Disclaimer: ja, alles gehört Tolkien und seinen Erben. Nein, ich mache kein Geld damit.
A/N: Dank von Herzen an Fehlerfindel Amélie.
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15.Kapitel: Einfall, Überfall, Reinfall
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„El.la.dan."
Der so Angesprochene zog es vor, die leise, aber doch sehr drängende Stimme seines Bruders zu ignorieren. Sein Plan war gut, immer noch, obwohl...
„Elladan", zischelte Elrohir nochmals und robbte ein Stück näher zu ihm. „Das sind zu viele."
„Mindestens zweihundert, die wir sehen können und was weiß ich wie viele irgendwo weiter unten im Wald", konstatierte Legolas von Elladans anderer Seite aus.
„Wir wollen sie ja nicht alle entführen", widersprach Elladan entschiedener als er sich eigentlich fühlte. Mit so vielen Nârandir hatte er allerdings auch nicht gerechnet. „Nur einen einzigen."
„Ihren Anführer", erinnerte ihn sein Bruder höhnisch. „Nicht irgendeinen, du hast es auf ihren Häuptling oder wie auch immer er sich nennt abgesehen. Das macht es nicht gerade leichter."
Elladan hätte beinahe mit den Farnblättern nach ihm geschlagen, die er vor sich hielt, um bessere Deckung zu haben. „Hast du eine bessere Idee, hm?"
„Wir laufen zurück in die Quellstadt und kommen mit einem Rhûna-Heer wieder."
Schlecht war die Idee auch nicht gerade und Elladan langsam geneigt, seinen ursprünglichen Plan doch lieber aufzugeben und auf militärische Stärke statt List und Tücke zu setzen.
„Das wird nicht gehen", meinte ausgerechnet Galen etwas widerstrebend von weiter hinten.
„Und warum nicht?" fragte Elrohir ungeduldig.
„Faronar zögert stark", flüsterte Galen. Die Verlegenheit ließ seine Stimme jetzt leicht vibrieren. „Er denkt, sie ziehen einfach entlang der Küste weiter und bald ist der Spuk vorbei."
„Sie haben Legolas angenagt", brummte Estel. „Ich glaube nicht, dass sie weiterziehen. Sie sind bestimmt auf den Geschmack gekommen."
Ein kurzes Rascheln war zu hören, danach ein erstickter Schmerzensschrei.
„Streich dieses Wort aus deinem Gedächtnis", zischelte Legolas erbost. „Das meine ich ernst, Estel."
„Deswegen brauchst du nicht handgreiflich zu werden."
„Anders begreifst du es offenbar nicht."
„Erlaubt Ihr mir eine Frage?" verhinderte Caerils ruhige Stimme einen Streit.
„Nur zu", meinte Elladan aufmunternd.
„Woran erkennen wir eigentlich den Häuptling? Ich denke nicht, dass er selbst in privaten Stunden einen Mithril-Stirnreif wie mein König tragen wird, nicht wahr?"
Elladans Kopf sank auf seine verschränkten Arme herab.
„Also gut", murmelte er mit dumpfer Stimme gegen den weichen Waldboden. „Ziehen wir uns zurück und holen in der Quellstadt Hilfe."
„Nu wein mal nicht, Lord Elb", ließ sich Binter tröstend vernehmen. „Ich schätz mal, es ist der große Kerl mit der Knochenkette dort, der sich gerade in die Büsche schlägt."
Wie auf ein geheimes Kommando sahen alle hinunter in das Nârandir-Lager, das sich unter ihnen im Hang befand. Die Bäume standen hier in Küstennähe nicht mehr so dicht und die Aussicht auf die zahllosen Körper, die sich dort unten ohne Wetterschutz um einige wenige Feuer drängten war ungetrübt. Die Dämmerung war bereits aufgezogen, und mehr und mehr der Nârandir kamen jetzt zur Ruhe. Sie krochen dazu unter große Felle, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Galens Einschätzung, dass sie nachtaktiv seien, bestätigte sich immer mehr.
Unter den wenigen, die noch auf den Beinen waren, fiel dieser Nârandir besonders auf. Er war etwas größer als die anderen, erreichte ungefähr Galens Statur, um seinen Hals hing eine breite Kette, die bei näherem Hinsehen wirklich aus mehreren Reihen aufgefädelter Knochen bestand und war am ganzen Körper mit weißen und schwarzen Mustern bemalt. Die ganze Haltung, die er an den Tag legte und die unterwürfige Art, mit der ihm die anderen Platz machten, zeugten von seiner Stellung als Anführer.
„Wo geht er denn hin?" wunderte sich Estel, als der Rattenmensch zielstrebig zu ihrer Linken ein dichtes Gebüsch ansteuerte.
„In die Büsche", murmelte Elrohir etwas gezwungen.
„Das sehe ich, aber was will er da?"
„Estel!" knirschte Legolas. „Wohl das gleiche wie du, wenn du dich mal eben in die Büsche verdrückst. Er ist schließlich kein Hund, der am nächsten Baum das Bein hebt."
„Erstaunlich. So primitiv können diese Nârandir dann doch nicht sein."
„Oh ja, es ist ein Zeichen hoher Kultur, sich hinter einen Busch zu hocken", brummte Elrohir kopfschüttelnd. „Könnten wir uns später weiter unterhalten, sonst ist er nämlich fertig."
„Eigentlich ist es nicht sehr edel, einen Mann ausgerechnet dabei zu überfallen", überlegte Estel.
„Wir erzählen es auch nicht weiter!" schnappte Elladan am Ende seiner Geduld. „Jetzt beweg dich endlich. Caeril, Ihr übernehmt das Ablenkungsmanöver, sollte man uns bemerken."
Caeril murmelte etwas, das wie ‚passiert sowieso' klang, gab aber ohne weiteres Zögern den Befehl an seine Männer weiter. Die anderen robbten hastig unter Führung von Amonir mit ihren Farnblättern vor sich am Rand des Nârandir-Lagers entlang, bis sie die Stelle erreicht hatten, an der der Häuptling verschwunden war. Sie fanden ihn hinter einem großen Busch, den Kopf in den Nacken gelegt und so etwas ähnliches wie ein Lied brummend, während es vernehmlich vor ihm plätscherte.
Elladan krümmte sich innerlich bei dem Gedanken, jemals von alledem erzählen zu müssen. Er konnte nur hoffen, dass besonders Glorfindel niemals davon erfuhr. Das würde er den Rest der Ewigkeit nicht mehr loswerden. Er gab das Zeichen, sie warfen ihre Farnblätter weg und stürzten sich auf den arglosen Nârandir. Die Zwillinge hielten ihn fest, Legolas hatte ihm die Hand auf den Mund gelegt, um ihn am Schreien zu hindern und Estel und Galen sprangen mit Seilen in den Händen um sie herum, um ihn zu fesseln.
Es war, also ob sie mit bloßen Händen versuchten, ein wütendes Wildrind niederzuringen. Der Kerl wehrte sich wie ein Verrückter. Die glitschige Schicht der Bemalungen auf seinem ganzen Körper macht es auch nicht gerade einfacher, ihn sicher festzuhalten.
Stöhnen, unterdrückte Flüche füllten einige Zeit die Lichtung, bis Estel und Galen endlich fast damit fertig waren, den Nârandir wie einen Stoffballen fest verschnürt zu haben. Elladan wollte gerade aufatmen, als der Rattenmensch wild den Kopf schüttelte, Legolas damit überraschte und dann heftig seine spitzen Zähne in die Hand des Waldelben schlug. Legolas zuckte erschreckt zurück und im nächsten Moment gellte ein markerschütternder Schrei des Häuptlings über das Gelände.
‚Das war's dann wohl!' schoss es Elladan durch den Kopf. „Weg hier, sofort."
Elrohir zögerte nicht mehr lange und setzte der ganzen Schreierei mit einem gezielten Faustschlag gegen die Schläfe des Mannes ein Ende. Darauf hätte er auch eher kommen können. Darauf hätten sie alle früher kommen können.
Die Nârandir waren so schnell auf den Beinen, dass ein Elbenheer vor Neid erblasst wäre. Elladan hatte den Eindruck, dass die ersten schon in ihre Richtung stürmten, als der Häuptling gerade Luft zum Schreien geholt hatte. Das Ganze war wie der Angriff eines wütenden Bienenschwarms und er ließ sich auch nicht davon aufhalten, dass Caeril und seine Wachen vom Hang weiter oben die vordersten Rattenmenschen mit Pfeilen durchlöcherten. Der einzige Effekt, den sie erzielten war, dass sich diese stinkende Menschenmasse wie eine Gabel teilte und zwischen sie und die Waldelben schob.
Elladan fluchte nochmals, warf sich den verschnürten Nârandir über die Schulter und rannte erst mal los.
„In die Bucht!" rief vor ihnen Amonir und setzte sich an die Spitze. „Das ist jetzt noch der einzige Weg."
„Habt ihr da unten Krieger?" wollte Elrohir im Laufen von Galen wissen.
„Nein, nur dreißig Fischer", antwortete Galen unglücklich.
„Na wunderbar", stöhnte Elrohir auf. „Dann können sie die Nârandir mit ihren Angeln erschlagen."
„Fischer, nicht Angler."
Niemand antwortete ihm. Sie hatten gar nicht die Zeit dazu. Eine Horde kreischender Rattenmenschen auf den Fersen stürmten sie durch den Wald, immer hinter Amonir her, der mit traumwandlerischer Sicherheit quer durch das Unterholz rannte, bis sie wieder auf einen schmalen Pfad stießen, der stetig in östlicher Richtung bergab führte. Je steiler er wurde, desto schneller konnten sie rennen und hörten mehr als dass sie es wagten sich durch einen Schulterblick zu vergewissern, dass die Nârandir langsam zurückfielen. Selbst die Tatsache, dass Estel geschickt wie immer stolperte und sich ein paar Mal überschlug, stoppte sie nicht. Legolas packte ihn am Arm und zerrte ihn schließlich mit sich, genauso wie Elrohir schon von Anfang an Binter in festen Griff genommen hatte und ihn beinahe hinter sich her flattern ließ.
Ihre Rettung kam, als sie von einem Schritt zum anderen den Wald endlich hinter sich lassen konnten. Der Pfad führte hinaus auf ein grasbewachsenes Plateau über einer hellen Felsklippe, vor der sich im strahlenden Sonnenlicht des beginnenden Sommertages das Binnenmeer von Rhûn glänzend wie ein riesiger Spiegel erstreckte.
Elladan hätte den Anblick sicherlich genossen, wenn ihm nicht diese Menschenfresser auf den Fersen gewesen wären, die ihren Häuptling zurückhaben wollten. So lief er einfach ohne nach rechts und links zu blicken hinter Amonir her, der am Ende des Plateaus plötzlich hinter einem weißen Felsen verschwand. Der Pfad ging dort weiter. Wie ein schmales Band zog er sich an der Klippe herunter, um endlich auf einem nicht sehr breiten Kieselufer zu enden.
„Amonir, halt an!" verlangte Legolas vom Schluss ihres Trupps aus. „Sie haben die Verfolgung aufgegeben."
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Irgendetwas ging vor. Varya versuchte, etwas mehr von dem zu beobachten, was sich dort unten im Innenbereich des Haupthauses abspielte. Viele Männer liefen durcheinander. Die Ställe waren geöffnet und Pferd um Pferd wurde gesattelt hinaus geführt. Sie konnte Evans raue Stimme hören, die Befehle bellte und alle anderen zur Eile antrieb. Es musste mit dem einzelnen Reiter zusammen hängen, dessen Ankunft sie erst kurz davor von ihrem vergitterten Fenster aus zugesehen hatte.
Das Geräusch des Türriegels lenkte sie von ihrer Beobachtung ab. Sie drehte sich um, als die Tür aufflog und Inmer auf der Schwelle erschien. Mit hochgezogenen Schultern, die Hände zu Fäusten geballt stand er da und starrte sie an.
„Was habt Ihr getan?" schrie er dann.
„Gar nichts", antwortete sie vorsichtig. „Ich bin Eure Gefangene, ich kann gar nichts anderes machen, als das, was Ihr zulasst."
„Lügnerin!" Mit schweren Schritten kam er auf sie zu und riss sie vom Fenster weg. „Elben-Hexe! Ihr habt sie gerufen. Jetzt wird alles viel komplizierter. Das ist Eure Schuld."
Die Erleichterung ließ einen Moment Sterne vor ihren Augen tanzen, dann verflüchtigte sie sich wieder. Inmer tobte noch immer. Völlig ohne Kontrolle übergoss er sie mit den wildesten Beschimpfungen, die nicht nur sie sondern alle Elben miteinbezogen. Varya gab sich wirklich Mühe, es einfach zu ignorieren. Sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass er einfach aus lauter Sorge um seine Tochter verrückt geworden war und dies alles keineswegs so meinte, wie es giftig und dreckig aus seinem Mund kam.
„...und jetzt verweigert Ihr sogar einem hilflosen Kind Eure Hilfe."
Der Satz war endgültig zu viel. Sie wusste, dass sie ihn nicht noch provozieren durfte, aber allein der Gedanke, dass Rettung unterwegs war und womöglich in einen von Inmer gelegten Hinterhalt lief, nahm ihr die letzte Zurückhaltung.
„Blinder Idiot!" schrie sie ihn an und er zuckte unter dieser plötzlichen Reaktion zurück. „Eure Tochter ist bereits seit Monaten tot. Ich kann gar nicht für sie tun und ich werde auch nicht mehr vorgeben, sie heilen zu können oder zu wollen. Lasst sie endlich sterben und trauert, wie es sich für einen guten Vater gehört. Das da hinten in diesem stinkenden Sarg ist ein lebender Leichnam."
Es hätte sie nicht überraschen sollen, dennoch war sie einen Augenblick wie erstarrt, als er in seinen Rücken griff. Eine kurzer Holzprügel lag in seiner Hand, kaum zog er den Arm wieder nach vorne. Er sagte gar nichts mehr, gab nur noch ein unmenschliches Knurren von sich und stürzte sich dann auf sie. Varya war schnell und wendig, aber dieser Raum nur klein, mit Möbeln vollgestellt und Inmer von der sinnschärfenden Gewandtheit reinen Wahnsinns beflügelt. Außerdem kam es ihr nicht gerade zugute, dass ihre Handgelenke aneinander gefesselt waren.
Sie wich ihm aus so gut es ging. Zerrte sogar den Waschtisch von der Wand und schob ihn hastig zwischen sie. Inmer ließ sich nicht wirklich davon aufhalten. Er schleuderte das Möbelstück mit einer kurzen Bewegung beiseite und drosch mit seinem Prügel auf sie ein. Varya fühlte den Schlag an ihrer Schulter, der Schmerz ließ sie aufschreien. Sie duckte sich weg und versuchte, an seiner Seite vorbeizukommen, doch Inmer musste ihre Richtung erahnt haben. Der nächste Schlag traf sie im Rücken und ließ sie zu Boden gehen.
„Hört auf!" schrie sie und versuchte, auf Händen und Füßen von ihm wegzukommen.
Ein Tritt in den Magen folgte, der sie gegen die Wand warf. Varya hörte danach auf zu zählen, wie oft er auf sie einschlug. Sie hatte sich einfach nur noch zusammengekrümmt, die Arme schützend über den Kopf erhoben und hoffte, er würde sie nicht sofort totschlagen. Schmerz war gar kein Ausdruck für das Gefühl, das sie wie Feuer unter sich begrub.
Schließlich versiegte der Regen von Schlägen und eine Weile war nur Inmers schwerer Atem zu hören. Varya ließ zittrig die Arme sinken, der metallische Geschmack von Blut füllte ihren Mund.
Plötzlich beugte sich Inmer vor und riss sie auf die Füße. Ohne seinen groben Griff an ihrem Arm wäre sie sofort wieder eingeknickt. So wie es sich zuerst anfühlte, musste ihr linker Knöchel gebrochen sein. Sicher war sie sich allerdings nicht und als sie das Bein kurz belastete, war es zu gut zu ertragen, um wirklich einen Bruch in ihrem Fußgelenk zu haben.
„Bis morgen früh", keuchte Inmer und der Ausdruck in seinen Augen war jenseits jeglicher Vernunft. „Solange hast du noch Zeit. Ich töte dich, wenn du Lianna dann nicht geheilt hast."
„Und Thranduil wird dich töten", zischte sie zurück. „Dich und alle deine Speichellecker, die dir die Wahrheit einfach nicht ins Gesicht sagen können."
Ein wirklich irres Funkeln leuchtete in seinen Augen auf. „Du verhext mich nicht. Komm jetzt!"
Damit schleppte er sie wieder zurück in das Gemach seiner Tochter. Karen sprang erschrocken auf, als er Varya auf den Alkoven zustieß.
„Morgen früh!" wiederholte er nochmals und stürmte dann hinaus.
Varya erhob sich und schwankte zu einem der unbequemen Stühle herüber, die an einem kleinen Tisch an der Wand standen. Sie hatte nicht vor, noch mehr ihrer Kraft auf das Geschöpf dort im Alkoven zu verschwenden. Es dauerte eine Weile, bis sie überhaupt bemerkte, dass Karen vor ihr stand.
„Könnt Ihr Euch nicht selber heilen?" fragte die Frau dann zögernd.
Varya lächelte freudlos. Sogar das war schmerzhaft. „Nein, nicht möglich. So schlimm ist es auch nicht. Das meiste sind nur Prellungen."
„Herrin..." Karen verbiss sich einen weiteren Kommentar und watschelte stattdessen los, um kurz darauf mit einer Schüssel Wasser und einem sauberen Tuch zurückzukommen. Ohne groß zu fragen, begann sie, in Varyas Gesicht herumzutupfen. „Er ist kein schlechter Mensch, Herrin, auch wenn Ihr jetzt anders von ihm denkt. Lianna war sein Augapfel."
Zumindest interessant, dass sie schon in der Vergangenheit von dem Mädchen spricht, dachte Varya.
„Und Ihr könnt wirklich nichts für sie tun?"
„Niemand kann das, außer ihr endlich einen friedlichen Abschied zu gewähren."
„Er wird es nicht zulassen."
Varya sah sie einen Augenblick durchdringend an. Karen ahnte nicht im Mindesten, welches Unheil sich auf Talbruch zubewegte. „Andere werden es übernehmen, Frau."
„Was kommt, kommt eben", murmelte Karen in erstaunlichem Gleichmut.
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Seinen scharfen Augen entging keine Einzelheit der recht stattlichen Ansiedlung im Zentrum dieser Talmulde. Aus der beträchtlichen Entfernung, in der sie sich noch befanden, schien alles völlig normal zu sein. Ordentlich bestellte Felder umgaben in weitem Umkreis das Gut, Weiden mit gesunden Rindern und auch eine ganze Herde Pferde hatten sie entdeckt.
Nun, fast schon mit Beginn der Nacht, strebten alle, die sie zuvor auf den Feldern oder auf dem Gut selbst hatten beobachten können, den Gebäuden zu. Noch mehr Lichter wurden entzündet und sprenkelten die Dunkelheit mit warmen goldenen Flecken. Talbruch saß beim Abendessen. Nicht mehr lange und seine Bewohner würden sich zur Ruhe begeben.
„Wieviele Menschen leben hier ständig?" wollte Thranduil von Hinner wissen, der neben ihm stand und genauso angestrengt in die gleiche Richtung starrte. Der Waldelb bezweifelte, dass der Junge überhaupt etwas auf diese Entfernung und bei so wenig Licht erkennen konnte. Es schien eine Frage des Stolzes zu sein, es trotzdem vorzugeben.
„Ungefähr einhundertfünfzig", antwortete Hinner folgsam. „Es gibt noch ein Dutzend Katen weiter draußen, in der die Kleinbauern mit ihren Familien wohnen."
„Krieger?"
„Evan ist da."
„Evan?"
„Er ist Herr Inmers Schwertmann. Kümmert sich um die Sicherheit und hat einige Männer unter Waffen. Evan war schon immer hier und vertritt Inmer, wenn er auf Reisen ist. Wenn Gefahr droht, müssen jedoch alle gesunden Männer ran."
Thranduil verschränkte die Arme vor der Brust. Nur leicht neigte er den Kopf in Hinners Richtung, ohne dabei den Blick von seinem Ziel vor sich in der Dunkelheit zu nehmen. „Und jetzt will ich wissen, woher du dich so gut auskennst."
Hinner machte gar nicht erst den Versuch, ihm auszuweichen. Seitdem sie losgeritten waren, hatte er eine höllische Angst vor Thranduil und der König tat nichts, um diese Angst zu mindern. Sie war durchaus berechtigt.
„Ich habe eine Weile hier gelebt. Meine Mutter hatte Arbeit in der Weberei."
„Ah, das erklärt einiges. Warum bist du fortgegangen?"
„Sie hat einen der Händler geheiratet, die hier öfter einkehren und ist mit ihm Richtung Norden gezogen. Ich konnte ihn nicht leiden."
„Noch weniger als Derk?"
„Ich wusste sonst nicht wohin. Hier wollte ich auch nicht bleiben."
Thranduil betrachtete nun doch einen Moment die verstockte Miene dieses Kindes. Sterbliche waren so unüberlegt in ihren Handlungen, dass es ihn grauste. Kein Wunder, dass sie ständig von einem Verderben ins nächste schlitterten. Nein, Thranduil hegte wirklich keine freundschaftlichen Gefühle für den Großteil der Zweitgeborenen und die augenblickliche Lage war keineswegs geeignet, etwas daran zu ändern.
„Ich denke, wir können jetzt weiterreiten", meinte Forlos leise. „Bis wir dort anlangen, dürften bereits alle schlafen."
„Was werdet Ihr mit den Leuten machen?" fragte Hinner zögerlich.
Thranduil ließ sich Zeit mit der Antwort. Er stieg auf sein Pferd und wartete, bis Forlos den Jungen wieder vor sich gesetzt hatte.
„Kommt darauf an", sagte er dann kryptisch und brachte sein Pferd mit einem leisen Zuruf dazu, sich wieder in Bewegung zu setzen.
Es hing von sehr vielen Faktoren ab, wie sie weiter vorgehen würden. Eigentlich waren nur zwei Dinge wirklich unveränderlich: Varyas Befreiung und Inmers Tod. Der Rest konnte erst entschieden werden, wenn sie nah genug an Talbruch heran waren, um wirklich einen erfolgversprechenden Plan zu machen.
Kaum hatten sie einige Zeit später die Pferde zurückgelassen und waren bis an eines der äußeren Gebäude herangeschlichen, einen niedrigen Schuppen, aus dem es nicht sehr angenehm roch, fegte die erste Unwägbarkeit heran wie ein Schlag ins Gesicht. Eigentlich ritt sie in Form einer ganzen Horde grimmiger Männer in den Innenhof dieser ringförmigen Gutsanlage. Einige von ihnen hatten Fackeln in den Händen und warfen so ein recht gutes Licht auf die sechs Gefangenen, die sich in ihrer Mitte befanden.
„Ich schätze, Elronds Verhandlung war nicht sehr erfolgreich", murmelte Forlos.
Thranduil unterdrückte ein Stöhnen, als Glorfindels leicht zusammen gekrümmte Gestalt erkennbar wurde. Der Vanya rutschte förmlich von seinem Pferd und wäre zu Boden gefallen, wenn Elrond nicht bereits bei ihm gewesen wäre, um ihn aufzufangen.
„Sie sind nicht gefesselt", stellte Forlos überrascht fest. „Nur entwaffnet."
Es war tatsächlich so, wie der Hauptmann behauptet hatte. Thranduil runzelte leicht die Stirn. Vier seiner Leibwachen waren bei den beiden Elbenfürsten und es war sicherlich nicht ihre Art, sich so ohne weiteres zu ergeben. Betrachtete man ihre finsteren Mienen, stammte die Idee auch nicht von ihnen. Es konnte nur Elronds unendlicher Weisheit entsprungen sein, sich kampflos in die Hände der Menschen zu geben. Möglicherweise nicht ganz mit Zustimmung Glorfindels, so sehr musste dieser nun von Elrond gestützt werden, als man die Gefangenen durch eine breite Doppeltür in das Haupthaus führte.
Thranduil brauchte nicht sehr lange, um seine Entscheidungen zu treffen.
„Ihr findet heraus, wo die Waffen sind und schafft sie wieder heran", befahl er zwei Kriegern, dann deutete er auf zwei weitere. „Ihr müsst versuchen, zu den Gefangenen unbemerkt vorzudringen. Zeigt ihnen, dass wir in der Nähe sind und kehrt dann hierher zurück. Forlos, Ihr kommt mit mir."
„Und ich?" wollte Hinner mit dünner Stimme wissen.
„Du wartest hier." Thranduil überlegte einen Moment. „Nein, du begleitest die beiden, die die Waffen suchen sollen und wehe dir, du machst nicht genau das, was sie dir sagen. Ihr anderen postiert Euch so, dass Ihr Verwirrung stiften könnt und zwar gründlich. Forlos wird Euch ein Zeichen geben."
Mehr brauchte er nicht zu erklären. Die Tawarwaith hatten ihre besondere Methode, Verwirrung zu stiften, die sich bislang immer bewährt hatte und hier würde es nicht anders sein. Sie warteten noch, bis sich auch der letzte Reiter vom Hof entfernt hatte und relative Ruhe eingekehrt war, dann bewegten sich die Elben lautlos an den Gebäuden entlang zu ihren Zielen.
Thranduil war sich absolut sicher, dass Varya im Hauptgebäude sein würde. Er wusste es, er spürte ihre Nähe, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum. Noch während er mit Forlos an einem Stallgebäude vorbei auf den Haupttrakt zu glitt, zog ein schmaler Lichtstreifen aus einem der oberen Fenster direkt an der Seite des Gebäudes seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein quadratisches Fenster, die Vorhänge von innen zugezogen. Eine Nachlässigkeit sorgte dafür, dass ein schmaler Spalt offen geblieben war. Wenn er die ganze Architektur des Gebäudes richtig einschätzte, dann gehörten noch zwei weitere dieser Fenster zu einem einzigen Raum, einem sehr großen Raum.
Im Winkel zwischen dem Haupttrakt und einem etwas niedrigeren Gebäude blieb Thranduil stehen.
„Dort hinauf?" erkundigte sich Forlos, der der Blickrichtung seines Königs wohl gefolgt war. „Wir werden über das Dach müssen."
„So scheint es", murmelte Thranduil. „Denn ich denke nicht, dass der Haupteingang für uns die bessere Wahl wäre."
„Ich liebe Rosenspaliere." Selbst im Schatten war Forlos breites Grinsen zu sehen. „Gewährt mir den Vortritt."
Forlos wartete das Einverständnis gar nicht erst ab, sondern stieg bereits schnell und sicher an einem breiten Rosenspalier auf, das hier die ganze Wand bis hinauf zur Dachkante bedeckte. Oben angekommen, schwang er sich über die Kante geräuschlos auf das mit Holzschindeln bedeckte Satteldach und nickte dem wartenden Thranduil dann auffordernd zu.
Der Aufstieg war einfacher als so manche Kletterei auf einem der Bäume seines Heimatwaldes, befand Thranduil. Eines musste man Inmer schon lassen, dieses Spalier war einwandfrei gepflegt und sicher in der Wand verankert. Die Rosen daran verströmten zwar einen wundervollen Duft, wimmelten aber gleichzeitig von Dornen. Thranduil hörte das leise Ratschen, mit dem die Dornen über seine Kleidung strichen und stellte nicht zum ersten Mal in seinem Leben fest, dass die Jagdkleidung seines Volkes enorm widerstandsfähig war. Ohne auch nur den kleinsten Kratzer landete er neben Forlos auf dem Dach des flacheren Gebäudes und lief dann mit ihm zusammen geduckt bis zu dem Punkt, an dem das Haupthaus angrenzte.
In Brusthöhe begann das Fenster, das ihn so magisch angezogen hatte. Er versuchte durch den schmalen Spalt etwas zu erkennen, doch mehr als einen Tisch auf der gegenüberliegenden Wand in einem nur mäßig erleuchteten Raum konnte er nicht ausmachen. Nichts schien sich in dem Raum zu rühren, nicht einmal Geräusche waren zu hören.
„Ist sie da?" fragte Forlos unruhig.
„Ja." Er war sich immer noch sicher. „Aber ich kann nicht erkennen, wo und wie viele noch bei ihr sind."
Gerade als er sich entschloss, kurzerhand das Fenster aufzubrechen, kam Bewegung auf der anderen Seite auf. Der Vorhang bewegte sich ein bisschen, als wäre eine Tür geöffnet worden und hätte die Luft im ganzen Raum in Bewegung versetzt. Der Spalt wurde etwas breiter und Thranduil erstarrte.
Elrond war eingetreten, hinter ihm stand Inmer. Der Elbenlord blieb genau vor dem Tisch stehen, ließ seinen Blick einmal kurz zum Fenster gleiten, als wüsste er genau, wer dort lauerte und wandte sich dann nach rechts.
Der von der Scheibe gedämpfte Aufschrei ließ Thranduil zusammenzucken. Eine nur allzu vertraute Gestalt stolperte durch den Fensterausschnitt. Im nächsten Moment zog Elrond Varya dicht an sich, legte schützend seine Arme um sie und drehte sich dann mit der Ithildrim dem Fenster zu.
„Wenn es je einen guten Zeitpunkt gab, dann diesen", hörte Thranduil seine Worte leise aus dem Raum herüberklingen.
Forlos stieß die Klinge seines Schwertes in die Ritze, an der die Fensterflügel aufeinander trafen, schlug mit einer schnellen Aufwärtsbewegung den inneren Riegel nach oben und beide Elben setzten gleichzeitig mit einem Sprung durch das Fenster.
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„Es geht schon!" knurrte Glorfindel mit zusammen gebissenen Zähnen und schüttelte die Hand des Tawarwaith ab, der ihn mehr oder weniger von Elrond übernommen hatte, als dieser von Inmer aufgefordert wurde, die anderen Gefangenen zu verlassen und ihm zu folgen.
„Dann setzt Euch wenigstens", verlangte der Krieger und drückte ihn gegen die Kellerwand. „Das war ein mächtiger Schlag, den Ihr da eingesteckt habt, Lord Glorfindel."
„Und völlig überflüssig." Glorfindel war unglaublich wütend. Er hatte gewusst, dass es eine Falle war und dennoch war er wie ein Schaf hinter Evan hergeritten, nur um auf einem Stück Hohlweg plötzlich von allen Seiten von Angreifern umringt zu werden. Vielleicht hätten sie ja doch noch eine Chance gehabt, die Tawarwaith jedenfalls waren gleich ihm mehr als kampfbereit gewesen. Die Tawarwaith, Elrond hingegen hatte völlig ruhig auf seinem Pferd gesessen und sich gefangen nehmen lassen. Glorfindels Versuch, seinen alten Freund aus dem Pulk Angreifer herauszumanövrieren, hatte damit geendet, dass man ihm mit diesen fiesen Knüppeln fast in den harten Boden geprügelt hatte.
Diese verdreckten Wegelagerer hatten tatsächlich den Dolch in seinem Stiefelschaft aufgestöbert und konfisziert. Der andere an seinem Gürtel, den er in Esgaroth erstanden hatte, war ihm beinahe als erstes von einem schmierigen Kerl mit einem gierigen Funkeln in den Augen entrissen worden. Wenn man bedachte, wie kurz er diese Waffe erst sein eigen nannte, hatte sie ihm bereits mehr als gute Dienste geleistet und er war wild entschlossen, sie sich wieder zurückzuholen.
Glorfindel schätzte, dass es genau ein Schlag auf den Kopf zuviel gewesen war, sonst wäre ihm jetzt nicht so schwindelig. Obwohl er es hasste, gaben seine Beine nach und er rutschte an der Wand entlang zu Boden. „Wo sind wir hier eigentlich?"
„Im Keller."
Misstrauisch sah Glorfindel zu dem Krieger hoch. „Sehr komisch. Müsst Ihr erst eine Prüfung in trockenem Humor ablegen, bevor Ihr zur Leibwache Thranduils dürft?"
„Bogenschießen und Schwertkampf reicht", meinte ein anderer aus dem Hintergrund. „Der Rest kommt von alleine."
„Oder man lässt sich an die Grenze versetzen", ergänzte ein weiterer.
„So wie Caeril", spottete der Elb vor Glorfindel. „Da ist es dann ruhiger."
„Solange der Kronprinz keine Eskorte nach Rhûnar braucht, Himithren", lachte auch der letzte im Bunde auf.
„Darf ich die Anwesenden kurz wieder an unsere Lage hier erinnern", mischte sich Glorfindel ein.
„Könnte besser sein."
„Aber auch schlechter."
„Wir sind ohne Waffen."
„Aber auch ohne Fesseln."
„Schön, ich fasse zusammen", begann Glorfindel nochmals sehr betont. „Wir befinden uns in einem Keller, ohne Waffen, ohne Fesseln und ohne LORD ELROND!"
Aber dafür mit vier eigentümlichen Leibwächtern, die sich entlang der Wände aufgestellt hatten, soweit das die Holzregale zuließen, in denen Einmachgläser mit Obst gestapelt waren. Warum war ihm eigentlich nicht vorher aufgefallen, dass diese Tawarwaith nicht völlig normal waren? Wahrscheinlich lag es daran, dass sie bisher kaum den Mund aufgemacht hatten.
„Zumindest verhungern wir nicht", murmelte jetzt auch noch einer von ihnen, nahm eines der Gläser aus dem Regal und öffnete es kurzerhand. „Pfirsiche. Noch jemand?"
„Wie könnt Ihr jetzt nur…?"
„Der König ist bereits in der Nähe", unterbrach ihn der Krieger, der ihn an der Wand abgestellt hatte, mit sanfter Stimme. „Wir wissen immer, wenn Thranduil da ist, Lord Glorfindel. Er wird nicht lange zögern, uns hier herauszuholen. Also nehmt es mit Geduld."
„Esst ein Stück Pfirsich", nuschelte der verfressene Elb mit dem Einmachglas. „Die sind wirklich gut."
„Später", wehrte Glorfindel schwach ab. Er schloss die Augen und versuchte irgendeine Stelle seines Kopfes an der Wand abzustützen, die nicht schmerzte.
Vielleicht war ihre Lage wirklich nicht so schlecht, wie es ihm unter all seinen Kopfschmerzen erschien. Die Angreifer waren in der Überzahl gewesen und ohne Elronds überraschend schnelle Kapitulation wären die Elben sicher mit einigen Verletzungen aus dem Kampf hervorgegangen. Sie hätten verloren, erkannte er widerstrebend. So hatte Elrond jedoch Evan die Zusicherung abgerungen, dass man sie weder fesseln noch vorsichtshalber zusammen schlagen würde. Gut, sie saßen in diesem Keller fest, aber sie waren zumindest alle in guter Verfassung. Fast alle…Glorfindel hasste Kopfschmerzen.
Viel Zeit konnte nicht vergangen sein, als vor dem nur handbreiten Fenster kurz unter der Decke ein leises Zischen ertönte. Sofort waren die Waldelben wieder angespannt wie Federn. Eine kaum verständliche Unterhaltung in ihrem fremden Dialekt wurde kurz mit dem Elb am Fenster geführt, dann war wieder Ruhe.
„Unser König ist mit Hauptmann Forlos bereits oben auf dem Dach, um die Heilerin zu befreien", erfolgte eine hastige Übersetzung durch Himithren für Glorfindel. „Unsere Waffen werden gleich gebracht und man wird ein Ablenkungsmanöver starten. Fühlt Ihr Euch wieder stark genug für einen Ausbruch?"
Glorfindel bedachte den Elb mit einem kühlen Blick. „Ihr werdet mich kaum tragen müssen. Helft mir hoch."
Er ließ sich auf die Beine ziehen, atmete einige Male tief durch und konzentrierte sich auf seine eigene, innere Kraft. Ganz langsam spürte er, wie die Schmerzen und der Schwindel vergingen. „Gut, wir müssen sofort Elrond und Varya finden, wenn wir die Tür aufgebrochen haben."
„Am besten folgen wir der wütenden Stimme unseres Königs", nickte ein Tawarwaith.
Glorfindel hielt es für einen Vorschlag, der aus langer Erfahrung geboren war und lächelte erstmals wieder. „So ähnlich."
Kurz darauf wurden in schneller Folge ihre Waffen durch die Fensteröffnung geschoben. Auf einigen waren frische Blutspritzer zu erkennen und man brauchte wenig Phantasie, um zu erkennen, dass die Sterblichen ihre wertvolle Beute nicht freiwillig wieder abgegeben hatten. Vielleicht hatten Thranduils Krieger auch gar nicht erst gefragt. Glorfindel machte sich deswegen keine großen Gedanken. Umso weniger von den knüppelschwingenden Männern übrig waren, desto besser.
Es war ein sehr beruhigendes Gefühl, das eigene Schwert und vor allen Dingen auch seine Dolche wieder zurückzuhaben. Lange konnte er sich jedoch nicht an diesem Gefühl erfreuen, denn von irgendwo her war nun das Geräusch splitternden Glases zu hören und auch eine durch die Entfernung zwar nur leise, aber sehr bekannte Stimme.
Die Leibwachen Thranduils brauchten kein weiteres Signal mehr, um die schmale Treppe hinaufzustürmen und die Kellertür einzutreten.
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Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sein Herz hier an diesem Ort vor Freude gesungen. Galen liebte die Bucht schon seit seiner Kindheit. Er hatte viele Sommer hier verbracht und war nicht nur einmal mit den Fischern in ihren Booten raus auf das Binnenmeer gefahren, um Jagd auf die riesigen silbernen Fische zu machen, die in kleinen Schwärmen dicht unter der Oberfläche dahinzogen.
Jetzt lagen alle Boote kurz vor dem Kiesstrand. Auf einigen von ihnen waren bereits die Fischer dabei, sie klar zu machen. Gepäck wurde verladen und immer wieder liefen Rhûna mit schnellen Schritten hinauf zu den aus Steinen und Holz errichteten Häusern, die sich so harmonisch in die Strandlinie einfügten.
„Es behagt mir nicht, alles diesen Ratten zu überlassen", drang Ailindals raue Stimme zu Galen vor.
Die Worte waren nicht an Elladan und Legolas gerichtet, die vor ihm standen, sondern an Galen selbst, der sich nun wieder zum Anführer ihrer Fischer umdrehte und traurig lächelte.
„Eine Wahl haben wir nicht, Ailindal", erklärte Galen, obwohl Elladan bereits sehr ausführlich die Gefahr geschildert hatte, die mit Einbruch der Dämmerung dem Dorf drohte. „Sie werden ihren Häuptling zurückholen wollen und warten einfach nur noch, bis die Helligkeit genug geschwunden ist, sie nicht mehr so zu quälen."
Ailindal musterte ihn schweigend. Um seine grauen Augen waren zahllose winzige Falten wie Strahlen an den Augenwinkeln angeordnet. Lange, lange Jahre an der spiegelnden Oberfläche des Binnenmeeres hatten bei fast allen Fischern dazu geführt, dass sie ihre Welt aus schmalen Augen und mit einem irgendwie immer in die Ferne gerichteten Blick betrachteten. Auch war Ailindals Haut weit dunkler als die jedes anderen Elben, den Galen kannte. Die Fischer waren eine Gruppe für sich und wenn ihnen Galen nicht schon so lange vertraut gewesen wäre, hätten sie auf die Warnungen der anderen keineswegs so schnell reagiert.
„Es ist nicht für immer", sprach Galen beruhigend weiter. „Zieht euch für einige Tage zu den Ansiedlungen weiter oben im Osten zurück, dann entgeht ihr den Nârandir."
Ailindal schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass diese Obstsammler dort uns auf die Nerven gehen. Dauernd singen sie und verbreiten kindischen Frohsinn. Sie trinken zuviel von ihrem eigenen Apfelwein. Wir werden an Carags Nordstrand anlegen. Von dort können wir beobachten, was hier passiert."
Alle folgten der Richtung, die er mit dem ausgestreckten Arm angab. Weit draußen auf dem Binnenmeer war gerade noch die nicht sehr einladende Silhouette der einzigen Insel dieses Gewässers zu erkennen.
„Fischfänger nisten dort", erinnerte ihn Galen.
„Dann haben wir eben Abwechslung auf dem Speiseplan", wischte Ailindal seinen Einwand mit einem sparsamen Lächeln beiseite. „Meine Sorge gilt dir mehr als mir, Meister Galen. Ich hoffe, du weißt, was du da vorhast. Und Ihr auch."
Die letzten Worte waren an Elladan und Legolas gerichtet, die die Unterhaltung schweigend verfolgt hatten. Jetzt neigte Legolas nur den Kopf, während Elladan einfach mit den Schultern zuckte.
„Wir haben kaum eine andere Wahl", erklärte Elronds Sohn. „Binter wird noch eine Weile brauchen, bis er diesen Häuptling versteht."
„Es würde allerdings helfen, wenn unser Gefangener nicht mehr geknebelt wäre", murmelte Legolas.
„Wartet, bis wir weg sind", sagte Ailindal mit einer Grimasse. „Sein Geschrei ist wirklich noch unerträglicher als sein Gestank. Hier, Meister Galen, die wirst du brauchen, sonst steht ihr vor dem Tor und hinter euch würfeln die Nârandir bereits um ihren Anteil an euch allen."
Damit griff er in den Ausschnitt seiner Tunika und zog eine Goldkette hervor, an der zwei handlange, sehr aufwendig gefertigte Schlüssel hingen. Er legte sie Galen in die Hand und machte sich dann mit einer knappen Verbeugung davon. Von den Booten hatten bereits fünf abgelegt und das sechste wartete nur noch auf ihn. Galen wünschte den Fischern im Stillen Erus Segen, denn der Weg über das Binnenmeer war nicht so gefahrlos, wie Ailindal es hingestellt hatte und die Fischfänger auf Carag würden ihrerseits die Abwechslung in ihrem Speiseplan begrüßen. Ailindal und seinen Männern stand eine gefährliche Zeit bevor, gefährlicher noch als sonst bei ihren Ausfahrten.
Legolas blickte leicht verträumt den Fischerbooten hinterher. „Das Meer..."
„Binnenmeer", berichtigte Elladan trocken und zog den Waldelben hinter sich her auf den Rest ihrer traurigen Truppe zu, der im Schatten eines der Häuser wartete. „Vergiss es, Legolas! Wenn du von hier nach Valinor aufbrechen willst, bist du in tausend Jahren noch nicht da."
„Wir haben nicht einmal richtige Gezeiten", ergänzte Galen freundlich. „Es ist eher ein großer See."
„Voller unfreundlicher Bewohner", schmunzelte Amonir, der die letzten Worte gehört hatte. „Ihr hättet keine Freude daran, es sei denn, Ihr kämpft gerne mit vielarmigen Ungeheuern."
„Schon gut", wehrte Legolas ab. „Ich habe es ja jetzt verstanden. Also, was nun? Wir haben vielleicht noch vier Stunden, dann geht die Sonne unter und die Nârandir werden hier einfallen."
„Ganz genau." Nicht nur Elladan auch alle anderen bis auf Amonir natürlich starrten Galen abwartend an. „Verrätst du uns nun dieses Geheimnis, von dem ihr hier die ganze Zeit nur rumdruckst?"
Amonir machte eine zustimmende Geste und nickte Galen zu, der schwer seufzte und etwas mit den Schlüsseln herumklirrte.
„Es gibt am Ende der Bucht einen Zugang in einen Tunnel, der direkt hinauf zur Quellstadt führt." Galen hoffte nur, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die geheimen Wege der Rhûna, von denen es nicht nur diesen gab, unterlagen dem strengsten Schutz seines Volkes. Noch nie hatten Fremde sie betreten, abgesehen von dem unseligen Zwischenfall mit Ecidion. Allerdings waren auch noch nie Fremde zu Gast in Rhûnar gewesen, also verstieß er möglicherweise nicht wirklich gegen ein ungeschriebenes Gesetz. „Es sind Fluchttunnel. Sie wurden allerdings auch schon benutzt, um Verstärkung bei Angriffen von Ostlingen heranzuschaffen."
„Geheimniskrämer", murmelte Estel freundlich. „Wir erzählen es niemandem."
„Das weiß ich", erwiderte Galen hastig. „Wie soll es denn jetzt mit ihm weitergehen?"
Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den Nârandir-Häuptling, der dank eines festen Stoffknebels endlich aufgehört hatte, wie ein Verrückter nach seinen Leuten zu kreischen. Jetzt saß er an der Häuserwand, blinzelte ab und zu böse die Elben an und beschränkte sich ansonsten darauf, den großen Fisch anzustarren, der an einem Gestell am Ufer hing und eigentlich darauf wartete, von Ailindals Fischer verarbeitet zu werden. Er würde verrotten und das war wirklich eine Schande.
„Vielleicht hat er Hunger?" überlegte Binter, der zunehmend nüchterner wurde. „Ich könnte auch was vertragen."
„Später", wehrte Elrohir ab. „Solange uns diese Rattenmenschen im Nacken sitzen, sollten wir uns erst einmal um unsere Flucht kümmern. Elladan, du nimmst den Häuptling. Galen, brauchen wir noch irgendetwas von hier? Wasser oder Proviant?"
„Die Strecke lässt sich in einem Tag bewältigen und Wasser gibt es unterwegs genug."
„Wie schön, dann schlage ich vor, wir setzen uns endlich in Bewegung."
Galen sah zu Amonir, der voller Unschuld seine Stiefelspitzen musterte.
„Galen?" Elrohir baute sich vor ihm auf und sah mit drohend zusammen gezogenen Augenbrauen auf ihn hinunter. „WAS noch?"
Galen hasste es, wenn er seine Ähnlichkeit mit Elrond so bewusst einsetzte, um ihn einzuschüchtern. Er hasste es ganz besonders, weil es immer funktionierte. „Der Eingang liegt am Ende der Bucht, versteckt und geschützt."
In Elrohirs Augen braute sich eine Sturmfront zusammen. „Womit geschützt?"
„Buchtkrokodile."
Elrohirs Hände krallten sich in Galens Weste und er zog den Rhûna sehr dicht zu sich heran. „Wie groß, wie viele?"
„So groß wie der Fisch da und wohl zwei Dutzend", hauchte Galen.
„Wie kommt es, dass dein Volk einen Fluchttunnel von Monstern bewachen lässt, die Elben fressen?" erkundigte sich Elrohir mit flacher Stimme. „Findest du nicht auch, dass das ein wenig paradox ist?"
„Wir werfen ihnen normalerweise Fischköder hin, die mit einem schnellwirkenden Schlafmittel getränkt sind", erklärte Amonir an Galens Stelle. „Leider ist vor drei Wochen der Blitz in die Hütte eingeschlagen, in der das Mittel aufbewahrt wird und Gilnín kam wohl noch nicht dazu, neues herzustellen und schicken zu lassen."
„Gilnín", knurrte Elladan. „Wahrscheinlich ist das Mittel rot und er wird bei der Herstellung dauernd ohnmächtig."
„Hilft ja alles nichts", verkündete Estel achselzuckend. „Dann müssen wir eben so an ihnen vorbei. Ein Gutes hat es wenigstens, die Nârandir werden uns kaum folgen können."
Seine Brüder starrten ihn wütend an. Schließlich ließ Elrohir Galen los und deutete auf ein Gestell voller Speere, das an der Hauswand befestigt war. „Jeder nimmt sich davon einen. Sonst noch Überraschungen, Galen?"
„Nein", schwindelte der Rhûna erst einmal. So schlimm war ja auch nicht, was sie noch erwartete. Jedenfalls um Längen harmloser als die Buchtkrokodile.
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tbc
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Serena: Ja, ich hätte neben ihm gehangen und den Waldboden gefüttert. Was die Weinkeller-Szene angeht. Das war ja nun Varyas Sicht der Dinge – bis zum Filmriss. Thranduil war nüchtern und erinnert sich an durchaus mehr !fiesgrins!
Vater oder Sohn, wer merkt da schon den Unterschied?
Shelley: Kann man überhaupt leise würgen? Egal. So, was die Hitze im Zimmer angeht. Zwei Überlegungen hatte ich da. Zum einen erinnere ich mich dunkel, dass Brandopfer Probleme mit dem Halten der Körpertemperatur haben und deswegen die Räume fast bis auf 36 Grad aufgeheizt wird. Andererseits dürfte diese eher moderne –hüstel- Erkenntnis diesen Landjungs wohl noch nicht so bekannt gewesen sein. Im Mittelalter wurden Krankenzimmer aber nie genug gelüftet, sondern schön aufgeheizt und dann auch noch so geniale Sachen wie Weihrauch abgebrannt. Vielleicht, damit der Arzt durch die Rauchschwaden sein Opfer nicht so schnell findet. Daran hab ich mich eigentlich entlanggehangelt.
Hey, Thranduil hat jetzt wenigstens so halb schon mal nachgefragt. Der Rest kommt auch noch.
Ithiliell: Häng dich auch neben uns über den Baumstamm –kicher-. Gemeinsames Leid erträgt sich besser. Lianna ist kein sehr hoffnungsvoller Fall und ob Elrond sich nicht mehr für Varyas Wohlergehen interessiert, ist noch die Frage. Thranduil macht auch sehr viel Vergnügen – zu schreiben, meine ich.
Sarah: Gute Frage...übergeben sich Elben? Hab ich eigentlich noch nie drüber nachgedacht. Wenn sie im Dunstkreis eines Drachen sind vielleicht, aber sonst? Forlos ist ein Elb, weich sind die bestimmt nicht. Außerdem ist Forlos sauer und war in Mordor, das schleift wohl die Manieren etwas ab. Oder nicht? !grübel! Ist Forlos zu hart?
Warum zweifelt hier eigentlich jeder an Binter? Er säuft, aber das heißt doch nicht, dass er keine verborgenen Talente hat !hüstel!
Elrond will wohl einfach schnell nur in Varyas Nähe. Und Glorfindels Rippen? Tja, frag lieber was mit Glorfindels Schädel ist. !kicher!
feanen: Kampfbesichtigung und Kampftrinken. Studienfahrt, gelle? All die schönen Plätze besichtigen, und die schönen Tavernen !hüstel!. Da hast du den Vorkoster für Thranduil gemacht, schätze ich. Hoffentlich hattet ihr schönes Wetter.
das Einhorn: Sie sind aber länger geworden und werden noch etwas länger. Ich habe Vorsprung, da klappt das mit der Regelmäßigkeit. Sonst wäre ich zu nervös. Manchmal hängt man ja auch an einer Stelle und das würde mich irre machen, wenn ich nicht rechtzeitig posten könnte.
Amélie: Glaub mir, Elrond braucht wohl einen recht großen Teil deines Mitleides. Erestor nimmt Formen an. Thranduils Rache ist auch ein netter Titel. Jetzt fehlt mir nur noch die passende Story dafür. Nein, ich denke nicht weiter darüber nach, nein
Das mit der Flüssignahrung auf der ganzen Welt kann jeder Tourist genauso !kicher!. Das ist immer das erste, was man drin hat.
Erdbeerblüte? Kann das jemand übersetzen? Ich schmeiß mich weg. Und die Vorstellung von Jung Aragorn mit tellergroßer Blüte im Haar würde selbst Arwen dazu bringen, sich ihre Heiratspläne nochmals genauer anzusehen.
Atropos: Dann hat sie wohl Ähnlichkeit mit unserer Katze !kicher!. Die kleinsten Geschöpfe machen die lautesten Geräusche. Norddeutschland ist recht windig. Die Bäume meiner Eltern haben alle Schlagseite. Sieht ulkig aus.
Galen hat bei solchen Sachen die Ruhe weg. Varya würde wahrscheinlich noch einen Geschmackstest machen. Die beiden sind eben…anders. Ja, Hinner ist ein netter Junge, Binter ein Genie und sie alle wurden aus geheimnisvollen Gründen, die anfangs nicht einmal der Autorin bekannt waren, eingefügt. Wie sag ich immer, wenn ein Chara schon einen Namen hat, ist es schmerzlich, ihn platt zu machen !grins!
Jetzt ist Haldir schon unterwegs !schmoll!
