Disclaimer: Alles Tolkien, mich nix. Kein Geld, keine Urheberrechte, nur abgekupfert.
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Kapitel 3: Wo sind denn alle hin?
Legolas war zu höflich, um zu fragen. Er hatte eine gute Erziehung genossen, darauf hatte Thranduil immer sehr viel Wert gelegt. Warum, konnte sich sein Sohn zwar nicht wirklich erklären, wenn er seinen Vater gelegentlich erlebte, aber so war es nun einmal.
Elladan kannte solche Vorbehalte nicht.
„Hattest du bei deinem letzten Besuch hier Halluzinationen?" erkundigte er sich bei Galen. „Das ist der toteste Ort, den ich jemals kennen gelernt habe."
Der Rhûna schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich weiß auch nicht, wo alle sind."
„Vielleicht haben sie eine Versammlung?" überlegte Estel und betrachtete die ausgestorbenen Straßen, durch die sie gerade nach Ilegond hineinritten.
„Und die Hühner und Kühe sind auch dabei?" Elladan zeigte bedeutsam auf die leeren Pferche, an denen sie vorbei kamen.
Hauptmann Caeril sagte gar nichts. Stattdessen gab er seinen Männern ein Zeichen und alle rückten dichter zusammen, zogen einen lebenden Wall um die ihm anvertrauten Abkömmlinge von Königen und Fürsten.
Galen hatte ihnen Ilegond als lebhafte Handelsstation direkt am Celduin beschrieben. Mehrere hundert Einwohner, Lagerhallen mit regem Betrieb, Händler und Reisende im Übermaß. Nach den drei Wochen durch die Ödlande hatten sich alle darauf gefreut, etwas Abwechslung zu bekommen, auch wenn menschliche Ansiedlungen nicht immer unbedingt nach dem Geschmack der Elben waren. Aber wieder ein anderes Gesicht als das ihrer Begleiter zu sehen, stellte langsam eine eindeutige Verbesserung dar.
Legolas hätte sich mittlerweile sogar über den Anblick eines Huhns gefreut, doch selbst das blieb ihm jetzt versagt. Ilegond war leer, völlig ausgestorben. In einigen der Häuser, die sie auf ihrem Weg passierten, standen die Türen offen, Hausrat lag gelegentlich auf der Straße herum.
„Ein Angriff?" überlegte Elrohir gedämpft.
Legolas schüttelte den Kopf. „Nein, eher ein recht hastiger Aufbruch."
Sehr langsam ritten sie weiter, bis sie einen offenen Platz direkt am Hafen erreichten. Nicht ein einziges Schiff lag hier, nur eine breite, quadratisch gebaute Fähre, mit der man wohl auf die Ostseite des Ufers übersetzen konnte. An einigen der Stege lag noch Ladung, die zwar gelöscht, aber niemals abtransportiert worden war. Auch hier war keine Menschenseele zu entdecken.
Die Elben stiegen ab und blieben wachsam in einem Pulk bei ihren Pferden stehen. Sie lauschten auf die Geräusche, die aus der Stadt zu ihnen drangen. Viele waren es nicht, nur der Wind bewegte einige Fensterläden, trug Staub heran und schien sich über die Neuankömmlinge zu amüsieren, so lebhaft umtanzten kleine Staubwirbel sie.
„Hier stimmt was nicht!" meinte Elladan und legte unwillkürlich die Hand auf den Griff seines Schwertes.
„Wie scharfsinnig", murmelte Elrohir. „Was hat dich überzeugt - die verlassenen Straßen, die fehlenden Einwohner oder die Stille?"
„Wir sollten uns umsehen", schlug Legolas vor. „Vielleicht finden wir einen Hinweis."
Hauptmann Caeril machte ein unglückliches Gesicht. „Überlasst das uns."
Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte ein flehentliches ‚Bitte' angefügt. Legolas ignorierte die Nöte des Hauptmanns großzügig. „Bilden wir Gruppen, dann sind wir schneller."
„Ihr könntet den Hafen untersuchen." Caeril gab noch nicht auf, seine Gardisten nickten lebhaft. „Den Rest der Stadt übernehmen wir."
Elladan klopfte ihm freundlich auf die Schulter, bevor er mit seinem Bruder und Galen im Schlepptau an ihm vorbeiging und zwischen zwei der massiven, reetgedeckten Steinhäuser verschwand.
„Hoheit", versuchte Caeril es nochmals. „Euer Vater wird mich lebendig häuten, wenn Euch etwas zustößt."
„Ich weiß", grinste Legolas. „Keine Sorge, ich werde ihm sagen, dass Ihr alles versucht habt, um mich davon abzuhalten."
„Wie wollt Ihr es ihm sagen, wenn Ihr tot seid?" seufzte der Hauptmann.
„Guter Einwand", sagte Estel, als er mit Legolas den Platz verließ und Richtung Norden zwischen einem Gasthaus und einem Handelskontor die Suche aufnahm.
„Caeril ist zu vorsichtig", wischte Legolas den Einwand beiseite und warf einen Blick in das Kontor. Es sah aus, als hätten die Bewohner es gerade eben nur für eine kurze Weile verlassen. Nachdenklich nahm er das offene Tintenfass auf einem der Schreibpulte hoch. Die Tinte war zur Hälfte ausgetrocknet.
„Eine Woche", schätzte Estel, der ihm dabei zusah. „Länger sind sie noch nicht weg."
„Fragt sich nur, wohin."
„Legolas, ich denke die richtige Frage lautet eher, warum?" Estel fingerte etwas nervös an seinem Schwertgriff herum. „Menschen lassen nicht einfach ihr Hab und Gut unbewacht zurück."
„Nein, dafür seid ihr zu gierig."
„Legolas!"
Der Waldelb schluckte. Estel war einfach zu empfindlich. „Anwesende ausgenommen. Komm schon, Estel. Wir haben noch ein paar Häuser vor uns."
Sie verließen das Kontor und steuerten das Haus gegenüber an.
„Bin ich gierig?" wollte Estel unterwegs wissen.
„Nein." Auch in diesem Haus fanden sie nichts vor.
„Ich meine, ich kann mich doch immer recht gut zurückhalten."
„Sicher." Legolas gefiel es gar nicht, dass Lebensmittel in einer Kammer herumstanden. Halb verdorben zwar, aber dennoch unangetastet. Lebensmittel waren kostbar, man ließ sie nicht zurück.
„Meine Schwäche sind Haselnüsse", überlegte Estel, während sie sich dem nächsten Haus zuwandten.
Legolas streifte ihn mit einem kurzen Blick. „Du bist verrückt danach."
„Aber das hat doch nichts mit Gier zu tun", empörte sich Estel. Er stieß langsam die Eingangstür des recht bunt bemalten Gebäudes auf, bis zu dem sie sich vorgearbeitet hatten.
Einen Moment standen Elb und Mensch sprachlos in einem rotausgemalten Flur mit vielen Spiegeln an der Wand. Eine mit ebenfalls roten Stoffbahnen dekorierte Treppe führte in den ersten Stock. Kleidung lag auf den Stufen herum, Frauenkleidung, Unterkleider mit Spitzen und Stoffblumen, durchscheinend.
Legolas räusperte sich. „Hier werden wir wohl auch nichts finden."
„Ich frage mich..." Estel blickte neugierig die Treppe hinauf, an deren oberstem Absatz ein großes Gemälde hing. Es war die detailfreudige Darstellung einer Frau, nur bekleidet mit ihren schwarzen, langen Haaren.
„Nein, Estel, frag dich nicht", unterbrach der Elb ihn. „Nimm es einfach hin und komm jetzt."
Einige Minuten gingen sie schweigend weiter. Die Häuser waren nicht mehr so groß und gepflegt. Offenbar wohnten die reicheren Einwohner Ilegonds in der Nähe des Hafens und nun kamen sie in die ärmeren Viertel.
„Nicht alle Menschen sind gierig."
Legolas unterdrückte ein Aufstöhnen. Er würde sich dranhalten. Das war bei Estel immer so. Wenn er über etwas nachdachte oder sich kritisiert fühlte, hörte er einfach nicht mehr auf.
„Eigentlich teile ich sogar sehr gerne."
„Estel!" Legolas packte ihn an den Schultern, ein grimmiges Lächeln auf den Lippen. „Du bist ein wahrlich edle Seele, viele Menschen sind das. Du teilst dein letztes Hemd und ich bewundere dich dafür."
Estel musterte ihn einen Moment, bis er sich etwas entspannte. Legolas ließ ihn wieder los und bog um eine Straßenecke.
„Bis auf Haselnüsse natürlich", hörte er ihn hinter sich in betrübter Selbsterkenntnis murmeln.
„Vergiß die Haselnüsse." Legolas starrte mit wachsendem Entsetzen auf das, was sich hinter den letzten Häusern in einer langen Reihe vor ihm erstreckte.
*
***
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Normalerweise hasste sie Abschiedsfeste, aber dieses hier liebte sie. Zumindest würde sie es, wenn alles so funktionierte, wie sie es sich vorgestellt hatte. Bislang lief es jedenfalls ganz gut. Die lange Planung zahlte sich also aus.
‚Ah, Auftritt der zukünftigen Königin.' Varya unterdrückte ein Kichern. Ganz still blieb sie im Schatten zwischen zwei der Säulen stehen, die den großen Festsaal des Palastes umrandeten. Das Essen war beendet und langsam fanden sich jetzt alle hier ein, um noch einmal zu feiern, bevor der König in Begleitung der beiden Elbenfürsten nach Esgaroth aufbrach. Helemar, ausstaffiert, als wäre sie bereits die neue Herrscherin des Waldelbenvolkes rauschte gerade die wenigen Stufen von der Eingangstür herab.
Schon während des gesamten Essens war Rivannions Tochter aufgeregt hin und her gerutscht.
„Ich hoffe, Ihr seid gnädig."
Varya machte einen Satz und hätte fast aufgeschrieen. Wütend sah sie Glorfindel an, der mit zwei Weinpokalen in der Hand wie hergezaubert neben ihr stand. „Müsst Ihr Euch so anschleichen?"
„Ich dachte, das ist bei Verschwörungen so üblich." Er reichte ihr einen der Pokale und drehte sich dann dem Saal zu.
„Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht."
„Mein liebes Kind, Ihr mögt vielleicht Thranduil und gelegentlich auch den schon etwas misstrauischeren Elrond täuschen, aber sicherlich nicht mich." Glorfindel betrachtete interessiert, wie Helemar einen Kreis Elbinnen um sich scharrte und dabei immer wieder an der Ecke eines zusammengefalteten Pergaments herumfingerte, das aus ihrem Ausschnitt lugte. „Von Euch?"
Varya schüttelte den Kopf. Sie hatte die Nachricht also bei sich. Legolas hatte sich Tage mit diesem unsäglichen Gesäusel herumgequält. Sie und die Zwillinge hatten ihm stundenlang gut zugeredet, nicht aufzugeben. Das einzige, von dem er nicht abgerückt war, war die fehlende Unterschrift und die leicht verstellte Schrift. Varya hatte mit der Zustellung gewartet, bis sie wieder sehen konnte. Den Anblick wollte sie sich einfach nicht entgehen lassen. „Ich fälsche keine Briefe."
„Also Legolas", sagte Glorfindel und lächelte bei ihrem überraschten Blick. „Nur er könnte die ehrgeizige Lady dazu bringen, wie ein liebeskrankes Eichhörnchen herumzuhopsen."
Nicht weit von Helemar entfernt sammelte Thiawen ihre Truppen. Sah immer wieder zu ihrer ärgsten Rivalin herüber und tuschelte dann. Von rechts näherte sich nun Tisvien, ein Tablett mit Weingläsern in den Händen. Helemar war so mit dem Inhalt des Briefes beschäftigt, dass sie weder bemerkte, dass Tisvien eigentlich gar nicht dort hin gehörte noch dass sie ihr ganz gezielt eines der Gläser in die Hand drückte.
„Hinterlässt es bleibende Schäden?" fragte Glorfindel nicht sehr besorgt.
„Keine körperlichen. Es dauert ein paar Minuten, bis es wirkt."
„Wollt Ihr solange tanzen?"
„Seid Ihr verrückt? Nachher verpasse ich noch den Anfang. Außerdem glaubt Thranduil, dass ich noch nicht richtig sehen kann." Sie suchte kurz den Saal nach der vertrauten Gestalt des Königs ab. Er war auf der entgegengesetzten Seite, in ein Gespräch mit Berelion und Forlos verwickelt. Wahrscheinlich ging es um die morgige Abreise nach Esgaroth. Das würde ihn eine Weile beschäftigen. „Alles etwas verschwommen, Ihr wisst schon."
„Zu verschwommen, um Tränke zu brauen", vermutete Glorfindel nickend. „Überraschende Strategie für eine Heilerin, so den Rückzug zu sichern."
„Solltet Ihr mich nicht eigentlich tadeln?"
Glorfindel griff an seine Schulter und zog einen der goldblonden Flechtstränge vor, um ihn genau zu betrachten. „Glück gehabt. Ich dachte schon, sie wären jetzt dunkel geworden. So wie Elronds..."
„Muss an meiner schlechten Sehkraft gelegen haben", grinste Varya.
„Natürlich will er nichts von dieser plattfüßigen Ziege!" verkündete Helemar gerade mit lauter Stimme.
Es ging also los. Varya hätte sich fast wie ein irrer Zauberer die Hände gerieben. Im letzten Moment wahrte sie ihre Fassung. Schließlich war sie völlig unschuldig, dass Helemar jetzt den unwiderstehlichen Drang verspürte, ausschließlich die Wahrheit zu sagen.
„Redest du etwa von mir?" Thiawen baute sich mit ihren Gefolgsleuten hinter sich vor Helemar auf.
„Sonst gibt es hier keine Elbin, in deren Schuhen man über den Waldfluss fahren kann." Helemar zog das Pergament aus ihrem Ausschnitt. „Er hat mir geschrieben."
„Zeig her!" In einer schnellen Bewegung riss Thiawen ihr den Brief weg und überflog ihn kurz. „Da ist keine Unterschrift. Außerdem ist der Brief nicht an dich. Hier steht ‚deine sanfte Stimme ist wie Glockengeläut an einem Frühlingsmorgen'. Du hast eine Stimme wie ein Zwerg mit Halsschmerzen."
Varya runzelte die Stirn. Thiawen hatte sie eigentlich nichts von dem Trank gegeben.
„Natürlich ist der Brief für mich." Helemar erkämpfte sich das umstrittene Pergament wieder. „Am Abend vor seiner Abreise bin ich in seinem Gemach gewesen, nur in meiner Nachtkleidung. Ihm sind fast die Augen rausgefallen."
„Oh", murmelte Varya. „Davon hat er gar nichts erzählt."
„Euch bestimmt nicht", meinte Glorfindel mit einem leisen Lachen. „Aber keine Sorge, er ist zu den Zwillingen geflüchtet, weil er sie nicht los wurde."
„Du Orkgezücht!" schrie Helemar und brachte nun auch den letzten der Anwesenden dazu, sich dem Geschehen zuzuwenden. „Er wird mich heiraten, mich und nicht dich. Und wenn ich erst Königin bin, wird hier einiges anders."
„Jetzt bin ich aber gespannt", sagte Glorfindel. „Thranduil scheint auch recht interessiert an ihren Verbesserungsvorschlägen."
Varya wippte unruhig auf den Fußballen. Sie war einfach zu weit entfernt. Glorfindel erlöste sie.
„Aber denkt daran, dass Ihr noch halb blind seid", ermahnte er sie und reichte ihr seinen Arm, bevor er sie tiefer in das Geschehen führte.
„Du würdest bis in alle Ewigkeit in einem Verlies schmoren!"
Die Drohung war langweilig und keine Verbesserung, Thranduil gab sie auch dauernd zum Besten. Varya hatte sich eigentlich mehr versprochen.
„Und diese widerliche Verbrüderung mit allen möglichem Volk wäre auch vorbei. Thranduil ist schon fast so weich wie dieser Halbelb aus Bruchtal."
Elrond stand neben Thranduil. Beide wirkten plötzlich nicht sehr erfreut.
„Legolas wird schon machen, was ich ihm sage." Helemar baute sich noch etwas dichter vor ihrer Rivalin auf. „Dich werfen wir als erstes raus. Du bist schlimmer als eine läufige Hündin."
Das Geräusch, das als erstes die Stille durchbrach, kam von Thiawens Hand, die in Helemars Gesicht landete. Mit einem Aufschrei stürzte sich die darauf hin auf die andere Elbin.
„Hattet Ihr Euch das so vorgestellt?" erkundigte sich Glorfindel gedämpft bei Varya.
„Es übertrifft alle meine Erwartungen", hauchte sie fasziniert. Zwei Elbinnen, die mit einander unter den Augen des Königs und seines gesamten Hofstaates in einen Ringkampf verfielen, waren ein großartiges Spektakel. „Aber vielleicht solltet Ihr eingreifen, bevor sie sich verletzen."
„Varya, ich bin Krieger, nicht lebensmüde", wehrte er ab. Schützend drängte er sie einen Schritt zur Seite, als Thiawen von Helemar in ihre Richtung gestoßen wurde. Die Elbin stolperte an ihnen vorbei und landete auf dem Boden.
Helemar ignorierte kurz ihre stöhnende Gegnerin und fixierte mit wilden Blicken Varya. „Ah, da ist ja auch diese Rhûnar-Hexe. Reicht Euch einer nicht oder warum hängt Ihr jetzt an Glorfindel herum? So langweilig kann unser König doch gar nicht sein, nach allem was man so hört."
Das ging nun wirklich zu weit. Varya schnappte nach Luft.
„Lady Helemar!" Thranduils Stimme war nicht laut, aber so schneidend, dass nicht nur die Angesprochene zusammenzuckte. „Es ist Zeit, dass Ihr dieses Fest verlasst. Und wenn Ihr schon dabei seid, solltet Ihr auch Gleiches mit diesem Palast machen."
Helemar baute sich vor ihm auf. Die Mischung, die Varya ihr untergeschoben hatte, löste nicht nur die Zunge, sie schien auch völlig die Angst zu nehmen. „Denkt nur nicht, Ihr könnt mich rausschmeißen. Legolas wird dafür sorgen, dass ich die mir zustehende Position schon wieder einnehme."
Varya verbot sich, über diese ‚Position' näher nachzudenken. Es war zu abartig.
„Mein Sohn..." Thranduil holte sehr tief Luft. Es schien ihn halbwegs zu beruhigen, dass Elrond warnend die Hand auf seinen Arm legte. „Mein Sohn würde Euch nicht einmal zur Frau nehmen, wenn Ihr die letzte Elbin ganz Mittelerdes wärt. Eher schicke ich ihn persönlich in Mandos Hallen. Und jetzt raus!"
Freiwillig ging sie jedenfalls nicht. Forlos musste zwei Elben der Leibwache heranwinken, die die zeternde Elbin in die Mitte nahmen und mühsam aus dem Saal zerrten.
„Seid Ihr zufrieden?" erkundigte sich Glorfindel leise.
Varya nickte. Sie hatte nicht einmal den Anflug eines schlechten Gewissens, ganz im Gegenteil. Helemar war eine Schlange, sie hatte Galen verletzt und wenn es nach den guten Ratschlägen der Zwillinge gegangen wäre, würde Helemar jetzt im Krankenflügel liegen und einen akuten Anfall von Beulenpest auskurieren.
„Manche Leute vertragen keinen Alkohol", erklärte Thranduil gerade, als sie mit Glorfindel zu ihm und Elrond schlenderte.
Der Elbenlord nickte leicht und fixierte Varya mit seinen durchdringenden grauen Augen. „Zumindest nicht jede Mischung."
*
***
*
Es gab erstaunlich viele Gasthöfe in Ilegond. Elladan betrachtete interessiert das Türschild über sich. ‚Blinder Fährmann' war ein merkwürdiger Name für ein Gasthaus. Hoffentlich hatte es nicht etwas mit der Wirkung des ausgeschenkten Biers zu tun.
„Nicht schon wieder." Elrohir versetzte ihm einen Stoß in den Rücken und trieb ihn weiter die Straße hinunter. „Es ist noch früher Tag und du hast die dritte Spelunke durch."
Galen lächelte etwas. „Ich frage mich allerdings auch, warum du in jedem Bierfass nach Ilegonds Bewohnern suchst."
„Irgendwo müssen sie schließlich sein", verteidigte Elladan seine Suchstrategie. „Eines wissen wir zumindest jetzt."
„Ahja?" Sein Bruder blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Verrat es mir, Sohn meines Vaters. Deine unendliche Weisheit wird mir den Weg erleuchten."
„Sie sind überstürzt aufgebrochen", erklärte Elladan ungerührt. „Niemand lässt Wein- und Bierfässer zurück. Viel zu wertvoll."
„Das wissen wir bereits etwas länger", murmelte Galen und trabte wieder los. „Gleich da vorne ist ein Apothekerladen, in dem ich schon öfter war."
„Jetzt fällt er unter die Plünderer", murmelte Elladan, folgte ihm aber dennoch. So angenehm es war, recht ungestört die Gasthöfe zu untersuchen, so sehr war ihm bewusst, dass Ilegond ein gefährliches Pflaster sein konnte. Sie wussten nicht wirklich, was geschehen war und Galen war nicht der Elb, der mit den Instinkten eines geborenen Kriegers ausgestattet war, nicht mehr wirklich.
„Meister Hallewin?" Galen öffnete mit dieser fröhlichen Begrüßung die Tür und trat in den dunklen, mit deckenhohen Regalen voller sorgfältig aufgereihter Porzellankrüge gefüllten Raum. „Meister Hallewin? Ich bin es, Galen o Rhûnar. - Was hat er denn da?"
„Erklär mir eins", wandte sich Elladan leise an seinen Bruder. „Wie kommt er darauf, dass ausgerechnet der Apotheker noch hier ist? Ich meine, die ganze Stadt ist leer, aber Galen flötet hier Grüße für einen Apotheker. Ich denke nicht, dass dies hier die letzte Bastion des Widerstands gegen was auch immer ist."
„Manche Apotheker sind nicht übel", sagte Elrohir und dachte an seinen Vater.
„Er ist kein Apotheker", widersprach Elladan leicht indigniert.
„In einem Winkel seiner Seele schon, er hat es nur nicht an uns vererbt."
Ein eigentümliches Geräusch ließ beide zusammen fahren. Zeitgleich zogen sie ihre Schwerter und gingen in eine lockere Grundstellung.
Das Geräusch wiederholte sich. Es klang irgendwie unheimlich, ein Schnaufen und Ächzen. Die Zwillingen sahen sich unbehaglich an. Dunkelheit schien sich in dem ohnehin dämmrigen Laden auszubreiten. Ein Scharren gesellte sich hinzu.
Elrohir deutete mit einer Kopfbewegung auf die lange Holztheke, hinter der der Apotheker wohl gewirkt hatte. Eine Hand streckte er zugleich aus, um Galen langsam hinter sich zu ziehen. Der Rhûna stützte sich immer noch etwas verwirrt auf seinen Stab und betrachtete gerade ein Glas mit sehr befremdlichen, in klare Flüssigkeit eingelegten... Dingen. Ein anderer Begriff fiel Elladan nicht ein, obwohl sie ihn entfernt an Froschfüße erinnerten, blaue Froschfüße.
Im Zwielicht schob sich eine Klaue über den Thekenrand, landete mit einem dumpfen Laut auf der Holzplatte. Was immer dieses Geschöpf war, die Zwillinge machten sich bereit, es beim nächsten Anzeichen von Gefahr zu töten.
„Binter." Bevor die Brüder reagieren konnten, war Galen vorgetreten und hatte sich über die Theke gelehnt. „Bist du in Ordnung?"
Über dem Thekenrand tauchte das hässlichste Geschöpf auf, dass die Elben jemals erblickt hatten. Unter wirr abstehenden, staubbraunen Haaren war ein irgendwie asymetrisches Gesicht zu erkennen, mit großen, hervorquellenden Augen blassblauer Farbe und ein großer Mund, der zu einem schiefen Lächeln verzogen war, das die bräunlichen Ruinen eines Gebisses enthüllte.
„Meister Galen", lallte das Geschöpf und eine Wolke Alkoholdunst wehte auf die Zwillinge zu. „Auch wieder im Land?"
„Wir sind gerade angekommen", antwortete Galen freundlich und fasste dieses Etwas beim Kragen. „Wo sind denn alle?"
„Weg!" Binter lag halb über der Theke, in einem Arm hielt er noch eine Medizinflasche. „Seit einer Woche, alle weg. Nur den armen Binter haben sie zurückgelassen."
„Das ist Binter", erklärte Galen den Zwillingen, während er dem Mann die Flasche wegnahm und kurz daran roch. „Er hat Hallewins Konservierungswein ausgetrunken. Danach war er schon immer versessen. Binter, was ist passiert?"
„Großes Übel, Meister Galen, großes Übel." Binter haschte verzweifelt nach der Flasche. „Es kommt aus Süden."
„Orks?" fragte Elladan und versuchte erfolglos, den herumrollenden Blick des Säufers auszuhalten. Ihm wurde beinahe schwindelig.
„Nee, die Orks sind selbst getürmt." Binter lachte, hustete dann und spuckte schließlich auf den Boden. Es gab ein platschendes Geräusch.
„Erus Licht!" stöhnte Elrohir und schluckte. „Mir wird schlecht."
„Vor wem denn?" forschte Galen unbeeindruckt weiter.
„Den Geistern", murmelte Binter und sah ängstlich umher. „Sie kommen und fressen alles. Männer, Frauen, Tiere, Orks....Elben werden sie auch fressen, denk ich."
„Geister?" Elladan tippte sich bedeutungsvoll an die Stirn.
„Ich spinne nicht, Meister Elb", empörte sich Binter und richtete sich zu seiner nicht sehr beeindruckenden Größe auf. Elladan hatte schon Orks gesehen, die ein gefälligeres Äußeres hatten. Der Kerl konnte in den letzten zehn Jahren die Kleidung nicht gewechselt haben. So roch sie jedenfalls. „Sie kommen in der Dämmerung und in der Nacht, fallen die Gehöfte an und verschwinden dann wieder. Und sie nehmen nur Frischfleisch."
Erschöpft von dieser langen Rede wollte er zusammensacken, aber Galen hielt ihn unnachgiebig fest und zog ihn langsam um die Theke herum. „Du begleitest uns jetzt, Binter. Wenn du etwas geschlafen hast, wirst du uns vielleicht mehr erzählen können."
Elladan warf Galen einen entsetzten Blick zu, doch der Rhûna zuckte nur die Achseln. Womöglich hatte er sogar Recht. Sie konnten sich nicht aussuchen, wen sie befragten, dafür waren einfach zu wenige da. Eigentlich gab es nur einen einzigen, der Informationen hatte und der torkelte jetzt auf krummen Beinen und mit schlenkernden, Armen neben Galen aus der Apotheke heraus.
Auf der Straße fixierte Binter sofort das nächste Gasthaus und wollte darauf zuwanken, doch Galens Hand schloss sich um Binters dürren Oberarm und schob ihn voran.
„Sieh es dir gut an", raunte Elrohir Elladan zu. „Das kommt heraus, wenn man zuviel säuft."
Elladan beschränkte sich auf einen bösartigen Blick.
Sehr ernste Gesichter wandten sich ihnen zu, als sie wieder den Hafen erreichten.
„Ein Überlebender?" Hauptmann Caeril betrachtete den formlosen Haufen Mensch, den Binter darstellte, nachdem Galen ihn einfach losgelassen hatte. „Was ist mit ihm?"
„Nichts", erklärte Galen. „Binter ist eigentlich wie immer. Etwas betrunkener als sonst aber in eigentlich für ihn guter Verfassung. Er ist der Laufbursche ganz Ilegonds - wenn er nüchtern ist jedenfalls."
Elladan musterte Estel und Legolas. Die beiden zogen düstere Mienen, sie schienen Schlimmeres als Binter gefunden zu haben.
„Ein Friedhof", beantwortete Legolas die unausgesprochene Frage Elladans. „Viele Totenhügel, zu viele für eine Ansiedlung dieser Größe."
„Und alle frisch, noch keiner war bewachsen", ergänzte Estel düster.
Alle Augen richteten sich wieder auf Binter, der auf dem Boden hockte und die leere Medizinflasche mit wachsender Verzweiflung schüttelte, die Galen ihm schließlich zurückgegeben hatte. Schließlich fiel ihm auf, dass er im Mittelpunkt des Interesses stand. Ein fragendes Stirnrunzeln verknitterte seine dreckige Stirn.
„Die Totenhügel", half Galen ihm weiter. „Meine Freunde haben sie entdeckt."
„Ah ja." Binter warf enttäuscht die Flasche über seine Schulter. Zwei Waldelben wichen dem Geschoss hastig aus. „So viele Tote, Meister Galen, es hätte dir das Herz gebrochen. Die Karawanen fanden sie, oder die Karawanen fanden die Reste von anderen Karawanen oder wir fanden Karawanen...glaub ich. Manchmal brachten sie sie auch mit den Booten mit. Kein schöner Anblick, nee." Er rollte wieder mit den Augen. „Angenagt!"
Seine Zuhörer zuckten bei dem letzten Wort etwas zusammen. Das schien ihm zu gefallen.
„Überall angenagt, wir wussten manchmal gar nicht, was wir wo vergraben sollten. Einmal hätte es auch der Rest von einem Pferd sein können, ich habe es trotzdem in einen der Hügel gelegt." Er rülpste leicht. „Hätte es bestimmt verdient, das gute Tier."
„Angenagt?" wiederholte Legolas zweifelnd. „Von Orks?"
„Nee, die Orks waren auch angenagt. Haben wir einfach verbrannt."
„Ich habe noch nie von etwas gehört, das einfach alles verschlingt", meinte Elrohir langsam. „Vielleicht war es auch eine Erkrankung."
„Dann grabt sie doch aus", empörte sich Binter mit weit aufgerissenen Augen. Sie würden irgendwann rausfallen, Elladan war sich absolut sicher. Alle beide gleichzeitig und dann lag es natürlich an ihnen, sie wieder einzusammeln.
„Zumindest wären wir dann sicher", sagte Estel.
Elladan kannte den Blick, mit dem er sich gerade eben umsah. Estel stand kurz davor, diesen bizarren Vorschlag in die Tat umzusetzen. Er suchte nur noch eine Schüppe. „Estel!" fauchte er. „Denk gar nicht erst daran. Ich werde mit Sicherheit nicht die halbverrotteten Überreste dieser bedauernswerten Geschöpfe dem Frieden ihrer Gräber entreißen."
„Bringt Unglück", brabbelte Binter. „Kommen dann auch zurück und nagen euch allesamt an."
„Ruhe!" schnauzte Caeril ihn an. „Sonst nagen wir dich an."
Der Hauptmann zuckte die Achseln, als ihn daraufhin seine Begleiter höchst verwundert musterten.
„Vermeiden wir dieses Wort besser." Legolas betrachtete nochmals stirnrunzelnd den Waldelb und schüttelte dann irritiert den Kopf. „Ich schlage vor, wir ziehen weiter nach Rhûnar. Vielleicht weiß man dort mehr."
„Der beste Vorschlag seit langem", nickte Elrohir. „Wer schwimmt über den Celduin?"
Jetzt sahen ihn alle etwas verwirrt an.
Elronds Sohn deutete auf die Fähre. „Das Führungsseil wurde gekappt. Irgendjemand muss es wieder befestigen. Also, Freiwillige? Elladan, du bist ein fabelhafter Schwimmer."
Sein Bruder warf einen zweifelnden Blick auf den breiten und nicht sehr trägen Strom.
„Elrohir..." Galen hob die Hand.
„Gut, dann brauchen wir jetzt ein Seil." Elrohir rieb sich die Hände. „Die Stiefel würde ich nicht anlassen, Bruder und die Waffen legst du besser auch ab. Nicht dass sie rosten würden, aber nachher säufst du deswegen noch ab."
„Ich habe noch nicht ja gesagt."
„Elrohir…", machte sich Galen erneut bemerkbar, doch alle ignorierten ihn.
Fünf Minuten später stand Elladan nur in seinen Hosen am Rande des Anlegestegs, ein Seil um die Körpermitte gebunden.
„Keine Sorge", strahlte ihn sein eigener, verräterischer Bruder an. „Wir halten dich. Grüß die Fische, mein Großer."
***
Tbc
@feanen: Auf deine eigene Verantwortung. Ob sie im Garten ungefährlicher ist, würde ich nicht schwören. Thranduil hatte sie im Keller und das war auch nicht gerade seine beste Idee.
@CasaMaga: Jaja, wie gemein kann ein Thranduil wohl werden? Wir könnten Wetten abschließen, das wäre wohl so ganz in seinem Sinne.
@Little Lion: Ada hat den Song ja nicht gehört *gg*. Diese ‚Familienprobleme' werden unsere Reisenden auch bald haben.
@Auxia: Geht das so von der Geschwindigkeit? Sonst überhole ich mich, äh, ich meine, ich hole meinen eigenen Vorsprung ein…egal.
@Laurelin: *feste drück* ich mag ihn ja auch. Immer mehr. So gemein ist er gar nicht, nur etwas fies.
@Ithiliell: Aragorn ist irgendwie seltsam, hm, muss am Alter liegen. Die Orks wissen schon, warum sie türmen.
@seniwallenstein: Ich denke nicht, dass Varya sich so einfach zurücklassen lässt. Außerdem ist es vielleicht gar nicht so unübel, wenn sie mitkommt. Glorfindel mag ja noch Spaß haben, aber Elrond??? Galens Heilmethoden sind ja nun nicht gerade die sanftesten. Entweder wäre Aragorn die nächsten Jahre bis zum Aufbruch der Gefährten total bekifft oder Galen würde ihm einfach den Stab über den Schädel ziehen.
@Eowyn: Danke, so die Spannung wird gesteigert. Sag Bescheid, wenn es zuviel wird *fg*.
@Amélie: Ja, ist das nicht gruselig? Da setzt sich dann diese Ültje-Melodie fest und man wird sie nicht mehr los. Geht mir auch jedes Mal so. Sei nicht so hart zu ihm, er hat's doch nicht leicht. Gut, dann bleib neben Elrond stehen, ich wette, ihr zwei schlagt mit eurem Blick jeden Ork in die Flucht, sogar die gute Lissa *smile*. (Ginseng-Lychee-Mischung??)
@Airinaah: Zum Grand Prix? Och näh, Max ist doch ganz gut. Außerdem, wie viele Sicherheitsleute sollten die beiden hübschen Elben denn bewachen? Obwohl ja einer auch reichen könnte, Aragorn nach drei Wochen Ritt, ungewaschen, ungekämmt, unausgeschlafen. Elrond würde sich vor Peinlichkeit in Bruchtal einmauern *fg*. Aber die beiden großen Jungs waren ja auch nicht besser, armer Elrond. Und arme Varya, du hast recht. Sie muss ja Thranduil tyrannisieren, sonst buttert er sie unter.
@Shelley: Sie haben sie immerhin gefragt, warum sie es so eilig haben. Elben sind eben sehr höflich *hüstel*. Lady Lila ist wohl davon ausgegangen, dass sie bis dahin nicht länger verfärbt ist. Immerhin hat ihr Blindenhund ihr gesagt, es wären nur noch 1 oder zwei Tage und nach Esgaroth dürfte es etwas länger sein. Kommt auf die Reiseroute an *kicher*.
@Atropos: Heiraten? Darf er doch nicht mehr, ausgerechnet du willst das? *ziehAugenbrauehoch*. Außerdem bekommt jemand, der Eisdrachen verschenkt, die das Gemüsefach aus Langeweile verwüsten keine Belohnungen, jawoll. Esgaroth ist ein dankbares Pflaster, tschuldigung, Holzbohle, wenn die Blonden dort einfallen. Nur Spaß sollen sie aber auch nicht haben *fg*.
