- KAPITEL ELF -
Heute vor einem Jahr
Unsanft wurde Nala am nächsten Morgen geweckt. Ein kleiner Hauself stand an
ihrem Bett und zog so lange an ihren Ohren, bis sie endlich aufgab und ihre
Augen öffnete.
"Miss! Miss! Sie müssen aufstehen! Master Dumbledore hat Jerry geschickt
um Sie zu holen!"
"Was? Es ist doch noch so früh am Morgen", stöhnte Nala verschlafen.
"Nein, nein ,Miss! In einer halben Stunde beginnt der Unterricht!"
quiekte Jerry.
Ein Schock fuhr durch Nalas Körper. Sie fragte sich, warum sie verschlafen
hatte, aber als sie sich im Bett aufsetzte und ihren Kater spürte, fiel ihr
wieder ein, dass sie wohl letzte Nacht ein oder zwei Gläser zu viel gehabt
hatte.
"Ist gut, ich komme gleich. Danke, Jerry. Du kannst gehen", krächzte
sie.
Während sie sich anzog, kamen die Erinnerung an die Ereignisse der letzten
Nacht zurück. Sie hatte Mühe, sich auf einen Gedanken zu konzentrieren, denn
ihre Kopfschmerzen waren fast unerträglich. Sie war an der Beerdigung
gewesen,... war an Seans Grab gewesen,... musste sich kein Gewissen mehr machen
wegen Euphamia,... hatte eine Menge Geld geerbt,... war betrunken Snape über
den Weg gelaufen... Snape!!! Irgendwie traf sie das von allem am meisten. Ihr
wurde bewusst, dass sie sich in seiner Gegenwart übergeben hatte. "Wie
peinlich!" schrie sie auf. Und hatte er wirklich ihre Haare nach hinten
gehalten? Was für eine freundliche Geste... wieso hatte gerade er das getan? Doch
je mehr sie versuchte sich zu erinnern, desto mehr wurde sie von ihren
Kopfschmerzen daran gehindert.
Sie machte sich auf zu Dumbledores Büro, doch sie kam keine zwei Stockwerke
hinunter, als sie wieder mit dem schwarzen Schatten zusammenprallte, der gerade
um eine Ecke bog. Beim Zusammenprall erlitt Nala einen solchen Rückschlag, dass
sie auf dem Boden landete. Mühsam stellte sie sich wieder auf die Beine und
hielt sich den Kopf, weil er so höllisch weh tat.
Snape kämpfte, um sich ein belustigtes Grinsen zu verkneifen. Mit tanzenden
Mundwinkeln hielt er eine Phiole in der Hand mit einer klaren Flüssigkeit
darin.
"Sie sollten sich wirklich schämen, Miss Silver. Ich denke, Sie sind für
unsere Sicherheit zuständig, doch ich frage mich, wie Sie uns seriös beschützen
wollen, wenn sie wie eine alte Schnapsnase durch die Korridore geistern."
Snape sah sie vorwurfsvoll an.
Nala lief bis hinter die Ohren rot an. Ihr Kater hinderte sie daran, eine
schlaue Antwort zu geben, deswegen kam ihr nur eines in den Sinn:
"Sie haben recht, ich habe einen Fehler gemacht und es wird nie wieder
vorkommen."
Snape zog eine Augenbraue hoch. "Wir werden sehen. Hier. Ein Trank gegen
Ihre Kopfschmerzen."
Misstrauisch betrachtete Nala zuerst die Phiole, die er ihr hinhielt, dann Snapes
Gesicht.
"Ach kommen Sie! Sie sind echt mühsam!" stöhnte Snape genervt.
"Muss ich jetzt noch selbst von dem Zeug trinken, damit Sie nicht denken,
es sei Gift?" Er seufzte fast unhörbar, während er das kleine Fläschchen
an seine Lippen führte.
"Nein, ist schon gut. Tut mir leid." Nala nahm ihm die Phiole ab und
stürzte ihren Inhalt in einem Zug hinunter. Es schmeckte so fürchterlich, dass
Nala ihr Gesicht zu einer komischen Grimasse verzog. Darüber amüsierte sich
Snape schon wieder köstlich, doch er wusste es gut zu verbergen.
"Geschieht Ihnen recht", knurrte er. "Kommen Sie jetzt.
Dumbledore wünscht uns zu sprechen."
"Danke", sagte Nala, während sie ihm das Fläschchen zurückgab.
"Was möchte Dumbledore denn?"
"Das werden Sie ja gleich hören", meinte Snape grimmig.
Nachdem sie mit den Schultern kurz gezuckt hatte, ging sie still neben ihm her.
Der Trank begann schon zu wirken, denn die Kopfschmerzen wurden langsam
schwächer. Während die beiden so nebeneinander durch die Korridore
marschierten, schossen Nala plötzlich Bilder von der letzten Nacht in den Kopf.
Lange blieben sie nicht, aber doch lange genug, dass Nala beunruhigt wurde von
dem, was sie sah. Sie erkannte sich, wie sie auf ihn eintrommelte, dann wie er
sie durch den Gang trug, in dem sie sich gerade befanden. Ein schwarzes
Taschentuch, das sehr gut gerochen hatte, kreiste für längere Zeit in ihren
Gedanken. Sie begann sich wieder an alles zu erinnern, sogar daran, dass sie
sich an ihn geklammert hatte, als er sie getragen hatte, und daran, dass er in
ihrem Zimmer gewesen war.
Doch endlich kamen sie in Dumbledores Büro an und Nala musste sich auf andere
Dinge konzentrieren. Sie setzte sich in einen der Sessel vor Dumbledores
Schreibtisch, aber Snape zog es vor, an die Wand gelehnt zu stehen, anstatt sich
neben sie zu setzen. Bevor Dumbledore zu sprechen begann, verschränkte Snape
noch die Arme vor seiner Brust und zog erwartungsvoll seine Augenbrauen hoch,
ohne aber seinen kalten, durchdringenden Blick dabei zu verlieren. Dumbledore
musterte die beiden schmunzelnd, dann begann er zu sprechen.
"Wie ihr wisst, sind wir mit unserer Suche nach diesem bestimmten Felsen
von Avalon noch nicht sehr weit gekommen. Nun ist es notwendig, dass unsere
Nachforschungen neue Ausmasse annehmen, denn die Zeit läuft uns sonst
davon." Er legte eine kurze Pause ein, wobei er von Nala ein zustimmendes
Nicken bekam. "Deswegen wird Minerva in den Ferien die grosse Bibliothek
in London durchforschen und euch beide möchte ich bitten nach Florenz zu
reisen, wo die grösste Zaubererbibliothek der Welt steht."
Sowohl Snape als auch Nala starrten den alten Zauberer entsetzt an.
"Ich kann auch allein gehen", knurrte Severus. "Ich brauche
keinen Aufpasser!"
"Genau, er braucht mich nicht", pflichtete Nala ihm schnell bei, weil
sie hoffte, Albus so überstimmen zu können. "Ich habe gehofft, ich könnte
Weihnachten hier mit meinen Freunden verbringen."
Der Schulleiter schenkte ihr einen mitfühlenden Blick. "Das habe ich mir
schon gedacht, doch leider gibt es im Moment Wichtigeres. Ich möchte, dass ihr
beide zusammen geht, weil es für beide von euch zu gefährlich wäre, wenn ihr
allein gehen würdet. Im Ernstfall seid ihr so wenigstens zu zweit und könnt
euch besser wehren. Im Übrigen denke ich, dass sich Nala etwas besser zurecht
finden kann in Florenz als du, Severus. Nala war schon einmal dort, oder?"
"Ja, ist aber schon länger her", antwortete Nala betrübt. Gerade
jetzt war ihr in den Sinn gekommen, was heute eigentlich für ein Tag war. Der
19. Dezember. Genau vor einem Jahr hatte sie Sean tot in der Wohnung gefunden.
Sie musste sich zusammenreissen, damit ihr nicht die Tränen kamen. Wie hatte
sie diesen Tag nur vergessen können? Was für ein schrecklicher Mensch war sie,
da sie es doch beinah vergessen hätte. Aber sie hatte es jetzt nicht vergessen
und konnte deswegen nur noch mit viel Mühe Dumbledores Worten folgen.
"Ihr werdet mit dem Hogwarts-Express heute Abend abreisen und in London
werdet ihr mit dem normalen Zug weiterfahren. Ich halte diese Reisemöglichkeit
momentan für das Beste. Es ist am ungefährlichsten für euch, solange ihr euch
natürlich nicht auffällig benehmt. Ausserdem erwarten Voldemort und seine
Todesser das bestimmt nicht. Allerdings würde ich nicht in deine Wohnung gehen,
Nala. Voldemort hat dir dort bestimmt eine Falle gestellt, weil er annimmt,
dass du zur Weihnachtszeit dorthin zurückkehrst. Hier habe ich euren genauen
Reiseplan aufgeschrieben und die Adresse der kleinen Wohnung, wo ihr in Florenz
leben werdet. Sie gehört mir, also tragt etwas Sorge dazu", schmunzelte
Dumbledore, während er Nala eine Pergamentrolle reichte. "Die Bibliothek
ist übrigens auch für Muggel. Wie ihr in den Teil nur für Zauberer gelangt,
habe ich euch auch aufgeschrieben. Und auch in der Wohnung solltet ihr mit
euren Kräften vorsichtig umgehen, denn rund um euch herum leben Muggel. Noch
irgendwelche Fragen?"
"Nein, aber wenn ich etwas vorschlagen darf, Professor, halte ich es für
besser, wenn möglichst wenig Leute von unserer Abreise erfahren, also auch
keine Schüler. Mindestens bis wir England verlassen haben", sagte Snape
ernst.
"Das sehe ich auch so, Severus. Deswegen wird euch Hagrid um 18.15 Uhr zum
Bahnhof bringen, während wir alle noch beim Festessen sitzen. Ich werde mich
achten, dass auch alle an den Tischen sitzen."
"Gut", meinte Snape.
"Ich muss mich jetzt schon von euch verabschieden, denn ich habe heute
noch andere dringende Termine. Ich wünsche euch ganz viel Glück. Und niemand
hat gesagt, dass ihr nicht Weihnachten feiern dürft! Also, frohe Weihnachten!
Etwas dürft ihr aber niemals vergessen: Ihr sollt aufeinander Acht geben. Ihr
seid beide sehr mächtig und wenn ihr gemeinsam dieses Abenteuer bestreitet,
wird euch nichts geschehen. Passt auf euch auf!"
Beide nickten einmal kurz, doch eigentlich bereitete Ihnen der Gedanke, dass
sie gemeinsam überhaupt irgendetwas tun sollten schon grösstes Unbehagen, aber
schliesslich fügten sie sich wider ihrer Willen.
"Ich möchte noch kurz etwas anderes mit dir unter vier Augen besprechen,
Albus", sagte Nala bestimmt.
Dumbledore sah sie fragend an, während Snape nach einer leichten Verbeugung
schon verschwunden war. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, sprang Nala auf
und zeterte los.
"Albus! Wie kannst du nur?! Von allen verdammten Tagen, musst du mir
gerade an diesem so einen Auftrag geben?! Und dann soll ich auch noch nach
Florenz mit Snape! Weißt du überhaupt, was für ein Tag heute ist?" Sie
musste sich wieder hinsetzen, da ihr Kater ihr immer noch zu schaffen machte.
"Natürlich weiss ich es, aber hatte ich denn eine Wahl? Und ich kann es
dir noch hundert Mal sagen: Severus ist nicht der, für den du ihn hältst! Nala,
dir ist doch gerade erst in den Sinn gekommen, dass heute Seans Todestag ist.
Du bist doch nur deswegen so wütend jetzt."
"Du hast sicher recht", gab Nala mit hängendem Kopf zu. "Woher weißt
du das?"
"Deine Augen haben es mir verraten." Dumbledore zwinkerte ihr zu.
"Trauerst du noch sehr um ihn? Nun einmal ganz ehrlich."
"Hmm, vielleicht nicht mehr so sehr wie vor ein paar Monaten noch, aber er
wird mir immer fehlen und ich fühle mich einfach allein und allein
gelassen."
"Dann tut dir doch so eine Abwechslung gerade gut. Denkst du, du kommst
klar mit Severus?"
"Ja, sicher. Übrigens zweifle ich nicht mehr daran, dass er auf unserer
Seite ist und ich sehe in ihm nicht mehr unbedingt einen Todesser, aber gern habe
ich ihn nicht gerade."
"Doch wenigstens ein kleiner Fortschritt. Und Severus weiss selbst, dass
er Fehler gemacht hat und macht es sich selbst deswegen schon genug schwer.
Jeder Mensch macht Fehler. Wichtig ist, dass wir unsere Fehler auch einsehen
und davon lernen, damit wir es besser machen können."
"Ich weiss...", murmelte Nala. Plötzlich wusste sie etwas, obwohl sie
nicht wusste, weshalb sie es wusste. "Albus?" fragte sie mit einer
eher kalten Stimme. "Hat er Sean getötet?"
"Sean wurde von einem Todesser getötet, alles andere sind Details. Wenn du
diese wirklich wissen willst, dann solltest du besser Severus danach
fragen."
"Du hast recht. Na dann, frohe Festtage." Nala erhob sich und
schenkte dem Zauberer ein Lächeln.
"Dir auch und viel Glück!" Das merkwürdige Funkeln in Dumbledores
Augen sah Nala nicht mehr. Sie eilte noch schnell in die Küche, um etwas zu
essen, bevor der Unterricht begann.
Eigentlich war Nala immens froh, dass der letzte Schultag vor den Ferien war,
denn so konnte sie selbst die Stunden etwas lockerer gestalten. Sie war im
Moment gar nicht dazu fähig, sich recht zu konzentrieren und mit der Zeit
merkte sie, dass sie viel mehr über Snape nachdachte als über Sean, worüber sie
sich noch mehr ärgerte. Warum musste sie immer an die letzte Nacht und die
kommende Reise denken? Sie sollte doch jetzt in Ruhe ihrem toten Freund
gedenken. "Ich bin ein schlechter Mensch", gestand sie sich selbst
traurig ein.
Doch gegen den Nachmittag kreisten ihre Gedanken immer mehr um Sean. Sie war
einfach traurig, dass sie allein war und nun sogar zu Weihnachten mehr oder
weniger allein sein würde, denn sie wusste nicht, ob sie Snape als Gesellschaft
zählen konnte.
Viel zu schnell verging der Tag und sie sah sich gezwungen, sich endlich bereit
zu machen und zu packen. Sie hüpfte noch kurz unter die Dusche und stellte mit
einer gewissen Erleichterung fest, dass ihr Kater so gut wie verschwunden war.
Schnell hatte sie alle ihre Sachen beisammen und auch schon normale
Muggel-Kleidung angezogen, dann traf sie pünktlich in der Eingangshalle ein, wo
Snape aber schon ungeduldig wartete. Bevor er jedoch eine Bemerkung fallen
lassen konnte, wurde Nala von Hagrid gerettet, der ganz eingeschneit die Halle
betrat.
"So, der Schlitten steht draussen bereit. Ihr könnt kommen",
verkündete Hagrid.
Schnell verkleinerte Nala mit einem Spruch noch ihren Koffer, den sie dann in
ihrer Schultertasche verstaute, die ihr als Reise- und Provianttasche diente.
Als sie draussen den Schlitten sah, fühlte sie sich das erste Mal etwas
weihnachtlich dieses Jahr. Er war einfach wunderschön. Hagrid hatte ein
schneeweisses Pferd vorgespannt und der Schlitten war aus hellem Holz. Die
Sitze waren rot gepolstert und es gab rote Decken, um sich zu wärmen. Nalas
Laune wurde aber schon wieder etwas getrübt, als sie sich neben Snape setzte.
Schmerzlich wurde ihr bewusst, was das wohl für ein Weihnachten werden würde.
Hagrid sass auf dem Kutschbock und freute sich wahnsinnig über das Wetter. Es
war schon dunkel und es scheite wie verrückt. Nala musste auch schmunzeln, doch
Snape fragte prompt, was denn so lustig sei.
"Nichts, ich freue mich nur mit Hagrid über das Wetter und diese
Stimmung", antwortete sie etwas aufgeheitert.
"Hmm", war Snapes Antwort.
Der Hogwarts-Express stand schon bereit zur Abfahrt. Nachdem sie sich von
Hagrid verabschiedet hatten, nahmen Snape und Nala sich ein leeres Abteil und
sehr zu Nalas Erstaunen hielt ihr Snape die Tür zu diesem Abteil auf und liess
ihr den Vortritt. Nala setzte sich auf den Platz am Fenster, der sie in
Fahrtrichtung sitzen liess und Snape setzte sich ihr gegenüber.
Stumm hielt er ihr ein Sandwich hin, das er aus einem Beutel genommen hatte,
den ihm ein Hauself vor der Abreise gegeben hatte. Gemeinsam assen sie ihre
Sandwichs ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Nala hatte schon ein paar Fragen
auf der Zunge, doch sie traute sich nicht zu fragen, während er ass, denn sie
fürchtete, dass es ihm noch mehr die Laune verderben würde. Also wartete Nala
artig bis sie beide gesättigt waren, bis sie ihre Stimme wiederfand.
"Ähm, Professor Snape, ich möchte mich noch bedanken
für Ihre Hilfe gestern. Nett von Ihnen, dass Sie mich nicht einfach liegen
lassen haben. Vielen Dank. Doch frage ich mich, wie wussten sie von dem
Passwort zu meinen Räumen?"
"Ich wusste es nicht. Ich habe nur geraten, aber es war nicht sehr
schwer", meinte er knapp.
Nala machte eine verstehende Geste mit ihrem Kopf, dann war wieder beklemmende
Stille. Sie brauchte lange, bis sie sich getraute DIE Frage zu stellen, die sie
schon so lange beschäftigte und von der sie die Antwort eigentlich schon fast
wusste. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie Gewissheit, auch wenn das
bedeutete, dass es die Dinge vielleicht noch komplizierter machen würde. Ein
paar Mal öffnete sie ihren Mund, um anzufangen, doch sie schloss ihn immer
wieder. Snape bemerkte, dass sie mit irgendetwas Mühe hatte und fragte
verwundert:
"Ist etwas nicht in Ordnung, Miss Silver?"
"Ähm, nein, das heisst doch vielleicht...", stotterte Nala.
"Raus mit der Sprache" sagte er und Nala dachte für einen Moment,
dass sie in seiner kalten Stimme Besorgnis hatte erkennen können.
"Ich frage mich nur die ganze Zeit, ob Sie es waren, der Sean hatte töten
müssen... Ich möchte eine ehrliche Antwort", sagte Nala und blickte ihm
dabei direkt in die Augen.
Snape zog die Luft scharf ein, wich ihrem Blick aber nicht aus. "Ihre
Formulierung ist sehr richtig. Es ist so. Ich habe Sean töten müssen."
Severus senkte nun seinen Blick und sprach leiser weiter. "Es tut mir
leid."
Dann sah er wieder auf und traf abermals auf Nalas Augen. Ihr Blick versetzte
ihm einen solchen Stich im Herzen, wie er ihn noch nie zuvor gespürt hatte.
Diese Augen strahlten nicht wirklich Wut und Zorn aus, wie er es eigentlich
erwartet hatte, sondern viel mehr Trauer und Mitleid, Wissen und doch
Fassungslosigkeit, aber ein kleiner Schimmer der Erleichterung war auch zu
erkennen. Sie schrie weder los, noch begann sie loszuheulen, wie ein
Schlosshund. Nur leise Tränen liefen über ihre Wangen und Severus fühlte sich
deswegen elender denn je. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihm jemals
wieder in die Augen sehen könnte. Doch diese Augen sahen ihn einfach immer
weiter an. Es schien ihm fast eine Ewigkeit, bis er noch etwas dazu sagen
konnte.
"Sie denken jetzt bestimmt, dass ich es Ihnen hätte sagen sollen, doch ich
konnte und wollte es ihnen nicht sagen. Sie hätten mich doch nur noch mehr
gehasst, als Sie es schon so tun. Und Sie müssen wissen, dass es eigentlich
keinen Unterschied macht, ob ich Sean töten musste oder ein anderer Todesser es
getan hat. Hätte ich mich geweigert, hätte es ein anderer gemacht und der hätte
ihn vorher vielleicht noch gequält. Ich weiss, dass ist keine Entschuldigung
für mich. Es gibt keine Entschuldigung..." Aus irgendeinem Grund hatte Severus
für einen Moment plötzlich das Gefühl, er müsste ihre Hand halten, doch es
verschwand fast so schnell wieder, wie es gekommen war. Er fühlte sich seltsam,
aber er wusste auch wieso. Wer fühlt sich nicht seltsam, wenn er mit so einer
Sache konfrontiert wird? Meistens, wenn er daran dachte, was er als Todesser
alles anrichtete, dann spürte er einfach nur Hass auf sich selbst, doch dieses
Mal empfand er so viel Bedauern und Schmerz, wie schon lange nicht mehr.
Ohne ihren Gesichtsausdruck nur ein bisschen zu verändern, flüsterte Nala:
"Ich hasse Sie nicht."
Dann drehte sie ihren Kopf von ihm weg und schaute durch das Fenster in die
Dunkelheit. Es schneite immer noch, doch nicht mehr in den sturmartigen
Ausmassen wie vorhin.
Severus beobachtete Nala eine Weile, wie sie in die leere Dunkelheit
hinausstarrte und immer noch leise Tränen weinte.
"Es war heute, nicht wahr?" fragte er und seine Stimme klang auf
einmal sehr sanft.
Nur ein Nicken kam von Nala als Antwort, während sie ihre Lippen leicht
zusammenpresste.
"Es tut mir leid...", hauchte Severus.
Weil er nicht wusste, was er jetzt noch tun oder sagen konnte, nahm er einfach
sein Tagebuch hervor und begann hineinzuschreiben.
Wieder einmal war Nalas Herz sehr schwer. Sie war nicht wütend, jedenfalls auf
Severus nicht wirklich. Wenn sie wütend war, dann einfach auf Voldemort und
seine richtigen Anhänger. Sie stellte sich sogar vor, wie sie sich fühlen
würde, wenn sie Snape wäre. Wie schwer musste es sein, solche Aufträge
auszuführen? Und nun hatte sie ihn auch noch auf den direktesten und
persönlichsten Weg darauf angesprochen, den es überhaupt nur gab. Nein, sie war
nicht wütend auf Snape, eher traurig, dass er vor solche Dinge gestellt wurde,
die eigentlich schon längst zu seiner Vergangenheit gehörten. Sie wollte es
zwar nicht wahrhaben, aber sie fürchtete ihn auch ein bisschen, weil sie wusste
welche Taten er begangen hatte. Wie schaffte er es nur, dass er nun sogar so
mit ihr darüber sprechen konnte?
Sie wusste, dass Snape vor einem Jahr eigentlich keine Wahl gehabt hatte, doch
würde sie ihm jemals verzeihen? Sie hatte sich schon lange nicht mehr so
gespalten gefühlt. Einerseits war er einfach Seans Mörder, wofür es einfach
keine Gnade gab, doch andererseits war er ein spezieller Fall. Er war kein
richtiger Todesser und er bereute offensichtlich, was er getan hatte, auch wenn
er wusste, dass er unter genau denselben Umständen wieder genau gleich handeln
würde. Eigentlich war er aber eine gequälte Seele, was sie jetzt auch sehen
konnte. Er fühlte sich schuldig und sie war traurig. Das einzige gute an dieser
Situation war, dass die beiden in diesem Zustand bestimmt nicht über
irgendwelche Angelegenheiten streiten würden.
"Verdammt! Ich sollte doch mordswütend auf ihn sein!" schrie es in
ihr, doch sie konnte nicht zornig sein auf ihn und auch die Trauer füllte nicht
alles in ihr aus. Da war noch etwas anderes, was Nala für eine Leere hielt.
A/N: Da! Ich weiss, nicht ob
dieses Kapitel gut geworden ist. Ich hatte ziemlich Mühe damit, es zu
schreiben. Ich hoffe, die drückende Stimmung am Schluss kommt wenigstens ein
bisschen rüber. So, jetzt geht es bald ab nach Florenz! Hoffentlich freut ihr
euch!
Greets Nala
