Disclaimer: wie gehabt

Author's Note: Heißen Dank an alle Reviewer (Hallo sepia, sevvie, kejenjyouji, kakashi-hatake, mnemosyne, cessilie, cara, loony, dreamdancerin)! Ihr seid spitze! Das macht Laune... *strahl* Und ihr habt ja so recht... ;)

Sepia: Du hast den richtigen Riecher, was Alastors Versprecher (Verdenker?) angeht. Es wird noch mehr solche Hinweise geben.

Cessilie: Ja, es ist eine großangelegte Story, aber ich bin noch jung und optimistisch, dass ich es noch vor den Sommerferien schaffe.

KeiEnjyouji: Wow, du hast mich sogar auf deine Liste mit Lieblingsstories gesetzt – das schmeichelt aber meinem Ego. Hoffentlich schreib ich nicht so schlecht weiter, dass du gezwungen bist, mich wieder runterzunehmen -:)

Dreamdancerin: Ich weiß, dass das klischeehaft ist, aber so stelle ich mir Leute, die Alchemist werden wollen, eben vor. Und Severus Snape *ist* einer der intelligentesten Leute, die durch das Potterversum geistern, oder? Aber keine Angst, er wird noch durch einige Verwandlungen gehen, um sich von dem selbstbewussten, altklugen Kind zu dem Jungen zu entwickeln, der in der Denkariumszene in OotP erscheint. Was die Leute auf dem Bahnsteig betrifft: Sehr gut! Die Kandidatin hat 9 von 10 Punkten. Ach, sagen wir 10 von 10. Der blonde Junge war nicht Malfoy – aber das ist gemein, das geb ich zu. Wie soll irgendjemand ahnen, dass ich beabsichtige, Evan Rosier blonde Haare zu geben?

Mnemosyne (Ist das griechisch? Und was bedeutet mata ne?): Freut mich, dass dir Moody gefällt. Macht auch echt Spaß, aus seiner Sicht zu schreiben. Es gibt viel zu wenig Moody-Stories da draußen.

caracinous: Nightwish hab ich erst vor ein paar Monaten entdeckt, rettet mich hier aber ein bisschen vor der Depression. Wenn eine Deutsche unfreiwillig in Florida ihre Zeit absitzt, braucht sie tschechische Freunde, um auf finnische Musik aufmerksam zu werden. Ganz klar ;) Vielen herzlichen Dank für das Kompliment an meinen Stil! Und an meine Leerzeilen lol

Kakashi-Hatake/caracinous: Über den Titel hab ich mir lange den Kopf zerbrochen, bis ich genau den richtigen gefunden hab. Es gibt ja ein Gedicht, das so heißt und in dem es um einen Vater geht, der sein Kind an eine unheimliche Macht verliert. Wer könnte wohl in dieser Geschichte, in der ja auch ein Ziehvater um seinen Schützling bangt und aus diesem Jungen, wie wir alle wissen, später ein Todesser wird, der Erlkönig sein? Ich denke, das ist leicht – meine heimliche Hauptfigur.

Und ja, man erfährt noch ganz genau, wieso Sev bei Moody aufwächst, wer seine Mutter und wer sein Vater war, was es mit ihnen auf sich hat und warum Moody ihn für gefährdet hält. Allerdings nicht von Moody – der schweigt diese Episode in seinem Leben konsequent tot. Was es zu wissen gibt, erfahrt Ihr nach und nach, nämlich wenn Sev es herausfindet und Alastor damit konfrontiert. Ich hoffe, es wird Euch bis dahin nicht zu langweilig – so an die 20 Kapitel hab ich geplant (ich hab ja sonst nix zu tun...) und ich hoffe, dass ich so alle 10 Tage eins reinstellen kann.

Also: Das 2. Kapitel ist unglaublich lang geworden im Vergleich zum ersten und ich kann nur hoffen, dass Ihr Euch nicht zu Tode langweilt – genauso wie ich hoffe, dass der Teil, in dem Alastor über seine Beziehung zu Sevs Eltern reflektiert, nicht zu kryptisch geworden ist. Aber ich kann einfach noch nicht die Katze aus dem Sack lassen, also ergeh ich mich in Andeutungen. Ansonsten werden eine Menge wichtiger Leute vorgestellt und das Kapitel enthält abgesehen von dem Brief deprimierend wenig über Sev.

___________________________________________________________________________

2. Kapitel: Der fliegende Tod

„Hintertüren?"

„Ja, zwei."

„Die Anti-Disapparationsvorkehrung erstreckt sich nur auf das Gebäude." erinnerte ich. „Das bedeutet, wir müssen es zu ihrem Zimmer schaffen, bevor irgendwer Alarm schlagen kann und sie hintenraus verduftet. Also keine unvorhergesehenen Zwischenfälle unterwegs. Alles hängt jetzt von der Lautstärke ab, mit der wir reingehen."

Zustimmendes Gemurmel zu meiner Linken. Ich konnte die Gesichter meiner Kollegen nur schemenhaft erkennen, da wir auf halbem Wege zwischen zweien der grünlich leuchtenden Straßenlaternen standen – gerade in der richtigen Entfernung, so dass keiner der beiden Lichtkegel auf uns fiel. Wir taten, was wir – ausgerüstet mit Privatsphärezaubern, die garantieren würden, dass kein Wort von unseren Gesprächen mitangehört wurde – die ganzen letzten Wochen getan hatten: wir schlugen uns die Nacht um die Ohren.

Der Gegenstand unserer Ermittlungen befand sich laut Infromationen aus der Bevölkerung derzeit in dem finsteren Klotz schräg gegenüber von uns, der sich das beste Hotel der Nockturngasse schimpfen durfte. „Zur welken Rose" stand über der Eingangstür auf einem im Nachtwind schaukelnden Aushängeschild, das wie das ganze Etablissement einen äußerst heruntergekommenen Eindruck machte. Dasselbe ließ sich über die Kundschaft, die dort ein- und ausging, sagen.

Zu der sie gehörte, wenn man meinen Informanten Glauben schenken durfte – das letzte Glied in einer Kette von Leuten, die uns die letzten zwei Jahre mit dem exzessiven Handel mit Artefakten der Schwarzen Magie in Atem gehalten hatte, das sich noch auf freiem Fuß befand. Wir hatten gute Arbeit geleistet, auch wenn es seine Zeit in Anspruch genommen hatte. Sie musste entweder sehr viel intelligenter als der ganze Rest sein oder unverschämtes Glück gehabt haben, dass sie unserem sorgfältig geplanten, blitzschnellen Zugriff, bei dem wir in kurzer Zeit einen nach dem anderen hochgenommen hatten, entgangen war. Seit dem Spätsommer waren wir hinter ihr hergewesen, und jetzt, wenige Tage nach Weihnachten, sah es tatsächlich so aus, als würden wir für unsere Mühen belohnt.

Es war fast drei Uhr morgens, der verabredete Zeitpunkt näherte sich. Ich konnte nicht behaupten, dass mir diese Vorgehensweise gefiel, bei der man so sehr an einen vorher abgesprochenen Zeitplan gebunden war. Für diesen speziellen Fall hatten wir uns nämlich etwas Neues einfallen lassen. Wir hatten die Abteilung für magischen Transport kontaktiert, um zu einem verabredeten Zeitpunkt sämtliche Verbindungen zum Flohnetzwerk sperren zu lassen. Eine notwendige Maßnahme, da die „Welke Rose" in jedem ihrer Gästezimmer eine Feuerstelle besaß.

Ich sage: wir hatten die Transportabteilung kontaktiert, aber es waren natürlich Algie und Amelia gewesen, da ich es nicht mehr wagte, in die Nähe der Frau zu kommen, die für die Abriegelung des Netzwerks verantwortlich war. Maggie Potter war ja an und für sich ein netter Mensch, der nur einen schlimmen Fehler gemacht hatte. Und zwar hatte sie mich vier Jahre zuvor für einen Nachmittag zum Tee zu sich nach Hause eingeladen. Mich und Sev, der damals erst seit kurzem bei mir lebte. Maggie und Nathan Potter hatten ebenfalls einen Jungen in dem Alter und – also, um unnötige Details auszusparen: Seitdem konnte ich mich in der Transportabteilung nicht mehr blicken lassen. Und Sev sprach von Maggie Potter immer nur als der „Blinden Kuh", weil sie so gar keine Ahnung vom Leben hätte. Meine Gedanken drifteten zu verschiedenen Gelegenheiten, bei denen das Kind es geschafft hatte, mich gesellschaftlich unmöglich zu machen, während ich mit meiner Taschenuhr spielte und dem Zwiegespräch meiner Partner lauschte.

„Ich werd mich wohl nie daran gewöhnen." gestand Algie Longbottom. „Jedesmal, wenn wir was stürmen müssen, bin ich schon vorher mit den Nerven am Ende."

„Komisch."meinte Amelia Bones. „Ich mach mir nie irgendwelche Sorgen. Ich denke nie, dass was schief gehen könnte."

„Du vielleicht, du Glückskind. Ich hab seit drei Nächten nicht mehr geschlafen."

„Geht mir nie so. Ich schlaf wie ein Stein. Keine Schmetterlinge im Bauch." Sie senkte den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch die streichholzlangen dunklen Haare. „Wahrscheinlich mangelt's mir an Phantasie."Dann sah sie Algie an, der den Blick unverwandt auf die „Welke Rose"gerichtet hielt. „Soll ich doch Verstärkung anfordern? Fühlst du dich dann besser?"

„Nein!"unterbrach ich augenblicklich. „Das ist unsere Verhaftung. Ich will nicht, dass sich Barty Crouch oder irgendein anderer von diesen Ravenclaw- Schreibtischhengsten da einmischt. Wir haben die ganze Arbeit gemacht, wir schnappen sie uns auch."

„War ja nur ein Vorschlag."

„Drei Uhr."sagte ich knapp. „Los jetzt."

Flankiert von meinen Partnern überquerte ich die Gasse, ohne dass unsere Schritte auf dem Asphalt Geräusch machten. Vor der „Welken Rose" angekommen, legte Amelia die Spitze ihres Zauberstabs an den rauhen Stein und wisperte den Anti-Apparationszauber. „Alter vor Schönheit, Amy." hörte ich Algie ihr zumurmeln, was bedeutete, dass sie uns beide vorgehenlassen sollte, der guten alten Rollenverteilung entsprechend eben. Meinen Zauberstab erhoben, alle Sinne in Alarmbereitschaft schlüpfte ich durch die Tür und erfasste mit einem Blick die Lage in der düsteren Empfangshalle, wo sich glücklicherweise weiter niemand aufhielt, während Algie der Lady an der Rezeption ein Nickerchen verpasste. Amelia folgte uns auf dem Fuß. Ihre Augen taxierten den Raum aufmerksam, während sie sämtliche Türen im Erdgeschoss magisch verriegelte.

Die „Welke Rose" war tatsächlich für Nockturn'sche Verhältnisse eine Augenweide. Überall verzierte Möbel und schwere, dunkle Samtvorhänge. Die dicken Teppiche, die überall auslagen, sogar auf den Treppenstufen, erleichterten uns unsere Aufgabe gewaltig, da sie jeden unserer Schritte verschluckten. Es gab drei Stockwerke, drei davon ober-, drei unterirdisch, und das Zimmer, worauf wir es abgesehen hatten, befand sich im obersten Stock und wir gelangten in unserer üblichen Formation ohne Schwierigkeiten hin.

Ich war vielleicht noch einen halben Meter von der Tür entfernt, als sie sich unversehens aus den Angeln hob und mir entgegensauste. Ich kam nicht einmal dazu, aufzuschreien geschweige denn mit einem Blockzauber zu reagieren, da riss sie mich schon um. Mein Kopf krachte gegen etwas Hartes und für einen Moment sah ich Sterne. Ich fand mich auf dem Rücken wieder, eine Sekunde später ging Algie neben mir zu Boden.

„STUPOR!" Amelias Zauber schlug in die gegenüberliegende Wand des Hotelzimmers ein. Ich kam auf die Füße und befreite Algie von dem Schockzauber. Aus dem Augenwinkel nahm ich einen Lichtblitz wahr, als die Hexe, die sich bei Amelias Angriff geduckt hatte, zurückfeuerte, und die augenblickliche Ablenkung meiner Kollegin nutzte, um aus ihrem Zimmer zu flüchten und hinüber zur Treppe zu stürmen. Flink schwang sie sich über das Geländer, derweil Algie und ich zum Streich ausholten.

„IMMOBULUS!"rief Algie.

„PETRIFICUS TOTALUS!"schrie ich gleichzeitig.

Für einen Augenblick sah sie mich direkt an – ohne Furcht, ja ohne bemerkbare Erregung, allenfalls mit kühler, abschätzender Neugier – bevor sie den Blick auf den Treppenabsatz unter ihr richtete und gerade noch rechtzeitig hinuntersprang. Unsere Flüche (magische und verbale) gingen ins Leere.

Verrückterweise war meine hauptsächliche Überlegung in diesem Moment, dass Emmeline Vance viel, viel jünger war als aus den spärlichen Akteninformationen über sie hervorgegangen war. Toll, dachte ich leicht angesäuert. Ein junges Ding, das auf der Flucht vor dem Gesetz spielen will, hebelt uns aus. Aber noch war das letzte Wort in dieser Sache nicht gesprochen.

Die Auseinandersetzung verlegte sich also ins Erdgeschoss, wo sie sich todsicher an unseren magisch verriegelten Türen zu schaffen machen wollte. Amelia, die ihr zuerst nachgehechtet war, hielt sie mit ein paar gutgezielten Flüchen von der Gefahrenzone ab, so dass sie gezwungen war, sich auf einen offenen Kampf mit uns einzulassen. In dem sie sich gut schlug. Doch damit musste man rechnen bei der gesetzesuntreuen Jugend von heute. Womit ich nicht gerechnet hatte, war der unglaublich kraftvolle Bindefluch, mit dem sie in einer für uns unglücklich gewählten Sekunde sowohl Algie als auch Amelia umfing. Das beeindruckte mich wirklich. Zwei oder mehr Angreifer gleichzeitig zu schocken – okay. Aber sie zu binden, erforderte deutlich mehr Können. Es mochte sein, dass ich einen fatalen Moment lang in Ehrfurcht erstarrt war, was ihr die nötige Zeit gab, ein bisschen Land zu gewinnen. Sie haute mir noch einen Blendefluch um die Ohren, positionierte sich in der Mitte des Raums, und was dann passierte, nahm ich wahr wie in Zeitlupe.

Ich sah wie Emmeline Vance, eine Hand in die Hüfte gestützt, ihren Blick über den Boden und die Wände wandern ließ und dann eigenartig feierlich zur Decke emporsah, wobei sie den Zauberstab, den wir ihr nach wie vor nicht hatten abnehmen können, zwischen Daumen und Zeigefinger einer schlanken Hand balancierte.

„Nein!"schrie ich, ihren Gedanken erratend, und machte einen Satz auf sie zu. Sie beachtete mich nicht und ich erreichte sie nicht mehr rechtzeitig, ehe von der Spitze ihres Zauberstabs ein grelles Licht in Form eines Tropfens fiel und auf dem Boden aufschlug.

Im nächsten Augenblick flog uns das Haus um die Ohren.

Ohne Boden unter den Füßen dazustehen, war eine unerfreuliche Erfahrung, wie ich festhalten möchte. Als ob das nicht genug gewesen wäre, regnete es auch noch die Bestandteile der Zimmerdecke auf mich herunter. „Wingardium leviosa!"schrie ich hilflos. Im freien Fall war es unmöglich, auch nur die Arme zu heben, um meinen Kopf zu schützen. Mit einem Höllenlärm stürzten die Zimmereinrichtung und ich mitten durch die beiden nächstunteren Stockwerke des Hotel, deren Zwischenböden ebenfalls hatten dranglauben müssen.

„Jetzt ist's aus."konnte ich nur noch denken und schloss instinktiv die Augen.

Ich hätte im Nachhinein nicht sagen können, wie lange es gedauert hatte. Die Zeit scheint anders zu vergehen, wenn man überzeugt ist, seine letzten Atemzüge zu tun. Ich wusste nur, es war Staub überall und nach dem ohrenbetäubenden Krach, den das Zusammenbrechen der Stockwerke verursacht hatte, war die jetzige Stille so absolut, dass ich mich im ersten Moment fragte, ob ich taub geworden war.

Dann wurde mir klar, dass ich den Umständen zum Trotz auf meinen eigenen unsicheren Beinen stand, auf einem Haufen von Schutt. Die Hand, mit der ich meinen Zauberstab nach wie vor fest umklammert hielt, zitterte.

„O Hölle..."flüsterte ich und holte tief Luft. Der Tag war gelaufen.

Ich hob den Kopf und sah durch das, was dereinst fünf Zwischenböden gewesen waren, nach oben unters Dach der „Welken Rose". Bei dem Anblick wurden mir die Knie weich und ich ließ mich auf ein paar Mauersteinen, die aus der Hauswand herausgebrochen waren, nieder.

Im Erdgeschoss beugte sich Amelia vorsichtig über den Abgrund. „Alastor? Geht's dir gut?"

„Fühl mich wie im Urlaub."murmelte ich. „Und Vance?"

Amelia schüttelte zwei Stockwerke über mir den Kopf. „Disappariert."

Ich fluchte ungehalten. Nachdem sie das halbe Haus abgerissen hatte, hatte sie natürlich auch einen Weg aus der Anti-Disapparationszone gefunden. Wir hatten uns übertölpeln lassen wie ein Haufen blutiger Anfänger.

Kurzen Prozess hatte sie gemacht, die junge Dame. Sie hatte sich nicht mal dazu herabgelassen, das Wort an uns zu richten. Wenn ich es recht bedachte, hatte sie *überhaupt* nichts gesagt die ganze Zeit. Nicht einmal bei der Anwendung ihrer Flüche. Ich stutzte. Es war außergewöhnlich, dass jemand auf die Intonation verzichtete, ganz besonders im Kampf, und aus gutem Grund: stimmlose Magie war viel anstrengender anzuwenden.

Wie auch immer, es war Zeit sich nach dem verbleibenden Mitglied unseres Trios umzusehen. „Algie?"rief ich. Es war einen Augenblick still, in dem Amelia und ich uns ansahen.

Amelia begann: „Eben war er noch..."

„Hier!"kam die Antwort unseres Kollegen von irgendwo über mir. So richtig orten konnte ich ihn nicht.

„Wo ist hier?"

„Na, *hier*. Im Nachbarhaus."Stille. „Kommt mal bitte. Ich glaube, das solltet ihr euch ansehen."

Die Wand zum Nachbarhaus – oder eigentlich war es der Keller, in dem Algie sich befand, als wir zu ihm stießen – war glatt weggesprengt. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Algie ungewöhnlich blass aussah, als er uns bedeutete, den Gang entlagzugehen, der am Heizungraum vorbeiführte. Amelia und ich wechselten einen Blick. „Musst du dich übergeben, Algie?" fragte sie in ihrer direkten Art.

Er schüttelte tapfer den Kopf. „Schaut es euch einfach an, ja?"

Misstrauisch lugte ich den Flur hinunter. Nach weiteren Überraschungen war mir heute wirklich nicht zumute. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass Algie uns in irgendeine Gefahrensituation laufen lassen sollte. „Es ist die erste Tür auf der rechten Seite."meinte er.

Ich nickte Amelia zu und ging vor ihr her den Gang entlang. Zunächst stellte ich fest, dass dort ursprünglich gar keine Tür gewesen war. Was ich sah, war eine Unterbrechung im Mauerwerk, die vom Fußboden bis zur Decke reichte. Es musste ein Verbergungsszauber gewesen sein. Offenbar war er durch die Verheerung, die Emmeline Vance angerichtet hatte, in Mitleidenschaft gezogen worden. Wäre er intakt gewesen, hätte man von dort aus, wo Amelia und ich nun standen, überhaupt nicht erahnen können, dass sich dahinter etwas anderes befand als Stein.

Und dies hatte seinen Grund, soviel stellte sich heraus, als wir hindurchtraten.

Auf den ersten Blick hätte man meinen können, wir seien in einer Krankenstation gelandet. Mehrere Pritschen reihten sich auf dem Boden aneinander. Bleiche, bewusstlose Gestalten lagen mit Laken zugedeckt zum größten Teil reglos darauf. Nur dass mir irgendetwas sagte, dass man diese Menschen nicht hierher gebracht hatte, um ihnen zu helfen.

„Die machen's nicht mehr lange."stellte Amelia fest. Ich hätte es nicht besser sagen können.

Es mag vielleicht verrückt erscheinen und in jedem Falle zeugte es nicht von Zivilcourage, aber keiner von uns machte den Versuch, einem der Opfer zu Hilfe zu kommen. In meinem Beruf hatte ich zwar schon wesentlich blutrünstigere Szenen zu Gesicht bekommen und abgesehen von dem totalen Schwächezustand, in dem diese Menschen sich befanden, schien ihnen ja nichts zu fehlen. Mein Schaudern rührte von etwas anderem her.

Schwarze Magie. Ich konnte sie noch in der Luft hängen spüren. Und ein ordentliches Maß an Kraft war nötig gewesen, um *das hier* fertigzbringen, so abstoßend es auch sein mochte. Man hatte ihnen das Leben ausgesaugt, dachte ich unwillkürlich und fühlte mich an die illegalen Laboratorien erinnert, die man während der Vampirkriege gefunden hatte.

„Ich kenne sie."wisperte Amelia und deutete auf eine junge Frau. „Das ist Jean Croaker."Ich kannte sie auch. Sie arbeitete in der Abteilung zur Kontrolle magischer Geschöpfe. Ich wäre nicht überrascht gewesen zu erfahren, dass keiner der hier Anwesenden aus der Nockturngasse stammte.

Da brannte etwas in der Feuerstelle, bemerkte ich plötzlich. Während Amelia begann, zwischen den Pritschen umherzuwandern, ging ich hinüber zum Kamin und zog ein halbverbranntes Schriftstück aus der Glut. Viel war nicht mehr zu erkennen, und bedauerlicherweise wurde ich auch aus dem Wenigen nicht klug. Es war alles in einer Sprache geschrieben, deren ich nicht mächtig war. Latein, dachte ich. Nein – Altfranzösisch. Nun, damit konnte ich später mein Glück versuchen. Ich drehte das Pergament herum und mein Blick wurde von dem halb aufgelösten Siegel auf der Vorderseite angezogen.

Ich kniff die Augen zusammen. Das war unmöglich.

„Hallo?"hörte ich Amelia plötzlich sagen. „Können Sie mich verstehen?" Ich drehte mich um und sah, dass sie über eine der zukünftigen Leichen gebeugt am Boden kniete. Es war ein junger Mann, und ich hatte das dumpfe Gefühl, ihn auch schon irgendwo gesehen zu haben. Ich konnte nicht sagen, ob er bei Bewusstsein war. Seine Augen bewegten sich jedoch, ließen einen glasigen Blick über die Decke des Raums schweifen. Und seine Hände krallten sich in das Leinen, das ihn bedeckte.

„Wie sind Sie hierhergekommen?" fragte Amelia und für einen Moment begegnete er ihrem Blick, als könne er sie verstehen. Gleich darauf war er wieder in die Welt hinter seinen Augenlidern zurückgesunken. Amelia wedelte ihm kurz mit der Hand vor den Augen herum. Als keine Reaktion kam, legte sie ihm die Hand auf die schweißfeuchte Stirn – und bekam etwas mehr, als sie sich erhofft hatte. Der Junge schnellte krampfartig in die Höhe, die Augen angstvoll aufgerissen. Amelia zog die Hand zurück, während er begann, sich in heftigen Zuckungen zu winden, und bevor wir mehr tun konnten, als daran denken, jemanden aus St. Mungo's herzurufen, hauchte er mit einem einzelnen Wort auf den Lippen sein Leben aus.

Amelia erhob sich erschüttert von seinem Lager. „Rufen wir Hilfe."

Ich steckte das Pergament ein. „Was hat er da germumelt? Hast du das verstehen können?"

„Vol de Mort."sagte Amelia. „Das ist französisch. Bedeutet..."

„Ich weiß, was es bedeutet. Flug des Todes."

***************************************

Ich liebte meinen Beruf. Es hatte nie ein anderes Ziel im Leben für mich gegeben als Auror zu sein. Nicht seit meiner Teenagerzeit und dem Krieg gegen Grindelwald.

Ich wusste, dass ich vorbelastet war und dass ein Teil von mir Rache nehmen wollte an allen Schwarzkünstlern dieser Welt für die Ermordung meiner Eltern. Ich war in Frankreich aufgewachsen, in einer kleinen Zauberergemeinde in der Normandie, an die ich mich, wenn ich ehrlich sein sollte, kaum erinnern konnte. Meine Eltern hatten dort als Mitglieder eines internationalen Teams an der Entwicklung neuartiger Schwebezauber gearbeitet. Jahre später, als wir längst wieder in London lebten, sollte dieser Ort ihr Grab werden, weil sie dem Ruf ihrer Freunde gefolgt waren, die in Frankreich den Widerstand gegen Grindelwald organisierten. Die Siedlung wurde dem Erdboden gleichgemacht, es gab nur eine Handvoll Überlebende. Und über dem Schlachtfeld – das wusste ich, weil ich Fotoaufnahmen davon gesehen hatte – hatte eine Art grüner Nebel gehangen, der sich an einer Stelle zu einem schwebenden Gebilde verdichtet hatte. Eichenlaub und Schwerter. Grindelwalds Signatur.

Jetzt, siebenundzwanzig Jahre danach, hatte ich nur einen Blick auf das verschmierte Siegel des halbverbrannten Pergaments, das in der Folterkammer zurückgelassen worden war, werfen müssen, um besagtes Wappen wiederzuerkennen.

Ursprünglich hatte ich geplant, mich nach Ablauf meiner Schicht erst mal aufs Ohr zu legen (sowie ich ein paar Haken um Barty Crouch geschlagen, einen demütigenden Bericht über den Ablauf des Einsatzes verfasst und mich dabei mit ein paar Schokofröschen getröstet hatte). Nun hatte ich beschlossen, eine Änderung im Plan vorzunehmen und mich, sobald ich von meinem Dienst erlöst war, mit einem Wörterbuch für Altfranzösisch auszustatten, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch wie ich mir mittlerweile hätte denken können, wurde nicht viel daraus. Es war eben einer dieser typischen Tage im Leben eines Aurors.

Ungeachtet der frühen Stunde herrschte im Innenhof des Ministerium als wir gegen sechs dort ankamen ein solches Gerenne und Gehetze, dass man hätte meinen können, wir sollten alle zwangsevakuiert werden. Grüppchen aufgeregt durcheinanderschwätzender Hexen und Zauberer blockierten den Verkehr, Angestellte drängten sich mit wichtigen Mienen und amtlich aussehenden Schriftstücken durch das Gewühl. „Haarscharf kombiniert: es ist was vorgefallen."meinte Algie, während wir unser Bestes taten, um unbeschadet die Ebene 2 zu erreichen, wo sich die Aurorenzentrale befand.

„Moody, gut dass du da bist!" Kingsley Shacklebolt hatte mich im Vorbeisausen erspäht und eine Vollbremsung hingelegt. Shacklebolt witzelte immer, dass er zu spät geboren worden sei. Die ach so spannenden Vampirkriege Anfang bis Mitte der Sechziger hatte der Ärmste von der Schulbank aus verfolgen müssen, und in seiner Zeit hatte es noch keine größeren Zusammenstöße zwischen Gut und Böse gegeben. Es versetzte mir jedesmal einen Stich, wenn ich ihn so reden hörte, auch wenn ich genau wusste, dass er scherzte. Er wusste eben auch zu wenig von mir und meinem Vorleben. Natürlich hätte es sein können, dass ihn nach den ersten Ausrutschern jemand von meinen Kollegen beiseite genommen und ihm genau erklärt hatte, wie meine jüngere Schwester umgekommen war. Aber aus der Unbefangenheit mit der er das Thema Vampire nach wie vor anging, schloss ich, dass das niemand getan hatte. Und ich sah keinen Grund, es selbst in die Hand zu nehmen.

„Hallo, Kingsley."sagte ich locker. „Hat's ein Attentat auf den Minister gegeben?"

Er starrte mich an. „Nein, auf den nicht... Bruce McKinnons Fabrik ist in die Luft geflogen und anscheinend nicht von allein."

McKinnon stellte Gedankenfinder her. Erinnermichs und Denkarien vor allem. Und wenn mich nicht alles täuschte, hatte er vom Minsterium eine Sondergenehmigung erhalten, seine Fabrik in einem Industriegebiet der Muggel aufbauen zu dürfen. Jetzt hatten wir ein Problem. Ich fing an, die Kopflosigkeit auf allen Ebenen nachzuvollziehen.

„Gab es Tote?"fragte Amelia.

Kingsley blickte unbehaglich drein. „Nicht auf unsrer Seite, wir arbeiten ja nachts nicht. Aber in den beiden angrenzenden Muggelfabriken gab es Nachtarbeiter."

„Verflucht."murmelte ich und fuhr mir mit der Hand übers Kinn. „Und ich dachte, wir hätten eine Geschichte zu erzählen."Er sah mich neugierig an, und ich wollte ihn gerade noch ein bisschen ausquetschen, als Amelia uns auf den Durchgang zur Ebene 1 aufmerksam machte, wo soeben jemand mit dem Wachthabenden verhandelte. „Bones, Meadowes – magische Katastrophen." ertönte eine weibliche Stimme. „Wir sind herzitiert."

„Da ist Eddie."sagte Amelia und beschleunigte ihre Schritte. Ihr Bruder war der persönliche Assistent von Dorcas Meadowes, der Leiterin der Abteilung für magische Unfälle und Katastrophen. Dorcas Meadowes, die niemals sagen würde: wir sind angemeldet oder etwas ähnlich Diplomatisches, wenn Minister Derwent sie hatte antanzen lassen, anstatt sie ihre Arbeit tun zu lassen. Ich verkniff mir ein Grinsen. „Sie hat Fudge hingeschickt." meinte jemand links von mir. „Zusammen mit einem ganzen Trupp von Leuten, die die Erinnerungsersetzungen vornehmen sollen."

Ich verzog automatisch das Gesicht beim Gedanken an Cornelius Fudge, Dorcas' Stellvertreter. Dumm wie eine ganze Wagenladung Brot. Mit dem heillosen Chaos, das um McKinnons einstige Fabrik herrschen musste, war dieser Tölpel doch vollkommen überfordert. Blieb nur zu hoffen, dass Dorcas sich der Sache persönlich annehmen würde, sobald der Minister sie gehen ließ. Ich wandte den Kopf und sah Maggie Potter neben mir stehen. Mein erster Reflex war, die Flucht zu ergreifen. Dann siegte die Neugier.

„Wieso bist du so gut auf dem Laufenden?"Es war die höfliche Version von: Was hast du auf unserer Ebene verloren?, doch wenn Maggie das bemerkte, schien es sie nicht zu kränken.

„Ich bin eine geborene McKinnon. Bruce ist ein Vetter zweiten Grades von mir. Mein gutes Recht auf dem Laufenden zu sein, oder?"

Ich starrte sie an. „Ach ja. Hatte ich ganz vergessen." Marlene, Albus Dumbledores einziges Kind, hatte Geld geheiratet, und dieses Geld entstammte der ungerechten Erbteilung zwischen Gordon und Malcolm McKinnon, den Urgroßvätern von Bruce und Maggie. Natürlich war es schwer für jemanden wie mich, der sich nie etwas aus seiner Abstammung gemacht hatte, bei all den Querverbindungen zwischen den reinblütigen Familien noch den Überblick zu behalten. „Tut mir Leid, was euch da passiert ist."sagte ich.

Sie zuckte die Achseln. „Was heißt uns? Mit Marlene hab ich vielleicht drei, vier Mal in meinem Leben gesprochen. Und Bruce und ich, wir können einander nicht ausstehen." Ich schnaubte mürrisch. Manchmal fragte ich mich, wie es in anderen Kulturen damit aussah, bei den Kobolden zum Beispiel. Oder bei den Muggeln. Bei uns schien es jedenfalls so, als hätte ständig jeder mit irgendjemand eine Fehde am Laufen.

Fudge kam und bestätigte, was Kingsley schon angedeutet hatte. Offenbar hatte jemand McKinnons Unglück nachgeholfen. Man konnte eigentlich jeden Zweifel ausschließen – es war Sabotage gewesen. Das schockte begreiflicherweise die Versammelten nur noch mehr und der Rest des Tages verging mit dem Durchchecken der üblichen Verdächtigen. An eine wohlverdiente Ruhepause für uns Nachtschwärmer war natürlich nicht zu denken.

Weil es so früh am Tag oder besser so spät in der Nacht passiert war, war darüber sogar schon im Tagespropheten zu lesen. Man sprach vom größten magischen Unglück in 50 Jahren und rang die Hände bei der Vorstellung, was alles in die Wege geleitet werden musste, um eine plausible Erklärung für die Muggel anzufertigen. Sie hatten es sogar schon geschafft, Bruce McKinnon für ein kurzes Interview vor die Kamera zu zerren. Im Hintergund war seine Frau zu sehen – Marlene, die die zwinkernden blauen Augen ihres Vaters und das Seherblut ihrer Familie mütterlicherseits geerbt hatte. (Um wen es sich bei dieser Familie gehandelt hatte, wurde begreiflicherweise nicht an die große Glocke gehängt.)

Dieser Gedanke führte mich wieder zu meinen anderen Sorgen zurück. Ich reichte die Zeitung weiter und fingerte nach dem halbverbrannten Schriftstück in der Tasche meines Umhangs, während ich mich vom Rest des Teams in meine wohlverdiente Pause verabschiedete. Was hatten sie dort unten getrieben, wozu ein Brief mit Grindelwalds Siegel die Anleitung liefern sollte? Hatte das Mädchen etwas damit zu tun gehabt? Und warum hatten sie Beweismaterial in der Feuerstelle herumliegen lassen anstatt es mitzunehmen? Grindelwald hatte zu seiner Zeit nach etwas geforscht, was schon von jeher sehr viele kluge Köpfe, die auf die Seite des Bösen gewechselt waren, beschäftigt hatte. Er hatte nach Unsterblichkeit gesucht.

Es war ein Thema, das mir Gänsehaut verursachte aus Gründen, die nicht alle etwas mit Grindelwald zu tun hatten. Der Anblick dessen, was von den armen Kreaturen noch übrig gewesen war, hatte an Dinge gerührt, die ich nur zu gern aus meinem Gedächtnis gestrichen hätte. Die Ähnlichkeit mit den Experimenten, die während der Vampirkriege vorgenommen worden waren, war unverkennbar. Ich träumte manchmal noch davon. Ich glaubte, dass Algie es auch tat, und konnte nur hoffen, dass das eine wirksame Methode war, die schrecklichen Erlebnisse dieser Zeit zu verarbeiten.

Meine finstersten Tage hatte ich erlebt, als die Snapes ums Leben gekommen waren. Es war vermutlich das Schlimmste gewesen, was mir je widerfahren war. Ich hatte nicht gewusst, wie ich Dumbledore je wieder in die Augen sehen sollte, wenn wir beide wussten, dass es mein elender Stolz gewesen war, der uns so weit gebracht hatte. Albus – ich war damals dazu übergegangen, meinen ehemaligen Schulleiter beim Vornamen zu nennen – hatte allerdings schon eine Idee für meine Buße parat. Und bevor ich auch nur „Vormundschaft?"sagen konnte, hatte ich ein kleines Nachtschattengewächs im Haus, das meine Dachkammer annektierte und mit Spinat bei Laune gehalten werden wollte.

Nun, ich war maßgeblich in die Umstände verwickelt gewesen, die ihn zum Waisen gemacht hatten, und die Vorkehrungen, die seine Eltern für den Fall der Fälle getroffen hatten, hatten sich als unzulänglich erwiesen. Wenn ihnen etwas zustieße, so hatte Alexander es in seinem Testament festgehalten, sollte Severus Dragan Snape seinem Paten anvertraut werden und nicht etwa mir. Alles deutete jedoch darauf hin, dass sie zu besagtem Paten seit mehreren Jahren keinen Kontakt hatten, und auch das Ministerium trotz aller Bemühungen nicht hatte herausfinden können, wo er sich aufhielt. Daher übergab man den Sechsjährigen mir. Womit wir beim Drama meines Lebens angekommen wären. Dumbledore hatte es sich als Therapie für uns beide gedacht, auch wenn er das dem Ministerium so natürlich nicht sagte, wir hatten bessere Argumente. Und als hätte ich noch nicht genug am Hals gehabt, hatte ich mir im Zuge dieser ganzen Angelegenheit die unauslöschliche Feindschaft der Malfoys zugezogen. Ja, *der* Malfoys. Namentlich Tristan Malfoys, der ein Freund von Ada gewesen war und Sev mit Freuden bei sich aufgenommen hätte, aber Dumbledore und die Flamels wollten es nicht zulassen und als Alexanders Lehrer hatten sie das letzte Wort. Jede Menge Geschrei und kochendes Blut in der anschließenden Sorgerechtsverhandlung und am Schluss von Malfoys Seite die unvermeidliche Drohung, wir sollten bloß gut auf uns achtgeben von jetzt an. An dem Tag, an dem Severus "die Wahrheit" erführe, hätten wir ohnehin verspielt.

Womit er nicht völlig danebenlag. Aber Sev fragte nie, was das eigentlich sollte. Oder wie ich überhaupt in Verbindung zu ihm stand, wieso man ihn gerade mir anvertraut hatte. Er lebte eben bei mir, las sich durch meine Bibliothek, machte mit seinen Freunden die Gasse unsicher und tat auch sonst mit Vorliebe alles, was mein Missvergnügen hervorrief. In Gedanken noch ganz mit meinem seltsamen Familienleben beschäftigt, erreichte ich meinen Schreibtisch, und als ich sah, was dort auf mich wartete, schien es mir, als hätte ich es mit meinen Überlegungen herbeigezwungen.

Es war Abraxas. Mit einem Brief.

Wenn meine eigene Eule mir einen Brief brachte, ohne dass ich sie losgeschickt hatte, konnte er nur von einer Person stammen. Als hätte ich ihn mit meinen Gedanken herbeigezwungen. „Na endlich, du vergesslicher Wicht!"knurrte ich und riss dem armen Vogel, der empört aufquäkte, das Papierstück fast vom Bein. „Und wag es ja nicht, mich wieder mit einer lausigen Rolle Pergament abzuspeisen!"

Der Kalender hatte schon Oktober angezeigt, als ich eine hastig hingekritzelte Nachricht von Sev erhalten hatte, in der er sich im Wesentlichen darauf beschränkt hatte, mir mitzuteilen, dass er noch lebte und dass er gedächte, die Weihnachtsferien in Hogwarts zu verbringen. Mir ginge es gut, danke der Nachfrage, hatte ich zurückgeschrieben. Ah, Kinder. Mit ihnen hielt man es nicht aus, aber wenn man meinte, sie los zu sein, fingen die Schwierigkeiten erst richtig an. Die Weihnachtsferien erlaubten es ihm jedenfalls, ein wenig weiter auszuholen.

„Lieber Alastor!"begann er quietschfidel in seiner einmaligen Handschrift, deren Kritzel sich wie betrunkene Spinnen über das Blatt ergossen. „Ich habe mich gut eingelebt und wenn es hier nicht so viel besser wäre, würde ich sagen, ich fühle mich wie zu Hause..." Ich stützte den Kopf in die Hand, während vor meinem inneren Auge Sev auftauchte, in seiner ungesunden, kauernden Haltung an einem Tisch in der Bibliothek sitzend und zwischen zwei Bücherstapeln vor sich hin krakelnd, und ich wieder in die vertraute Welt eintauchte, die ich mit 17 hinter mir gelassen hatte. Ich war in der Tat begierig zu erfahren, ob Hogwarts noch stand, nachdem Sev sich seiner angenommen hatte.

„Ich hab eigentlich nicht viel Zeit", setzte er mich gleich in Kenntnis. „In einer halben Stunde muss ich bei McGonagall zwecks Strafarbeit auf der Matte stehen. Inzwischen ist es ja ganz erträglich, das erste Mal hat sie mich gezwungen, irgendwelche Raumpflegearbeiten zu verrichten. Aber nach und nach hab ich sie davon überzeugt, mir anspruchsvollere Aufgaben zu übertragen, bei denen man auch was lernt."

Mir war bereits nach den ersten Sätzen flau im Magen. Arme Minnie. Sie hatte schon Ada immer auf dem falschen Fuß erwischt, und nun musste sie sich mit diesem Kind herumschlagen, das impertinent war wie sein Vater und schroff wie seine Mutter und dabei eine unerträgliche Art hatte, durchblicken zu lassen, dass jeder Konflikt nicht auf Klugscheißerei seinerseits zurückzuführen war, sondern auf die verkehrt funktionierenden Gehirne der anderen.

„Nun wirst du zweifelsohne wissen wollen, was mein Lieblingsfach ist," fuhr er geschäftig fort, „aber ich kann dazu nur sagen: ich weiß es nicht. Eigentlich wären es ja Zaubertränke und Verwandlung, aber die Leute, die das unterrichten, sind nicht so mein Fall. Professor Prewett hat keinen blassen Dunst und er hackt auf mir rum, weil ich mehr von der Materie verstehe als er. Und Professor McGonagall ist Hauslehrerin von Gryffindor." Er hielt es gar nicht für nötig, das weiter auszuführen. Ich gestattete mir ein trockenes Lachen. „Also tendiere ich zu Zauberkunst und Verteidigung. Professor Flitwick leitet hier den Duellierclub, dem leider erst Zweitklässler beitreten dürfen. Und Professor Karkarova hat in Paris die Aurorenakademie besucht, ist dann aber auf Alchemie umgesattelt. Sie ist Professor Dumbledores Scholastin, wusstest du das? Stimmt es, dass in Russland das Ministerium für Magie alle Familienbücher und Stammbäume vernichtet hat und so tut, als ob alle das gleiche Blut haben? Rodolphus hat mir erzählt, dass die Karkaroffs deswegen aus St. Petersburg fliehen mussten." Ha! Dass ich nicht kicherte! Wenn das kein typisches Slytheringeschwätz war, was dann? Natürlich waren alldiejenigen, die außer ihrem Blut nichts hatten, worauf sie sich was einbilden konnten, aus Russland „geflohen". In gewissen Kreisen hatten sich romantische Mythen um dieses Pack gebildet. Ich neigte zwar nicht dazu, die Neuerungsfreudigkeit des russischen Ministeriums in Bezug auf die Abstammung zu teilen, aber Reaktionäre wie die Karkaroffs und die Dolohovs, die hierzulande Asyl gefunden hatten, waren wir noch mehr zuwider. Unsere Slytherinaristokratie konnte sich natürlich mit ihnen identifizieren.

In Sevs Brief war eine Menge von seinen neuen Freunden die Rede. Da war er aber auch gleich an die richtigen geraten, dachte ich. Die Crème de la Crème der schwarzmagischen Gesellschaft. Ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Ich kannte die Eltern der meisten und sie mich, mochte ich wetten. Nicht dass regelmäßige Hausdurchsuchungen und Vorladungen in die Abteilung für magischen Strafvollzug geeignet wäre, freundschaftliche Bande zu festigen.

Regulus Black und Rabastan Lestrange hatte er auf der Zugfahrt kennengelernt. Die Cousine des einen und der Bruder des anderen gingen schon in die zweite Klasse und hatten die drei Jungs offenbar unter ihre Fittiche genommen. Sie waren Teil einer Art Clique, wie sie für Slytherin typisch war. Außer ihnen gehörten noch zwei Jungen und ein Mädchen dazu: Procyon Avery, Evan Rosier und Florence Wilkes. Letztere war ohne Zweifel der hauptsächliche Risikofaktor. Ich erinnerte mich an den Fall, ihr Vater hatte Anfang der 60er den Kuss des Demetors bekommen für die wiederholte Anwendung des Cruciatusfluchs. Und ihrer Mutter konnte der Name Snape durchaus ein Begriff sein.

„Übrigens", erzählte Sev mir noch, „Ich bin vom Flugunterricht entschuldigt. Ich weiß nicht, wieso, aber jeder Besen, den ich in die Hand nehme, scheut vor mir zurück. Zwei hatte ich schon vernichtet, bevor man beschlossen hat, dass ich es lieber bleiben lassen soll. Irre, oder? Naja, so hab ich mehr Zeit zum Lesen."Ich wölbte die Brauen. „Jetzt entschuldige mich."schloss er. „Gegenüber McGonagall ist man als Slytherin sowieso von vorneherein im Unrecht, da kann ich's mir nicht leisten, zu spät zu kommen. Ich schreibe bald mehr. Mach's gut, Dein Sev."

Ich lächelte, bis ich das PS las. „Ich hab deine Quidditchplakette gefunden, daher dachte ich, es müsste dich interessieren, dass Dein geliebtes Gryffindor im ersten Spiel der Saison (gegen uns übrigens) voll baden gegangen ist. Beste Grüße, S.S."

Ich schwor, mir nie wieder Sorgen um Sev zu machen.

„Alastor, wir müssen unseren blöden Bericht noch schreiben. Willst du das machen oder soll ich?"Amelia lehnte in der Tür.

Ich fuhr aus meinen Gedanken auf. „Ich mach's schon. Ich bin mir bloß noch nicht sicher, wie wir die Entdeckung im Keller handhaben sollen." Kurzentschlossen holte ich das Pergament hervor, dass ich dort eingesackt hatte. „Etwas möchte ich dir schon die ganze Zeit zeigen, weißt du. Wirf mal einen Blick hierauf."sagte ich und hielt ihr das Siegel vor die Nase.

Sie griff danach. „Das ist das Wappen der Ritter von Walpurgis. Grindelwalds Wappen." Langsam ließ sie sich in den Stuhl vor meinem Schreibtisch sinken, und eine Weile starrten wir beide vor uns hin und hingen unseren trüben Gedanken nach. Meine stahlen sich unwillkürlich wieder in Richtung des nichtsnutzigen Jungen, und so musste ich nachfragen, als ich merkte, dass Amelia etwas gesagt hatte.

„Könnte es so was wie ein Ablenkungsmanöver gewesen sein?"

Ich starrte sie an. „Ein Ablenkungsmanöver?"

Sie wich meinem Blick nicht aus. „Alastor, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir heute etwas äußerst bedeutsames zu Gesicht gekriegt haben. Jemand hat dort ein verbotenes Experiment durchgeführt und Leute waren daran beteiligt, die wir kennen. Ministeriumsmitarbeiter, um Merlins Willen! Wir sind nur durch Zufall darüber gestolpert, weil wir hinter jemand ganz anderem her waren."Sie biss sich auf die Lippen und nickte überzeugt. „Wer immer sich da zu schaffen gemacht hat, hat darauf gezählt, dass wir heute nacht alle anderweitig beschäftigt sein würden – nämlich mit der Explosion von McKinnons Fabrik."

„Meinst du nicht, dass das ein bisschen viel Aufwand wäre? Eine solche Katastrophe auszulösen, nur damit das Ministerium an andere Dinge denkt?"

„Nein, das glaub ich eigentlich nicht. Nicht, wenn es darum ging so etwas zu vertuschen wie dieses... dieses Labor. Das war eindeutig eine Größenordnung für sich und – Sag mal, hast du was, Alastor?"Ich war nicht eben konzentriert, und Amelia schien das irgendwann auch zu merken. Sie legte den Kopf schief und sah mit leich hochgezogenen Augenbrauen in meine Richtung. „Was ist los?"

„Ach, nichts."murmelte ich und schob den Brief auf der Schreibtischplatte herum. „Ich mach mir nur so wahnsinnige Sorgen um Sev."

„Ja, das hat man gemerkt." meinte sie ungerührt. „Du warst die ganzen letzten Wochen, als er nicht geschrieben hat, empfindlich wie ein rohes Ei."

„Ist doch gar nicht wahr."

„Ist es wohl. Ist der Brief von ihm?"

Ich bejahte seufzend und erzählte ein bisschen von Sevs Strafarbeiten und der Gesellschaft, die er pflegte.

„Naja,"sie stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und sah mich aus zusammengekniffenen Augen nachdenklich an. „Slytherin ist gewiss kein einfaches Haus. Soviel ist sogar für Außenstehende zu beurteilen. Ich kann verstehen, dass du ein mulmiges Gefühl bei der Sache hast. Aber nur weil er nun einmal in dieses Haus geht, darfst du nicht denken, dass es ihm unbedingt das Genick brechen wird. Ich bin überzeugt, der Hut sucht für Slytherin nur Leute aus, die Slytherin auch gewachsen sind. Du hast mir doch davon erzählt, wie ihr bei Ollivander wart."

„Ja, der hatte nichts besseres zu tun als mit Querverweisen auf Fenland und das Hohe Haus um sich zu werfen."

Sie schien ein Lächeln zu unterdrücken. „Aber du hast auch gesagt, dass er Sev einen Zauberstab aus Ebereschenholz verkauft hat."

„Ja. Der richtige Zauberstab für einen Alchemisten, wenn ich zitieren darf. Na, und?"

„Du weißt doch, was es mit der Eberesche auf sich hat."meinte Amelia fest. Ich starrte sie verständnislos an an. „Das Holz der Eberesche schützt den, der es trägt, vor dem Bösen, das gehört zur Allgemeinbildung, ich bitte dich. Sogar die Muggel hängen sich Ebereschezweige übers Haus, damit der Blitz nicht einschlägt. Mit so einem Zauberstab kann deinem Jungen auch in Slytherin nicht viel passieren."

Nun erinnerte ich mich. Es stimmte, was sie sagte, das Holz der Eberesche wehrte angeblich das Böse ab. War Sev nun aber zu Gutem bestimmt und trug diesen Zauberstab, weil er eben in Slytherin gelandet war – oder standen ihm so viele Versuchungen und Gefahren bevor in seinem Leben, dass er jeden Schutz brauchen würde, den man ihm angedeihen lassen konnte? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht einmal, ob ich an diese Dinge glaubte.

„Na, komm."lächelte Amelia. „Lass uns diesen vermaledeiten Bericht schreiben und dann werden wir herausfinden, was in den Kellern der Nockturngasse so vor sich geht."

___________________________________________________________________________

Author's Note: Habt Ihr mir was mitzuteilen? Please? -:) *zeigt auf den Kasten links unten*