Blumen, Schmuck und Briefe

„Sieh mal, Harry", riss Sirius ihn aus seinen Gedanken. Sein Pate hatte in das Kästchen gegriffen – und sich dabei einen Biss in die Nase eingehandelt – und etwas hervorgeholt, etwas Silbernes. Remus wich zurück, als hätte Sirius irgendetwas Tödliches in der Hand. „Was ist?", fragte Harry. „Silber", antwortete Remus gepresst, „ich bin ein Werwolf, ich vertrage kein Silber." Na klar, das wusste er doch. In dem Moment hätte Harry sich selbst in den Allerwertesten treten können.

„Wenn ihr eure Selbsthilfegruppe dann beendet hättet, könnte ich dann noch mal um Aufmerksamkeit bitten?", fragte Sirius grinsend und sowohl Harry, als auch Remus wandten sich ihm zu. Remus blieb allerdings auf Abstand, er schien wirklich Angst vor Silber zu haben. „Streck die Hand aus", befahl Sirius seinem Patensohn und der Tat, wie ihm geheißen. Er spürte, wie Sirius etwas Rundes, Schweres in seine Hans fallen ließ und was er sah, war ein Ring. Ein silberner Ring, in den oben ein Diamant eingefasst war. „Der Verlobungsring deiner Mutter", erklärte Sirius leise.

Harry starrte das kleine Ding an. Das war also der Ring, der Verlobungsring. „Sie haben sich an unserem Abschlussball verlobt. Sie waren ja Schulsprecher und mussten eine Rede halten, zu erst Lily, dann James. Ich weiß noch ganz genau, was er gesagt hat: ‚Und tatsächlich, wir werden erwachsen. Einige Dinger ändern sich und andere werden sich nie ändern.' Dann hat er sich Lily zugewandt, den Ring in einem Kästchen hinter dem Rücken und fuhr fort: ‚Ich konnte wahrscheinlich mit jeder Veränderung leben, nur mit einer nicht, wenn sich etwas an unserer Liebe ändern würde, Lily.' Er hat sich vor sie gekniet, den Ring vorgeholt und se dann gefragt: ‚Deshalb frage ich dich hier und jetzt: Lilian Sophie Evans, möchtest du meine Frau werden?'", Remus brach ab und Sirius übernahm das erzählen:

„In der großen Halle hättest du eine Stecknadel fallen hören und das Echo wahrscheinlich noch hinterher, so ruhig war es. Lily hat sich ungefähr zehn Sekunden lang gar nicht bewegt und wir haben schon alle gedacht, jetzt gibt sie ihm entweder eine Ohrfeige oder fällt schluchzend in seine Arme. Nun, wir hatten bei den Spekulationen, was sie tun wird, eins vergessen: Das da vorne war immer noch Lily Evans. ‚Steh auf, James', hat sie gesagt, völlig ruhig. Er hat brav gemacht, was sie wollte. ‚Steck mir den Ring an', ging es dann weiter und er hat gehorcht. ‚So, und jetzt küss mich', glaub mir, dass war ein Befehl und der wohl einzige Befehl, dem James je in seinem Leben nachgekommen ist. Nach dem Kuss hat er dann gefragt: ‚War das jetzt ein JA? Nur um sicher zu gehen…' ‚Sei dir sicher: Ja, ich möchte dich heiraten. Zufrieden?', war dann Lilys Antwort und James hat glaube ich etwas von ‚sehr zufrieden' gemurmelt, was aber schwer verständlich war, weil er sie sofort wieder geküsst hat."

„Na", bemerkte Harry grinsend, „nicht die klassische Verlobung, zumindest hinterher nicht mehr." Allgemeines Kopfschütteln und noch breiter grinsende Gesichter. Als nächstes nahm Harry sich dann die Briefe vor. Es waren nur zwei, ein schmaler und ein etwas dickerer. Auf beiden Umschlagen stand ‚An Jewel, von Prongs'. Die Marauderspitznamen, mehr nicht. Wahrscheinlich aus Angst, das die Eule abgefangen würde. „James war im September nach deiner Geburt eine Woche weg, dringender Auroreneinsatz. Als er wiederkam, wurde schon alles für den Fidelius-Zauber in die Wege geleitet. Das da sind dann wohl die Briefe, die er Lily in der Zeit geschrieben hat", erklärte Remus. Harry griff nach dem dünnen Brief, er war vom 20.9.89, der andere war vier Tage später geschrieben worden. Er öffnete ihn und zog ein hastig beschriebenes Pergament heraus. Anscheinend hatte James wenig Zeit gehabt. Mit gedämpfter Stimme las er es vor:

Na, Liebste?
Wie geht's dir? Und wir geht's meinem Sohn? Ich hoffe wirklich, wirklich, dass es euch immer noch gut geht. Ich bin noch keinen Tag weg und trotzdem vermisse ich euch beide schon schrecklich.
Schläft Harry mittlerweile durch? Kommen Sirius und Remus auch jeden Tag vorbei? Ich hatte sie angewiesen, das zu tun. Wieso ich dir nichts gesagt habe? Du hättest es nicht gewollt, deshalb. Und ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt, dazu liebe ich die zu sehr… euch beide.
Der Einsatz läuft verhältnismäßig gut, aber mehr darf ich nicht sagen. Wahrscheinlich bin ich wirklich in einer Woche schon zurück. Ich hoffe es, weil mir jede Sekunde ohne dich wie eine Ewigkeit vorkommt, eine Ewigkeit unter Folter, Seelenfolter.
Schon wahnsinnig, wie mich ein Tag ohne dich und Harry verrückt macht. Vermisst ihr mich denn auch, wenigstens ein bisschen?
Wozu frage ich eigentlich? Ich weiß, dass ihr mich vermisst, sogar mehr als ein bisschen…
 Ich muss jetzt Schluss machen, Schönste, hab noch zu tun.
Bis hoffentlich bald dann und vergiss nicht, dass ich dich liebe.
James

„Wusste gar nicht, dass James Liebesbriefe schreiben konnte", wunderte sich Sirius. „Logisch", zog Remus ihn auf, „sie sind ja auch nicht an die adressiert." Während die beiden sich kabbelten, griff Harry nach dem zweiten Brief. Als er ihn öffnete fiel eine weiße Lilie heraus. Sie war getrocknet, aber mit Magie vor dem zerfall geschützt worden. Schnell schnappte sich Harry den Brief, legte die Lilie vorsichtig ab und las den auch dem Brief vor:

Lilie,
sieh mal, was ich gefunden habe! Ist alles sehr trostlos hier, nur Steine und ein paar Gräser und heute habe ich hinter einem Stein tatsächlich eine weiße, voll in der Blüte stehende Lilie gefunden. Ich schicke sie dir, damit sie nichts kaputt geht.
Du weiß, Schönheit, dass ich nie an Zeichen oder Zukunftsdeutung geglaubt habe, aber jetzt habe ich wirklich das Gefühl, dass diese Blume ein Zeichen ist. Es wird gut werden, wir werden es schaffen, Lily. Zweifele nicht!
Bitte, gib Harry einen Kuss von mir und sag ihm, dass ich bald wieder da bin und dass ich ihn beschützen werde, egal was kommt. Ihn und dich. Das weiß du, Lilie, wie du weißt, dass ich dich liebe.
Lily, versprich mir, dir nicht allzu viele Sorgen zu machen. Nicht um mich und nicht um Harry. Ich verspreche dir, dass alles gut wird, ich schwöre es.
Übermorgen bin ich wieder da. Ich kann es kaum erwarten, dich wieder in die Arme schließen zu dürfen, dabei bin ich doch grade mal fünf Tage weg. Aber so ist es nun mal. Wie soll ich leben, wenn der Sauerstoff, den ich zum Atmen brauche, nicht da ist? Wenn mein Grund zu Leben nicht da ist? Wenn du nicht da bist? Wenn Harry nicht da ist? Wie, Lily? Du kennst die Antwort: Gar nicht. Ich kann ohne euch nicht leben und das ist mir heute einmal mehr klar geworden.
Ich liebe dich, mehr als alles andere auf der Welt. Und Harry ebenfalls, sag ihm das.
James

Schweigen. Tatsächlich hätte keiner von ihnen James einen solchen Brief zugetraut. Er schien Lily ja nahezu eintrichtern zu wollen, dass er sie liebte, dass alles gut werden würde. Mit der Beharrlichkeit der verzweifelten. Harry lächelte still. Ja, seine Eltern waren wieder lebendig. Diese Erinnerungen waren es, die sie erhielten. Und er würde aufpassen, würde sie rächen. Voldemort würde bezahlen und Harry wusste, dass seine Eltern, egal was er tat, immer da sein und auf ihn aufpassen würden, wie James es versprochen hatte.