Kapitel 6: Die letzte Chance

„Oh nein, ich bin schon wieder nur im Kreis gelaufen!"Yugi ließ sich seufzend an der Wand herunter gleiten. Er würde hier wohl länger bleiben müssen als ihm lieb war. Erst einmal musste er Yami finden, außerdem Nhis und schließlich noch... einen Weg, der ihn zu den beiden führen würde. Er seufzte erneut. Vielleicht sollte er das Puzzle erstmal verlassen?

„... Yugi..."Er schrak erschrocken zusammen. Ein eisiger Windhauch, eine Stimme, hatte ihn gerufen.

„Wer ist da?"Yugi stand vorsichtig auf und sah sich fragend um.

„... Folge mir..."

„Wer bist du?"

„... Folge meiner Stimme..."Yugi hielt einen Moment inne, um eventuell doch noch Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Als die Stille weiter anhielt, zuckte er kurz die Schultern und lief in die Richtung, aus der er die Stimme vermutete. Was sollte schon passieren?

„Gut gemacht... Er wird nicht lange brauchen. Versuch ihn an den Schatten vorbei zu führen."Die Angesprochene drehte sich um. Ihr Gesicht, wenn auch kaum sichtbar, war wutverzerrt.

„Seit wann gibst du mir Befehle?!"Sein Lächeln formte sich zu einem Grinsen.

„Seit ich dich erschaffen habe. Und jetzt pass auf, dass unser kleiner Freund den richtigen Weg wählt." Zähneknirschend drehte sie sich wieder zu der leuchtenden Kugel, die vor ihr in der Luft schwebte und in dessen inneren sich das verwirrte Gesicht eines kleinen Jungen spiegelte, der auf den eisigen Hauch einer Stimme lauschte.

„Du solltest lieber aufpassen, dass unser anderer Gast nicht geht, bevor wir ihn entlassen haben. Er unternimmt nämlich gerade einen Fluchtversuch." Yami drehte sich blitzartig um, als sie das sagte. Er wurde entdeckt.

„Nicht so schnell!"Die ältere Gestalt streckte, wenn auch mehrere Meter entfernt, seinen Arm aus. Er streckte seine Finger in einer ruckartigen Bewegung. Eine plötzliche Druckwelle ließ Yami den Boden unter den Füßen verlieren. Er schlug hart gegen eine Wand hinter sich und blieb bewusstlos am Boden liegen.

„Musste das sein?! Wegen dir habe ich den Kontakt zu Yugi verloren! Du hättest ihn auch einfach bewegungsunfähig machen können!"Ihre Stimme hallte hohl an den Wänden wieder.

Doch das Gesicht ihres Gegenübers spiegelte nur wieder seine grausame Freude wieder.

„Das hätte aber nicht halb so viel Spaß gemacht."

Yami öffnete langsam die Augen. Er spürte wie Schmerzen seinen gesamten Körper durchzogen. Er versuchte aufzustehen, war aber zu schwach.

„Na, wieder wach?"Ein Grinsen zeigte sich in seinem Blickfeld. Yami versuchte seine letzten Kräfte zu mobilisieren um der Gestalt entgegen zu treten, doch er fiel nur erschöpft zu Boden. „Lass ihn in Ruhe! Er hat schon genug durchgemacht... Yugi wird gleich hier sein."Er wandte sich um, sah den besorgten Blick des Mädchens und sein Grinsen wurde breiter.

„Seit wann stehst du auf seiner Seite? Weißt du nicht mehr, was er dir angetan hat?"

„Natürlich weiß ich das noch..."

„Was soll ich getan haben?"Yami hatte sich mühevoll aufgesetzt und lauschte gespannt dem Gespräch.

„Das geht dich nichts an!"Sie war wütend zurückgewichen und funkelte ihn mit düsterem Blick an.

„Warum willst du es ihm denn nicht sagen? Ich finde er hat ein Recht darauf, die ganze Geschichte zu erfahren. Das hattest du doch sowieso vor, oder etwa nicht?"

„Ja schon... aber..."Sie wandte sich ab.

„Na gut... zeig es ihm."

„Das werde ich. Aber nicht weil du es sagst. Vergiss nicht, wer ich bin." Damit wandte er sich wieder an Yami. Dieser wich zurück im Wissen was als nächstes passieren würde. Wieder einmal.

Flashback

Seit einiger Zeit herrschte nun schon Schweigen. Der Pharao und Nhis saßen sich gegenüber, wobei sie seinen Blicken immer wieder auswich.

„Du willst also sterben?"Er durchbrach die Stille mit seinen sanften Worten.

„Nein... Ich habe nur Angst..."

„Angst zu sterben? Warum tust du das dann?"

„Ich habe keine Angst vor dem Tod!"Sie blickte direkt in die Augen des Pharao. Als sie merkte, was sie da gerade tat, trat ein furchtsamer Ausdruck auf ihr Gesicht. Sie wandte sich blitzartig wieder ab.

„Wovor hast du dann Angst? Vor mir?"Ein Lächeln streifte seine Lippen. Sie schüttelte nur verneinend den Kopf.

„Nhis, hör mir zu. Das hier ist deine letzte Chance. Und wenn du wirklich unschuldig bist, solltest du mir sagen, warum du in den Palast eingebrochen bist. Es bleibt mir sonst nichts anderes übrig als dich zu bestrafen. Und wenn du mich belügst, wirst du im Totenreich bestraft werden. Das ist die größte Schande, nicht nur für dich, sondern auch deine Ahnen!"

Sie presste sich die Hände auf das Gesicht, bemüht keine einzige Träne zu vergießen.

„Ich will keine Schande über meine Familie bringen..."

„Dann sag mir, was deine Gründe waren! Das ist ein Befehl!"Zorn quoll in ihm auf. Er hatte sich geschworen, Nhis ihr Geheimnis zu entlocken. Er würde nicht zulassen, dass sie es für sich behielte.

„... Ich habe etwas gesehen, das ich nicht hätte sehen sollen... es war nicht für meine Augen bestimmt... aber es war wohl Schicksal, dass ich es trotzdem sah..."

„Was hast du gesehen?"Seine Stimme spiegelte seine Erwartung wieder. Er hatte es geschafft, sie zum reden zu bewegen.

„... Ich habe für Isis geopfert, als plötzlich... die Tempelhalle bebte... ich bin erschrocken und... habe mich... hinter einer Säule versteckt... da kamen Männer aus einer... Wand... sie sahen wie Priester aus... sie... trugen jemanden mit sich... er war... tot..."Der Pharao lauschte begierig auf jedes ihrer Worte und war überrascht als sie plötzlich stockte. Erneut verdeckte sie mit den Händen ihr Gesicht. Er hatte den Verdacht, dass sie ihre Tränen verdeckte. Doch sie sprach weiter.

„... ich bin durch die Wand... aus der... sie... gekommen sind... es war dunkel... ich habe Schritte gehört... mich erneut versteckt... eine Priester kam an mir vorbei... er... trug die königlichen Gewänder... er hat mich... entdeckt... sagte ich soll... still sein... niemandem... erzählen... er würde mich dem Urteil des... Pharao übergeben..."Der Herrscher war entrüstet aufgesprungen.

„Soll das heißen, man hat mich angelogen?! Einer meiner Hofpriester?! Wer?" Sie zuckte schluchzend zusammen.

„... der Priester... der mich gefunden hat..."

„Unas?!... Wo genau hat er dich gefunden?"

„...ein Geheimgang... unterhalb der Stadt... ich habe gehört... wie sie redeten..."

„Was?"

„... wie sie über euch redeten... über... über... eine..."

„Sag schon!"

„... Verschwörung..."Sie zuckte erneut, als der Pharao wütend mit der Faust gegen die Wand schlug. Nach einer kleinen Pause sprach er mit einem leisen und sanften Ton weiter.

„... Du bist frei. Nachdem man dich gehen lassen hat, werde ich Unas zur Rede stellen. Du hast meinen Schutz. Dir soll nichts geschehen. Das ist ein Versprechen."

Flashback Ende

„Sieht jetzt fast so aus, wie ein Happy End, oder? Aber warte, es geht noch weiter..."Er streckte wieder einen seiner langen weißen Finger aus. Als er sich vorbeugte, rutschte seine Kapuze herunter. Yami konnte seinen erwartungsvollen Blick sehen. Er wollte ihm Schmerz zufügen, sich dafür rechen, wie der Pharao ihn damals behandelt hatte.

„Unas..."Sein Lächeln wurde zu einer Grimasse. Er lehnte sich weiter vor als...

„Yami!"