Ich trete mit sicheren Schritten ein, doch als mein Blick auf ihn fällt, spüre ich einen nicht unbeachtlichen Teil meiner Gefasstheit schwinden. Er ist es tatsächlich. Wie hatte ich nur einen Moment zweifeln können? Diese Stimme… ich könnte sie niemals vergessen, nicht in tausend und abertausenden von Jahren. Es wäre wahrlich ein großes Kunststück den Klang der Stimme zu vergessen, die mir in meinem achtzehnten Lebensjahr geflüsterte Worte ins Ohr raunte, während seine wundervoll quälende und geschickte Hand sich weiter unten an meinem bis dato unberührten Körper zu schaffen machte. Ich weiß heute nicht mehr, was genau er zu mir gesagt hat; vielleicht habe ich es sogar damals nicht wirklich mitbekommen. Wundern würde es mich nicht, ich war wahrlich sehr abgelenkt…

Während ich mich ihnen mit gemischten Gefühlen nähere, beobachte ich wie meine Schwester dem Sohn Denethors sein Schwert zurückgibt, das sie eben noch bewundernd in den Händen gehalten hatte, und er es mit einem metallenen Geräusch in die Scheide gleiten lässt, die an seiner Seite hängt. Er muss erst vor kurzem eingetroffen sein, denn er ist noch schwer bewaffnet und trägt Reisekleidung über der zweifellos unbequemen Rüstung. Als ich schließlich unmittelbar vor ihnen stehe, werfe ich Éowyn einen unerfreuten Blick zu – sie weiß, dass ich ihr ungewöhnliches Interesse an Klingenwaffen nicht gutheiße, aber es schadet wohl nicht, sie einmal mehr daran zu erinnern.

„Herr Boromir war so gütig -" sagt sie etwas rechtfertigend, und unhöflicherweise fällt er ihr ins Wort.

„Eure Schwester hat ein außerordentliches Talent mit dem Schwert. Für eine Frau, meine ich," sagt er etwas großspurig und ich spüre ungewollte Eifersucht in mir hochbrodeln, als die beiden ein wie es scheint geheimes, kleines Lächeln miteinander teilen. Er fährt fort, im Scherze irgendetwas davon zu faseln, dass an Éowyn ein wahrer Krieger verloren gegangen wäre und was für ein Jammer es doch sei, dass sie als Mädchen geboren wurde, aber ich höre gar nicht richtig hin. Stattdessen blicke ich einfach nur in sein Gesicht und hoffe, dass es nicht offensichtlich ist, dass ich ihn geradezu anstarre. Er hat sich kaum verändert. Ein paar Falten hier und da, die sich früher noch nicht abgezeichnet hatten, vor allem um diese eindrucksvollen, ungewöhnlich grünen Augen herum, und sein Haar ist kürzer als damals, aber davon einmal abgesehen ist er fast so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht sogar ein wenig attraktiver, geht es mir durch den Kopf, und ich zwinge mich diesen Gedanken augenblicklich zu unterdrücken.

Bis jetzt habe ich noch keinen Ton herausgebracht – noch nicht einmal meinen Helm habe ich abgenommen – und es fällt mir erst auf, als seine Stimme mich endlich erreicht und er den Anfang macht, förmliche Floskeln mit mir auszutauschen.

„Seid gegrüßt, Herr Éomer." Kann es sein, dass das „Herr" leicht spottend aus seinem Mund kam? Oder bilde ich es mir nur ein? „Und meine Gratulation."

Als ich ihn fragend ansehe, fügt er erklärend hinzu, „Zur Ernennung des dritten Marshalls der Riddermark. Ihr könnt stolz sein."

~ ~ ~

Glaub nicht, dass ich nicht bestens darüber informiert wäre, was in meinen verbündeten Landen von statten geht. Dass ich nicht gut über dich informiert wäre. Mit unangebrachtem Interesse und auch mit Zufriedenheit habe ich deine Laufbahn und Entwicklung in den letzten Jahren verfolgt, wenn auch nur aus der Ferne. Und jetzt, wo du leibhaftig vor mir stehst, stelle ich fest, dass du in der Tat erwachsen geworden bist. In deiner pompösen Rüstung erscheinst du mir gar größer und breiter als ich es bin, und das Bisschen von deinem Gesicht, was nicht von dem prunkvollen Helm versteckt wird – ich sehe, du trägst jetzt einen Bart – deutet einen entschlossenen, selbstsicheren jungen Mann an. Fort ist der unbedarfte Jugendliche von damals, aber ich denke, der gereifte Éomer könnte mir sogar noch viel besser gefallen.

„Danke," sagt er knapp. Die Stimme ist kaum widerzuerkennen. Nicht, dass wir damals viel gesprochen hätten, aber du strahlst jetzt eine Standhaftigkeit aus, die ich dir nicht zugetraut hätte, deine Stimme fest und kräftig, beinahe etwas hochmütig.

„Hast du Hunger?" fragt Éowyn ihren Bruder, während er seinen Helm abnimmt. Meine Lippen teilen sich kaum merklich vor stiller Bewunderung, als ich endlich einen gründlicheren Blick auf sein Antlitz werfen kann. Sein Gesicht ist schmierig vor Schweiß und Dreck, sein zusammengebundenes und vom Kopfschutz etwas plattgedrücktes Haar sieht klettig und trocken aus, aber selbst diese Spuren seiner Schufterei können nicht über seine Schönheit hinwegtäuschen.

Ich könnte dich berühren, wenn ich nur einen Arm ausstrecken würde, und die Erkenntnis, dass wir nach so langer Zeit des getrenntseins endlich wieder in ein und demselben Saal stehen, erfüllt mich ebenso mit Glück wie auch mit plötzlicher Unruhe. Mein Herz schlägt und flattert inzwischen so heftig gegen das Gefängnis meiner Rippen wie ein panischer Vogel in einem zu kleinen Käfig, doch ich bin mir ziemlich sicher, weder du noch deine liebliche Schwester nehmen die starke Änderung meiner Gefühlswelt wahr.

„Nein, danke," lehnt Éomer höflich ab, und irgendetwas in seiner Stimme bringt Éowyn dazu, sich für den Abend zu entschuldigen.

„Wie schade. Ich hätte Eure Gesellschaft gerne noch ein wenig länger genossen," sage ich und sie lächelt wieder. Beinahe schäme ich mich dafür, denn wenn ich ehrlich bin schmeichele ich ihr in erster Linie nur, um zu sehen, welche Auswirkung dies auf ihren Bruder hat. Aber wenigstens kann ich behaupten, dass es trotzdem nicht gelogen ist, denn ich empfinde ihre Anwesenheit tatsächlich immer als bereichernd.

Sie neigt zum Abschied kurz ihr hellblondes Haupt vor mir, eine sanfte Geste die ich freundlich erwidere, und küsst dann ihren Bruder flüchtig auf die staubig-schmutzige Wange. Während sie ihn umarmt, trifft dein Blick auf den meinen, und zum ersten Mal seit acht Jahren sehen wir uns ganz bewusst und tief in die Augen, versuchend, die Gedanken des anderen zu lesen.

Und dann sind wir alleine.