Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben oder ist von Tolkiens Phantasie abgeleitet, weshalb ich auch kein Geld damit verdiene. Wie deprimierend...

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Kapitel 11: Spuren

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Sie lebte und das war das einzig Positive, das Varya einige Minuten nach dem Auftauchen aus der Schwärze der Bewusstlosigkeit feststellen konnte.

Sie lebte, sie atmete und in ihrem Kopf bearbeitete ein äußerst eifriger Zwerg den Bereich in ihrem Hinterkopf mit einer winzigen Spitzhacke. Im Übrigen herrschte um sie herum Schwärze. Nicht, dass sich die Welt verdunkelt hätte, es lag eher an dem stinkenden Stoffsack, der ihr über den Kopf gezogen war und überhaupt kein Licht durchließ. Die Luft, die derart gefiltert ihre Lungen erreichte, roch widerlich. Sie versuchte sich gar nicht erst vorzustellen, wo dieser Sack zeitweise gelagert worden war.

Varya beschäftigte sich intensiv mit diesen Kleinigkeiten, denn wenn sie näher über ihre eigentliche Situation nachdachte, steigerte sich ihre Angst. Man hatte sie entführt, Zweifel daran gab es nicht. Man konnte auch schlecht daran etwas deuteln, wenn man die Handgelenke auf dem Rücken gefesselt hatte.

„Ist sie wach?"

Westron, der Sprecher benutzte die Sprache der Menschen. Auch das wunderte sie nicht.

„Ich glaube nicht."

Varya gratulierte sich im Stillen, dass sie beim Aufwachen nicht mit wildem Gezappel und Gezeter reagiert hatte. So hatte sie es gelernt, Forlos hatte sich über die Jahrhunderte sehr viel Mühe gegeben, ihr wenigstens etwas beizubringen, wenn sie schon eine lausige Kriegerin war. Sie ließ immer zuerst ihre Sinne wandern, bevor sie ihren Körper reagieren ließ.

„Lebt sie überhaupt noch?"

„Zumindest fühlt sie sich so an."

Die Worte waren von dreckigem Gelächter begleitet und das hatte seinen Grund. Varya saß auf einem Pferd, nicht alleine, sondern vor dem Mann, der sich nun so amüsierte. Er hielt sie fest, sehr fest und drückte sie mit ihren Händen auf dem Rücken an seinen stinkenden Körper. Sie spürte Teile seiner Anatomie, die sie am liebsten mit einem stumpfen, rostigen Messer ohne jede Betäubung für immer von ihm getrennt hätte.

Eine Weile hielt Varya die Vorstellung aufrecht, was Thranduil mit jedem einzelnen dieser Ratten anstellen würde, wenn er sie in die Finger bekäme. Es hatte etwas Tröstliches, in Seen von Blut und abgetrennten Gliedern zu schwelgen. Zumindest lenkte es von ihrer Übelkeit ab, die ursprünglich von einer Gehirnerschütterung kommen musste und jetzt eher durch die Gegenwart dieser verkommenen Sterblichen ausgelöst wurde.

Lange hielt es jedoch nicht, denn um diese Schweine umzubringen, musste Thranduil sie erstmal finden und das dürfte so leicht nicht werden. Sie hatte selber keine Ahnung, wo sie sich gerade befand. Immerhin ritten sie und ihr fehlte ein Teil, genauer gesagt der zwischen dem Eintritt bei Heppelman und dem Erwachen gerade eben. Sie wusste nicht einmal, wie lange sie bewusstlos gewesen war.

Der Zwerg in ihrem Schädel hatte seine Schürfarbeiten im Hinterkopf beendet und war nun zu ihrer linken Schläfe gewechselt. Verbissen hackte er von innen gegen ihren Schädelknochen. Irgendwann wurde es so schmerzhaft, dass sie einfach wegdämmerte. Ein Teil ihres Verstandes musste dennoch wachsam geblieben sein, denn ihre Aufmerksamkeit war wieder da, als der Ritt stoppte und sie vom Pferd gezogen wurde.

Es war zu abstoßend, dass diese Hände sie betatschten und es wurde zusehends schwieriger, sich nichts anmerken zu lassen.

„Dieser hübsche Vogel kann bestimmt auch singen, wenn man ihn richtig rannimmt."

„Lass die Finger von ihr!" kam ein scharfer Befehl. „Er will sie unversehrt haben. Außerdem weiß man nie, was man sich holt, wenn man diesem Zaubervolk zu nahe kommt."

Varya landete unsanft auf dem Boden und konnte ein leises Aufstöhnen nicht unterdrücken.

„Aufgewacht?" Das war der, vor dem sie hatte reiten müssen. „Wir dachten schon, du verreckst von dem kleinen Schlag. Dabei sollt ihr doch alle so widerstandsfähig sein."

Wie zur Prüfung seiner Theorie bekam Varya einen heftigen Tritt in die Seite, unter dem sie sich zusammenkrümmte.

„Ich dachte, sie soll unversehrt sein?" meldete sich nun eine dritte Stimme, etwas ruhiger und jünger als die der anderen.

„Hinner, du Schwachkopf. Ein bisschen mit ihr spielen ist erlaubt. Dann hat sie sich eben gewehrt."

Erus Licht, macht meine Handfesseln ab und ihr werdet feststellen, wie das ist, wenn sich ein Elb ein bisschen wehrt', fluchte Varya im Stillen. ‚Für euch drei reicht sogar meine Kampferfahrung noch aus.'

Wenigstens hatte er ihr nicht sofort die Rippen gebrochen und dem Zwerg in ihrem Schädel musste es die winzige Spitzhacke aus den Händen gerissen haben, denn die Kopfschmerzen waren verschwunden. Vielleicht hatte er sich auch nur auf den Weg gemacht, nun zwischen ihren Rippen nach Mithril zu schürfen. Es fühlte sich jedenfalls gleich darauf so an.

„Sie werden sie bestimmt suchen, Derk." Hinner war eindeutig kein Held.

„Morgen liefern wir sie ab, dann haben wir nichts mehr damit zu tun." Und Derk war ein verdammter Dummkopf. Das war mit Sicherheit kein Argument, das Thranduil irgendwie von ihnen abbringen würde, Forlos genauso wenig.

„Wofür will er sie eigentlich?" Und Nummer drei meldete sich jetzt auch noch. Drei Entführer, einer dümmer und brutaler als der andere. Sie war ein Glückspilz.

„Keine Ahnung, Onmar", lachte Derk. „Aber ich wüsste schon, was ich mit ihr anstelle."

Angestrengt schob sie die Vorstellung beiseite. Bis morgen müsste sie diese Idioten noch ertragen, dann würde sie den kennen lernen, der sie angeheuert hatte.

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Das Tuch mit der angewärmten Kräuterpaste verschwamm vor seinen Augen. Er blinzelte angestrengt, um sich wieder zu konzentrieren. Jetzt wurde seine Wahrnehmung zwar wieder besser, dafür bemerkte er jedoch auch das Zittern seiner eigenen Hände.

„Ich mach das." Estels sanfte, aber entschlossene Stimme drang zu ihm vor. „Ruh dich aus, Galen. Ich kann den Verband wechseln. Keine Sorge."

Ohne seine Antwort abzuwarten, nahm der Sterbliche ihm das Tuch aus der Hand und ging zurück zu der Liege, unter der Eldarions zerfetzter Körper kaum unter der Decke sichtbar war. Der Junge, ohnehin schon zierlich, schien in den letzten Stunden dahingeschwunden zu sein.

Galen blieb noch einen Moment im Durchgang stehen und beobachtete, wie Estel mit großer Vorsicht den Verband an Eldarions rechtem Arm wechselte, der bereits wieder die Farbe des unheilvollen rötlichgelben Wundsekretes zeigte.

Galen unterdrückte einen Seufzer. Estel hatte von ihnen allen noch die stärkste Hoffnung. Sein Name traf den Kern seines Wesens, Elrond hatte gut gewählt. Es schien in seiner Natur zu liegen, nicht aufzugeben, selbst wenn nichts mehr half.

Und so war es hier.

Eldarion war verloren.

Das wusste er schon, seit er den Jungen in der vergangenen Nacht das erste Mal berührt hatte.

Mit einem Seufzer verließ Galen den Raum. Er hätte es vorgezogen, jetzt alleine zu sein, doch auch Elladan und Elrohir waren nicht bereit, sich weiter von der Kammer zu entfernen, in der Eldarion in jetzt tiefer und schmerzfreier Bewusstlosigkeit seinem Tod entgegendämmerte.

„Wird diese Paste helfen?" erkundigte sich Elladan gedämpft.

Galen war sich nicht sicher, ob die beiden sich nicht vielmehr Sorgen um ihren menschlichen Bruder machten, der nicht bereit war, das Ende des Ithildrim-Kindes zu erkennen. „Sie dämmt die Infektionen, bis zu einem gewissen Punkt."

„Aber sie kann ihn nicht heilen", ergänzte Elrohir sehr ruhig.

„Nichts kann ihn mehr heilen", erwiderte Galen bitter. „Es gibt kaum eine Stelle seines Körpers, an der diese Bestien nicht ihre Zähne in sein Fleisch geschlagen und ganze Stücke herausgerissen haben. Ich habe versucht, seine Lebenslinien wieder miteinander zu verbinden, sie zu stärken, aber da ist soviel Zerstörung. Vielleicht, wenn wir ihn eher gefunden hätten…"

Galen sank in den Stuhl hinter seinen Arbeitstisch und nahm dankbar den Becher mit heißem Gewürzwein, den Elladan ihm reichte. „Wo ist eigentlich Legolas?"

„Caeril kam eben her und wollte ihn sprechen", sagte der Zwilling. „Ich nehme an, er hat versucht, etwas mehr über den Überfall zu erfahren."

„Der einzige, der darüber etwas weiß, liegt dort nebenan und stirbt langsam." Galen kämpfte um die Festigkeit seiner Stimme. „Eldarion ist der letzte seiner Familie. Es gibt niemanden, der die Erinnerung an ihn weitergeben wird."

„Er wird nicht lange in Mandos' Hallen verweilen", sagte Elrohir tröstend. „Es gibt keine Schuld, von der er reingewaschen werden müsste. Mandos wird ihn sanft empfangen, mein Freund, und ihn recht bald in die Schönheit Valinors entlassen."

Galen wollte etwas sagen, doch die Ankunft von Faronar und Gilnín verhinderte es. Etwas steifbeinig erhob sich der Rhûna, um den Elb zu begrüßen, der die Geschicke der Quellstadt lenkte.

„Wie geht es ihm?" erkundigte sich Faronar, nachdem er Elronds Söhne mit einem kurzen Nicken begrüßt hatte.

Galen ersparte sich eine Antwort.

„Hat er schon sagen können, wer ihn und seinen Vater angriff?"

„Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Eldarion wird diesen Dämmer nicht wieder verlassen, nicht in dieser Welt."

Faronar sah Galen so eindringlich an, dass der Heiler endlich aus seiner Erschöpfung wieder auftauchte und misstrauisch die Stirn runzelte. „Es wäre besser, wir könnten noch etwas von ihm erfahren."

Mehr sagte Faronar nicht, sondern drehte sich wieder um und ging. Gilnín blieb zurück. Mit einem sehr unglücklichen Gesichtsausdruck setzte er sich auf die andere Seite des Arbeitstisches und versank in irgendwie nervöses Schweigen.

„Ihr habt diese Kräuterpaste zubereitet."

Bei Elladans Worten zuckte der dunkelhaarige Rhûna zusammen. „Stimmt etwas damit nicht, Lord Elladan?"

„Nein, so war das nicht gemeint." Elladan seufzte. „Ich wollte mich entschuldigen. Galen hatte Recht. Eure Stärken liegen eben auf anderem Gebiet."

„Ja, das tun sie wohl", murmelte Gilnín noch unglücklicher.

Elrohir sah von ihm zu Galen und dann zu seinem Bruder. „Vielleicht sollten wir Estel Gesellschaft leisten."

Kaum waren die beiden in der Kammer verschwunden, griff Gilnín in eine Tasche seiner Robe und holte eine Glasphiole hervor. „Faronar hieß mich, dies herzustellen."

Er stellte die viereckige Glasflasche, die nur so hoch und schmal wie Galens Daumen war, in die Mitte des Arbeitstisches. Das Glas war so dunkellila gefärbt, dass es fast schwarz wirkte. Es gab keinerlei Beschriftungen, die auf den Inhalt hinwiesen. Die brauchte Galen auch nicht. Dieser Trank war ihm vertraut, eine Kostbarkeit und sehr schwierig herzustellen. Kein anderer wurde in Phiolen wie diese gefüllt.

Gilnín musste unmittelbar nach Eldarions Eintreffen mit der Zubereitung angefangen haben. Er war von allen Heilern der einzige, der ihn mit zuverlässiger Sicherheit herstellen konnte. Selbst Varya, die ansonsten vor keinem Heiltrank zurückschreckte, hatte sich noch nicht daran versucht. Und Enach, die die fähigste von ihnen gewesen war, hatte sich regelrecht davor gefürchtet. Heute wusste er auch warum. Die Kraft darin hätte sie umgebracht, das wachsende Dunkel in ihrer Seele zerschlagen und nichts wäre mehr geblieben.

„Faronar hieß Euch…" Galen schüttelte leicht den Kopf. „Er kennt die Wirkung."

„Und er überlässt die Entscheidung uns", sagte Gilnín hilflos. „Euch. Bittet mich nicht, mich daran zu beteiligen, Meister Galen."

Galen schob die Phiole ein Stück von sich weg. „Das kann ich nicht. Eldarion hat nur noch wenige Stunden, aber die gehören ihm allein. Wenn ich ihm das gebe…"

„Was ist dann?" erklang Estels Stimme vom Durchgang. Langsam kam er näher und betrachtete die Phiole. „Ist das ein Gift? Willst du ihn etwa von seinen Qualen erlösen?"

„Hältst du so wenig von mir?" Galen war wütend aufgesprungen. Es verletzte ihn, was da unterstellt wurde. Ausgerechnet ihm, einem Heiler und ausgerechnet von Estel, den er für seinen Freund gehalten hatte. „Du änderst schnell deine Meinung."

„Und was soll das dann sein?" beharrte Estel störrisch. „Ihr beide starrt es an wie den Dolch eines Meuchelmörders. Ich weiß, wie hart du sein kannst, Galen, alle Rhûna können es. Vielleicht denkst du nun, es ist eine Gnade für dieses Kind. Du hast ihn aufgegeben."

„Man kann nicht mehr aufgeben, was längst verloren ist", schrie Galen unbeherrscht. „Willst du es nicht sehen? Es gibt für ihn keine Rettung mehr."

„Und was war mit Forlos? Er war schon viel weiter aus diesem Leben und wurde trotzdem gerettet."

„Sie waren zu dritt!" Galen starrte ihn an. „Zu dritt, Estel. Elrond, Varya und die Teile von Enach. Ich bin alleine."

„Was ist mit ihm?" Estel deutete auf Gilnín, der in sich zusammensank. „Oder taugt er nur dafür, dieses Gift zusammen zu rühren?"

„Estel, sei still!" kam ein scharfer Befehl von Elladan, den das Geschrei wohl aus der Kammer gelockt hatte.

„Er will ihn vergiften", rief sein menschlicher Bruder anklagend und zeigte dabei auf Galen.

„Das sind schwere Anschuldigungen, Bruder. Ich hoffe, du weißt, was du da sagst."

„Frag ihn doch." Estel verschränkte die Arme vor der Brust und zog ein düsteres Gesicht.

„Es ist kein Gift", sagte Gilnín leise. „Ihr beschuldigt Meister Galen zu Unrecht. Calagad sammelt das Licht der Eldar in den Kranken und bringt es wieder zum Erstrahlen. Es holt jeden zurück, selbst aus der tiefsten Bewusstlosigkeit."

„Ich glaube Euch nicht", knurrte Estel. „Ihr beide hattet eben Furcht. Wenn es wirklich so ein Wunder vollbringen kann, hättet ihr euch freuen müssen."

„Galen?" Elladan hob fragend die Brauen.

Die Ähnlichkeit mit Elrond traf Galen tief. Er wünschte von ganzem Herzen, er wäre hier. Elrond würde wissen, welche Entscheidung zu treffen war. Müde nahm er die Phiole vom Tisch. Allein die Berührung ließ ihn die Kraft darin spüren.

„Calagad kann keine Wunder vollbringen. Ihr habt nicht zugehört. Es sammelt, was noch übrig ist. In Eldarion ist jedoch kaum noch etwas da. Wenn ich es ihm gebe, wird er zwar erwachen, aber das bisschen Leben wird so schnell verbrennen wie eine Kerze im Wind. Die Stunden, die ihm noch verbleiben, werden zu Minuten."

„Er wird erwachen?" durchbrach Estels Stimme als erste die lange Stille, die nach Galens Worten eintrat.

„Das sagte ich", antwortete Galen kühl.

„Wird er Schmerzen haben?"

„Nein, diesen Teil seines Weges hat er längst hinter sich."

„Dann gib es ihm."

Nicht nur Galen zuckte regelrecht unter diesem heftigen Wunsch zurück. Elladan schüttelte den Kopf. „Es verkürzt seine Lebensdauer."

„Die er in einem Dämmer verbringen wird."

„Was hast du davon, wenn er erwacht?" wollte Galen wissen. „Die Erinnerung an diese Bestien wird ihn ängstigen und der Tod seines Vaters ihn mit Trauer erfüllen. Was treibt dich nun, Estel, das weniger verwerflich ist, als das, was du mir zuvor angelastet hast?"

Estel errötete leicht, hielt aber Galens durchdringendem Blick stand. „Ich will nicht, dass eben diese Bestien das letzte sind, was er in dieser Welt gesehen hat. Er soll wissen, dass er Freunde hat, die ihn nicht vergessen werden. Er mag nicht lange gelebt haben, aber er wird Spuren hinterlassen. Dafür sorge ich."

„Das ist nicht der Grund, warum Faronar Gilnín anwies, das Mittel herzustellen." Galen war jetzt ohnehin alles egal. Estels Meinung von ihm war zu deutlich geworden, die nächsten Worte konnten sie nicht mehr schlechter machen. „Er will von Eldarion etwas über die Angreifer wissen. Wir müssten ihm Fragen stellen."

„Aber…"

„Es muss sein", unterbrach ihn zu Galens Überraschung Elladan. „Diese Bedrohung muss eine Gestalt erhalten oder wir können sie nicht bekämpfen. Es sterben sonst noch mehr. Entweder so oder gar nicht, Estel. Die Entscheidung liegt bei dir."

Das Zögern war nur kurz, dann nickte der Sterbliche. „Also gut. Gibst du es ihm, Galen?"

„Warum nicht? Du hältst mich ohnehin für einen Mörder und Giftmischer, dann kann ich es ihm auch einflößen."

„Galen…"

„Du hast schon genug gesagt, Estel. Für heute reicht es mir." Mit einem letzten Blick auf den zusammengesunkenen Gilnín marschierte Galen an Estel vorbei in die Kammer zurück.

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Forlos beendete die kurze Unterhaltung mit einem Händler und kehrte wieder zu Glorfindel zurück, der auf der anderen Straßenseite gewartet hatte. Nicht nur einfach gewartet, er hatte die Umgebung nicht aus den Augen gelassen, die Hände scheinbar nachlässig auf den Griff seines Schwertes gelegt. Esgaroth hatte seine harmlose Atmosphäre für die Elben verloren. Irgendwo in dieser Ansammlung unterschiedlichster Völker und Absichten war einer der ihren zu Schaden gekommen. Unerwartet und wirkungsvoll… sie hätten niemals in ihrer Wachsamkeit nachlassen dürfen.

Glorfindel verfluchte sich für seine Sorglosigkeit. Wo waren seine Instinkte geblieben, die ihn sonst nie im Stich gelassen hatten? Natürlich war er alarmiert gewesen, nachdem die Barke sabotiert worden war, doch ihrer aller Aufmerksamkeit hatte sich nach Südosten gerichtet, abgelenkt durch die seltsamen Berichte über die überraschende Stille, die den Handelsweg dorthin erfasst hatte. Dabei war der Feind ganz in ihrer Nähe gewesen, hatte sich das schwächste, verletzlichste Geschöpf in ihrer Mitte ausgesucht.

„Er hat nichts bemerkt", berichtete Forlos wenig überraschend, als er wieder bei ihm ankam. „Es ist immer das gleiche. Zuletzt wurde sie gesehen, als sie Heppelmans Kontor betrat. Seitdem ist sie wie vom Erdboden verschluckt."

Glorfindel wandte unwillkürlich den Kopf in die Richtung, in der dieser Apotheker-Handel lag.

„Heppelman kann uns nicht weiterhelfen", deutete Forlos die Geste richtig. „Er hat nicht gelogen, Lord Glorfindel, dafür hatte er zuviel Angst, als ich ihn befragte. Man hat ihn absichtlich aus seinem Kontor gelockt. Die Nachricht über die Lieferung, die im Hafen verschwunden sein sollte, war gefälscht. Der Sterbliche hat stundenlang versucht, das Missverständnis dort aufzuklären und solange war sein Kontor nicht besetzt."

„Und woher konnten die Entführer wissen, dass sie genau an diesem Tag im Kontor sein würde?" Glorfindel winkte sofort wieder ab, als Forlos leicht die Augen rollte. „Jaja, sie war jeden Tag dort, seit wir angekommen sind. Die Wahrscheinlichkeit war groß genug."

„Was jetzt?"

„Wir suchen weiter", entschied Glorfindel und setzte sich wieder in Bewegung. Ein ganzer Tag war bereits vergangen, seit Varya verschwunden war und mit jeder weiteren Stunde fühlte er die Aussichten schwinden, dass sie sie unversehrt auffinden würden.

Eigentlich war es ein beinahe sinnloses Unterfangen, sie in diesem auf Wasser errichteten Ameisenhaufen aufstöbern zu wollen. Sie waren zu wenige, auch wenn Ferlong die gesamte Stadtwache alarmiert hatte und diese die Elben bei der Suche unterstützte. Sie wussten nicht einmal, ob sie überhaupt noch in der Stadt war. Andererseits war es nicht einfach, eine Elbin wie diese Ithildrim heimlich herauszuschmuggeln.

‚Zumindest eine lebende Elbin', ergänzte er düster. ‚Eine tote Elbin hingegen war wenig mehr als ein leichtes Frachtstück, das in einer Kiste oder einem Ballen Stoff auf einem der Lastkähne verladen, weggebracht werden konnte. Vielleicht treibt ihre Leiche auch bereits im stinkenden Wasser unterhalb der Stadt.'

Unbehelligt gingen sie durch die eigentlich dichte Menge der Händler und Käufer, die um diese Tageszeit die Straßen Esgaroths füllte. Inzwischen wusste wohl jeder, was die Gruppen der Elben trieb, mit düsterer Miene schwerbewaffnet umherzustreifen und Fragen zu stellen. Man wich ihnen besser aus, so einschüchternd waren die vorher so höflichen und zurückhaltenden Besucher.

Glorfindel zuckte zusammen, als er angerempelt wurde. Ein Zwerg blieb stehen und verneigte sich leicht.

„Verzeihung", murmelte er. „Ich war in Gedanken, Elbenlord. Mein Herr Noloin hat ein so schönes Schmuckstück erworben, dass ich noch immer daran denken muss."

Eigentlich hätte Glorfindel es mit einer Geste abgetan und wäre einfach weitergegangen, doch in dem bärtigen Gesicht des Zwerges war etwas Bezwingendes. „Das muss ein besonderes Stück sein, Herr Zwerg."

„Oh ja", lautete die leise Bestätigung. „Besetzt mit zwei Smaragden und aus feinstem Mithril. Vielleicht interessiert Ihr Euch dafür. Mein Herr hat es für Euch reserviert, doch Ihr solltet ihn schnell aufsuchen und Euch wohl die Einzelheiten des Erwerbs berichten lassen."

Damit verschwand der Zwerg auch wieder in der Menge. Smaragde und Mithril, es gab kaum eine treffendere Beschreibung für die Ithildrim-Elben. Glorfindel hatte Galens und Varyas Augen und Haare oft genug selbst damit verglichen. „Forlos?"

Der Hauptmann hatte den kurzen Dialog schweigend verfolgt. Jetzt nickte er und wandte sich bereits in die Richtung zum Viertel der Juwelenhändler und Silberschmiede. „Ich denke nicht, dass er sie bei sich hat, aber Noloin könnte etwas von ihrem Verbleib gehört haben."

Und Noloin würde eine verlässliche Quelle sein. Seine Verbindung zu Thranduil war nur oberflächlich eine rein geschäftliche. Das hatte sein schnelles Auftauchen bei der Rettung der Barke hinlänglich bewiesen. Die beiden verband neben ihrer Leidenschaft für edle Metalle und wertvolle Steine eine raubeinige Freundschaft, die keiner offen eingestehen würde.

Diesmal wurde die Tür bereits aufgemacht, als Glorfindel noch dagegen hämmerte. Noloin zerrte sie fast hinein und schlug das schwere Eisentürblatt sofort wieder zu.

„Sie ist also verschwunden?" war seine erste Frage.

„Das sollte sich inzwischen herumgesprochen haben", murmelte Forlos.

„Ich wollte nur sicher sein." Der Zwerg marschiert voran in seinen Verkaufsraum. „Hat der Waldelb schon Kriegsdrohungen ausgestoßen?"

„Er steht kurz davor", antwortete Glorfindel und meinte es ernst.

„Dachte ich mir", knurrte Noloin. „Aber Ferlong kann nichts dafür. In jeder Stadt gibt es Gesindel, das gehört dazu."

Die beiden Elben bauten sich an einer Seite seines Verkaufstisches auf. Glorfindel verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Zwerg, der ihm genauso gegenüberstand. „Ob Ferlong etwas damit zu tun hat oder nicht, interessiert mich nicht. Sie ist schon zu lange weg und wir müssen schnellstens wissen, was geschehen ist. Wenn Ihr also etwas wisst, sagt es und zwar ohne große Umschweife."

„Für einen Elb macht Ihr wenig Worte", bellte Noloin nicht ohne Lob in der Stimme. „Der Waldelb ist genauso. Also gut, zuerst, ich weiß nicht, wo sie ist."

Forlos gab einen enttäuschten Laut von sich.

„Aber ich denke, ich kenne jemanden, der Euch weiterhelfen kann. Hier in unserem Viertel gibt es Silberschmiede, die…hm…Sonderwünsche herstellen. Für ganz besondere Kunden, für einige Häuser, mit denen Ihr auch schon Bekanntschaft gemacht habt, wie ich hörte."

Glorfindel befürchtete ernstlich, dass ihm schlecht werden würde.

„Ihr meint..." keuchte Forlos entsetzt.

„Nein!" blaffte Noloin ihn an. „Ihr habt mich missverstanden. Ich wollte nur damit beschreiben, was dieser Schmied so alles herstellt. Kurz nach Eurer Ankunft hier bekam er einen speziellen Auftrag, im Voraus bar bezahlt, schon seltsam genug. Er sollte Handfesseln fertigen, aus Silber, innen mit Leder gepolstert, sehr schmal. Der Mann, der sie bestellte, kam nicht wieder. Dafür aber ein anderer, und der erzählte meinem Freund, dass diese Dinger nicht für einen Menschen gemacht seien. Deswegen die Polsterung. Sein Auftraggeber befürchtete wohl, Metall würde die zarte Haut zu sehr verletzen."

„Der Name des Schmieds", forderte Forlos mit zusammengebissenen Zähnen.

Noloin sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Ihr verschwendet Eure Wut an den falschen, Hauptmann. Wenn Ihr vorhabt, ihm etwas anzutun, werde ich Euch gar nichts sagen."

„Wir werden ihm kein Haar krümmen", versprach Glorfindel. „Warum auch? Er kann uns helfen, dafür sind wir ihm dankbar."

„Mein Gehilfe wartet draußen und führt Euch dann hin", nickte Noloin zufrieden.

Als Glorfindel sich zur Tür wenden wollte, machte Forlos eine abwehrende Bewegung. „Überlasst das mir, Lord Glorfindel. Dieser Schmied ist nur der erste Schritt. Ihr braucht nicht zu wissen, welche ihm noch folgen. Mag sein, dass er unschuldig ist, aber die anderen sicher nicht."

„Mit denen könnt Ihr machen, was Ihr wollt", bestätigte Noloin. „Bleibt noch, Elbenfürst, Euer Hauptmann wird schon sein Ziel erreichen. Außerdem habe ich noch etwas für Euch."

Nur widerwillig blieb Glorfindel zurück. Es drängte ihn, zusammen mit Forlos den Auftraggeber dieses Schmieds zu erwischen und sehr schmerzhaft aus ihm herauszupressen, was mit Varya geschehen war. Doch Forlos hatte Recht. Das Ganze würde jetzt sehr unerfreulich werden und sie konnten keine Verwicklungen gebrauchen. Auch Ferlong würde nicht dulden können, dass Elbenfürsten durch seine Stadt zogen und sich wie Berserker aufführten. Forlos hatte wohl seine eigenen Methoden und er war sehr viel unauffälliger. Glorfindel wünschte sich dennoch inständig, Erestor wäre hier. Niemand war so effektiv wie der Noldo.

„Wie geht es Thranduil?" fragte Noloin, nachdem Forlos gegangen war und sie die Eingangstür hatten zufallen hören.

Überrascht wandte sich Glorfindel ihm wieder zu. Der Zwerg hatte beinahe sanft geklungen. „Wie gut kennt Ihr ihn, Noloin?"

„Niemand kennt Thranduil wirklich. Aber ich erkenne zumindest, dass diese Ithildrim gut für ihn ist. Er hat schon lange nach ihr gesucht, ohne es zu wissen", schmunzelte Noloin und schob Glorfindel über den Tisch einen schmalen Beutel aus schwarzem Samt zu. „Gebt ihm das und sagt ihm, es ist für sein Juwel. Ein Geschenk von mir für sie. Vielleicht wird es den Anblick der Handfesseln verblassen lassen, wenn Ihr sie gefunden habt. Es gibt ohnehin niemanden, dem es besser zu Gesicht stünde als ihr. Verkauft bekomme ich es also sowieso nicht."

Glorfindel kam gar nicht erst der Gedanke, den Samtbeutel zu öffnen. Dies war Thranduils Sache und er war sich sicher, dass der Waldelb dies nicht machen würde, wenn andere ihn dabei beobachten konnten.

Mit einer Neigung des Kopfes verabschiedete er sich wortlos von Noloin und verließ das Haus, um sich auf den Rückweg in die Große Halle zu machen. Seine Schritte waren wieder etwas leichter. Sie hatten eine Spur. Der Anfang war gemacht.

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Elrohir gefiel nicht, was da gerade vor seinen Augen geschah. Die Atmosphäre in dieser nur von einer einzigen Lampe beleuchteten Kammer hatte sich schon verändert, als im Nebenraum die Auseinandersetzung zwischen Estel und Galen losgegangen war. Doch nun wurde es noch angespannter.

Galen, gefolgt von Estel und Elladan, betrat die Kammer, setzte sich wortlos auf die Bettkante und öffnete eine dunkle Glasphiole. „Heb seinen Kopf an, Estel", befahl er, ohne den Sterblichen überhaupt anzusehen. „Es wirkt sehr schnell und dann beginnt seine Zeit zu verrinnen."

Elrohir sah fragend zu seinem Zwilling, doch Elladan schüttelte nur leicht den Kopf. Sie würden später darüber reden.

Estel hob nicht nur Eldarions Kopf an, sondern zog das Kind sofort ganz in seine Arme. Der Junge wirkte noch viel zerbrechlicher, wie er so in der Umarmung dieses starken, jungen Kriegers ruhte. Elrohir wappnete sich gegen die Trauer, die ihn bereits jetzt zu erfassen drohte. Er würde Tränen vergießen um dieses Kind und auch um seinen Bruder, der dem Jungen schon bei der ersten Begegnung einen Platz in seinem Herzen eingeräumt hatte.

Galen hielt dem Kind die Phiole an die weißblauen Lippen und flößte ihm dann den gesamten Inhalt ein. Einen Moment wartete er noch, dann stand er auf und trat einen Schritt zurück. Elrohir machte sich auch um ihn Sorgen. Galen schien innerlich wie erstarrt.

Das Mittel wirkte unglaublich schnell. Für jeden spürbar verstärkte sich binnen weniger Augenblicke das Licht der Eldar wieder in dem Ithildrim-Kind. Seine Atemzüge wurden ruhiger und tiefer. Schließlich hoben sich seine Augenlider und die leuchtenden, grünen Augen richteten sich auf Estel.

„Mae govannen", flüsterte Estel rau. „Ich habe dich vermisst, Waffenbruder."

„Ich kann mein Versprechen nicht halten", sagte der Junge sehr ernst.

„Doch, das kannst du", antwortete Estel kaum hörbar. „Estel und Eldarion, beide zusammen im Kampf, Seite an Seite. Du wirst sehen."

Das schien Eldarion zufrieden zu stellen. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Die Erinnerungen kamen nun und die Qual des Jungen musste unendlich sein.

„Eldarion", ließ sich Galen vernehmen. „Konntest du die Angreifer erkennen? Waren es Tiere?"

Der Junge richtete seine Aufmerksamkeit auf den Heiler. Obwohl das Grauen auf seinen Zügen Schatten spielen ließ, bemühte er sich um eine Antwort. „Wie Tiere, aber dennoch waren es keine. Vielleicht Menschen, Meister Galen. Sie waren überall."

„Galen", zischte Estel leise. „Er quält sich."

Die gleichen Augen wie die Eldarions, nur ungleich kälter, durchbohrten Estel geradezu. „Dies ist der Handel, Estel. Er bezahlt nun den Preis, den du für ihn vereinbart hast."

‚Elbereth, was ging da zwischen den beiden vor?' Elrohir konnte es kaum fassen.

Eldarion bemühte sich unterdes immer noch, ihnen mehr zu berichten. „Sie sprachen, bewegten sich auf zwei Beinen, aber manchmal auf allen Vieren. Und sie haben geschrieen, ganz hell. Ihr Geruch, zuerst war ihr Geruch da. Ada hat ihn bemerkt, aber kannte ihn nicht. Schwarze Wolken begleiteten sie."

„Es ist gut", tröstet Estel ihn, als er zu zittern begann. „Denk nicht mehr daran."

„Viele waren es." Eldarion hörte ihn gar nicht. „Sie kamen von allen Seiten. Ich erinnere mich an Fell. Es hing an ihnen herunter. Überall waren ihre Hände, schmutzige Hände. Meister Galen, Ihr werdet sie finden?"

„Das werden wir", bekräftigte Galen sehr ruhig. Die absolute Sicherheit seiner Worte ließ Elrohir unbehaglich die Schultern bewegen. „Du hast uns sehr geholfen, Eldarion. Mehr brauchen wir nicht zu wissen. Rhûnar steht in deiner Schuld."

Das Kind war voller Stolz. Elrohir konnte sich kaum noch beherrschen. Dies durfte gar nicht geschehen. Das Licht der Eldar verließ den geschundenen Körper mit der gleichen Schnelligkeit, mit der es durch den Trank gekommen war. Eldarion verblasste wie ein ferner Stern.

Estel hielt den Jungen an sich gedrückt, murmelte unverständliche Worte voller Sanftmut und Trost, bis eine seltsame Stille sie alle umfing. Der Stern war fort, nur Dunkelheit blieb bei ihnen zurück.

Schließlich atmete Galen einmal tief durch. „Er hat es überstanden."

„Was geschieht nun mit ihm?" wollte Estel wissen.

„Wir werden ihn bestatten – auf unsere Art. Respektiere es." Damit drehte sich der Rhûnar-Heiler um und ging.

„Ich bleibe bei ihm, bis sie ihn holen kommen", flüsterte Estel mit einem bittenden Blick auf seine Brüder. Er hielt den Jungen noch immer an sich gedrückt, war noch nicht bereit, seinen Körper loszulassen, den die Seele bereits nicht mehr bewohnte.

Sie drängten ihn nicht und verließen den Raum, in dem die unwirkliche Stille nicht vergehen wollte. Beide waren alt und erfahren genug, um den seltsam verzweifelten Umgang der Sterblichen mit dem Tod inzwischen zu kennen. Ausgerechnet die Zweitgeborenen, die ihm doch um so vieles näher standen als die Elben, konnten ihn nur schwer ertragen. Dabei war es nicht einmal eine Ewigkeit, die ihnen genommen wurde.

Nur Legolas erwartete sie im angrenzenden Raum. Ruhig stand er da, die Arme vor der Brust verschränkt und mit undurchdringlicher Miene. Er wusste, dass Eldarion nun auf dem Weg war. Seine Trauer entsprach sehr viel mehr der ihrigen.

„Wie nimmt Estel es auf?" fragte er nach einer Zeit einvernehmlichen Schweigens.

„Wie es seiner Art entspricht", antwortete Elladan.

„Er muss sich bald wieder fassen", erklärte Legolas dann. „Faronar und Indaris wissen sehr viel mehr über diese Geister als sie bislang eingestanden haben. Ich habe Galen davon berichtet und er ist entschlossen, dieses Geheimnis der Rhûna aufzuklären."

„Es ist ein bekannter Feind?" echote Elrohir ungläubig.

„Und ein sehr alter", nickte Legolas. „Caeril und ich sprachen mit ihrem Archivar. Ihre Aufzeichnungen sind lückenlos. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir es herausfanden."

„Aber wieso…?" Elrohir brach ratlos ab.

„Galen wird die Antwort auf diese Frage wohl bald wissen." Legolas deutete mit einer knappen Geste auf die Kammer. „Weiß Estel, wie sie ihre Toten bestatten?"

Die Zwillinge schüttelten den Kopf. Sie wussten es selber nicht.

Der Waldelb seufzte leise. „Es gibt keine Gräber in Rhûnar. Sie verbrennen sie im Runenkreis und übergeben sie den Quellen."

Also kein Ort, an dem Estel sich wirklich von Eldarion würde verabschieden können und an den in der Zukunft seine Gedanken wandern konnten. Auch Elrohir seufzte nun. Leichter würde es dadurch für ihren sterblichen Bruder nicht werden.

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Im Schatten zwischen zwei etwas baufälligen Häusern, aus denen die typischen Geräusche Betrunkener drangen, konnte ihn niemand entdecken. Seine Kleidung war in den dunklen Farben des Waldes gehalten, die schimmernden Zeichen, die ihn ansonsten als Hauptmann der Leibgarde auswiesen, hatte er bei einem kurzen Abstecher in die Große Halle gegen diese eher schlichte Aufmachung getauscht.

Trotz seines langen Lebens hatte Forlos zwar eher geringe Erfahrung mit den Menschen, aber er war ein Jäger. Das war seine einzige Leidenschaft und dies hier eindeutig eine Jagd. Die Beute mochte ungewöhnlich sein, ihr Lebensraum abstoßend und etwas fremd, doch seine so lange geschärften Instinkte und seine natürliche Begabung für die Jagd auf jede Art von Wild halfen ihm auch hier, sich anzupassen.

Regungslos stand er nun schon eine ganze Weile hier und wartete darauf, dass seine Beute ihren Bau verließ. Abseits der Jagd ging es eigentlich darum, dass der Mann, von dem er sich die entscheidenden Antworten erhoffte, endlich wieder aus einem heruntergekommenen Wirtshaus herauskam, in dem er verschwunden war, kurz bevor Forlos ihn sich hatte greifen können.

Hierher hatte ihn schließlich die Suche geführt, die am Mittag bei Noloin begonnen hatte. Der Silberschmied, zu dem ihn Noloins Gehilfe geführt hatte, war wirklich eine Hilfe gewesen. Nachdem er sich davon hatte überzeugen lassen, dass der grimmige Elb ihm nicht an den Kragen wollte für die Handfesseln, die er so in Eile hatte anfertigen müssen, war ihm auch wieder eingefallen, wer der Mann gewesen war, der sie bei ihm abgeholt hatte.

Forlos war durch Esgaroth gestreift, bis er ihn gefunden hatte. Ein wahrlich schmieriger Geselle, der Aufträge dieser Art für noch schlimmeres Gesindel erledigte. Aber wenigstens hatte er ihm weiterhelfen können, letztendlich. Auch er war nur ein Mittelsmann, handelte im Auftrag eines anderen, der in ganz Esgaroth dafür bekannt war, Geschäfte der ganz eigenen Art zu vermitteln.

Im Gasthof öffnete sich eine Tür und ein Mann mit einer kichernden Hure im Arm taumelte hinaus. Es war nicht der Gesuchte. Forlos entspannte sich wieder etwas. Sein Blick glitt zwischen den Dächern hinauf zu Ithil, der bereits lange am klaren Sommerhimmel stand. Ruhiger war es deswegen in diesem Viertel der Stadt nicht. Die Lebensart der Sterblichen war ein seltsamer Tanz zwischen bewundernswertem Edelmut und abscheulichster Verderbtheit. Hier begegnete er letzterem. Der Gedanke, wer Varya in die Hände bekommen hatte und was sie womöglich nun alles ertragen musste, ließ erneut kalte Wut in ihm aufkommen. Diese Wut hatte das Ungeziefer, das ihm den Weg hierher gewiesen hatte, bereits fast das Leben gekostet. Forlos war von eisigem Zorn beseelt und Gnade zurzeit nichts, das ihn zurückhalten konnte. Außerdem wusste er, dass sein König ihn gegen jede mögliche Anfeindung Ferlongs ohne Vorbehalt schützen würde. Thranduil hätte nicht anders reagiert.

Forlos überfiel neue Spannung, als nun endlich die Gestalt erschien, die er zuvor nur aus der Entfernung wahrgenommen hatte. Die Valar mussten mit ihm sein, denn der Mann wankte direkt über die Straße auf sein Versteck zu. Vor sich hinmurmelnd kam er einige Schritte in den dunklen Weg hinein, stolperte gegen eine Abfallkiste und stellte sich dann vor einer der Häuserwände auf, um sich zu erleichtern.

Forlos war bei ihm, als er gerade die Schnüre seiner Hose gelöst hatte. Absichtlich geräuschvoll zog er sein Schwert. Kaum erklang das metallische Scharren, fuhr der Kerl herum, nur um die Spitze eines Elbenschwertes an seiner Kehle zu spüren. Er taumelte gegen die Häuserwand zurück und riss die Arme hoch.

„Ich habe kein Gold", stammelte er mit aufgerissenen Augen.

„Das weiß ich", sagte Forlos leise. Die Schwertspitze bohrte sich gerade so tief in die Haut, dass ein dünnes Rinnsal Blut den schmutzigen Hals herunter lief.

Jetzt schien der andere endlich zu erkennen, wer ihm da aufgelauert hatte. Auch der letzte Zweifel an seiner Unschuld schwand, kaum begann er wie ein verängstigtes Tier zu zittern. Helle Schuld brannte in seinen Augen.

„Wo ist sie?" Forlos konnte sich kaum beherrschen, ihn nicht sofort zu durchbohren.

„Ich weiß es nicht."

Die Schwertspitze löste sich einen Moment von seiner Kehle, um in einem schnellen Streich einen langen Schnitt über seine Brust zu ziehen. Als er schreien wollte, war das Schwert wieder da und nicht mehr als ein Gurgeln kam aus seinem Mund.

„Diese Antwort gefällt mir nicht", knurrte Forlos mit zusammengebissenen Zähnen.

„Derk hat sie." Überraschend sank der Mann in die Knie und brach vor lauter Furcht in Tränen aus. „Ich sollte nur die Fesseln organisieren und herausfinden, wo man sie am besten erwischen kann. Bitte, Herr Elb, mehr habe ich nicht getan. Der Auftraggeber hat alles schriftlich gemacht."

Es reichte, um dafür zu sterben. Forlos verbiss sich diese Bemerkung. „Derk?"

Er sang wie ein Vogel. Erzählte mit überschlagender Stimme von Derk, von seinen Männern und wo Derk zu finden war, wenn er sich nicht gerade in Esgaroth herumtrieb, um Aufträge zu übernehmen, die sonst kein anderer haben wollte. Forlos hörte ihm ohne einen Ton zu sagen zu. Als er schließlich geendet hatte, sah er nachdenklich auf dieses elende Geschöpf vor ihm. Ein Wrack, zitternd in seiner Angst, ein großer nasser Fleck vorne auf seiner Hose und der stechende Geruch bewiesen, wie sehr er sich fürchtete.

Vor sehr langer Zeit hätte Forlos ihn sofort getötet. Aber die Jahrtausende waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen und Varya hütete das Leben, auch wenn es so verkommen war, wie das hier vor ihm. Forlos wollte sie nicht bekümmern, wenn sie davon erfuhr. Töten konnte er ihn also nicht.

„Sie ist das Juwel meines Königs", sagte er sehr leise und kalt. „Es gibt bei euch Sterblichen eine besondere Strafe für Diebe."

Die gellenden Schmerzensschreie des Mannes hallten in einer leeren Gasse wider. Als seine abgeschlagene Rechte den abfallübersäten Holzboden berührte, war der Hauptmann der Leibwache bereits auf dem Weg zurück in die Große Halle.

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tbc

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Hab ich schon erwähnt, dass ich Reviews liebe? Hab ich wohl schon. Noch mal kurze Gruppenumarmung, Stille Leser eingeschlossen, sofern vorhanden.

Ithiliell: Kannst du dir Elrond als Herr eines Orgientempels vorstellen? –kicher-. Zwei Schauplätze hat mir auch Kopfzerbrechen bereitet. Wenn du es gut findest, beruhigt mich das. Varya ist wieder da, ein bisschen wenigstens. Es kommt in den nächsten Kapiteln noch mehr, versprochen. Eines kann ich aber nicht ändern –fg- sie ist und bleibt eine lausige Kämpferin. Alleine kommt sie da nicht raus.

feanen: Wie gesagt, Gílnin kann wenigstens gut Tränke brauen –hüstel-. Ah, ich hasse es, dass die Sternchen weg sind.

Eowyn: Den Kleinen mochte ich ja auch. Dabei wurde er nur aus einem einzigen Grund reingebracht –schnüff- um wieder abtreten zu müssen. Manchmal grüble ich über mich selbst.

seniwallenstein: Nein, glaub mir, du willst NICHT tauschen. Römisch? Ja, könnte durchaus hinkommen. So richtig dekadent und ein düsterer Elrond dabei. Den konnte ich mir nun wirklich nicht relaxed vorstellen. Zum Beserker mache ich Thranduil lieber nicht. Löwen, die knurren, beißen wohl nicht so schnell. Hoffe ich. Auch wenn er immer anderes behauptet. Legolas kennt ihn schließlich besser –kicher-.

Das mit Eldarion tut mir leid, ehrlich. Aber sonst hätten wir irgendwann zwei davon und Estel musste doch einen Grund haben, später seinen Sohn so zu nennen.

Sicher kann er sich sehen lassen, aber ausgerechnet so zu kämpfen? Naja, die griechischen Ringer sind glaube ich auch so angetreten. Und dann auch noch eingeölt –grins-.

Airihnaa: -hachsag- dann gibt es nach dem Kapitel wohl auch keine Phrasenkasse. Aber im nächsten wird wieder besser, versprochen. Und nein, ich frage besser nicht, nein! Abkommen mit Glorfindel sollten einfach hingenommen werden –hüstel-

Shelley: Wegen ff.net sind wir uns absolut einig. Die Punkte sind sch... Der Heiler ist doch ganz tauglich für Tränkebrauen. Was hätte er auch sonst für einen Job machen sollen? Hm, töpfern, Unterwasser-Klöppeln...gut, die Berufswahl war wohl doch nicht so glücklich –grins-. Nicht hauen wegen dem Kleinen, es ging nicht anders.

Urlaubhat: Interessanter Nick, wer da wohl dahinterstehen mag? –grübelstark-. Elrond hätte mit einer Tänzerin im Schoß auch irgendwie seltsam gewirkt, gelle? Aber noch hab ich den moralischen Zeigefinger nicht vom Haken gelassen, glaub mir. –sehrfiesgrins- Mit dem Heiler muss ich noch mal überlegen. Erestors verschollener Bruder, hm, hm, was der gute Erestor wohl davon hält?

Schönen, nicht so anstrengenden Urlaub...Neid...