"Opfer"

von

Angels Dreamcatcher

(Kirsten Knobbe)

(Author's note:  

Vielen Dank an all diejenigen, die das erste Kapitel gelesen und eine Review geschrieben haben! Freut mich, dass Euch die Geschichte gefällt und dass ihr mit Spannung darauf wartet, zu erfahren, was Severus wohl in dem Spiegel gesehen hat. *g* Verraten wird das natürlich noch nicht... ein wenig Spannung muß ja wohl auch sein, oder? Bin ja mal gespannt, was hier so spekuliert wird! ;-)

Was die eine Frage wegen den hörbaren „Schritten" von Geister angeht: ich denke auch, dass die Geister auf Hogwarts feinstofflich sind, über den Boden schweben, also somit eigentlich keine Schritt-Geräusche machen können. Ich habe mich hier leider etwas missverständlich ausgedrückt, denn eigentlich meinte ich „Geräusche" von Geistern, nicht Schritte selbst... wie zu Anfangs in der Story geschrieben, ist McGonagall sich selbst ja nicht sicher, ob sie nun ein Scharren gehört hatte oder Schritte. Wir wissen ja, dass z.B. Peeves als Poltergeist schon gewisse Geräuschkulissen machen kann. Werde das dann zukünftig korrigieren. Aber danke noch mal für diesen Hinweis! =)

 So, hier geht's nun weiter mit dem 2. Kapitel! Viel Spaß und schreibt bitte, wie es Euch gefällt, ja? Danke!)

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II. Lehrer und Schüler

Die schwere Eichentüre zu seinen privaten Räumen wurde hart aufgestoßen. Seine schwarze Robe flatterte als Snape mit wütendem Gesicht eintrat. Ein weiterer Schwung mit dem Arm, dann fiel die Türe laut ins Schloß zurück. Nun stand er alleine mitten im Raum. Er sah sich um.

Nur ein paar einzelne Kerzen verbreiteten Licht in dem schlicht eingerichteten Raum. Das Feuer in dem großen Kamin war schon lange aus und er sah momentan auch keine Notwendigkeit, es mit einem einfachen Zauber wieder auflodern zu lassen. Er brauchte derzeit die Kühle, die hier unten, tief in den Kellern von Hogwarts, immer und überall anwesend war. Gerade hier in den Verliesen und Kerkern fühlte er sich sicher. In der Abgeschiedenheit, ohne Schüler und seinen Kollegen konnte er sich frei bewegen.

Severus Snape brauchte diese Einsamkeit. Hier unten, wo sonst die Schüler nur wegen seines Unterrichtes, der "Zaubertrankkunde", herunter kamen und nach der Doppelstunde direkt wieder nach oben sprinteten, war sein Refugium.

Das Fluchtverhalten der Kinder war jedoch nicht nur auf seine strenge Art, ihnen etwas Wichtiges beizubringen, zurückzuführen, sondern auch auf die unangenehme Kälte, die in den Gemäuern hing, die tiefe Dunkelheit, die trotz Fackellicht nicht ganz wegzudrängen war und auf das Gefühl, daß hier unten etwas lauern würde. Das Gefühl, das einen oft beschlich, wenn man alleine in den dunklen Keller mußte, um etwas zu holen.

Und die Verliese auf Hogwarts waren auf jeden Fall viel schlimmer als jeder normale Keller in ihrem Zuhause daheim.

Tief in diesen Kerkern lauerte auch tatsächlich etwas. Es war mit jeder Faser des Körpers zu spüren. So auch jetzt. Es war zu riechen wie die verschiedenen Zutaten der Zaubertränke, die in dem Klassenraum einige Stufen weiter oben in den gesicherten Schränken standen. Es war manchmal sogar zu schmecken. Eine dicke, teerartige Brühe, mit diesem ätzend-beißenden Zusatz. Bitter und giftig.

Es war aber niemals zu sehen, verflüchtete sich wie der Dampf über einem brodelnden Kessel.

Aber es war da. Man konnte es spüren, wie es einen aus den Ritzen der Gemäuer anstarrte. Wie es einem manchmal den Rücken hoch kroch, es sich auf der Schulter niederließ, mit seinem schweren Gewicht, einen niederdrücken wollte. Man spürte, wie es sich in das Fleisch bohrte, die unsichtbaren Fangzähne tief in die Knochen eingruben. Schmerzen, die durch den Körper wallten. Unregelmäßig, daß man sich nie ganz sicher sein konnte, ob es nun vorbei war oder ob die nächste Welle schon in einer Sekunde wieder die Gliedmaßen erschütterte. Sich in jeder Faser des Körpers festsetzte und einen quälte....quälte...

... unmenschliche Schmerzen.... unmenschliche Klauen.....

... Schmerz.... brennender Schmerz... sengende Hitze....

... unmenschliches Geheul...

... weitere Wellen der Qual... stechend... heiß...

... unmenschliche rote Augen.

Severus Snape schreckte auf. Er saß schweißgebadet in seinem dunkelgrünen Ohrensessel, seine Hände hatten sich fest um die Armlehnen geklammert, daß sie schmerzten. Für einen kurzen Moment war er sich nicht sicher, wo er war. Dann erkannte er seinen Raum auf Hogwarts und ließ sich wieder zurück sinken. Langsam beruhigte er sich. Es war nur ein Traum gewesen, wieder nur ein Traum.

Er schaute auf den Steinboden, auf dem sich nur ein einzelner Flickenteppich befand. Seine Atmung hatte sich schon wieder normalisiert. Es war nichts Ungewöhnliches gewesen. Diese Bilder hatte ihn so oft des Nachts in dem letzten Jahrzehnt heimgesucht, aber in letzter Zeit waren sie doch verstärkt aufgetreten. Klarer und deutlicher nun. Realistischer, so daß er den Schmerz immer noch spüren konnte, wenn er schon längst aufgewacht war. Snape schob den linken Ärmel seiner Robe hoch und wußte, daß das Zeichen glühend rot leuchten würde, bevor er es sah. Es pulsierte mit solch einer Eindringlichkeit, die den Arm beinahe betäubte. Eine sengende Hitze schien von der Stelle zu kommen. Doch als er mit der rechten Hand das Mal abdeckte, spürte er nichts.

Das leichte Kribbeln war schon so in sein Bewußtsein übergangen, daß er keinen Unterschied mehr feststellte. Und das Ziehen, daß in dem letzten Jahr immer stärker geworden war, war zwar lästig, konnte sich aber meistens unterdrücken lassen.

Er wußte, es war bald Zeit.

Mit einem knappen Schütteln des Ärmels war der Totenkopf mit der Schlange, die aus dem Mund zischte, wieder verschwunden. Snape stand auf und erkannte mit dem Blick auf der Uhr auf dem Kaminsims, daß es noch zwei Stunden bis zum Morgengrauen waren.

Also hatte er gerade mal eine Stunde verloren, an die er sich kaum noch erinnern konnte.

Er schritt zum Tisch, wo mehrere Flaschen und Flakons, sowie ein großer Messingbecher standen. Sich eine dunkle Flüssigkeit einfüllend, trank er diese in großer Hast, verzog kurz das Gesicht, doch dann bereite sich eine angenehme Wärme in seiner Brust aus.

Der Zaubertranklehrer drehte sich wieder um. An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken und er hatte noch viel vorzubereiten.

Mit eiligen Schritten verließ er seine privaten Räume und stieg einige Stufen hinauf, um zu seinem Arbeitszimmer zu kommen. Durch einen verlassenen Korridor mit wenigen leuchten Fackeln, dann durch den Eingang zu der Wendeltreppe und schon war er da.

Er berührte kurz murmelnd mit seinem Zauberstab die dunkle Türe, um die verschiedenen Schließzauber zu öffnen, dann konnte er eintreten. Diese Sicherheitsmaßnahme hatte er in den letzten Wochen für nötig gehalten, nachdem der falsche Mad-Eye Moody das dahinter liegende Büro durchsucht hatte. Und gerade jetzt, fand er, war es dringender denn je.

Es sollte keiner so einfach in sein Arbeitszimmer kommen. Nicht während er an einigen wichtigen Dingen arbeitete. Jede Störung wäre fatal, ja fast tödlich. Und natürlich sollte keiner in seiner Abwesenheit sehen, woran er experimentierte.

Aber in den zwei Wochen, die jetzt schon ohne Schüler vergangen waren, waren seine Kollegen sowieso eher mit sich selbst und ihren Vorbereitungen für das nächste Schuljahr beschäftigt gewesen und hatten ihn in Ruhe gelassen. Andrerseits vermutete er, daß sie genau wußten, daß er seine Abgeschiedenheit brauchte, allen voran Professor McGonagall und Albus Dumbledore. Vielleicht hatte der Schulleiter sogar ihnen geraten, seine jetzt noch größer werdende Distanz zu respektieren. Schließlich wußte der alte Mann, daß Severus Snape sich für die Wiedereingliederung in Voldemort's Reihen vorbereiten mußte.

Mit einem Blick auf den Steintisch an der Seite erkannte er, daß er gerade richtig gekommen war. Dies hier war seine eigene Arbeitsfläche mit mehreren Kesseln, Töpfen, Destillieranlagen, Flakons und vielen anderen Dingen, so wie die Schüler dies in dem Klassenraum nebenan an den langen Tischen in seinem Unterricht hatten. Nur hatte er hier natürlich eine weitaus bessere Ausrüstung und mehr Zutaten in den Regalen und verschließbaren Schränken verstaut. Viele seltene und höchst giftige Zusatzmittel für die unterschiedlichsten Zaubertränke und Bräue. Nur ihm war es möglich, an die Ingredenzien zu gelangen. Ein Schüler hätte erst ihn fragen müssen. Es war schon vorgekommen, daß ihm etwas aus seinen Vorräten gestohlen worden war, Baumschlangenhaut und Dianthus-Kraut, und seitdem war er noch vorsichtiger geworden und mißtrauischer als sonst, wenn ein Schüler in der Nähe seines Büros war.

Natürlich waren die wertvollsten Zutaten immer hinter Glas eingeschlossen und mit Zaubern geschützt, dennoch wollte er kein weiteres Risiko eingehen.

Severus Snape nahm eine kleine Phiole, die am Ende einer langen und komplizierten Destillieranlage stand und mit einer gelblichen Flüssigkeit bis zur Hälfte angefüllt worden war. Mit einem abschätzenden Blick gegen eine Kerze befand er den Inhalt für akzeptabel und verschloß das schmale Glasgefäß. Er stellte es in einen Zaubertrankkasten, wo schon mehrere andere Flakons eingereiht standen.

Vorsichtig setzte er die Destillieranlage um und nahm einen, der vor sich hin brodelnden kleinen Kessel vom grünen Feuer.

Fachmännisch fächelte er sich den schwarzen Dunst zu, um den Geruch abzuschätzen, dann schöpfte er mit einem Löffel zweimal etwas von der dicken Quaste ab, die ganz oben auf schwamm.

Diese gab er in den zweiten Kessel und unter Rühren ließ er sanft einen weiteren Sud am Rand dazu laufen. Dreimal im Uhrzeigersinn umgerührt, dann noch etwas blauen Eisenhut dazu gemischt. Und schon konnte der zweite Kessel wieder auf seine normale Feuerstelle zurück.

Snape sah sich um und wischte sich die Hand an einem Tuch ab. Nun schien alles so zu verlaufen, wie er es geplant hatte.

Das Elexier war fast fertig und er brauchte nur noch den anderen Trank anrühren, für den er speziell noch etwas von der Mandragora-Wurzel brauchte.

Er würde sich in wenigen Stunden direkt darum kümmern und zu Professor Sprout gehen. Dies war eigentlich der wichtigste und schwierigste Zaubertrank. Und er wußte, daß seine Kollegin nicht sehr erfreut sein würde, wenn er sie um das letzte Mittel bat. Aber es würde ihr wohl keine andere Wahl bleiben, als ihm eine ihrer kostbaren Alraunen zu überlassen.

Mit dem Gedanken an diese häßlichen, kleinen Wurzeln, die sofort los kreischen würden, wenn sie aus der Erde gezogen worden waren, verzog er das Gesicht. Es würde sicherlich nicht einfach werden, Sprout zu überzeugen, daß er eine ihrer "Schößlinge" brauchte. Er konnte sich noch an die letzte Auseinandersetzung im März erinnern, wie sie ihn fast verflucht hat, nachdem er sich aus ihrem vierten Gewächshaus bedient hatte. Snape schnaubte verächtlich. Konnte diese kleine sture Person nicht einsehen, daß er nun einmal Kräuter und andere Gewächse aus ihren Gärten für seine Tränke benötigte? Natürlich hatte Dumbledore ihm die Erlaubnis gegeben, aus den eigenen Anzuchten von Hogwarts seine Vorräte zu füllen, aber leider mußte Professor Sprout ihm immer wieder in die Quere kommen. Er würde ihre Pflanzen nicht mit Bedacht behandeln, hatte sie ihm unterstellt. - Pah!!

Er würde immer mehr an sich nehmen, als ihm zustand. - So ein Unsinn!

Jedesmal mußte er sich solche Beschimpfungen anhören, dabei sollte sie froh darüber sein, daß ihre "kleinen grünen Freunde" einen wichtigen Zweck erfüllten, nämlich in einen seiner Zaubertränke zu gelangen. Zerstückelt und zerhackt eingerührt zu werden, fein säuberlich abgesamt und zerstoben, um als Pulver zu fungieren oder die Blätter in spezielle Sude eingelegt.

Ein süßlicher Geruch kam nun von einer anderen Arbeit, die er angesetzt hatte. Mit schmalen Augen wandte er sich den roten brodelnden Blasen zu, die über den Rand eines Zinntopfes quollen.

Snape fluchte.

Mit grimmiger Mine nahm er eine große Klammer zur Hand und hob den Topf damit vom Tisch weg zu einer Nische in der Wand, wo ein Abfluß in den Steinen eingelassen war.

Wie konnte das nur passieren?

Er hatte doch alle Zutaten genau in der Reihenfolge dazugegeben, wie es in den alten Schriften gestanden hatte. War da vielleicht doch ein kleiner Übersetzungsfehler gewesen oder hatte damals jemand etwas vergessen einzutragen? Waren vielleicht doch die Florfliegen noch nicht reif genug gewesen? Hatte der Händler aus Hogsmeade ihn betrogen?

Ärgerlich über den mißglückten Trank, schüttete er diesen in den Ausguß und hob gleichzeitig seinen Stab, um ihn mit einem Zauberspruch zu verdünnen und damit unschädlich zu machen. Ansonsten hätte die scharfe Säure das Gestein langsam weggeätzt.

Was für eine Zeitverschwendung! Nun durfte er damit wieder ganz von vorne beginnen!

Er berührte auch den Topf mit dem Stab und auf der Stelle verschwand dieser, hatte sich einfach in Luft aufgelöst.

Snapes Augen funkelten zornig. Die Klammer schleuderte er mit aller Kraft gegen seinen Schreibtisch, so daß sie laut klappernd auf dem Boden aufschlug. Sein Mund eine dünne Linie, die Hände zu Fäusten geballt, stand er da und dachte nach.

Die Zeit rannte ihm davon. Er würde nicht mehr die Gelegenheit haben, nach Hogsmeade zu gehen und dort all die restlichen Zutaten zu besorgen. Was sollte er nur tun?

Angestrengt suchte er nach einer Lösung. Hunderte von Rezepturen wirbelten in seinem Kopf umher, Kombinationsmöglichkeiten alter Tränke und gewagte Versuche von seinen neuen experimentellen Brauereien drangen auf ihn ein. Er schüttelte den Kopf.

Nein, nein, nein! Das alles war nicht das Richtige!

Er schloß die Augen, weil sie durch die letzten Dämpfe der mißlungenen Flüssigkeit brannten. Oder lag es vielleicht gar nicht daran, sondern an dem wenigen Schlaf, den er die letzten Wochen hatte? Selbst seine Schlaf-Tränke hatten ihm immer seltener ruhige Stunden verschafft.

Snape fühlte sich auf einmal unheimlich erschöpft.

Er fuhr mit den Fingern über die Augen und setzte sich in den hohen Lehnstuhl an seinen Schreibtisch. Dort zurückfallen lassend, die Hände in Denkerposition vor die Brust gezogen, richtete sich sein Blick nach innen.

Er mußte einen kühlen Kopf bewahren! Das war das Wichtigste! Er durfte sich keinen Fehler erlauben, ansonsten wäre alles vorbei. Ansonsten würde alles, wofür er gearbeitet und gelitten hatte in einem Moment ausgelöscht. Er würde schon eine Möglichkeit finden, er hatte bis jetzt immer einen Weg gefunden!

* ~ *~ * ~ *

Die Tafel in der Großen Halle war mit vielen, verlockenden Speisen bestückt und Dumbledore freute sich ganz besonders über die Kirsch-Pfannekuchen mit den Schokoladenstückchen. Das Frühstück mit den wenigen Lehrern und dem restlichen Personal war in den Sommerferien immer etwas Besonderes für ihn. Man saß gemeinsam an dem langen Tisch in der sonst leeren Halle und unterhielt sich über viele interessante Dinge. Jeder schien dann, wenn keine Schüler im Hause waren, etwas gelassener und privater zu werden und so kamen erfrischende Gespräche zustande. Waren es die Themen über alte Bekannte, neue Entdeckungen in der Alchemie oder irgendwelche Informationen aus dem "Daily Prophet" , die stark diskutiert wurden. Der alte Magier belustigte sich immer wieder daran, wie seine Kollegen sich manchmal auf für ihn fast schon kindliche Weise die Meinung sagten. Ganz besondere Experten waren hierbei immer die Professoren McGonagall und Snape gewesen.

Doch in den letzten zwei Wochen war es zunehmend stiller an der Essenstafel geworden, da sich Snape immer seltener zu den Mahlzeiten hatte blicken gelassen.

Albus wußte sehr wohl um die Gründe und deshalb dachte er auch nicht weiter darüber nach. Die anderen Lehrer schienen sein Wegbleiben nicht sonderlich bemerkt zu haben, da es schon oft vorgekommen war, daß sich der Lehrer für Zaubertränke absonderte. Einigen war es vielleicht sogar recht, da sie in letzter Zeit immer öfters mit ihm aneinandergeraten waren.

Snape hatte sich schließlich immer mehr zurückgezogen und sich ganz seinen Experimenten tief unten in den Verliesen verschrieben.

Und auch heute war der Platz an Albus linker Seite leer geblieben.

Professor Flitwick ihm Gegenüber goß sich gerade nochmal Tee nach und vertiefte sich sogleich wieder in das Gespräch mit Professor Binns über die neueste Bucherscheinung von Bathilda Bagshot. Am linken Tischende saß Hagrid gerade an einem riesigen Teller mit Eier, Bohnen und Würstchen und stimmte Professor Sprout mit vollem Munde zu, die über die Wassermenschen unten am Schwarzen See gesprochen hatte.

Als der Schulleiter nach rechts schaute und dabei ein weiteres Stück Kuchen auf seinen Teller schaufelte, mußte er sich ein Glucksen unterdrücken, als er den Hausmeister Argus Filch in einer neuen Ausgabe von "Zaubern heute" lesen sah.

Und Madam Pomfrey und Professor Mc Gonagall, die rechts neben ihm den Platz füllte, waren gerade angeregt am Lachen.

Die blauen Augen des Magiers glitzerten vergnügt. Das war ein Frühstück nach seinem Geschmack. Ein sonniger Morgen mit einer entspannten Atmosphäre.

Obwohl er wußte, daß schwere Zeiten auf sie zukamen, genoß er doch jeden schönen Tag mit seinen Kollegen und Freunden. Und er war froh darum, daß sie alle nicht ganz so schwermütig wurden oder in Panik gerieten, bei dem Gedanken an die Dunkelheit, die mit Lord Voldemort's Rückkehr über das Land ziehen würde. Mit einem kurzen Blick auf den leeren Stuhl neben sich, ergänzte er in Gedanken: Nun ja, nicht alle!

Wieder wandte er sich seinem Kelch mit der süßen Bananencreme zu und bemerkte aus den Augenwinkeln, daß auch Minerva den Platz von Snape musterte. In ihrem Gesicht war immer noch das Lächeln zu erkennen, aber ihre Augen schauten ernst drein.

* ~ *~ * ~ *

Der Hauself rannte so schnell seine kurzen Beine ihn brachten. Das Handtuch mit dem Wappen von Hogwarts war beschmiert mit Tee und Ei. Sein Gesicht war fast in Tränen aufgelöst und voller Scham gerötet. Immer wieder murmelte er: "Zethki hat doch nur Frühstück bringen wollen!".

Als der kleine gute Geist in der Küche ankam, fiel er fast flach zu Boden. Sofort umringten fünf weitere Hauselfen ihn und halfen dem verstörten Kameraden auf, beruhigten ihn und wischten den Rest von Marmelade aus seinen Haaren.

Kaum zehn Minuten später stapfte Professor McGonagall persönlich mit hoch erhobenen Kopf und einem vollen Tablett mit neuen Speisen zu den Verliesen runter.

Mit der Brille wirkten ihre Augen immer strenger, aber selbst diesmal funkelten sie noch wütender.

Diesmal ist er zu weit gegangen!

Es war immer ein merkwürdiges Gefühl hier herunter zu den Kerkern zu kommen, wo es doch für sie selbst recht selten war. Auch sie mochte diese dunklen und nassen Gemäuer hier unten nicht besonders. McGonagall war immer froh, oben in den Räumen unterrichten zu können, wo die großen Fensterflügel mit Ausblick auf den Verbotenen Wald und den See im Sommer schön anzusehen waren und wo man auch die warme Sonne und eine frische Brise hereinlassen konnte.

In den Verliesen schien immer nur das Licht der Fackeln und Kerzen, und stickig war es allemal. Ganz davon abgesehen, daß gerade in den Schulräumen für Zaubertränke immer ein merkwürdiger Geruch in der Luft hing. Sie konnte es immer schwer glauben, daß man hier unten auch  leben konnte. Arbeiten, lehren, ja. Aber in den dicken Mauern ohne Fenster leben, nein.

Natürlich wußte sie, daß es ging. Dies demonstrierte Professor Snape seit nun schon gut 15 Jahren. Trotzdem schüttelte sie bei diesem Gedanken wieder nur den Kopf und fragte sich zum wiederholten Male, wie er dies nur aushalten konnte. Manchmal glaubte sie, daß er dies immer noch als eine Art Buße tat, für all die schlimmen Dinge, die er den Zauberern und Hexen damals als Death Eater angetan hatte. Daß er absichtlich in einer Art Isolation leben wollte, immer in Distanz zu anderen Menschen, weil er ihnen vielleicht nicht in die Augen schauen konnte.

Aber da täuschte sie sich, wenn sie so dachte. Und das wußte sie auch.

Denn Severus Snape konnte den Leuten noch ganz gut in die Augen schauen. Ob es seine Schüler oder auch Kollegen waren, sein Blick war eisern und aussagekräftig. War es mal nicht ein gefährliches Glitzern, so war der harte und eisige Ausdruck der dunklen Augen sein Markenzeichen und er konnte einen so lange anstarren, daß man schnell weg sehen mußte, um nicht in den tiefen Tunneln seiner Pupillen verloren zu gehen.

Diese Augen kombiniert mit seinen beißenden Kommentaren oder diesem manchmal so sanften, aber verächtlichen Grollen, rieten jeden zur Vorsicht, wenn man als Schüler keine Punkte für das Haus verlieren wollte. Und selbst den Lehrern konnte er eine gewisse Art von Respekt einbleuen.

Aber sie war auf eine besondere Art dagegen gewappnet, was sie als Hauslehrerin von Gryffindor auch sein mußte.  Schließlich waren diese beiden Häuser, Slytherin und Gryffindor, seit den damaligen Streitereien der Gründer von Hogwarts immer als die stärksten Konkurrenten bekannt. Und mit Snape als Hauslehrer von Slytherin war es auch für sie fast immer ein Kampf um die eigene Würde.

Einen Vorteil hatte sie jedoch auf ihrer Seite. Sie kannte Severus Snape schon seit den Jahren, als er auf Hogwarts zur Schule gegangen war - und sie ihn selbst unterrichtet hatte.

Professor McGonagall stand nun vor der Türe zu seinem Arbeitszimmer. Von dem Hauself wußte sie, daß er nicht in seinen Privaträumen, sondern hier aufzufinden war.

Sie ließ das Tablett weiter in der Luft schweben und klopfte an.

Für einen Moment war nichts zu hören und so klopfte sie noch einmal, diesmal etwas lauter.

"GEHEN SIE WEG!"

Sein barscher Ton versetze sie direkt in die richtige Stimmung.

Die Hexe berührte mit ihrem Zauberstab kurz die Türe, dann trat sie einfach mit dem fliegenden Tablett ein.

Er saß an seinem Schreibtisch über einige Bücher und Pergamentrollen gebeugt, die Haare strähnig und wirr ins Gesicht hängend. Natürlich schaute er nun mit diesem gereizten Blick auf, der einige seine Schüler zutiefst ängstigte.

Nicht sichtlich davon berührt, ließ die Lehrerin das Tablett auf die freie Ecke seines großen Schreibtisches hinab senken. Dann stellte sie sich vor ihm auf, die Arme verschränkt.

Von ihrer erhöhten, stehenden Position hatte sie einen guten Blick auf ihn und sie erschrak ein wenig. Er sah grauenhaft aus. Es kam ihr vor, als hätten sich die Ränder unter den Augen noch vertieft. Das Gesicht hatte nun die Farbe von abgenagten Knochen angenommen und er wirkte sehr ausgezehrt. Sie fragte sich, wie lange er nun schon nichts mehr Richtiges gegessen hatte.

"Was wollen Sie hier, Minerva?" blaffte er sie an.

"Ich habe Ihnen nur das Frühstück vorbei gebracht." Noch klang ihre Stimme gelassen, aber ihr strenger Blick über dieser quadratischen Brille gab den gewissen Nachdruck.

"Ich will nichts essen." Er vertiefte sich wieder in seinen Papieren. "Verschwinden Sie!"

So schnell ließ sie sich nicht abwimmeln.

"Nein, ich bleibe. Und ich werde so lange hier stehen, bis sie etwas gegessen haben, Severus."

Blätter raschelten, der Federkiel in seiner Hand knirschte über Pergament. Dann hielt er wieder inne. Den Blick immer noch auf seine Bücher gerichtet.

"Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich keinen Hunger habe!" Nun wurde seine Stimme etwas lauter, schärfer.

Immer noch unbeeindruckt erwiderte sie:

"Sie müssen etwas essen. Schauen Sie sich doch an! Sie brauchen Ruhe und Kraft, deshalb sollten sie --"

Weiter kam sie nicht.

Mit einem Mal war er aufgesprungen, der große Lehnstuhl wurde laut knarrend über den Steinboden zurück geschubst.

Er stand nun vor ihr, seine gelblichen Zähne bleckend, mit diesem fast schon irren Ausdruck.

"Ich muß gar nichts! Und das Einzige, was ich tun sollte, ist, meiner Arbeit weiter nach zu gehen und daher kann ich keine weiteren Störungen gebrauchen."

Snape starrte sie tief an. Jeder andere wäre jetzt schon gewichen. Nicht aber McGonagall.

Sie hielt den Blick wieder stand und konterte nun mit ebenso leicht ungeduldiger Stimme:

"Hören Sie, Severus, was immer Sie auch vor haben, sie brauchen Ihre Kraft! Wenn Sie sich weiter so fertig machen, dann können Sie auch gleich aufhören." Ihre Augen funkelten und sie setzte zum wichtigen Schlag an. "Wir brauchen Sie, Severus! Und wir können es uns nicht leisten, Sie zu verlieren. Es geht hierbei schließlich nicht nur um SIE." Damit machte sie eine weite Geste, die den Raum einschloß. "Hogwarts braucht sie!"

Einen Moment lang blieben seine Augen in ihre verkeilt. Dann riß er sich los und grummelte etwas verächtlich. Er schaute zu seiner Arbeitsfläche mit den Kesseln hinüber und schien nachzudenken, seine Hände klammerten sich an der Steinkante fest.

Snape atmete tief ein. "Ich habe nur keine Zeit mehr...", zischte er durch seine Zähne. Auf seinem Gesicht war nun ein etwas gequälter Ausdruck zu erkennen.

Was er damit meinte, konnte sie im Augenblick nicht richtig einordnen, aber was immer es auch war, er setzte sich zu sehr unter Druck. Er würde darunter zerbrechen, wenn er so weiter machte.

"Sie sollten sich etwas ausruhen. Sie werden sehen, daß dann noch genug Zeit bleiben wird...", versuchte sie ihn zu beruhigen. Da er nicht mehr so bissig reagierte, war auch ihre Stimme etwas sanfter geworden.

Snape schüttelte jedoch den Kopf, eine schwarze Haarsträhne blieb an seiner hohen Wange kleben. Auf den Schreibtisch runter blickend, fing er an, ein neues Buch aufzuschlagen.

"Sie verstehen das nicht, es ist --"

"Also setzen Sie sich hin und essen Sie etwas!"

Er begegnete ihr wieder mit diesem ungehorsamen Blick, die dunklen Augen funkelnd.

Und bevor er auch nur einen weiteren Ton sagen konnte, sah McGonagall ihn scharf an.

"Severus Snape - SETZEN SIE SICH!"

Er glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Erstaunt riß er die Augen auf. Das war der gleiche Oberschullehrerton, den er immer im Klassenraum gegenüber den Schülern verwendete. Und es war auch gleichzeitig eine Erinnerung. Es war IHR strenger Ton gewesen, den er im Unterricht aufgefangen hatte. Nun war er, Potion Master von Hogwarts, wieder Schüler.

Fast unbewußt, und selbst ungläubig, machte sein Körper Anstalten, sich zu setzen.

Er konnte es nicht fassen. Hatte sie etwa gerade einen Zauber auf ihn angewandt?

Immer noch versuchte sein grimmiger Blick ihr zu zeigen, wer hier nicht nachgeben durfte, aber es war schon zu spät.

Severus Snape saß auf seinem Lehnstuhl, der wie durch eine unsichtbare Hand genau zum richtigen Zeitpunkt hinter ihm hervorgezogen worden war. Und auch jetzt schwebte das Tablett mit magischer Hilfe heran und ließ sich genau vor ihn auf dem nun freien Platz nieder. Seine Bücher und Pergamentrollen waren auf einmal zur Seite geräumt.

Immer noch fassungslos und doch wutschnaubend sah er einfach an ihr hoch.

Es war unmöglich! Sie mußte einen Zauber angewandt haben. Anders konnte er sich sein Verhalten nicht erklären...

"So, und nun essen sie!" Diesmal war ihr Klang schon freundlicher.

McGonagall war mit sich zufrieden. Sie lächelte ihn sogar etwas aufmunternd an.

"Na, kommen Sie, Severus, es ist ein ganz normales Frühstück."

Die dunklen Augen weiterhin auf sie gerichtet, konnte er kein Wort über die Lippen bringen. Er war zu sehr geschockt über das, was hier passierte.

Der angenehme Geruch von warmen Pfannkuchen, deftigen Würstchen und heißen Tee stieg in seine Nase. Er konnte aus den Augenwinkeln sehen, daß sie wirklich eine riesige Auswahl auf dieses Tablett gepackte hatte. Es schien, als wollte sie ihn gleich für mehrere verpaßte Mahlzeiten entschädigen.

Snape stieß die Luft angewidert aus. Sie würde es nicht schaffen, ihn dazu zu bringen, etwas zu Essen. Wie sie es auch immer geschafft hatte, daß er sich gesetzt hatte, er würde jetzt nicht weiter sich ihren Willen aufdrängen lassen. Davon hatte er wahrlich schon zuviele ungute Erinnerungen gesammelt und war immer stark gewesen, sich dagegen erfolgreich gewehrt zu haben.

Sie würde es nicht schaffen!

Die Frau sah ihn unverändert abwartend an. Ihr Mund war spitz und von oben herab funkelten ihre Augen durch die rechteckigen Brillengläser.

          Auch er beharrte auf seiner Meinung und verschränkte zur Verdeutlichung seine Arme vor der Brust. Snape lehnte sich nach hinten in seinen Stuhl.

Stille senkte sich über den Raum, die nur durch ein gelegentliches Tropfen von einer Apparatur auf seiner Arbeitsplatte unterbrochen wurde. Es war ein Kampf um den besten eisernen Willen.

So vergingen die Minuten.

Die Verwandlungs-Lehrerin maß sich mit ihrem ehemaligen Schüler. Der Junge von einst war nun zu einem erfahrenen und mächtigen Mann herangewachsen. Sie befanden sich auf der gleichen Stufe. Wo ihr Alter ihre Erfahrung stärkte, hatte er unglaubliches Potential schon von früher Jugend an verkörpert. Ein Knistern von Magie baute sich um sie auf, obwohl kein Zauberspruch geflüstert worden war.

Keiner von beiden rührte sich. Dann blieb auf einmal die Zeit stehen.

Das Tropfen der Flüssigkeit in der Destillieranlage verlangsamte sich. Der Atem stand still.

Die undurchdringbaren dunklen Augen Snapes weilten auf den ruhigen, grünen Fenstern zu McGonagalls Seele.

Warum konnte sie es nicht erkennen? Warum läßt sie mich nicht in Ruhe?

Ein sanftes Zucken der Nasenflügel der alten Hexe.

Er ist vollkommen erschöpft. Er braucht dringend Ruhe...

Das langsame Rutschen der fettigen Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ein stummes Zwiegespräch, von niemanden gehört.

Dann ein Blinzeln. Und wieder lief die Zeit normal weiter, Sekunde um Sekunde.

Minerva McGonagall seufzte innerlich. Sie wollte ihn nicht zwingen. Auch wenn es nicht gesund war, so sollte er doch tun können, was er wollte. Schließlich war er keiner ihrer minderjährigen Lehrlinge mehr. Er war erwachsen und konnte für sich selbst entscheiden. Auch wenn sie manchmal das bittere Gefühl hatte, daß selbst das nicht immer in seinem Ermessen war. Es gab zuviele Situationen in seinem Leben, wo er sicherlich nicht mehr selbst bestimmen konnte.

Und dafür tat er ihr leid.

Schließlich senkte sie die Augen, unterbrach den inneren Kampf und ließ ihn gewinnen.

"Wie Sie meinen.", war ihre einfacher Kommentar.

Ohne nochmal aufzuschauen, drehte sie sich um und schritt zur Tür.

Als ihre Schritte schon lange auf dem Gang verhallt waren, erlaubte er sich endlich den Blick zu senken und nun verweilte er über all den unterschiedlich gefüllten Tellern, kleinen Töpfchen mit Marmeladen, der Kanne mit dem dampfenden Tee und den Dessert-Schalen.

Er hatte geglaubt, daß ihm bei dem Anblick übel werden würde. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre dies auch der Fall gewesen, denn er hatte schon seit einigen Tagen nichts mehr zu sich genommen außer einigen Schlaf-Tränken. Doch er hatte sich getäuscht.

Sein Magen hatte noch keine Sprünge gemacht. Eher im Gegenteil, er spürte wie er sich zusammenzog und ihn leicht knurrend erinnerte, daß er doch mal wieder etwas essen sollte. Der Geruch und das bloße Dasein hatten ihn ergriffen.

Snape wollte McGonagall eigentlich nicht die Genugtuung geben, daß sie ihn nun doch noch rumgekriegt hatte. Aber er mußte feststellen, daß der Hunger ihn mehr quälte als er zugeben wollte. Jetzt, wo das Essen so köstlich duftend vor ihm stand, war es sehr schwer, sich dagegen zu wehren.

Hätte sie noch im Raum gestanden, er hätte keinen Finger gerührt. Sein Stolz verbot es ihm.

Nun war sie nicht mehr anwesend. Und der knusprige Speck roch verlockend. Der kräftige schwarze Tee schien ihm beruhigend zuzusprechen und die süßen Pfannkuchen ließen ihm das Wasser im Mund zusammen laufen.

Severus Snape fluchte laut auf.

Jetzt noch ärgerlicher, mehr über sich selbst als über McGonagalls unverschämte Art, einfach so herein geplatzt zu sein, nahm er ein scharfes Messer auf und hielt es abwiegend in der Hand.

Dann hob er es und stach damit in die Würstchen. Das laute ZING von Metall auf Metall erfüllte den Raum.