KAPITEL 9

In den nächsten paar Tagen änderte sich Jess Harpers Zustand kaum. Das Fieber, das vor allem zur Nacht hin bedenklich anstieg, raubte ihm die letzte Kraft. Von Zeit zu Zeit überfielen ihn furchtbare Hustenanfälle, bei denen er meist einen blutvermischten Auswurf erbrach. Dabei kam er jedoch nicht einmal zur Besinnung, obwohl er hin und wieder die Augen halb öffnete und in seinen Fieberträumen wild um sich stierte.

Das ständige Auf und Ab seines Zustandes zehrte nicht nur an Jess' Kräften, sondern ebenso an Slims Nerven. Seit das Unglück geschehen war, der Freund mehr oder weniger erfolgreich gegen den Tod kämpfen mußte und mit ihm verbissen um sein Leben rang, hatte Slim keine Nacht mehr geschlafen, nur tagsüber ab und zu ein paar Stunden Ruhe gefunden.

Die stetige Sorge um den langjährigen Partner, mit dem er nicht nur die Ranch teilte, sondern der ihm ans Herz gewachsen war wie ein Bruder, machten ihn aufs äußerste gereizt, manchmal unerträglich launenhaft, daß sogar Daisy Cooper, die sonst immer eine Engelsgeduld bewies, heftig bei ihm aneckte. Schon lange konnte sie nicht mehr zählen, wie oft er sich bei ihr für seine unwirsche Reaktion entschuldigt hatte. Jedesmal hatte sie das unbestimmte Gefühl, daß er dies weniger bei ihr tat als bei Jess.

Sie nahm es ihm nicht weiter übel, denn sie wußte, daß er im Grunde ein sehr verträglicher Mensch war, den im Augenblick allerdings die Ungewißheit über Jess Harpers Zukunft aus dem Gleichgewicht warf. Sie verstand ihn wie kaum jemand anders, denn auch ihr lag diese Zukunft sehr am Herzen.

Als ehemalige Lazarettschwester und langjährige Assistentin ihres Mannes wußte sie, was diese Kugel, die genaugenommen nicht nur Jess Harper zum Verhängnis geworden war, sondern ihrer aller Leben so veränderte, angerichtet hatte. Das brauchte ihr kein Arzt bis in alle Einzelheiten zu erklären. Sie wußte, daß dieser Mann, der ihr soviel bedeutete wie ein eigener Sohn, so gut wie keine Überlebenschance hatte, daß, selbst wenn er überlebte, er noch lange nicht gesund war und es sehr wahrscheinlich auch nie wieder wurde. Trotzdem hätte sie ihn, gerade weil er ihr soviel bedeutete, niemals aufgegeben, solange in seinem übelzugerichteten Körper eine noch so winzige Flamme seines Lebens flackerte.

Während Slim es sich nicht nehmen ließ, die Nächte bei Jess zu wachen, manchmal kaum in der Lage, sich aufrecht zu halten, ab und zu an seinem Krankenlager erschöpft und übermüdet einschlafend, um bald darauf erschreckt hochzufahren, als hätte ihm sein schlechtes Gewissen einen heftigen Schlag versetzt, war Daisy vor allem am Vormittag regelmäßig damit beschäftigt, den Verletzten zu waschen und die Bettwäsche zu wechseln, ihn in frische Laken und Decken zu hüllen, ihm Umschläge zu machen und soviel Flüssigkeit wie möglich einzuflößen. Sie achtete darauf, daß er zu den vorgeschriebenen Zeiten seine Medikamente schluckte, obwohl sie meist nicht fähig war zu erklären, wie sie ihn in seinem Zustand dazu brachte. Oft weinte sie sogar vor Freude, wenn es ihr gelang, ihn zum Schlucken zu bringen, ohne daß er etwas in die falsche Kehle bekam. Sie umsorgte ihn wie einen hilflosen Säugling, der ohne die Fürsorge seiner Mutter genauso verloren war wie ohne die ihre dieser sterbenskranke Mann, auf den mit verbissener Hartnäckigkeit der Tod lauerte.

Als Daisy am späten Montagnachmittag neben dem Haus die Wäsche von der Leine nahm, die sie in den letzten Tagen haufenweise hatte, kamen von Norden her etwa ein Dutzend Reiter in den Ranchhof geritten. Sie waren in eine Staubwolke gehüllt und verhielten ihre Pferde an der Tränke vorm Stall. Es war Sheriff Cory mit seinen Leuten, von denen einer verstaubter und erschöpfter aussah als der andere. Die Frau hörte, wie er seinen Männern zurief, sie sollten sich beeilen und gleich weiter zur Stadt reiten, während er nachkommen wollte, ein zustimmendes Gemurmel und sah Mort Cory sein Pferd über den Hof lenken.

Vorm Verandaaufgang fing sie ihn ab, wo er schwerfällig mit steifen Knochen vom Pferd stieg wie jemand, der tagelang nicht aus dem Sattel gekommen war. Dabei erschrak sie über sein ernstes, ja, verschlossenes Gesicht, in dem ein tagealter Stoppelbart stand und zwei graue Augen finster dreinblickten.

"Guten Tag, Sheriff", begrüßte sie ihn in ihrer warmherzigen Art, die sogar die Härte seiner steinernen Miene etwas schmelzen ließ.

"Mrs. Daisy", erwiderte er nur und tippte flüchtig an den Hutrand.

"Wollen Sie und Ihre Männer nicht auf einen Schluck Kaffee hereinkommen? Ich habe schnell welchen gekocht", schlug sie vor, da sie das Gefühl hatte, daß unter den abgekämpft aussehenden Männern bestimmt keiner war, der dieses Angebot ausgeschlagen hätte.

"Vielen Dank, aber machen Sie sich bitte keine Umstände. Wir haben nicht viel Zeit. Die Männer reiten gleich weiter, wenn sie ihre Pferde getränkt haben", erklärte er in sehr dienstlichem Ton. "Ist Slim da?" wollte er dann wissen; an der Art, wie er nach dem Rancher fragte, erkannte sie, daß er keine angenehmen Neuigkeiten brachte.

"Er ist im Haus." Zusammen gingen sie hinein. "Slim ist bei Jess", erklärte sie, während sie auf die Tür des Krankenzimmers zueilte. "Ich werde ihn rufen."

"Wie geht es Jess?" warf Mort ihr hinterher, noch ehe sie die Tür erreichte.

Sie hielt in der Bewegung inne und wandte sich langsam zu ihm um. Als sie aufblickte, konnte er die Traurigkeit in ihrem Gesicht erkennen.

"Nicht viel besser", erwiderte sie leise, mit einem Hauch von Hoffnungslosigkeit in der Stimme. "Er ist immer noch ohne Besinnung."

"Was sagt der Arzt?"

"Wir müssen nach wie vor mit dem Schlimmsten rechnen." Beim Weitersprechen konnte sie das Zittern ihrer Stimme nicht ganz verbergen. "Jess hat entsetzliche Tage und Nächte hinter sich. Glauben Sie mir, ich habe gewiß schon viel erlebt, aber ich wußte bisher nicht, daß ein Mensch so etwas aushalten kann."

"Er wird es schon schaffen." Die Zuversicht in Morts Worten konnte ihn selbst nicht überzeugen.

"Hoffentlich." Sie wollte nicht weiter darauf eingehen, weil sie sonst die Fassung verloren hätte. Statt dessen wandte sie sich ab und öffnete die Tür zum Krankenzimmer. "Slim?" fragte sie mit verhaltener Stimme, da sie nicht wußte, ob sie störte. "Sheriff Cory ist da."

Im Wohnzimmer begrüßte Slim den Sheriff mit wenigen Worten und Gesten. Sofort merkte Daisy, daß die zwei Männer ungestört sein wollten. Keiner der beiden hätte sie zwar hinausgeschickt, aber ihr untrügliches Feingefühl signalisierte ihr überdeutlich, daß sie störte.

"Mrs. Daisy sagte, Jess ginge es noch nicht besser", war Mort Corys erstes, als sie allein im Wohnzimmer waren, nachdem Daisy hinausgegangen war, um sich weiter um ihre Wäsche zu kümmern und auch darauf zu achten, daß Mike nicht in einem unbeobachteten Augenblick ins Haus huschte, um dort wieder Dinge mitzuhören, die nicht für seine Ohren bestimmt waren.

"Nein, leider nicht. Er war noch nicht einmal bei Bewußtsein. Allmählich fange sogar ich an, daran zu zweifeln, daß er jemals wieder aufwacht."

"Ist es denn so schlimm?"

"Dan meint, er hätte nach wie vor kaum eine Überlebenschance. Die Kugel steckte tief in seiner Brust, direkt neben dem Herzen. Sie hätte eigentlich seinen Körper durchschlagen müssen, prallte aber an einer Rippe ab und blieb stecken. Dan hat fast zwei Stunden gebraucht, ehe er sie mitsamt den Knochensplittern endlich entfernen und die inneren Blutungen stillen konnte. Sie hat … Seine Lunge ist verletzt. Dan sagt, es besteht die Gefahr, daß, selbst wenn Jess es überlebt, er nie wieder ganz gesund wird. Er hat zu schwere innere Verletzungen. Manchmal frage ich mich sogar, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn … wenn …" Slim brach ab. Er konnte den Gedanken nicht aussprechen. "Mein Gott, Mort! So etwas sollte ich nicht sagen! So etwas dürfte ich noch nicht einmal denken. Aber wenn ich mir vorstelle …" Kopfschüttelnd besann er sich und fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung über das hager gewordene Gesicht, das von den schlaflosen Nächten und Tagen der ständigen Sorge um den todkranken Freund gezeichnet war. "Entschuldige, Mort, aber ich bin ziemlich fertig. Ich kann das bald nicht mehr ertragen."

"Daß es so schlimm ist, habe ich nicht gewußt."

"Woher solltest du das auch? Wie schlimm es wirklich ist, wissen nicht einmal wir. Ich glaube, wenn es jemand genau weiß, dann ist das einzig und allein der Arzt. Und der will es uns nicht sagen. Zumindest weicht er immer aus. Vielleicht ist er sich selbst nicht sicher. Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es auch besser so, wenn wir nicht alles wissen. Das Wichtigste, was im Moment zählt, ist, daß Jess noch lebt. Alles andere ist unwichtig. Ich bilde mir zumindest ein, daß es das ist, auch wenn es mir bestimmt nicht leichtfällt." Slim schwieg einen Augenblick und wechselte dann das Thema. "Hast du mit deinen Männern die Kerle aufspüren können?"

"Die Kerle selbst nicht, aber die allzu deutlichen Spuren, die sie überall zwischen hier und der Medicine Bow Range hinterlassen haben."

"Entschuldige, wenn ich dich unterbreche, Mort, aber willst du dich nicht setzen und eine Tasse Kaffee trinken?" warf Slim ein und wollte ihn zum Tisch dirigieren; aber der Sheriff lehnte auch bei ihm dankend ab.

"Nein, danke, Slim. Ich habe sechs Tage fast ununterbrochen im Sattel zugebracht, daß es mir mal guttut zu stehen. Und Kaffee hat mir schon Mrs. Daisy angeboten. Leider hab' ich dafür keine Zeit. Wir sind eigentlich nur hier vorbeigekommen, weil ich hören wollte, was mit Jess ist, und um dir bei der Gelegenheit gleich zu berichten."

"Das hört sich ganz danach an, als ob diese Spuren, die die Kerle hinterlassen haben, nicht sehr angenehm sind", vermutete Slim mit finster zusammengezogenen Brauen.

"Das kann man wohl sagen. Nachdem sie hier ihr blutiges Handwerk erledigt hatten, sind sie zunächst querfeldein bis zum Paß geritten. Dort hatten wir zum erstenmal ihre Spur verloren. Anscheinend folgten sie von da an der Straße. Der Paß ist ziemlich verkehrsreich, daß ihre Spuren auf der stark befahrenen Straße nicht oder kaum auszumachen waren. Wir sind der Straße auf gut Glück bis Pine City gefolgt. Der dortige Deputy hat mir erzählt, daß sich der Büchsenmacher bei ihm über einen ziemlich rauhen Kunden ausweinte, der ihm eine Winchester mit völlig verzogenem Lauf angedreht hat. Als ich den Büchsenmacher nach dem Mann fragte, lieferte er mir eine komplette Beschreibung. Der Mann mit dem Gewehr war eindeutig dieser Hal, der hier das Zielschießen auf Jess veranstaltete. Er hat dem Büchsenmacher gedroht, ihm am eigenen Leib zu demonstrieren, daß sein Gewehr nicht in Ordnung sei, als dieser sich zunächst weigerte, es gegen ein anderes einzutauschen, mit dem er einwandfrei visieren könnte und das keine merkliche Zielungenauigkeit auf mindestens hundert Schritt hätte. Wenn es ihn nicht zufriedenstellte, wollte er zurückkommen und ihn, den Büchsenmacher, als Zielscheibe zum Einschießen benutzen."

"Das traue ich dem Kerl glatt zu", warf Slim bissig ein, als er sich diesen Hal vorstellte. "Auf Jess hat er schließlich auch nur geschossen, weil es ihm eben Spaß machte, den Finger zu krümmen und jemandem wehzutun. Dieser Mann muß wahnsinnig sein. Ich sage dir, Mort, du hättest ihn sehen sollen, als er abdrückte! Sein niederträchtiges Grinsen, diese widerliche Schadenfreude, als die Kugel ihr Ziel erreichte und Jess mit schmerzverzerrtem Gesicht aufschrie! Ich wußte bis dahin nicht, daß es jemandem eine derartige Freude bereiten kann, einen Menschen so sinnlos über den Haufen zu schießen. Und daß Jess noch lebt, verdankt er im Grunde nur diesem Schießprügel. Wäre der in Ordnung gewesen, läge er wahrscheinlich schon längst unter der Erde."

"Das ist anzunehmen", nickte der Sheriff mit finsterer Miene. "Ich weiß nicht, ob du den alten Bud Franklin gekannt hast. Er hat bei Deep River den Handelsposten unterhalten."

"Ja, ich kenne ihn flüchtig. Soll das etwa heißen …"

"Genau! Bud ist tot. Die drei haben bei ihm ihre Vorräte aufgefrischt und ihre total erschöpften Pferde eingetauscht. Als Bud sie offensichtlich nach der Bezahlung fragte, hat ihn unser Hal kaltblütig erschossen. Ein Farmer, der bei Bud schon seit Jahren seine Einkäufe tätigt, hat die Szene von weitem verfolgt, konnte ihm jedoch nicht helfen, weil er zu weit entfernt und obendrein unbewaffnet war. Zum Glück haben die drei den Mann nicht bemerkt, sonst hätten sie ihn wahrscheinlich auch umgelegt."

"Warum ausgerechnet den alten Bud?" fragte Slim verständnislos. "Er konnte doch keiner Fliege etwas tun. Seine Gutmütigkeit hat so manchen kleinen Farmer vor dem Ruin gerettet. Und jetzt das! Das verstehe ich nicht, Mort."

"Nun ja, nachdem der Kerl hier auf Jess ohne triftigen Grund geschossen hat, traue ich ihm durchaus zu, daß es ihm genauso leichtfällt, auf jemanden zu schießen, der nur ein falsches Wort zu ihm sagt. Und das hat der alte Bud wohl getan, indem er die drei nicht ohne Bezahlung gehen lassen wollte."

"Was sind das bloß für Menschen?"

"Das fragst du mich zuviel." Mort atmete laut hörbar auf, ehe er fortfuhr. "Aber das ist noch nicht alles. Gleich hinter Deep River haben sie versucht, eine Postkutsche zu überfallen. Ehe sie sie jedoch erwischten, ist sie verunglückt und einen Abhang hinuntergestürzt. Zum Glück waren keine Passagiere an Bord. Der Kutscher wurde vom Bock geschleudert und blieb bewußtlos liegen. Anscheinend dachten sie, er wäre tot, sonst hätte unser Hal das Seine wieder besorgt, zudem es in der Kutsche außer Fracht nichts zu holen gab. Daraufhin sind sie auf dem kürzesten Weg nach Medicine Bow geritten, um die Bank zu erleichtern. Als der Kassierer Alarm schlug, haben sie ihn umgebracht und bei ihrer Flucht wie wild um sich geschossen. Wie durch ein Wunder wurde dabei niemand getroffen außer einem kleinen Mädchen, das mit seiner Mutter beim Einkaufen war. Als wir Medicine Bow verließen, schwebte das Kind zwar nicht mehr in Lebensgefahr, aber der Arzt meinte, es würde wohl vorerst, wenn nicht sogar für immer gelähmt bleiben. Die Mutter erlitt einen Schock. Das Mädchen ist kaum ein Jahr älter als Mike. Und das alles wegen knapp fünfhundert Dollar! Mehr konnten sie nicht erbeuten, weil ja der Kassierer vorzeitig Alarm gab."

"Mein Gott!" entfuhr es Slim, Mort entsetzt anstarrend. "Kann denn keiner diese Bestien zur Strecke bringen?"

"Offensichtlich nicht. Der Sheriff von Medicine Bow hat sich uns mit seinen Männern angeschlossen. Wir haben unsere Pferde fast zuschanden geritten. Bald hinter der Stadt haben wir jedoch ihre Spuren in den Bergen verloren. Obwohl wir nicht aus dem Sattel gekommen sind, konnten wir sie nirgends wiederfinden. Entweder sind sie weiter nach Westen, um auf dem schnellsten Weg nach Utah zu kommen, oder aber sie treiben sich immer noch in unserem Territorium herum und halten sich in den Bergen versteckt. Aber sie da aufzuspüren ist unmöglich. Wir haben da erst eine Chance, wenn sie ihr Schlupfloch verlassen und sich wieder bemerkbar machen."

"… und noch mehr Blut geflossen ist", setzte Slim voll Abscheu hinzu. "Wenn ich daran denke, daß zwei dieser Kerle hier in diesem Haus, in diesem Raum waren, wird mir speiübel, kann ich dir nur sagen! Und wenn ich mir vorstelle, sie hätten Mike da oben in seinem Versteck gefunden, ihm oder Daisy wäre etwas geschehen … so wie dem kleinen Mädchen … und dann noch Jess! Mort, ich glaube, ich wäre übergeschnappt."

"Ob du's glaubst oder nicht, aber von all diesen Scheußlichkeiten, die ich unterwegs erlebt und gesehen habe, ist mir nichts so an die Nieren gegangen wie das, was hier passiert ist. Bei den anderen Verbrechen hatten die drei jedesmal einen mehr oder weniger fadenscheinigen Grund zu schießen, selbst wenn es nur um ein paar Cents oder ihre schmutzige Haut ging. Aber das, was sie hier veranstaltet haben, war völlig sinnlos. Sie waren hier weder auf Geld aus, noch mußten sie sich ihrer Haut wehren, noch hat sie irgend jemand herausgefordert."

"Vielleicht habe ich sie mit meinem Verhalten gereizt", vermutete Slim und suchte wieder die alleinige Schuld an allem bei sich selbst.

"Nein, Slim, denn dann hätten sie mit dir kurzen Prozeß gemacht. Soviel kenne ich sie, glaube ich, schon, um das sagen zu können. Und Jess, auf den dieser Hal letztendlich losgeballert hat, hat sie ja wohl nicht provoziert."

"Ach, woher! Jess wußte nicht einmal, daß die Kerle hier waren. Genausowenig wußte dieser Hal, auf wen er schoß. Aber das war ihm anscheinend egal. Und du hast recht. Auch ich kann es trotz allem, was du mir über die drei erzählt hast, nicht begreifen, warum das hier mit Jess passieren mußte. Für alles andere kann man zur Not noch eine Erklärung finden, aber nicht dafür."

"Wahrscheinlich gibt es auch keine. Weißt du, das Schlimmste daran ist, daß Jess einer meiner besten Freunde ist. Das tut besonders weh."

"Wem sagst du das?"

"Schon allein deshalb hätte ich mir gewünscht, daß wir die drei Halsabschneider erwischen. Ich meine, das, was sie sonst noch angerichtet haben, ist zwar auch noch schlimm genug, aber es berührt mich nicht persönlich. Selbst das mit dem Mädchen geht mir nicht so nah wie diese Geschichte mit Jess. Ich möchte, daß du das weißt, auch wenn ich ihm weder helfen kann, noch sonst etwas erreicht habe."

"Danke, Mort, aber es ist bestimmt nicht deine Schuld, wenn ihr keinen Erfolg hattet und die Kerle nicht aufstöbern konntet. Von mir aus soll sie der Teufel holen, wenn sie sich bloß hier nicht mehr blicken lassen. Und wenn doch, kann ich nur hoffen, daß ich sie rechtzeitig bemerke, damit ich sie diesmal gebührend empfangen kann. Ein zweites Mal überrumpeln die mich jedenfalls nicht, das sage ich dir! Eher knalle ich sie der Reihe nach ab, so wie sie es mit Jess gemacht haben, als daß ich ihnen die Möglichkeit gäbe, noch einmal auf einen von uns zu schießen."

"Mach keinen Unsinn, Slim!" warnte der Sheriff.

"Wieso Unsinn? Ich werde ihnen dann genau die gleiche Chance geben, die Jess hatte, als er nichtsahnend in diese Kugel lief." Wütend hielt er dem Sheriff das Geschoß unter die Nase, das er seit dem verhängnisvollen Dienstagmorgen ständig bei sich trug. "Oder bildest du dir ein, ich seh' ein zweites Mal tatenlos zu, wie man meinen besten Freund über den Haufen schießt?"

"Slim, vor dem Gesetz wäre das Mord."

"Zum Teufel mit dem Gesetz!" Das Stück Blei in seiner Hand brannte wie Feuer. "Das Gesetz wird mich nicht daran hindern können! Diesmal nicht, Mort! Dafür bedeutet mir Jess zuviel. Das Gesetz hat schließlich nicht verhindern können, daß das geschehen ist. Und wenn Jess jetzt vielleicht sterben muß, wird das Gesetz ihm garantiert nicht helfen können."

"Das gewiß nicht, aber es wird nichts ungeschehen, wenn du das tätest, was du vorhast."

"Nein, aber es bestünde auch nicht mehr die Gefahr, daß es noch einmal geschieht."

"Nun, dann kann ich nur hoffen, daß die Kerle nicht mehr hier auftauchen. Das wäre für alle Beteiligten das beste."

"Worauf du dich verlassen kannst!" Slim steckte mit einer fahrigen Bewegung die Kugel in seine Brusttasche zurück und wollte nicht mehr weiter darauf eingehen, was er eventuell tat, wenn sich die drei oder auch nur einer von ihnen noch einmal hier blicken ließ. "Was wirst du jetzt tun?" fragte er statt dessen.

"Ich habe von unterwegs einige Telegramme verschickt. Möglicherweise ist inzwischen Antwort gekommen. Morgen werde ich noch einmal mit ein paar Männern in die Berge reiten. Vielleicht finden wir etwas durch Zufall, obwohl ich es nicht annehme. Aber ich kann mich jetzt nicht in mein Büro hocken, um einfach nur zu warten. Außerdem will ich zusehen, daß so schnell wie möglich ein Steckbrief in Umlauf kommt. Wenn ich in der Stadt Gary Morgan erwischen kann, komm' ich heute abend noch mit ihm vorbei, damit er 'ne Zeichnung von diesem Hal und dem andern anfertigt. Trotz der vielen Zeugen hast du die beste Beschreibung von den beiden geliefert."

"Ich hatte auch lange genug Zeit, sie mir genau anzusehen. Ihre Visagen werd' ich mein Leben lang nicht vergessen. Egal, wie spät es wird, ihr könnt getrost noch vorbeikommen. Wenn ich hier weg könnte, käme ich gleich mit."

"So eilig ist es nicht. Um ganz ehrlich zu sein, möchte ich nicht, daß du die Ranch für längere Zeit oder auf größere Entfernung verläßt. Solange die Kerle frei herumlaufen, besteht die Gefahr, daß sie noch einmal hier auftauchen. Du kannst Daisy und Mike nicht ohne Schutz hier allein lassen, ganz zu schweigen von Jess."

"Ich weiß, Mort. Gerade seinetwegen darf ich hier nicht weg. Ich habe das unbestimmte Gefühl, er wird mich bald wieder brauchen, vielleicht sogar mehr als bisher. Nach allem könnte ich es mir nie verzeihen, nicht dazusein, wenn es soweit ist."

Mort Cory wollte lieber nicht fragen, was genau er damit meinte. Wenn er sich den bewußtlosen Mann durch die halboffene Tür im Hintergrund ansah, wußte er, was Slim befürchtete.

"Bis später dann", sagte er nur.

Während Slim ins Krankenzimmer zurückkehrte, jagte Mort Cory hinter seinen Männern her, die vorausgeritten waren und die er auf halbem Weg zur Stadt einholte.

Als er in sein Büro kam, lagen auf seinem Schreibtisch vier Telegramme, die während seiner Abwesenheit auf die Anfragen, die er von unterwegs an seine Amtskollegen in den umliegenden Bezirksstädten geschickt hatte, eingetroffen waren. Eine Nachricht war vom Staatsgefängnis in Leavenworth. Vor vier Wochen war von dort ein gewisser Alexander Owen ausgebrochen, der eine lebenslängliche Strafe wegen verschiedener kapitaler Verbrechen zu verbüßen hatte. Der Mann galt als gefährlich. Es war damit zu rechnen, daß er sich ins Territorium von Wyoming abgesetzt hatte, um sich in den unübersichtlichen Bergregionen zu verbergen und später nach Norden über Montana nach Kanada zu entkommen. Ein entsprechender Steckbrief war unterwegs. Für Mort bestand kein Zweifel, daß dies jener Alex war, mit dem sich die zwei anderen auf der Sherman-Ranch getroffen hatten. Diese beiden waren in Leavenworth jedoch nicht bekannt.

Den Weg in die Redaktion der "Laramie Chronicle", die Gary Morgan seit Jahren mit glühendem Eifer mehr oder weniger regelmäßig herausgab, konnte er sich sparen.

Der kleine, fast schmächtig wirkende Zeitungsmann mit den listigen Augen und der wieselflinken Art, mit der er sich zu bewegen pflegte, schien ein ausgeprägtes Gespür für Neuigkeiten aller Art, besonders jedoch für Sensationen zu haben. Schon während der letzten Tage hatte er den Verdacht, daß irgend etwas im Gange war, von dem niemand etwas Genaues wußte oder wissen wollte. Dabei wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, etwas nur um der Sache willen zu erfinden, so wie es viele seiner Zeitungskollegen mit Vorliebe taten. Vielmehr legte er großen Wert darauf, wirklich nur die Wahrheit zu schreiben, wenn auch manchmal in sehr blumiger Sprache, ab und zu mit überaus spitzer Feder oder scharfer Zunge, je nachdem, wie er es für angemessen hielt. Darüber hinaus war er ein unerschütterlicher Verfechter von Gesetz und Ordnung, der es als selbstverständliche Pflicht sah, den Sheriff und seine Leute bei ihrer Arbeit schwarz auf weiß zu unterstützen. So war es kein Wunder, daß er bei Rückkehr des Suchtrupps sofort zur Stelle war.

Mort, der seine Männer für heute nach Hause geschickt und in seinem Büro die Telegramme flüchtig gelesen hatte, wollte gerade seine Amtsstube verlassen, als Gary Morgan hereinplatzte, mit Druckerschwärze verschmierter Schürze und schwarzen Ärmelschonern bis über die Ellbogen.

"Hallo, Gary! Zu Ihnen wollte ich gerade."

"'n Tag, Sheriff", erwiderte Gary und schloß geräuschvoll die Tür hinter sich. "Ich sah Sie gerade mit den Männern zurückkommen. Was ist denn nur los? Sie waren fast eine ganze Woche unterwegs, und Ihr Deputy wollte keine Auskunft geben. Man munkelt in der Stadt, daß auf der Sherman-Ranch etwas passiert ist, aber keiner weiß etwas Genaues oder will mit der Sprache rausrücken. Andrew Carron aus dem Mietstall hat mir erzählt, daß Slim Sherman letzten Dienstag in ziemlich wüstem Aufzug in der Stadt war und den Arzt aufgesucht hat, der dann in überstürzter Eile zur Ranch fuhr. Obwohl ich annehme, daß Doc Higgins in der Zwischenzeit noch öfter da draußen war, ist nichts aus ihm rauszukriegen. Seine Haushälterin weiß angeblich auch von nichts. Von den Kutschern der Gesellschaft, die seit der Zeit auf der Sherman-Ranch Station machten, weiß ich, daß Slim die letzten Tage ziemlich wortkarg und wenig freundlich war. Von den anderen Bewohnern der Ranch hat man seither keinen mehr zu Gesicht bekommen, weder in der Station noch hier in Laramie. Vor allem Mose Andrews fand es komisch, daß er Jess Harper seit einer guten Woche nicht mehr gesehen hat, der sonst immer seine herzhaften Späße mit ihm während des Gespannwechsels macht. Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen! Und wieso waren Sie mit dem ganzen Aufgebot solange unterwegs?" sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihm heraus.

"Sie bombardieren mich ja ganz schön!" stellte Mort fest, als er endlich zu Wort kam. "Ich will Ihnen sagen, was geschehen ist, damit Sie von jemand anderem kein Sensationsmärchen aufgebunden bekommen. Ja, es ist auf der Sherman-Ranch etwas vorgefallen, letzten Dienstag. Jemand hat Jess Harper niedergeschossen. Er ist schwer verletzt, schwebt noch in Lebensgefahr. Niemand weiß, ob er durchkommen wird. Es besteht kaum Hoffnung."

"Jess?" vergewisserte sich Gary, erstaunt die Augen aufreißend. Damit hatte er nun doch nicht gerechnet. "Aber wie konnte denn so etwas passieren?"

Er konnte sich das nur schwer vorstellen, denn er wußte, daß Jess sehr gut gelernt hatte, auf sich aufzupassen, und einem Gegner kaum eine Chance gäbe, ihm in irgendeiner Weise zuvorzukommen. Dafür war er viel zu wachsam und auch mißtrauisch, selbst wenn er nach außen hin Arglosigkeit vortäuschte. Wenn es tatsächlich jemand geschafft hatte, ihn zu überrumpeln, ja, sogar zu Fall zu bringen, konnte das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Das war jedenfalls Gary Morgans Meinung, ehe er überhaupt Näheres über den Vorfall wußte.

Der Sheriff schilderte ihm in kurzen Worten, was geschehen war, wie er es von Slim Sherman erfahren hatte. Am Ende seines Berichtes konnte Gary nicht fassen, was er da hörte.

"Aber das ist doch nicht möglich! Nicht Jess! Das kann gar nicht sein! Wer um alles in der Welt hat das nur getan, hatte Grund, so etwas zu tun?"

"Einen besonderen Grund dafür gibt es nicht."

"Das versteh' ich nicht."

"Das ist auch schwer zu verstehen." Mort machte eine hilflose Geste, weil er nicht wußte, wie er es erklären sollte. "Jess hat sich im Laufe der Zeit nicht nur Freunde in der Gegend gemacht. Das wissen Sie so gut wie ich. Jedenfalls kenne ich genug Leute, die ihm liebend gern eins verpassen würden, wenn sie sich an ihn rantrauten. Ein guter Schütze auf Seiten des Gesetzes hat nun einmal auch Feinde, die versuchen, ihn auszuschalten. In der Beziehung lebt er wahrscheinlich sogar gefährlicher, als wenn er ein Abzeichen anstecken hätte. Mit diesem Risiko muß er ständig rechnen. Aber eine offene Rechnung war nicht der Grund, sondern ganz einfach reine Mordlust. Der, der geschossen hat, kannte Jess überhaupt nicht, weder seinen Namen noch seine Person. Er hat im Hinterhalt auf ihn gelauert und wollte einfach nur sehen, was passiert, wenn seine Kugel einen völlig Ahnungslosen trifft. Jess wurde zwar von vorn getroffen, aber wenn man ihm in den Rücken geschossen hätte, wäre das nicht heimtückischer gewesen. Hinterhalt bleibt Hinterhalt, egal, aus welcher Richtung die Kugel kommt. Jess hatte keine Chance. Obendrein hat der Kumpan dieses Amokschützen Slim und Daisy Cooper gezwungen, dieses gräßliche Schauspiel mit anzusehen. Und auch Mike …"

"Der Junge etwa auch?"

"Ja, er hatte sich vor den Männern versteckt, hat alles gesehen, auch wie Jess fiel."

"Das ist ja ungeheuerlich!" entfuhr es Gary. "Das ist ja kaum zu glauben! Sheriff, das ist doch alles nicht möglich! Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß da zwei Männer so mir nichts, dir nichts auf der Ranch eingedrungen sind und dann der eine ein absolut sinnloses Preisschießen auf Jess Harper veranstaltet hat. Da muß doch noch mehr dahinterstecken. Das kann gar nicht anders sein!"

"So wie es aussieht, steckt nichts weiter dahinter. Im Grunde war es reiner Zufall, daß es Jess erwischte. Es hätte genausogut auch jemand anderes sein können. Wenn Jess aus irgendeinem Grund nur eine halbe Stunde später nach Hause zurückkehrte, wäre ihm gar nichts geschehen, weil die Kerle dann nämlich schon über alle Berge gewesen wären."

"Haben diese feigen Hunde denn noch mehr angestellt?"

"Noch jede Menge, aber das erzähl' ich Ihnen besser unterwegs."

"Unterwegs?" Gary Morgan zog verwirrt die Brauen hoch. "Wohin gehen wir denn?"

"Wir reiten zur Sherman-Ranch. Sie müssen von den beiden Kerlen Zeichnungen anfertigen. Slim wird sie Ihnen genau beschreiben."

"Nichts tu' ich lieber als das. Hoffentlich finden Sie sie bald, Sheriff! Sie wissen, ich mag Jess sehr. Deshalb wünsche ich mir nichts sehnlicher, als daß der, der ihm das angetan hat, bald seine gerechte Strafe bekommen wird."

"Das wünschen wir uns alle. Ich möchte auch, daß Sie über den Fall ausführlich berichten und Ihren Lesern zeigen, wie gefährlich diese Burschen sind. Die Leute sollen ruhig wissen, daß hier eine Bande von heimtückischen Halsabschneidern am Werk war und sich immer noch auf freiem Fuß befindet. Aber veröffentlichen Sie es so, daß keine Panik ausbricht."

"Sie wissen, daß Sie sich auf mich verlassen können. Ihnen und vor allem jedoch Jess zuliebe werde ich mein möglichstes tun", versprach Gary Morgan. Am liebsten hätte er gleich mit dem Verfassen eines umfangreichen Artikels begonnen.

"Wenn ich das nicht könnte, hätte ich Ihnen nicht alles erzählt. Und jetzt sollten wir uns beeilen, damit wir zur Ranch kommen, sonst wird es zu spät für heute."

"Ich hole nur meinen Zeichenblock und einen Stift und mach' meinen Laden dicht. Dann können wir aufbrechen."

"Gut, ich erwarte Sie in Carrons Mietstall. Und keine Auslegungen unterwegs!"

"Wo denken Sie hin, Sheriff! Ich vergraule mir doch nicht selbst die Kundschaft."

Dank der Arbeit des eifrigen Zeitungsmannes gab es am nächsten Morgen in Laramie kaum jemanden, der nicht von der Existenz der drei Verbrecher und dem, was sie sowohl auf der Sherman-Ranch als auch nach ihrem Besuch auf der Poststation angestellt hatten, wußte.

Gary Morgan schlug sich die ganze Nacht um die Ohren und arbeitete mit glühendem Eifer an der nächsten Ausgabe der "Laramie Chronicle" sowie am Druck der Steckbriefe. Kurz nach Sonnenaufgang konnte er deshalb dem Sheriff bereits einen Stapel Steckbriefe zum Verteilen übergeben und ihm das erste noch druckfeuchte Exemplar der Zeitung präsentieren. Mort war mit seiner Arbeit sehr zufrieden und meinte, er könnte den Artikel genauso veröffentlichen, wie er ihn verfaßt hatte.

Als kurze Zeit später Mort Cory mit seinen Leuten erneut die Stadt verließ, um noch einmal die umliegende Gegend und vor allem die nahegelegenen Berge nach den Flüchtigen abzusuchen, obwohl er annahm, daß dies genauso erfolglos bliebe wie das erste Mal, hingen schon an allen öffentlichen Gebäuden die Steckbriefe, und Gary Morgan höchst persönlich verteilte mit einem seiner Angestellten seine Zeitung unter den Leuten.

KAPITEL 10

Am nächsten Tag nach dem Essen machte sich Slim daran, die neue Fensterscheibe, die mit der Mittagspost aus Laramie gekommen war, in den leeren Rahmen zu setzen. Jetzt erinnerte wenigstens das glaslose Fenster nicht mehr an den Zwischenfall, der vor einer Woche ihrer aller Leben so verändert hatte.

Er räumte das Werkzeug weg und ging sich in der Küche die Hände waschen. Gerade griff er nach dem Handtuch, als Daisy ihn mit verhaltener Stimme rief.

"Was gibt's?" fragte er, nichts Gutes ahnend.

"Bitte kommen Sie schnell! Jess … Ich glaube, es geht ihm nicht gut. Er ist sehr unruhig. Vielleicht kommt er zu sich und braucht Sie."

Slim beachtete sie nicht weiter, hastete mit großen Schritten durchs Wohnzimmer und war im Nu bei seinem Freund, der zunehmend unruhiger wurde und wirklich zur Besinnung zu kommen schien. Sein Stöhnen wurde lauter. Immer wieder warf er den Kopf von einer Seite zur anderen oder vergrub sein schmerzverzerrtes Gesicht im Kissen, daß es Slim fast so vorkam, als wände er sich unter einer unerträglichen Last, die ihn zu erdrücken drohte.

Tatsächlich hatte Jess das Gefühl, unter einer Steinhalde zu liegen und das ungeheure Gewicht preßte ihm die letzte Luft aus den Lungen. Wütende Schmerzen drangen deutlicher in sein erwachendes Bewußtsein. Mit jedem Atemzug wurden Stechen und Brennen in seiner Brust schlimmer. Ein wahrer Feuersturm fegte über ihn hinweg, ohne daß er gewußt hätte, wo und was überhaupt die Ursache dafür sein könnte. Das Atmen fiel ihm schwer, bereitete ihm entsetzliche Schmerzen.

Er schlug die Augen auf; zumindest bildete er sich das ein, aber alles blieb dunkel. Erst nach mehrmaligem Blinzeln durchdrang endlich ein schwacher Lichtschein den dichten Nebel, der ihn einhüllte und nur langsam seine Sinne von außerhalb Reize empfangen ließ. Allmählich nahm der Schatten über ihm schärfere Konturen an.

"Slim?" fragte er unsicher und kaum vernehmbar, während seine Hand ins Leere tastete.

"Ich bin hier, Jess", versicherte Slim, ergriff seine schlaff auf die Bettdecke fallende Hand und drückte sie fest. "Bleib nur ganz ruhig!"

Heftige Schmerzen trieben Jess die Tränen in die Augen, ließen sein hager gewordenes Gesicht zu einer verzerrten Maske werden, auf dem in dicken Perlen der Schweiß stand und über seine zerfurchten Züge rann.

"Was … was ist los mit mir?" keuchte er mit gebrochener Stimme so leise, daß ihn Slim kaum verstehen konnte. "Ich … ich kann nicht … atmen." Jess versuchte, den Kopf zu heben, mußte allerdings feststellen, daß er selbst dazu nicht imstande war. "Warum tut das nur so weh?" Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was mit ihm geschehen war.

"Bleib ruhig liegen!" mahnte der Freund. "Du darfst dich nicht bewegen und machst alles nur schlimmer, wenn du nicht still liegst."

"Was … was ist passiert?"

Slim wollte es ihm zunächst nicht sagen und wich seinem verständnislosen Blick aus. Daß Jess von dem ganzen Vorfall nicht die geringste Ahnung zu haben schien, ja, sich offensichtlich nicht erinnern konnte, daß überhaupt etwas geschehen war, hätte ihm den Weg für jede x-beliebige Geschichte freimachen können. Vielleicht hätte er einen anderen belügen können, jedoch nicht diesen Mann, der ihm zugetan war wie ein Bruder, mit dem er die letzten acht Jahre seines Lebens in aufrichtiger Freundschaft teilte. Schließlich mußte er nicht bis ins kleinste Detail gehen. Genausowenig konnte ihn jemand dazu zwingen, eine Lüge zu erfinden, die womöglich einiges zerstörte, was ihm und auch Jess in diesen acht Jahren so wichtig gewesen war: Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, selbst wenn es im einen oder anderen Fall schwerfiel.

"Sag doch!" drängte Jess, als der Rancher immer noch zögerte. "Was ist … geschehen?"

"Jemand … jemand hat auf dich geschossen."

"Geschossen? Aber warum denn? Und wer?" wollte er es genauer wissen, weil er seinem fiebergeplagten Gehirn nicht die leiseste Erklärung für das alles entlocken konnte.

"Das sind zwei berechtigte Fragen, auf die ich selbst gern eine Antwort wüßte."

Aus reiner Verlegenheit klang Slims Erwiderung sehr hölzern, womit er den Freund anscheinend nur noch mehr verwirrte.

"Slim, ich …" Jess schluckte ein Stöhnen hinunter. Das Feuer flammte erneut in seinem Körper auf, ließ ihm beinahe wieder die Sinne schwinden. "Ich verstehe nicht."

"Das ist auch nicht zu verstehen." Slim machte eine hilflose Geste. "Der, der es getan hat, hatte keinen Grund. Er hat es einfach nur getan. Du solltest dir jetzt nicht zuviel den Kopf über Dinge zerbrechen, für die es im Moment keine Erklärung gibt. Du bist viel zu krank, um jetzt darüber zu sprechen."

"Hat … hat mich ganz schön erwischt, was?"

"Mach dir keine Sorgen! Das wird schon wieder", versuchte Slim so harmlos wie möglich zu klingen, wich jedoch seinem fragenden Blick aus. Betreten senkte er den Kopf und begann, an seiner Unterlippe zu nagen, ehe er kaum merklich nickte; er konnte den Freund nicht belügen. "Ziemlich", brachte er dann etwas einsilbig hervor, womit er sich selbst widerlegte.

"Ich werde sterben, nicht wahr?"

"Unsinn!" fuhr der Rancher energisch auf. An der Heftigkeit seiner Reaktion erkannte Jess, wie es in Wirklichkeit um ihn stand. "Ganz so schlimm ist es nicht!" Slim versuchte ein verharmlosendes Grinsen; aber seine Augen verrieten ihn.

"Du … du hast schon besser gelogen."

Jess verzog das eingefallene Gesicht und schluckte ein weiteres Stöhnen hinunter. Um ein Haar hätten ihn die Schmerzen zum Schreien gebracht. Statt dessen hielt er die Luft an. Für einen Moment war er von dem heftigen Stechen und Brennen wie betäubt. Obwohl ihn das Sprechen sehr anstrengte, versuchte er sich damit von dem Chaos in seiner Brust abzulenken, indem er seine Gedanken mühevoll auf das konzentrierte, was er sagen wollte. Trotzdem mußte er nach fast jedem zweiten oder dritten Wort immer längere Pausen machen. Seine gebrochene Stimme klang so leise, daß Slim Mühe hatte, ihn zu verstehen.

"Ich weiß zwar nicht, wo … wo genau es mich erwischt hat. Das … das will ich jetzt gar nicht wissen. Aber daß das kein … harmloser Kratzer ist, weiß ich."

"Das ist es wirklich nicht!" Slim konnte nicht verbergen, wie unbehaglich ihm dieses Thema war. Deshalb lenkte er fast übereifrig ein. "Jess, bitte, wir reden ein andermal darüber."

"Ein andermal? Hab' ich ein andermal … denn noch Zeit?"

Darauf konnte Slim nichts erwidern, versuchte statt dessen auszuweichen.

"Das beste ist, du versuchst zu schlafen. Das wird dir guttun und im Augenblick am meisten helfen."

"Vielleicht hast du … recht", ließ es Jess erstaunlich rasch dabei bewenden. Obendrein wußte er bald nicht mehr, wie er es noch länger aushalten sollte vor Schmerzen. "… wenn ich … wenn ich es nur … könnte …"

Slim, der seine Qualen nicht mehr mit ansehen konnte, dachte an die Flasche mit dem Morphium auf dem Nachttisch.

"Doc Higgins hat etwas für dich dagelassen. Ich werde dir davon geben. Dann kannst du schlafen."

Während er das sagte, füllte er die Schnabeltasse mit Wasser und träufelte ein paar Tropfen aus der braunen Arzneiflasche hinein. Mißtrauisch folgte Jess' Blick seinen Bewegungen.

"Was … was ist das?"

"Ein ziemlich starkes Schmerzmittel. Komm, ich helfe dir."

Slim schob ihm den Arm unter den Kopf, damit er es beim Trinken leichter hatte. Endlich war die Tasse leer. Allerdings hatte Jess kaum noch Kraft, die Augen offenzuhalten, so sehr hatte ihn das Schlucken angestrengt.

"Verdammt, tut das weh!" stöhnte er, schrie unversehens auf, klammerte sich mit unvermuteter Kraft an den Freund und biß verzweifelt die Zähne zusammen, weil er sich nicht mehr zu helfen wußte. "Bitte hilf mir!" flehte er wie jemand, der wußte, daß ihm niemand helfen konnte. "Slim!" schrie er mit heiserer Stimme.

Ein furchtbarer Hustenanfall überfiel ihn, erstickte ihn beinahe. Danach sank er erschöpft in Slims Armen zusammen. Die Schmerzen wurden mit einem Mal unerträglich, daß sie ihm die Besinnung raubten, noch ehe das Morphium anfing zu wirken.

Keiner Worte mehr fähig, drückte Slim den Freund an sich, hielt ihn selbst dann noch fest, als er schon längst bewußtlos, sein Körper schlaff und leblos geworden war. Schließlich bettete er ihn vorsichtig in die Kissen und zog die Decke über ihm zurecht.

Für den Rest des Tages regte sich Jess nicht mehr. Der kurze Wortwechsel und sein verbissener Versuch, gegen die Schmerzen anzukämpfen, hatten ihn zu sehr angestrengt. Selbst in der Nacht blieb er relativ ruhig, daß sogar Slim für ein paar Stunden Schlaf fand. So merkte er nicht, daß Jess gegen Morgen zunehmend unruhiger wurde. Offensichtlich quälte ihn ein schwerer Traum, der sein fieberumnachtetes Gehirn in Aufruhr brachte.

Schweißgebadet fuhr er in die Höhe. Irgend etwas schien seine Brust zu zerreißen. Aus milchigweißem Nebel tauchte ein Schatten auf, der auf ihn zukam und um die Schultern packte. Verzweifelt versuchte er, sich zu befreien.

"Geh weg!" keuchte er und wollte sich losreißen. "Laß mich! Verschwinde!"

"Jess!" rief Slim ihn an, aber dieser reagierte nicht darauf, sondern schlug wild um sich und wollte ihn mit erstaunlicher Kraft von sich schieben. "Jess! Um Gottes willen! Beruhige dich! Ich bin's – Slim." Er griff nach seiner verkrampften Rechten, mit der er ungezielte Schläge austeilte. "Jess!" wiederholte der Freund, schüttelte ihn sanft und drückte seine Hand fester, wobei er sich weiter über ihn beugte. "Keiner wird dir etwas tun. Es ist alles in Ordnung. Sei ganz ruhig!"

Jess konnte seine Worte nicht verstehen. Wirklichkeit und Traum verschwammen ineinander. In panischer Angst versuchte er, sich weiter zur Wehr zu setzen.

"Nein!" stieß er mühsam hervor wie jemand, der etwas Schreckliches auf sich zukommen sah und es nicht aufhalten konnte. "Bitte nicht!" wimmerte er. "Nein!" schrie er dann, als sein Traumgespenst einen schwarzen Mantel über ihn warf.

"Jess, komm zu dir!" rief Slim ihn mit eindringlicher Stimme und wußte bald nicht mehr, was er noch anstellen sollte, um ihn endlich zu sich zu bringen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Jess ihn an. Einige Sekunden lähmte ihn nacktes Entsetzen über etwas, das nur er wahrnehmen konnte. Als Slim diesmal mit energischer Stimme seinen Namen rief, hatte er unerwartet Erfolg. Der verstörte Ausdruck in den von der Anstrengung geröteten Augen des Fiebernden wich einer jähen Verwunderung. Plötzlich erkannte er den Freund über sich.

"Slim?" fragte er unsicher.

"Ja, ich bin's", bestätigte die ihm vertraute Stimme. "Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist alles in Ordnung."

"Ist er weg?" wollte Jess wissen und hätte schwören können, daß die finstere Gestalt gerade eben noch über Slims Schulter grinste.

"Wen meinst du denn?"

"Den Mann … mit dem schwarzen Mantel."

"Aber, Jess, außer mir ist doch niemand da. Du hast geträumt. Das ist alles."

"Nein, er … er war da! Ich habe ihn … genau gesehen. Er ist mir gefolgt, wollte mich würgen. Und dann hat er … hat er gelacht."

"Unsinn!" widersprach der Freund energisch. "Du hattest einen schrecklichen Traum. Aber der ist nun vorbei." Seine Stimme wurde sanfter. "Glaube mir, es war niemand da. Ganz bestimmt! Das bildest du dir ein. Fieber und Erschöpfung haben dir einen Streich gespielt."

"Nein, Slim!" beharrte Jess, als könnte über die Realität dieser Gestalt nicht der geringste Zweifel bestehen. "Es … es war der Tod. Er wollte … er wartet auf mich. Ich weiß es."

"Ich bitte dich! Hör auf, so zu reden! Es war niemand hier! Hörst du? Niemand wollte dir etwas tun. Niemand!"

Jess sah den Freund ungläubig an. Daß er nur geträumt haben sollte, konnte er sich einfach nicht vorstellen. Dafür hatte er diese unheimliche Gestalt allzu deutlich gesehen, genauso deutlich, wie er diese entsetzlichen Schmerzen spürte, die in seiner Brust tobten. Jemand hat auf dich geschossen, hatte Slim ihm vor einer unendlich langen Zeit gesagt. Oder hatte er das auch nur geträumt?

Allmählich fing er an, an seinem Verstand zu zweifeln. Daran mußte dieses Fieber schuld sein, von dem Slim gesprochen hatte. Das Fieber und diese Schmerzen, die in seiner Brust wüteten wie eine wilde Bestie, Schmerzen, die ihn bei jedem Atemzug aufs heftigste an ihre Existenz erinnerten. Das träumte er gewiß nicht! Das mußte Wirklichkeit sein!

Wer immer diese Kugel aus welchem Grund auf ihn abgefeuert hatte … sie mußte ihn auf jeden Fall so schwer verletzt haben, daß bereits der Tod auf sein Leben lauerte. Dessen war er nun ganz gewiß. Egal, ob er von der schwarzen Gestalt nur geträumt hatte oder nicht … sie war dagewesen. Sichtbar oder unsichtbar … es war der Tod. Er wartete auf ihn. Das wußte er jetzt. Slim mußte es auch wissen, sonst hätte er ihm diese Gestalt nicht so hartnäckig auszureden versucht.

Vorm Sterben hatte Jess keine Angst, aber vor dem unfairen Spiel, das der Tod vielleicht noch mit ihm treiben wollte, daß er ihn mit den unerträglichen Schmerzen in den Wahnsinn trieb, ein Spielball für die Launen eines hämisch grinsenden Todes zu sein, dem es anscheinend die größte Freude bereitete, mit ihm und seinem Leben zu spielen wie die Katze mit einer Maus.

Jess hatte das Gefühl, daß sein Freund der einzige war, der ihm diesen unheimlichen Gesellen mit dem schwarzen Mantel und der knöchernen Hand vom Leib halten konnte. Offensichtlich hatte er – wer immer dieses gesichtslose Ungeheuer sein sollte – vor ihm mehr Respekt als vor einem, der bereits mehr tot als lebendig war.

Mehrmals konnte Jess die Gestalt beobachten, wie sie heimlich über Slims Schulter spähte und ihn niederträchtig angrinste; jedoch wagte sie es bisher nicht, vor ihn zu treten oder ihn zur Seite zu drängen. Solange Slim da war, hatte sie hoffentlich keine Chance, sein Leben zu holen.

Das Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins an einen Feind, der in jeder Beziehung stärker war als er, dem er in keiner Weise gewachsen sein, gegen den er nur verlieren konnte, jagte ihm plötzlich eine unbeschreibliche Angst ein, eine Angst, die er bisher in dem Maße nicht kannte. Jess war froh, den Freund in der Nähe zu wissen, denn dieser war der einzige, dem er sich ohne Scheu anvertrauen konnte.

"Slim, ich … ich habe Angst", kam es dann leise über seine Lippen, daß der Freund Mühe hatte, ihn zu verstehen, sich weiter über ihn beugte und sein Ohr näher an seinen Mund brachte. "Ich habe zum erstenmal im Leben … schreckliche Angst und … und weiß nicht genau, warum und wovor."

Jess sah, wie das Grinsen in dem unheimlichen Gesicht über Slims Schulter breiter wurde. Im selben Augenblick ließ ihn ein brennender Schmerz, der wie ein Messerstich durch seine Brust fuhr, die Luft anhalten, um den unvermeidlichen Aufschrei besser unterdrücken zu können.

Slim merkte, wie sich seine Hand in der seinen verkrampfte, wie er versuchte, über das Stechen und Pochen, das sich in seinem ganzen Oberkörper wie ein Lauffeuer ausbreitete, Herr zu werden. Jess wollte die Schmerzen ignorieren, aber er konnte nicht verhindern, daß sie ihn schließlich doch laut aufstöhnen und die Lippen aufeinanderpressen ließen.

"Du brauchst keine Angst zu haben! Es wird alles wieder gut", versicherte ihm abermals die vertraute Stimme des Freundes, der, betreten über seine eigene Hilflosigkeit, nicht zu wissen schien, was er sonst sagen sollte oder tun konnte.

Als Jess mit brennenden Augen zu ihm aufblickte, war das unheimliche Wesen über Slims Schulter verschwunden. Wahrscheinlich versteckte es sich jetzt hinter dessen Rücken, nur um gleich über ihn herzufallen, wenn er sich in Sicherheit wähnte.

Behutsam fuhr Slim mit einem feuchten Lappen über seine glühende Stirn und wusch den Schweiß aus seinem Gesicht, während er mit der anderen Hand fest seine Rechte hielt, die sich immer wieder verkrampfte, sobald die Schmerzen zurückkehrten.

"Bitte, geh jetzt nicht! Laß mich jetzt … nicht allein!" bat Jess mit ihm versagender Stimme, kaum noch dazu imstande, gegen die ihn übermannende Ohnmacht anzukämpfen.

Seine Schwäche war so groß, daß er fast nicht mehr in der Lage war, die Augen offenzuhalten. Nur mit Mühe konnte er den Freund über sich erkennen, der ihn jetzt anlächelte und ihm zuversichtlich versprach:

"Sei unbesorgt, ich bleibe bei dir. Ich werde dich jetzt ganz bestimmt nicht allein lassen. Du brauchst keine Angst zu haben", wiederholte er und verstärkte wie zur Bestätigung den Druck seiner Hand. "Du kannst ruhig wieder schlafen. Ich pass' auf, daß niemand kommt", versprach er, und Jess schloß die müden Augen.

Obwohl ihn noch vor kurzem diese schreckliche Angst vor einer ihm unbekannten Gefahr quälte, fühlte er sich plötzlich so sicher in Slims Nähe, daß seine Furcht mehr und mehr wich, bis sie ihn endlich wieder Ruhe finden ließ. Seine Rechte verkrampfte sich noch ein paarmal, als ihn die furchtbaren Schmerzen in seiner Brust gar zu sehr peinigten, aber schließlich sank er immer tiefer in diese jedes Gefühl betäubende Dunkelheit, die seine Schmerzen aufzulösen schien. Seine Lippen zuckten, als wollte er noch etwas sagen. Es blieb jedoch nur unverständliches Gemurmel, hin und wieder unterbrochen von einem leisen Stöhnen, ehe sich ein tiefes Seufzen seiner Brust entrang und sein Kopf sich langsam zur Seite neigte.

Jess war in einen tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf gefallen, aus dem er in den nächsten Tagen und Nächten nur selten erwachte, selbst dann seine Umwelt nur mühsam wie durch einen dichten Nebel hindurch wahrnehmen konnte.

Erst gegen Ende der Woche ging es ihm wider allen Erwartens endlich etwas besser. Das Fieber war weit gefallen und bedeutete keine unmittelbare Gefahr mehr. Die Schmerzen waren erträglicher geworden, obgleich sie ihn manchmal so schlimm heimsuchten, daß er sie fast nicht aushalten konnte.

Sein Zustand glich einem Dahindämmern ohne jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Oftmals schien er selbst nicht mehr zu wissen, ob er nun lebte oder bereits tot war. Sein Bewußtsein registrierte es kaum, wenn sie versuchten, ihm etwas einzuflößen, das er vom Geschmack her nicht identifizieren konnte. Einmal war es dünnflüssig wie Wasser, dann war es etwas Breiartiges; alles schmeckte gleich – nach Blut. Es tat ihm gut, wenn man sein Gesicht wusch und seine Hand hielt, obwohl er meist nicht imstande war festzustellen, wer sich da um ihn bemühte. Die Schatten des Todes auf seinen eingefallen Zügen waren noch nicht ganz verschwunden, aber wenn er für wenige Zeit seine Augen aufschlug, waren sie klar und hatten nicht mehr den fieberverschleierten, glasigen Ausdruck wie bisher.

Mittlerweile waren zwei Wochen vergangen, seit diese Kugel Jess zu Fall gebracht hatte, von der er nicht wußte, wer sie auf ihn abgefeuert und wo genau sie ihn getroffen hatte.

Während der letzten Tage versuchte er mehrmals, Slim darauf hin anzusprechen, wenn er gerade einmal für kurze Zeit aus diesem zähen Sumpf aus Schmerzen und Dunkelheit erwachte; aber entweder war er selbst zu schwach dazu, auch nur einen vollständigen Satz zu sagen, oder Slim wich einer Antwort geschickt aus und verschob die Erklärung jedesmal auf einen späteren Zeitpunkt.

Fortsetzung folgt