Snape nicht hatte, wo war er dann? Wahrscheinlich hatte Snape sie angelogen und er hatte ihren Zauberstab doch. Sie musste sich etwas ausdenken um die Wahrheit zu erfahren. Vielleicht sollte sie ihm etwas Verita-Serum in den Kaffe tun.

Doch so weit kam es dann doch nicht. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie ihren Zauberstab auf ihrem Kopfkissen liegen fand. Sie nahm ihn an sich und probierte sogleich ein paar Zaubersprüche aus. Entzückt stellte sie fest, dass alles in Ordnung war, aber sie kam ziemlich rasch wieder von ihrem Hochgefühl herunter, weil ihr etwas klar wurde. Um ganz sicher zu gehen, roch sie an ihrem Zauberstab. Neben dem starken Holzgeruch konnte sie wahrhaftig Snapes Geruch erkennen. In ihrem Magen war plötzlich dieses seltsame Kribbeln, als sie ihn gerochen hatte. Er hatte ihren Zauberstab also gehabt. Wie war er denn auf ihr Bett gekommen? Hatte Snape etwa ihre Räume betreten? Ihr wurde ganz übel. Dieser Kerl erlaubte sich wirklich einiges.

Gewissheit konnte nur Snape ihr geben, deshalb marschierte sie zielstrebig zurück zu den Kerkern. Ohne anzuklopfen betrat sie sein Büro, doch er war wieder nicht da. Sie lief weiter bis zur Tür zu seinen Räumen. Zumindest war es diese Tür, die damals zu den Räumen ihres Hauslehrers geführt hatte und sie hoffte jetzt einfach, dass er auch dort wohnen würde. Dieses Mal klopfte sie und es wurde sogar geöffnet.
"Was wollen Sie denn noch?" knurrte er gereizt.
"Sie haben mich angelogen! Sie haben meinen Zauberstab doch gehabt!"
"Ich habe nicht gelogen. Als ich sie traf vorhin, hatte ich ihn nicht mehr", sagte er plötzlich ganz ruhig.
"Ha! Sie geben es also zu!" triumphierte sie. "Sie hatten meinen Zauberstab! Wie kommen sie dazu einfach meine Räume zu betreten?!"
"Ich war nicht in ihren Räumen! Sie blöde..." Er unterbrach sich selbst, aber Nala hatte gar nicht zugehört. Sie zeterte wild drauf los.
"Wie können Sie es wagen?! Sie selbstsüchtiger, arroganter, eingebildeter, eisiger Mistkerl! Ich kann..."
Da packte Snape sie plötzlich an den Schultern und schüttelte sie ein paar Mal, dann liess er sie wieder los.
"Mensch, bei Ihnen sind aber eine Menge Schrauben locker! Drehen Sie nicht durch, Dumbledore würde sonst noch mir die Schuld geben!"
"Womit er recht hätte", sagte sie jetzt kleinlaut.
"Ich war nicht in ihrer Wohnung! Ich habe eine Elfe geschickt! Mein Gott, sind sie schwierig!"

Nala schnappte nach Luft, aber sie konnte nichts mehr antworten. Es kostete sie die grösste Mühe um ein kleines "Verzeihung!" herauszubringen.
Ohne ihn noch einmal anzusehen, machte sie sich davon. Sie ärgerte sich fast zu Tode, weil er recht hatte. Sie konnte nicht verstehen, weshalb sie so aus der Fassung war. Anscheinend hatte sie sich immer noch nicht vom letzten Abend erholt. Sie war noch viel schlimmer als Snape. Sie hatten vielleicht beide die Kontrolle verloren, aber er hatte seine jetzt wenigstens wieder, was sie von sich selbst nicht behaupten konnte. Wie konnte es sein, dass er aus ihr eine solch schreckliche Person machen konnte?

Sie beschloss wieder einmal einen kleinen Ausritt zu mache. Vielleicht würde das ihr helfen um wieder normal zu werden. Es war schon ziemlich kalt draussen, aber die Sonne schien zum Glück und so hatte sie ziemlich viel Spass, als sie mit Arthos, einem schwarzen Hengst, über die Ländereien galoppierte. Hagrid hatte ihr Arthos schon ein paar Mal gegeben, damit sie ausreiten konnte und sie verstand sich sehr gut mit ihm. Er war zwar ziemlich wild und manchmal etwas ungestüm, aber er war auch treu und mutig, was ihr im Grunde alles sehr gefiel.

Der kalte Wind blies ihr ins Gesicht und sie fühlte sich wieder etwas leichter ums Herz. Auch in ihrem Kopf ordneten sich langsam wieder ihre Gedanken. Es war wirklich peinlich gewesen, wie sie einfach angenommen hatte, dass Snape in ihren privaten Räumen gewesen war, ohne sich andere Möglichkeiten zu überlegen. Aber es war ihr eine Lehre, damit sie nicht mehr so unüberlegt handelte wie in den letzten 24 Stunden.
"Keine Streitereien mehr mit Snape!" nahm sie sich vor. "Egal, was er zu dir sagt. Zum Teufel mit ihm!"

Sie hatte sich selbst wieder etwas beruhigt und ein wenig Abstand von der Sache bekommen. Snape aus dem Weg gehen und nur das Nötigste mit ihm sprechen, war ihre Devise wieder einmal, aber dieses Mal wollte sie sich ganz strikt daran halten. Sie wollte sich aber immer noch eine geschickt ausgeteilte Bemerkung erlauben, wenn er sie wieder blöd anzünden würde. Aber ihren eigenen Zwang mit ihm zu streiten wollte sie loswerden und das würde nur durch einen Entzug gelingen. Also schwor sie sich, dass sie ihn einfach stehen lassen würde, bevor sie wieder im grössten Disput waren.

Glücklich mit ihrem Beschluss kam sie zurück nach Hogwarts. Sie korrigierte ein Weile Hausaufgaben und machte sich schliesslich gegen Nachmittag auf nach Hogsmeade um sich mit Sirius im Drei Besen zu treffen.
Er war ein wenig beunruhigt, als sie ihm erzählte, was sie Neues über Voldemort wusste. Anscheinend kamen die Treffen jetzt in häufigeren Abständen als zuvor. Das hatte sie jedenfalls selbst festgestellt, aber Snape hatte nie irgendwelche Informationen über einen Plan. Er erzählte immer nur von den Tötungsaufträgen, die er bekam und die erfuhr er immer erst, wenn er von Voldemort gerufen wurde und dann musste er sie gleich ausführen. "Wenigstens informiert er mich jetzt kurz, was beim Treffen vor sich ging", dachte sie. Tatsächlich war Snape seit dem grossen Streit wegen Malfoy einmal ganz schnell bei ihr im Büro gewesen und hatte sie davon unterrichtet, dass er in der vorigen Nacht zu einem Treffen hatte gehen müssen, er aber nichts Relevantes wisse. Offensichtlich hatte Dumbledore auch in dieser Beziehung um Kooperation gebeten. Ob Snape jedoch noch einmal zu ihr mit Informationen kommen würde, bezweifelte sie nach dem letzten Abend schwer.

Sie erzählte Sirius von ihrem letzten Streit mit Snape, aber er sagte dazu nicht viel. Er hatte nur immer dieses nervende Schmunzeln im Gesicht.
"Was ist denn daran so komisch?" fragte sie Sirius gereizt.
"Och, ich habe nur endlich etwas herausgefunden", grinste er.
"Und das wäre?"

"Für mich scheint es, als hättest du jemanden gefunden mit dem du endlich einmal wütend sein kannst und mit dem sich gut streiten lässt. Obwohl du eine Aurorin bist, war das Schlichten eher dein Stil als das Streiten. Doch jetzt hast du gemerkt, wie befreiend es ist mit Snape zu streiten, selbst wenn er dich beisst. Es macht dir doch einen Riesen-Spass ihm in den Hintern zu treten."
"Willst du damit sagen, dass ich streitsüchtig bin?"

"Oh, das vielleicht nicht gerade. Deswegen bist du auch nicht zufrieden mit dir, auch wenn du dir das jetzt versuchst einzureden. Ich glaube, du bist schon lange zornig auf Voldemort, die Todesser und auf die Welt, Snape hat mit seiner unmöglichen Art einfach verursacht, dass du deinen Dampf weniger beim Sport ablässt und dafür bei ihm."
"Ich bin nicht zornig auf die Welt, Sirius, aber auf Voldemort und seine Anhänger schon, da liegst du richtig", flüsterte sie.
"Eben. Und Snape ist ein Todesser und ein ruppiger Kerl. Kein Wunder, macht es dir Spass mit ihm zu streiten! Nach all der Zeit hast du endlich gelernt zu streiten."
"Um ehrlich zu sein, habe ich seit heute Morgen überhaupt keine Lust mehr zum Streiten und ich will auch nicht, dass mir so etwas Spass macht. Ich will einfach nur meine Ruhe."
"Ja, und weißt du weshalb? Weil du jetzt weißt, wie es ist und weil es dir zu weit gegangen ist. In deinem Beruf als Aurorin musst du hart und kämpferisch sein und du bist auch eine Kämpferin, aber du warst nie eine streitlustige Kämpferin, sondern jemand, der genau dort kämpfte, wo er kämpfen musste."
"Und jetzt bin ich eine streitlustige Kämpferin", sagte sie traurig.
"Nein, das bist du auch jetzt nicht. Du warst nur sehr durcheinander und wolltest dich irgendwie gegen deinen Kummer wehren." Sirius legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie sanft um sie aufzumuntern. "Ausserdem kann Snape auch wirklich nie ein gutes Wort an dir lassen. Ich hätte ihm schon längst Eine reingehauen."
"Wenn ich mich wirklich gegen alles wehren wollte, dann habe ich Snape unrecht getan", sagte sie streng.
"Nein!" lachte Sirius. "Ich habe den Eindruck, dass es Snape genauso Spass gemacht hatte. Ausserdem braucht es immer zwei zum Streiten. Manchmal hat er dich provoziert und manchmal du ihn. Aber, es soll ihm ruhig einmal jemand gehörig den Marsch blasen. Er hat es auch nicht besser verdient. Und ich überlege im Ernst gerade, ob ich ihm nicht einmal einen Besuch abstatten sollte und ihn ein wenig aufmischen. Niemand darf dich beissen!" Jetzt war Sirius wieder ganz ernst.
"Nein, lass es bitte. In ein paar Tagen, wenn etwas Gras drüber gewachsen ist, werde ich noch einmal versuchen mit ihm zu reden. Und ich sollte mich vielleicht auch noch entschuldigen."
"Hmm, wenn du meinst. Aber ich fand sein Verhalten absolut inakzeptabel!"
"Genau wie meines", hauchte Nala.
"Ja, aber er ist schon immer so gewesen... Was glaubst du, warum er dich gebissen hat?" fragte Sirius neugierig.
Nala zuckte mit den Schultern. "Ach, was weiss ich. Wahrscheinlich ist er auch ausgeflippt wie ich. Aber ich glaube, er war nachher auch ein wenig geschockt."
"Hmm, am Anfang habe ich gedacht, dass ihr euch fast zankt wie zwei Geschwister, aber nun geht es doch etwas zu weit, mit Flüchen, Ohrfeigen und Bissen. Also, was hast du jetzt vor? Wirst du zurückbeissen?" Sirius kicherte belustigt.
Nala musste lachen. "Nein, wie gesagt. Ich gehe ihm ein paar Tage aus dem Weg, dann werde ich mich entschuldigen und mit ihm reden. Wenn er sich auch entschuldigt, ist alles in Ordnung und ich vergesse diese blöde Geschichte. Aber ich lasse mich mit ihm bestimmt auf keinen Streit mehr ein, das kannst du mir glauben. Ich werde mich mit ihm weder duellieren, noch prügeln, noch beissen."
"Ähm, Nala..." sagte Sirius vorsichtig, "ich würde mich nicht darauf verlassen, dass er sich bei dir entschuldigt. Snape ist nicht gerade der Typ für so etwas."
"Kann sein. Aber er wird sich schon entschuldigen und wenn nicht... weiss ich auch nicht, wie es weiter geht. Dann lebe ich weiter bis an mein Lebensende", scherzte sie.
"Ja, hoffentlich auch. Du machst das schon, da bin ich mir ganz sicher." Dann lachte er plötzlich wieder.
"Was ist?"
"Oh Mann, ich hätte dich wirklich zu gerne einmal gesehen, wie du total wütend ausrastet. Das kann ich mir so gar nicht vorstellen!"
"Glaub mir, das willst du nicht wissen. Sei lieber froh, dass ich diese Streit-Ding schon wieder aufgegeben habe." Sie zwinkerte ihm zu.
"Ja ja, natürlich bin ich froh, wieder die alte Nala zu sehen. Du machst deinen Standpunkt klar und wenn dir die Debatte zu hitzig, zu zornig wird, dann ziehst du dich zurück und versuchst später noch einmal in Ruhe darüber zu reden. Dann macht es auch gar keinen Spass mit dir zu streiten. So kenne ich dich und so mag ich dich." Er stiess mit seinem Glas ihres an und meinte: "Viel Glück dann!"

*