Kapitel 27 Godrics Hollow

„Godrics Hollow!", rief Stan Shunpike, als der Fahrende Ritter mit quitschenden Reifen abrupt zum stehen kam.

Hermine wurde auf ihrem Sitz nach vorne gedrückt und stützte sich rasch mit ihrer Hand an der vorderen Lehne ab, um nicht gegen sie zu knallen. Oh, wie nur war ausgerechnet sie auf die Idee gekommen, mit dem Fahrenden Ritter zu fahren? Wegen ihrer Schwangerschaft stand apparieren nach wie vor außer Frage und Flohpulver ging nicht, das Godrics Hollow seit Jahren nicht mehr am Flohnetzwerk angeschlossen war. Harry hatte vorgeschlagen, sich rasch einen Portschlüssel genehmigen zu lassen, doch Hermine hielt das für unnötig und kam schließlich auf die Idee mit dem Fahrenden Ritter.

Es war Jahre her, dass sie mit dem Fahrenden Ritter gefahren war und sie hätte sich besser daran erinnert, wie furchtbar Ernie Prangs Fahrstil war. Mit immer noch recht weichen Knie stieg sie neben Harry aus dem Bus. Kaum hatten ihre Füße den Bürgersteig berührt, hörte sie, wie sich die Tür des Busses hinter ihr schloss und Stan rief: „Weiter geht's Ernie." Und in der nächsten Sekunde raste der Bus bereits davon.

„Ich weiß nicht, warum du unbedingt den Fahrenden Ritter nehmen wolltest", sagte Harry und schüttelte den Kopf. „Ich bin immer froh, wenn ich wieder gesund und munter ausgestiegen bin."

Hermine hatte bereits eine Erwiderung auf den Lippen, doch sie merkte, dass Harry sich bereits umgedrehte hatte und auf den Weg vor sich starrte. Auch sie drehte ihren Kopf jetzt in die Richtung und erwartete, bereits das Haus zu entdecken. Doch sie sah nur ein großes schmiedeeisernes Tor, hinter dem sich ein kiesbestreuter Weg, umsäumt von riesigen Kastanien befand. Harry griff wortlos nach ihrer Hand und gemeinsam traten sie auf das Tor zu. Er tippte mit seinem Zauberstab gegen das Tor und es öffnete sich knarrend und quietschend. Sie liefen gemeinsam durch das Tor, weitere Kastanien erstreckten sich den Weg entlang, es war eine Art Allee, durch ihr großes grünes Blätterdach versteckten sie, was sich am Ende des Weges befand. Der Garten war ziemlich verwildert und dennoch blühten überall Lilien in sämtlichen Farben. Hermine konnte sich vorstellen, wie schön es hier einmal gewesen sein musste. Schließlich waren sie am Ende des Wege angekommen und beide blieben stehen. Erwartungsvoll sah Hermine nach vorne und entdeckte zum aller ersten mal Godrics Hollow. Sie hatte ein Haus erwartet, wahrscheinlich sogar ein großes Haus, aber das hier hatte sie wirklich nicht erwartet. Es sah aus, wie der Landsitz einer herrschaftlichen Familien. Eine große steinerne Treppe führte zu einer schweren eicheneren Eingangstür hinauf, die von zwei großen Säulen umrahmt war. Natürlich sah man dem Gebäude an, dass es seit Jahren leer stand, hier und dort blätterte die Farbe ab, ein paar Fenster waren zersprungen und dennoch erkannte Hermine, dass dieses Gebäude auch schon glanzvolle Zeiten gehabt haben musste.

Sie drehte den Kopf zu Harry und merkte, dass er wie erstarrt auf das Haus starrte. Natürlich er war nur einmal bewusst hier gewesen und schreckliche Erinnerungen verbanden ihn mit diesem Ort.

„Harry du musst das nicht tun", sagte sie sanft und drückte seine Hand. „Wir können auch wieder gehen."

Er löste sich aus seiner Erstarrung und blickte sie an. Seine hellgrünen Augen leuchteten noch kraftvoller als sonst.

„Ich will es aber tun, Mine. Ok... es ist ein bisschen schwierig für mich, aber... ich denke dennoch, dass es richtig ist. Dieses Haus ist zu schade, um leer zu stehen....."Er beugte sich vor und küsste sie. „Komm", flüsterte er leise, nahm wieder ihre Hand und führte sie die Stufen hinauf. Auch die Eingangstür öffnete sich auf eine Berührung mit seinem Zauberstab.

Hermine hatte erwartet, ein verstaubtes, mit Spinnenweben überzogenes Inneres vorzufinden. Doch als sie die Einganghalle betraten und sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass dem nicht so war. Alles wirkte so, als wenn erst vor kurzem jemand geputzt hätte. Die Bilder und wenige Gegenstände im Eingangsbereich waren sorgsam mit hellen Tüchern abgedeckt und selbst diese wirkten nicht angegraut, sondern immer noch so strahlend weiß, als wenn sie erst eben aufgehängt worden wären. Staunende blickte sie den Gang entlang. Am Ende befand sich eine Treppe, die in das obere Stockwerk führte, rechts und links davon befand sich jeweils eine Tür, die zu den Räumen im unteren Bereich führen musste.

„Wie kommt es, dass....", setzte Hermine gerade an, als sie von einem kleinem quiekenden Geräusch und trippelnden Fußschritten unterbrochen wurden.

Harry und Hermine drehten sich ruckartig um, Harry hatte seinen Zauberstab abwehrend bereit.

„Oh ich wusste, der Master würde kommen. Eines Tages würde er wieder kommen", piepste ein kleines Stimmchen zu ihren Füßen und angestrengt versuchte Hermine etwas in der Düsternis zu sehen.

Etwas kam schnell auf sie zugerannt und klammerte sich an Harrys Beine.

„Oh der Master ist da! Der Master ist da!"

„Sandy?"fragte Harry verwundert und ließ langsam seinen Zauberstab sinken.

„Oh, er kann sich an mich erinnern."Quickte das Stimmchen aufgebracht.

„Lumos", sagte Hermine und die Spitze ihres Zauberstabes leuchtete auf. Sie entdeckte eine Hauselfe, die sich immer noch an Harrys Umhang geklammert festhielt. Ihre großen Glubschaugen leuchteten, Tränen rannen ihre Wangen hinunter und die großen Flatterohren bebten aufgeregt. Hermine sah, dass die Elfe ordentliche Kleidung trug, eine saubere weiße Bluse und einen himmelblauen Rock.

„Was tust du hier Sandy! Warum bist du hier? Ich hab damals gesagt, dass du gehen kannst wohin du willst. Ich hab dafür gesorgt, dass du regelmäßig Geld bekommst."Fragte Harry verwundert und blickte auf die Elfe hinab.

„Oh nein Sandy kann doch nicht das Haus verlassen. Sandy war die ganze Zeit hier und hat für alles gesorgt. Aufgepasst, dass alles sauber bleibt. Ich hab gewusst, dass der Master eines Tages wieder kommt und jetzt ist er da!" Begeistert klatschte sie in die Hände.

„Aber Sandy du bist frei! Du musst nicht hier bleiben", sagte Harry erneut und blickte jetzt verwirrt zu Hermine.

Sandy schnaubte: „Sandy wird nie ihre Master verlassen! Generationen meiner Familie haben bereits in Godrics Hollow gelebt und immer treu ihrem Master gedient. Nein, nein Sandy wird Godrics Hollow nicht verlassen."

Harry sah ein, dass es im Augenblick keinen Zweck hatte sich mit der Elfe herumzustreiten. Er seufzte und sagte: „Sandy, dass ist Hermine Granger, sie ist meine Verlobte und wir wollten uns das Haus ansehen."

Die großen Augen der Elfe wanderten jetzt zu Hermine: „Oh Sandy kennt ihren Namen. Hermine Granger hat sich für die Elfenrechte eingesetzt. Hat es geschafft, das die Elfen sich besser wehren können, wenn sie wollen." Sandys Stimme klang sichtlich beeindruckt.

Hermines Wangen röteten sich, ob dieses Lobes: „Ich hab gar nicht soviel getan Sandy...."

„Doch, doch, die Miss ist bei allen Hauselfen bekannt und es gibt viele unter uns, denen es eine Ehre wäre, sie persönlich zu treffen."

Hermines wurde noch röter und sie sah, wie Harry sie verschmitz angrinste.

„Können wir uns jetzt das Haus ansehen?"fragte Harry, um Hermine aus ihrer peinlichen Lage zu befreien.

„Natürlich Master. Soll Sandy ihnen alles zeigen?"fragte die Elfe begierig.

„Nein, wir finden uns schon alleine zurechte. Danke Sandy".

„Dann bereitet Sandy solange im Salon Tee vor. Bestimmt will der Master gerne später einen Tee trinken."Ihr Blicke war so bittend, dass Harry nicht ablehnen konnte und er nickte zustimmend. Sandy quiekte noch einmal erfreut und verschwand dann flink in der Tür rechts von der Treppe.

„Ich hatte keine Ahnung, dass sie noch hier ist", sagte Harry und ergriff wieder Hermines Hand. „Komm ich zeig dir das Haus."

Hermine kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, das Haus war wirklich riesig und es war die ganze Zeit über von Sandy sehr gut in Schuss gehalten worden. Zwar musste dennoch renoviert werden, doch Hermine hatte sich die Schäden größer vorgestellt. Sie folgte Harry durch die Räume und sah sich intensiv um. Besonderes Gefallen fand Hermine an der Bibliothek, die Regal, die bis an die Decke reichten war vollgestopft mit Büchern. Und dank Sandys regelmäßiger Pflege, zerfielen sie nicht zu Staub, wenn man sie in die Hand nahm. Fasziniert streifte Hermine mit dem Finger an den Buchrücken entlang.

„Ich wusste, dieses Zimmer würde die sehr gefallen."Lachte Harry und Hermine funkelte ihn an. „Wenn Sandy sich nicht gekümmert hätte, wäre wirklich alles verfallen. Ich hab mir keine Gedanken darüber gemacht...."

„Das kann wohl jeder verstehen Harry. Du wolltest nicht an diesem Ort sein, der so schreckliche Erinnerungen in dir auslösen muss."

Harry nickte: „Komisch seit ich mit dir hier bin hab ich gar keine Angst mehr davor. Es ist mir wirklich nicht leicht gefallen herzukommen, aber jetzt wo du mit mir hier bist, habe ich all meine Ängste verloren. Ich denke es ist richtig, wenn wir hier leben. Das heißt...wenn du hier überhaupt leben willst..."Zögerte er kurz.

Hermine lachte, ging auf ihn zu und legte die Arme um seinen Nacken: „Sag mal spinnst du. Das Haus ist fantastisch. Und wie könnte ich nicht hier leben wollen, wenn es eine so großartige Bibliothek hier gibt."Sie zwinkerte.

Harry grinste, zog sie näher an sich heran und flüsterte: „Ein Zuhause für meine Familie."Dann berührte er sanft ihre Lippen und Hermine erwiderte seinen Kuss mit aller Leidenschaft. Nach atemringend lösten sie sich schließlich wieder voneinander. „Kannst du eigentlich mit Sandy leben? Ich glaube nicht, dass wir sie auf dem Haus kriegen."Sagte Harry plötzlich.

Hermine lachte: „Natürlich kann ich mit Sandy leben. Sie ist schließlich freiwillig hier und du bezahlst sie sogar. Sie scheint sehr an diesem Ort und deiner Familie zu hängen."

„Ja, offensichtlich. Es tut mir fast leid, dass sie all die Jahre alleine hier war. Wenn ich gewusst hatte, dass sie nicht geht, hätte ich vielleicht ab und zu nach ihr gesehen. Aber es hätte mir zu denken geben sollen, als Sandy damals noch hier war, als ich hier her kam. Sie ist schon immer eine freie Elfe gewesen. Wie sie mir erzählt hat, haben meine Vorfahren ihre Hauselfen bereits seit mehreren hundert Jahren nicht wirklich als Sklaven gehalten. Sie hatten eigentlich immer ihre Freiheit, aber sie blieben freiwillig...."

„Der Tee ist im Salon serviert", quiekte Sandy plötzlich hinter ihnen.

„Danke, Sandy", sagte Harry und lächelte die Elfe freundlich an. Dann führte er Hermine über den Flur.