Nach Hogwarts
Den zweiten Stapel hatten sie nun durch. Harry verschnürte die Bilder wieder und legte sie zurück in das Kästchen, mit Ausnahme dem, welches er eben in seine Hosentasche getan hatte. Er zog den dritten und letzten Stapel heraus. Löste die Schleife und somit das Band, welches die Bilder zusammenhielt. „Das sind die Fotos, die nach Hogwarts aufgenommen wurden. 16 Monate nach ihrem Abschluss, an James zwanzigstem Geburtstag kam Voldemort", murmelte Remus und Harry spürte einen Stich.
Das oberste Bild zeigte eine lächelnde Lily, die einen silbernen Ring an ihrem Finger hin und her drehte. James stand neben ihr und hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt. Beide sahen den Betrachter freundlich an und winkten. „Das war ein Spleen von ihr", klärte Sirius Harry auf, „nachdem James ihr den Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, hat sie ihn bis zur Hochzeit nicht abgenommen, aber immer hin und her gedreht. Schrecklich nervig." „Sirilein, kann es sein, dass du schlecht gelaunt bist?", fragte Remus neckend und bekam nur ein verstimmtes ‚hmpf' zur Antwort.
Das Hochzeitsbild, welches Harry nun in den Händen hielt war nicht dasselbe wie das, was er bereits in seinem Album hatte. Dieses hier zeigte ausschließlich seine Eltern. Sie standen einander gegenüber und sahen sich in die Augen. Beide lächelten und die Augen strahlten vor Freude, Glück, Zuversicht und Liebe. Etwas über ein Jahr später sollten sie dann sterben. „Ich glaube, die Hochzeit der beiden war die Schönste, auf der ich je war. Nicht das ich auf vielen gewesen wäre, aber bei Lil und James hatte ich irgendwie das Gefühl, dass alles stimmt, dass alles richtig ist, wie es ist. Sie haben an Lilys Geburtstag geheiratet, an dem von James sind sie gestorben. Grotesk, oder?", Remus Stimme war immer noch leise. Sirius sah ihn halb grinsend an: „Vergiss bitte nicht, wie viele Monate zwischen James neunzehntem Geburtstag und Harrys Geburt lagen…" Remus grinste kommentarlos und Harry brauchte etwas länger um zu verstehen. 9 Monate. Okay, das WAR kommentarlos zu verstehen.
Das nächste Bild zeigte ein Weihnachtsfest, das Letzte, welches seine Eltern erleben sollten. Eine große, reich geschmückte Tanne bildete den Mittelpunkt des Zimmers. Harry ahnte, dass es der Salon von Godric's Hollow war. Sirius packte grade irgendein Geschenk aus, Emmy und Candy unterhielten sich, Peter aß Kuchen und Lily flüsterte dem neben ihr sitzenden James etwas ins Ohr. Demnach war Remus der Fotograf. „Ich hab das Bild auf Zufall in dem Moment gemacht, in dem Lily James gesagt hat, dass sie schwanger ist. Schade eigentlich, dass ich das Gesicht, was er ungefähr eine Sekunden nach dem knipsen gemacht hat nicht mehr drauf habe. Das war ZU cool…", Remus grinste bis über beide Ohren.
„Ich glaube immer noch, dass James geschockt war, wie noch nie in seinem Leben", erzählte Sirius weiter, „nachdem er sich beruhigt hatte und alles zu ihm durchgerungen war, hat er sich tierisch gefreut, aber vorher… war ja auch gemein von Lily ihn zu überrumpeln." Kurz überlegte Harry, wie er reagieren würde, wenn seine Frau oder Freundin – nicht das er eine gehabt hätte - ihm kurz nach seinem neunzehnten Geburtstag sagen würde, dass sie ein Kind von ihm erwartete, aber der Gedanke war so abwegig und unerfreulich, dass er ihn schnell von sich schob.
Remus schien seine Gedanken zu erraten: „So ganz habe ich das auch nie verstanden. Ich meine, James war grade neunzehn, Lily achtzehneinhalb, die Schule war grade rum und beide steckten noch mitten in de Ausbildung. James zum Auror, Lily zur Heilerin. Und ehrlich gesagt, geplant warst du glaube ich nicht, aber was passiert, passiert nun mal… und das einer angehenden Heilerin. Wir haben Lily ewig damit aufgezogen, bis sie dann ihre Ausbildung abgeschlossen und dich zur Welt gebracht hatte. Von da an hatte ich nur noch Respekt…"
Harry widmete sich wieder den Fotos. Er sah seine hochschwangere Mutter in einem Sommerkleid. Sie saß in einem Sessel, wirkte erschöpft und ausgelaugt, lächelte aber. „War wohl ne sehr schwere Schwangerschaft und Geburt", schaltete Sirius sich mal wieder ein, „die Heilerin, die Lily behandelte, meinte, dass es nahezu an Wunde gegrenzt hätte, dass sowohl du, als auch deine Mutter das überlebt haben. Lily war ja ohnehin immer stark, seelisch wie körperlich und du schlägst da durchaus nach ihr – und auch nach deinem Vater. Keiner hat James so schnell klein gekriegt, noch nicht einmal Voldemort selbst."
In dem Moment fühlte Harry so etwas wie Stolz. Er war stolz auf seine Eltern, die er doch nie kennen gelernt hatte. Durch diese Bilder, die seiner Mutter die liebsten gewesen waren, und durch die Erzählungen der besten Freunde seines Vaters, schienen sie in gewisser Weiße lebendig zu werden. Seine Eltern waren großartige Menschen gewesen, daran zweifelte Harry keine Sekunde. Und er war ihr Sohn, ihr Fleisch und Blut. Durch ihn lebten sie weiter. Mit einem Mal hörte Harry auch auf an sich selbst zu zweifeln. Wenn sie tatsächlich durch ihn weiterlebten, dann konnte er nichts falsch machen.
Und tatsächlich, auf dem nächsten Bild war er zusehen, zusammen mit seinen Eltern, anscheinend kurz nach der Geburt. Lily saß in einem Krankenhausbett, ein weißes Nachthemd an. Schweißperlen glänzten noch auf ihrer Stirn, die Haare waren leicht zerzaust. Ihr Gesicht war gezeichnet von den Anstrengungen der Geburt, doch ihre Augen strahlten genau so, wie an ihrer Hochzeit. Ja, sie hatte ihn geliebt. Baby Harry lag in ihrem Arm, die Augen geöffnet und sah sich interessiert um, mir ihren Augen. James saß am Bettrand, einen Arm um seine Frau gelegt und mit einer Hand den Kopf seines Sohnes haltend. Die Potters, als sie noch vereint waren. Eine Familie, eine glückliche Familie, auch wenn ihnen dieses Glück nicht lange vergönnt gewesen war.
Remus und Sirius schwiegen jetzt. Sie ahnten, was in Harry grade vorging, auch wenn sie es nie ganz verstehen würden. Harry steckte das Bild ebenfalls in seine Hosentasche. Er würde es nicht so schnell hergeben. Immer wenn er von Zweifeln geplagt würde, dann könnte er die beiden Fotos rausholen und es würde ihm besser gehen. Er nahm das nächste Bild zu Hand, das Letzte. „Das war wirklich und wahrhaftig das letzte Bild, welches Lily und James zeigt", murmelte Sirius. Harry starrte das Foto an.
Es war in einem Garten aufgenommen worden, im Hintergrund sah man ein großes Haus, ein Herrenhaus, Godric's Hollow. James stand an einem See, Harry im Arm. Er blickte angespannt und war augenscheinlich gedämpfter Stimmung. Ahnte er, was passieren würde? Allenfalls unterbewusst, sonst wäre sein Gesichtsausdruck trauriger. So traurig wie der von Lily, die hinter ihm stand, die Arme um ihn geschlungen, den Kopf gegen seinen Rücken geschmiegt. Sie sah Harry direkt an und ihr Blick bohrte sich in sein Herz. Unendlich traurig, aber ebenso entschlossen. Ihre Lippen formten unverständliche Worte und eine einzelne Träne rollte über ihre Wange. „Sie wusste es", stellte Harry nüchtern fest, dann packte er die Fotos weg. Er wollte seine Mutter nicht mehr weinen sehen.