7 Aufgestaute Gefühle
Nach dem Mittagessen hatten die Siebtklässler zum Glück frei und konnten den Nachmittag nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Draco und Harry beschlossen, sich im Slytherin-Gemeinschaftsraum zu treffen und gemeinsam an einem Aufsatz für Zaubertränke zu arbeiten. Der war ziemlich schwierig und bereitete Harry deshalb so seine Schwierigkeiten, da er in diesem Fach noch nie besonders gut gewesen war.
Die Slytherins starrten wenigstens
nicht die ganze Zeit auf die beiden. Blaise Zabini schloss sich ihnen an, da er
diesen Aufsatz über den Gebrauch von Drachenblut in Liebestränken ebenfalls
noch nicht fertig hatte. Wenn man den schwarzhaarigen Jungen mit den
gepflegten, langen Haaren länger kannte, dann war er ziemlich witzig und wirkte
überhaupt nicht mehr arrogant wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
Die drei Schüler arbeiteten konzentriert. Nur Harrys Gedanken schweiften immer
wieder vom Thema ab. Er fühlte sich mal wieder wie in einem schwarzen Loch
gefangen und blockte mit aller Macht seine negativen Gefühle nach außen hin ab,
damit Draco nicht davon überwältigt wurde. Dank seiner früheren Übungen mit
Snape und später auch mit Remus Lupin, konnte Harry mittlerweile recht gut
seinen inneren Focus finden und somit seine Gefühle abschirmen, um zu
verhindern unbewusst allzu viel an andere empathisch begabte Zauberer
preiszugeben. Während der Okkulmentik-Übungen war es dem Gryffindor zuletzt
gelungen, genau zu steuern, welche Gedanken er für seinen Lehrer freigab und
welche nicht.
Die Situation mit Draco war zwar
etwas anderes, da ihre Verbindung viel intensiver und gefühlvoller war und doch
gelang es Harry nun, weil er wusste was geschehen war, seine Fähigkeiten zu
nutzen und Kontrolle auszuüben.
So kam es, dass Draco nicht merkte, wie sein Freund immer mehr vom Thema
abdriftete und von einer Welle seiner Depressionen nahezu überrannt wurde. Da
war sie wieder, die altbekannte Dunkelheit, die so allumfassend schien und ihn
gefangen zu nehmen drohte. Eigentlich sollte Harry sich doch jetzt glücklich
fühlen, wo er endlich einen Freund hatte, der ihn liebte und ihm die Wärme gab,
die ihm sein ganzes Leben lang gefehlt hatte.
Und dennoch gelang es ihm nicht, sich jetzt glücklich zu fühlen, als sei es ihm unmöglich ein Licht in der allumfassenden Düsternis seiner unendlichen Trauer zu finden. Der Gryffindor fühlte sich leer und kraftlos. Er war unfähig, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Harry fragte sich, wie in letzter Zeit so oft, wo überhaupt der Sinn weiter zu machen lag.
Die Momente der Geborgenheit mit
Draco machten ihn nur umso verwundbarer und die Kälte, die er jetzt spürte,
übermannte ihn mit um ein Vielfaches potenzierter Kraft. Die Traurigkeit schien
nun noch undurchdringlicher und allumfassender als früher. Er sehnte sich so
sehr nach Trost, obwohl er gleichzeitig davor zurückschreckte, sich seinem
Freund anzuvertrauen.
In diesem Moment wurde er ziemlich unsanft aus seiner lethargischen Trance
gerissen. Draco legte seinen Zeigefinger unter sein Kinn und zwang ihn dazu, ihm
in die Augen zu sehen, während er besorgt fragte: "Harry, wo bist du mit
deinen Gedanken?"
Mit aller Macht blockte Harry den Versuch seines Freundes, seine Gedanken zu
erspüren ab und antwortete möglichst unbeteiligt: "Ich bin bloß ein wenig
müde wegen letzter Nacht."
Der Slytherin merkte natürlich, dass der andere Junge etwas vor ihm verbarg,
aber er konnte die tief in ihm verborgenen Gedanken im Moment nicht lesen. Er
begann sich ernsthaft Sorgen zu machen, da er jetzt schon mehr als einmal
gesehen hatte, wie viel unbewältigte Trauer in seinem Freund steckte. Das war
etwas, das einen schon nachdenklich stimmen konnte. Erst recht, wenn man
wusste, wie sehr der andere seine Gefühle in sich hineingefressen hatte,
anstatt sie zuzulassen.
Blaise beäugte Harry ebenfalls misstrauisch: "Du siehst nicht besonders
glücklich aus. Wegen mir brauchst du dich nicht zu verstellen. Du wärest nicht
der erste Junge, den ich weinen sehe."
Der schwarzhaarige Slytherin bereute sofort, dass er so unbedacht losgeplappert
hatte, als er den verschlossenen Gesichtsausdruck des Gryffindors sah und biss
sich auf die Lippe. Dracos eisiger Blick sprach ebenfalls Bände und Blaise
lächelte entschuldigend, als er fortfuhr: "Das war nicht meine Absicht, so
plump zu sein. Ich wollte dich nicht beleidigen oder beschämen, Harry."
Harry zwang ein lebloses Lächeln auf sein Gesicht, das seine Augen nicht
erreichte und entgegnete: "Schon gut. Ist mir egal. Ich bin, wie gesagt,
bloß müde."
Die beiden Slytherins wechselten das Thema, da nun nicht mehr daran zu denken
war, mit dem Gryffindor zu reden, der sich hinter einer unbeteiligten Maske
versteckte und sein undurchdringliches Poker-Gesicht aufgesetzt hatte. Das
Gefühlsdurcheinander, das hinter dieser Fassade tobte, war rein äußerlich für
niemanden sichtbar.
Harry schämte sich für seine so offensichtliche Schwäche, die nun auch Blaise Zabini erahnt hatte. Er fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen. Er wusste ja selbst nicht einmal warum, aber er konnte seine Gefühle niemandem mitteilen oder erklären.
Die intensiven, grün glitzernden Augen brannten. Ungeweinte Tränen verbargen sich hinter seinen schweren Lidern und er fühlte sich hilflos und ausgeliefert, bemüht seine undurchdringliche Mauer des Selbstschutzes aufrecht zu erhalten.
Wie sehr wünschte er sich, dass
das alles irgendwann ein Ende haben würde und er irgendwann einfach nichts mehr
zu spüren brauchte. Er hatte so sehr gehofft, durch seine Liebe zu Draco dieser
Dunkelheit zu entkommen, aber er hatte sich wohl geirrt und es gab keinen Ausweg
mehr, oder doch?
Draco nahm Harrys Hand und riss ihn damit erneut aus seinen düsteren Gedanken:
"Sollen wir für heute Schluss machen? Es gibt sowieso gleich Abendessen
und danach müssen wir zu Severus Snape."
Harry und Blaise stimmten zu .Die Jungen packten ihre Sachen zusammen, während
der Gemeinschaftsraum sich zusehends mit Schülern füllte, die sich trafen, um
gemeinsam zum Abendessen zu gehen. Draco legte seinen Arm um Harry und zog ihn
sanft zu sich heran, während er ihm tief in die Augen blickte. Sie küssten sich
zärtlich und während ihre Zungen sich lustvoll liebkosten, sandte Draco einen
einzelnen Gedanken zu seinem Freund Ich liebe dich!
Harry schloss seine Arme noch enger um den blonden Slytherin und antwortete mit
erstaunlicher Klarheit in des anderen Kopf: Ich liebe dich auch und ich
brauche dich so sehr!
Die beiden Jungen wurden jäh aus ihrem Gedankenaustausch gerissen, als einige
vorwitzige Drittklässler anfingen zu pfeifen und sie ließen einander heftig
nach Luft schnappend los.
Harry nahm Dracos Hand und bat ihn: "Kann ich meine Tasche in deinem
Zimmer lassen? Ich muss sonst jetzt erst hoch zum Gryffindorturm, bevor ich zum
Abendessen gehen kann."
Draco nickte zustimmend und begann auch schon, den anderen Jungen hinter sich
herzuzerren und zu seinem Zimmer zu geleiten.
Dort angekommen schlossen sie erst mal die Tür und der Gryffindor ließ seine Tasche neben das Bett fallen, während sie sich innig umarmten und erneut feurig küssten. Ihre Zungen waren in einen aussichtslosen Kampf um Dominanz verschlungen. Schon begann Draco seinen Liebhaber unter seinem T-Shirt zu streicheln und einen wohligen Schauer seinen Rücken herunterfahren zu lassen.
Harry stöhnte leise und fuhr nun
seinerseits mit einer Hand vorsichtig unter Dracos Shirt und streichelte ganz
federleicht eine Brustwarze, die umgehend steif wurde. Der Slytherin sog scharf
die Luft ein und hauchte: "Hey, nicht so stürmisch, oder ich werde dich
auf der Stelle vernaschen, anstatt zu Abend zu essen."
Draco biss zärtlich in Harrys Ohrläppchen und entlockte dem Gryffindor ein
weiteres leises Stöhnen, während er fortfuhr an dem Ohrläppchen zu knabbern.
Harry seufzte spielerisch und schlug vor: "Wir sollten uns das für später
aufheben, wenn wir genügend Zeit und nicht eine Okkulmentik-Stunde mit Snape im
Nacken sitzen haben."
Draco schmollte mit einem Augenzwinkern: "Du hast ja recht, Harry. So
ungern ich das sage, aber wir sollten jetzt zum Abendessen in die Große Halle
gehen."
Harry nickte frustriert und ließ sich von seinem Freund an der Hand nehmen und
durch die Kerker Richtung Große Halle ziehen.
Noch immer hatten sich nicht alle Schüler an diesen Anblick gewöhnt. Ein paar Erstklässler aus Ravenclaw und Hufflepuff begannen prompt, unkontrolliert zu kichern, als das Paar um die Ecke bog. Draco konnte nicht widerstehen, eine kleine Show einzulegen und legte demonstrativ seinen Arm um seinen Freund, der sofort darauf einging und seinen Arm für alle sichtbar um die Taille des blonden Slytherin legte, ihn möglichst eng an sich zog, um dann seine Wange sanft zu küssen.
Eines der Mädchen sah ganz
verlegen aus und wurde puterrot im Gesicht, als Draco in seiner typischen
schnarrenden Sprechweise wissen wollte: "Noch nie zwei verliebte Jungs
gesehen? Keine Bange: Schwulsein ist nicht ansteckend, oder macht dich das
an?"
Harry schnaubte, um ein gehässiges Lachen zu unterdrücken und ging
erstaunlicherweise auf Dracos kleines Spielchen ein, indem er in einem
übertrieben nasalem Tonfall bemerkte: "Also wirklich, Schatz. Du sollst
doch nicht immer kleine Mädchen ärgern, oder stehst du jetzt plötzlich doch auf
Röcke?"
Der Slytherin machte ein ganz unbeteiligtes Gesicht und ahmte den Tonfall
täuschend echt nach: "Nur wenn du einen Rock für mich tragen würdest,
Liebling."
Blaise, der kurz vorher um die Ecke gebogen war, krümmte sich vor lachen und
prustete: "Gnade. Bitte keine weitere Kostprobe eures satirischen Könnens.
Ihr zwei habt euch echt gesucht und gefunden. Man sollte nicht meinen, dass du
ein Gryffindor bist, Harry."
Die Erstklässler sahen nun alle ziemlich verstört und beschämt aus und beeilten
sich, ihren Weg in die Große Halle möglichst schnell fort zu setzten.
Die beiden Slytherins und Harry
machten sich ebenfalls daran, endlich zum Abendessen zu gehen. In der großen
Halle angekommen, mussten die beiden sich wohl oder übel trennen, um an ihren
Haustischen Platz zu nehmen. Das geschah natürlich nicht, ohne eine weitere
innige Umarmung und einen sanften Kuss.
Ron Weasley, der hinter Harry und Draco die Halle betreten hatte, schnaubte
wütend: "Oh, seht mal: Romeo und Julia ziehen schon wieder ihre Tränen in
die Augen treibende Show ab. Mir wird gleich schlecht, ihr Schwuchteln, wenn
ich weiterhin euer tuntiges Gehabe ertragen muss."
Draco musterte den Rotschopf mit eiskaltem Blick und zischte mit nur mühsam
unterdrückter Wut: "Spar dir deine dämlichen, homophoben Kommentare,
Wieselgesicht. Wie kann man nur so erbärmlich sein und ständig solchen
geistigen Dünnschiss von sich geben? Du wurdest wohl als Kind mit 'nem Klammerbeutel gepudert, weil sich deine
Eltern nichts anderes leisten konnten."
Harry legte sanft seinen Zeigefinger auf Dracos Lippen, um seine Schimpftirade
zu unterbrechen und schnauzte nun seinerseits seinen ehemals besten Freund an:
"Jetzt lass uns endlich in Ruhe, du konservativer, intoleranter
Möchtegernmoralapostel!"
Rons und Harrys Blicke trafen sich und die beiden Gryffindors starrten sich
wütend an, bis der Rotschopf vor Wut rot anlief und von dannen stürmte. Harry
seufzte deprimiert und trennte sich mit einem zärtlichen Kuss auf die Wange von
seinem Freund, der ihm nachdenklich nachblickte.
Blaise schüttelte den Kopf und zog Draco an seinem Ärmel zum Slytherintisch,
während er leise schimpfte: "Dieser Weasley geht einem ja ganz schön auf
die Nerven. Ich dachte, der wäre mit Harry befreundet und jetzt behandelt er
ihn wie den letzten Dreck. Ich werde diese komischen Gryffindors nie
verstehen."
Draco nickte und brummte schlechtgelaunt: "Das nächste Mal verfluche ich
ihn und hexe ihn in tausend Stücke. Was bildet der sich eigentlich ein, so mit
einem Malfoy zu sprechen. Der wird noch bereuen, jemals geboren zu sein.
Irgendwann wird Harry ihn auch nicht mehr beschützen, wenn er so weitermacht
und dann ist die Rache mein."
Draco blickte düster in Richtung des Gryffindortisches. Einige Erstklässler
erschauerten unter seinem kalten und unbarmherzigen Blick und wandten ihre
Aufmerksamkeit schnell ihren Tellern zu, bevor sie versehentlich Ziel seiner
offensichtlichen Wut werden konnten.
Harry saß neben Hermine, die gerade versuchte, durch seine undurchdringliche
Mauer des Selbstschutzes seine Aufmerksamkeit zu erlangen und ihn leicht am Arm
berührte, während sie eindringlich flüsterte: "Harry, lass dich doch nicht
so von Rons kindischem Verhalten runterziehen. Was ist nur los mit dir? Du verbirgst
doch wieder irgendwas oder frisst irgendwas in dich hinein. Hast du mit Draco
über deine Alpträume gesprochen und was dich sonst noch so bedrückt? Hallo! Du
hörst mir gar nicht zu, oder?"
Harry wandte ihr mit einer unendlich müden Bewegung den Kopf zu und antwortete
ebenfalls im Flüsterton: "Vergiss nicht zu atmen, ´Mine. Spiel jetzt bitte
nicht wieder die Übermutter. Ich komm schon klar. Ich bin nämlich schon ein
großer Junge, weißt du."
Ein sarkastisches Lachen ließ das braunhaarige Mädchen neben dem verschlossen
dreinblickenden Gryffindor erschauern. Sie sah besorgt in seine Augen, aber aus
seinen ehemals so ausdrucksvollen Augen waren jegliche Gefühlsregungen
verschwunden. Zurück blieb ein harter, unlesbarer Ausdruck, der ihr irgendwie
Angst bereitete. Ron beobachtete die beiden und lauschte der Szenerie amüsiert
und witzelte ironisch: "Gibs auf Mine. Unser großer Junge spielt lieber
mit den bösen Jungs und ihm scheint seine neue Rolle als einsamer, brütender
Rebell sehr gut zu gefallen."
Hermine sah den rothaarigen Gryffindor ungläubig an und versuchte noch ohne
Erfolg, den resigniert davon schlurfenden Harry an einem Zipfel seines Ärmels
zurück zu halten. Der schüttelte unwillig die Hand der Schulsprecherin ab wie
ein lästiges Insekt und verließ, ohne etwas gegessen zu haben, die Halle mit
müden Schritten, einen finsteren Ausdruck in seinem früher so freundlichen
Gesicht, der Professor Snape alle Ehre gemacht hätte.
Draco hatte die Geschehnisse ebenfalls mit immer noch schwelender Wut verfolgt
und beobachtete mit besorgter Miene den Abgang seines Freundes, der plötzlich
auf ihn sehr müde und depressiv wirkte.
Ihre Augen trafen sich kurz und der Slytherin spürte plötzlich für einen winzigen Moment die Gefühle seines Partners, der ungewollt für einen kleinen Augenblick nicht dazu in der Lage gewesen war, seine Gefühle vollständig abzublocken. Er wurde vollkommen unvorbereitet von einem Gefühlssturm überwältigt, der ihm fast die Tränen in die Augen trieb und bevor er alles realisieren oder zuordnen konnte, war es auch schon vorbei und Harry hatte die Halle verlassen.
Draco fühlte, wie ihm jegliche Gesichtsfarbe entwichen war und Blaise sah ihn besorgt an: "Alles in Ordnung, Drake? Du siehst so weiß wie ein Laken aus. Man könnte dich glatt für einen Geist halten."
Pansy, die ebenfalls aufmerksam
geworden war, sah ganz erschreckt aus und flüsterte: "Draco, bist du
krank? Brauchst du Hilfe?"
Draco schüttelte energisch den Kopf und gab mit seiner üblichen pompösen Art
zurück: "Mir geht es bestens, bis auf die winzige Tatsache, dass das
Wiesel immer noch mit seiner Anwesenheit die Atmosphäre vergiftet. Ich wäre
nicht Draco Malfoy wenn mir da nicht langsam was einfallen würde. Würdet ihr
mich jetzt entschuldigen, ich muss zu Severus."
Pansy und Blaise sahen ihren immer noch überaus blassen Hauskameraden skeptisch
an, als dieser mit fließenden, eleganten Bewegungen vom Tisch aufstand und
graziös aus der Halle schritt, gefolgt von schmachtenden Blicken einiger immer
noch hoffender, weiblicher Verehrerinnen. Draco beeilte sich auf dem
schnellsten Wege nach unten in die Verliese zu gelangen, um die Privatgemächer
des Zaubertrankmeisters zu erreichen. Leicht außer Atem kam der Malfoyspross an
seinem Ziel an. Dort sah er seinen Freund mit geschlossenen Augen an der Wand
lehnen, einen Ausdruck starker Konzentration auf seinem blassen, schwitzenden
Gesicht.
Bevor Draco etwas sagen konnte,
bog auch schon der wie immer säuerlich dreinblickende Meister der Zaubertränke
um die Ecke. Mit seinen wehenden schwarzen Roben und Umhängen konnte man ihn
fast für eine überlebensgroße Fledermaus oder einen verkappten Vampir halten.
Ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er die beiden Jungen
erblickte.
Severus Snape grüßte seine Schüler in seinem wie üblich leicht nasalem Tonfall:
"Ah, guten Abend. Wie ich sehe, haben Sie beide pünktlich zu meinen
Gemächern gefunden und wenn mich nicht alles täuscht, hat Mr. Potter bereits
mit seinen Übungen begonnen."
Harry öffnete langsam seine im Kerzenschein glitzernden, grünen Augen und
blickte den Lehrer und Draco äußerlich vollkommen ruhig erscheinend an.
Snape erwiderte den Blick mit
seinen unergründlichen, fast schwarzen Augen und er gestikulierte den Jungen,
ihm zu folgen, während er die Tür zu seinen Gemächern öffnete. In seinem
erstaunlich gemütlich eingerichteten Wohnzimmer bot er den Jungen an, gemeinsam
auf einem schwarzen Samtsofa Platz zu nehmen. Er setzte sich gegenüber in einen
ebenfalls schwarzen Ledersessel und legte seine Beine übereinander, während er
seine Schüler abwartend musterte.
Draco nahm neben Harry platz und griff nach der Hand seines Freundes, die
eiskalt zu sein schien. Der Gryffindor lächelte ihm dankbar zu. Der Hauslehrer
der Slytherin räusperte sich und sagte streng: "Bitte unterlassen Sie solche
unterschwelligen Fummeleien während ihrer Unterrichtstunden mit mir. Das hemmt
die Konzentration."
Harry zog sofort seine Hand zurück. Draco blickte seinen Lehrer frech an, als
er brummelte: "Vielleicht irrst du dich, Severus, und es erhöht sogar die
Konzentration?"
Der Lehrer schmunzelte plötzlich vollkommen ungewohnt und tadelte mit leicht
ironischem Unterton: "Aber, aber, Draco. Nicht so frech, mein lieber
Patensohn."
Der grinste über das ganze Gesicht: "Ist ja gut, Onkelchen."
Severus hob tadelnd seinen Zeigefinger und spießte seinen Patensohn fast damit
auf, als er ihn verwarnte: "Du weißt ganz genau wie wenig ich es leiden
kann, wenn du mich so nennst. Noch so etwas und mir rutscht mein Zauberstab
versehentlich aus und du findest dich mitten in der Sahara wieder."
Harry hatte das Schauspiel mit Interesse beobachtet und fand plötzlich, dass
Snape nun sehr viel menschlicher und sympathischer wirkte, als er jemals
gedacht hätte. Das war wohl eines der beeindruckendsten Beispiele für
maskentragende Slytherin, dachte der Gryffindor bei sich.
Severus Snape kam jetzt sofort zur
Sache und erklärte den beiden: "Ich werde jetzt erst mal Draco eine Übung
geben, damit er lernt, seinen inneren Focus zu finden. Dann werde ich eine neue
Übung mit dir beginnen, Harry. Du kannst dich schon mal mental auf mein
Eindringen in deinen Geist vorbereiten, während ich Draco die Übung
erkläre."
Harry begann sofort, sich zu konzentrieren und alle Gedanken abzublocken, wie
er es in den letzten Stunden schon so oft getan hatte. Snape erklärte geduldig
seinem Patensohn die erste Übung und dieser begann mit seiner
Konzentrationsübung, die ihm durch seine fast schon berühmte Ungeduld ein wenig
schwer fiel.
Als sich der Professor Harry zuwandte und ihn leise fragte, ob er bereit sei,
antwortete Harry zum Erstaunen des Lehrers: "Professor, dürfte ich
vielleicht das Denkarium benutzen? Es fällt mir heute etwas schwer zu
blocken."
Snape runzelte die Stirn und sprach in einer ungewohnt sanften Tonlage:
"Harry, ich habe dich jetzt schon
seit längerer Zeit beobachtet. Du hast dich im letzten Jahr ziemlich drastisch
verändert. Ich habe den leisen Verdacht, dass nicht ein Mangel an Konzentration
der Grund für deinen Wunsch ist, sondern etwas ganz anderes. Habe ich
Recht?"
Harry blickte emotionslos auf sein Gegenüber und sagte düster: "Ich möchte
meine Gedanken nicht preisgeben. Das ist mir zu privat. Das müssten Sie doch am
besten verstehen, nachdem ich den dümmsten Fehler in meinem ganzen Leben
begangen habe und in Ihren Erinnerungen herum gepfuscht habe."
Severus Snape wurde, falls das überhaupt möglich ist, noch blasser und zwang
seinen jungen Schüler mit zwei Fingern, ihm in die Augen zu sehen. Er erklärte
mit ruhiger Stimme: "Letztendlich hatte das Ganze aber dann doch noch
einen positiven Aspekt und wir haben beide etwas daraus gelernt, oder?"
Harry konnte es kaum ertragen, in die ebenfalls leidgeprüften Augen seines
Gegenübers zu blicken. Er fühlte schon wieder die verräterischen Tränen in
seinen Augen aufsteigen. Es war einfach alles im Laufe der Zeit zu viel
geworden. Zu viel Trauer und zu viel Schmerz hatten sich angesammelt. Der
Lehrer sah die aufsteigenden Tränen in den Augen seines Studenten und ahnte,
dass es unvermeidlich war, den Jungen mit den aufgestauten Gefühlen zu konfrontieren.
So sehr der Vater dieses Jungen ein nichtsnutziger, ewig zu dummen Scherzen
aufgelegter Grobian gewesen war, der nur auf den Gefühlen anderer Mitschüler
herumgetrampelt hatte, so sehr war dieser Junge das Gegenteil davon. Das war
dem Zaubertranklehrer nach den langen Jahren klar geworden, auch wenn er es nie
öffentlich zugeben oder zeigen würde.
Aber in diesem Moment nahm er einen Teil der ihm altbekannten Seelenqualen eines trauernden und depressiven Teenagers wahr. Er wusste ebenfalls, dass dem allseits so berühmten Wunderknaben seine in sich selbst gekehrte Art mit seiner unverarbeiteten Trauer umzugehen, sehr schnell zum Verhängnis werden konnte.
Innerlich verfluchte der Lehrer
den ach so weisen Schulleiter, der den Gryffindor mit dieser Bürde
alleingelassen hatte, in der Hoffnung, seine guten, gleichaltrigen Freunde
wären schon dazu in der Lage, ihn aufzufangen. Da hatte er jetzt das Ergebnis
dieser tollen Hilfe vor sich. Er musste zugeben, es erschreckte ihn, wie tief
der Schmerz und Selbsthass bei diesem nach außen so ruhig und glücklich
erscheinenden Jungen saß.
Snape räusperte sich und sprach mit rauer Stimme: "Draco, du kannst deine
Übungen für heute erst mal beenden. Es gibt jetzt etwas viel Wichtigeres zu
tun."
Harry hatte seinen Pferdeschwanz gelöst und seine langen, schwarzen Harre
fielen ihm ins Gesicht und verdeckten seine Augen. Draco sah den Professor
neugierig an und fragte leise: "Was ist denn los?"
Der Lehrer warf seinem Patensohn einen aufmunternden Blick zu und deutete mit seinem Kopf fast unmerklich auf Harry, dessen Kopf nun auf seine Hände gestützt war und seine Schultern zitterten fast unmerklich. Draco nahm seinen Freund, ohne darüber nachzudenken sofort in seine Arme und der Gryffindor gab augenblicklich nach.
Er barg sein Gesicht an Dracos
Schulter, so dass dieser sofort merkte wie der andere Junge zitterte und beide
schlangen die Arme umeinander. Draco fühlte plötzlich eine Eiseskälte wie eine
mächtige Flutwelle über sich hereinbrechen. Er spürte unendliche Trauer, Unsicherheit,
Selbsthass, Dunkelheit. Dann hatte er das Gefühl wie am Rand einer steinigen
Steilklippe zu stehen und sich ganz langsam nach vorne zu lehnen, um ganz
allmählich in den Abgrund zu sinken und sich einfach fallen zu lassen. Ein
einziges Ziel schien dort auf ihn zu warten wie blanker Hohn: Erlösung, das
Ende, der Tod.
Jäh wurde der blonde Slytherin aus dieser ihn gefangenhaltenden Gedankenwelt
gerissen, als Severus Snape ihn kräftig schüttelte und ihm zurief: "Draco,
mein Junge. Komm zu dir. Es wird alles wieder gut."
Da merkte Draco, dass er wohl entsetzt aufgeschrieen hatte und ihm verzweifelte
Tränen über das Gesicht liefen, während Harry ihn fest in den Armen hielt und
sein Haar sanft streichelte. Er sah seinen Patenonkel und Harry abwechselnd fragend
an und wollte wissen: "Was war das, verdammt noch mal? Harry, waren das
deine Gefühle?"
Der schwarzhaarige Gryffindor sah betreten zu Boden und nickte stumm, während
die beiden Slytherins besorgte Blicke tauschten. Das würde noch ein sehr langer
Abend werden.
