Disclaimer: wie gehabt
Author's Note: Wunderbar, wie ihr mir treu bleibt, Leute. Heißen Dank an sepia, cara, Cessilie & Loony!
Sepia: Du hast recht, es fehlt noch einiges, zumindest für die Kellerangelegenheit, was man wissen muss, um auf die Lösung zu kommen.
Cessilie: Prima, dass Du Dich mal wieder meldest. Was Bellatrix angeht: Es kommt ja niemand böse und geistesgestört auf die Welt. In Kapitel 3 ist sie 12 und ich stelle sie mir unheimlich clever, charmant und selbstbewusst vor.
Loony: Du bist voll intelligent, weißt Du das? Eine sehr schlaue Vermutung, geht in die richtige Richtung, allerdings ist es nicht ganz so wie Du denkst. (Es ist viel schlimmer.)
Und weiter geht's. Alastor versucht zur Normalität zurückzukehren, Sev kommt auf bizarre Ideen und die feine reinblütige Gesellschaft dreht krumme Dinger. Aber sonst ist alles wie immer - ____________________________________________________________________________ ______________
6. Kapitel: Feuriger Sommer
Albus machte ernst und kehrte die bürgerliche Identität von Lord Voldemort unter den Teppich. Seine Befürchtungen erschienen mir real genug und wie immer, wenn mir vor Verwirrung der Kopf dröhnte, verließ ich mich auf sein Urteil. Zumal ich auch nicht besonders scharf darauf war zu bekennen, dass ich in meiner Schulzeit neben der treibenden Kraft hinter all unseren jetzigen Schwierigkeiten gesessen hatte. Folglich drang so gut wie nichts von dem, was in jener Nacht unter alten Bekannten gesprochen worden war, nach draußen.
Sie kassierten mich ein, als ich am frühen Morgen ins Ministerium zurücktaumelte, und unterzogen mich einer ganzen Reihe von Verhören, in denen ich mich auf das beschränkte, worauf es ankam: Voldemort hatte sich zu den Experimenten in der Nockturngasse bekannt und erklärt, dass er nicht beabsichtige, in Bälde von seinem Tun abzulassen. Meine Kollegen und Vorgesetzten waren beeindruckt genug, eine Sonderkomission von Auroren zusammenzustellen, die sich mit der Sache befassen sollte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, reizt mich diese Mischung aus Eifer und Gelassenheit zum Lachen. Eine Sonderkomission. Gegen Du-weißt-schon-wen. Die würde es ihm aber zeigen!
Etwa eine Woche nach meinem nächtlichen Besuch schickte Minnie mir eine knappe Notiz, dass Albus mit ihr gesprochen hatte. Ebenso vorsichtig schrieb ich zurück, bemüht, nicht mein Beileid auszudrücken. Das hätte sie mit Sicherheit nicht gut aufgenommen. Dabei erstickte ich fast an meinem schlechten Gewissen, dass ich nicht selbst mit ihr gesprochen hatte. Sie war meine besten Freundin, der zweitwichtigste Mensch in meinem Leben. Ich hatte sie geliebt seit unserer Kindheit. Ich hätte mir nie vorstellen können, eine andere zu heiraten. Und irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass jeder Slytherin in einer solche Lage mehr Zuwendung und Unterstützung aufgebracht hätte.
Nach unserem Schulabschluss hatten wir uns mehrere Jahre nicht gesehen, aber als sie Ende der 50er nach Hause zurück kam und mit Albus' Hilfe wieder in die magische Gemeinschaft eingebürgert wurde, hatte ich geglaubt, zwischen uns könnte alles wieder so werden wie früher. Das war ein Irrtum gewesen, wie ich dann hatte erkennen müssen – als Ada und Alexander starben. Ich wäre nicht so weit gegangen zu behaupten, dass sie mich (uns) im Stich gelassen hatte. Aber sie hatte sich damals in etwa so verhalten... ja, wie ich es jetzt tat.
Unterdessen begann das Jahr 1972. Das Ministerium sah keinen Grund, die Bevölkerung in Panik zu versetzen, wenn noch gar nicht abzusehen war, wohin der Weg dieses neuen Feindes führen würde. Aber natürlich lag trotzdem irgendetwas in der Luft. In kleinen Gemeinden wie unserer fällt es ohnehin schwer, irgendetwas geheimzuhalten, weil so gut wie jeder Verwandte oder Bekannte hat, die in der Verwaltung beschäftigt sind. Etwas sickert immer durch, und so war es in diesem Fall auch.
Sev korrespondierte eifrig nach Hause, wobei in seinen Briefen hauptsächlich vom Duellierclub die Rede war, dem beizutreten man ihm „endlich"erlaubt hatte. Einmal jedoch fragte er mich geradeheraus: „Bei uns kursieren Gerüchte, dass ihr (Tintenklecks) einem mächtigen schwarzen Magier auf der Spur seid, ihn aber nicht dingfest machen könnt. Er soll einen ganzen Keller Leute umgebracht haben, stimmt das?"
Er sagte nicht, ob „bei uns"bedeutete: bei uns in Slytherin oder Hogwarts im Allgemeinen. Man konnte jedoch davon ausgehen, dass die Slytherinjugend in politischen Dingen stets einen Tick besser informiert war als der Rest der Schule. Für Slytherins gehörte es zum guten Ton, ihre Kinder frühzeitig in alles einzubeziehen, damit sie später in die Fußstapfen ihrer Eltern treten konnten, und die Kinder übten sich von klein auf darin durch die andauernden Diskussionen und Intrigen, für die das Haus der Gerissenen und Berechnenden bekannt ist. Slytherins sind die geborenen Politiker, das weiß ich, weil ich mit welchen befreundet war und mir oft kindlich und zurückgeblieben vorkam, wenn Tom und Alexander loslegten. Meine Pläne, Auror zu werden und gegen das Böse zu kämpfen, das meine Familie ausgelöscht hatte, nahmen sich blass aus gegen ihr abgeklärtes Insiderwissen.
Ich dachte an Sevs Freunde. Ramona Lestrange, die Mutter von Rodolphus und Rabastan, war Leiterin der Mysteriumsabteilung, und auf diese Art in so ziemlich alle Absprachen auf höchster Ebene eingeweiht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie ihre Söhne nach den Weihnachtsferien hatte in die Schlangengrube zurückkehren lassen, ohne dass sie das eine oder andere mit auf den Weg bekommen hatten. Und ich war mir ziemlich sicher, dass Lucius Malfoy, der im Sommer vergangenen Jahres in der Abteilung für Internationale Beziehungen angefangen hatte, in Briefkontakt mit Bellatrix Black stand. Er war mit ihrer älteren Schwester verlobt, hatte Emmeline mir erzählt, und schien der Familie überhaupt ziemlich nahe zu stehen. Von den Blacks hatte ja Merlin sei Dank niemand ein Ministeriumsamt inne. Was sie nicht davon abhielt, sich ähnlich wie Tristan Malfoy auf anderem Wege Einfluss zu verschaffen.
Emmeline hatte sich übrigens mit Feuereifer in ihr neues Leben gestürzt. Die Wendung, die ihr Schicksal genommen hatte, begeisterte sie. Wir fungierten inzwischen mehr als ihre Ersatzfamilie denn als ihre Bewährungshelfer. Kingsley hatte sie in einer WG voller junger Leute in der Winkelgasse untergebracht, wo sie sich sehr wohl fühlte, und Amelia hatte ihr geholfen, sich für ihre Arbeit in der Abteilung für Internationale Beziehungen einzukleiden. Algie stand ihr mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum ging, die menschlichen und beruflichen Verflechtungen innerhalb des Ministeriums zu durchschauen und sich selber zu integrieren und als Teil des Teams zu betrachten.
Ich war angenehm überrascht, dass ihre Behinderung an ihrem Arbeitsplatz nicht weiter ins Gewicht zu fallen schien. Ihre Kollegen schienen mir sogar ziemlich angetan von ihr und ihren Kenntnissen. Von Barty Crouch hatten wir uns natürlich Einiges zu diesem Thema anhören müssen – und selbstverständlich war das der ausschlaggebende Faktor gewesen, der mich überzeugt hatte, dass Emmeline auch meiner Unterstützung bedurfte. Wie sagt man doch so schön: Mitanzuhören, wie auf dumme Weise kritisiert wird, was wir verachten, regt uns dazu an, es zu verteidigen. Das galt auch für mich und den Plan meiner lieben Kollegen, Emmeline Vance eine bürgerliche Existenz zu verschaffen. Tatsächlich war sie ein Lichtblick, während mein Dasein momentan hauptsächlich daraus bestand, mit der Sonderkomission ein Gespenst zu jagen.
In dieser Hinsicht war sie uns jedoch sehr von Nutzen. Wir zogen sie bei unseren Nachforschungen rund um die Folterszenerie in der Nockturngasse hinzu, und es stellte sich heraus, dass sie ein phänomenales Gedächtnis besaß und detaillierte Angaben machen konnte zu den Personen, die sich rund um die „Welke Rose"herumgetrieben hatten in den zwei Wochen, die sie dort verbracht hatte – dem Zeitraum, in dem das Experiment vorbereitet und durchgeführt worden sein musste. Mit etwas Glück, so hoffte ich, würden wir auf eine Spur stoßen. Tom konnte ein solches Schlachten nicht allein inszeniert haben. Er hatte Helfer gehabt, davon war ich überzeugt.
So verging die Zeit und ehe ich mich's versah, hatten wir den 30. Juni und ich konnte mich zum Gleis 9 ¾ begeben und Sev einsammeln. Weil es ihr freier Nachmittag war, fragte ich Emmeline, ob sie Lust hatte mitzukommen, und sie erklärte sich einverstanden. Alles, was mit dem Leben der nichtbehinderten Zauberer zu tun hatte, faszinierte sie – also auch, wie Kinder unter normalen Umständen aufwuchsen – und sie wollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen, einen Blick auf die Hogwartsschüler zu werfen.
Ich für meinen Teil wollte eine freundschaftliche Geste machen, weil ich mir von uns Vieren bislang am wenigsten „ein Bein herausgerissen" hatte, wie Amelia mir an gerade diesem Morgen wieder einmal unter die Nase gerieben hatte. Ich konnte nichts dafür, ich wurde nun einmal nicht leicht warm mit neuen Bekannten – und mit alten kriminellen Bekannten, die sich als neue Mitarbeiter entpuppten, schon gar nicht. Aber das hatte ich um des lieben Friedens willen natürlich nicht gesagt.
Neugierig blickte Emmeline sich um, als wir uns unseren Weg durch die Massen von Schülern bahnten, die dem Hogwartsexpress entstiegen, und lächelte in einem Fort. Es war, als versuchte sie, so viel wie möglich von dem aufzuschnappen, was sie in ihrem Leben verpasst hatte: eine normale Hexenkindheit in geregelten Bahnen mit gleichaltrigen Freunden, einer Schuluniform, an der ein Hausabzeichen prangte, und Eltern, die sie vom Gleis 9 ¾ abholen kamen.
So sehr ich suchte, ich konnte mein Nachtschattengewächs nirgends erpähen. Wir hatten aber auch nichts weiter vereinbart, obwohl es das erste Mal war, dass ich ihn hier abholte. Den vergangenen Sommer hatte er ja in der Schule verbracht. Ich überlegte, ob er bei irgendjemandem mitgefahren war und sich in der Nockturngasse hatte absetzen lassen. Bei Blacks vielleicht? Sie lebten jetzt alle in London, seit Orion Black, der Vater der Mädchen, im Frühjahr ganz plötzlich verstorben war. Elladora hatte auf Wunsch ihrer Schwiegereltern Black Manor, ihr Haus in Sussex, aufgegeben und war mit ihren Töchtern in Grimmauld Place Nr. 12 gezogen, wo der Rest der Familie wohnte.
Während ich noch hin- und herüberlegte, wie ich Sev aufspüren konnte, entdeckte ich im Gewühl ein Gesicht, das mir vage vertraut vorkam: ernste, graue Augen unter einem braunen Haarschopf. Ich erkannte den Jungen, der damals dabei gewesen war, als Sirius Black auf Sev hatte losgehen wollen. Irgendwas Lupin, wenn mich nicht alles täuschte. „Entschuldige, bitte." sagte ich.
Wie blass er war! Kaum zu glauben, dass dieses magere, erschöpft wirkende Wesen mit den Schatten unter den Augen einen großen, starken Jungen wie Sirius Black in Schach halten konnte. Ich fragte mich, ob er vor kurzem krank gewesen war oder ob ihn die Klausuren am Ende des Jahres so angestrengt hatten. „Alastor Moody."stellte ich mich vor. „Ich suche mein Ziehkind. Kennst du zufällig Severus Snape?"
Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht – etwas zwischen Verlegenheit und Unbehagen. „Ja," sagte er, ehe ich Zeit hatte, mich darüber zu wundern. „Die sitzen noch drinnen. Im vierten Abteil von hinten."
„Danke."sagte ich. Er sah drein, als wollte er noch etwas bemerken, nickte dann aber nur und ging seines Weges. Ein komischer Vogel, dachte ich, winkte Emmeline und betrat vor ihr den Zug. Im Vergleich zu dem hellen Sonnenlicht draußen, war es hier düster.
Ich hörte die beiden, bevor ich sie sah. Sevs Stimme, bitter und resigniert: „Gib dir keine Mühe, die kommen mit allem durch. Der Alte Narr geht davon aus, dass wir Slytherins schon irgendwas Furchterregendes verbrochen haben müssen, damit die Gryffindors auf uns losgehen." Und die von Bellatrix Black, die sich mir bei unserem Kennenlernen vor einem Jahr eingeprägt hatte: „Auf seine Gerechtigkeit sind wir nicht angewiesen. Sirius wird diesen Sommer seines Lebens nicht mehr froh werden, das verspreche ich."
Sie standen zwischen zwei Abteilen, ihre Umrisse der schwarzen Schuluniformen wegen nicht zu unterscheiden. Allerdings auch deswegen nicht, weil sie so nah beieinander standen. Bellatrix hatte die Arme um Sevs Hals gelegt, und seine umfassten ihre Taille. Sein Kopf neigte sich zu ihrem herunter, so dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander trennten. Für einen Moment stellte sie sich auf die Zehenspitzen und lehnte ihre Stirn an seine. Dann machte sie sich los, griff nach ihrem Zauberstab und ließ ihr Gepäck durch die Tür schweben, bevor sie selbst ausstieg.
Ich räusperte mich. Er drehte sich um. „Bin ich zu spät für deinen Geschmack, dass du mir gleich im Zug auflauerst?"fragte er.
„Mir ist gerade aufgefallen, dass wir gar nichts ausgemacht hatten, wann und wo wir uns treffen."räumte ich ein. „Ich hab einfach einen deiner Klassenkameraden gefragt, den ich draußen getroffen hab. Diesen Lupinjungen."
Sev rollte mit den Augen. „Den hast du gefragt?" Er griff nach seinem Gepäck. „Du gerätst aber auch immer an die richtigen Leute, wenn wir uns irgendwo treffen."
„Hast du was gegen ihn?"fragte ich, während ich ihm den Seesack abnahm.
„Wir drücken uns heut aber vornehm aus, Alastor. Ich kann ihn nicht riechen – das mein ich wörtlich. Wenn der in meiner Nähe ist, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Remus Lupin steht noch etwas weiter oben als Potter und Black auf der Liste ,Leute, die meiner Meinung nach aus Hogwarts fliegen sollten'."
Ich war perplex angesichts dieser geballten, unverhüllten Abneigung. Für meine Begriffe war an Lupin nichts Provozierendes. Er schien mir ein normaler, ausgeglichener Junge zu sein - sehr zurückhaltend, aber nicht unsympathisch. Sicher ein gutes Gegengewicht zu Draufgängern wie James Potter und Sirius Black. „Ist es, weil er mit den beiden andern Pfeifen befreundet ist?"
Sev lächelte über meine Ausdrucksweise. „Das kommt noch erschwerend hinzu. Aber ich hab auch so bei dem Kerl kein gutes Gefühl. Irgendwas stimmt mit dem nicht."
Draußen wartete Emmeline auf uns. „Ich hab jemanden mitgebracht."sagte ich zu Sev. „Das ist Emmeline Vance, sie arbeitet in der Abteilung für Internationale Beziehungen."
„Grüß dich."schrieb Emmeline in die Luft.
„Hallo."sagte Sev und hob vorsichtshalber auch die Hand, um sicherzugehen, dass er verstanden wurde.
„Sie hört ausgezeichnet," versicherte ich ihm, „sie kann nur nicht sprechen."
„Achso. Nett, Sie kennenzulernen."Er schien es wirklich nett zu finden. Und er lernte schnell. Als wir den Bahnhof verließen, ließ er Emmeline vor sich hergehen und nutzte die Gelegenheit, mir einen seltsamen Blick zuzuwerfen und mit seinem Zauberstab Emmeline zu imitieren und weniger geschickt aber gut lesbar die Worte zu formen: „Du hast ein ja Privatleben, Alastor. Hätte ich dir gar nicht zugetraut."Ich spielte mit dem Gedanken, ihm ein paar ins Genick zu verabreichen, doch er schloss schnell wieder zu unserer Begleiterin auf und verwickelte sie in ein Gespräch.
Lächerlich, dachte ich. Diese Kinder. Nur weil bei ihnen die Hormone verrückt spielen, übertragen sie das gleich auf alle andern. Ich jedenfalls bin aus dem Alter raus.
Und wie magisch angezogen, glitten meine Augen zurück zu Emmeline, wie sie neben dem Jungen herging und mit der ihr eigenen Perfektion den Zauberstab schwang, während sie sich unterhielten. Das grüne Shawl, das sie immer trug, sogar bei diesem warmen Wetter, schien die Farbe ihrer Augen zu reflektieren, die wie zwei Edelsteine über ihren hohen sommersprossigen Wangenknochen eingesetzt waren. Sie drehte sich um und warf mir ein Lächeln zu, das offenbar dem Inhalt des Gesprächs galt. Von dem ich kein Wort mitbekommen hatte.
Also gut, dachte ich. Sie *ist* hübsch.
~*~
Die ersten Wochen ging alles gut (abgesehen davon, dass ich in der kurzen Zeit mehr Spinat zu mir nehmen musste, als innerhalb der letzten zwei Jahre zusammen). Während ich bei der Arbeit war, feierte Sev Wiedervereinigung mit seinen Freunden von der Nockturngasse, die alle nach Durmstrang gegangen waren. Sie zeigten sich mächtig beeindruckt davon, dass man ihn eine Klasse hatte überspringen lassen. Diese Höchstleistung ihres Kumpanen musste natürlich damit gefeiert werden, dass man um der alten Zeiten willen in ein paar Läden einbrach. Aber das war nichts, was sich nicht leicht wieder in den Griff kriegen ließ.
Tatsächlich war ich so froh, das Kind wieder in Reichweite zu haben, dass ich innerhalb unserer eigenen vier Wände sogar mitlachen konnte, als Sev mir von ihren Coups berichtete. Nach außen verurteilte ich sein Treiben selbstredend auf das Schärfste und kündigte an, andere Saiten aufzuziehen. All dies schuf so etwas wie ein verstärktes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns. Und so war ich völlig unvorbereitet auf das, was mich eines Nachmittags, als ich früher von der Arbeit nach Hause kam, erwartete.
Auf dem Heimweg hatte es angefangen, heftig zu regnen, daher vergewisserte ich mich zuerst, dass alle Fenster unserer Bruchbude geschlossen waren. „Hast du's Fenster zu?" rief ich und steckte den Kopf durch die Einstiegsluke von Sevs Dachkammer. Er lag seitlich ausgestreckt auf dem Bett und schmökerte in irgendeinem dicken Wälzer, der ihm „in die Hände gefallen"sein musste, wie er das ausdrückte, wenn er irgendwo was geklaut hatte.
„Mhm,"machte er, ohne den Kopf zu heben. „Obwohl's wahrscheinlich nicht viel bringt bei dem Schweizer Käse, den du unsere Dachisolierung nennen würdest."
Ich grinste, und wollte schon wieder abtauchen, als mein Blick auf die gegenüberliegende Wand fiel. Da hingen sie. Seltsam, dass ich sie nicht schon früher bemerkt hatte. Er hatte sie bestimmt gleich nach seiner Heimkehr aus meinem Familienalbum geholt und dort angebracht.
Sev fing an zu reden, da mir die Worte fehlten. „Weißt du, was ich merkwürdig finde, Alastor?"
Ich schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen.
„Etwas, das Professor Prewett zu Professor Karkarova gesagt hat und was sie dann mir erzählt hat. Er hat nämlich gesagt, ich hätte ein fotografisches Gedächtnis. Deswegen könnte ich mir alles so gut merken, was ich für die Schule brauche. Soll ich dir jetzt mal was sagen? Es stimmt. Ich vergesse nie etwas. Ich vergesse überhaupt nichts. Ich könnte dir heute noch die Leute beschreiben, die bei unserer Sorgerechtsverhandlung im Publikum saßen – von links nach rechts oder von rechts nach links, ganz wie du möchtest. Ich kann dir jedes Buch in der obersten Reihe von Professor Dumbledores Regal gleich neben seinem Schreibtisch nennen, obwohl ich nur einmal da war. Und ich kann die Geburtstage sämtlicher Leute in meiner Stufe auswendig – du siehst, manchmal prägen sich mir Sachen ein, an denen ich eigentlich überhaupt kein Interesse habe."
Er schwang die Beine über die Bettkante und ging hinüber zu seiner Fotowand. „Was ich nun weniger einleuchtend finde, ist, dass dieses phänomenale Gedächtnis, das mir in Geschichte und Zaubertränke so gute Dienste leistet, nicht weiter zurückreicht als bis zu meinem siebten Lebensjahr. Genauer gesagt, setzt es erst da ein, als ich zu dir gekommen bin. Und bevor du irgendwas sagst, Alastor: ich weiß, dass viele Leute sich nicht an ihre frühe Kindheit erinnern können. Es steht in dem Buch da, ich hab's aus einer Muggelbibliothek. Aber bei jemandem, der wirklich ein fotografisches Gedächtnis hat, wäre so ein Blackout der frühen Jahre eigentlich nicht möglich. Das steht in etwa auch da drin."
In Gedanken versunken nahm er das Bild seines Elternhauses von der Wand, betrachtete es kurz, dann hielt er es mir hin. „In diesem Haus bin ich aufgewachsen, nicht? Es ist eine Mühle. Mit einem Mühlrad. Das ist doch ziemlich außergewöhnlich, oder? Ich wette, ich hab Tag und Nacht das Wasser rauschen gehört. Aber in meinem Kopf findet sich nichts davon. Wie hab ich das vergessen können, wenn ich mir Peter Pettigrews Geburtstag merken kann?! 18. April ist das, nebenbei bemerkt."
Er hängte das Bild zurück und griff nach dem Hochzeitsfoto seiner Eltern. „Mit ihnen ist es ähnlich."sagte er tonlos und ich musste an mich halten, nicht davonzulaufen vor dem Schmerz in seiner Stimme. „Ich sehe, dass ihre Züge in meinem Gesicht miteinander verschmolzen sind, aber soweit es meine eigene Erinnerung angeht, könnte ich genausogut das Kind ganz anderer Leute sein. Und dabei habe ich ein fotografisches Gedächtnis. Und ich war schon sechs, als ich sie verloren habe. Ich sollte doch *irgendetwas* noch wissen!"Er hängte das Foto wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weißt du, Alastor, wenn ich nicht gleich den Teufel an die Wand malen und vermuten will, dass *jemand*" er sah mich durchdringend an „einen Erinnerungszauber an mir vorgenommen hat, bleibt eigentlich nur noch eine andere Lösung."Er beugte sich zu dem Buch hinunter und reichte es mir herüber, auf eine unterstrichene Stelle deutend. „Hier. Lies das."
Ich tat es. „Der menschliche Verstand kann sich vor extremer Belastung schützen, indem er verdrängt, was zu schlimm zu ertragen wäre." Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, ich konnte nicht mehr weiterlesen. Ahnte Sev eigentlich auch nur im Entfernstesten, wie sehr ich ihn um sein Nichtwissen beneidete? Was ihm erspart blieb durch den Verlust seiner Erinnerungen? Ich wollte sagen, dass es mir Leid tat. Dass ich immer nur sein Bestes gewollt hatte, und dass er zufrieden und unbeschwert aufwachsen konnte. Aber ich machte meine Sache offenbar nicht besonders geschickt, wenn er mit diesem fiebrigen Eifer seinem eigenen Untergang hinterherjagte.
„Ja,"sagte Sev leise. „Ich glaube, man braucht kein Genie zu sein, um zu erraten, dass mein Gedächtnisverlust und der Tod meiner Eltern irgendwie zusammenhängen."
Nein. Und ich war ein schlechter Lügner, hatte nicht unbefangen genug reagiert beim Anblick der Fotos, um ihm jetzt noch einreden zu können, er leide an Hirngespinsten. Aber das hätte er sich vermutlich sowieso nicht erzählen lassen. Noch war er ein Kind, gerademal zwölf unter lauter Dreizehnjärigen. Aber er würde älter werden, volljährig. Schon sehr bald. Mit 18 sein Erbe antreten, das bei Gringotts für ihn hinterlegt worden war. Mit 21 Einsicht in die Ministeriumsakten über seine Eltern verlangen. Wie es dann weiterging, konnte ich bestenfalls mit ahnungsvollem Schrecken vermuten. Wenn... Ich wandte den Kopf und hatte Sevs Zauberstab im Gesicht.
„Okay, tragen wir die Sache aus."Von seiner schmerzlichen, grüblerischen Stimmung war nichts mehr geblieben. Seine Schwarzaugen funkelten vor Energie.
„WAS willst du?!"raunzte ich.
„Ich will mich mit dir schlagen. Ein standesgemäßes Duell."
Da hörte sich doch wohl alles auf. „Standesgemäß! Blasen sie euch diesen Blödsinn in eurer Schlangengrube ins Hirn?"
„Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, regeln wir die Dinge eben auf andere Weise."Seine stechenden schwarzen Augen bohrten sich in meine. „Und es kümmert mich nicht, wie hoch der Prozentteil an Slytherins war unter den Leuten, die du nach Askaban gebracht hast – ich gehöre dazu und wer mein Haus beleidigt, beleidigt mich!"
Da hatte er also in seinen Augen zwei Gründe, mir an die Kehle zu gehen. Entzückend.
„Also los,"sagte ich. „Hauen wir ab."
„Wohin?"Nun blickte er leicht verunsichert.
Ich unterdrückte ein Grinsen. Die Welt sah bereits freundlicher aus. „Wirst du schon sehen. Jetzt mach, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
~*~
Zwei Stunden später las ich ihn vom Boden auf.
Vom „Tropfenden Kessel" aus betrachtet, lag die Trainingsakademie der Auroren am genau entgegengesetzten Ende der Winkelgasse, nicht weit von da, wo meine Eltern, meine kleine Schwester und ich uns nach unserer Rückkehr aus Frankreich einquartiert hatten. Nicht erst mit dem Tod meiner Eltern war das hohe Gebäude mit den vielen Fenstern zu einem Faszinationsobjekt für mich geworden. Heute hatte ich irgendwie das Bedürfnis, Sev einen kleinen Eindruck von dem zu vermitteln, was es bedeutete, hier aufgenommen zu werden. Die in Großbritannien ausgebildeten Auroren gehörten erfreulicherweise zu den besten der magischen Welt.
Meine ehemaligen Lehrer erlaubten mir ausnahmsweise, eine der kleineren Trainingshallen zu benutzen. Sev galten einige neugierige Blicke, doch niemand stellte meine Erziehungsmethoden infrage. Ich hätte ihnen in meiner augenblicklichen Laune auch klar und deutlich gesagt, wo sie sich ihre Kritik hinstecken konnten.
„Auf drei,"verkündete ich dramatisch, als wir uns in der kleinen Halle mit erhobenen Zauberstäben gegenüberstanden. „Eins - - - Zwei - - - "
Natürlich schoss er an der Stelle schon den ersten Fluch auf mich ab. Insgeheim war ich froh, dass es sich um etwas so harmloses wie einen Kitzelfluch handelte, ich konnte ihn nämlich nicht mehr ablenken. Rasch zog ich ihm die Beine weg, befreite mich von seinem Zauber und hatte wieder Oberwasser.
Das Duell wurde schnell heftiger und Sev verabschiedete sich von den harmlosen, dem Hogwarts-Duellierclub angemessenen Flüchen. Er hatte sich, seit er die Nockturngasse verlassen hatte, anscheinend stetig fortgebildet, um weiter mit seinen Freunden, die Durmstrang besuchten mithalten zu können. Eine Menge seiner Flüche waren neu oder ich hatte sie ihn zumindest nie benutzen sehen. Kein Wunder, dass er sich seinen angestammten Platz unter der Nockturnjugend so mühelos zurückerobert hatte.
Nachdem ihn mein letzter Fluch zu Boden geworfen hatte, blieb er schwer atmend und mit geschlossenen Augen auf der Trainingsmatte liegen. Noch erwiderte ich seine Attacken ohne Schwierigkeiten, aber ich fragte mich, wieviele Jahre das noch so sein würde. Das Kind hatte Potenzial. Die Angewohnheit, sich mit Duellen von den Problemen des Lebens abzulenken hingegen, bereitete mir Sorgen. Aber was konnte ich schon sagen? Ich musste froh sein, dass die Sache so glimpflich für mich abgelaufen war. Sev hatte seine Wut in diesem Duell verpulvert und wirkte jetzt erschöpft, aber gelassen. Zum vielleicht tausendsten Mal fragte ich mich mit genausoviel Erfolg wie üblich, was beim Barte Merlins in ihm vorging.
Beim Verlassen meiner alten Akademie begegneten wir der letzten Person, die ich hier anzutreffen erwartet hätte. Lucius Malfoy heuchelte gleichfalls Erstaunen, als käme es einer Sensation gleich, in einer Aurorenakademie einem Auroren über den Weg zu laufen. Jedoch wechselten wir kein Wort. Sein ganzes Augenmerk galt Sev, der müde neben mir herstolperte.
„Hallo, Sevy."
„Hallo, Lucy."grüßte mein empfindliches Ziehkind, das diesen Spitznamen nicht ausstehen konnte, zurück, allerdings leise genug, dass der Angesprochene – wie nennt man das in Slytherin? – sein Gesicht wahren konnte. Lucius Malfoy verstand zu meiner Überraschung Spaß und gab Sev nur eine Kopfnuss, bevor er in der Akademie verschwand.
„Was kann er hier wollen?"fragte Sev mich, die Stirn in Falten gelegt. Ich zuckte die Achseln, ebenso ratlos wie er. Andererseits gab es Wichtigeres, worüber man sich den Kopf zerbrechen konnte, als wo die Malfoys ihre Freizeit abfeierten.
Wir hatten zur Abwechslung mal Spinat zum Abendessen, und später verabschiedete sich Sev, sichtlich wiederbelebt, in Richtung seiner Clique. „Alastor? Ich bin mal kurz drüben bei Wendeline's."Das Café war einer der Haupttreffpunkte der Nockturnjugend.
Ich steckte den Kopf aus der Küche: „Gehst du zu Fuß?"
Sev hielt an der Haustür inne. „Nee, weißt du, ich nehm den Fahrenden Ritter. Natürlich geh ich zu Fuß."Er trat vor die Tür und krachte dort in irgendjemanden hinein, der es wagen wollte, uns zu belästigen. „Oh, hoppla!"ließ das Kind sich vernehmen.
Bei unserem Besucher handelte es sich um einen ungehobelten Zeitgenossen. „Sag mal, du Rotzlöffel, kannst du nicht aufpassen? Und dann entschuldigst du dich nicht mal!"
„Ich hab doch gesagt: ‚Oh, hoppla!'"gab Sev unverfroren zurück und ging seiner Wege. Es war also wieder mal an mir, die Wogen zu glätten. Jedermanns Eindruck von mir schien neuerdings bei dem Jungen anzufangen – und ich konnte nicht behaupten, dass mir diese Entwicklung gefiel.
„Grüß dich, Alastor."Zum Glück war es nur Algie, über den Sev seinen Charme versprüht hatte. Jetzt kam es mir auch eher so vor, als hätten die beiden sich einen Spaß daraus gemacht. Hinter ihm betrat Emmeline meine bescheidene Hütte und winkte zu mir herüber, offensichtlich zu faul, den Zauberstab zu ziehen.
„Oh, ihr seid's."meinte ich erleichtert und führte sie ins Wohnzimmer. „Hatte ganz vergessen, dass wir für heute abend was ausgemacht hatten." Algie ließ sich gleich in einen der Sessel sinken und seufzte wohlig. Emmeline inspizierte gebannt meine Büchersammlung. Ich kochte Tee, holte ein Glas mit Honignüssen aus dem Schrank und gesellte mich zu ihnen.
„Wie läuft's, Emmeline?"fragte ich freundlich. Sie zuckte lächelnd die Achseln, während sie sich eingehend mit ihrer Teetasse beschäftigte. Algie sprang für sie ein. „Wie soll's einem schon gehen, wenn man einen Arbeitstag umgeben von lauter Malfoys hinter sich hat?"
„Wirklich so schlimm?"fragte ich.
„Es ging." schrieb sie. „Ist nur etwas peinlich, wenn du deinen Vorgesetzter und Tristan Malfoy mit einem Beutel voller Gold beobachtest, der gerade den Besitzer wechselt."
„Oh."
„Das ist noch nicht die Hauptsache."informierte mich Algie und meinte zu Emmeline: „Erzähl ihm von der Delegation."
Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, als sie wieder nach ihrem Zauberstab griff. Urplötzlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, wie ihr Haar sich anfühlte. Es sah weich und wollig aus, sogar wenn sie es wie jetzt zu einem straffen Zopf gebändigt hatte. „Lucius Malfoy hat sich anscheinend freiwillig gemeldet zu der Delegation, die das Ministerium nach Durmstrang schicken will. Du weißt doch?"
„Diese Schule, die die russischen Exilanten vor zehn Jahren oder so gegründet haben."erklärte Algie. „Zu Beginn des neuen Schuljahrs soll dort ein internationaler Empfang stattfinden und wir schicken auch ein paar Leutchen hin."
„Aber Malfoy!"hob Emmeline hervor. „Das ist total witzlos, er hat letzten Sommer erst angefangen, genausogut hätten sie mich schicken können."
Ich stimmte ihr zu. Da Malfoys nichts ohne einen guten Grund unternahmen, konnte man davon ausgehen, dass Tristan seinen Sohn aus besonderem Anlass nach Durmstrang geschickt hatte. War das Gold dafür bestimmt gewesen? Die Schwarzhundertschaft, das russische Äquivalent zu den Rittern von Walpurgis, sollte angeblich in Durmstrang recht aktiv sein. Was konnte man auch anderes erwarten? Die junge Regierung in Moskau hatte nie etwas Intelligenteres getan, als diese Leute des Landes zu verweisen, dachte ich säuerlich. Suchte Tristan nach Gleichgesinnten? Aber warum zu diesem Zeitpunkt? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit unserem großen, rätselhaften Fall zu tun hatte.
Die Türschelle riss mich aus meinen Gedanken. „Entschuldigt mich kurz," sagte ich zu meinem Besuch, eilte in die Diele und riss die Haustür auf.
„Borgin."sagte ich nur. Spöttisch zog der Mann seinen Hut. „Severus ist nicht da."meinte ich selbstsicher und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was Sie auch wollen, er hat's nicht getan."Das konnte ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen – immerhin befand sich das Balg schon eine gute halbe Stunde außerhalb meines Wirkungsbereichs. Theoretisch hätte er, während ich mit Algie und Emmeline plauderte, Zeit gehabt, die halbe Gasse abzufackeln.
Borgin lächelte ölig. „Über die Ouroborus-Augen, die aus dem Korb neben meiner Tür fehlen, können wir uns ein andermal unterhalten, Mr. Moody. Wegen Ihrem Jungen bin ich auch nicht hergekommen."
Wir erlebten zweifellos eine Weltpremiere, dachte ich. „Weswegen dann? Ist Ihnen plötzlich aufgegangen, dass ein Leben fernab der Rechtschaffenheit keinen Sinn macht und Sie zu mir eilen und sich freiwillig stellen sollten?"
Er lachte. „Ach, es hat schon was mit meinen Pflichten als aufrechter Bürger zu tun. Bitten Sie mich doch rein, Mr. Moody, dann erzähl ich Ihnen was, das Ihr Leben leichter machen wird."
Ich seufzte und zog mich in den Hausflur zurück. Drinnen erlebte ich die Befriedigung mitanzusehen, wie Borgin die Kinnlade aufklappte, als er Emmeline in Aurorenbegleitung mitten in meinem Wohnzimmer sitzen sah. Fassungslos fuhr er herum und glotzte mich an, aber ich zuckte nur lächelnd die Achseln. „Ich sehe, Sie kennen die neue Untersekretärin der Abteilung für Internationale Beziehungen, Emmeline Vance." Emmeline hob huldvoll grüßend die Hand. „Und Algie Longbottom kennen Sie natürlich auch. Bitte." Ich deutete auf einen freien Sessel, in den Borgin sich so bereitwillig sinken ließ, als gäben seine Beine von selber nach. „Was haben Sie denn für mich?"wollte ich wissen.
Borgin riss mühsam den Blick von Emmeline los und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Hab gehört, Sie suchen Augenzeugen für die Zeit vor... naja, vor dem Vorfall in der ,Welken Rose'."Wieder blickte er ungläubig zu Emmeline hinüber, die milde zurücklächelte.
„Wir wollen wissen, wer da in dem Teil der Gasse ein- und ausgegangen ist zu dem Zeitpunkt, als wir da waren und bis zu zwei Wochen davor." präzisierte ich.
„Na, dann machen Sie sich mal auf einen kleinen Schock gefasst, Mr. Moody. Sie kennen sie, Sie sind mit ihr in die Schule gegangen."
„Mit *ihr*?"wiederholte ich. Bei der Person, der ich die Täterschaft hatte nachweisen können, handelte es sich um ein männliches Wesen, und ich wollte nicht hoffen, dass noch mehr alte Schulkollegen in diese unsägliche Angelegenheit verwickelt waren. Dann traf es mich wie ein Schwall Eiswasser: Minnie...
„Jetzt machen Sie's nicht so spannend."verlangte Algie.
„Miss Seeley war's, Mr. Moody." verkündete Borgin. „Elladora Seeley, die jetzige Mrs. Orion Black. Kürzlich verwitwet, wenn mich nicht alles täuscht."
Im ersten Moment war ich einfach nur schwindlig vor Erleichterung und über die Maßen verlegen, weil ich ausgerechnet Minnie so eine Nummer zugetraut hatte. Sie war die letzte, die sich von Tom in irgendwas verwickeln lassen würde – und dafür gab es gute Gründe. Sie hatte mein Misstrauen nicht verdient.
Elladora Black. „Soso,"murmelte ich. Vor meinem inneren Auge erschien das Bild der jungen Ella, die nach einem eher mittelprächtigen Schulabschluss aus dem Nichts eine fulminante Karriere im Komitee für Experimentalzauberkunst gestartet hatte. Die – inzwischen Ehefrau von Orion und Mutter dreier kleiner Prinzessinnen – als Autorin von „Die Entwicklung der Unverzeihlichen Flüche"vor das Wizengamot gerufen worden war und ihr Werk dort mit solcher Standfestigkeit verteidigte, dass ihr ein Ehrenplatz in der Chronik des Dunklen Ordens für immer gesichert schien. Elladora, die das hübscheste Mädchen unseres Jahrgangs gewesen war, sogar schöner als Minnie, mit ihrer Flut leuchtend goldener Haare und den schwerlidrigen Schlafzimmeraugen – denen ihrer jüngsten Tochter Bellatrix so ähnlich bis hin zu dem impertinenten Augenaufschlag, den sie schon gehabt hatte als sie 15 und Slytherins *andere* Vertrauensschülerin gewesen war. Neben Tom Riddle.
Diese Information eröffnete ganz sicher interessante Perspektiven. „Danke, Borgin."sagte ich. „Damit können wir ganz sicher was anfangen."
„Ich helf doch gern."witzelte mein unerfreulicher Nachbar, schnellte von meinem Sessel empor und ließ sich von mir zur Tür bringen.
„Ja,"murmelte Algie, als ich zurückkam. „Damit haben wir uns in eine Sackgasse manövriert."
Ich sagte nichts, ich wusste, dass er recht hatte. Wenn wir die frisch verwitwete, gramgebeugte Frau vorluden oder gar ihr Haus unsicher machten, waren wir so gut wie tot. Ähnlich wie die Malfoys glaubten sich auch die Blacks gewissermaßen über dem Gesetz. Und was das Frustrierendste an ihrem Dünkel war: Sie hatten völlig recht. Keiner in diesem Land konnte es sich mit den Blacks verscherzen. Sie hatten überall ihre Finger drin. Was Borgin geritten hatte, diese Information preiszugeben, wollte mir nicht in den Kopf, doch ich zweifelte nicht an seinem Wort.
„Verdammt!"flüsterte ich. Schlanke, kühle Finger schoben sich in meine. Ich wandte den Kopf und sah Emmeline aus ihren weitgeöffneten Smaragdaugen zu mir aufblicken.
„Keine Sorge."schrieb sie mit der freien Hand. „Wir finden eine andere Spur und alles wird sich aufklären. Wir werden sie zur Verantwortung ziehen."
„Das werden wir."nickte ich dankbar und widerstand mit Mühe der für mich untypischen Versuchung, ihr über die Wange zu streichen.
~*~
Algie und Emmeline verabschiedeten sich kurz darauf. Es wurde dunkel und wir alle hatten einen anstrengenden Tag vor uns. Seltsam K. O. schleppte ich mich ins Badezimmer – und stieß dort auf Sev, der in der Wanne lag.
„Wie kommst du denn hierher?"fragte ich perplex.
„Bin durchs Fenster eingestiegen."setzte er mich in Kenntnis.
„Und wieso machst du so was? Wir haben Türen in diesem Haus."
Er lächelte verschwörerisch. „Hätte ja sein können, dass ich was unterbreche. Ich wollte die traute Zweisamkeit nicht stören."
„Zweisamkeit? Wir waren zu dritt, das weißt du doch."
„Oh."machte er enttäuscht. „Ich dachte, Algie würde von selber was merken."
„Was merken?"Wie der Trottel, der ich nach Meinung meines Ziehsohnes war, konnte ich nur jedes Wort wiederholen, das mir nicht einleuchtete.
„Dass sein Typ heute abend nicht verlangt ist."
„Also – "
„Auf deine Freunde ist aber auch gar kein Verlass."maulte er.
„Hör mal, wir versuchen hier einen Fall aufzuklären. Damit sind wir erst mal ausgelastet, auch ohne deine Einfälle."Ungehalten stürmte ich aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer, fläzte mich in einen Sessel und führte mir noch ein Schlückchen zu Gemüte.
Prompt erschien das Kind in seinen Bademantel gehüllt in der Tür. Sein nasses schwarzes Haar wirkte sauerkrautähnlicher denn je, aber ich wusste, dass ich ihm mit einem neuen Haarschnitt gar nicht zu kommen brauchte. Sowie ich dergleichen andeutete, würde er vermutlich einen Bluteid schwören, sich nie mehr die Haare zu schneiden. „Alastor," meinte er gewichtig. „Wann war eigentlich dein letztes Rendezvous?"
„Ich glaub, dir geht's zu gut."
„Das war doch mit dieser entsetzlichen Schreckschraube aus der Abteilung für Magische Geschöpfe, wenn mich nicht alles täuscht."
„Halt dich mit deiner Ausdrucksweise gefälligst etwas zurück!" schnaubte ich. Er ließ sich in den Sessel mir gegenüber fallen.
„Ach komm, heute bist du froh, dass ich sie vergrault hab, das wissen wir doch beide. Wenn es auf dieser Welt Frauen wie Emmeline Vance gibt, wer wird da einer Vettel nachtrauern, die aussah, als wär sie aus der Abteilung für Magische Geschöpfe *entlaufen*?!"Er strahlte mich liebenswürdig an. „Emmeline ist doch 'ne Wucht, findest du nicht auch?"
„Ich könnte ihr Vater sein, falls es dir nicht aufgefallen ist." grummelte ich. Ein triumphierendes Grinsen erschien auf dem Gesicht des Jungen. Ich verdammte mich im Stillen für eine Antwort, die verriet, dass ich mich mit dem Thema bereits befasst hatte.
„Du bist es aber nicht, nur das spielt eine Rolle. Und wenn ich dir mal einen Rat geben darf, so von Mann zu Mann – "
Von vorlautem Wicht zur schwerschuftendem Auror, dachte ich und konnte nicht fassen, dass ich mir das auch nur eine Sekunde lang anhörte.
„Das Leben ist kurz. Du bist vielleicht nicht von der schnellen Truppe in solchen Sachen, aber das wär schon irgendwie bitter, wenn du auf deinem Totenbett dereinst dieser verpassten Möglichkeit nachtrauern müsstest, bloß weil der Vorschlag von mir kam."
„Severus – "begann ich warnend.
„Also, mir scheint Emmeline ziemlich vollkommen. Sie ist hübsch, sie ist nett, sie hat sogar was in der Birne – die Kombination ist selten, kann ich dir sagen."
„Dann heirate du sie doch!"platzte ich heraus. „Also verdammt nochmal."
„Ich hab schon ne Freundin, Alastor."
Ich tat, was ich konnte, um nicht neugierig zu wirken, aber es war anscheinend nicht genug. Sevs Schwarzaugen lachten mich aus. Ich konnte ihn ja nicht gut über seinLiebesleben aushorchen, wenn ich gleichzeitig mein eigenes unter Verschluss halten wollte. Meine Güte, hatten es die Kinder heutzutage eilig. Sev war zwölf, Bellatrix dreizehn – in dem Alter hätte ich noch nicht mal im Traum... naja gut, dran *gedacht* vielleicht schon. Und ich bezweifelte, dass sie schon weit fortgeschritten waren auf ihrem Entwicklungsweg zu einem Liebespaar. Aber was ging es mich an? Es konnte hier nur eine mögliche Erwiderung geben. „Solang du deine Quadratlatschen unter meinem Tisch hast, hältst du dich aus meinem Liebesleben raus, verstanden?"
„Ist ja auch kein Beinbruch, sich aus etwas rauszuhalten, was de facto nicht existiert."neckte er mich. Bevor ich mich zu irgendeiner Reaktion hinreißen lassen konnte, die ich später bereuen würde, sprang ich auf und stapfte auf das freigewordene Badezimmer zu. Dort wäre mir wenig später vermutlich klar geworden, wie seltsam es war, dass das Kind keinen einzigen Versuch mehr unternahm, auf unsere Vorgeschichte zu sprechen zu kommen und die sogenannte Wahrheit aus mir herauszupressen. Beides wurde zunichte durch die Bemerkung, die mir von Sev leise nachgeworfen wurde.
„Ich bin praktisch immer allein."
„Was sagst du?"Ich war im ersten Moment nicht sicher, ob ich das richtig verstanden hatte.
„Auf den Fotos. Ich bin immer allein abgebildet. Ein oder zweimal auch mit meinem Dad. Aber mit meiner Mum nie. Warum gibt es keine von ihr und mir?"
Die Hand am Türknauf drehte ich mich noch einmal um. „Weil da nichts zu sehen ist." ____________________________________________________________________________ ______________
Nächstes Kapitel: die älteren Hogwartsschüler machen in den Weihnachtsferien einen Ausflug in die Winkelgasse, um eine Rede des Ministers anzuhören und dann... tja. Nur so viel: es gibt jede Menge Lärm, Sachbeschädigung, Tote und Verletzte, Alastor stößt etwas Schlimmes zu und Bellatrix trifft eine Entscheidung fürs Leben.
Wir machen es so: ich warte, bis ich mindestens 5 Reviews beieinander hab, dann wird upgedatet. Ja, ich weiß, dass das Erpressung ist. Aber es gibt nun mal nichts besseres als feedback von der größtenteils unbekannten Leserschaft da draußen zu kriegen. Lasst was hören, Leute, ich freu mich drauf! :)
Author's Note: Wunderbar, wie ihr mir treu bleibt, Leute. Heißen Dank an sepia, cara, Cessilie & Loony!
Sepia: Du hast recht, es fehlt noch einiges, zumindest für die Kellerangelegenheit, was man wissen muss, um auf die Lösung zu kommen.
Cessilie: Prima, dass Du Dich mal wieder meldest. Was Bellatrix angeht: Es kommt ja niemand böse und geistesgestört auf die Welt. In Kapitel 3 ist sie 12 und ich stelle sie mir unheimlich clever, charmant und selbstbewusst vor.
Loony: Du bist voll intelligent, weißt Du das? Eine sehr schlaue Vermutung, geht in die richtige Richtung, allerdings ist es nicht ganz so wie Du denkst. (Es ist viel schlimmer.)
Und weiter geht's. Alastor versucht zur Normalität zurückzukehren, Sev kommt auf bizarre Ideen und die feine reinblütige Gesellschaft dreht krumme Dinger. Aber sonst ist alles wie immer - ____________________________________________________________________________ ______________
6. Kapitel: Feuriger Sommer
Albus machte ernst und kehrte die bürgerliche Identität von Lord Voldemort unter den Teppich. Seine Befürchtungen erschienen mir real genug und wie immer, wenn mir vor Verwirrung der Kopf dröhnte, verließ ich mich auf sein Urteil. Zumal ich auch nicht besonders scharf darauf war zu bekennen, dass ich in meiner Schulzeit neben der treibenden Kraft hinter all unseren jetzigen Schwierigkeiten gesessen hatte. Folglich drang so gut wie nichts von dem, was in jener Nacht unter alten Bekannten gesprochen worden war, nach draußen.
Sie kassierten mich ein, als ich am frühen Morgen ins Ministerium zurücktaumelte, und unterzogen mich einer ganzen Reihe von Verhören, in denen ich mich auf das beschränkte, worauf es ankam: Voldemort hatte sich zu den Experimenten in der Nockturngasse bekannt und erklärt, dass er nicht beabsichtige, in Bälde von seinem Tun abzulassen. Meine Kollegen und Vorgesetzten waren beeindruckt genug, eine Sonderkomission von Auroren zusammenzustellen, die sich mit der Sache befassen sollte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, reizt mich diese Mischung aus Eifer und Gelassenheit zum Lachen. Eine Sonderkomission. Gegen Du-weißt-schon-wen. Die würde es ihm aber zeigen!
Etwa eine Woche nach meinem nächtlichen Besuch schickte Minnie mir eine knappe Notiz, dass Albus mit ihr gesprochen hatte. Ebenso vorsichtig schrieb ich zurück, bemüht, nicht mein Beileid auszudrücken. Das hätte sie mit Sicherheit nicht gut aufgenommen. Dabei erstickte ich fast an meinem schlechten Gewissen, dass ich nicht selbst mit ihr gesprochen hatte. Sie war meine besten Freundin, der zweitwichtigste Mensch in meinem Leben. Ich hatte sie geliebt seit unserer Kindheit. Ich hätte mir nie vorstellen können, eine andere zu heiraten. Und irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass jeder Slytherin in einer solche Lage mehr Zuwendung und Unterstützung aufgebracht hätte.
Nach unserem Schulabschluss hatten wir uns mehrere Jahre nicht gesehen, aber als sie Ende der 50er nach Hause zurück kam und mit Albus' Hilfe wieder in die magische Gemeinschaft eingebürgert wurde, hatte ich geglaubt, zwischen uns könnte alles wieder so werden wie früher. Das war ein Irrtum gewesen, wie ich dann hatte erkennen müssen – als Ada und Alexander starben. Ich wäre nicht so weit gegangen zu behaupten, dass sie mich (uns) im Stich gelassen hatte. Aber sie hatte sich damals in etwa so verhalten... ja, wie ich es jetzt tat.
Unterdessen begann das Jahr 1972. Das Ministerium sah keinen Grund, die Bevölkerung in Panik zu versetzen, wenn noch gar nicht abzusehen war, wohin der Weg dieses neuen Feindes führen würde. Aber natürlich lag trotzdem irgendetwas in der Luft. In kleinen Gemeinden wie unserer fällt es ohnehin schwer, irgendetwas geheimzuhalten, weil so gut wie jeder Verwandte oder Bekannte hat, die in der Verwaltung beschäftigt sind. Etwas sickert immer durch, und so war es in diesem Fall auch.
Sev korrespondierte eifrig nach Hause, wobei in seinen Briefen hauptsächlich vom Duellierclub die Rede war, dem beizutreten man ihm „endlich"erlaubt hatte. Einmal jedoch fragte er mich geradeheraus: „Bei uns kursieren Gerüchte, dass ihr (Tintenklecks) einem mächtigen schwarzen Magier auf der Spur seid, ihn aber nicht dingfest machen könnt. Er soll einen ganzen Keller Leute umgebracht haben, stimmt das?"
Er sagte nicht, ob „bei uns"bedeutete: bei uns in Slytherin oder Hogwarts im Allgemeinen. Man konnte jedoch davon ausgehen, dass die Slytherinjugend in politischen Dingen stets einen Tick besser informiert war als der Rest der Schule. Für Slytherins gehörte es zum guten Ton, ihre Kinder frühzeitig in alles einzubeziehen, damit sie später in die Fußstapfen ihrer Eltern treten konnten, und die Kinder übten sich von klein auf darin durch die andauernden Diskussionen und Intrigen, für die das Haus der Gerissenen und Berechnenden bekannt ist. Slytherins sind die geborenen Politiker, das weiß ich, weil ich mit welchen befreundet war und mir oft kindlich und zurückgeblieben vorkam, wenn Tom und Alexander loslegten. Meine Pläne, Auror zu werden und gegen das Böse zu kämpfen, das meine Familie ausgelöscht hatte, nahmen sich blass aus gegen ihr abgeklärtes Insiderwissen.
Ich dachte an Sevs Freunde. Ramona Lestrange, die Mutter von Rodolphus und Rabastan, war Leiterin der Mysteriumsabteilung, und auf diese Art in so ziemlich alle Absprachen auf höchster Ebene eingeweiht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie ihre Söhne nach den Weihnachtsferien hatte in die Schlangengrube zurückkehren lassen, ohne dass sie das eine oder andere mit auf den Weg bekommen hatten. Und ich war mir ziemlich sicher, dass Lucius Malfoy, der im Sommer vergangenen Jahres in der Abteilung für Internationale Beziehungen angefangen hatte, in Briefkontakt mit Bellatrix Black stand. Er war mit ihrer älteren Schwester verlobt, hatte Emmeline mir erzählt, und schien der Familie überhaupt ziemlich nahe zu stehen. Von den Blacks hatte ja Merlin sei Dank niemand ein Ministeriumsamt inne. Was sie nicht davon abhielt, sich ähnlich wie Tristan Malfoy auf anderem Wege Einfluss zu verschaffen.
Emmeline hatte sich übrigens mit Feuereifer in ihr neues Leben gestürzt. Die Wendung, die ihr Schicksal genommen hatte, begeisterte sie. Wir fungierten inzwischen mehr als ihre Ersatzfamilie denn als ihre Bewährungshelfer. Kingsley hatte sie in einer WG voller junger Leute in der Winkelgasse untergebracht, wo sie sich sehr wohl fühlte, und Amelia hatte ihr geholfen, sich für ihre Arbeit in der Abteilung für Internationale Beziehungen einzukleiden. Algie stand ihr mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum ging, die menschlichen und beruflichen Verflechtungen innerhalb des Ministeriums zu durchschauen und sich selber zu integrieren und als Teil des Teams zu betrachten.
Ich war angenehm überrascht, dass ihre Behinderung an ihrem Arbeitsplatz nicht weiter ins Gewicht zu fallen schien. Ihre Kollegen schienen mir sogar ziemlich angetan von ihr und ihren Kenntnissen. Von Barty Crouch hatten wir uns natürlich Einiges zu diesem Thema anhören müssen – und selbstverständlich war das der ausschlaggebende Faktor gewesen, der mich überzeugt hatte, dass Emmeline auch meiner Unterstützung bedurfte. Wie sagt man doch so schön: Mitanzuhören, wie auf dumme Weise kritisiert wird, was wir verachten, regt uns dazu an, es zu verteidigen. Das galt auch für mich und den Plan meiner lieben Kollegen, Emmeline Vance eine bürgerliche Existenz zu verschaffen. Tatsächlich war sie ein Lichtblick, während mein Dasein momentan hauptsächlich daraus bestand, mit der Sonderkomission ein Gespenst zu jagen.
In dieser Hinsicht war sie uns jedoch sehr von Nutzen. Wir zogen sie bei unseren Nachforschungen rund um die Folterszenerie in der Nockturngasse hinzu, und es stellte sich heraus, dass sie ein phänomenales Gedächtnis besaß und detaillierte Angaben machen konnte zu den Personen, die sich rund um die „Welke Rose"herumgetrieben hatten in den zwei Wochen, die sie dort verbracht hatte – dem Zeitraum, in dem das Experiment vorbereitet und durchgeführt worden sein musste. Mit etwas Glück, so hoffte ich, würden wir auf eine Spur stoßen. Tom konnte ein solches Schlachten nicht allein inszeniert haben. Er hatte Helfer gehabt, davon war ich überzeugt.
So verging die Zeit und ehe ich mich's versah, hatten wir den 30. Juni und ich konnte mich zum Gleis 9 ¾ begeben und Sev einsammeln. Weil es ihr freier Nachmittag war, fragte ich Emmeline, ob sie Lust hatte mitzukommen, und sie erklärte sich einverstanden. Alles, was mit dem Leben der nichtbehinderten Zauberer zu tun hatte, faszinierte sie – also auch, wie Kinder unter normalen Umständen aufwuchsen – und sie wollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen, einen Blick auf die Hogwartsschüler zu werfen.
Ich für meinen Teil wollte eine freundschaftliche Geste machen, weil ich mir von uns Vieren bislang am wenigsten „ein Bein herausgerissen" hatte, wie Amelia mir an gerade diesem Morgen wieder einmal unter die Nase gerieben hatte. Ich konnte nichts dafür, ich wurde nun einmal nicht leicht warm mit neuen Bekannten – und mit alten kriminellen Bekannten, die sich als neue Mitarbeiter entpuppten, schon gar nicht. Aber das hatte ich um des lieben Friedens willen natürlich nicht gesagt.
Neugierig blickte Emmeline sich um, als wir uns unseren Weg durch die Massen von Schülern bahnten, die dem Hogwartsexpress entstiegen, und lächelte in einem Fort. Es war, als versuchte sie, so viel wie möglich von dem aufzuschnappen, was sie in ihrem Leben verpasst hatte: eine normale Hexenkindheit in geregelten Bahnen mit gleichaltrigen Freunden, einer Schuluniform, an der ein Hausabzeichen prangte, und Eltern, die sie vom Gleis 9 ¾ abholen kamen.
So sehr ich suchte, ich konnte mein Nachtschattengewächs nirgends erpähen. Wir hatten aber auch nichts weiter vereinbart, obwohl es das erste Mal war, dass ich ihn hier abholte. Den vergangenen Sommer hatte er ja in der Schule verbracht. Ich überlegte, ob er bei irgendjemandem mitgefahren war und sich in der Nockturngasse hatte absetzen lassen. Bei Blacks vielleicht? Sie lebten jetzt alle in London, seit Orion Black, der Vater der Mädchen, im Frühjahr ganz plötzlich verstorben war. Elladora hatte auf Wunsch ihrer Schwiegereltern Black Manor, ihr Haus in Sussex, aufgegeben und war mit ihren Töchtern in Grimmauld Place Nr. 12 gezogen, wo der Rest der Familie wohnte.
Während ich noch hin- und herüberlegte, wie ich Sev aufspüren konnte, entdeckte ich im Gewühl ein Gesicht, das mir vage vertraut vorkam: ernste, graue Augen unter einem braunen Haarschopf. Ich erkannte den Jungen, der damals dabei gewesen war, als Sirius Black auf Sev hatte losgehen wollen. Irgendwas Lupin, wenn mich nicht alles täuschte. „Entschuldige, bitte." sagte ich.
Wie blass er war! Kaum zu glauben, dass dieses magere, erschöpft wirkende Wesen mit den Schatten unter den Augen einen großen, starken Jungen wie Sirius Black in Schach halten konnte. Ich fragte mich, ob er vor kurzem krank gewesen war oder ob ihn die Klausuren am Ende des Jahres so angestrengt hatten. „Alastor Moody."stellte ich mich vor. „Ich suche mein Ziehkind. Kennst du zufällig Severus Snape?"
Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht – etwas zwischen Verlegenheit und Unbehagen. „Ja," sagte er, ehe ich Zeit hatte, mich darüber zu wundern. „Die sitzen noch drinnen. Im vierten Abteil von hinten."
„Danke."sagte ich. Er sah drein, als wollte er noch etwas bemerken, nickte dann aber nur und ging seines Weges. Ein komischer Vogel, dachte ich, winkte Emmeline und betrat vor ihr den Zug. Im Vergleich zu dem hellen Sonnenlicht draußen, war es hier düster.
Ich hörte die beiden, bevor ich sie sah. Sevs Stimme, bitter und resigniert: „Gib dir keine Mühe, die kommen mit allem durch. Der Alte Narr geht davon aus, dass wir Slytherins schon irgendwas Furchterregendes verbrochen haben müssen, damit die Gryffindors auf uns losgehen." Und die von Bellatrix Black, die sich mir bei unserem Kennenlernen vor einem Jahr eingeprägt hatte: „Auf seine Gerechtigkeit sind wir nicht angewiesen. Sirius wird diesen Sommer seines Lebens nicht mehr froh werden, das verspreche ich."
Sie standen zwischen zwei Abteilen, ihre Umrisse der schwarzen Schuluniformen wegen nicht zu unterscheiden. Allerdings auch deswegen nicht, weil sie so nah beieinander standen. Bellatrix hatte die Arme um Sevs Hals gelegt, und seine umfassten ihre Taille. Sein Kopf neigte sich zu ihrem herunter, so dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander trennten. Für einen Moment stellte sie sich auf die Zehenspitzen und lehnte ihre Stirn an seine. Dann machte sie sich los, griff nach ihrem Zauberstab und ließ ihr Gepäck durch die Tür schweben, bevor sie selbst ausstieg.
Ich räusperte mich. Er drehte sich um. „Bin ich zu spät für deinen Geschmack, dass du mir gleich im Zug auflauerst?"fragte er.
„Mir ist gerade aufgefallen, dass wir gar nichts ausgemacht hatten, wann und wo wir uns treffen."räumte ich ein. „Ich hab einfach einen deiner Klassenkameraden gefragt, den ich draußen getroffen hab. Diesen Lupinjungen."
Sev rollte mit den Augen. „Den hast du gefragt?" Er griff nach seinem Gepäck. „Du gerätst aber auch immer an die richtigen Leute, wenn wir uns irgendwo treffen."
„Hast du was gegen ihn?"fragte ich, während ich ihm den Seesack abnahm.
„Wir drücken uns heut aber vornehm aus, Alastor. Ich kann ihn nicht riechen – das mein ich wörtlich. Wenn der in meiner Nähe ist, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Remus Lupin steht noch etwas weiter oben als Potter und Black auf der Liste ,Leute, die meiner Meinung nach aus Hogwarts fliegen sollten'."
Ich war perplex angesichts dieser geballten, unverhüllten Abneigung. Für meine Begriffe war an Lupin nichts Provozierendes. Er schien mir ein normaler, ausgeglichener Junge zu sein - sehr zurückhaltend, aber nicht unsympathisch. Sicher ein gutes Gegengewicht zu Draufgängern wie James Potter und Sirius Black. „Ist es, weil er mit den beiden andern Pfeifen befreundet ist?"
Sev lächelte über meine Ausdrucksweise. „Das kommt noch erschwerend hinzu. Aber ich hab auch so bei dem Kerl kein gutes Gefühl. Irgendwas stimmt mit dem nicht."
Draußen wartete Emmeline auf uns. „Ich hab jemanden mitgebracht."sagte ich zu Sev. „Das ist Emmeline Vance, sie arbeitet in der Abteilung für Internationale Beziehungen."
„Grüß dich."schrieb Emmeline in die Luft.
„Hallo."sagte Sev und hob vorsichtshalber auch die Hand, um sicherzugehen, dass er verstanden wurde.
„Sie hört ausgezeichnet," versicherte ich ihm, „sie kann nur nicht sprechen."
„Achso. Nett, Sie kennenzulernen."Er schien es wirklich nett zu finden. Und er lernte schnell. Als wir den Bahnhof verließen, ließ er Emmeline vor sich hergehen und nutzte die Gelegenheit, mir einen seltsamen Blick zuzuwerfen und mit seinem Zauberstab Emmeline zu imitieren und weniger geschickt aber gut lesbar die Worte zu formen: „Du hast ein ja Privatleben, Alastor. Hätte ich dir gar nicht zugetraut."Ich spielte mit dem Gedanken, ihm ein paar ins Genick zu verabreichen, doch er schloss schnell wieder zu unserer Begleiterin auf und verwickelte sie in ein Gespräch.
Lächerlich, dachte ich. Diese Kinder. Nur weil bei ihnen die Hormone verrückt spielen, übertragen sie das gleich auf alle andern. Ich jedenfalls bin aus dem Alter raus.
Und wie magisch angezogen, glitten meine Augen zurück zu Emmeline, wie sie neben dem Jungen herging und mit der ihr eigenen Perfektion den Zauberstab schwang, während sie sich unterhielten. Das grüne Shawl, das sie immer trug, sogar bei diesem warmen Wetter, schien die Farbe ihrer Augen zu reflektieren, die wie zwei Edelsteine über ihren hohen sommersprossigen Wangenknochen eingesetzt waren. Sie drehte sich um und warf mir ein Lächeln zu, das offenbar dem Inhalt des Gesprächs galt. Von dem ich kein Wort mitbekommen hatte.
Also gut, dachte ich. Sie *ist* hübsch.
~*~
Die ersten Wochen ging alles gut (abgesehen davon, dass ich in der kurzen Zeit mehr Spinat zu mir nehmen musste, als innerhalb der letzten zwei Jahre zusammen). Während ich bei der Arbeit war, feierte Sev Wiedervereinigung mit seinen Freunden von der Nockturngasse, die alle nach Durmstrang gegangen waren. Sie zeigten sich mächtig beeindruckt davon, dass man ihn eine Klasse hatte überspringen lassen. Diese Höchstleistung ihres Kumpanen musste natürlich damit gefeiert werden, dass man um der alten Zeiten willen in ein paar Läden einbrach. Aber das war nichts, was sich nicht leicht wieder in den Griff kriegen ließ.
Tatsächlich war ich so froh, das Kind wieder in Reichweite zu haben, dass ich innerhalb unserer eigenen vier Wände sogar mitlachen konnte, als Sev mir von ihren Coups berichtete. Nach außen verurteilte ich sein Treiben selbstredend auf das Schärfste und kündigte an, andere Saiten aufzuziehen. All dies schuf so etwas wie ein verstärktes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns. Und so war ich völlig unvorbereitet auf das, was mich eines Nachmittags, als ich früher von der Arbeit nach Hause kam, erwartete.
Auf dem Heimweg hatte es angefangen, heftig zu regnen, daher vergewisserte ich mich zuerst, dass alle Fenster unserer Bruchbude geschlossen waren. „Hast du's Fenster zu?" rief ich und steckte den Kopf durch die Einstiegsluke von Sevs Dachkammer. Er lag seitlich ausgestreckt auf dem Bett und schmökerte in irgendeinem dicken Wälzer, der ihm „in die Hände gefallen"sein musste, wie er das ausdrückte, wenn er irgendwo was geklaut hatte.
„Mhm,"machte er, ohne den Kopf zu heben. „Obwohl's wahrscheinlich nicht viel bringt bei dem Schweizer Käse, den du unsere Dachisolierung nennen würdest."
Ich grinste, und wollte schon wieder abtauchen, als mein Blick auf die gegenüberliegende Wand fiel. Da hingen sie. Seltsam, dass ich sie nicht schon früher bemerkt hatte. Er hatte sie bestimmt gleich nach seiner Heimkehr aus meinem Familienalbum geholt und dort angebracht.
Sev fing an zu reden, da mir die Worte fehlten. „Weißt du, was ich merkwürdig finde, Alastor?"
Ich schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen.
„Etwas, das Professor Prewett zu Professor Karkarova gesagt hat und was sie dann mir erzählt hat. Er hat nämlich gesagt, ich hätte ein fotografisches Gedächtnis. Deswegen könnte ich mir alles so gut merken, was ich für die Schule brauche. Soll ich dir jetzt mal was sagen? Es stimmt. Ich vergesse nie etwas. Ich vergesse überhaupt nichts. Ich könnte dir heute noch die Leute beschreiben, die bei unserer Sorgerechtsverhandlung im Publikum saßen – von links nach rechts oder von rechts nach links, ganz wie du möchtest. Ich kann dir jedes Buch in der obersten Reihe von Professor Dumbledores Regal gleich neben seinem Schreibtisch nennen, obwohl ich nur einmal da war. Und ich kann die Geburtstage sämtlicher Leute in meiner Stufe auswendig – du siehst, manchmal prägen sich mir Sachen ein, an denen ich eigentlich überhaupt kein Interesse habe."
Er schwang die Beine über die Bettkante und ging hinüber zu seiner Fotowand. „Was ich nun weniger einleuchtend finde, ist, dass dieses phänomenale Gedächtnis, das mir in Geschichte und Zaubertränke so gute Dienste leistet, nicht weiter zurückreicht als bis zu meinem siebten Lebensjahr. Genauer gesagt, setzt es erst da ein, als ich zu dir gekommen bin. Und bevor du irgendwas sagst, Alastor: ich weiß, dass viele Leute sich nicht an ihre frühe Kindheit erinnern können. Es steht in dem Buch da, ich hab's aus einer Muggelbibliothek. Aber bei jemandem, der wirklich ein fotografisches Gedächtnis hat, wäre so ein Blackout der frühen Jahre eigentlich nicht möglich. Das steht in etwa auch da drin."
In Gedanken versunken nahm er das Bild seines Elternhauses von der Wand, betrachtete es kurz, dann hielt er es mir hin. „In diesem Haus bin ich aufgewachsen, nicht? Es ist eine Mühle. Mit einem Mühlrad. Das ist doch ziemlich außergewöhnlich, oder? Ich wette, ich hab Tag und Nacht das Wasser rauschen gehört. Aber in meinem Kopf findet sich nichts davon. Wie hab ich das vergessen können, wenn ich mir Peter Pettigrews Geburtstag merken kann?! 18. April ist das, nebenbei bemerkt."
Er hängte das Bild zurück und griff nach dem Hochzeitsfoto seiner Eltern. „Mit ihnen ist es ähnlich."sagte er tonlos und ich musste an mich halten, nicht davonzulaufen vor dem Schmerz in seiner Stimme. „Ich sehe, dass ihre Züge in meinem Gesicht miteinander verschmolzen sind, aber soweit es meine eigene Erinnerung angeht, könnte ich genausogut das Kind ganz anderer Leute sein. Und dabei habe ich ein fotografisches Gedächtnis. Und ich war schon sechs, als ich sie verloren habe. Ich sollte doch *irgendetwas* noch wissen!"Er hängte das Foto wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weißt du, Alastor, wenn ich nicht gleich den Teufel an die Wand malen und vermuten will, dass *jemand*" er sah mich durchdringend an „einen Erinnerungszauber an mir vorgenommen hat, bleibt eigentlich nur noch eine andere Lösung."Er beugte sich zu dem Buch hinunter und reichte es mir herüber, auf eine unterstrichene Stelle deutend. „Hier. Lies das."
Ich tat es. „Der menschliche Verstand kann sich vor extremer Belastung schützen, indem er verdrängt, was zu schlimm zu ertragen wäre." Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, ich konnte nicht mehr weiterlesen. Ahnte Sev eigentlich auch nur im Entfernstesten, wie sehr ich ihn um sein Nichtwissen beneidete? Was ihm erspart blieb durch den Verlust seiner Erinnerungen? Ich wollte sagen, dass es mir Leid tat. Dass ich immer nur sein Bestes gewollt hatte, und dass er zufrieden und unbeschwert aufwachsen konnte. Aber ich machte meine Sache offenbar nicht besonders geschickt, wenn er mit diesem fiebrigen Eifer seinem eigenen Untergang hinterherjagte.
„Ja,"sagte Sev leise. „Ich glaube, man braucht kein Genie zu sein, um zu erraten, dass mein Gedächtnisverlust und der Tod meiner Eltern irgendwie zusammenhängen."
Nein. Und ich war ein schlechter Lügner, hatte nicht unbefangen genug reagiert beim Anblick der Fotos, um ihm jetzt noch einreden zu können, er leide an Hirngespinsten. Aber das hätte er sich vermutlich sowieso nicht erzählen lassen. Noch war er ein Kind, gerademal zwölf unter lauter Dreizehnjärigen. Aber er würde älter werden, volljährig. Schon sehr bald. Mit 18 sein Erbe antreten, das bei Gringotts für ihn hinterlegt worden war. Mit 21 Einsicht in die Ministeriumsakten über seine Eltern verlangen. Wie es dann weiterging, konnte ich bestenfalls mit ahnungsvollem Schrecken vermuten. Wenn... Ich wandte den Kopf und hatte Sevs Zauberstab im Gesicht.
„Okay, tragen wir die Sache aus."Von seiner schmerzlichen, grüblerischen Stimmung war nichts mehr geblieben. Seine Schwarzaugen funkelten vor Energie.
„WAS willst du?!"raunzte ich.
„Ich will mich mit dir schlagen. Ein standesgemäßes Duell."
Da hörte sich doch wohl alles auf. „Standesgemäß! Blasen sie euch diesen Blödsinn in eurer Schlangengrube ins Hirn?"
„Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, regeln wir die Dinge eben auf andere Weise."Seine stechenden schwarzen Augen bohrten sich in meine. „Und es kümmert mich nicht, wie hoch der Prozentteil an Slytherins war unter den Leuten, die du nach Askaban gebracht hast – ich gehöre dazu und wer mein Haus beleidigt, beleidigt mich!"
Da hatte er also in seinen Augen zwei Gründe, mir an die Kehle zu gehen. Entzückend.
„Also los,"sagte ich. „Hauen wir ab."
„Wohin?"Nun blickte er leicht verunsichert.
Ich unterdrückte ein Grinsen. Die Welt sah bereits freundlicher aus. „Wirst du schon sehen. Jetzt mach, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
~*~
Zwei Stunden später las ich ihn vom Boden auf.
Vom „Tropfenden Kessel" aus betrachtet, lag die Trainingsakademie der Auroren am genau entgegengesetzten Ende der Winkelgasse, nicht weit von da, wo meine Eltern, meine kleine Schwester und ich uns nach unserer Rückkehr aus Frankreich einquartiert hatten. Nicht erst mit dem Tod meiner Eltern war das hohe Gebäude mit den vielen Fenstern zu einem Faszinationsobjekt für mich geworden. Heute hatte ich irgendwie das Bedürfnis, Sev einen kleinen Eindruck von dem zu vermitteln, was es bedeutete, hier aufgenommen zu werden. Die in Großbritannien ausgebildeten Auroren gehörten erfreulicherweise zu den besten der magischen Welt.
Meine ehemaligen Lehrer erlaubten mir ausnahmsweise, eine der kleineren Trainingshallen zu benutzen. Sev galten einige neugierige Blicke, doch niemand stellte meine Erziehungsmethoden infrage. Ich hätte ihnen in meiner augenblicklichen Laune auch klar und deutlich gesagt, wo sie sich ihre Kritik hinstecken konnten.
„Auf drei,"verkündete ich dramatisch, als wir uns in der kleinen Halle mit erhobenen Zauberstäben gegenüberstanden. „Eins - - - Zwei - - - "
Natürlich schoss er an der Stelle schon den ersten Fluch auf mich ab. Insgeheim war ich froh, dass es sich um etwas so harmloses wie einen Kitzelfluch handelte, ich konnte ihn nämlich nicht mehr ablenken. Rasch zog ich ihm die Beine weg, befreite mich von seinem Zauber und hatte wieder Oberwasser.
Das Duell wurde schnell heftiger und Sev verabschiedete sich von den harmlosen, dem Hogwarts-Duellierclub angemessenen Flüchen. Er hatte sich, seit er die Nockturngasse verlassen hatte, anscheinend stetig fortgebildet, um weiter mit seinen Freunden, die Durmstrang besuchten mithalten zu können. Eine Menge seiner Flüche waren neu oder ich hatte sie ihn zumindest nie benutzen sehen. Kein Wunder, dass er sich seinen angestammten Platz unter der Nockturnjugend so mühelos zurückerobert hatte.
Nachdem ihn mein letzter Fluch zu Boden geworfen hatte, blieb er schwer atmend und mit geschlossenen Augen auf der Trainingsmatte liegen. Noch erwiderte ich seine Attacken ohne Schwierigkeiten, aber ich fragte mich, wieviele Jahre das noch so sein würde. Das Kind hatte Potenzial. Die Angewohnheit, sich mit Duellen von den Problemen des Lebens abzulenken hingegen, bereitete mir Sorgen. Aber was konnte ich schon sagen? Ich musste froh sein, dass die Sache so glimpflich für mich abgelaufen war. Sev hatte seine Wut in diesem Duell verpulvert und wirkte jetzt erschöpft, aber gelassen. Zum vielleicht tausendsten Mal fragte ich mich mit genausoviel Erfolg wie üblich, was beim Barte Merlins in ihm vorging.
Beim Verlassen meiner alten Akademie begegneten wir der letzten Person, die ich hier anzutreffen erwartet hätte. Lucius Malfoy heuchelte gleichfalls Erstaunen, als käme es einer Sensation gleich, in einer Aurorenakademie einem Auroren über den Weg zu laufen. Jedoch wechselten wir kein Wort. Sein ganzes Augenmerk galt Sev, der müde neben mir herstolperte.
„Hallo, Sevy."
„Hallo, Lucy."grüßte mein empfindliches Ziehkind, das diesen Spitznamen nicht ausstehen konnte, zurück, allerdings leise genug, dass der Angesprochene – wie nennt man das in Slytherin? – sein Gesicht wahren konnte. Lucius Malfoy verstand zu meiner Überraschung Spaß und gab Sev nur eine Kopfnuss, bevor er in der Akademie verschwand.
„Was kann er hier wollen?"fragte Sev mich, die Stirn in Falten gelegt. Ich zuckte die Achseln, ebenso ratlos wie er. Andererseits gab es Wichtigeres, worüber man sich den Kopf zerbrechen konnte, als wo die Malfoys ihre Freizeit abfeierten.
Wir hatten zur Abwechslung mal Spinat zum Abendessen, und später verabschiedete sich Sev, sichtlich wiederbelebt, in Richtung seiner Clique. „Alastor? Ich bin mal kurz drüben bei Wendeline's."Das Café war einer der Haupttreffpunkte der Nockturnjugend.
Ich steckte den Kopf aus der Küche: „Gehst du zu Fuß?"
Sev hielt an der Haustür inne. „Nee, weißt du, ich nehm den Fahrenden Ritter. Natürlich geh ich zu Fuß."Er trat vor die Tür und krachte dort in irgendjemanden hinein, der es wagen wollte, uns zu belästigen. „Oh, hoppla!"ließ das Kind sich vernehmen.
Bei unserem Besucher handelte es sich um einen ungehobelten Zeitgenossen. „Sag mal, du Rotzlöffel, kannst du nicht aufpassen? Und dann entschuldigst du dich nicht mal!"
„Ich hab doch gesagt: ‚Oh, hoppla!'"gab Sev unverfroren zurück und ging seiner Wege. Es war also wieder mal an mir, die Wogen zu glätten. Jedermanns Eindruck von mir schien neuerdings bei dem Jungen anzufangen – und ich konnte nicht behaupten, dass mir diese Entwicklung gefiel.
„Grüß dich, Alastor."Zum Glück war es nur Algie, über den Sev seinen Charme versprüht hatte. Jetzt kam es mir auch eher so vor, als hätten die beiden sich einen Spaß daraus gemacht. Hinter ihm betrat Emmeline meine bescheidene Hütte und winkte zu mir herüber, offensichtlich zu faul, den Zauberstab zu ziehen.
„Oh, ihr seid's."meinte ich erleichtert und führte sie ins Wohnzimmer. „Hatte ganz vergessen, dass wir für heute abend was ausgemacht hatten." Algie ließ sich gleich in einen der Sessel sinken und seufzte wohlig. Emmeline inspizierte gebannt meine Büchersammlung. Ich kochte Tee, holte ein Glas mit Honignüssen aus dem Schrank und gesellte mich zu ihnen.
„Wie läuft's, Emmeline?"fragte ich freundlich. Sie zuckte lächelnd die Achseln, während sie sich eingehend mit ihrer Teetasse beschäftigte. Algie sprang für sie ein. „Wie soll's einem schon gehen, wenn man einen Arbeitstag umgeben von lauter Malfoys hinter sich hat?"
„Wirklich so schlimm?"fragte ich.
„Es ging." schrieb sie. „Ist nur etwas peinlich, wenn du deinen Vorgesetzter und Tristan Malfoy mit einem Beutel voller Gold beobachtest, der gerade den Besitzer wechselt."
„Oh."
„Das ist noch nicht die Hauptsache."informierte mich Algie und meinte zu Emmeline: „Erzähl ihm von der Delegation."
Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, als sie wieder nach ihrem Zauberstab griff. Urplötzlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, wie ihr Haar sich anfühlte. Es sah weich und wollig aus, sogar wenn sie es wie jetzt zu einem straffen Zopf gebändigt hatte. „Lucius Malfoy hat sich anscheinend freiwillig gemeldet zu der Delegation, die das Ministerium nach Durmstrang schicken will. Du weißt doch?"
„Diese Schule, die die russischen Exilanten vor zehn Jahren oder so gegründet haben."erklärte Algie. „Zu Beginn des neuen Schuljahrs soll dort ein internationaler Empfang stattfinden und wir schicken auch ein paar Leutchen hin."
„Aber Malfoy!"hob Emmeline hervor. „Das ist total witzlos, er hat letzten Sommer erst angefangen, genausogut hätten sie mich schicken können."
Ich stimmte ihr zu. Da Malfoys nichts ohne einen guten Grund unternahmen, konnte man davon ausgehen, dass Tristan seinen Sohn aus besonderem Anlass nach Durmstrang geschickt hatte. War das Gold dafür bestimmt gewesen? Die Schwarzhundertschaft, das russische Äquivalent zu den Rittern von Walpurgis, sollte angeblich in Durmstrang recht aktiv sein. Was konnte man auch anderes erwarten? Die junge Regierung in Moskau hatte nie etwas Intelligenteres getan, als diese Leute des Landes zu verweisen, dachte ich säuerlich. Suchte Tristan nach Gleichgesinnten? Aber warum zu diesem Zeitpunkt? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit unserem großen, rätselhaften Fall zu tun hatte.
Die Türschelle riss mich aus meinen Gedanken. „Entschuldigt mich kurz," sagte ich zu meinem Besuch, eilte in die Diele und riss die Haustür auf.
„Borgin."sagte ich nur. Spöttisch zog der Mann seinen Hut. „Severus ist nicht da."meinte ich selbstsicher und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was Sie auch wollen, er hat's nicht getan."Das konnte ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen – immerhin befand sich das Balg schon eine gute halbe Stunde außerhalb meines Wirkungsbereichs. Theoretisch hätte er, während ich mit Algie und Emmeline plauderte, Zeit gehabt, die halbe Gasse abzufackeln.
Borgin lächelte ölig. „Über die Ouroborus-Augen, die aus dem Korb neben meiner Tür fehlen, können wir uns ein andermal unterhalten, Mr. Moody. Wegen Ihrem Jungen bin ich auch nicht hergekommen."
Wir erlebten zweifellos eine Weltpremiere, dachte ich. „Weswegen dann? Ist Ihnen plötzlich aufgegangen, dass ein Leben fernab der Rechtschaffenheit keinen Sinn macht und Sie zu mir eilen und sich freiwillig stellen sollten?"
Er lachte. „Ach, es hat schon was mit meinen Pflichten als aufrechter Bürger zu tun. Bitten Sie mich doch rein, Mr. Moody, dann erzähl ich Ihnen was, das Ihr Leben leichter machen wird."
Ich seufzte und zog mich in den Hausflur zurück. Drinnen erlebte ich die Befriedigung mitanzusehen, wie Borgin die Kinnlade aufklappte, als er Emmeline in Aurorenbegleitung mitten in meinem Wohnzimmer sitzen sah. Fassungslos fuhr er herum und glotzte mich an, aber ich zuckte nur lächelnd die Achseln. „Ich sehe, Sie kennen die neue Untersekretärin der Abteilung für Internationale Beziehungen, Emmeline Vance." Emmeline hob huldvoll grüßend die Hand. „Und Algie Longbottom kennen Sie natürlich auch. Bitte." Ich deutete auf einen freien Sessel, in den Borgin sich so bereitwillig sinken ließ, als gäben seine Beine von selber nach. „Was haben Sie denn für mich?"wollte ich wissen.
Borgin riss mühsam den Blick von Emmeline los und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Hab gehört, Sie suchen Augenzeugen für die Zeit vor... naja, vor dem Vorfall in der ,Welken Rose'."Wieder blickte er ungläubig zu Emmeline hinüber, die milde zurücklächelte.
„Wir wollen wissen, wer da in dem Teil der Gasse ein- und ausgegangen ist zu dem Zeitpunkt, als wir da waren und bis zu zwei Wochen davor." präzisierte ich.
„Na, dann machen Sie sich mal auf einen kleinen Schock gefasst, Mr. Moody. Sie kennen sie, Sie sind mit ihr in die Schule gegangen."
„Mit *ihr*?"wiederholte ich. Bei der Person, der ich die Täterschaft hatte nachweisen können, handelte es sich um ein männliches Wesen, und ich wollte nicht hoffen, dass noch mehr alte Schulkollegen in diese unsägliche Angelegenheit verwickelt waren. Dann traf es mich wie ein Schwall Eiswasser: Minnie...
„Jetzt machen Sie's nicht so spannend."verlangte Algie.
„Miss Seeley war's, Mr. Moody." verkündete Borgin. „Elladora Seeley, die jetzige Mrs. Orion Black. Kürzlich verwitwet, wenn mich nicht alles täuscht."
Im ersten Moment war ich einfach nur schwindlig vor Erleichterung und über die Maßen verlegen, weil ich ausgerechnet Minnie so eine Nummer zugetraut hatte. Sie war die letzte, die sich von Tom in irgendwas verwickeln lassen würde – und dafür gab es gute Gründe. Sie hatte mein Misstrauen nicht verdient.
Elladora Black. „Soso,"murmelte ich. Vor meinem inneren Auge erschien das Bild der jungen Ella, die nach einem eher mittelprächtigen Schulabschluss aus dem Nichts eine fulminante Karriere im Komitee für Experimentalzauberkunst gestartet hatte. Die – inzwischen Ehefrau von Orion und Mutter dreier kleiner Prinzessinnen – als Autorin von „Die Entwicklung der Unverzeihlichen Flüche"vor das Wizengamot gerufen worden war und ihr Werk dort mit solcher Standfestigkeit verteidigte, dass ihr ein Ehrenplatz in der Chronik des Dunklen Ordens für immer gesichert schien. Elladora, die das hübscheste Mädchen unseres Jahrgangs gewesen war, sogar schöner als Minnie, mit ihrer Flut leuchtend goldener Haare und den schwerlidrigen Schlafzimmeraugen – denen ihrer jüngsten Tochter Bellatrix so ähnlich bis hin zu dem impertinenten Augenaufschlag, den sie schon gehabt hatte als sie 15 und Slytherins *andere* Vertrauensschülerin gewesen war. Neben Tom Riddle.
Diese Information eröffnete ganz sicher interessante Perspektiven. „Danke, Borgin."sagte ich. „Damit können wir ganz sicher was anfangen."
„Ich helf doch gern."witzelte mein unerfreulicher Nachbar, schnellte von meinem Sessel empor und ließ sich von mir zur Tür bringen.
„Ja,"murmelte Algie, als ich zurückkam. „Damit haben wir uns in eine Sackgasse manövriert."
Ich sagte nichts, ich wusste, dass er recht hatte. Wenn wir die frisch verwitwete, gramgebeugte Frau vorluden oder gar ihr Haus unsicher machten, waren wir so gut wie tot. Ähnlich wie die Malfoys glaubten sich auch die Blacks gewissermaßen über dem Gesetz. Und was das Frustrierendste an ihrem Dünkel war: Sie hatten völlig recht. Keiner in diesem Land konnte es sich mit den Blacks verscherzen. Sie hatten überall ihre Finger drin. Was Borgin geritten hatte, diese Information preiszugeben, wollte mir nicht in den Kopf, doch ich zweifelte nicht an seinem Wort.
„Verdammt!"flüsterte ich. Schlanke, kühle Finger schoben sich in meine. Ich wandte den Kopf und sah Emmeline aus ihren weitgeöffneten Smaragdaugen zu mir aufblicken.
„Keine Sorge."schrieb sie mit der freien Hand. „Wir finden eine andere Spur und alles wird sich aufklären. Wir werden sie zur Verantwortung ziehen."
„Das werden wir."nickte ich dankbar und widerstand mit Mühe der für mich untypischen Versuchung, ihr über die Wange zu streichen.
~*~
Algie und Emmeline verabschiedeten sich kurz darauf. Es wurde dunkel und wir alle hatten einen anstrengenden Tag vor uns. Seltsam K. O. schleppte ich mich ins Badezimmer – und stieß dort auf Sev, der in der Wanne lag.
„Wie kommst du denn hierher?"fragte ich perplex.
„Bin durchs Fenster eingestiegen."setzte er mich in Kenntnis.
„Und wieso machst du so was? Wir haben Türen in diesem Haus."
Er lächelte verschwörerisch. „Hätte ja sein können, dass ich was unterbreche. Ich wollte die traute Zweisamkeit nicht stören."
„Zweisamkeit? Wir waren zu dritt, das weißt du doch."
„Oh."machte er enttäuscht. „Ich dachte, Algie würde von selber was merken."
„Was merken?"Wie der Trottel, der ich nach Meinung meines Ziehsohnes war, konnte ich nur jedes Wort wiederholen, das mir nicht einleuchtete.
„Dass sein Typ heute abend nicht verlangt ist."
„Also – "
„Auf deine Freunde ist aber auch gar kein Verlass."maulte er.
„Hör mal, wir versuchen hier einen Fall aufzuklären. Damit sind wir erst mal ausgelastet, auch ohne deine Einfälle."Ungehalten stürmte ich aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer, fläzte mich in einen Sessel und führte mir noch ein Schlückchen zu Gemüte.
Prompt erschien das Kind in seinen Bademantel gehüllt in der Tür. Sein nasses schwarzes Haar wirkte sauerkrautähnlicher denn je, aber ich wusste, dass ich ihm mit einem neuen Haarschnitt gar nicht zu kommen brauchte. Sowie ich dergleichen andeutete, würde er vermutlich einen Bluteid schwören, sich nie mehr die Haare zu schneiden. „Alastor," meinte er gewichtig. „Wann war eigentlich dein letztes Rendezvous?"
„Ich glaub, dir geht's zu gut."
„Das war doch mit dieser entsetzlichen Schreckschraube aus der Abteilung für Magische Geschöpfe, wenn mich nicht alles täuscht."
„Halt dich mit deiner Ausdrucksweise gefälligst etwas zurück!" schnaubte ich. Er ließ sich in den Sessel mir gegenüber fallen.
„Ach komm, heute bist du froh, dass ich sie vergrault hab, das wissen wir doch beide. Wenn es auf dieser Welt Frauen wie Emmeline Vance gibt, wer wird da einer Vettel nachtrauern, die aussah, als wär sie aus der Abteilung für Magische Geschöpfe *entlaufen*?!"Er strahlte mich liebenswürdig an. „Emmeline ist doch 'ne Wucht, findest du nicht auch?"
„Ich könnte ihr Vater sein, falls es dir nicht aufgefallen ist." grummelte ich. Ein triumphierendes Grinsen erschien auf dem Gesicht des Jungen. Ich verdammte mich im Stillen für eine Antwort, die verriet, dass ich mich mit dem Thema bereits befasst hatte.
„Du bist es aber nicht, nur das spielt eine Rolle. Und wenn ich dir mal einen Rat geben darf, so von Mann zu Mann – "
Von vorlautem Wicht zur schwerschuftendem Auror, dachte ich und konnte nicht fassen, dass ich mir das auch nur eine Sekunde lang anhörte.
„Das Leben ist kurz. Du bist vielleicht nicht von der schnellen Truppe in solchen Sachen, aber das wär schon irgendwie bitter, wenn du auf deinem Totenbett dereinst dieser verpassten Möglichkeit nachtrauern müsstest, bloß weil der Vorschlag von mir kam."
„Severus – "begann ich warnend.
„Also, mir scheint Emmeline ziemlich vollkommen. Sie ist hübsch, sie ist nett, sie hat sogar was in der Birne – die Kombination ist selten, kann ich dir sagen."
„Dann heirate du sie doch!"platzte ich heraus. „Also verdammt nochmal."
„Ich hab schon ne Freundin, Alastor."
Ich tat, was ich konnte, um nicht neugierig zu wirken, aber es war anscheinend nicht genug. Sevs Schwarzaugen lachten mich aus. Ich konnte ihn ja nicht gut über seinLiebesleben aushorchen, wenn ich gleichzeitig mein eigenes unter Verschluss halten wollte. Meine Güte, hatten es die Kinder heutzutage eilig. Sev war zwölf, Bellatrix dreizehn – in dem Alter hätte ich noch nicht mal im Traum... naja gut, dran *gedacht* vielleicht schon. Und ich bezweifelte, dass sie schon weit fortgeschritten waren auf ihrem Entwicklungsweg zu einem Liebespaar. Aber was ging es mich an? Es konnte hier nur eine mögliche Erwiderung geben. „Solang du deine Quadratlatschen unter meinem Tisch hast, hältst du dich aus meinem Liebesleben raus, verstanden?"
„Ist ja auch kein Beinbruch, sich aus etwas rauszuhalten, was de facto nicht existiert."neckte er mich. Bevor ich mich zu irgendeiner Reaktion hinreißen lassen konnte, die ich später bereuen würde, sprang ich auf und stapfte auf das freigewordene Badezimmer zu. Dort wäre mir wenig später vermutlich klar geworden, wie seltsam es war, dass das Kind keinen einzigen Versuch mehr unternahm, auf unsere Vorgeschichte zu sprechen zu kommen und die sogenannte Wahrheit aus mir herauszupressen. Beides wurde zunichte durch die Bemerkung, die mir von Sev leise nachgeworfen wurde.
„Ich bin praktisch immer allein."
„Was sagst du?"Ich war im ersten Moment nicht sicher, ob ich das richtig verstanden hatte.
„Auf den Fotos. Ich bin immer allein abgebildet. Ein oder zweimal auch mit meinem Dad. Aber mit meiner Mum nie. Warum gibt es keine von ihr und mir?"
Die Hand am Türknauf drehte ich mich noch einmal um. „Weil da nichts zu sehen ist." ____________________________________________________________________________ ______________
Nächstes Kapitel: die älteren Hogwartsschüler machen in den Weihnachtsferien einen Ausflug in die Winkelgasse, um eine Rede des Ministers anzuhören und dann... tja. Nur so viel: es gibt jede Menge Lärm, Sachbeschädigung, Tote und Verletzte, Alastor stößt etwas Schlimmes zu und Bellatrix trifft eine Entscheidung fürs Leben.
Wir machen es so: ich warte, bis ich mindestens 5 Reviews beieinander hab, dann wird upgedatet. Ja, ich weiß, dass das Erpressung ist. Aber es gibt nun mal nichts besseres als feedback von der größtenteils unbekannten Leserschaft da draußen zu kriegen. Lasst was hören, Leute, ich freu mich drauf! :)
