Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben, hab ich schon in den Kapiteln vorher erwähnt.

*

Kapitel 4: Wasser hat Balken

Galen lehnte an einem der Pfosten des Anlegestegs und beobachtete eher kritisch, was da gerade in die Tat umgesetzt wurde.

Elladan wirkte immer noch nicht sehr begeistert, als ihm sein Bruder das dünne Seil um die Taille band. Gute hundert Meter musste er den Celduin durchschwimmen, dann das Seil heranziehen, an das sie die dicke Trosse festbinden würden, die die Fähre zog und das ganze am anderen Ufer vertäuen.

Er könnte es schaffen, schätzte Galen und betrachtete Elronds Sohn mit den Augen eines Heilers. Elladan war gesund, kräftig wie man es von einem Krieger erwarten konnte und wahrscheinlich unerschrocken genug für dieses Unternehmen. Andererseits kannte er sich wohl kaum sehr gut mit diesem nassen Element aus. Sicher nicht so gut wie Galen selbst, der genug Zeit im Meer von Rhûn und im Celduin verbracht hatte.

„Elrohir", sagte er langsam. „Vielleicht sollte besser ich..."

„Schon gut", winkte Elronds jüngster Sohn ab. „Dein Angebot ehrt dich, Galen, aber mein Bruder schafft das schon."

„Sicher", nickte auch Elladan. „Mach dir keine Gedanken. Ich gehe gerne schwimmen."

Schwimmen...so wie Herumplanschen in einem der netten, kleinen Seen in Bruchtal. Galen seufzte leise. Er mochte die beiden sehr, auch wenn sie ihn oft genug behandelten wie ein kleines, zerbrechliches Kind. Es lag viel an seinem Äußeren, so viel war ihm schon klar. Daran würde sich wohl nie etwas ändern. Ein erneuter Seufzer kam über seine Lippen. Elrond wäre nicht sehr begeistert, wenn einer seiner Söhne als Wasserleiche den Celduin hinuntertrieb. Unauffällig begann er, die Schlaufen seiner Kleidung zu lösen. Wenn es darauf ankam, wollte er nicht noch Zeit damit vertrödeln.

Der Ansatz war jedenfalls sehr vielversprechend. Elladan glitt mit einem eleganten Sprung in die Fluten des Celduin, tauchte dann wieder auf, winkte einmal kurz und schwamm los.

Zehn Meter, Galen betrachtete die leichte Verfärbung, die die Fluten aufwiesen. Zehn Meter vom Ufer entfernt begann nicht nur die Fahrrinne, sondern auch eine starke Strömung, die in der Mitte des Flusses ihren Höhepunkt erreichte, um dann zur anderen Seite hin wieder abzuflauen.

„Was meinst du?" Aragorn gesellte sich zu ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und mit kritischem Gesichtsausdruck. „Schafft er es?"

„Ich hoffe", antwortete Galen gedehnt. „Wenn nicht, hole ich ihn raus."

„Das dachte ich mir", nickte der Sterbliche. „Es ist gar nicht so leicht, wenn die großen Jungs um einen herumglucken."

Galen löste seine Aufmerksamkeit von Elladan und richtete sie auf den Mann neben ihm. „Eigene Erfahrung, mein Freund?"

Aragorns Lächeln war eine Mischung aus Verzweiflung und Belustigung. „Sieh sie dir doch an, alle drei. Sie sind alt, sie sind im Kampf erfahren und glauben unbeirrbar daran, dass wir beide ohne ihren Schutz nicht einmal Blumen pflücken können."

Galen unterdrückte ein Auflachen. Elladan hatte die Fahrrinne erreichte. Kaum schwamm er hinein, erfasst ihn die Strömung und trug ihn sofort einige Meter stromabwärts. Bei seinem überraschten Aufschrei brachen sogar Legolas und Caeril den Versuch ab, noch mehr Informationen aus Binter herauszubekommen und kamen auf den Anlegesteg.

„Alles in Ordnung!" ertönte Elladans etwas angestrengter Ruf und er wandte jetzt sichtbar mehr Kraft auf, den Fluss zu durchqueren.

„Hat Binter noch etwas gesagt?" erkundigte sich Aragorn bei Legolas.

„Nicht wirklich", sagte der Waldelbenprinz und schüttelte sich leicht. „Er brabbelt immer das gleiche und stinkt dabei wie eine Abfallgrube."

Auch das hätte ihm Galen vorher sagen können. Er kannte Binter lange genug. Binter musste jetzt erst seinen Rausch ausschlafen, bevor er überhaupt etwas Sinnvolles von sich gab. Die Geschichten, die er bislang zum Besten gegeben hatte, kratzten wahrscheinlich nicht einmal an der Oberfläche seines eigentlichen Wissens.

Elladan kratzte mittlerweile auch nicht mehr wirklich an der Oberfläche. Immer schwerer kämpfte er sich durch die Strömung, aber er hielt durch. Wenn er so weiter machte, kam er in wenigen Minuten wieder in ruhigere Wasser. Galen ließ seinen Blick prüfend den Celduin hinaufwandern. Es gab viel Treibgut, das manchmal sogar den Lastkähnen gefährlich werden konnte. Etwas davon näherte sich gerade, ein mannslanger Baumstamm, fast ganz im Wasser verborgen und nicht gerade langsam.

Vom Ufer aus war die Gefahr weitaus besser zu erkennen. Vielstimmig erklangen die Warnrufe zu Elladan, der fragend zu ihnen sah. Bis er endlich ihre Gesten und Rufe verstand, war es bereits zu spät. Er drehte den Kopf stromaufwärts, der Baumstamm erschien vor ihm und im nächsten Moment war Elladan verschwunden.

„Holt das Seil ein!" rief Elrohir entsetzt. „Wir müssen ihn rausziehen."

Sofort begannen Legolas und Caeril mit ihm an dem Seil zu ziehen, es gab ein Stück nach und straffte sich dann. Egal, wie fest sie daran zerrten, nicht einen Millimeter konnten sie es mehr zu sich heranziehen.

„Es hängt fest." Elrohir begann, an seiner Weste zu zerren. „Ich hole ihn raus."

„Das lass mal schön bleiben", befahl Galen, der schon den Großteil seiner Kleidung bei Aragorn abgeladen hatte. „Haltet es straff, damit ich erkennen kann, wo ich suchen muss."

„Galen..." Legolas trat einen Schritt vor. „Der Celduin ist gefährlich."

„Das weiß er", brabbelte Binter von hinten. „Die Silberhaare tauchen da drin immer nach Perlkrebsen."

Galen ignorierte die ungläubigen Blicke und sprang ins Wasser. Bis zur Fahrrinne schwamm er noch, dann tauchte er ab. Elladan hätte nur fragen brauchen und Galen hätte ihm erklärt, was es mit dieser Strömung auf sich hatte. Es war eigentlich ganz einfach, wenn man es wusste. Sie verlief dicht unter der Oberfläche, tauchte man unter sie, konnte man recht einfach die andere Uferseite erreichen. Vorausgesetzt man hatte genug Luft in den Lungen und konnte sich in der Dunkelheit des Flussgrundes orientieren.

Galen hatte mit keinem davon Schwierigkeiten. Wie Binter so treffend bemerkt hatte, die Ithildrim suchten auf dem sandigen Boden des Flusses bei jedem Besuch in Ilegond nach den kleinen, schimmernden Perlkrebsen, aus deren Panzer sich die interessantesten Heilmittel fabrizieren ließen. Auch jetzt sah er das vielfarbige Schimmern unter sich, ignorierte es aber, während er mit schnellen Bewegungen so weit schwamm, wie er Elladan vermutete. Es wurde etwas schwierig, dann aufzutauchen. Die Strömung zerrte an ihm und trieb ihn fast gegen einen Berg von Treibgut, der sich unter Wasser ineinander verkeilt hatte und an dem wohl das Seil festgehakt war.

Galen tauchte kurz auf, blickte sich um und entdeckte Elladan, der hilflos einige Meter vor ihm im Wasser trieb, an den Baumstamm geklammert, der ihn erst so in Schwierigkeiten gebracht hatte. Er war nur noch eine Armlänge von dem Zwilling entfernt, als diesen die Kraft verließ und er losließ. Sofort schoss der Baumstamm weiter und Elladan versank unter Wasser.

Galen holte tief Luft und tauchte nach ihm. Schemenhaft erkannte er den fast leblosen Körper des Elben vor sich im Halbdunkel, eine schimmernde Linie zog sich von ihm zu dem Unterwasserhindernis und hielt ihn unten. Das Seil, das ihn retten sollte, wurde gerade zu einer tödlichen Gefahr. Galen hielt sich mit einer Hand daran fest, und arbeitete sich zu Elladan vor. Er packte den Elb am Arm und drückte ihn nach oben an die Wasseroberfläche. Elladan holte keuchend Luft.

„Halt dich oben!" herrschte Galen ihn an. „Nur einen Moment. Ich muss das Seil frei bekommen."

„Seh ich aus wie ein Fisch!" beschwerte sich Elladan benommen. Blut floss aus einem breiten Riss mitten auf seiner Stirn. „Beeil dich wenigstens."

Solange er noch herummeckerte, konnte es nicht so schlimm sein. Galen tauchte wieder ab, fummelte eine Weile an den verkanteten Ästen und dem Seil herum und hielt sich daran fest, als es nach oben schoss.

„Wir ziehen euch zurück!" brüllte Elrohir vom anderen Ufer aus.

„Bist du verrückt?" schrie sein Bruder und ließ sich von Galen weiter Richtung Ostufer ziehen. „Wofür sterbe ich denn fast hier? Untersteh dich, Elrohir!"

Sie erreichten erst den ruhigeren Uferbereich und dann den Holzanleger der Fähre. Galen schob Elladan hinauf und zog sich dann selber hoch. Der Zwilling blieb einfach auf dem Rücken liegen, seine Beine baumelten noch ins Wasser und über seine Stirn strömte immer noch Blut. Galen untersuchte kurz den Riss auf Elladans Stirn. Es würde ihn nicht umbringen, noch etwas zu warten.

Der Rhûna löste das Seil von Elladans Taille und begann, es gleichmäßig einzuholen. Auch mit der schweren Trosse, die man eilig auf der anderen Seite daran befestigt hatte, durfte es nicht zu weit ins Wasser sinken. Galen hatte keine Lust auf einen neuen Tauchgang, weil es sich wieder verhakt hatte.

„Das war das letzte Mal, dass ich mich von Elrohir zu so einem Blödsinn überreden lasse", stöhnte Elladan vom Boden. „Ich fühle mich, als hätte man mir den Kopf gespalten."

„Es ist nur ein Riss", eröffnete ihm Galen, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. „Halt ihn mit den Fingern zusammen, bis ich meine Sachen hier habe, dann kümmere ich mich um dich."

„Etwas Mitleid wäre nett", brummte Elladan und gehorchte dann unter demonstrativen Schmerzenslauten. „Ich hoffe, du kannst gut nähen."

Galen antwortete nicht. Wer hatte denn gesagt, dass er die Wunde nähen würde? Nach seiner Meinung und Varya teilte sie völlig, hatten die Imladris-Heiler eine Art Handarbeitsfimmel. Dauernd fuchtelten sie mit Nadel und Faden an den Verletzten herum. Selbst Elrond, den Galen mit jeder Faser seiner Existenz als Heiler verehrte, der innere Verletzungen durch die ihm gegebenen Kräfte heilte, hatte an Forlos herumgestichelt. Es würde Monate dauern, bis diese exzentrischen Narben verschwanden.

Die zu einer Schlinge gebundene Trosse kam endlich bei ihnen an. Galen befestigte sie wieder an dem massiven Steinpfeiler, den man am Ufer in den Boden gerammt hatte kurz darauf setzte sich auf der anderen Seite die flache Fähre in Bewegung. Elrohir, Legolas und Estel waren zunächst nur darauf sowie ihre Pferde.

„Du solltest die Beine anziehen", riet Galen Elladan. „Wenn die Fähre anlegt, sind deine Knie sonst Brei und deine Unterschenkel fallen ins Wasser wie reife Äpfel. Das würde selbst ich nicht mehr hinkriegen."

„Etwas Hilfe wäre nett", knurrte Elladan und richtete sich unter Stöhnen auf.

„Wie ein Mädchen", murmelte Galen. Er fasste ihn unter den Armen und zog ihn auf die Füße.

„Ich habe einen Baumstamm gegen den Schädel bekommen", empörte sich der Zwilling und taumelte Richtung Uferböschung. „Was machst du eigentlich hier?"

„Dich retten." Galen ließ ihn in das weiche Gras fallen. „Nächstes Mal solltet ihr beide fragen, ob andere mehr Ahnung vom Schwimmen haben. Wir hätten auch einen Tagesritt flussabwärts übersetzen können. Der Celduin ist dort war sehr viel breiter aber auch flacher und langsamer."

„Das sagst du mir jetzt?" knurrte Elladan wütend. „Und komm mir nicht damit, wir haben ja nicht gefragt."

„Nein", grinste Galen. Genugtuung war irgendwie ein angenehmes Gefühl. Nicht sehr ehrenvoll, aber ausgesprochen herzerwärmend. „Ihr habt mich nicht einmal ausreden lassen."

*

***

*

Nein, sich bewegende Untergründe waren eindeutig nicht seine Sache. Ob es nun der Rücken einer dieser widerlichen Düsterwald-Spinnen war oder der Waldfluss, Glorfindel bevorzugte verlässlichen Boden unter seinen Füßen. Er hatte gedacht, sie reiten nach Esgaroth, was eigentlich überhaupt kein Problem war. Aber Thranduil hatte eine andere Vorstellung von einer Reise in die Stadt im See.

Über den Waldfluss ist es schneller und bequemer.

Thranduils Worte hatten ihm in den Ohren geklingelt, während er tief im Palast das große Boot betrachtet hatte, auf das gerade ihr Gepäck verladen wurde. Ein schönes Boot, aber dennoch ein Gefährt, das auf einer Wasseroberfläche unterwegs war.

Offenbar war er der einzige, der nun mit wachsender Erleichterung feststellte, dass ihr Reiseziel nicht mehr weit vor ihnen lag. Nur noch eine Flussbiegung und sie waren angekommen. Eru hatte endlich ein Einsehen.

Glorfindel war wohl auch der einzige, der die letzten drei Tage als äußerst unbehaglich empfunden hatte. Thranduil und Elrond genossen diese Fahrt regelrecht. Das Boot, das von einem Dutzend Waldelben gerudert wurde, von denen die meisten nachher auch die Leibwache des Königs bilden würden, war zugegeben recht komfortabel. Eigentlich amüsierten sich alle ganz großartig.

Glorfindels Blick fiel auf Varya, die im Bug auf der großen Gallionsfigur eines geflügelten Pferdes herumturnte. Er wurde wirklich alt. Je länger er sie beobachtete, desto älter fühlte er sich. Nicht mehr viel und er brauchte von Elrond einen Stärkungstrank. Wie konnte man nur so viel Spaß daran haben, auf dieser Nussschale hin und her zu springen, die Arme ins Wasser zu halten oder immer wieder vergeblich zu versuchen, die Ruderer aus dem Takt zu bringen?

„Gleich landet sie im Wasser", grollte er.

„Sie kann schwimmen", meinte Thranduil.

„Sicher?"

Der König stutzte einen Moment. „Varya, kannst du schwimmen?"

„Nein." Sie grinste und Thranduil erhob sich alarmiert. „Natürlich kann ich das. Setz dich wieder."

„Sie kann es wirklich", bestätigte Forlos mit einem gutmütigen Grinsen. „Aber ehrlich gesagt, seht Ihr nicht so aus, Lord Glorfindel."

„Ich bin durchaus dazu in der Lage. Nur erkenne ich selten die Notwendigkeit dafür."

Elrond hob spöttisch die Brauen, behielt seine Kommentare aber zum Glück für sich. Das Auftauchen Esgaroth verhinderte, dass das Thema weiter vertieft wurde. Glorfindel vergaß seine Abneigung gegen Bootsfahrten und erhob sich nun ebenfalls. Eine Stadt, errichtet auf einer Plattform mitten im See. Lange Hölzer waren in den Seegrund gerammt worden und trugen nun diese Last.

Hätten Elbenhände dieses Kunstwerk erschaffen, es wäre ein unwirklicher Anblick gewesen. Doch hier hatten Menschen gewirkt und so war daraus eine überraschend massive Konstruktion stabiler Holzhäuser geworden. Das ganze sprühte nur so von Leben. Stege führten auf die Seeufer zu, auf allen waren unzählige Gestalten unterwegs. Lasten wurden darauf transportiert, von Ochsen gezogen, denen es wohl nichts ausmachte, mitten auf dem Wasser zu leben. Thranduils Boot pflügte sich durch eine Unmenge schlichter Transportkähne. Alle machten bereitwillig Platz, als sich das dunkle, glänzende Schiff des Waldelbenkönigs langsam auf einen großen Anleger zuarbeitete, der von einem hohen Holzbogen gekrönt war.

Die Ankunft des Waldelbenkönigs war wohl auch für einen so regen Stadtstaat wie Esgaroth keine Selbstverständlichkeit, erkannte Glorfindel. Ergeben nahm er sein Schwert und legte es genau wie Elrond an. Es galt wieder, die Regeln eines Staatsbesuchs zu befolgen. Thranduil war natürlich in seinem Element. Seine Mithril-Krone hatte er zwar im Palast gelassen, aber nun schmückte wieder ein äußerst kunstvoller Stirnreif sein Haupt und ein kostbarer Samtumhang lag um seine Schultern.

Man erwartete sie mit nicht weniger Pracht. Unter dem Torbogen, von dem sie nur noch wenige Ruderschläge entfernt waren, stand ein unglaublich fetter Mann. Er war in prächtige bunte Kleidung gehüllt und eine schwere, breite Goldkette zog sich von einer Schulter zur anderen.

„Bürgermeister Ferlong", erklärte Thranduil leise. „Er ist die Seele des Handels hier. Der Mann hat einen unglaublichen Fresstrieb aber auch einen genialen Geschäftsinn."

Wegen letzterem genoss er wahrscheinlich große Sympathien bei Thranduil, überlegte Glorfindel. Thranduil besaß nämlich selbst genug davon. Die beiden verstanden sich mit Sicherheit prächtig.

Hinter Ferlong hatten sich kaum weniger herausgeputzte Männer aufgebaut. Die Honoratioren der Stadt, kein Zweifel. Einige Zwerge und andere Gestalten drängten sich noch weiter hinten, von grimmigen Wachen zurückgehalten. Das Schauspiel wollte sich wohl keiner entgehen lassen.

„König Thranduil!" Ferlong breitete die Arme aus und strahlte über das ganze runde Gesicht.

Glorfindel runzelte die Stirn. Er erwartete doch wohl nicht wirklich, dass Thranduil sich von ihm umarmen ließ? Wenn das geschah, würde Glorfindel sich augenblicklich vollaufen lassen. Thranduil in seiner ganzen überheblichen Würde in der Umarmung dieses massigen, recht kurzgewachsenen Mannes wäre zuviel des Guten. Pflege der Handelsbeziehungen schön und gut, aber selbst der Waldelb konnte nicht so weit dafür gehen, in diesen Fettmassen zu versinken. Elrond waren solche Opfertaten schon eher zuzutrauen, doch auch er wirkte jetzt leicht beunruhigt.

„Er wird doch nicht…" Varyas Hand krallte sich in Glorfindels Ärmel. „Rettet ihn, Glorfindel. Er würde ersticken."

Ihre Sorge war unbegründet. Ferlong traute sich gerade bis auf zwei Schritte an die würdevolle Erscheinung des Königs heran, dann stoppte er. Seine Arme wedelte überschwänglich hoch und runter, als wollte er abheben. „Eine seltene Ehre, König Thranduil, aber eine sehr willkommene. Ich freue mich, Euch wieder hier begrüßen zu dürfen."

„Ich freue mich, hier zu sein", erklärte der Waldelb mit einem Neigen des Kopfes. Die Edelsteine auf seinem Stirnreif glitzerten auf und Ferlong seufzte hingerissen. „Lasst mich Euch meine Begleiter vorstellen. Ihr habt sicher schon von ihnen gehört."

Der Tag, an dem alle hohen Feste der Menschen gleichzeitig gefeiert wurden und es Goldstücke vom Himmel regnete…diesen Eindruck machte Ferlong, während er vor Lord Elrond und Glorfindel begeistert herumwedelte.

„Varya Ithilfin, Heilerin der Rhûna", stellte Thranduil den letzten seiner Begleiter vor und schob dabei die Rhûna, die sich halb hinter ihm verschanzt hatte, unnachgiebig nach vorn.

Ferlongs Wedeln wurde noch ein bisschen hektischer. Die Rhûna lief wirklich in Gefahr, in einer Umarmung zu enden. „Rhûnar und Ihr seid eine Ithildrim!"

„Bin ich", quietschte sie und wich gegen Thranduil zurück.

„Wir haben schon so lange Handelsbeziehungen zu Eurem Volk und nie kam es zu einem Besuch der Euren", freute sich der Bürgermeister und trat noch einen Schritt näher. Dann fiel sein Blick auf Thranduils Gesicht und die Hand, die der Elbenkönig auf die Schulter der Ithildrim gelegt hatte. Ferlong verwandelte seine Bewegung in eine Art halbe Drehung, sah dabei aus wie ein tanzender Oliphant und deutete hinter sich. „Lasst mich Euch alle meinem Handelsrat vorstellen. Hauptmann Forlos will sicherlich auch mit dem Kommandanten der Stadtwache sprechen."

Glück gehabt, schmunzelte Glorfindel im Stillen. Nach Thranduils Gesichtsausdruck hätten die Handelsbeziehungen einen ernstlichen Knick erhalten, wäre Ferlong Varya wirklich zu nahe gekommen. Esgaroth hätte wohl einen neuen Bürgermeister wählen dürfen, der darüber nachzudenken hatte, wie herzlich man Elben wohl begrüßen konnte, ohne mit einem Genickbruch zu enden. Thranduil konnte recht ungehalten werden, wenn man sich an seinen Schätzen vergriff und dazu zählte Glorfindel Varya einfach mal. Allerdings stellte sich noch die Frage, ob selbst Thranduil kriegserfahren genug war, um in den zahllosen Fleischfalten Ferlongs überhaupt die Wirbelsäule aufzuspüren.

Glorfindel beschäftigte sich eingehend mit diesem Problem, während er die Begrüßung durch die Mitglieder des Handelsrates über sich ergehen ließ. Hier lag die eigentliche Macht der Stadt, der Reichtum Esgaroths wurde von diesen unterschiedlichen Männern entschieden, deren Namen sich Glorfindel ohnehin nicht merken konnte. Bei seinem nächsten Besuch, wenn es einen in ferner Zukunft geben sollte, würde ohnehin keiner mehr von ihnen leben.

Diese Händler wählten den Bürgermeister und entschieden, welche Waren wohin gingen. Elrond würde natürlich jeden einzelnen Namen behalten und sich im Laufe der nächsten Tage auch mit dem ihm eigenen Geschick in freundliche und zumeist erfolgreiche Verhandlungen vertiefen, an deren Ende der gute Erestor in den nächsten Monaten höchst überraschende Warenlieferungen in Bruchtal erhalten würde.

Glorfindel setzte eine würdevolle Miene auf und folgte Ferlong und den anderen zur Großen Halle, in der der Bürgermeister residierte und wo sie auch als Gäste untergebracht waren. Er würde ein Auge darauf haben, was Elrond an Warenlieferungen in die Wege leitete. So wie er seinen alten Freund kannte, würde das meiste davon ganz und gar nicht nach Glorfindels Geschmack sein. Vor seinen Augen tauchte Erestors spöttisches Gesicht auf, mit dem er die Wagenladungen von Tee, Kräutern und sonstigem sinnvollem Zeug entgegennahm.

Erestors kohlschwarze Augen würden sich anklagend auf ihn, Glorfindel, richten, weil er nicht für eine etwas handfestere Mischung der Einkäufe gesorgt hatte. ‚Und dafür reist ihr extra nach Esgaroth?' Er konnte Erestors Stimme schon hören. ‚Gibt es dort keinen Wein aus Dorwinion, und was ist mit den Stoffen aus den Webereien von Thal? Sollen wir uns bei den nächsten Festen Teesäcke umhängen? Du bist ein Versager!'

Glorfindel seufzte und betrachtete die überraschend breiten und vor allen Dingen festen Wege, die durch die gesamte Stadt führten. Alles befand sich gut eine Mannslänge über der Wasseroberfläche, die an manchen Stellen als schmale Kanäle sichtbar war oder unter Abwassergittern gluckerte, von denen ein recht unangenehmer Geruch aufstieg. Zumindest für Elben war es so, die vielen Menschen und Zwerge, die sich in Esgaroth aufhielten, schien dies nicht sonderlich zu stören.

*

***

*

Die Schönheit der Erstgeborenen…

Aragorn war so daran gewöhnt, von ihnen umgeben zu sein, dass ihn der Anblick auf einmal seltsam berührte. Das warme Licht der Nachmittagssonne übergoss dieses beinahe unwirkliche Geschöpf und fing sich in den langen silbernen Haaren, die über die schmalen Schultern gefallen waren. Das zarte, ätherische Gesicht des Elben zeigte einen beinahe entrückten Ausdruck, als er sich neben der dunkleren Erscheinung des anderen auf ein Knie niederließ. Langsam und gleichmäßig senkten sich die Lider mit den langen, dichten Wimpern über die so intensiv grünen Augen.

Aragorn schluckte. Unergründliches spiegelte sich in diesen Seen von Wissen und Erfahrung. Ein Lächeln bewegte Galens Lippen. Das Unergründliche verschwand und machte Platz für…Schmerz.

Elladan schrie wie am Spieß, als Galen in einer schnellen Bewegung seine Fingerspitzen auf den Riss in seiner Stirn legte und die gelbliche Paste verschmierte, die er zuvor aus einem kleinen Tongefäß entnommen hatte.

„Du bist unmöglich!" erklärte der Rhûna, während er mit der anderen Hand Elladan unnachgiebig an der Schulter festhielt. Es steckte mehr Kraft in diesem zierlichen Elb, als es immer den Anschein hatte. Vielleicht konnte Elladan auch seinen Gegner nicht gut genug erkennen bei den zahllosen Tränen, die ihm in die Augen geschossen waren.

Aragorn fing einen nervösen Blick von Legolas auf. Sie waren sich beide einig. Wenn es sich nur irgendwie vermeiden ließ, würden sie sich niemals, wirklich niemals verletzen, solange ein Rhûna-Heiler in der Nähe war.

„Estel." Elrohir neigte sich ihm zu, einen verschwörerischen Ausdruck im Gesicht und die Stimme gesenkt. Nötig wäre das nicht gewesen, denn Elladans schmerzerfüllte Flüche überdeckten jedes normale Gespräch. „Versprich mir etwas."

Aragorn konnte sich schon denken, was, nickte aber nur.

„Sollte nicht wirklich mein Leben davon abhängen, lass ihn bloß nicht in meine Nähe." Der Zwilling deutete mit einer Kopfbewegung auf Galen. „Ich meine es ernst, Bruder. Wenn es halbwegs ungefährlich ist, bring mich zu Elrond. Lieber höre ich mir seine Predigten an, als dass ich in einem Meer aus Schmerz ertrinke."

„Willst du mein Gehirn ausbrennen?" brüllte Elladan gerade mit hochrotem Kopf.

„Sei still! So viel kann bei dir sowieso nicht brennen!" befahl Galen. Er legte die flache Hand auf Elladans Stirn und konzentrierte sich einen Moment. Dann stand er auf. „Das war's schon. Du kannst dich wirklich anstellen, Elladan. Jetzt siehst du wenigstens nicht aus wie ein Stickbild."

Etwas verwundert griff der Zwilling an seine Stirn. Bis auf die Überreste dieser Mordor-Paste, die wahrscheinlich einen Ork in die Knie gezwungen hätten, war nur noch ein dünner roter Strich an der Stelle zu erkennen, an der zuvor die tiefe Risswunde gewesen war. „Wie hast du das gemacht?"

„Du hast so laut gebrüllt, dass der Riss geflüchtet ist", lächelte der Rhûna, nicht bereit, seine Geheimnisse mit anderen zu teilen. „Können wir jetzt endlich weiter, nachdem unser Schwerverletzter wundersam genesen ist?"

Sie konnten. Alle saßen auf und verließen diesen menschenleeren Platz, der ihnen genauso wenig seine Geheimnisse hatte verraten wollen wie Galen. Nach Galens Mitteilung, dass es flussabwärts so etwas wie eine Furt gab, war die Zerstörung der Fährverbindung noch unverständlicher. Aragorn rätselte ohnehin, ob dieser Akt ein Übergreifen dieser Geister auf Rhûnar oder eher umgekehrt hatte verhindern sollen. Wenn es wirklich Geister waren, störte sie ein Fluss ohnehin nicht. Und wenn es keine Geister waren, dann würden sie die Furt finden. Er schüttelte leicht den Kopf und fing einen wissenden Blick von Legolas auf.

„Wenn Panik ausbricht, sind die Handlungen nicht immer von Logik getrieben", sagte der Waldelb leise. „Ein unsichtbarer Feind ist das schlimmste von allem."

„Warum haben sie nicht versucht, seine Natur herauszufinden?"

„Wer sagt dir, dass sie das nicht getan haben?"

„Und sind gescheitert?"

Legolas hob ratlos die Schultern.

„Die Ilegonder sind Händler", ließ sich Galen vernehmen. „Sie haben zwar immer einige Söldner da, die sich um die Orks und Ostlinge kümmern, aber das gehört hier sowieso zum Alltag. Wenn sie die Stadt aufgegeben haben, muss es ein andere Bedrohung sein."

„Geister, Meister Galen. Die Söldner sind als erstes abgehauen."

Binter hing wie ein nasser Sack hinter einem der Waldelben, der ein Gesicht machte, als müsste er Saurons Auge transportieren. Freiwillig hatte er sich nicht gemeldet und es war Hauptmann Caerils ganze Autorität erforderlich gewesen, überhaupt eine Mitreitgelegenheit für den Menschen zu organisieren. Eigentlich hatte erst Legolas Versprechen den Ausschlag gegeben, dass die Reiter alle sechs Stunden abgelöst würden.

Hier auf dieser Seite des Celduin beherrschte eine hügelige Graslandschaft das Bild. Sattgrün zog sich das kniehohe Gras so weit das Auge blicken konnte. Es war schöner, als Aragorn erwartet hatte.

„So bleibt es", erklärte Galen. Man merkte ihm jetzt langsam an, wie sehr er sich auf die Rückkehr zu seinem Volk freute. Seine übliche Gelassenheit war von einer fast spürbaren Freude durchdrungen. Selbst die finsteren Blicke, mit denen ihn Elladan immer wieder durchbohrte, schienen ihn nicht zu stören.

„Du weißt doch, dass Elladan nachtragend ist?" erkundigte sich Aragorn leise.

„Wofür? Ich habe schließlich seine Wunde geheilt."

Aragorn seufzte leise. „Deine Heilmethoden sind ein bisschen, hm, rustikal, Galen."

„Manchmal jedenfalls", meinte der Rhûna mit einem kaum erkennbaren Lächeln. „Ich habe mich wohl in der Reihenfolge vertan. Wenn ich erst die Hand aufgelegt hätte…"

„Das ist nicht dein Ernst."

„Irrtum ist das Privileg der Jugend."

„Das habe ich gehört!" zischte Elladan hinter ihnen. „Denk nicht, du kommst so einfach damit davon."

„Du kannst es zumindest versuchen", grinste Galen nicht sehr beeindruckt. „Ich habe dich einmal mit dem Stab vermöbelt, ich werde es auch wieder schaffen."

„Ich setze auf den Großen", lallte Binter fröhlich.

„Zumindest einer glaubt an mich", murmelte Elladan.

„Vater wäre stolz auf dich", sagte Elrohir. „Deine Anhänger sind betrunkene Schmutzfinken, großer Krieger. Warum nimmst du ihn nicht gleich mit nach Imladris?"

Aragorn versuchte, sich Elronds Gesicht vorzustellen, wenn Binter in die Kaminhalle torkelte. Er schluckte. Elrond konnte manchmal sehr wütend werden.

„Gibt's da Wein?" wollte Binter wissen.

Elladan lächelte boshaft. „Nicht so viel wie in Düsterwald."

„Dann will ich lieber da hin."

Alle Waldelben starrten Elronds Sohn wütend an. Nur Legolas hatte sich nicht an der Unterhaltung beteiligt. Angestrengt sah er nach vorn.

„Wir bekommen Besuch", meinte er langsam. „Zwei Wanderer, da auf dem Hügel."

Aragorn verfluchte seine menschliche Abstammung. Während alle anderen bereits die Neuankömmlinge zu erkennen schienen, blieb ihm nicht mehr, als noch eine Weile abzuwarten. Schließlich sah auch er die beiden Gestalten, die eilig den Hügel hinunterliefen und dann über die grasbewachsene Ebene davor rannten.

„Rhûna!" rief Galen und bewegte sich unruhig auf dem Pferd. „Sie flüchten."

„Es fragte sich nur, wovor", sagte Caeril und gab seinen Kriegern ein Zeichen. Sie machten sich sofort kampfbereit.

Legolas war von seinem Pferd geglitten und legte eine Hand flach auf den Boden. „Was es ist, kann ich nicht sagen, aber es kommt schnell näher und es bringt die Erde zum Vibrieren."

„Wildrinder", murmelte Aragorn heiser.

„Woher willst du das wissen?" fragte Legolas und sah zu ihm auf.

Aragorn deutete nach vorne. Eine dunkle Masse großer Rinder kam wie eine Flutwelle über den Hügelkamm geschwappt. Eine ganze Herde und sie war eindeutig in Panik. Noch eindeutiger war, dass ihnen die beiden Rhûna völlig egal waren, die genau in ihrer Fluchtlinie rannten.

*

***

*

tbc

@feanen: Man sollte meinen, du kannst deinen Nachbarn nicht leiden *g*. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um IHN zu kriegen.

@Airihnaa: Wir machen die Kasse schon voll. Am Ende gibt es eine riesen Feier. Sennesblätter??? Mehr wissen will. Ihr scheint wirklich Seelenschwestern zu sein. Mordor-Paste wäre bestimmt auch nach deinem Geschmack. Der Rhunar-Elbenkleber, Alleinvertrieb by Airihnaa. Wir werden reich, ja!  Schön, dass der Klausurstress vorbei ist *reichmalebenKeksrüber*. Entspann dich und dichte weiter.

@Little Lion: Ja, Glorfindel ist für jede Hinterlist zu haben. Und die Geister? Wird noch eine Weile dauern, bis die Gestalt annehmen *fg*. Binters Alkoholpegel hat wirklich eine besondere Wirkung, aber eine ganz besondere. Sie sind aber nicht alle tot, ein Teil ist kurzerhand abgehauen. Würde ich auch machen an deren Stelle.

@Ithiliell: Varya ist gar net schlecht, gelle? Zusammen mit Glorfindel ist sie für jeden Mist zu haben. Und Estel ist eben noch sehr jung *seufz*.

@Auxia: Jaja, ich weiß. *schickElbalsZeitvertreibvorbei*

@Dani G: Keiner hört auf Galen, besonders nicht die Glorreichen Zwei. Das haben sie jetzt davon, und alles nur weil sie älter und größer sind. Aber jedenfalls nicht intelligenter, bätsch.

@Michiru-Chan: *so, nehme dir mal eben den Sargdeckel ab, klopf Knochenreste von der Schulter*. Willkommen zurück und danke für die Bemerkung über den Schreibstil *seh gar keine Schleimspur*. Thranduil ist ein großer Elb *g*, der reicht auch für mehr als eine. Und Elrond wird noch mehr Sorgen bekommen, hab doch ein bisschen Mitleid. Hm, die Trilogie kenne ich zwar nicht, aber ff. hat sie glaube ich in der Liste. Hoffe, ich kupfer nicht unbewusst ab.

@Amélie: Noch jemand? Mal überlegen, gab es da nicht noch den Großcousin mütterlicherseits, der dem König seinen Lieblingswein geklaut hat? Genau die richtigen Fragen gestellt. Hungrige Nager und ignorierte Elbenjungs, das kann nicht gut gehen. Fehlen nur noch Elladans Pläne *gg*

@Shelley: Und das von dir *verbeug sich elbenmäßig und torkel unelegant zur Seite weg*. Schlammcatchen wäre auch noch was. Mal sehen...

@Atropos: Dann bin ich ja beruhigt *seufz*. Celebrian ist nur wahrlich ein anderes Kaliber. Immerhin wurde sie von Tolkien erwähnt *g*. Wie hat Galen überlebt? Glück, Aufpasser und so abgehoben ist er ja nicht immer *fg*. Bei Binter schwebte mir ein bisschen Marty Feldman vor *achselzuck*. Lass dich nicht von der Arbeit fertig machen.