Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben. Ich habe es mir geliehen und verdiene noch immer kein Geld damit.
Lembas und Frei-Miruvor für alle, die mir Reviews geschickt haben. Das war ein riesige Erleichterung, das es euch auch weiter gefällt. Danke.
Kapitel 2: Kaum stehn wir hier und singen…
„Dann war da die Elbin in Lorien…"
Aragorn schloss gequält die Augen. Er liebte Musik und Gesang, liebte beides wirklich. Die Stimmen seiner Brüder waren auch nicht die Schlechtesten. In Bruchtal gab es zwar Barden, die die beiden weit in den Schatten stellten, aber die Zwillinge verfügten über klare, volle Stimmen, die elbischen Liedern gerecht wurden. Nur war dies kein Elbenlied sondern ein Gassenhauer aus einer menschlichen Spelunke im Süden, den sie erst vor drei Jahren von einer Reise mitgebracht hatten und seitdem immer dann zum Besten gaben, wenn ihr Vater nicht in Hörweite war.
Zwei Wochen Ritt vom Palast entfernt konnte selbst Elrond diesmal nichts davon bemerken und so nutzten sie diese Freiheit weidlich aus. Das Lied hieß sehr poetisch ‚Reise durch Mittelerde' und war absolut prosaisch.
„Sie nahm mein Herz, sie nahm mein Gold…"
Bislang war ihre Reise sehr ruhig verlaufen, beinahe langweilig. Aragorn war nicht böse deswegen, das Abenteuer in Düsterwald war anstrengend genug gewesen. Etwas Ruhe konnten sie alle gebrauchen. Es würde sowieso nicht dabei bleiben, das tat es nie.
„Wen kümmert's, denn sie war so hold."
„Lass sie", meinte Galen, der ein neues Holzscheit auf ihr Lagerfeuer geworfen hatte. „Auf dem Hinweg war diese Reise ein einziger Albtraum. Ich bin froh, dass die beiden jetzt die einzigen seltsamen Geschöpfe sind, die mir hier unterkommen. Und den anderen gefällt es."
„Ich zog zu Lissa nach Isengard…"
Aragorn stöhnte unwillkürlich. Seine Brüder grinsten in seine Richtung, sangen aber unbeirrbar weiter. Die acht Waldelben, die gerade keine Wache hatten, tippten mit den Fußspitzen im Takt oder summten sogar mit. Zwei Wochen ohne Ärger, die Elben mussten unendlich glücklich sein. Es mochte eine Auszeichnung sein, den Thronfolger, Elronds Söhne und den Gast des Königs aus Rhûnar als Leibwache zugeteilt zu werden, aber es zerrte auch ein bisschen an den Nerven.
„Sie teilte ihr Herz, sie teilte ihr Bett…"
„Die Dichtkunst unseres Volkes", murmelte Legolas und machte es sich neben Aragorn an dem Felsen etwas bequemer. „Die beiden bringen sie zu neuen Höhen."
„Hoffentlich singen sie es nicht in Rhûnar", antwortete Aragorn. „Diplomatische Beziehungen wird es dann in den nächsten fünftausend Jahren bestimmt nicht geben."
„Das fand der Zauberer gar nicht nett."
„Wir sind nicht völlig humorlos", sagte Galen gekränkt. „Sie sollten es nur nicht unbedingt dem Ältestenrat vortragen."
„Habt ihr keine Heilkräuter, die auf die Stimme schlagen?" fragte Legolas spöttisch.
Galen schien ernstlich nachzudenken, auch wenn das Glitzern in seinen Augen eine andere Sprache sprach. „Bislang nicht. Vielleicht hat Varya eines gefunden, aber sie würde mir kaum die Rezeptur geben."
„So floh ich nach Ithilien nur in meinen Hosen…"
„Eine Strophe mit Ithilien gab es letztes Mal noch nicht", erinnerte sich Aragorn. Wenn die Zwillinge nicht bald zum Ende kamen, würde er am nächsten Tag auf dem Pferderücken einschlafen. Das hatte er zwar in der Vergangenheit schon gelegentlich getan, aber nur, wenn ihm keine andere Wahl blieb. Hier hätte er eigentlich einige Stunden Nachtruhe bekommen können, um halbwegs den eintönigen Ritt durch die ebenso eintönige Landschaft zu überstehen.
„Ihr glaubt es kaum, auch die brauchte ich dort nicht."
Unter Gelächter und Beifall beendeten die Zwillinge das Lied. Rufe nach Zugaben wurden sogar laut.
„Nicht heute Abend", wehrte Elladan mit einer leichten Verbeugung ab. „Unser kleiner Bruder ist schon müde. Er braucht seinen Schlaf."
„Den benötigen wir jetzt alle", ließ sich Hauptmann Caeril vernehmen. „Wer keine Wache hat, wird jetzt ruhig sein. Ich meine alle damit, auch Abkömmlinge aus dem Hause Elronds, solche königlichen Geblüts, Menschen und Ithildrim."
Der beinahe hagere, immer sehr gelassene Elb besaß genug Autorität, um seine Anweisungen nicht wiederholen zu müssen. Thranduil hatte gut gewählt und wenige Minuten später breitete sich tiefe Stille über dem Nachtlager der Reisenden aus. So sehr sich Aragorn dies zuvor gewünscht hatte, so wenig fand er nun den herbeigesehnten Schlaf. Mit offenen Augen lag er auf seiner Decke und betrachtete den klaren Sternenhimmel.
„In einer Woche erreichen wir Ilegond am Celduin", überlegte Galen leicht verträumt. „Wenn wir dort übersetzen, sind es nur noch gut vier Tage bis nach Rhûnar."
Elf Tage, elf Mal ‚Reise durch Mittelerde'. Aragorn war zu jeder Wette bereit, dass genauso viele Strophen bis dahin dazu kamen. Das Leben war nicht immer gerecht. Eigentlich war es sogar ziemlich ungerecht, auch wenn er im Moment nicht genau sagen konnte, warum. Gegen diese Reise war nichts einzuwenden. Drei bis vier Monate hatten sie eingeplant. Gut drei Wochen jeweils für den Weg und einige für den Aufenthalt in Rhûnar selbst. Wenn man von Galen und Varya auf den Rest der Rhûna schloss, würde es sicherlich interessant werden. Sehr interessant.
Aragorn schloss die Augen. Vielleicht konnte er Schafe zählen, irgendjemand hatte ihm erzählt, dies würde beim Einschlafen helfen. In seiner Vorstellung drängte sich auf einmal eine fast unüberschaubare Herde dieser wolligen Geschöpfe um ihn herum. Es war ein wildes Durcheinander und dauernd blökte eines der Tiere. Einige sprangen aus der Menge heraus und irritierten ihn gewaltig.
Nein, Schafe waren eindeutig keine gute Wahl. Möglicherweise klappte es besser mit Kühen. Große, braun-weiße Kühe auf einer sattgrünen Wiese. Jede mit einem breiten Lederband um den Hals, an dem eine große Glocke hing. Nett, nur irgendwie störte das blecherne Geläut ihn beim Einschlafen. Außerdem muhten diese Viecher einfach zu laut. Möglich, dass sie gemolken werden mussten.
Mit einem Seufzer verabschiedete er sich auch von dieser Einschlafhilfe. Pferde scheiterten ebenfalls, zu viel Bewegung, außerdem spürte er eher den Drang, einen kleinen Ausritt zu unternehmen, als einzuschlafen. Vielleicht ein Schwarm Singvögel. Keine Minute und das vielstimmige Getschilpe ging ihm gewaltig auf die Nerven. Frösche waren sofort eine Katastrophe, die Kaninchen erinnerten ihn dann an die wilde Hetzjagd in Bruchtals Gärten, als die Nager wie eine Plage über die Gemüsebeete gekommen waren und Elrond zornbebend zur Jagd auf die Invasoren geblasen hatte. Tagelang Hasenbraten hatte ihm die Freude an den pelzigen Tieren verleidet.
Fische, Fische waren wirklich gut, schön still. Eine Weile beobachtete er in Gedanken einen silbernen Fischschwarm. Sehr beruhigend...Elronds Koch kannte ein überirdisches Rezept für Forelle. Aragorns Magen knurrte und er schickte die Fische zurück in die Tiefen des Ozeans. Da konnten sie ihn wenigstens nicht länger stören.
„Estel", flüsterte neben ihm Legolas mit etwas angespannter Stimme. „Wenn du nicht aufhörst, irgendwelche Tiere zu imitieren, ziehe ich dir meinen Bogen über den Schädel. Schlaf endlich."
„Ich kann nicht", gab Aragorn gedämpft zurück. „Ich bin todmüde und kann nicht schlafen."
Seufzend setzte sich Legolas wieder auf. „Ich auch nicht. Was nun?"
„Vertreten wir uns etwas die Beine."
Leise erhoben sie sich, um die anderen nicht zu wecken, die im Gegensatz zu ihnen in tiefem Schlaf lagen. Eine der Wachen, die ihren Posten auf einem der Felsen am westlichen Rand ihres Lagers bezogen hatte, wandte sich ihnen fragend zu. Legolas machte eine beruhigende Geste und der Waldelb drehte sich mit einem Nicken wieder um.
„Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich diese Viecher nachgemacht habe", brummte Aragorn entschuldigend. „Ich wollte dich nicht wecken, Legolas."
Der Waldelb winkte ab. „Hast du nicht. Was sollte das eigentlich?"
„Angeblich kann man davon besser einschlafen." Aragorn zuckte die Schultern.
„Indem man muht und quakt?" wunderte sich Legolas. „Bist du sicher?"
„Irgendetwas habe ich falsch gemacht."
Viel Abwechslung gab es in der Landschaft rund um ihr Lager nicht. Es war eine Steppenlandschaft, nur etwas hügelig. Man konnte meilenweit sehen. Theoretisch, praktisch war da zu wenig, um sich überhaupt die Mühe zu machen. Ab und zu lag ein Felsen herum. Schon seit Tagen fragte sich Aragorn, wie die Felsen überhaupt hierher gekommen waren. Nirgendwo war ein Berg, sie waren einfach da. Vielleicht stammten sie noch aus der Zeit, als die Valar um das Antlitz dieser Welt stritten.
Gelegentlich streiften einige Tiere durch das Gelände, Pflanzenfresser, die sich vom Steppengras ernährten. Jetzt im Sommer war es bereits von der Hitze braun und trocken geworden. Es brach, wenn man darüber schritt. Dieses Knistern begleitete sie bei jedem Meter auf ihrer Reise.
„Mir ist der Wald lieber", überlegte Legolas und wippte geistesabwesend etwas auf den Fußballen, die Hände im Rücken verschränkt. „Diese Weite beunruhigt mich. Man kann alles erkennen, jeden Strauch, jedes Tier, sogar diese Orks."
Aragorn nickte. Dann sank endlich das Wort in sein übermüdetes Gehirn. Zeitgleich mit Legolas starrte er nach Osten, aus der sich in einer dunklen Linie ein Trupp Orks im Laufschritt näherte. „Orks!"
Sie sahen sich an, griffen zu ihren Waffen, die sie gar nicht mitgenommen hatten und rannten dann wie gehetzt ins Lager zurück.
„Orks!" brüllten sie beide gleichzeitig.
„Das wissen wir", meinte Caeril ruhig. „Die Wache hat sie bereits entdeckt, als Ihr die Landschaft betrachtetet, Hoheit. Wir haben uns nur gefragt, wann sie Euch auffallen."
Legolas errötete leicht und murmelte etwas Unverständliches.
Alle waren auf den Beinen, hatten ihre Waffen aufgenommen und bildeten nun einen Halbkreis am östlichen Rand, an dem die Orks wohl ankommen würden. Es waren vielleicht zwanzig, die sich im schnellen Lauf und in einer ihrer üblichen Zweierreihe näherten.
„Irgendetwas stimmt nicht", stellte Caeril stirnrunzelnd fest. „Sie sehen so oft über ihre Schultern, dass sie uns immer noch nicht bemerkt haben."
„Was ist hinter ihnen?" wollte Elladan wissen.
„Nichts", rief ihm die Wache zu. „Absolut nichts."
Es hätte nicht viel gefehlt und die Orks hätten sie einfach über den Haufen gerannt. Erst als sie bis auf fünfzig Meter an das Lager der Elben herangekommen waren, blieb der Anführer der Orks abrupt stehen. Seine Krieger schoben sich hinter ihm zusammen wie ein Faltenvorhang. Flüche wurden laut, die verstummten, kaum entdeckten sie die halbkreisförmige Linie der Elben und die auf sie gerichteten Pfeile.
Irgendwie war es ein reichlich runtergekommener Trupp, der da vor ihnen stand, fand Aragorn. Orks boten ohnehin keinen sehr strahlenden Anblick, aber diese waren eine Katastrophe. Kaum einer war unverletzt, ihre Augen flackerten ständig nervös hin und her und ihre Köcher waren bei fast allen leer. Diese Orks waren nicht auf einem Beutezug, sondern auf der Flucht.
„Kneif mich", murmelte Elladan, als die Krieger Saurons angesichts ihres Feindes in hektische Diskussionen ausbrachen, von denen kaum ein Wort zu verstehen war. „Nicht so fest, Aragorn!"
„Beschwer dich nicht", meinte sein menschlicher Bruder. Das würde Elladan einen netten blauen Fleck am Arm bescheren. „Du hast darum gebeten."
„Symbolisch", zischte Elladan. „Rein symbolisch."
Mit einem Knurren trat der Anführer schließlich noch ein paar Schritte vor. Er riss unbehaglich an seinem linken, ziemlich ausgefranselten Ohr, als sich mehrere Pfeile demonstrativ nur auf ihn richteten.
„Elben!" schnarrte er in hartem Westron. „Mein Name ist Borzo."
„Dafür können wir ja nichts", murmelte Galen und fing sich einen tadelnden Blick Caerils ein.
Aragorns Irritation wuchs. Seit wann stellten sich Orks vor, bevor sie angriffen?
„Wir sind nicht auf Ärger aus." Die Orks hinter Borzo nickten eifrig. „Unser Ziel liegt im Süden."
„Welche Überraschung", meinte Caeril spöttisch. „Gibt es einen Grund, warum ihr es so eilig habt? Eilig genug, eine Gruppe Elben nicht anzugreifen?"
Borzo kratzte sich am Hals. Die Spuren, die er auf seiner dreckigen, verschwitzten Haut hinterließ, waren wirklich ekelhaft. Er wand sich innerlich, das war offenkundig. „Notfall in der Familie."
„Gleich sterbe ich", hauchte Elladan erstickt. „Wir sollten sie töten. Es wäre für sie eine Erlösung."
„Schwachsinn ist kein Verbrechen", flüsterte ihm sein Bruder zu. „Sonst hätte Adar dich schon längst im Bruinen ertränkt."
„Woher wissen wir, dass ihr uns nicht in den Rücken fallt?" wollte Caeril wissen.
Der ganze Ork-Trupp schüttelte die Köpfe.
Caeril seufzte. Die Situation war einzigartig. Man begegnete keinen Orks und zog dann nach ein paar oberflächlichen Worten unbehelligt seiner Wege.
„Was ist nun, Elb?" drängte Borzo. „Läßt du uns ziehen oder müssen wir uns den Weg freikämpfen?"
Aragorn schätzte, dass es 5 Minuten dauern würde, diese unselige Truppe auszulöschen und zwar ohne Verluste auf Seiten der Elben. Es war zu einfach, ein wahres Schlachtfest. Caeril schien zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen zu sein.
„Ich zähle langsam bis zehn", verkündete er. „Seid ihr dann noch hier, töten wir euch."
Sie hinterließen eine Staubwolke in der Landschaft, die noch eine ganze Weile zu sehen war, wie sie immer weiter im Süden verschwand. Trotzdem war für die Reisenden in dieser Nacht an Schlaf nicht mehr zu denken. Immer wieder richteten sich die Blicke nach Osten. Dort gab es etwas, das einen ganzen Trupp Orks in Todesangst versetzte. Osten, ihre Reiseziel, Rhûnar...
***
Den nächsten Abzweig rechts, dann wieder nach links und schließlich auf der zweiten Wegkreuzung geradeaus. Schade, sie nahm dort den falschen Abzweig.
„Fast hätte sie es geschafft", murmelte Glorfindel und lehnte sich noch etwas gemütlicher an die Terrassenbrüstung.
Thranduil blinzelte in die Sonne. „Die zwei Stunden sind rum und Varya immer noch im Labyrinth. Ihr schuldet mir einen Silberring, Glorfindel."
„Wie wäre es, wenn wir den Einsatz verdoppeln?" schlug der Vanya vor. „Schafft sie es innerhalb der nächsten Stunde oder nicht?"
Thranduil drehte nachdenklich seinen Weinpokal und blickte wieder auf das Labyrinth hinunter. Der Einsatz war recht reizvoll, andererseits zeigte Varya bereits Anzeichen von Ermüdung. Seit er sie vor zwei Stunden einfach in der Mitte stehen gelassen hatte, war sie unentwegt herumgetapst. Ihr Kleid war bis zu den Knien durchnässt nachdem sie durch einen Seerosenteich gestiefelt war und von ihrer Frisur war durch den engen Kontakt mit diversen Hecken und Büschen nicht mehr viel übrig. Sie war immer noch blind wie ein Maulwurf, auch wenn sie seit heute morgen steif und fest behauptete, Licht und Schatten unterscheiden zu können.
„Übertreiben wir besser nicht", lehnte er schweren Herzens ab.
„Eine weise Entscheidung", erklang hinter ihnen Elronds verärgerte Stimme.
Thranduil zuckte leicht zusammen, bevor er sich umdrehte. Hinter Elrond drückte sich Tisvien herum, die sich um Varya kümmerte und offenbar auch sorgte, sonst hätte sie nicht den Elbenlord alarmiert. Thranduil schickte ihr einen unheilverkündenden Blick. Blass aber trotzig hielt die Elbin ihm stand. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, jetzt verschoben sich auch noch die Loyalitäten unter den Bediensteten.
„Holt sie da raus!" befahl Elrond der Dienerin.
Tisvien ließ sich nicht zweimal bitten. Eilig rannte sie die lange Steintreppe der Terrasse herunter, die direkt auf den Eingang des Labyrinths zuführte. „Bleibt, wo Ihr seid, Lady Varya!" rief sie dabei laut. „Ich komme Euch holen."
„Was sollte das?" erkundigte sich Elrond eisig. „Ihr setzt eine Blinde in einem Labyrinth aus und wettet, ob sie den Weg hinaus findet?"
Wenn man es so zusammen fasste, klang es nicht sehr schmeichelhaft. Thranduil zuckte ein wenig schuldbewusst mit den Schultern. „Sie behauptet, ihr Sehvermögen kehrt zurück. Es war ein Test."
„Es dauert noch mindestens eine Woche, bis sie wieder ihre alte Sehkraft zurück hat." Elrond schüttelte den Kopf. „Von Glorfindel erwarte ich ja gar nichts anderes mehr, aber Ihr, Thranduil!"
Thranduil seufzte. „Gönnt mir das Vergnügen, Elrond. Sobald sich ihr Blick wieder geklärt hat, wird sie auf meinen Nerven herumtrampeln."
„Die Ruhe jetzt bekommt Euch offenbar auch nicht", grollte Elrond.
Ein wahres Wort, erkannte Thranduil. Es war irgendwie sehr ruhig, es irritierte ihn. Von den üblichen Reibereien mit den Geschöpfen Düsterwalds abgesehen, lag eine friedliche Stimmung über dem Palast. Gelegentlich wanderten seine Gedanken zwar zu der unseligen Reisegruppe, die gerade Richtung Osten unterwegs war, aber er klammerte sich dann immer an die Hoffnung, das wenigstens diesmal alles glatt verlaufen würde. Ansonsten regierte er ein Reich, das in solchen Zeiten nur wenig Führung brauchte.
„Seid Ihr schon einmal in Esgaroth gewesen?" erkundigte er sich bei Elrond.
Der Halbelb blinzelte unter dem plötzlichen Themenwechsel etwas. „Nein, warum?"
Wunderbar, Thranduil spürte, wie sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht bildete. „Dann wird es wohl Zeit. Bis unsere Söhne zurückkommen, dauert es noch eine ganze Weile und da Ihr solange mein Gast seid, nutzen wir doch einfach die Gelegenheit. Dann könnt Ihr sofort Eure Wettschuld einlösen und Ihr auch, Glorfindel."
„Eine Reise nach Esgaroth..." Glorfindel warf Elrond einen heiteren Blick zu. „Es wird uns sicherlich gefallen. Du verbringst ohnehin zuviel Zeit mit deinen Büchern und Heiltränken. Etwas Abwechslung schärft die Sinne."
Elrond wirkte mehr als unbehaglich. Thranduil hätte sich denken können, dass Elronds Abenteuerlust sich mittlerweile darauf beschränkte, eine neue Teesorte auszuprobieren. Die Kämpfe im südlichen Düsterwald reichten ihm wohl für den Rest dieses Zeitalters. Dieser Halbelb war eindeutig zu vergeistigt. Das war nicht gut. Die kommenden Jahre würden schwere Jahre werden. Der Besuch in Esgaroth würde sozusagen eine Rettungsmission sein, um ihn wieder etwas mit dem wirklichen Leben in Kontakt zu bringen.
„Ich habe einiges von Esgaroth gehört", meinte Elrond zögernd.
„Man muss es erleben, mein Freund", sagte der Waldelb. „Nicht nur hören. Es wird Euch gefallen."
Varyas Ankunft verhinderte die Einwände, die sich Elrond sicher gerade zurechtlegte. Thranduil kannte sie alle, Berelion gab sie auch immer zum Besten, wenn er sich entschloss, persönlich die Handelsbeziehungen mit dieser menschlichen Ansiedlung aufzufrischen.
„Thranduil!"
Hätte er die Wahl gehabt, ihre Augen oder ihre Stimme zu betäuben, die Wahl wäre ihm gerade jetzt nicht sehr schwer gefallen. „Hier, Lirimaer."
Ihr Kopf wandte sich in seine Richtung. „Glaub bloß nicht, dass du damit durch kommst. Wenn ich erst wieder sehen kann-„
„Ich dachte, das kannst du wieder halbwegs", erinnerte er sie nicht sehr beeindruckt.
„Lenk nicht ab." Varya war nicht in der Stimmung für Kleinlichkeiten. „Du hast mich ausgesetzt!"
„Das war der Palastgarten und nicht die Alte Waldstraße."
„Macht es einen Unterschied? Ich bin fast ertrunken und diese Hecken haben mich beinahe aufgefressen. Ich könnte schwören, sie sind von einer dunklen Macht beseelt."
Selbst Elrond schmunzelte bei soviel Dramatik. „Wie geht es Euch, Varya?"
„Lord Elrond? Gut geht es mir. Wenn die Farbe endlich weg ist, geht es mir noch viel besser."
Thranduil bedachte den Herrn von Bruchtal mit einem warnenden Blick. Varya war schon seit zwei Tagen nicht mehr verfärbt, aber er hatte Tisvien streng untersagt, es ihr mitzuteilen. Der Waldelbenkönig hatte seine Gründe, angenehme Gründe, die Elrond nicht zu interessieren hatten.
Gleichwohl setzte Elrond bereits zu einer Antwort an, doch Glorfindel fasste ihn am Arm und zog ihn weg. Auf den Vanya war Verlass.
„Vielleicht sollten wir die Reise nach Esgaroth planen", hörte man ihn im Weggehen sagen.
„Esgaroth?" echote Varya. „Du nimmst mich doch mit, oder? Wag es nicht und stehle dich heimlich aus dem Palast."
Aus dem Palast nicht, aber zumindest von dieser Terrasse. Thranduil hatte Berelion entdeckt, der an der geöffneten Terrassentür stand und geduldig darauf wartete, dass sein König ihn zu einer der üblichen Besprechungen mit seinen Beratern begleitete. Eine gute Gelegenheit, sofort diese Reise anzukündigen und sich dann mit wachsender Müdigkeit anzuhören, warum der König der Waldelben auf gar keinen Fall auf eine derartige Unternehmen gehen sollte.
Geräuschlos setzte sich Thranduil in Bewegung. Bevor er wieder den Palast betrat, warf er noch einen Blick über die Schulter. Varya beschimpfte gerade eine der großen Steinvasen auf der Terrassenbrüstung. Spätestens wenn sie danach schlug, würde sie feststellen, dass Thranduil nicht mehr da war.
Der Beratungssaal war groß, düster und zugig, egal zu welcher Jahreszeit. Sein Vater hatte diesen Ort gewählt und ihm vor langen Jahrtausenden auch verraten warum.
„Es ist ganz einfach", hatte Oropher einen damals noch sehr jungen Thranduil angelächelt. „Je ungemütlicher es ist, desto schneller wollen alle zu einem Ende kommen. Stell dir nur vor, deine Berater würden sich dort wohl fühlen, sie würden mit der Schwätzerei gar nicht mehr aufhören."
Der weise Rat eines großen König, den im entscheidenden Moment seine Weisheit verlassen und ihm und vielen anderen den Tod gebracht hatte. Thranduil überfielen immer solch dunkle Gedanken, wenn er länger als eine Stunde seinen Beratern zuhörte. Der einzige Lichtblick diesmal war, dass nicht nur sein aktueller Hauptmann der Leibgarde, sondern auch sofort Forlos als der zukünftige Befehlshaber anwesend war. Aviril war nicht mehr so angestrengt, seit er seinen Nachfolger kannte und nun bald unbesorgt zu den Grauen Anfurten aufbrechen konnte. Forlos selber hatte sich gut erholt, seine Bewegungen waren zwar noch etwas bemüht, aber es wurde immer besser. Im Moment wirkten Aviril und er allerdings beide wie Statuen.
Sie kämpften gegen den Schlaf, genau wie Thranduil selbst. Die Bestände der Vorratskammern und ein Bauvorhaben für Ställe war nicht gerade ein mitreißendes Thema und besonders keines, das die Aufmerksamkeit eines Königs erforderte. Berelion lenkte dementsprechend ungestört die Beratung und brachte sie gegen Ende auf die Reise, über die ihn Thranduil auf dem Weg informiert hatte. Erwartungsgemäß war keiner sehr begeistert.
„Und diese Ithildrim soll auch noch mit?" empörte sich Rivannion.
Thranduil erwachte schlagartig aus seiner Halbtrance. Nach Rivannions Tonfall war Varya etwas, das eine Horde Orks vor den Palasttoren fallen gelassen hatte. Aus schmalen Augen musterte er den Elb, dessen gelegentliche Anflüge von Hochmut ihn bislang immer eher amüsiert hatten. Rivannion war ein Schwächling, eine Krämerseele und hatte seit Jahrtausenden die Sicherheit dieses Palastes nicht mehr verlassen. „Was ist dagegen einzuwenden?"
„Ihr macht einen offiziellen Besuch in Begleitung zweier Elbenfürsten, Hoheit. Diese Person hat doch wohl nichts dabei zu suchen."
Unauffällig rückten seine Sitznachbarn ein Stück von ihm ab. Bloß jetzt nicht Nähe zu ihm demonstrieren. Sie hatten allen Grund dazu. Entweder würde Forlos ihn gleich in Stücke reißen, der Hauptmann dehnte bereits unauffällig seine Armmuskeln, oder Thranduil selbst.
Nein, ich bin König, ermahnte der sich im letzten Moment. Ich habe andere Möglichkeiten. Umbringen kann ich ihn immer noch.
Thranduil lächelte und wunderte sich etwas, warum der Rest seiner Berater merklich erblasste. „Berelion, ich brauche ein neues Pferd."
„Wie bitte?" Berelion konnte dem Gedankensprung nicht ganz folgen. „Ein Pferd?"
„Genau, ein gutes, schönes Pferd", nickte Thranduil und ließ Rivannion nicht aus den Augen. Er hatte Dutzende und alle waren gut und zumeist auch atemberaubend schön. Noch eines und der Bau einer neuen Stallung konnte gleich um einen Anbau erweitert werden. „Eines, das eines Königs würdig ist."
Verstehen schwang in Berelions Stimme mit. „Eines aus Rohan?"
„Woher sonst?" Thranduil stand auf und beugte sich etwas über den Tisch zu Rivannion vor. „Und Ihr werdet es besorgen, Lord Rivannion. Geht besser und sucht Euer Gepäck zusammen. Ihr reist morgen ab. Ich will es haben, bis mein Sohn wieder zurückkehrt. Gute Reise."
Thranduil brachte fast einen Diener in den Krankenflügel, so heftig stieß er die Türen des Beratungssaales auf. Der Elb konnte sich gerade noch mit einem Sprung in Sicherheit bringen, als der König an ihm vorbeirauschte.
Er war immer noch wütend, als er seine eigenen Gemächer erreichte. Tisvien, die mit den Überresten von Varyas Kleid aus dem Baderaum kam, warf nur einen Blick auf ihn und huschte dann zur Tür. Unwillkürlich lächelte Thranduil ihr grimmig nach. Sie hatte ihn und Glorfindel an Elrond verraten. Irgendwie würde er ihr dieses illoyale Verhalten noch zurückzahlen.
Rosenduft lag in der Luft, aus dem Baderaum kommend. Genauso hatte er sich das gedacht. Sie verbrachte jeden Tag Stunden in der Badewanne. Ein großartiger Zeitvertreib, hatte Thranduil festgestellt, sehr entspannend, besonders für den Betrachter. Varya glaubte immer noch, mehr Ähnlichkeit mit einem Strauß Sommerflieder zu haben als einer ernstzunehmenden Heilerin und versuchte, die Entfärbung mit Wasser, Seife und einer Bürste voranzutreiben.
Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. Für eine ernsthafte Heilerin hielt sie ohnehin nur, wer sie mit einem Kranken erlebte. Ansonsten fiel es nämlich sehr schwer, diesem silbrigen Geschöpf mehr zuzutrauen, als einfach nur ein reizvoller Anblick zu sein. Er schlenderte langsam in den Baderaum hinüber. Ein reizvoller Anblick, in der Tat. „Bald hast du Schwimmhäute zwischen den Finger, wenn du weiter so viel Zeit im Wasser verbringst, Hexe."
„Die Farbe ist fast ab, sagt Tisvien", eröffnete ihm die Ithildrim und schrubbte mit grimmiger Befriedigung weiter auf ihren Armen herum.
Tisvien! Thranduil setzte die Dienerin auf seiner Vergeltungsliste auf den obersten Platz. „Fast, meine Liebe. Zwei oder drei Tage wird es aber noch dauern. Vorausgesetzt, du hast bis dahin noch Haut auf deinen Knochen. Wenn du weiter so rumschrubbst, fängst du an zu bluten."
„Wer von uns beiden ist hier bunt, hm? Wir können gerne tauschen." Trotzdem legte sie die Bürste zur Seite und lehnte sich in der steinernen Wanne zurück. „Wann reisen wir nach Esgaroth?"
Thranduil durchquerte das mit grün-goldenem Mosaik geflieste Badezimmer und ließ sich auf dem Wannenrand nieder. „Wer sagt, dass du uns begleitest? Du bist immerhin blind."
„Aber nicht hilflos." Bevor er reagieren konnte, packte sie ihn am Ärmel und zog ihn ins Wasser.
*
***
Tbc
@Little Lion: Eine lila Elbin wäre schon ein interessanter Anblick. Vielleicht gefällt es dir ja auch, wenn es an zwei Orten weiter geht.
@Airihnaa: Phrasenkasse ist gut. Elladan müsste wahrscheinlich einen Kredit aufnehmen. Frag nicht, warum ich immer auf Farben zurückgreife. Keine Ahnung. Aber das mit dem Silbernitrat verkneife ich mir. Ein brauner Elb? Iieeck, passt schon eher zu einem Ork. Du bist aber auch eher bunt, gelle? Erst Flecken auf dem Kittel, jetzt die Hände angemockt. Langsam drängt sich mir der Verdacht auf, ich kannte dich aus einem früheren Leben, als ich Varya geschrieben hab.
@Amélie: So eine hüfthohe schäbbige Vase, quietschbunt und wahrscheinlich mit einer Menge Verziehrungen rundrum. Die Dinger kenne ich. Gruselig. Elrond hat wahrscheinlich eine mit Galadriels Bild in der Bibliothek stehen. Das kann einen echt vom Lesen abhalten. Hah! Du fängst an, den Grummelkönig zu mögen? Sieg! Sieg!
@CasaMaga: Doch sie tut ihm gut *wie Malzbier, smile* Wir haben ja schon beide festgestellt, dass er junges Gemüse braucht...wegen der Vitamine *flöt*
@Ithiliell: Hallo *wink*. Die Beziehung ist eindeutig seltsam, aber ergiebig *für den Autor*
@Donnfindel: Wenigstens denkt niemand, dass du einen Alptraum hast. Bin froh, dass du deine Story wieder weiterführst. Sie ist nämlich gut. *entschieden nick*
@Eowyn: Danke, geht weiter bis zum bitteren Ende.
@Dani: Ach, ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen *gg*. Dann tröste Galen mal. Die Schlampe werde ich auch noch fertigmachen.
@feanen: Immer noch zur Adoption bereit? Er kommt jetzt mit Anhang.
@seniwallenstein: Über die Sache mit Thranduil habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht, wie zu merken war. Die Waldelben-Stiesel sind mit Sicherheit nicht begeistert. Nicht standesgemäß und so. Hauptsache Legolas hat die Ruhe weg, muss man bei dem Vater wohl auch. Versprochen, es wird ihnen wenig erspart bleiben.
@Loriel: Jau, sie sind alle wieder da. Ist dir also auch aufgefallen, dass Legolas in dem ganzen Chaos wohl wirklich der einzig Vernünftige ist. Kann er nicht von seinem Adar geerbt haben. Vielleicht hatte Nana was mit Elrond *grübel*.
@Shelley: Danke für die review. Noch bleibt's lustig. Äh, wann kann ich dir denn mal wieder eine review schreiben? Nicht, dass ich drängeln will, nööh...
@Atropos: Das Damoklesschwert schwebte und *schnippschnapp* ist es runtergefallen *fg*. Alte Knochen und junges Gemüse ist aber eine recht ergiebige Kombination. Willi geht es übrigens gut. Er ist im Gemüsefach meines Kühlschranks eingezogen und wartet auf seinen ersten Einsatz.
