Chapter 15: Überleben

(Third possible end)

Dunkelheit. Flackerndes goldgelbes Licht. Lange finstere Schatten. Einsamkeit.

Harry Potters Augen überflogen den kurzen Brief nun schon zum hundertsten Mal, doch der Inhalt wollte sich einfach nicht ändern. Stur und stolz standen sie da, die Worte in schwarzen Lettern, handschriftlich geschrieben; ein kleiner Tintenklecks auf dem Papier kündet von der Hast in der er geschrieben wurde. Er war nur einer von vielen, unbedeutend in der Masse, formal formuliert, wie tausend andere vor ihm, nur der Name war geändert worden, vielleicht die Uhrzeit. Harry hatte viele dieser Briefe erhalten, hatte sie meist gleichgültig, manchmal auch triumphierend entgegen genommen. Doch heute wünschte er sich nichts mehr, als dass er diesen Brief zerreißen, verbrennen und damit die ganze Sache nichtig machen konnte. Doch das war nicht möglich. Die Sache wurde nicht einfach vergessen, nur weil er den Brief vernichtete. Es würde einfach geschehen ohne dass er Einfluss darauf nehmen konnte.

Resigniert nahm er seine Brille von der Nase und rieb sich mit einer Hand über die müden Augen, ehe er sein Sehgestellt zurück an seinen Platz setzte und den Brief erneut aufnahm und noch einmal las.

Draco Lucius Narciss Malfoy (ID: 032180155), Sohn von Lucius Kaine Malfoy und Narcissa Mirabelle Lestrange, wird des Verbrechens angeklagt Anhänger des Unennbaren zu sein und unzählige Morde an Unschuldigen begangen zu haben (siehe: Zert.Nr. M/MALFOYJ/155/DE/03/1980). Er wird hierfür am 13.04.2004 ohne Verhandlung nach Askaban überführt. Eine vorherige Befragung unter Veritaserum findet um 9 Uhr in Abteilung T Raum 33 statt.

Sicherheitsstufe: 3

Zuständige Auroren: Harold James Potter, Hermione Katherine Granger

Gez. J.M. Gordon

Abteilung für Strafangelegenheiten

Zaubereiministerium

Harry ließ den Brief erneut auf den Tisch sinken. Mit zitternden Händen griff er nach der angeführten Akte und schlug sie auf.

Zert.Nr. M/MALFOYJ/155/DE/03/1980

Name: MALFOY, Draco Lucius Narciss

ID: 032180155

Geboren: 21.03.1980

Verstorben: -

Vater: MALFOY, Lucius Kaine

ID: 0392856457

Geboren: 05.09.1963

Verstorben: 20.11.2003

Mutter: LESTRANGE, Narcissa Mirabelle

ID: 0493112539

Geboren: 02.02.1965

Verstorben: 08.01.1996

Andere Familienmitglieder:

Keine

Status: ledig

OWL: Outstanding, 91% (Hogwarts SWW)

NEWT: Outstanding, 94% (Durmstrang)

Mordverdächtigungen (nicht bewiesen)

C. Mortenson/suspected DE (11.08.1997)

S.A. Templeton, H. Templeton/Aurors (19.04.1999)

L. Bleak, H. Smith, M. Smith, K. Winter, P. King/Muggels (25.05.2002)

Nachgewiesene Morde

L. K .Malfoy/suspected DE (20.11.2003)

Gefasst am 13.03.2004

(widerstandslose Gefangennahme)

Wie hatten sie ihn nur zu fassen gekriegt? Draco war seit gut 6 Monaten einfach spurlos verschwunden. Es kursierten bereits Gerüchte über seinen Tod. Und nun hatten sie ihn gefasst. Wie? Wie zum Teufel hatten sie ihn fangen können? Er war doch sonst wie ein Schatten, wie ein flüchtiger Windhauch, den man nicht greifen, nur kurz spüren konnte.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken.

„Harry?" Hermione steckte ihren Lockenkopf zur Tür herein und lächelte. „Bist du so weit?"

Ich warf einen erschrockenen Blick auf die Uhr. War es wirklich schon so spät. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, hatte vor mich hingebrütet und gar nicht gemerkt, dass es schon wieder morgen war. In einer Stunde würde seine Befragung beginnen an der ich teilnehmen sollte. Reine Fassade, das wusste ich. Die wahren Verhöre, an denen die Öffentlichkeit nicht teilnehmen durfte, waren längst in stillen dunklen Hinterkämmerchen durchgeführt worden. Mit fiesen dreckigen Mitteln, versteht sich.

In welcher Verfassung würde er heute sein?

Eine steile Falte erschien auf meiner Stirn.

Hermione trat nun vollständig ein, schloss die Tür hinter sich und trat neben mich.

„Alles ok, Harry?" Sie warf mir einen besorgten Blick zu. Ihr durften meine dunklen Augenringe nicht entgangen sein.

Als ich nichts erwiderte seufzte sie leise. „Oh Harry, es ist wegen ihm, nicht wahr. Du kannst ihn immer noch nicht vergessen."

Ich nickte leicht. Hermione konnte man eh nichts vormachen. Sie durchsah all meine Lügen. Wir kannten uns einfach zu lange. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl sie wusste besser über mich Bescheid als ich selbst.

„Sie werden ihn nach Askaban bringen, Mione. Er hat dieses Schicksal nicht verdient. Du weißt, dass er nie ein Todesser werden wollte."

Sie legte ihr Arme von hinten um Harrys Taille und stützte ihr Kinn auf seine rechte Schulter.

„Getötet hat er dennoch, Harry", meinte sie mit ruhiger Stimme.

„Weil er musste", erwiderte Harry verteidigend. „Was hatte er denn für eine Wahl?"

Hermione seufzte leise. „Das weißt du doch überhaupt nicht. Du lässt dich von deinen Gefühlen irre leiten."

„Achja?" Harry löste sich aus ihrer Umarmung und drehte sich zu ihr um. Starr blickte er ihr in die Augen. „Wenn ich richtig gelesen hab hat er die kürzeste Liste an Mordverdächtigungen überhaupt. Nachgewiesen wurde ihm sogar nur ein Mordfall und das war sein Vater. Ein Mord, dem man ihm verzeihen kann. Er hat der Menschheit sogar vielmehr einen Gefallen getan." Er schürzte die Lippen bei dem Gedanken an Lucius Malfoy. Der Mann hatte stets nur Ärger bedeutet. „Die Listen anderer Todesser hingegen gehen ins Endlose.... Draco hasst es zu töten, verstehst du nicht. Er ist kein Todesser, nie gewesen. Und jetzt wollen sie ihn dafür bestrafen, dass sein Vater ihm ein Schicksal auferlegte, welches er nicht wollte."

Hermione schüttelte traurig den Kopf. Sie verstand ihren besten Freund, doch so einfach wie er das darstellte war es nicht. Malfoy hatte getötet, egal ob nun aus freien Stücken oder nicht. Ein Mord war ein Mord und musste gesühnt werden. „Harry-"

„Nichts Harry, ich habe recht und das weißt du. Du kommst nur einfach nicht darüber hinweg, dass er ein Slytherin war."

„Aber das ist doch-" Einen Moment suchte sie sprachlos nach Worten. „Das ist nicht wahr, Harry. All die Jahre die wir uns kennen. Ich dachte du kennst mich." Sie war verletzt, dass konnte er in ihren Augen lesen. Und sie hatte recht. Hermione war stets die toleranteste des Trios gewesen. Sie war eine der wenigen, die sich gegen Hausvorurteile stellte und hatte sich im siebten Schuljahr sogar mit einer Syltherin Sechstklässlerin angefreundet. Nein, Hermione hatte keine Vorurteile gegen Slytherins.

„Tut mir Leid", brummelte er eine verlegene Entschuldigung. „Es ist nur-"

Sie nickte verständnisvoll.

„Ich weiß Harry, aber es ist nicht deine Schuld. Du konntest ihn damals nicht retten. Nicht einmal Snape oder Dumbledore konnten es. Sein Vater hatte alle Vorteile auf seiner Seite, als er ihn nach Durmstrang brachte. Es ist nicht deine Schuld!"

„Aber-", versuchte er zu widersprechen, doch Hermione fiel ihm erneut ins Wort.

„Harry, du musst aufhören dich für alles Unglück in der Welt verantwortlich zu fühlen. Du bist kein Übermensch. Du kannst nicht jeden retten."

Er nickte stumm. Ja, er konnte nicht jeden retten. Aber Draco Malfoy hätte er retten müssen. Er hatte von seiner ausweglosen Situation gewusst, von all dem Leid, welches er still ertrug und in sich reinfraß, von der Allmacht seines Vaters, von der drohenden Gefahr ein Todesser zu werden. All das hatte er gewusst...und doch hatte er nicht verhindern können, dass auch noch Dracos letzte Mauern einstürzten, als man ihn der Sicherheit Hogwarts entriss und Unglück erneut über den Unglücksraben hereinbrach. Er war gezwungen ein Todesser zu werden und ein Leben zu leben, welches er verachtete.

Harry hatte versagt. Und niemals fühlte er sich so elend, wie in dem Moment, als ihm dies bewusst wurde....

Zaubereiministerium, Abteilung T Raum 33

„Ich frage Sie noch einmal", tönte die harsche erbarmungslose Stimme des Ministeriumsbeauftragten durch den Raum. „Sind Sie schuld am Tod der Auroren Samantha Aeris Templeton und Henry Templeton?"

Harry Potters Augen ruhten regungslos auf der blassen dünnen Gestalt im Zentrum der Befragung. Draco Malfoy hatte abgenommen, schrecklich. Sein aristokratisches Gesicht war hohlwangig und aschgrau, die silberblonden Haare ungekämmt und stumpf. Doch noch saß er aufrecht und stolz in seinem Stuhl. Kein Zeichen von Schwäche oder Aufgabe war in seinen müden Zügen zu erkennen, keine Resignation oder Angst. Seine grauen Augen leuchteten vor Leben und straften seine miserable äußere Verfassung Lügen. Sein Geist war noch lange nicht gebrochen.

„J-ja, ich habe die Auroren getötet", antwortete er nach einer Zeit des Ringens wahrheitsgetreu. Ein kleines rotes Rinnsal Blut lief aus seinem rechten Mundwinkel. Er hatte sich auf die Zunge gebissen, auf die Lippen, hatte versucht zu schweigen, sich gegen die Wirkung des Veritaserums zu wehren, doch umsonst. Es musste demütigend sein alles immer und immer wieder zuzugeben, obwohl seine Peiniger all ihre Antworten schon längst hatten. Mit Sicherheit gab es auch eine Antwort auf die Frage des Warums. Unter welchen Umständen hatte er die Auroren getötet? Geschah es gegen seinen Willen? Doch diese Fragen würden nicht gestellt werden. Nicht in der Öffentlichkeit. Zu leicht konnten sie als Entlastung genutzt werden, zu leicht könnte er die Freiheit wiedererlangen. Ewas, dass unter keinen Umständen geschehen durfte.

„Sie geben also zu, sie getötet zu haben."

„Ja", knurrte er bedrohlich leise.

Der Ministeriumsbeauftragte nickte zufrieden.

„Was ist mit den Morden an den vier Muggeln?" Der Ministeriumsarbeiter blätterte in seinem kleinen Notizbuch und begann die Namen der Opfer laut vorzulesen. „Lisa Bleak, Helga und Martin Smith, Karol Winter und Paul King?" Anklagend hob er seinen Blick und fixierte seinen Gegenüber, welcher hilflos mit einem Zauber an den Stuhl gefesselt war. „Haben Sie diese Muggel auf dem Gewissen, Mr Malfoy?" Die Art, wie er seinen Namen aussprach kam schon fast einer Beleidigung gleich, doch Draco war nicht in der Lage sich darüber zu beschweren. Stattdessen antwortete er diesmal ohne zu Zögern mit einem klaren eindeutigen „Nein!"

Ein Raunen ging durch die Menge. Ein zufriedenes flüchtiges Lächeln schlich sich auf Harry Potters Lippen.

„Nein?" harkte der Befrager irritiert nach? Hatten sie diese Fragen nicht alle schon einmal gestellt, um solch einer Antwort vorzubeugen? Sie konnten sich nicht leisten, dass er jetzt unter Veritaserum weiterer Morde freigesprochen wurde.

Vielleicht ließ die Wirkung des Veritaserums nach? Nein, unmöglich. Die Befragung lief gerade einmal eine halbe Stunde, wie ein Blick auf die Wanduhr bewies. Die Wirkung würde frühestens in einer Stunde verblassen. Irritiert blätterte er erneut durch seinen Block. Sie mussten diese Frage während ihrer endlosen stundenlangen Verhöre vergessen haben. Immerhin hatten sie weitaus bessere Fragen gehabt. Erniedrigende Fragen, entwürdigende Fragen, Fragen, die unter die Gürtellinie gingen. Er hatte sie alle beantwortet. Seine Zunge war blutig gebissen, sein Gesicht blau von den vielen Schlägen, die sie ihm zugefügt hatten, als er nicht schnell genug geantwortet hatte. Am Ende mussten sie ihn fast tot aus der Kammer tragen und schmissen ihn in eine dunkle Zelle. Die Ministeriumsmediziner verbrachten einen ganzen Tag damit ihn wieder für die Öffentlichkeit „herauszuputzen", damit die Schändlichkeit der vermeintlich „Guten" nicht ans Licht getragen wurde.

Er schallt sich innerlich für ihre oberflächliche Arbeit. Aber immerhin war das Geständnis am Mord der beiden Auroren genug, um Malfoy auf Lebenszeit nach Askaban zu bringen. Auch wenn er die Hintergründe der Tat kannte, laut aussprechen würde er sie mit Sicherheit nicht.

Er räusperte sich. „Nun gut." Mit einem Ratsch fuhr seine Schreibfeder über den Notizblock und strich die vier Namen der Muggel durch. „Doch das entlastet Sie keineswegs. Ich bekenne Sie schuldig am Tod vierer Menschen, Mr. Malfoy. Hiermit erhalten sie eine lebenslange Haftstrafe in Askaban laut Paragraph 33 des Magischen Strafgesetzbuches. Abführen!"

Grob wurde er von seinen magischen Fesseln befreit und vom Stuhl gerissen.

Die zuständigen Auroren, in der Person von Hermione Granger und Harry Potter, traten zu Seiten der Ministeriumszauberer. Einige leise Worte wurden gewechselt und zwei kleine Unterschriften geleistet, ehe der verurteilte Todesser in den Gewahrsam der Auroren übergeben und aus dem Raum geführt wurde.

Mit einem leisen Klick fiel die schalldichte Tür hinter ihnen ins Schloss. Harry Potter atmete hörbar erleichtert auf. „Ich dachte schon die werden nie fertig. Wie ich diesen sadistischen Haufen von Ministeriumsbeauftragten verabscheue." Hermione schenkte ihm einen tadelnden Blick, den er aber nicht beachtete und seine Aufmerksamkeit stattdessen geradewegs dem Gefangenen zuwendete. „So sieht man sich wieder, Malfoy." Er schenkte ihm ein trauriges Lächeln, welches seiner kühlen ironischen Aussage entgegen wirkte und die ganze Wirkung zunichte machte. Er seufzte, nicht länger in der Lage den grauen emotionslosen Blick seines Gegenübers zu halten.

„Gehen wir", forderte er die kleine Truppe auf. „Draußen wartet eine Kutsche auf uns."

Einsam zog das magische Gefährt durch die Wolken, tanzte sanft schaukelnd über Luftlöcher und Windböen und trieb unablässig seinem Ziel entgegen, der Gefängnisinsel Askaban.

Die Vorhänge der fliegenden Kutsche waren zugezogen. Düsternis und Stille füllte die kleine Kabine. Keiner der drei Insassen sprach auch nur ein Wort, während Tausende von Gedanken durch die einzelnen Köpfe stoben.

Es hatte Draco Malfoy erstaunt, dass nur zwei Auroren mit seiner Überführung beauftragt wurden waren und einer davon auch noch ausgerechnet Harry Potter, sein ehemaliger Nemesis, war. Er wusste zwar, dass keiner der Todesser auch nur einen Versuch unternehmen würde ihn zu befreien, weil er ein Verräter war, aber wusste das Ministerium auch davon?

Mit geschlossenen Augen lehnte er gegen das dunkle harte Polster der Kutsche. Bilder und Stimmen der vergangenen Monate fluteten seine Gedanken und stießen ihn in die Vergangenheit, gefangen in der Erinnerung die seine Zukunft bestimmte.

Er hatte stets nur gegen sein Schicksal gearbeitet, von dem Moment an, als ihn sein Vater während seines sechsten Schuljahres aus Hogwarts entführt hatte. Seit jenem schicksalhaften Tag... Wie nicht anders erwartet war der Vorwand ihn nach Durmstrang zu schicken nichts weiter als eine Lüge gewesen, um ihn nach Hause zu holen und dort Voldemort in die Arme zu spielen. Gegen seinen Willen war er ein Todesser geworden. Unter endlosen Folterqualen und perversen Psychospielchen hatten sie es geschafft ihn zu brechen. Sie hatten ihn zu einem dunklen Werkzeug ihrer Macht gemacht, sie schufen ein Monster, das fast alles tat, was man von ihm verlangte. Nicht mehr als ein Schatten seiner selbst war geblieben. Ein Wesen, welches so verzweifelt versuchte sich weitere Qualen zu ersparen. Nur eines verweigerte er strikt, etwas, wogegen er sich mit seiner ganzen Existenz stellte, immer und immer wieder. Doch auch hier brachen sie ihn. Er hatte getötet. Menschen. Schuldige, wie auch unschuldige. Doch anders als seine Opfer war er nicht nur einmal gestorben, sondern jede weitere Nacht danach einmal mehr. Längst war der Schmerz zu seinem Leben geworden. Bei jedem Atemzug brannte sein Herz vor Schuld. Er hatte Menschen getötet, mehr als sie ihm heute nachgewiesen hatten, da er sich mehr als einmal selbst 'Obliviated' hatte, um zu vergessen, allerdings auch weitaus weniger als jeder andere Todesser neben ihm. Tag und Nacht trieben ihn Bilder von vergewaltigten Frauen, verbrannten Kindern und gefolterten Männern in den Wahnsinn. Er hatte endlose Stunden über der Kloschüssel verbracht, hatte sich das Leben aus dem Leib gekotzt bis nur die Leere zurückgeblieben war. Keine einzige Träne war mehr über seine Wangen geflossen, seit Potter ihn damals vor Granger und Weasley entblößt hatte, als hätte er verlernt wie es ging. Vielleicht hatte er auch einfach nur eingesehen, dass Tränen keine Erleichterung brachten, nur weitere Pein. Schwäche bedeutete nur mehr Schmerzen und noch mehr Schmerzen konnte er nicht ertragen.

Ja, er hatte gegen die dunkle Seite gearbeitet, hatte Information an das Licht weitergegeben, unsichtbar. Doch die roten Augen Voldemorts sahen alles. Er wusste, dass es kein Verstecken mehr gab. Der Mord an seinem Vater und der Versuch auch den Dunklen Lord ins Jenseits zu reißen hatten ihn an die Grenzen seiner Kraft getragen. Ohne Widerstand zu leisten hatte er sich gefangen nehmen lassen, nicht mehr willig zu kämpfen, nicht mehr fähig sich zu wehren. Ihre Erniedrigungen und Schläge waren ein geringer Preis verglichen mit der Grausamkeit Voldemorts, doch reichten sie, um das letzte bisschen Friede in ihm auszulöschen.

Und hier saß er nun, allein mit zwei Gryffindors in einer Kutsche, die, wie er sehr schnell bemerkt hatte, mit magischen Bannen versehen war, die es niemanden ermöglichten das Gefährt zu orten oder gar anzugreifen. Das war wohl die Antwort auf seine Frage, wieso man nur zwei Auroren beauftragt hatte. Niemand würde diese Kutsche sehen. Nicht dass es einen Unterschied machte. Die Todesser, die auf ihn angesetzt wurden, um ihn zu töten, würden auch ihren Weg nach Askaban finden, um ihn in den kalten ignoranten Mauern der Hölle zu Tode zu foltern. Ob er nun hier oder ein wenig später in Askaban starb, was machte das schon für einen Unterschied? Ihn störte nicht einmal mehr der Gedanke, dass es ausgerechnet Harry Potter war, dem der Triumph zuteil wurde, Draco Malfoy, den arroganten Slytherin und Todesser, in den Rachen der Eishölle Askaban zu werfen.

Vom Leben müde öffnete er die Augen, nur um in zwei stechend grüne Opale zu blicken. Potter beobachtete ihn, ohne zu blinzeln, als würde er gar nicht ihn sehen, sondern irgendeine fremde entfernte Erinnerung.

Er sah wie Granger beruhigend Harrys Hand in ihre nahm und sie freundschaftlich drückte. Doch der Junge-der-lebte wandte seine Augen noch immer nicht ab, als würden ihn die grauen tiefen Spiegel des Slytherins gefangen nehmen und nicht mehr loslassen. Der ehemalige Draco Malfoy hätte ihn dafür mit Sicherheit irgendeine abfällige Bemerkung an den Kopf geworfen, etwas, was tief unter die Gürtellinie traf, doch dieser Draco Malfoy war längst gestorben. Vielleicht hatte dieser Draco Malfoy auch nie wirklich existiert und war nur die Illusion gewesen, die sein Vater geschaffen hatte. Wann hatte er eigentlich je als er selbst agiert? Manipuliert und gelenkt war sein Leben ein einziges Marionettenspiel gewesen. Die Mächte hatten um ihn getobt, hatten an ihm gezerrt, hell gegen dunkel, doch die Schwärze hatte gesiegt. Dumbledore hatte sie nie wirklich Mühe gegeben ihn zu retten. Aber wie sollte er auch? Naiv und gutgläubig wie dieser Trottel war. Ignorant hatte er die wachsenden schwarzen Schatten in seiner Schule nicht gesehen... oder nicht sehen wollen.

Und Potter... er hatte es versucht, wie er im Nachhinein erkannt hatte. Er hatte tatsächlich helfen wollen, aber auch Potter war nur ein naiver Gryffindor gewesen. Was konnte ein Sechzehnjähriger schon ausrichten? Selbst wenn dieser Sechzehnjährige der große Harry Potter, Held der Nation, war, so war er dennoch nicht allmächtig.

Snape... Snape war wohl der einzige gewesen, der seine Situation wenigstens ein bisschen verstanden hatte, denn auch er war einst ein schwarzes Kind gewesen. Damals wusste Draco zwar noch nicht, dass Snape als Spion für die helle Seite arbeitete, dennoch hatte er gespürt, dass er seine Worte ehrlich gemeint hatte. Er hatte ihm geholfen neue Kraft zu sammeln und ihn offen für seine Entscheidungen gelobt, Entscheidungen, die im Grunde gegen Snapes Grundsätze verstoßen müssten, da er sich in Anwesenheit von Draco dazu bekannt hatte ein Todesser zu sein, gleichzeitig aber stolz war, dass Draco sich dem widersetzt hatte.

Draco hatte es damals nicht verstanden. Heute bewunderte er Snape dafür, dass er als Todesser den Weg ins Licht zurückgefunden hatte.

Seine Identität als Spion war irgendwann vor zwei Jahren aufgeflogen und seitdem versteckte Dumbledore ihn in Hogwarts, der letzten sicheren Feste in dieser wackeligen Welt. Snape hatte noch einmal Glück gehabt. Er war den Fängen der Dunkelheit entkommen. Etwas, was ihm nie gelingen würde.

Stumm erwiderte er Harry Potters Blick, ertrug ihn schweigend, und las in den Augen des anderen. Zu seinem Erstaunen sah er weder Triumph in den grünen Tiefen, noch Schadenfreude oder Mitleid. Alles was er erkennen konnte war Schmerz........ Schmerz? Potter? Was hatte er schon zu erleiden, auf der Seite des Lichts? Umgeben von seinen Freuden, eingehüllt in eine Aurorenrobe, die ihm noch mehr Berühmtheit verlieh als zuvor. Einmal mehr war er der Held der Nation. Und nun brachte er Draco Malfoy, den Todesser, der er sein Feind innerhalb der sechs Jahre war, die sie gemeinsam in Hogwarts verbrachten, nach Askaban. Wieso um alles in der Welt sah er dann aus, als ob er losheulen wollte?

Unendlich müde brach er den Blickkontakt und drehte seinen Kopf zum Fenster. Sie mussten bereits die Stunde der Mitternacht passiert haben. Der schwarze Himmel war wolkenverhangen und zeigte keinerlei Sterne. Langsam schlossen sich seine grauen Augen wieder. Dunkler konnte es wohl kaum werden.

„Ich kann das nicht, Mione", flüsterte Harry Potter mit zitternder Stimme. Seine langjährige beste Freundin bedachte ihm mit einem mitfühlenden Blick. „Ich versteh dich ja, Harry. Aber... " Sie seufzte leise und verbarg seine zitternde Hand zwischen ihren schlanken Fingern. Sie war eiskalt, wie sie besorgt feststellte und viel zu knochig für ihren Geschmack, wie überhaupt sein gesamter Körper. Wann hatte er das letzte mal ordentlich gegessen?

Liebevoll strich sie über seine kalte Haut und versuchte sie zu wärmen. „... aber wir haben leider keine andere Wahl. Wir können ihn nicht laufen lassen. Das weißt du, Harry." Ihre Stimme war leise und eben. „Sie würden uns dafür vor Gericht stellen."

Vorsichtig suchten ihre Augen die von Harry, doch diese waren noch immer auf die regungslose blonde Gestalt auf der gegenüberliegenden Bank gerichtet. Hermione folgte seinem Blick und betrachtete den ehemaligen Slytherin. Er sah blass aus und furchtbar dünn, noch dünner als Harry selbst, wenn das überhaupt möglich war. Seine geschlossenen Augen waren von dunklen Ringen untermalt, die wahrscheinlich nicht nur aus seiner Gefangenschaft im Ministerium resultierten, sondern deren Grund weiter in die Vergangenheit reichte. Trotz der Erschöpfung und der Schwäche, die ihm ins Gesicht geschrieben stand hatte man ihm die Schönheit seiner edlen Gesichtszüge nicht nehmen können. Manchmal wirkte diese unschuldige Schönheit beinahe surreal zu der Grausamkeit der Realität. Er war ein dunkles Geschöpf, ein Mörder. Und doch... wirkte er in diesem Moment mehr wie ein Opfer.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Harrys Finger sich gewaltsam um ihre krampften. Sein Kopf fuhr herum und er fixierte nun doch ihre Augen. „Hat er nicht schon genug gelitten?" Seine grünen Augen flehten verzweifelt. Ein feuchter Schleier hatte sich über sie gelegt und sie sah, dass Harry die Tränen nur noch mit letzter Kraft zurückhielt. Sie wusste, dass ihn Malfoys hoffnungslose Situation und seine derzeitige Verfassung vollkommen fertig machten.

„Sieh ihn dir doch an!" forderte er mit bebender Stimme. „Sieh dir an, was sie aus ihm gemacht haben."

Wieder wanderten ihre Augen zu dem gefallenen Slytherin. Harry hatte recht. Er war gebrochen. Sein Geist, seine Seele. Nicht die bevorstehende lebenslängliche Strafe war der Grund, nein, sie hatte schon viele Todesser nach Askaban überführt, um zu wissen, dass sie arrogant und überheblich bis zur letzten Sekunde waren. Malfoy hier jedoch akzeptierte sein Schicksal mit stummer Resignation, als wäre es ihm egal, als hätte das Leben an sich seinen Sinn verloren und es war ihm gleich, an welchem Ort er verweilte, oder eher dahinvegetierte.

Ihr Blick glitt wieder zu Harry. Seine gesamte Haltung verriet die Anspannung, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Er hatte die Zähne fest aufeinandergepresst, die Augen waren zu Boden gerichtet, die eine Hand zur Faust geballt. Hinter der blitzförmigen Narbe schienen seine Gedanken auf Hochtouren zu arbeiten. Hermione hoffte nur, dass er nicht an einem Fluchtplan bastelte. Das hoffte sie wirklich... für ihn...

Ruckelnd setzte die Kutsche auf dem unebenen toten Boden der Gefängnisinsel Askaban auf und kam schließlich zum Stehen. Draco Malfoys Augen öffneten sich, im ersten Moment noch überrascht doch Sekunden später hatte sich der gleichgültige verlorene Schleier wieder über die grauen Seen gelegt. Langsam erhob er sich und trat hinter Hermione aus der Kutsche. Harry folgte ihnen wenig später, jedoch wesentlich widerwilliger. Am liebsten würde er den blonden Todesser wieder in die Kutsche zerren und mit ihm in die kalte Nacht verschwinden. Aber konnte er das tun?

Seine Augen schweiften über Hermiones angespannte Gesichtszüge. Er wusste, dass ihr dieser Auftrag auch zu schaffen machte. Sie wusste von Harrys Gefühlen bezüglich des Slytherins und wie schwer es ihm fiel tatenlos mit ansehen zu müssen, wie Draco an einen Ort grausamer Qualen gebracht wurde, geradezu hilflos.

Wie im Trance wanderte sein Blick zu den mächtigen drachenähnlichen Pferden, die vor die Kutsche gespannt waren und unruhig mit den Füßen scharrten. Thestrals, wirklich widerliche Wesen, aber zuverlässig und loyal.

Hinter der Kutsche brandete das wütende Meer gegen schwarze drohende Felsen, auf denen sich in enormer Höhe die unheimliche Festung erhob, aus der es kein Entrinnen gab. Mühsam riss sich der junge Auror von dem Anblick los. Von hier mussten sie die Kutsche zurücklassen und auf den Thestrals das letzte Stück zurücklegen. Hermione hatte inzwischen begonnen die Tiere loszumachen. Draco blickte nur ausdruckslos an den kalten schwarzen Mauern des Gefängnisses empor.

„Steig auf!" Hermiones Befehl riss ihn aus seinen Gedanken. Verwirrt drehte er sich um und betrachtete die drachenähnlichen Wesen. „Darauf?" Sein Gesicht verzog sich angewidert. Die Wesen sahen aus wie gehäutete und verschmorte Zombipferde. Eines der Thestrals verspeiste gerade auf eine ziemlich abartige Art und Weise einen unvorsichtigen Aasvogel der so dumm gewesen war sich der kleinen Truppe zu nähern. Blutige Fetzen hingen dem Tier noch zwischen den messerscharfen Zähnen und ein bestialischer Gestank hing in der Luft.

Hermione nickte nur. Mit einer Handbewegung lösten sich die unsichtbaren Fesseln um seine Handgelenke. Erleichtert bewegte er seine blutleeren Finger ehe er auf eines der Tiere zutrat. Potter stand neben ihm und blickte ihn aus leeren Augen an. „Pack es einfach an der Mähne und schwing dich rauf", erklärte er sachlich. Draco drehte sich widerwillig zu dem Geschöpf und nahm einige der strohigen Haare in seine rechte Hand, während er die Finger der linken Hand um einen der vielen Knochen krallte. Ein scharfer Schmerz schoss durch seine Brust, als er sich in seinem geschwächten Zustand nach oben zog und auf dem knochigen harten Rücken des Thestrals niederließ. Beschämt biss er die Zähne zusammen und drehte seinen Kopf zur anderen Seite, sodass Potter ihn nicht sehen konnte. Die Ministeriumsärzte hatten hervorragende Arbeit geleistet als sie seine äußeren Blutergüsse, Fleischwunden und Fluchmale beseitigt hatten, doch um seine inneren nicht erkennbaren Verletzungen hatten sie keinen Hehl gemacht. Wozu auch? Er war doch nur ein dreckiger Todesser, auf den in Askaban noch viel mehr Schmerz wartete.

Wenig später kletterte auch Harry auf den Rücken des Tieres und platzierte sich hinter dem Todesser. Hermione hatte sich inzwischen auf den Rücken des zweiten Thestrals geschwungen und sah erwartungsvoll zu Harry hinüber.

„Bereit?"

Harry nickte nur und ergriff die Zügel. Und die magischen Wesen breiteten ihre ledrigen Schwingen aus und stiegen in den sternenlosen Nachthimmel auf...

A/N: so da ich irgendwie doch weniger zeit hatte als erwartet lade ich jetzt schon mal die ersten paar Seiten hoch und der Rest folgt wohl am Wochenende hoffe ich XD

schreibt mir bitte eure meinung

arigatou euer fearchen