KAPITEL 36

Während der Feiertage versuchte man auf der Sherman-Ranch das Beste daraus zu machen. Obwohl sich alle sehr bemühten, sie Mike zuliebe wie gewohnt zu begehen, wollte keine rechte Feiertagsstimmung aufkommen. In vordergründiger Unbeschwertheit wurden sie wie eine unvermeidliche Pflichtübung hinter sich gebracht. Darüber konnte auch nicht Daisy Coopers Freude über die neue Nähmaschine hinwegtäuschen, die sie zwar mit strahlendem Gesicht quittierte; die Tränen, die ihr dabei vor angeblichem Glückstaumel in die Augen stiegen, entsprangen allerdings nicht nur ihrer Freude über dieses großartige Geschenk. Lediglich Charlie Grovner, den Slim gebeten hatte, das Fest mit ihnen gemeinsam zu feiern, brachte als unbeteiligter Außenstehender so etwas wie echte gute Laune mit, war er doch froh, daß man ihm so herzlichen Familienanschluß gewährte.

Vor allem Mikes Trübsinn legte sich erst etwas, als am Tag gleich nach Neujahr ein Brief aus Colorado Springs eintraf, den der Kutscher mit der Mittagspost aus Laramie ablieferte. Zunächst enttäuscht darüber, daß auf dem Umschlag Slim Shermans Name stand, hob sich seine Laune sofort, als der Rancher den Umschlag aufriß und feststellte:

"Hier, ist doch an dich gerichtet."

Ein wenig verwundert über diese Ungereimtheit, reichte Slim den Brief an den Jungen weiter, der schon danach zu hecheln schien wie ein Verdurstender nach frischem Wasser.

"Au fein!" rief Mike begeistert. "Endlich wieder ein Brief von Jess! Hat ganz schön lange gedauert."

"Wundert mich, daß er überhaupt so schnell wieder geschrieben hat", brummte Slim, dem bei der oberflächlichen Ansicht als erstes der Ausrutscher der Feder bei der Unterschrift aufgefallen war. Zu mehr hatte der kurze Blick nicht gereicht.

"Ich lese ihn dir vor, ja?"

"Ich danke dir."

"Tante Daisy!" rief Mike in Richtung Küche. "Tante Daisy! Möchtest du auch zuhören?"

"Wobei?" erkundigte sich die Frau und erschien in der offenen Küchentür.

"Heute war wieder ein Brief von Jess dabei. Ich will ihn gerade Slim vorlesen."

"Von Jess?" Auch sie war über die rasche Brieffolge überrascht, war die letzte Nachricht erst zu Weihnachten aus Colorado Springs eingetrudelt. "Da hat er sich aber diesmal beeilt", stellte sie mit hochgezogenen Brauen fest, trocknete ihre Hände an der Schürze und gesellte sich zu den beiden. "Was schreibt er denn?"

Mike begann mit glühendem Eifer zu lesen, wobei er jedes Wort wie einen besonderen Leckerbissen zu behandeln schien, den er auf der Zunge genußvoll zergehen ließ.

"Ach, es freut mich, daß es ihm gutgeht und ihm dort anscheinend gefällt", sagte Daisy, zufrieden aufatmend, nachdem Mike zu Ende gelesen hatte.

"Finde ich auch!" mußte Mike seinen Kommentar dazugeben. "Aber hoffentlich gefällt es ihm nicht gleich so gut, daß er nicht mehr nach Hause kommen mag."

"Das kann ich mir nicht vorstellen." Daisy streifte den schweigsamen Rancher mit einem neugierigen Seitenblick. "Slim, was haben Sie denn? Ist irgend etwas nicht in Ordnung?"

Fast schien es, als wäre Slim in Gedanken woanders. Abwesend starrte er auf den Umschlag in seinen Händen. Jetzt fuhr er beinahe etwas erschrocken herum wie jemand, den man gerade aus tiefem Schlaf oder einem wirren Traum geweckt hatte.

"Nichts! Es ist nichts, Daisy!" Redlich mühte er sich um Arglosigkeit. "Ich dachte nur gerade, daß es für Mike ein wahres Glück ist, wenn dieser George für Jess das Schreiben übernimmt. Sein eigenes Geschmiere könnte der Junge gar nicht entziffern. Als ob man einem Ferkel die Feder in die Klaue gedrückt hätte!"

"Nun übertreiben Sie nicht so maßlos! Ihre Handschrift ist schließlich auch nicht viel leserlicher. Der Buchprüfer der Postgesellschaft stöhnt jedenfalls ständig über Ihre Eintragungen in angeblicher Sonntagsschrift."

"Sie haben recht", gab er überraschend schnell nach. Sie merkte nicht, daß seine Bemerkung über Jess' Handschrift nur eine Ausrede war.

"Hier, Slim, ich soll ihn dir geben, damit du ihn selbst lesen kannst."

"Danke, Mike. Du bekommst ihn später zurück – für deine Sammlung."

"Aber nicht vergessen!"

"Bestimmt nicht."

"Das muß ich gleich Charlie erzählen! Soll ich ihm auch sagen, was Jess über ihn und die Arbeit geschrieben hat?"

"Es ist vielleicht besser, wenn ich das nachher selbst übernehme."

"Na, gut!"

"Aber du kannst ihm sagen, daß es bald etwas zu essen gibt", meinte Daisy.

"Mach' ich!"

Mike fegte an die Garderobe, schlüpfte in seine Jacke und rannte übermütig aus dem Haus.

"Der Junge lebt jedesmal auf, wenn ein Brief kommt. Ehrlich gesagt, mir geht es wenig anders", mußte die Frau zugeben.

"Ja, mir auch."

Sie merkte immer noch nichts von Slims oberflächlicher Arglosigkeit und zog sich, zufrieden vor sich hin lächelnd, in die Küche zurück.

Slim stand noch eine Weile unschlüssig da, in der einen Hand den Umschlag, in der anderen den Brief dazu, und starrte beides abwechselnd an, als wüßte er nicht, wie das eine zum anderen paßte. Dann las er selbst die paar Zeilen, fand den Inhalt dürftig, sogar enttäuschend, und steckte das Papier mit einem verständnislosen Kopfschütteln in die Brusttasche seines Hemdes. Irgend etwas machte ihn stutzig an dem kurzen Schreiben; er konnte jedoch nicht sagen, was. Wahrscheinlich war er von der nicht übereinstimmenden Anschrift und Anrede irritiert. Und wieso hatte Jess ausdrücklich erwähnt, daß Mike ihm den Brief zum Selbstlesen geben sollte, wo er genau wußte, daß der Junge das sowieso immer tat? Vielleicht fiel ihm hierzu eine Erklärung ein, wenn er ihn später noch einmal in Ruhe las.

Zunächst vergaß er allerdings diesen Brief, denn während des gesamten Nachmittags hatten er und Charlie soviel Arbeit draußen zu erledigen, daß er nicht mehr daran dachte. Erst am Abend, als ihn Mike beim Schlafengehen daran erinnerte, fiel er ihm wieder ein.

"Slim, kann ich Jess' Brief wiederhaben oder brauchst du ihn noch?"

Der Rancher schlug sich an die Brusttasche, daß das Papier darin knisterte.

"Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, ihn in Ruhe zu lesen, Junge. Du kriegst ihn morgen zurück, einverstanden?"

"Das eilt ja nicht so. Aber nicht, daß du ihn da oben drin stecken läßt und Tante Daisy ihn aus Versehen mit in die Wäsche tut."

"Keine Angst, das passiert bestimmt nicht!"

Die Begründung hierfür behielt er lieber für sich. Er konnte ihn gar nicht vergessen, weil er ihn nämlich zu der Kugel gesteckt hatte, die er hütete wie seinen Augapfel und die ihm gerade während der letzten paar Tage wieder vermehrt Beschwerden bereitete, als entwickelte sie ein intensives Eigenleben. Jetzt, da ihn der Junge an den Brief erinnert hatte, schien sie sogar anzufangen zu glühen und das Papier in seiner Brusttasche zu verbrennen.

"Na gut", gab sich Mike damit zufrieden. "Dann gute Nacht."

"Gute Nacht, mein Junge."

"Slim", kam es noch einmal von der Treppe, "darf ich morgen mit Charlie zur Hochweide und die Wasserstellen kontrollieren? Bitte! Es ist doch mein letzter schulfreier Tag."

"Na schön, meinetwegen, wenn Charlie dich mitnimmt."

"Au fein! Vielen Dank! Gute Nacht, Slim! Gute Nacht, Tante Daisy!" rief er abermals und stürmte die Treppe vollends hoch.

"Gute Nacht, Mike! Lies bitte nicht mehr so lange!" bat die Frau, um ihn daran zu erinnern, daß er nicht die halbe Nacht mit Sir Christopher – er war gerade dabei, dessen drittes Abenteuer zu konsumieren – verbrachte.

"Bestimmt nicht! Ich muß doch morgen ausgeschlafen sein!" kam es vom oberen Treppenabsatz.

"Gute Nacht!" wiederholte Slim mechanisch, während er nachdenklich über die Brusttasche seines Hemdes strich.

Dann stand er auf und verschwand kommentarlos in seinem Arbeitszimmer, daß Daisy, die sich vor dem knisternden Kamin mit ihrer Handarbeit beschäftigte, ihm verwundert nachblickte. Slim beachtete sie nicht weiter, sondern zog sich in das Heiligtum der Ranch zurück, wo auf seinem Schreibtisch die ungeöffnete übrige Post des Tages lag, die er als erstes erledigen wollte. Es war jedoch nichts Wichtiges dabei, so daß er sich bald in dem wuchtigen Ledersessel zurücklehnte, den Brief aus seiner Brusttasche fischte und zu lesen begann. Er las ihn mehrmals, bis er ihn fast auswendig kannte. Mit jedem Mal gefiel er ihm weniger, mit jedem Mal konnte er die Worte zwischen den Zeilen deutlicher erkennen.

Eine furchtbare Ahnung begann in ihm hochzusteigen, die die kaum leserliche Unterschrift des Freundes zu bestätigen schien. Slim folgte mit dem Zeigefinger dem Lauf der Feder. Zwar liebte er es, über Jess' Handschrift herzuziehen, die zwar schwer zu lesen war, aber recht ausgeprägt war und vom energischen Willen ihres Schreibers zeugte. Da gab es normalerweise keine unnützen Schnörkel und Striche.

"Da stimmt etwas nicht!" murmelte Slim vor sich hin, der sich mittlerweile an jedem Wort zu stoßen schien, sowohl vom Inhalt als auch vom Schreibstil her. Am heftigsten stolperte er allerdings über die fast unleserliche Unterschrift mit dem langen Abstrich beim letzten Buchstaben, der in einem unscheinbaren, aber eindeutigen Klecks endete.

Daisy störte ihn mit ihrem Eintreten in seinen düsteren Gedanken. Ihr untrügliches Gespür für solche Dinge verriet ihr, daß irgend etwas nicht mit ihm in Ordnung war, seit am Mittag Jess' Brief mit der Post kam. Es war ihr unerklärlich, zudem in dem Brief nichts Beunruhigendes stand. Ihr war jedenfalls nichts dergleichen aufgefallen.

"Slim, ich mag mich irren und es geht mich wahrscheinlich auch nichts an, aber ich habe das Gefühl, etwas bedrückt Sie", kam sie ohne lange Vorrede sofort zur Sache, entschlossen vor den Schreibtisch tretend und ihn durchdringend ansehend.

"Es ist nichts, Daisy, wirklich!"

"Ach, kommen Sie! Tun Sie nicht so! Sie bedrückt etwas. Wenn ich das nicht merkte, würde ich Sie nur sehr schlecht kennen. Ich merke es, seit Jess' Brief heute mittag kam. Aber an dem kann es ja wohl nicht liegen." Daisy streifte die auf der Tischplatte verstreuten Papiere und entdeckte den mit der beschrifteten Seite nach unten liegenden Brief obenauf. Anscheinend sollte sie nicht merken, daß er tatsächlich so intensiv damit beschäftigt war. "Oder etwa doch?" vergewisserte sie sich mit einem sehr unguten Gefühl, das plötzlich in ihr emporzusteigen begann wie die Quecksilbersäule eines Thermometers bei rasch steigender Temperatur. "Slim?" drängte sie neugierig und ängstlich zugleich, als er nicht reagierte. "Ist … ist irgend etwas mit Jess? War sonst etwas in der Post?"

"Nein."

"Irgend etwas muß doch sein. Wollen Sie es mir nicht lieber sagen?"

"Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Das ist das Problem."

"Sie wissen nicht, was – oder wie?" stocherte sie absichtlich, weil sie wußte, daß sie ihn bald soweit hatte und er sich ihr anvertraute.

"Beides, Daisy, beides!"

"Dann versuchen Sie es einfach."

"Ich möchte Sie damit nicht belasten. Jess wäre es nicht recht."

"Jess?" Lauernd legte sie den Kopf auf die Schulter, um ihn spitzfindig anzusehen. Damit hatte er sich endgültig verraten. "Es hängt also doch mit seinem Brief zusammen."

Er starrte sie lange an, ehe er abrupt den Blick senkte und sich mit fahrigen Bewegungen die Stirn zu kratzen begann. Mit einem Mal schien er sehr nervös.

"Daisy, hören Sie auf, mich so zu quälen – bitte!"

"Dann hat es also tatsächlich etwas mit ihm zu tun!" bohrte sie wie ein Folterknecht, während er dazu schwieg. "Slim", sagte sie nun sanfter, "ich will Sie nicht quälen, das tun Sie doch selbst! Nur, wenn tatsächlich etwas mit Jess sein sollte, meinen Sie nicht, daß ich dann auch ein Recht habe, es zu erfahren?"

Slim machte eine hilflose Geste und sah sie tief aufatmend an, wobei er fast einen etwas verstörten Eindruck erweckte.

"Ich weiß nicht mehr als Sie. Das ist es ja."

"Es … es ist Jess' Brief, nicht wahr?"

"Es ist nur eine Ahnung. Hier!" Jetzt griff er nach dem Brief und hielt ihn der Frau hin. "Am besten lesen Sie ihn selbst."

"Ich weiß doch, was drin steht."

"Trotzdem!" Plötzlich schien er ganz versessen darauf zu sein, sie als kompetente Beraterin zu gewinnen. "Bitte lesen Sie und sagen Sie mir, ob Ihnen daran etwas auffällt!"

Ziemlich verständnislos schüttelte sie den Kopf, nahm das Schreiben, setzte sich in den Ledersessel vor dem Schreibtisch und las die wenigen Zeilen.

"Was soll mir denn daran auffallen?" fragte sie, ohne die geringste Vorstellung zu haben, auf was er spekulierte.

"Sehen Sie ihn sich genau an! Lesen Sie ihn genau durch!"

"Aber das habe ich doch. Ich weiß nicht, was Sie meinen."

"Daisy, diesen Brief hat Jess nicht geschrieben", rückte er endlich mit der Sprache heraus.

"Sicher, dieser George hat ihn geschrieben, so wie die anderen auch. Jess hat ihm nur diktiert, was er schreiben soll – wie jedesmal."

"Das meinte ich nicht, sondern daß er ihn diesmal auch nicht diktiert hat. Dieser Brief ist nicht von Jess."

"Aber wieso denn nicht?"

"Daisy, wenn Jess selber schreibt oder von mir aus diktiert, dann hört es sich so an, als ob er es sagen würde. Er schreibt, wie er redet. Er macht sich da nicht viel Mühe mit richtiger Formulierung und so. So wie der Brief klingt, redet Jess nicht."

"Aber wer hat ihn dann sonst geschrieben? Und wieso steht dann Jess' Name darunter. Das ist doch seine Handschrift, oder etwa nicht?"

"Soll ich Ihnen sagen, was ich denke? Dieser George hat den Brief selber verfaßt, und Jess hat ihn nur unterschrieben."

"So etwas würde Jess doch nicht tun. Warum sollte er?"

"Ich weiß es nicht, Daisy. Vielleicht konnte er diesmal nicht diktieren. Vielleicht ging es ihm so schlecht, daß er es nicht konnte."

"Aber hier steht … Slim, finden Sie das nicht ein wenig an den Haaren herbeigezogen?"

"Daisy, ich kenne Jess schon verdammt lange. Ich weiß, wie er redet, ich weiß, wie er schreibt, und ich weiß, daß diese Worte nicht von ihm sind. Mit dieser Nachricht will er mir etwas sagen, was außer mir niemand erfahren soll. Ich weiß nur nicht genau, was es ist. Das, was ich vermute, läßt mich Furchtbares ahnen."

"Sie meinen, es geht ihm … nicht gut?"

"Genau das meine ich! Lesen Sie nur das Postskriptum!"

"Ich kann daran nichts Außergewöhnliches finden. Diese Bemerkung ist typisch für ihn."

"Ja und nein! Vom Inhalt her, ja, aber nicht vom Stil. So geschwollen redet er normalerweise nicht, jedenfalls nicht mit mir. Dann die Frage, ob es schon gefroren hat hier, ohne irgendeinen weiteren Bezug zum übrigen Inhalt. Es kann ihm doch egal sein, ob der Boden hier gefroren ist oder nicht, zumindest hat er sich noch nie so dafür interessiert, um es in einem Brief ausdrücklich zu erwähnen, es sei denn …" Slim sprach den Gedanken nicht aus, wandte sich statt dessen rasch der nächsten Ungereimtheit zu. "Dann diese ausdrückliche Aufforderung an Mike, mir den Brief auf jeden Fall zum Lesen zu geben. Er weiß ganz genau, daß Mike das immer tut. Dann war der Umschlag an mich adressiert, aber der Brief ist mit seiner Anrede an Mike gerichtet. Daisy, dafür daß das nur ein paar Zeilen sind, stehen ein Haufen Dinge drin, die auf den ersten Blick völlig überflüssig und nichtssagend sind. Selbst wenn Jess nicht wußte, was er schreiben sollte, hätte er so etwas gewiß nicht zu Papier gebracht."

"Ich glaube, Sie sehen Gespenster."

"Ich hoffe, daß ich das tue, aber ich fürchte, es ist nicht so. Sehen Sie sich nur seine Unterschrift an."

"Na ja, ihm wird die Feder ausgerutscht sein."

"Ausgerutscht?" vergewisserte sich Slim. Mittlerweile war er richtiggehend aufgewühlt. "Ich würde eher sagen, das sieht so aus, als ob sie ihm aus der Hand gefallen ist. Vielleicht war es schon so schlimm, daß er sie nicht mehr richtig halten konnte. Wer weiß, vielleicht …" Er brach ab. Allzu deutlich wollte er seine entsetzlichen Ahnungen nicht vor ihr aussprechen. "Entschuldigen Sie, Daisy", sagte er statt dessen und hob abweisend die Hand, "jetzt ist genau das passiert, was ich eigentlich verhindern wollte. Aber ich konnte mich auf einmal nicht mehr beherrschen. Nur, verstehen Sie, wenn ich recht haben sollte, dann … mein Gott, dann …"

"… dann werden wir ihn verlieren", vollendete sie den Satz genau in seinem Sinn. Sie sträubte sich zwar nach wie vor dagegen, die Dinge so zu sehen wie er, aber worauf er hinaus wollte, hatte sie inzwischen begriffen.

"Ja", würgte er hervor. "Vielleicht haben wir ihn in diesem Augenblick sogar schon verloren und wissen es nur noch nicht. Ich muß zu ihm", sagte er dann lapidar, als hätte ihm dies eine geheimnisvolle Stimme befohlen.

"Ist das nicht etwas überstürzt? Sie wissen doch gar nicht … Er wollte ausdrücklich, daß ihn niemand besucht", erinnerte sie.

"Ich weiß. Aber ich habe das Gefühl, dieser Brief ist wie ein Hilferuf. Ich weiß ganz genau, ich könnte ihm nicht helfen, aber trotzdem … Ich … ich muß doch irgend etwas tun. Ich habe schon einmal gedacht, ich könnte ihm nicht helfen und war danach anderer Meinung. Soll ich es jetzt vielleicht wieder tun?"

"Wovon reden Sie denn?"

"Davon, daß ich ihn vielleicht ein weiteres Mal im Stich lasse."

"Ach, Slim, bitte nicht schon wieder!" flehte sie. "Allmählich wird das zu einer krankhaften Manie bei Ihnen."

Mit einer hastigen Bewegung riß er den Kopf hoch und starrte sie herausfordernd an.

"Von mir aus soll es das werden! Sie können es jedenfalls nicht ändern. Ich hätte nicht mit Ihnen darüber reden sollen. Ich wußte, daß Sie mich nicht verstehen. Nicht genug, daß ich mich dabei nicht davon überzeugen konnte, unrecht zu haben. Jetzt habe ich auch noch Sie da mit hineingezogen und womöglich beunruhigt. Tut mir leid, Daisy! Das beste wird sein, wenn Sie einfach vergessen, was ich gesagt habe."

"Das ist nicht Ihr Ernst!"

"Doch! Wenn Jess das erfährt, wird er ausrasten – mit Recht!"

"Er muß es ja nicht erfahren. Nur weiß ich immer noch nicht, was Sie jetzt vorhaben", beharrte sie unverdrossen.

"Stellen Sie sich vor, das weiß ich selbst nicht." Ziemlich ratlos blickte er sie an. Das ganze Elend seiner Ungewißheit stand ihm in den Augen. "Heute abend könnte ich sowieso nichts mehr unternehmen. Vielleicht sollte ich versuchen, einfach d ecken. "Mit Sicherheit!"

Sie hielt ihm das Kuvert entgegen, wie zum Nachdruck, beinahe demonstrativ, als sollte diese Geste der absolute Schlußstrich unter dem Ganzen sein.

"Gewiß", gab er vor, ihrer Meinung zu sein, und nahm den Brief an sich, um ihn in seiner Brusttasche verschwinden zu lassen. "Lassen Sie sich bitte Mike gegenüber nichts von unserem Gespräch heute abend anmerken."

"Genau das wollte ich eigentlich Ihnen raten."

Daisy hatte zwar so getan, als hielte sie Slims düstere Ahnung nur für das Ergebnis seiner unbewältigten Schuldgefühle, aber später in ihrem Zimmer grübelte sie noch lange darüber nach, ob er mit seinen Vermutungen nicht vielleicht recht hatte oder zumindest teilweise auf dem richtigen Weg war.

Wenn sie ehrlich sein wollte, erschien ihr im nachhinein selber das eine oder andere Detail merkwürdig. Aber daß diese kleinen Ungereimtheiten alle so nahtlos in dieses Schreckensmosaik passen sollten, das Slim da aufbaute, wollte sie nicht glauben. Obwohl sie in ihrem tiefsten Inneren eine grauenvolle Stimme hörte, die die Befürchtungen Slim Shermans bestätigte, weigerte sie sich, sie zur Kenntnis zu nehmen. Sie wollte sie einfach nicht hören! Die Vorstellung, was es bedeuten könnte, war ihr zu ungeheuerlich.

"Lieber Gott, laß ihn unrecht haben!" flehte sie, während sie von ihrem Bett aus an die dunkle Zimmerdecke starrte. "Er darf nicht recht haben! Das kannst du nicht zulassen! Ich habe schon einmal einen Sohn verloren. Ich möchte es nicht noch einmal erleben müssen. Bitte nicht!"

Ohne daß sie es richtig merkte oder gar hätte verhindern können, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Auch Slim quälte sich die halbe Nacht mit seiner finsteren Ahnung, ehe er gegen Morgen endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, aus dem er lange vor Sonnenaufgang wie gerädert erwachte. Beim Rasieren kreisten seine Gedanken unaufhörlich um das, was er sich am Vortag zusammengesponnen hatte. Eine Nacht darüber zu schlafen hatte also nicht bewirkt, daß er es am nächsten Morgen mit anderen Augen sah. Im Gegenteil! Als er nach seiner Morgentoilette den Brief erneut las, fand er seine Befürchtungen bestätigt. Sie quollen förmlich zwischen den Zeilen hervor. Zu allem Überfluß brannte die Kugel in seiner Brusttasche heute besonders heftig, wie er es schon lange nicht mehr gespürt hatte. Das konnte kein Zufall sein und auch nicht bloß seiner Einbildung entspringen. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Das fühlte er jetzt so deutlich, daß es ihm keiner mehr mit noch so plausiblen Argumenten ausreden konnte. Gleichzeitig wurde sein Drang, die Ranch zu verlassen, um sich selbst davon zu überzeugen, daß er unrecht hatte, immer stärker.

Den ganzen Vormittag versuchte er, sich mit Arbeit abzulenken. Es gelang ihm nicht. Wortkarg fertigte er die Mittagskutsche nach Laramie ab, versorgte die sechs Pferde und erschien dann bei Daisy in der Küche, um eine Kleinigkeit zu essen, ehe die Kutsche aus der Stadt eintraf. Bis jetzt verkehrten die Kutschen wie immer, und Slim hatte noch nichts davon gemerkt, daß der Betrieb reduziert oder gar ganz eingestellt werden sollte.

Daisy merkte, daß er zunehmend nervöser wurde, geradeso, als sähe er etwas Unangenehmes auf sich zukommen, das er nicht abwenden konnte.

"Der Brief beschäftigt Sie immer noch, nicht wahr?" meinte sie beim Kaffeenachschenken.

"Mehr denn je!" brummte er. "Mit Jess stimmt etwas nicht. Das fühle ich, wie man ein Unwetter heraufziehen spürt. Es macht mich ganz verrückt."

"Ach, Slim, Sie machen sich selber verrückt."

"Nein, Daisy, ich halte das nicht länger aus. Ich muß etwas unternehmen."

"Aber was denn – um Himmels willen?"

"Ich werde noch die Post aus der Stadt abwarten."

"Erwarten Sie denn irgend etwas?"

"Ich weiß es nicht!" Abrupt stand er auf, stampfte eine Runde in der Küche, ehe er zum Tisch zurückkehrte, sich wieder hinsetzte und sich in völliger Zerfahrenheit über den Kopf rieb. "Teufel noch mal, ich weiß es nicht! Aber ich merke immer deutlicher, daß meine Ahnung gar keine Ahnung ist. Irgend etwas Schreckliches ist geschehen oder geschieht. Ob ich etwas tun oder helfen kann oder nicht – das spielt keine Rolle. Ich weiß nur …" Slim blickte auf, starrte die Frau verstört an. "Jess braucht mich! Daisy, er braucht mich, verstehen Sie?"

"Slim …", wollte sie ihn besänftigen, aber er wich vor ihrer Berührung zurück.

"Ich muß zu ihm!" sagte er unumstößlich und stand entschlossen auf, als hätte ihn jemand mit nachdrücklicher Vehemenz gerufen. "Ich werde die Mittagskutsche nach Cheyenne nehmen und zusehen, daß ich einen Zug nach Süden erwische."

"Aber, Slim!"

"Versuchen Sie nicht, mir das auszureden! Ich habe lange genug gezögert. Hoffentlich ist es nicht wieder zu spät!"

"Mein Gott, Sie können einem ja richtig Angst machen mit Ihrem merkwürdigen Gerede. Sie wissen doch überhaupt nicht …"

"Daisy, ich muß zu ihm!" wiederholte er eindringlich, jedes Wort mit erschreckender Gewißheit betonend.

Er war so aufgebracht, seine Stimme klang so zerfahren und doch so bestimmt, daß die Frau nicht mehr wagte, irgend etwas einzuwenden. Mit einem Mal wußte sie, daß sie ihn von nichts abhalten konnte, am allerwenigsten davon, seiner inneren Stimme zu folgen. Das Schlimme war, daß auch sie befürchtete, er könnte recht haben.

"Und was soll ich Mike sagen, wenn er mit Charlie von der Weide zurückkommt?"

"Sagen Sie ihm, daß ich überraschend nach Cheyenne mußte, irgend etwas Geschäftliches."

"Das wird er nicht glauben."

"Dann müssen Sie es so deutlich erklären, daß er es glauben wird. Es wird Ihnen schon etwas einfallen. Bitte lassen Sie sich um Gottes willen nichts anmerken! Ich hoffe, daß ich mich irre", sagte er wesentlich beherrschter. Anscheinend beruhigten sich seine Nerven etwas, nachdem er eine klare Entscheidung getroffen hatte. "Wenn es so ist, werde ich mir ein fürchterliches Donnerwetter von Jess einhandeln. Aber das nehme ich gern in Kauf. Ich wünsche es mir sogar." Er griff in die Brusttasche seines Hemdes und zog den Brief heraus. "Hier, geben Sie den bitte Mike zurück. Ich brauche ihn nicht mehr. Ich denke, ich habe ihn endlich verstanden. Lange genug habe ich ja dazu gebraucht – hoffentlich nicht zu lange!"

Daisy nahm den Brief an sich und starrte ihm entgeistert nach, wie er die Treppe hinauf hastete, um in seinem Zimmer Rasierzeug und ein frisches Hemd in seine Satteltaschen zu packen.

"Sie werden also tatsächlich fahren?" vergewisserte sie sich, wie angewachsen am selben Platz stehend, und beobachtete ihn, als er, die Satteltaschen über der Schulter hängend, wenig später die Treppe wieder heruntereilte.

"Davon wird mich jetzt nichts und niemand mehr abhalten." Im Wohnzimmer warf er die Satteltaschen auf die Kommode neben der Haustür und nahm den Patronengurt vom Haken. "Wenn ich könnte, würde ich mir sogar Flügel wachsen lassen, damit ich schneller vorwärtskäme", sagte er, während er den breiten Ledergurt umschnallte und dann nach seiner Jacke griff. "Ich muß hinaus, das frische Gespann richten. Bis später."

Sie starrte ihm kopfschüttelnd nach, wie er mit polternden Schritten das Haus verließ. Die Gewißheit, mit der er behauptete, dringend gebraucht zu werden, jagte ihr einen weitaus größeren Schrecken ein als ihre eigene innere Stimme; denn neben dem Beweis für seine enge Verbundenheit mit dem Freund lieferte sie auch die unabänderliche Endgültigkeit seines Verdachts.

"Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als daß er sich irrt!" redete sie abwesend vor sich hin. "Er muß sich ganz einfach irren! Er muß!"

Daß er sich nicht irrte, sollte sie nur wenig später erfahren.

Die Kutsche aus Laramie hatte drei Minuten Verspätung. Slim achtete nicht weiter darauf. Es interessierte ihn nicht sonderlich. Zwar legte er Wert auf eine angemessene Zuverlässigkeit, aber fanatisch wollte er gewiß nicht der Zeit nachhetzen. Seiner Meinung nach gab es wichtigeres, als streng nach der Uhr zu leben.

"Hallo, Abe!" begrüßte er den Kutscher, der vom Bock kletterte, um den beiden Fahrgästen aus dem Gefährt zu helfen. "Hast du noch Platz für mich?"

"Sicher! Wieso eigentlich?" vergewisserte sich Abe ein wenig verdutzt, zeigte seinen Fahrgästen, wo es Kaffee gab, und half dann beim Gespannwechsel.

"Ich muß dringend nach Cheyenne."

"Neujahrsgeschäfte, was? Oder hast du eine neue Flamme dort?"

"Red keinen Unsinn! Ich muß halt mal für ein paar Tage raus aus dem Trott."

Sie hatten das Gespann gewechselt, und Slim machte Anstalten, die sechs ausgeschirrten Pferde zur Koppel zu führen.

"Ich gehe noch meinen Kaffee trinken. Dann kannst du einsteigen."

"In der Zwischenzeit versorge ich schnell die Pferde."

"In fünf Minuten", erinnerte Abe.

"Keine Angst, ich verpasse die Abfahrt bestimmt nicht."

"Ach, beinahe hätte ich es vergessen." Abe fummelte in seiner Jackentasche und förderte einen verschlossenen Umschlag zu Tage. "Den hat mir Luke Sandham bei der Abfahrt persönlich in die Hand gedrückt und ausdrücklich darum gebeten, daß ich ihn dir sofort aushändige. Jetzt hätte ich das beinahe vergessen. Muß wohl sehr wichtig sein, wenn Luke sich selbst bemüht und so einen Aufstand macht. Hä!" lachte der Kutscher. "Ist vielleicht doch von deiner neuen Flamme. Wer weiß, vielleicht kannst du die Reise abblasen. Ich sage dir, diese Weiber machen sich einen Heidenspaß daraus, einen zum Narren zu halten."

"Ich habe die Hände voll", erwiderte Slim, beide Arme mit den Zügelenden von zweimal drei Pferden hochhaltend. "Steck ihn mir bitte in die Tasche. Danke!"

Während Abe Miller endlich zusah, daß er zu seinem Kaffee kam vor der Weiterfahrt, führte Slim die Gespannpferde zur Koppel, wo er sie von dem Lederzeug entledigte und in die Umzäunung zur übrigen Remonte entließ. Noch beim Überqueren des Hofes griff er in seine Jackentasche und fingerte nach dem Umschlag, auf dem nur sein Name, Sherman-Ranch und der doppelt unterstrichene Vermerk "EILT!" stand. Mit düsteren Vorahnungen begann er den Umschlag aufzureißen. Ein Telegramm mit dem ausdrücklichen Vermerk "EILT!" konnte nichts Gutes bedeuten. Slim war schon wieder auf der Veranda vorm Haus, als er endlich die Depesche aus dem Umschlag ziehen konnte und mit zitternden Händen auseinanderfaltete. Beim Lesen merkte er, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich und ihm zu schwindeln drohte.

"Großer Gott, von Tyler!" schluckte er fassungslos, als er den Namen unter der Nachricht sah. Ihm wurde heiß und kalt. Er überflog die Zeilen, mußte sie nochmals lesen, weil er ihren Inhalt nicht begreifen wollte. "Das kann nicht sein! Verdammt noch mal, das ist nicht wahr! Das … das darf nicht wahr sein!"

Abermals hob er das Blatt Papier und las die wenigen Worte, als befürchtete er, sie bisher nicht verstanden zu haben. Es änderte sich jedoch nichts. Da stand immer noch:

"An Slim Sherman, Sherman-Ranch, Laramie, Wyoming. – Jess Harper schwer erkrankt Stop Sofortiges Kommen dringend erforderlich Stop Eilt Stop Prof. Dr. med. J. Tyler, Colorado Springs, Colorado."

Luke Sandham hatte die Buchstaben so, wie sie über den Telegraf angekommen waren, nacheinander als Lettern hingeschrieben. Es war nicht anzunehmen, daß er eines der Morsezeichen falsch verstanden hatte.

Mit einer fahrigen Bewegung stopfte Slim das Telegramm in seine Jackentasche. Plötzlich geriet er in helle Aufruhr, riß die Haustür auf, daß sich sogar die zwei Fahrgäste verwundert nach ihm umdrehten, und grapschte seine Satteltaschen von der Kommode neben der Tür.

"Abe, wir müssen los!" schnappte er.

"Slim, was haben Sie denn auf einmal?" wollte Daisy erstaunt wissen und kam, nichts Gutes ahnend, auf ihn zu.

"Das kann ich Ihnen sagen, Mrs. Daisy!" alberte der Kutscher. "Er hat ein Telegramm von seiner heimlichen Angebeteten bekommen. Deshalb ist er so aus dem Häuschen."

"Ein Telegramm?"

"Sogar ein Eiltelegramm!" betonte Abe. "Muß wirklich ein Mordsweib sein, was er sich da an Land gezogen hat."

"Verdammt, Abe, laß den Blödsinn! Für so etwas bin ich nicht aufgelegt!" herrschte er den Kutscher an, daß dieser sich beinahe an seinem heißen Kaffee verschluckte.

"Das Telegramm, ist es von Jess?" fragte Daisy, ohne sich weiter um das kurze Wortgefecht zu kümmern; sie war sehr ernst und sprach sehr leise.

"Nein, von Professor Tyler", erwiderte Slim mit rauher Stimme.

"Von … Du lieber Himmel! Was … was schreibt er denn?"

"Hier!" Er griff in seine Tasche und hielt ihr die Depesche unter die Nase, machte jedoch keinerlei Anstalten, sie aus der Hand zu geben. "Ich hatte recht, Daisy! Verdammt, warum muß ich nur recht haben?"

"O mein Gott!" brachte sie nur heraus.

"Ich wünschte, ich wäre schon bei ihm. Ich habe das schreckliche Gefühl, daß ich zu spät komme. Sein Brief war zu lange unterwegs, und ich habe wieder zu lange gebraucht, um zu reagieren. Und wer weiß, wie lange dieses Telegramm gebraucht hat. Vielleicht ist …" Er schluckte. Sein Magen krampfte sich wie in einer Kolik zusammen. "Daisy, bitte lassen Sie sich Mike gegenüber nichts anmerken", bat er nur noch.

Sie nickte mit Tränen in den Augen. Es war ihr egal, was Abe Miller oder die zwei Fahrgäste dachten. Sie schämte sich nicht vor ihnen, ihre Gefühle zu zeigen wegen des Menschen, den sie liebte wie einen Sohn.

"Ich weiß nicht, ob ich das schaffe", sagte sie weinerlich.

"Bitte! Sie müssen es versuchen! Ich werde mit ihm reden, wenn ich zurück bin. Dann werde ich wissen, was genau ich ihm sagen muß. Bitte, Daisy!"

Daisy nickte, geräuschvoll schluckend, und wischte mit dem Handrücken die Tränen von ihrer Wange. Stumm und wehmütig blickte sie ihm nach, als er nach draußen ging. Sie war nicht mehr fähig, eine Silbe von sich zu geben.

"Sag mal, kann mir vielleicht mal einer erklären, was hier los ist?" empfing ihn in äußerst vorwurfsvollem Ton Abe Miller, der die Fahrgäste hinausbegleitet hatte.

"Später!" brummte Slim kurz angebunden und warf seine Satteltaschen zu ihm hinauf auf den Bock, wo sie der Kutscher auf dem Dach bei dem übrigen Gepäck verstaute.

"Ich wüßte es aber ganz gerne schon jetzt! Dieses verfluchte Telegramm … Es hat etwas mit Jess zu tun, nicht wahr?"

"Ja", nickte Slim zu ihm hinauf.

"So, wie du aussiehst, frag' ich besser nicht weiter. Vielleicht sollte ich mich tatsächlich beeilen."

"Ich bitte dich darum!" Slim bestieg die Kutsche und knallte den Wagenschlag zu. "Fahr zu! Es ist ein weiter Weg bis Cheyenne."

Abe Miller murmelte etwas vor sich hin, was außer ihm niemand verstehen konnte, ließ die Peitsche über den Pferden knallen, und die Kutsche ruckte an.

Daisy stand in der offenen Haustür, die rechte Hand zu einem traurigen Abschiedsgruß erhoben, den Slim ebenso erwiderte. Dann rollte die Kutsche vom Hof.

Fortsetzung folgt