Part 4 - Apocalypse

Wenn ein Berg zerfällt
Und ein Ozean versiegt
Wenn der Glaube
An das Gute unterliegt
Bleibt dir eines nur
Die Hoffnung tief in dir


(Peter Maffays "Tabaluga und das leuchtende Schweigen" - Der Weg ist auch das Ziel)


Mit dem Rest der Schüler ging der Regen, doch der starke Wind hielt an. Vom kurzen Weg von den Kutschen ins Innere des Schlosses, wurde so manchem Schüler der Umhang von hinten über den Kopf geweht. Hüte flogen wie abgestorbene Blätter in die Luft und wurden von erschrockenen Schülern wieder eingefangen.
Ron, Hermine und Ginny erging es nicht anders. Dem Jungen wurde der Hut entrissen, die beiden Mädchen hielten ihre vorsichtshalber fest, doch ihre Umhänge flogen ihnen um die Ohren.

- - -

In der Eingangshalle angekommen, atmeten sie erst einmal erleichtert aus. Dieser Wind war schrecklich. Im Grunde war dieser ganze Frühling schrecklich, nicht nur vom Wetter ausgesehen. Auf dem Weg zum Gryffindorturm ermahnte Hermine die zwei Weasleys noch einmal, nichts zu Harry zu sagen, was ihn in irgendeiner Weise an Sirius erinnern könnte. Ron bemerkte daraufhin trocken, dass Harry ihnen doch sowieso nicht zuhörte, schwieg aber, als er den Blick des Mädchens sah.
Bedrückt sagten sie der fetten Dame das Passwort und betraten den Gemeinschaftsraum. Sie erwarteten nicht wirklich den schwarzhaarigen Jungen dort anzutreffen, er hatte in den letzten Monaten anscheinend irgendwo einen Platz gefunden, an den er sich immer häufiger zurückzog. Trotzdem ließen sie ihre Blicke durch den großen Saal schweifen, fanden aber erwartungsgemäß nichts. Seufzend gingen sie in Richtung ihrer Schlafsäle.

- - -

"MÄDELS!!"
Sowohl Hermine als auch Ginny zuckten erschrocken zusammen, als Ron aus dem Jungenturm direkt auf sie zustürmte und mit ohrenbetäubender Lautstärke schrie.
"Was denn?", fragte Hermine ein wenig genervt, allerdings auch etwas eingeschüchtert. Ron sah irgendwie so... panisch aus.
"Harry ist weg!"
Die Braunhaarige seufzte. "Er wird sich wieder zu seinem Ort zurückgezogen haben..."
"Nein, nein, du verstehst nicht! Er ist weg! Ganz weg!"
Die beiden Mädchen sahen sich an, verstanden aber nicht. Ginny fragte schließlich
"Wie meinst du das?"
"Seine Sachen! Seine Sachen sind alle weg! Kein Koffer, kein Besen, nichts! Als ob er nie da gewesen wäre!"
Für Sekunden starrten sie sich nur an. Hermine und Ginny mussten das erst einmal begreifen, realisieren.
Hermine war die erste, die sich wieder zur Vernunft rief:
"Gehen wir zu McGonagall!"

- - -

"Nun, Mr. Potter ist...", die alte Lehrerin hielt inne um nach den richtigen Wörtern zu suchen. Vor ihr standen die beiden Weasleykinder und Miss Granger, bleich und starr vor Sorge um den schwarzhaarigen Gryffindor. Obwohl sie sich nicht mehr so sicher war, ob man ihn noch zu Gryffindor zählen konnte, nachdem...
"Ist ihm etwas passiert?!!", fragte der Junge.
"Nein..."
"Er hat sich doch nichts angetan, oder?!"
Alle Anwesenden starrten die Braunhaarige geschockt an. Sie zuckte mit den Schultern und meinte, wenn auch nicht ohne Angst:
"So wie er sich benommen hat, kann das doch gut sein..."
Die Blicke der drei Schüler wurden daraufhin noch flehender und ängstlicher, doch Minerva konnte es ihnen nicht erklären. Mal davon abgesehen, dass sie es ihr wahrscheinlich gar nicht glauben würden.
"Nein, er hat sich nichts angetan, es geht ihm gut", beruhigte sie sie schließlich. "Ehrlich gesagt, es geht ihm sogar sehr viel besser als zuvor..."
"Wie meinen Sie das?"
Minerva seufzte. "Das kann ich Ihnen nicht wirklich erklären..."
Die Gryffindors tauschten verwirrte Blicke, dann sahen sie ihre Hauslehrerin wieder an.
"Ich denke, Sie sollten das mit ihm selber klären. Das ist das beste, glauben Sie mir."
"Aber wir wissen nicht, wo er ist", meinte Hermine ein wenig enttäuscht davon, dass die Professorin es ihnen nicht erklären konnte.
"Er wird zum Abendessen definitiv in der Großen Halle sein."
Wieder tauschten die Schüler einen vielsagenden Blick. Das konnten sie nicht so recht glauben, immerhin hatten sie das letzte dreiviertel Jahr damit verbracht Harry zum Essen zu bewegen, damit er nicht verhungerte. Und wenn, dann war es doch sehr wenig gewesen, was er zu sich genommen hatte. Minerva wusste dies nur zu gut.
"Glauben Sie mir, er wird da sein. Seine... neue Bekanntschaft... lässt kein Essen ausfallen..."
Hochgezogene Augenbrauen war alles, was sie auf diese Bemerkung erntete. Aber die Diskussion war damit beendet und ein wenig verwirrt verließen die drei Gryffindors das Büro. Minervas Satz, den sie ihnen hinterher rief, brachte da auch keine Besserung.
"Aber suchen Sie besser nicht beim Gryffindortisch nach ihm!"

- - -

"Was um Merlins Willen hat sie damit gemeint, wir sollen ihn nicht am Gryffindortisch suchen?", fragte Ginny auf dem Weg nach unten. Mittlerweile war die Essenszeit angebrochen und sie hatten beschlossen McGonagalls Rat zu folgen.
Ron zuckte mit den Schultern und stellte eine weitere Frage: "Und wer verdammt, ist diese neue Bekanntschaft?!"
Wieder ein Schulterzucken, diesmal von Seiten der Mädchen.
Hermine seufzte. "Wir werden es gleich sehen..."
Und mit diesem Satz betraten sie die Große Halle. Wie immer herrschte dort ein großes Gewusel, Schüler redeten, aßen, lachten und stritten sich. Wie von selbst wanderten die drei Augenpaare den Gryffindortisch entlang, bis ihre Besitzer sich an den letzten Satz ihrer Hauslehrerin erinnerten. Alle drei seufzten wie auf Kommando.
Ginny sah, wie Ron sich den Huffelpufftisch vornahm, Hermine suchte am Tisch der Ravenclaws nach dem anderen Jungen. Also wandte das rothaarige Mädchen sich Slytherin zu, auch wenn sie sich ziemlich sicher wahr, Harry gerade dort nicht zu finden. Ihren Blick nicht wirklich scharf gestellt, ließ sie die Augen über die Köpfe schweifen. Sie mochte die Leute dort nicht... nun gut, ein paar, seitdem am Anfang des Schuljahres alle Death Eaterkinder die Schule verlassen hatten, war das sonst so verhasste Haus irgendwie erträglicher geworden. Das hatten alle gemerkt. Nur Snape war gleichgeblieben und Ginny war sich ziemlich sicher, dass der sich niemals ändern würde.
Die meisten der Slytherins kannte sie nicht, ein paar bekannte Gesichter aus ihrer Stufe, doch die meisten waren weg. Außerdem sah sie die Gesichter nicht wirklich, huschte mit den Augen nur kurz darüber hinweg, ohne jemanden wirklich klar wahrzunehmen. Nur den blonden Kopf Draco Malfoys erkannte sie auch so, war er doch der einzige auf der ganzen Schule, der diese Haarfarbe besaß.
Ohne ihn weiter zu mustern glitt ihr Blick weiter über seinen Nachbar und den Rest des-
Moment! Ein Nachbar?! Malfoy hatte den gesamten Rest des Schuljahres allein gesessen, Ron hatte sich immerhin oft genug darüber lustig gemacht in den letzten Monaten.
Das hieß, Malfoy hatte eine neue Bekanntschaft gemacht, schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Sie stutzte... eine neue Bekanntschaft?! Das kam ihr so bekannt vor... Ach was, das war abstrus! Trotzdem glitt ihr Blick zurück... eine schwarzhaarige neue Bekanntschaft...?! Ginny schluckte schwer... Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen, das war doch überhaupt ganz und gar unmöglich! Doch um Gewissheit zu haben senkte sie schließlich die Augen von den schwarzen Haaren zum Gesicht - ein entsetztes Keuchen, war alles was sie zustande brachte.
"Am Huffelpufftisch ist er nicht...", murrte Ron genervt.
"Bei Ravenclaw auch nicht...", seufzte Hermine.
Damit war ihnen beiden klar, dass er nicht in der Großen Halle war. Denn am einzig verbleibenden Tisch würde er ganz und gar nicht sein.
"Nein...", drang es dann plötzlich seltsam gedehnt von Ginny zu ihnen herüber. Beide wandten den Kopf und sahen das rothaarige Mädchen mit aufgerissenen Augen dastehen. Doch keiner von ihnen kam dazu nach dem Grund zu fragen, denn als sie ihren Arm langsam hob um auf den Grund zu zeigen, meinte sie monoton:
"Er sitzt am Slytherintisch..."
Ron und Hermines Augen rasten in die Richtung, in die Ginny zeigte, nur um kurz darauf genauso groß wie die der Jüngeren zu werden.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Und das war ganz eindeutig die Tatsache, dass Harry Potter am Slytherintisch neben Draco Malfoy saß und mit ihm SPRACH!

- - -

"Weißt du, dass ich gehört habe, dass Hauselfen in den Kartoffelbrei spucken, damit er cremiger wird..."
Harry hielt inne damit den kartoffelbreibeladenen Löffeln zu seinem Mund zu heben und sah den Jungen neben sich an. Der rührte mit dem Löffel in seinem Kartoffelbrei rum, den Blick seltsam verklärt. Dann verzog er kurz das Gesicht, zuckte mit den Schultern und schob sich einen vollen Löffel in den Mund. "Eigentlich auch egal..."
Harry resignierte.
Gerade als er zu einer Bemerkung ansetzen wollte, stellten sich drei Gestalten auf der anderen Seite des Tischs vor sie. Da diese standen und er saß, konnte er ihre Gesichter nicht sehen, doch schon auf dem Weg nach oben, wusste er, wer da vor ihnen stand.
Er verzog keine Miene, als er in Rons wütendes, Hermines verzweifeltes und Ginnys entsetztes Gesicht sah. Draco neben ihm schluckte hinunter und murmelte: "Showtime."
"Hallo", meinte er kurz angebunden, ohne auch nur eine Emotion in der Stimme.
Ron sah aus, als wolle er jeden Augenblick auf jemanden losgehen und sein Blick wurde bei Harrys tonloser Begrüßung nur noch sauerer, doch Hermine hielt ihn mit einer Hand zurück. Beherrscht meinte sie:
"Harry. Wir... wir würden gerne mit dir reden..."
"Bitte", er machte eine einladende Geste auf die Stühle vor ihnen.
"Nicht hier!", spie Ron förmlich aus und hatte dabei seinen Blick unmissverständlich auf Draco gerichtet. Dieser hielt dabei sogar in seinem Essen inne und erwiderte den Blick mit den grauen, überheblich funkelnden Augen, die früher normal für ihn waren. Harry legte eine Hand auf seinen Arm, was ihn mit einem Schulterzucken weiter essen ließ.
Die drei stehenden Gryffindors waren durch diese Geste verwirrt. Harry jedoch fuhr weiter ruhig fort:
"Ich werde hier nicht weggehen, wenn ihr mit mir reden wollt, müsst ihr das hier tun."
Stille. Dann wechselten die Mädchen hilflose Blicke, Ron starrte nur wütend auf ihn herunter. Mit einem Seufzen fasste Ginny sich schließlich ein Herz und nahm langsam Platz, Draco gegenüber. Hermine setzte sich schließlich auch, gegenüber von Harry, und zog den widerstrebenden Jungen neben sich.
"Harry...", fing Hermine wieder zögernd an. "Was tust du hier?"
Der schwarzhaarige Junge blickte sie fragend an. Dann wandte er seinen Blick neben sich, doch der Slytherin war mindestens genauso verwirrt - bis er ganz plötzlich in einen Lachanfall ausbrach.
Die drei anderen Gryffindors waren sichtlich verwirrt darüber, hatten sie Malfoy doch noch nie wirklich normal lachen sehen. Harry seufzte nur und rollte mit den Augen.

- - -

Nach einiger Zeit wurde Draco wieder ruhiger. Noch kichernd wischte er einige Lachtränen fort. Trocken meinte Harry zu ihm:
"Und was war jetzt so witzig?"
Sich räuspernd und die Nase hochziehend, zuckte der Gefragte nur mit den Schultern. "Keine Ahnung."
Der Schwarzhaarige resignierte ein anderes Mal. Dann wandte er sich wieder Hermine zu:
"Wie meinst du das?"
Diese musste sich jedoch erst mal von ihrem Schock erholen. "Äh... äh, was?"
"Was ich hier mache... wie meinst du das?"
"Ähm... warum du hier sitzt... am... Slytherintisch?"
Harry sah sie an, als wäre sie dumm. "Ich esse hier...", meinte er schließlich mit einem zweifelnden Blick.
Hermine, auf diese Antwort ganz sicher nicht vorbereitet, blinzelte nur, unfähig ein deutliches Wort aus ihrem geöffneten Mund herauszubringen.
"Mit ihm?!!" Ron spuckte das zweite Wort aus, als hätte er gerade erfahren, dass Hauselfen wirklich in Kartoffelbrei spuckten. Aber Harry ließ sich nicht beirren.
"Wenn du so fragst: Ja."
Wieder Stille. Ginny seufzte kaum hörbar und sah sich dann nach etwas zu essen um. Sie hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch länger dauern konnte. Nachdem sie sich Fleisch genommen hatte und nach der Kartoffelbreischüssel suchte, wurde ihr diese ganz plötzlich hingehalten. Als sie aufsah, sah sie in das Gesicht Draco Malfoys, der sie zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, nicht überheblich anfunkelte. Stotternd dankend, nahm sie die Schüssel entgegen.

- - -

"Harry..." Der Angesprochene fragte sich unwillkürlich wie oft Hermine seinen Namen heute noch gebrauchen wollte. Sie hatte ihn in den letzten sechs Jahren noch nie so oft hintereinander beim Namen genannt, wie heute. Anscheinend war es für sie eine Art Sutra, damit sie die Fassung bewahren konnte. Vielleicht erinnerte sie es auch daran, wen sie vor sich hatte, dass es ihr alter, langjähriger Freund war und nicht irgendein Slytherin, den sie so oder so hassen musste.
"Ja?", seufzte er.
"Wir machen uns nur Sorgen um dich..."
"Mhm."
"Wirklich."
"Mhm."
"Und... weißt du...", sie brach ab, anscheinend nicht wissend, wie sie sich ausdrücken sollte. Harry bezweifelte, dass sie überhaupt wusste, was sie sagen wollte. Aber Ron schien heute ausnahmsweise mal nicht auf den Mund gefallen zu sein:
"Was machst du mit dem da?! Diesem... diesem... Frettchen!"
Sowohl Draco als auch Harry sahen ihn an, dann sich gegenseitig, bevor der Blonde in einer theatralischen Geste den Blick nach oben wand, die eine Hand auf die Stirn legte und sich an seinen Nachbar lehnte:
"Oh, welch grausame Beleidigung entweicht des Wiesels Mund. Frettchen hat er mich genannt... Es schmerzt mir im Herzen so genannt zu werden... Ein Stich, wie mit einem Schwert... eine Wunde, nimmer mehr zu nähen..."
Wieder erntete er nur geschockte Blicke von der gegenüberliegenden Seite. Harry jedoch stützte seufzend seinen Kopf in eine Hand.
"Du hättest niemals Shakespeare lesen sollen..."
"Hey, du hast gemeint, er sei so eine berühmte Persönlichkeit bei den Muggeln!"
"Ich hab aber nicht gesagt, du sollst es lesen!"
Draco zuckte mit den Schultern und aß kommentarlos weiter.
"Um auf deine Frage zurückzukommen, Ron", fuhr der Schwarzhaarige dann sachlich fort. "Ich sitze hier, wie ein ganz normaler Mensch und esse mit einem Freund zu Abend."
Als hätte er Voldemorts Namen gesagt, zogen die drei anderen scharf die Luft ein. Draco bemerkte dies. Grinsend meinte er:
"Ey, cool. Ich hab schon ne Wirkung auf die, wie der Lord!"
Harry rollte wieder mit den Augen, ließ die Bemerkung aber im Raum stehen.
"Falls ihr ein Problem damit hat, könnt ihr gerne wieder gehen."
Wieder verging eine Weile in Stille.
"Harry..." Der Angesprochene seufzte, sein Nachbar kicherte. "Wo... wo bist du hingegangen?"
Draco brach wieder in schallendes Gelächter aus.
"Oh Scheiße, Granger", brachte er unter Mühe hervor. "Was ist mit dir passiert über die Ferien? Hat Weasley dir den Verstand ausgevögelt?!"
Ginny spuckte in ihren Kürbissaft vor Schreck, Harry sah den anderen diesmal auch entsetzt an - und Ron und Hermine wurden rot bis über beide Ohren.
Ginny und Harry sahen die beiden anderen Gryffindors an, die es plötzlich eilig hatten, überall hinzuschauen, nur nicht zu den anderen. Die rote Farbe ihrer Gesichter und der peinlich berührte Ausdruck in den Augen, zeigte dem Schwarzhaarigen und der Rothaarigen, dass Draco anscheinend richtig gelegen hatte. Überrascht sahen sie sich an. Dass Hermine und Ron zusammengekommen waren gegen Weihnachten hatte Harry ja am Rande irgendwie mitgekriegt, aber dass sie schon so weit waren. Mit einem Räuspern unterdrückte er ein Grinsen. Dann er meinte trocken zu dem Slytherin.
"Hast du ein Gespür für so was?"
Draco zuckte wieder mit den Schultern. "Liegt in der Familie..."
Er erntete nur ein paar hochgezogene Augenbrauen.

- - -

Nach einiger Zeit nahmen die Köpfe des Paares wieder ihre normale Farbe an und das Mädchen setzte wieder an.
"Harry..." Diesmal kicherte nicht nur Draco, sondern auch Ginny.
"Hermine..." Der Schwarzhaarige hatte beschlossen es dem Mädchen einfach nachzumachen. Vielleicht hörte sie so irgendwann damit auf.
"Wo bist du jetzt hingegangen?"
Der Blonde war wieder kurz vor einem Lachanfall, unterdrückte es aber so gut es ging. Harry atmete tief durch um nicht ebenfalls in Lachen auszubrechen.
"Hermine... falls du es nicht gemerkt haben solltest, ich bin immer noch hier."
Stille.
Verwirrung.
Lachen angesichts der Slytherinfraktion.
"Ich glaube, was Hermine meint", setzte Ginny dann mit einem leichten Grinsen an. "ist, warum deine Sachen alle aus dem Schlafsaal verschwunden sind."
Draco und Harry sahen sich an, die grünen Augen warnten die grauen, aber Beherrschung war für deren Besitzer ein Fremdwort:
"Tja, is' schwer so 'ne schwierige Frage zu artikulieren, wenn man ein rausgevögeltes Gehirn besitzt..."
Ron sprang auf und wollte auf den Blonden losgehen, doch ein gezischtes 'Setz dich!' von Hermine ließ ihn wieder Platz nehmen. Unbeeindruckt von allem aß Draco weiter.
Harry seufzte nur, dann meinte er:
"Um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin umgezogen."
Wieder Verwirrung auf der anderen Tischseite.
"Wohin?", wollte das rothaarige Mädchen wissen.
"Zu Draco."
Entsetzte Stille, dann:
"Draco?!! ", spie Ron aus.
Der Slytherin riss gespielt überrascht die Augen auf. "Bei Merlin! Er kann meinen Namen aussprechen!"
Harry stieß ihn in die Rippen. "Ja, bei Draco." Sein Tonfall war komplett ruhig, was Ron nur noch wütender machte.
"Das ist Malfoy!"
Aber der Schwarzhaarige ließ sich nicht beirren. "Ja, das ist Draco Malfoy, in der Tat."
"Unglaublich, wie er das rausgefunden hat, nicht wahr?", fügte der Blonde noch hinzu. Harry musste seine Mundwinkel wieder davon abhalten nach oben zu fahren. Doch Ginny hatte das leichte Zucken bemerkt. Überrascht und entsetzt zugleich starrte sie den Jungen schräg gegenüber an. Konnte das wirklich sein...?
"Aber..." Ron wollte etwas dagegen sagen, fand aber keine Argumente mehr. Stattdessen fing Hermine wieder an:
"Harry..."
"...Potter."
Draco grinste angesichts des Sarkasmus seines Nachbars. Dann meinte er:
"So, stellen wir uns jetzt alle vor, oder was? Gut, mich hatten wir ja schon mal zur Genüge, aber für die Zuvielvögler artikuliere - das heißt sprechen - ich ihn gern nocheinmal. Also: Ich heiße Draco Malfoy. DRAco MAlfoy." Bei den letzten beiden Wörtern sprach er die Betonung deutlich aus und sah bei seinem Vornamen besonders Ron an. Ginny kicherte wieder, Harry verdeckte seinen Mund mit der Hand. "Gut, Harry hatten wir ja auch schon..."
"Harry?!!", spie Ron wieder aus, nicht glaubend, dass Malfoy den Vornamen seinen besten Freundes benutzte.
"Ja, Harry Potter... ich dachte eigentlich, nach sechs Jahren wüsstest du, wie er heißt... nun denn, wie dem auch sei. Das ist Harry Potter. Ich bin Draco Malfoy. Und wer seid ihr?"
Schweigen. Keiner antwortete. Ron war zu sauer dazu, Hermine wie vor den Kopf geschlagen und Ginny? Die brach nun ihrerseits in einen Lachanfall aus, den bösen Blick ihres Bruders ignorierend.

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Ginny konnte nicht anders als lachen. Irgendwie war diese Situation so grotesk, dass sie schon wieder lustig war. Und wenn man sich die Dialoge als Außenstehender anhörte, dann waren sie wirklich mehr als bescheuert. Nicht dass sie wirklich eine Außenstehende war, aber sie war nun mal kein Mitglied des Trios. Zwar hatte auch sie sich Sorgen um Harry gemacht, sie waren immerhin gut befreundet, aber so eng, wie es zwischen ihm, ihrem Bruder und Hermine gewesen war, so eine Beziehung hatten sie nie gehabt.
Nun schien Harry aber Abstand genommen zu haben. Zwar hatte er das schon das ganze Schuljahr getan, aber da hatte er Abstand von allen genommen. Er war so verschlossen, still und stumpf gewesen, dass sie sich alle gefragt hatten, ob er jemals wieder wenigstens nur ein wenig wie früher werden würde. Mit der Zeit schien es immer aussichtsloser zu werden, nicht einmal Fred und George konnten ihn aufmuntern, selbst Quidditch interessierte ihn nicht mehr. Niemand schien auch nur ein kleines Zucken in seinen Mundwinkeln verursachen zu können. Niemand bis auf-
Ginny war sich relativ sicher, dass dieses schwache Zucken von Harrys Mundwinkeln zuvor ein unterdrücktes Lachen gewesen war. Ein unterdrücktes Lachen! Sie wagte es sich kaum vorzustellen, aber anscheinend hatte Malfoy in den letzten zwei Wochen das Unmögliche wahr gemacht, was sie alle die letzten paar Monate versucht hatten.
Und nicht nur das. Harry schien viel entspannter zu sein, nicht mehr so traurig, nicht mehr so dumpf. Aber er hatte sich nicht nur im Gegensatz zu den letzten Monaten verändert, nein auch zu früher. Dieser Sarkasmus, die Gelassenheit, sein ganzes Benehmen war anders. Aber es war gut so. Denn es ließ ihn glücklich wirken, schien ihm zu gefallen. Ginny lächelte zufrieden. Er hatte wieder Freude am Leben gefunden und das war alles was zählte - und das wäre auch alles, was er Ron und Hermine zeigen müsste, doch anscheinend schien Malfoy ein wenig mehr abgefärbt zu haben. Denn Harry schien es ganz offensichtlich zu gefallen, die beiden an der Nase herumzuführen.

- - -

Schließlich schwiegen sie wieder. Ginny kicherte noch ein bisschen, Hermine starrte nervös auf ihre Hände, Ron blickte sauer drein, Harry wartete darauf, dass die Braunhaarige wieder mit ihrem Sutra beginnen würde und Draco... schaufelte wie immer jegliches Essen im Umkreis von zehn Metern in sich hinein.
Das rothaarige Mädchen war jedoch die einzige der drei Gryffindor, die den unnatürlichen Appetit des Slytherins bemerkte. Unverhohlen starrte sie ihn an und vergaß dabei selbst zu essen.
Nachdem Draco sämtliche Schüsseln geleert hatte, sah er forschend über den Tisch, aber es war nichts mehr da. Nur Ginnys Teller war noch voll und schien in nächster Zeit auch nicht berührt zu werden, da das Mädchen ihn immer noch anstarrte. Unbeeindruckt meinte der Junge nur:
"Isst du das noch?"
Ginnys Stirn legte sich in Falten, bis sie die Frage doch noch realisierte. Immer noch verwirrt schüttelte sie den Kopf und reichte ihren Teller an Draco weiter, der diesen bereitwillig annahm.
Währenddessen verfiel Hermine wieder in ihr Sutra:
"Harry..."
Jetzt wurde es ihm zu viel. "Verdammt, Hermine! Sag endlich was du willst und dann Schluss. Ich kann es bald nicht mehr hören!!"
Die Braunhaarige und ihr Freund wichen entsetzt zurück. Sie waren solche Ausbrüche von ihrem Freund generell nicht gewohnt, aber noch weniger nach dem letzten dreiviertel Jahr, in dem sein Tonfall nie über leise gewichen war.
Hermine nahm sich schließlich zusammen.
"Geht es dir gut, Harry?"
"Ja."
"Und... du bist dir sicher?" Ihr Blick lag auf Draco.
"Ja!" In Harrys Stimme lag ein enormer Nachdruck, der eigentlich keinen Zweifel zulassen sollte. "Wirklich?" Der Junge seufzte nur. Das schien hier alles vollkommen vergeblich zu sein.
In diesem Augenblick konnte er weite, ausladende Schritte hinter sich hören und als er die schreckverzerrten Gesichter gegenüber sah, wusste er ziemlich sicher, wer hinter ihnen stand. Kurz wechselte er einen Blick mit Draco, bevor sie sich beide umdrehten und in das seltsam ausdruckslose Gesicht Severus Snapes starrten.

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Salazar würde sich im Grab herumdrehen, wenn er das wüsste! Gryffindors! Am Tisch seines Hauses! Gryffindors!! Nicht dass Salazar Slytherin ein Menschenhasser gewesen war - gut vielleicht doch, wenn man bestimmte Dinge beachtete, aber er hatte nicht alle Menschen gehasst - aber... verdammt, das waren Gryffindors!!!
Mit dem Potterjungen konnte er ja mittlerweile leben. Irgendwie... Severus wusste selbst nicht genau warum. Vielleicht weil er mittlerweile gemerkt hatte, dass das Kind doch nicht so viel von seinem Vater hatte. Beziehungsweise hatte er es sich erst jetzt eingestanden.
Außerdem war es lustig Draco vor ihm bloßzustellen. Sicher, Draco war sein Patenkind, und wenn ihm ein Mensch auf diesem Planeten wichtig war, dann war es Draco, aber... er war nun mal ein Snape. Snapes waren Sadisten, das lag ihnen praktisch im Blut, das konnte man nicht einfach abstellen. Dazu war es für Severus auch eine Art seine Gefühle auszudrücken. Für viele mochte das seltsam klingen, aber er war nun mal so. Er war nicht einer dieser einfach gestrickten Idioten, die wegen allem gleich lachen, weinen oder sonst was konnten. Er konnte seine Gefühle nicht einfach so ausdrücken, bei ihm war das komplizierter. Aber Draco hatte sich mit den Jahren daran gewöhnt und ähnliche Gesten angenommen, da auch er nicht dazu erzogen worden war Gefühle zu zeigen. Sie beide wussten, dass Beleidigungen, Sticheleien und anderes von Seiten des anderen nicht böse gemeint waren und das allein zählte. Seltsamerweise schien der Potterjunge das aber verstehen zu können... vielleicht war er doch nicht so bescheuert, wie Severus immer gedacht hatte... Vielleicht.
Trotzdem änderte all dies nichts an der Tatsache, dass dort Gryffindors an seinem Haustisch saßen! Gryffindors! Ravenclaws wären ihm lieber gewesen. Und Huffelpuffs... na gut, vielleicht waren ihm Gryffindors doch lieber als Huffelpuffs...
Trotzdem... Gryffindors!

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Ein paar Sekunden vergingen. Die Weasleykinder und Hermine starrten den Professor entsetzt an, nicht sicher, was er dazu sagen würde, dass sie plötzlich an seinem Tisch saßen. Harry sah ihn nur interessiert an, gespannt darauf, wie er reagieren würde. Draco kaute weiter auf dem Stück Fleisch herum, das er noch im Mund hatte.
Schließlich schluckte der Blonde und mit Bezug auf ihre Namensdiskussion meinte er mit einem Finger hinter sich zeigend:
"Das ist übrigens Sev!"
Und genau das war zuviel für Harry. Sich nicht länger beherrschen könnend brach er in schallendes Gelächter aus, sich an den Tisch krallend um nicht vom Stuhl zu fallen.
Entsetzt sahen Hermine und Ron ihn an. Sie konnten es nicht fassen... Harry... lachte... Er... er lachte!
Blitzartig flammten Situationen des letzten dreiviertel Jahres vor ihren inneren Augen auf. Harry wie er schwieg, Harry wie er vor sich hinstarrte, wie er monoton sprach, nur einsilbig, nicht mehr als nötig. Sie ignorierte, auf keinen Aufmunterungsversuch ansprang und einfach in sich gekehrt blieb. Aber jetzt, in genau diesem Augenblick, saß er ihnen gegenüber und lachte! Lachte, wie sie ihn noch nie hatten lachen hören!
Aus Rons Gesicht wich augenblicklich jeglicher Zorn. Hermine war den Tränen nahe und er drückte sanft ihre Hand. Sie wechselten einen Blick und damit war es beschlossen. Wenn Harry so glücklich war, dann sollte er bei Malfoy bleiben. Wenn er ihn hatte aufmuntern können, ihm das verlorene Lachen wieder schenken, dann war es gut und dann zählte nichts, auch nicht ihre rivalisierende Vergangenheit.
Mit einem Seufzen bedeutete Ron seiner Freundin, dass er bereit war, sich bei Malfoy zu bedanken, doch als sie ihm die Blicke zuwanden, sahen sie nur, wie er gehetzt über den Tisch sah. Snapes Augen bohrten sich in seinen Rücken, was offensichtlich der Grund für die Nervosität des Jungen war.
"Öhm..." Draco räusperte sich kurz, sah weiter über den Tisch, fixierte aber bereits immer wieder den Ausgang. "Ich... werd dann mal gehen!"
Und noch bevor irgendeiner reagieren konnte, war er aufgesprungen, die ersten paar Schritte auf der Tischplatte nehmend. Dann sprang er hinunter und raste in einer irrsinnigen Geschwindigkeit aus der Großen Halle hinaus.
Snape starrte ihm nur hinterher, bis er verschwunden war und setzte dann seinen Weg zum Lehrertisch wallenden Umhangs fort.
Harry bekam sich langsam wieder unter Kontrolle und meinte auf die hilflosen Blicke seiner Freunde nur:
"Jetzt versteh ich, warum er nicht zunimmt!"

- - -

Immer noch lachend stand Harry schließlich auf um die Große Halle zu verlassen. Sie waren sowieso schon die letzten und die Essenszeit war mittlerweile vorbei. Ron und Hermine hatten die ganze Zeit noch schweigend da gesessen, sie wagten es nicht wirklich den anderen Jungen anzusprechen. Vielleicht aus Angst, es wäre alles nur eine Einbildung gewesen, eine Illusion, die bei näherer Betrachtung in sich zusammenfiel.
Ginny hatte sich ein wenig vom Nachtisch genommen und Harry dabei lächelnd betrachtend. Es war schön ihn so ungezwungen lachen zu sehen. Und es tat nicht nur ihm gut, sondern auch ihnen. Wenigstens ein kleines bisschen Hoffnung in ihrer derzeit so trüben Welt.
Der Schwarzhaarige tat ein paar Schritte, dann merkte er, dass ihm niemand folgte. Verwirrt drehte er den Kopf und fragte:
"Was ist? Kommt schon!"
Er winkte mit der Hand und augenblicklich sprangen Ron und Hermine auf, kaum glaubend, dass es doch keine Einbildung gewesen war. Ginny folgte ihnen kopfschüttelnd.
Als sie in die Eingangshalle kamen, ging Harry plötzlich langsam, bis er ganz stehenblieb. Wo wollte er eigentlich hin? Er wohnte ja gar nicht mehr Gryffindorturm... was sollten sie jetzt machen? Aber er hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn-
"Harry!", kam es plötzlich gezischt neben ihm und nicht nur Harrys Herz tat einen Sprung.
Draco, der um den Endpfosten der Marmortreppe herumlugte, sah die vier Gryffindors dumm an, angesichts der Tatsache, dass sie gerade wie auf Kommando alle einen Satz zur Seite gemacht hatten.
"Irgendwie seid ihr ganz schön schreckhaft dafür, dass ihr so mutig sein sollt..."
"Was musst du einen auch so erschrecken... was machst du da eigentlich?"
"Psht!", zischte der Blonde dem Schwarzhaarigen wieder zu. "Schau nicht hierher, wenn du mit mir redest! Schau woanders hin!"
Stille. Er fühlte sämtliche Augenpaare auf sich gerichtet, bis Harry sich schließlich erbarmte.
"Draco", fing er an und erinnerte den Angesprochenen schon wieder an Severus, da er den gleichen kleinkinderbelehrenden Ton in der Stimme hatte. "Ich frage dich jetzt noch einmal: Was tust du da?!"
Draco knurrte. "Ich stelle mich öffentlich zur Schau, das siehst du doch." Ein vorwurfsvoller Blick aus grünen Augen ließ ihn keifend fortfahren: "Verdammte Scheiße, ich verstecke mich, du Idiot! Das sieht man doch wohl! Glaubst du Sev gefällt es, dass ich ihn in der Öffentlichkeit Sev nenne?!!"
"... warum tust du es dann?"
Schweigen. Dann nur ein Knurren, als Draco sich geschlagen geben musste.
Hermine und Ron verfolgten dieses Gespräch mit Verwunderung, Ginny grinste wieder. Obwohl auch sie nicht wirklich wusste, was sie über dieses 'Sev' denken sollte. Hätte es einer von ihnen zu ihrem Zaubertränkeprofessor gesagt - nicht, dass auch nur einer von ihnen jemals diese Intention dazu gehabt hatte - er hätte sie augenblicklich in Grund und Boden gerammt. Aber Malfoy hatte er nur mit einem bösen Blick bedacht... wobei, wenn man es recht bedachte, konnte ein Blick aus diesen schwarzen stechenden Augen des Lehrers manchmal grausamer sein als ein Wort oder eine Handlung.
"Ach, ist doch auch egal...", fuhr der Slytherin dann fort, wobei er immer noch nur mit einem Auge hinter der Säule hervorlugte. "Ist er noch drin?"
Er erntete nur Schulterzucken. Keiner der vier hatte beim Rausgehen darauf geachtet.
"Na ganz toll..." Die grauen Augen schauten einen Moment abschätzig, dann maßen sie die Entfernung zwischen seinem Versteck und der Kerkertür. Zu weit... außerdem, was wäre, wenn Sev hinter der Kerkertür auf ihn warten würde? Zu gefährlich, viel zu gefährlich! Er musste wissen, ob sein Pate noch in der Großen Halle war, aber wie sollte er da unbemerkt hinkommen?! Von den Gryffindoridioten wollte er keinen schicken. Bei den Weasleys und Granger war er sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt die Wahrheit sagen würde. Und Harry... Harry hatte er mittlerweile oft genug gegen eine Tür rennen sehen. Auch wenn er da seine Brille nicht aufgehabt hatte, war sich Draco nicht sicher, ob er damit sehr viel mehr sah... also brauchte er etwas anders... etwas wie ein... Schild!
In Sekundenschnelle war der Blonde hinter dem Pfosten hervorgesprungen und stellte sich gebückt hinter Harry. Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah.
"Was... was machst du jetzt schon wieder?!"
"PST! Ich hab doch gesagt, du sollst nicht mit mir reden..."
Harry rollte mit den Augen, Hermine und Ron tauschten einen verwirrten Blick und Ginny kicherte.

- - -

Nachdem Draco ein paar Mal zu beiden Seiten hinter Harry hervorgespäht hatte, legte er seine Hände an die Oberarme des Schwarzhaarigen und drückte ihn in Richtung Große Halle.
"Was...?"
"Du musst mir nur Deckung geben, damit ich schauen kann, ob Sev noch da ist... und jetzt sei still."
Harry seufzte, beschloss dann aber es hinzunehmen. Vorher würde er ja keine Ruhe bekommen. Doch nach bereits drei Schritten hielt der Blonde schon wieder an. Sie standen jetzt direkt zwischen den anderen, Hermine und Ginny noch vor ihnen, Ron schräg dahinter. Dracos Blick wanderte ein paar Mal über Harry, dann zu den Seiten, schließlich wieder über den Jungen vor sich, bevor er seinen stark gekrümmten Rücken betrachtete. Schließlich richtete er sich ganz auf und ließ von Harry ab. Der bemerkte dies und auch den Blick von oben, also legte er den Kopf in den Nacken um den anderen anzusehen.
Anhand des doch enormen Größenunterschieds reichte es, dass Draco den Kopf nur ein wenig vorstreckte um den anderen genau ansehen zu können. Missbilligend zog er die Augen zusammen und schüttelte mit dem Kopf.
"Meine Fresse, Potter... du bist echt so ein Gnom! Hinter dir kann man sich nicht mal verstecken!"
Harry blinzelte verwirrt, doch noch bevor er etwas sagen konnte, war der blonde Junge hinter Ron gesprungen und hatte ihn kurzentschlossen zu seinem Schild umfunktioniert. Doch wieder kamen sie nur drei Schritte weit, als der Bauch des Rothaarigen sich lautstark zu Wort meldete. Kurz darauf tat Hermines Magen dieselbe Meinung kund.
Die Fünfergruppe hielt inne, bis Draco trocken meinte:
"Habt ihr sogar vergessen, wie man mit Messer und Gabel isst?!"
Ein tödlicher Blick von Ron war die einzige Antwort, doch dem Slytherin machte das nichts aus. Er kannte da weitaus schlimmere, angsteinflößerende Blicke.
"Habt ihr überhaupt etwas gegessen?", fragte Ginny dann und Hermine schüttelte den Kopf.
"Wir waren zu... geschockt..." Sie lächelte ein wenig verlegen.
Harry fuhr sich augenrollend durch die Haare. "Na dann sollten wir wohl der Küche einen Besuch abstatten."
Bis auf den Blonden gaben alle ein Nicken von sich. Denn Draco stand nur da, kerzengerade und unfähig sich zu bewegen. Harry hatte sich bereits zum Gehen gewandet, wurde von Ginny aber zurückgehalten, die das seltsame Verhalten des Slytherins bemerkt hatte. Der Schwarzhaarige wusste nicht was los war. Er sah sich kurz um, aber nichts war zu sehen, dass dem anderen irgendwie hätte Angst machen können. Und außerdem lagen die grauen, schockgeweiteten Augen auf ihm, wie ihm in diesem Moment auffiel.
Ein wenig unsicher beschloss er schließlich zu fragen, doch noch bevor er den Mund auch nur öffnen konnte, hatte Draco seine Stimme wieder gefunden.
"Küche?"
Ron ließ es sich nicht nehmen ein paar Schulden zurückzuzahlen. "Ja, Küche, das Zimmer, in dem Essen zubereitet wird. Da, wo andere für dich schuften."
Doch Draco ging gar nicht auf diese Bemerkung ein, hatte sie anscheinend nicht einmal realisiert, denn völlig zusammenhangslos fragte er den Rothaarigen.
"Ihr wisst wo die Küche ist?!"
Die Antwort auf seine Frage bekam er jedoch von einem mehr als verwirrten Harry.
"Ja, sicher... du nicht?"
Dracos Kopf schoss zu ihm herum und in seinen Augen flackerte eine Wut, wie Harry sie selten bei ihm gesehen hatte. Alle wichen ein wenig vor ihm zurück und so konnte keiner reagieren, als der Slytherin auf den Schwarzhaarigen zustürmte, ihn am Kragen packte und mit einer erstaunlichen Kraft zu sich auf Augenhöhe brachte:
"Du weißt, wo die Küche ist, und hast mir in den letzten zwei Wochen NICHTS davon erzählt?!!"
Die grauen Augen sprühten vor Wahnsinn, genauso wie die erhobene Stimme. Harry wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich entschied er sich zu einem vielleicht mildernden Satz:
"Ich... ich hatte gedacht, du wüsstest es..."
"Wahhh!" mit einem Schrei ließ Draco den anderen los und rannte schon beinah panisch um die vier Gryffindors rum. "Nein, Sev hat mir das nie gesagt!! Ich hab alles versucht es rauszufinden! Aber niemand hat es mir gesagt!"
Schließlich kam er mit wildfuchtelnden Armen vor Harry zum Stehen und seine Augen erinnerten letzteren an die Szene im Honigtopf vor zwei Wochen. "Wo? Wo?!! WO?! Komm schon, komm schon!! Sag! Sagsagsag!!! SAAG!!!"
Der Schwarzhaarige konnte in seiner Perplexibilität nur mit einer Hand in die Richtung deuten, in der die Küche lag. Augenblicklich stürmte Draco an ihm vorbei, hysterisch lachend und mit einem Ausdruck in den Augen, als wäre gerade sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen.
Sekunden starrten die Gryffindors ihm nur nach, bis Ron schließlich seine Stimme wieder fand.
"Ist der... immer so?"
Harry blinzelte ein paar Mal bevor er antwortete. "Wenn es um Essen geht... ja!"

- - -

Bei vielen Menschen fragte man sich, was ihnen eine Freude machen könnte. Bei noch mehreren was für sie der Himmel auf Erden sein würde. Schwierige Fragen, schwer zu beantworten, da man nicht immer das kennt, was wirklich in den Tiefen der Seele schlummert. Eine Person könnte sich ein Lebenlang für etwas begeistern äußerlich, doch im Inneren sich etwas ganz anderes wünschen. Manche Menschen waren eine einzige Lüge, denen man nichts aus ihren Augen heraus lesen konnte. Andere wurden missverstanden, egal wie sie versuchten sich auszudrücken.
Draco war ganz sicher niemand von diesen Menschen. Denn Dracos Blick zeigte ganz eindeutig, dass die Küche Hogwarts sein Himmel auf Erden war!
"Oh, das war eine schlechte Idee ihm die Küche zu zeigen...", meinte Harry zu den anderen Gryffindors, die alle noch hinter dem auf den Fußballen wippenden Draco standen. Sein Blick war mittlerweile noch fanatischer als zwei Wochen zuvor vor dem Schokoladenregal im Honigtopf und er schien sich gar nicht entscheiden zu können, wo er zuerst hinging.
"Warum?", fragte Hermine auf Harrys Satz.
"Weil er so innerhalb der nächsten 24 Stunden wahrscheinlich die gesamten Vorräte Hogwarts auffressen wird..."
Hermine und Ron sahen ihn nur nichtsverstehend an. Ginny aber hatte den Slytherin beim Essen beobachtet.
"Aber er hat sich doch eben schon den Bauch vollgeschlagen... und das nicht zu kurz..."
"Ginny.. so was hält ihn nicht davon ab sich kurz danach nochmal den Bauch vollzuschlagen..."
Das rothaarige Mädchen schaute etwas skeptisch, doch als sie dann an Draco vorbei ging und seines Blickes gewahr wurde, wich diese Skepsis langsam.
Sofort waren sie von einer Horde Hauselfen umgeben, die Rons überschwängliche und Hermines verlegene Bestellungen aufnahmen und sich augenblicklich an die Arbeit machten. Ginny bestellte sich auch noch ein wenig Nachtisch, genauso wie Harry, der sich ja ab Mitte des Essens mit Hermines Namenssutra hatte rumschlagen müssen.
Nur Draco stand immer noch an der Tür, fortwährend vor Aufregung viel zu geschockt, als dass er sich entscheiden könnte irgendwo hinzugehen. Doch dann, ganz plötzlich, fiel ihm etwas ins Auge. Etwas sehr Altbekanntes, etwas das ihm-
"DOBBY!!!"
Nicht nur besagter Hauself, sondern auch die vier Gryffindors taten erneut einen Satz beim plötzlichen Aufschrei des Blonden. Während die Weasleys und Hermine irritiert in der Gegend umhersahen, hatte Harry den kleinen Hauself schnell ausgemacht. Er stand an einem Herd am anderen Ende der Küche, suchte nach der Quelle seines Namensschrei - und begann augenblicklich zu zitternd als er Draco gewahr wurde.
Der Schwarzhaarige wollte den Blonden aufhalten, als dieser auf den ehemaligen Hauself ihrer Familie zustürzte, doch die Entfernung war zu weit und außerdem bewegte sich der Slytherin mit einer Geschwindigkeit, bei der er nicht mithalten konnte.
Dobbys Augen wurden noch größer, als er den Sohn seines einstigen Peinigers auf sich zustürzen sah. Er wollte ausweichen, doch da war Draco bereits bei ihm und trieb ihn unaufhaltsam gegen die Wand. Mit einem mehr als fanatischen Grinsen, kniete sich der Junge hinab und sah den Hauself an, als wolle er ihn jeden Augenblick auffressen.
Harry kam mittlerweile auch an und versuchte den wahnsinnigen Blonden von dem zitternden Hauself wegzuzerren. Doch er bewegte sich keinen Zentimeter.
"Harry! Harry, schau mal!!"
Die langen Finger Dracos krallten sich in den Ärmel des Angesprochenen und zogen derart fest daran, dass letzterer hinuntergerissen wurde. Mit einem Bein auf dem Boden kniend, sich mit beiden Händen an dem anderen Jungen festkrallend, fand er schließlich einen Halt.
"Guck mal, guck mal! Das ist Dobby!"
Dracos Finger zuckte auf und ab, als er Harry strahlend ansah. Dieser wusste nicht ganz genau, was er davon halten sollte. Bis eben hatte er gedacht, der Blonde wollte auf den Elf losgehen, doch nun, da er dessen glückliches Gesicht sah...
"Ah! Dobby kann mir einen Kakao machen! Auf Dobby, mach! Ja? Ja? Ja? Jaaa?" Er erhob sich schließlich wieder und schob den verwirrten Hauself hinter einen der vielen Öfen. Dort blieb er hinter ihm stehen, drehte sich zurück zu Harry und meinte mit diesem freudigen Grinsen:
"Dobby macht mir einen Kakao! Dobby-Kakao ist der allerbeste!!"

- - -

Nach einer kurzen Weile saßen die fünf Menschen um einen kleinen Tisch herum. Ron und Hermine aßen ihr längst überfälliges Abendessen, Ginny stocherte in ihrem Obstsalat herum, Harry tat sich an einem großen Eis gütlich und Draco... starrte wie fanatisch auf die große Tasse Kakao, die ihm Dobby gemacht hatte, und konnte sein Glück kaum fassen.
Um sie herum wuselten alle möglichen Hauselfen, nur Dobby hatte sich, auf Harrys Bitte hin, zu ihnen gesetzt.
"Dobby hat für jungen Master Malfoy immer Kakao machen müssen", erzählte er den Gryffindors, während der Slytherin vollkommen von seiner dampfenden Tasse eingenommen wurde. "Kein anderer Hauself durfte Kakao für jungen Master Malfoy machen. Nur Dobby."
Harry grinste und wechselte einige vielsagende Blicke mit seinen Freunden. Dann meinte er zu dem Hauself neben sich.
"Ja, ich glaube, weil ihm dein Kakao schmeckt..."
Dobby sah ihn aus großen Augen an. "Glauben Harry Potter Sir das wirklich...?"
"Ja, ich denke, man kann diesen Blick so deuten!" Er lachte wieder, als der Elf verlegen den Blick senkte. Dass er jemals etwas getan hatte, das seinen alten Meistern gefallen hatte, hätte er sich nie denken können.
Eine Weile verging in gefräßigem Schweigen, bis Hermine schließlich doch noch Dobbys Kopfbedeckungen auffielen. Sie kniff die Augen zusammen, bis sie sie erkannte und riss sie dann wieder auf:
"Das sind doch meine Hüte!!"
Ihr plötzlicher Aufschrei ließ alle Menschen und den Elf zusammenfahren, sogar Draco sah von seinem Kakao auf. Dobby senkte beschämt den Kopf. Harry wechselte nun einen Blick mit Ron. Er hatte ihm erzählt, dass Dobby immer alle Hüte einsammelte, weil die anderen Hauselfen Angst vor der Freiheit hatten. Aber Hermine hatten sie dies verschwiegen... aus gutem Grund.
"Was meinst du damit? Deine Hüte?" Draco musterte kurz Dobbys zahlreiche Kopfbedeckungen, dann sah er das braunhaarige Mädchen an.
"Die Hüte, die ich für B.ELFE.R gestrickt habe!"
Draco hob eine Augenbraue und unterdrückte schlecht ein Grinsen. "Bitte was?!"
Aber Hermine ging nicht auf die Frage ein und richtete sich stattdessen an Dobby:
"Wieso hast du die alle?! Die waren doch für die anderen Hauselfen..."
Draco wandte seinen Blick nun auf Harry, da er von dem Mädchen augenscheinlich keine Antwort erhalten würde. Der Schwarzhaarige seufzte, dann erklärte er:
"Hauselfenbefreiungsfront..."
Schweigen.
Noch mehr Schweigen.
Das Schweigen dauerte bald eine Minute, in der Draco den anderen nur emotionslos anstarrte. Dann, ganz langsam, wand er seinen Kopf Hermine zu. Er blinzelte. Sie hatte ein entschlossenes Gesicht, das sagen wollte 'Die Hauselfen müssen befreit werden!'. Er blinzelte noch einmal. Und dann brach er in schallendes Gelächter aus!
"Wie geil! ... Hauselfenbefreiungsfront!! ... Ich werd' nicht mehr!!" Das war alles, was sie einigermaßen aus seinem Gelächter heraushören konnte. Hermine sah ihn kalt an. Die beiden Jungen und das rothaarige Mädchen unterdrückten Grinser.
Ron lehnte sich zu Harry hinüber und flüsterte nur für ihn hörbar:
"Ich hätte ja nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber... in diesem Fall bin ich mit Malfoy einer Meinung!"

- - -

Als sie wieder nach oben gingen, musste Draco sich an Harry festhalten um nicht umzufallen. Er wurde immer noch von Lachsalven geschüttelt, die sich nur jedes Mal verstärkten, wenn Hermine ihm einen erneuten tödlichen Blick zuwarf. Der Schwarzhaarige lachte nun auch offensichtlicher, versuchte sich aber immer zu beherrschen, wenn das braunhaarige Mädchen sich zu ihnen umdrehte. Ginny und Ron gingen voran und konnten grinsen ohne etwas zu befürchten.
"Oh Mann... das war der Witz des Jahrhunderts..." Auf dem Weg in die Eingangshalle, gewann Draco wieder die Kontrolle über sich, musste sich aber erst einmal die Lachtränen aus den Augen wischen um klar sehen zu können. Er erntete einen halbherzigen Rippenstoß von Harry, konnte ihn aber nicht ernst nehmen, weil der Schwarzhaarige auch unentwegt grinste.
In der Eingangshalle trennten sie sich. Hermine würdigte sie keines Blickes und stolzierte beleidigt die Treppe hinauf. Ron und Ginny wünschten den beiden anderen eine gute Nacht und gingen dem Mädchen mit genügend Abstand hinterher. Eine Weile sahen ihnen Draco und Harry hinterher.
"Na, das ist doch gar nicht so schlecht gelaufen, oder?!", meinte der Blonde dann und der andere nickte.
"Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt..."
"Tja, ich hab halt Überzeugungskraft!" Harry rollte nur mit den Augen auf die Bemerkung des Slytherins.
Schließlich drehten sie sich um, um den Weg nach Slytherin einzuschlagen. Sie sahen gerade noch, wie Professor Snape geräuschlos durch das Eingangstor nach draußen glitt. Die grünen Roben, die kurz unter seinem Reiseumhang hervorblitzten, konnten nur eines bedeuten.
Dracos Grinsen gefror und betrübt senkte er den Blick. Harry war ein wenig erschreckt über diesen plötzlichen Stimmungswechsel. Das kannte er nicht von ihm.
"Alles in Ordnung?", fragte der Schwarzhaarige zaghaft und legte eine Hand auf die Schultern des anderen. Der blickte für ein paar Sekunden starr auf den Boden, bevor er den Kopf schüttelte.
"Ich mag es nicht, wenn er dahin geht... ich hab immer Angst, dass... dass er nicht zurückkommt..."
Dracos Stimme schien jeden Augenblick zu brechen, aber er musste nicht weitersprechen. Harry konnte ihn verstehen, nur zu gut...
Aufmunternd legte er einen Arm um den anderen und strich ein paar Mal über seinen Oberarm, als sie sich langsam in Richtung Kerker begaben.

- - -

Harry war bereits fertig für die Nacht, saß aber noch auf den Decken seines Bettes. Draco befand sich im Bad, aber nicht mehr lange und so musste der Schwarzhaarige sich bald entscheiden. Er wollte den anderen etwas fragen, aber er wusste nicht, wie und ob er es überhaupt tun sollte...
Als die Badtür aufging und Draco herauskam, verfolgte Harry den anderen Jungen mit seinen grünen Augen.
Draco wurde sich des Blickes erst klar, als er gerade unter die Decken schlüpfen wollte. Er erwiderte den Blick, aber Harry zeigte keine Reaktion. Anscheinend war er zu tief in Gedanken versunken. Also räusperte sich der Blonde und meinte:
"Willst du mich was fragen?"
"Hm?" Vollkommen verwirrt erwachte der Schwarzhaarige schließlich aus seiner Trance.
"Ob du mich was fragen willst..." Draco schüttelte den Kopf.
"Ähm..."
Verdammt, da war er wohl zu auffällig gewesen. Harry seufzte und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein. Als er anfing zu sprechen, war sein Blick auf die Decke vor sich gerichtet und nicht auf den anderen Jungen:
"Ich weiß, warum du die Seiten gewechselt hast, aber nicht wie..."
Draco schwieg auf die Frage, sah den Gryffindor nur ausdruckslos an. Harry kam sich unwohl vor. Schnell meinte er:
"Entschuldige, ich wollte nicht aufdringlich sein... eigentlich geht es mich gar nichts an..." Er wollte sich schon zurücklegen, als Dracos Stimme leise zu ihm herüberdrang.
"Rede ich im Schlaf?"
Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke, doch Harry brach den Kontakt gleich wieder ab.
"Manchmal..."
Es war nur ein oder zwei Mal vorgekommen bisher, aber er hatte den anderen reden hören. Es waren nur einzelne Wörter wie 'Nein' oder 'Nicht' gewesen, aber Harry kannte sich mit Alpträumen aus. Er wusste, wann er einen vor sich hatte.
Soweit er mitbekommen hatte, war den meisten des Ordens nicht bewusst, wie Draco zu ihnen gestoßen war. Plötzlich war er einfach da gewesen, ohne vorher für viel Aufregung zu sorgen. Harry wusste nicht, ob Draco gewusst hatte, dass Snape ein Death Eater gewesen war. Oder ob er sogar gewusst hatte, dass sein Pate ein Spion war. Vielleicht hatte er sich auch gleich an Dumbledore gewandt, aber irgendwie traute Harry ihm das nicht zu. Draco Malfoy war nicht gerade der Mensch, der bei Albus Dumbledore Zuflucht suchte...
Durch einen von Dracos seltenen Seufzern wurde er zurück in die Realität gerissen.
"Ich kann dir das nicht wirklich sagen... ich weiß es selbst nicht so genau..." Er schwieg aber Harry stellte keine Fragen, er hatte gelernt, dass man Leute ausreden lassen sollte.
"Ich sollte in den Sommerferien initialisiert werden... es war irgendeine Zeremonie in irgendwelchen Höhlen. Vater hatte mich betäubt und hingebracht, weil ich mich gewehrt hatte. Ich... ich wollte kein Death Eater werden... das war wohl ziemlich deutlich.
Ich kann mich nicht an viel erinnern, es ging alles so schnell. Ich wurde in einer dieser Roben in einen großen Raum geschubst. Überall waren Death Eater, die mich aus ihren Masken anstarrten. Sie bildeten einen freien Gang, an dessen Ende sich eine kleine Plattform erhob und auf der... Er stand... Der einzige ohne Maske... Es war das erste Mal, dass ich ihn wirklich gesehen hab und er... nya, du weißt ja, wie er ausschaut...
Irgendjemand hat mich nach vorne gestoßen, ich weiß nicht wer. Vater wohl nicht... Neben Ihm standen zwei große Death Eater, ich nehme an Vater und Tante Bellatrix. Im Hintergrund war noch ein kleinerer zusehen... wahrscheinlich dieser Pettigrew..."
Er schwieg wieder eine Weile, kniff die Augen zusammen, als ob es ihm schwerfiele sich zu erinnern.
"Auf der Hälfte des Weges hab ich gefühlt, wie er in meinem Kopf herumwühlte. Ich wollte die Augen abwenden, aber ich konnte es nicht... er hat wohl gesehen, dass ich ihm nicht dienen würde, denn er hat einem der Death Eater neben sich etwas zugezischt, das diesen zusammenfahren ließ. Und dann ging alles ganz schnell:
Irgendwo ist etwas explodiert, dann sind alle Feuer ausgegangen. Im nächsten Augenblick spürte ich, wie ich runtergerissen wurde, weg von den ganzen Flüchen, die durch die Luft zuckten. Plötzlich hatte ich etwas in der Hand und bevor ich auch nur irgendwas tun konnte, spürte ich, wie ich von allem weggerissen wurde..."
"Ein Portschlüssel?", hakte Harry nach. Draco nickte.
"Ich fand mich in Dumbledores Büro wieder. Er schien mich erwartet zu haben, denn alles was er sagte war: 'Ah, Mister Malfoy, guten Abend. Nehmen Sie doch Platz, ich denke, wir haben einiges zu besprechen.' "
Für Minuten schwiegen sie beide. Schließlich wagte Harry zu fragen:
"Hat Professor Snape dich rausgeholt?"
"Ja. Er hatte wohl mitgekriegt, dass ich initialisiert werden sollte und hat mit Dumbledore einen Plan ausgetüftelt."
"Wusstest du, dass Snape-"
"Nein, nicht bis er am Morgen danach in Dumbledors Büro stand und von allem wusste. Ich wusste, dass er Death Eater gewesen war, Vater hatte da zuhause kein großes Geheimnis draus gemacht. Severus schien das immer unangenehm gewesen zu sein. Ich wusste nie warum. Jetzt habe ich begriffen, dass er nie wollte, dass auch ich in diesen Teufelskreis hineingezogen werde..."
"Wurde er nicht verdächtigt?"
Draco schüttelte den Kopf. "Der Lord schien wohl irgendeinen anderen Death Eater in meinem Kopf gesehen zu haben kurz bevor alles in die Luft flog. Er hat diesen dann bestraft ohne lang zu zögern... Ich weiß nicht mal, wer es war... wahrscheinlich hatte ich ihn nur mal kurz gesehen ohne zu wissen, dass er überhaupt dazu gehörte..."
Der Junge brach ab und sah auf die Decke neben sich. Kurzentschlossen stand Harry auf und legte einen Arm um ihn. Draco hatte ihn getröstet, nun musste er für ihn da sein, das war für ihn ganz selbstverständlich.

- - -

Zu Dracos Erleichterung saß Professor Snape am nächsten Morgen schon wieder am Lehrertisch, zwar übermüdet, aber gesund. Nur dieser besorgte Ausdruck, den er nun mit sich herumtrug, machte die Jungen misstrauisch. Und es blieb nicht bei Snape. Alle Mitglieder des Ordens waren extrem nervös. McGonagall, Hagrid, selbst Dumbledore schien besorgt und wenn Harry eines über die Jahre gelernt hatte, dann war es, dass es nicht gut stehen konnte, wenn der alte Zauberer besorgt war.
Aber auch wenn sie merkten, dass etwas nicht stimmte, so hieß das leider nicht, dass sie erfuhren, was es war. Ron und Ginny versuchten etwas von ihren Eltern oder Brüdern zu erfahren, doch auch diese schwiegen eisern. Und so zogen die Tage des Frühlings dahin, mittlerweile wieder strahlend vor Sonnenschein, doch wenn man den Horizont genau betrachtete, dann konnte man die Schatten der Wolken bereits sehen.
Draco ging mittlerweile mit den Gryffindors in den Unterricht, da für einen Schüler allein sich der Unterricht nicht lohnte. Zuvor war er mit den Ravenclaws gegangen, aber nun, da er sich mit Harry angefreundet hatte, war ihm Gryffindor irgendwie lieber - Severus hatte ihm zwar wieder einen dieser Dafür-könnte-ich-dich-töten-Blicke zugeworfen, als der Junge seine Bitte dem Hauslehrer vorgetragen hatte, aber er hatte es einfach ignoriert. Außerdem schien es Severus noch einen schönen Moment beschert zu haben, da McGonagall vor Schreck eine ganze Kanne Tee über ihren Schreibtisch schüttete, als der Mann ihr sein Anliegen mitteilte.
Harry war wieder einigermaßen glücklich - so glücklich, wie man in seiner Situation nun mal sein konnte. Er hatte viel verloren im letzten Jahr, hatte diesen Frühling aber auch einiges gewonnen, es konnte den Verlust nicht ersetzen, sicher, aber es konnte den Schmerz darüber lindern.
Seine Zeit verbrachte er größtenteils mit Draco, da er es immer noch vorzog nicht in großer Gesellschaft zu sein. Aber hin und wieder unternahm er auch etwas mit Hermine und Ron und den anderen aus seinem ehemaligen Schlafsaal. Anfangs hatte sich Draco dabei noch zurückgezogen, hatte dann immer etwas anderes gemacht, aber eines Tages zog Harry ihn einfach mit. Die anderen sollten sich gefälligst an den Blonden gewöhnen, das war seine Meinung. Es gelang sogar einigermaßen. Mit Seamus verstand sich Draco recht gut, sie hatten beide eine ähnliche Art von Humor und konnten sich stundenlang über irgendjemanden lustig machen - Harry fand sich leider hin und wieder selbst als Betroffener wieder... irgendwie hatten die beiden Jungen einen Narren daran gefressen, dass er morgens ohne Brille manchmal gegen die Badezimmertür lief.
Bei Dean hatte der Slytherin noch ein paar Vorbehalte. Auch wenn er die Seiten gewechselt hatte, war es schwer die Meinung abzulegen, die man ihm Jahrelang eingebläut hatte. Aber mit der Zeit gewöhnte er sich an ihn und sie verstanden sich auch recht gut.
Neville würde wohl nie wirklich einen Draht zu Draco finden, dafür waren die Umstände wohl zu gespannt. Anfangs hatte Neville sich meistens zurückgezogen, wenn der andere dabei war, oder geschwiegen. Doch nachdem er ein paar Mal etwas gesagt hatte und Draco keine höhnische Bemerkung in den Raum warf, war er etwas aufgetaut.
Mit Ginny verstand der Blonde sich ungewöhnlich gut. Dean war schon so manches Mal eifersüchtig geworden, aber Harry glaubte manchmal, dass sie gewisse Dinge nur sagten und taten um Rons entsetzte Reaktion zu sehen. Dracos eine Bemerkung, die er mal beim Abendessen abgegeben hatte - "Ich weiß jetzt, wie ich meinen Vater am besten ärgern kann: Ich heirate einfach in die Weasley-Familie ein!" - hatte den rothaarigen Jungen sich verschlucken lassen und Dean musste den Notfallgriff anwenden, damit Ron nicht erstickte.
Wessen Verhältnis nun am schwierigsten war, vermochte er nicht zu sagen. Um Platz eins kämpften immer wieder Draco und Ron gegen Draco und Hermine miteinander. Bei Ron war es noch dieser vererbte Familienhass, der eine Rolle spielte. Die Väter hatten sich schon nicht verstanden, die Söhne bisher auch nicht. Sie kamen aus zwei völlig unterschiedlichen Klassen und das ließ sich wohl nicht so einfach bereinigen. Aber Ron duldete Draco und das war Harry genug. Nur manchmal, wenn Draco wieder einen seiner spitzen Sprüche von sich gab, bröckelte alles ein wenig - obwohl Harry auch sagen musste, dass Ron sich irgendwie sehr leicht provozieren ließ...
Bei Hermine war es noch komplizierter. Bei ihr war es kein Familienhass, wohl eher Rassenhass. Harry mochte dieses Wort nicht, wusste aber nicht, wie er es anders nennen sollte. Während Draco zu Dean irgendwie einen Draht fand, war das bei ihm und Hermine nicht der Fall. Sie hatten nicht viel gemeinsam - bis auf diese Ablehnung gegen Wahrsagen. In diesem Punkt waren sie sich immer erstaunlich einig. Aber ihr gespanntes Verhältnis würde sich im Gegensatz zu den anderen, denen Harry noch eine Chance gab, wohl nicht so einfach lockern lassen. Denn Draco liebte es sich über das lustig zu machen, was Hermine hoch und heilig war: Die Hauselfenbefreiungsfront! Aber ehrlich gesagt, war Draco da nicht der einzige. Der Rest tat es halt nur nicht so offensichtlich.

- - -

An einem regnerischen Maitag - Draco hatte sich von Harry ein Muggelbuch über Magie empfehlen lassen und lachte sich jetzt dumm und dämlich, während er es las - suchte der Schwarzhaarige in seinem Koffer nach einem Buch, als er plötzlich einen Packen Briefe fand. Einen Moment wunderte er sich, von wem sie waren, bis er sie nahm und Remus' klare Handschrift darauf erkannte. Harry seufzte. Das hatte er vollkommen vergessen.
Remus war ihn im Sommer einige Male besuchen gekommen - nachts oder wenn die Dursleys nicht da gewesen waren. Er hatte nicht versucht ihn aufzumuntern, er wusste selbst nur zu genau, wie es war jemanden zu verlieren, der einem näher stand, als jeder andere sonst. Er hatte ihn meistens nur gehalten, hatte ihm durchs Haar gefahren und ihn gestreichelt. Harry hatte das unterbewusst ein wenig genossen, hatte sich gewünscht, dass Remus Sirius' Platz einnehmen würde. Aber ihm war schnell klar geworden, dass er das nicht konnte. Nicht, dass Remus nicht so nett, nicht so liebevoll war, aber... er war nun einfach nicht Sirius. Er war Remus und Harry liebte ihn deshalb nicht weniger, aber er war nun einfach nicht sein Pate, denn sein Pate war tot.
Nach den Ferien war ihr Kontakt abgebrochen, nicht von Remus' Seite aus, sondern von Harrys. Der Junge hatte einfach keinen Sinn darin gesehen ihm zu schreiben, aber er hatte ja sowieso in nichts einen Sinn gesehen. Harry war sich sicher, dass Remus irgendjemand anderen angeschrieben hatte aus Sorge und so erfahren hatte, was los war, aber trotz allem hatte er nicht aufgehört zu schreiben. Seine Briefen waren immer regelmäßig am Ende der Woche eingetroffen. Anfangs hatte Harry sie noch gelesen, seit Weihnachten aber nicht mehr. Doch seit kurz vor Ostern war kein Brief mehr eingetroffen, wie dem Schwarzhaarigen nun auffiel. Hatte Remus schließlich doch noch aufgegeben? Oder konnte er nicht mehr schreiben? Wollte er nicht mehr? Kurz starrte Harry auf die Briefe, die Hälfte geöffnet, die andere noch verschlossen. Dann nahm er die Verschlossenen und begann sie zu lesen, vielleicht konnte er ja darin eine Antwort finden.
Es waren nicht immer lange Briefe, manchmal nur ganz kurze, dann wieder welche über Seiten hinweg. Sie beinhielten meist nur banales, manchmal ein paar skurrile Dinge, die Remus erlebt hatte. Über die Vollmondnächte schrieb er nichts, aber Harry fiel auf, dass die Briefe, die in einer Vollmondwoche geschrieben worden waren, nie sehr lange waren. Es musste wirklich schwer sein diese grausame Krankheit mit sich herumzuschleppen. Dann kam Harry beim letzten Brief an. Er war nicht lang, da Remus es wohl eilig gehabt hatte. Sondermission des Ordens, las der Junge. Es könnte sein, dass ich für ein paar Wochen nicht schreiben kann, ich komme dich besuchen, wenn ich wieder da bin. Es dürfte Mai werden, aber wann genau kann ich nicht sagen. Daran lag es also. Besuchen? Harry überlas noch einmal den Satz. Ja, tatsächlich besuchen! Der Junge konnte nicht sagen warum, aber es freute ihn, dass Remus kommen würde. Unterbewusst hatte er ihn doch sehr vermisst. Er war nun mal, ob Harry wollte oder nicht, so etwas wie sein dritter Vater. Der Schwarzhaarige seufzte. Er konnte nur hoffen, dass es Remus nicht wie seinen beiden anderen ergehen würde.

- - -

"Oh, ist das geil!" Draco kicherte wieder unbändig und rollte sich auf den Bauch. In seinen Augenwinkeln glitzerten schon die Lachtränen. "Dieses Buch ist so lächerlich!!"
Harry sah von den Briefen auf und seufzte. "Das ist eines der meistverkauften Bücher des Fantasygenre..."
"Muggel mögen so was wirklich?"
"Ja."
"... wie lächerlich!!" Der Blonde brach wieder in Gelächter aus. Harry ignorierte ihn nach einem Kopfschütteln.
"Was hast du da?", fragte Draco dann, nachdem er noch ein paar Minuten gelacht hatte. Mittlerweile lag er auf dem Rücken und ließ den Kopf über die Bettkante baumeln um den anderen Jungen anzusehen,
"Briefe von Remus", antwortete Harry ohne aufzusehen, während er sie sortierte und wieder zurück in den Koffer legte.
"Professor Lupin?"
"Ja."
"Was macht der eigentlich?"
"Sondermission."
"Das hast du gar nicht erzählt."
"Ähm... ich hab es bis eben auch gar nicht gewusst."
Draco sah ihn so verwirrt an, dass er ihm die Umstände erklärte. Und anscheinend prangten seine Sorgen mitten in seinem Gesicht, denn als er fertig war, sagte der andere Junge nur:
"Mach dir keine Sorgen. Dem passiert schon nichts."
"Und warum nicht?"
"Sev sagt immer: Einen Werwolf kriegt nichts klein. Da kannst du draufhauen, ihn schlagen, ihn treten und sonst was mit ihm machen, ein Werwolf steht immer wieder auf..."
Harry sah ihn ein wenig geschockt aus.
"Schau mich nicht so an... das meint er halt... aber Sev hat sowieso 'nen Werwolfstick..."
"Bitte?"
Draco blieb ein paar Sekunden stumm, bevor er mit einem Schulterzucken meinte:
"Ach, weiß auch nicht genau. Onkel Rodolphus hat mal gemeint, dass Sev seit seinem fünften oder sechsten Schuljahr irgendwie ganz fanatisch nach Werwölfen ist. Er hat alles über sie gelesen, besonders über Bannung und so. War aus irgendeinem Grund scharf drauf die Viecher bei Verstand zu halten. Keine Ahnung warum... Nya, hat's im Endeffekt ja auch geschafft", fügte er noch hinzu, bevor er sich wieder seinem Buch widmete. Aber Harry stutzte.
"Wie meinst du das?"
"Hm?", Draco sah wieder auf.
"Dass er es im Endeffekt noch geschafft hat?"
Für Sekunden sah der Blonde den anderen an. "Nya... wie ich es sage. Er hat irgendwann den Wolfsbanntrank entwickelt und die Werwölfe damit bei Verstand gehalten."
Harry war wie vor den Kopf geschlagen. "Snape hat den Wolfsbanntrank entwickelt?!"
Von der Reaktion ein wenig eingeschüchtert, nickte der Blonde. Harry wollte noch etwas sagen, besann sich dann aber. Er wusste selbst nicht, wieso ihn das so überraschte. Eigentlich hätte er sich das auch denken können. Es sah Snape ja irgendwie schon ähnlich. Harry kicherte. Eigentlich war es typisch.
"Willst du den Grund wissen, warum er werwolfsfanatisch ist?"
Interessiert sah Draco wieder auf und lauschte der Geschichte über Severus, Sirius und dem beinah tödlichen Streich.

- - -

"Hast du eine Ahnung, warum die beiden sich so gehasst haben?"
Es war schon ein wenig Zeit vergangen, seit Harry die Geschichte erzählt hatte. Draco hatte sich wieder seinem Buch gewidmet, Harry auf das Bett gelegt und nachgedacht. Bei seiner Frage erntete er nur einen verwirrten Blick aus grauen Augen.
"Sirius und Snape... eigentlich weiß ich gar keinen richtigen Grund... alle Geschichten, die ich kenne, haben sich erst ab der fünften Klasse abgespielt, aber wenn man beide manchmal so reden gehört hat, hätte man meinen können, dass sie sich schon Zeit ihres Lebens gehasst haben..."
"Hm..." Draco überlegte eine Weile, dann zuckte er mit den Schultern. "Ich kenn' die meisten Geschichten von den beiden nicht einmal. Sev schweigt sich darüber ja tot... die einzige Möglichkeit es herauszufinden wäre ihn zu fragen..."
Beide Jungen schwiegen, dann sahen sie sich an und Harry meinte trocken:
"Dann wäre ich in Voldemorts Nähe definitiv sicherer..."
Draco kicherte und widmete sich wieder dem Buch um kurz darauf erneut in einen Lachanfall auszubrechen.
"Könntest du das Buch heute Abend beim Essen bitte nicht erwähnen?"
"Warum?" brachte der Blonde unter Mühe hervor.
"Weil das Hermines Lieblingsbuch ist und sie es alles andere als lächerlich findet..."
Draco lachte nur noch mehr und freute sich bereits jetzt aufs Abendessen. Harry seufzte. Er hätte das vielleicht besser nicht sagen sollen.

- - -

Wieder verging einige Zeit in Stille, die nur von Dracos hysterischem Lachen durchbrochen wurde. Harry fragte sich langsam wirklich, ob es normal war, dass sich reinblütige Zauberer so über Muggelbücher amüsieren konnten. Dann klopfte es plötzlich. Beide Jungen sahen auf. Dann wandten sie ihre Blicke zueinander. Es klopfte normalerweise nie an dieser Tür, Snape platzte einfach immer so hinein. Auf Harrys fragenden Blick hin, zuckte Draco nur mit den Schultern, während er sich die Tränen aus den Augen wischte.
"Herein?"
Die Tür öffnete sich und zum Vorschein kam-
"Remus!!!"
Bevor der Mann auch nur irgendwie reagieren konnte, war Harry bereits zu ihm gestürmt und hatte ihn umarmt. Überrascht erwiderte der Werwolf die Umarmung. Diese Reaktion hatte er am wenigsten erwartet. Eigentlich hatte er gedacht, Harry immer noch in dieser apathischen Gemütslage vorzufinden, die ihm Ron und Hermine über die letzten Monate geschildert hatten, aber anscheinend war es damit nun vorbei. Remus fragte sich, was in den letzten zwei Monaten passiert war, in denen er weg gewesen war.
"Harry... geht's dir gut?" Mit sanfter Gewalt schob er den Jungen von sich weg um ihn anzusehen - und blickte zu seiner weiteren Überraschung in ein vor Freude strahlendes Gesicht.
"Ja, mir geht es gut."
Remus seufzte erleichtert auf und umarmte den Jungen gleich noch einmal. Das war das schönste Willkommensgeschenk, das er sich hatte wünschen können. Er hatte ja schon einen unglaublichen Schreck gekriegt, als Ginny - die er in der Eingangshalle getroffen hatte - ihm erzählte, dass Harry jetzt in Slytherin wohnte. Verwirrung war dazu gekommen, als er Severus - der ihm kurz danach zufälligerweise über den Weg gelaufen war - zaghaft gefragt hatte, ob er den Jungen vielleicht holen könnte und von dem anderen ohne großes Zögern den Weg zu Slytherin, das Passwort und den Weg zum Zimmer erklärt bekommen hatte. Irgendwie hatte sich einiges verändert, seit er weggegangen war.
"Aber was ist mit dir? Du siehst müde aus...", riss ihn Harrys Stimme schließlich aus den Gedanken.
Er lächelte matt und fuhr sich durchs Haar. "Ich hab heute Nacht nicht lang geschlafen."
Der Junge nickte und ließ den Mann schließlich ganz in das Zimmer treten. Vor lauter Aufregung hatte er das ganz vergessen. In dem Moment stand Draco vom Bett auf.
"Hi, Professor Lupin."
Remus stutzte. Slytherin war eine Sache, ein Zimmer mit Draco Malfoy eine andere. "... hallo, Draco..."
Der Blonde lächelte kurz und wandte sich dann Richtung Ausgang. Harry hielt ihn auf.
"Du musst nicht gehen..."
"Ich weiß, aber ihr zwei habt sicherlich viel zu erzählen. Ich muss sowieso noch mal zu Sev... und das Buch dürfte ihn auch interessieren!", fügte er noch grinsend dazu und verschwand.
Die beiden Verbleibenden schauten ihm nach, Harry wieder kopfschüttelnd, Remus noch mehr verwirrt.
"... Sev?!!", fragte er schließlich. Der Schwarzhaarige seufzte.
"Das ist 'ne lange Geschichte..."
"Na dann, solltest du lieber mal damit anfangen."

- - -

Harry merkte gar nicht, wie die Zeit verging, während er Remus alles mögliche erzählte. Nicht viel von der Zeit vor Ostern, nur ein paar Sätze, ein paar Entschuldigungen, aber der Mann winkte ab und meinte, er könnte dies verstehen, Harry brauchte sich deswegen nicht zu entschuldigen. Der Junge lächelte dankbar und erzählte dann von allem, was er bisher mit Draco erlebt hatte. Remus wunderte sich ein bisschen, dass er sich ausgerechnet mit Draco Malfoy angefreundet hatte, aber es war okay für ihn. Anscheinend konnte der Junge ja auch nett sein, wenn er wollte.
Nachdem Harry alles erzählt hatte, war es fast Zeit für's Abendessen, doch vorher wollte der Junge auch noch etwas wissen.
"Was hast du gemacht? Du warst fast zwei Monate weg."
Remus seufzte und sah den Schwarzhaarigen lang an. Harry ahnte, auf was es hinauslaufen würde.
"Du hast doch gesehen, zu was es führt, wenn mir alles verschwiegen wird..." Sein Ton war ernst und genau das schien Remus wohl zur Aufgabe zu bringen.
"Ich war in Rumänien, zusammen mit Charlie."
"Was habt ihr gemacht?"
"Versucht rauszufinden, wie weit Voldemort schon vorgedrungen ist. Und gleichzeitig Verbündete suchen."
"Und?", hakte der Junge nach, nicht sicher, ob er wirklich eine Antwort bekommen würde.
Remus seufzte wieder, zuckte dann hilflos mit den Schultern. "Ich weiß nicht... ein paar Verbündete haben wir gefunden. Ansonsten... ein Teil der Vampire scheint sich auf Voldemorts Seite geschlagen zu haben, andere nicht. Die meisten wollen einfach ihre Ruhe haben und sich raushalten. Die Werwolffraktion ist auch gespalten, wir haben nicht wirklich viel rauskriegen können, aber... anscheinend sammelt Voldemort seine Anhänger..."
Harry senkte den Blick. Es war nichts wirklich neues für ihn. Warum wusste er auch nicht. In den Zeitungen war immer noch nichts über den Dunklen Lord zu lesen, keine Übergriffe, keine Angriffe. Es war wohl auch keine Zensur, nun nicht mehr. Aber die Gesichter von den schlossansässigen Ordensmitgliedern sprachen teilweise Bände, irgendwas musste im Gang sein und Anhängerscharen war das einzige, was ohne viel Aufmerksamkeit von Statten gehen konnte. Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen, dann riss sich Harry von diesen Gedanken los. Wenn die Zeit gekommen war, konnte er sich darüber noch genug Gedanken machen. Mit einem Blick auf die Uhr merkte er, dass die Essenszeit bereits angebrochen war.
"Komm, gehen wir essen... solange noch was da ist und Draco nicht alles weggefuttert hat..."

- - -

"Und dann hat der Kerl 'Simsalabim' gesagt und ganz plötzlich war alles wieder in Ordnung!" Ginny, Seamus, Ron und sogar Neville prusteten wie auf Kommando los. Draco lag sowieso schon mehr auf dem Tisch, als er daran saß. Dean schaute ein wenig verwirrt in der Runde umher und Hermine hatte in diesem Augenblick beschlossen den Blonden auch nie nur ein kleines bisschen zu mögen. Er konnte sich ja liebendgerne über B.ELFE.R lustig machen, auch über sie, aber nicht über ihr Lieblingsbuch!
Harry und Remus traten ein wenig überrascht zu der Gruppe. Normalerweise saßen sie immer am Gryffindortisch, aber diesmal saßen sie stattdessen am Tisch von Slytherin. Der Schwarzhaarige nahm es mit einem Schulterzucken hin und setzte sich neben Draco. Remus nahm neben ihm Platz.
Nachdem die Kinder sich wieder unter Kontrolle hatten, begrüßten sie ihren alten Professor, nur Hermine brummte etwas Unverständliches. Sie schien das mit dem Buch doch recht persönlich zu nehmen. Als Draco gerade zu einer weiteren Bemerkung ansetzen wollte, stieß Harry ihm in die Seite. Nach einem scharfen und zugleich bittenden Blick, rollte der Blonde nur mit den Augen, sagte aber nichts mehr. Sein stetiges Kichern unterließ er aber nicht.
Remus betrachtete die beiden Jungen aus den Augenwinkeln. Er konnte nicht anders, aber die beiden erinnerten ihn an Sirius und James. Draco schien wohl doch mehr Black als Malfoy zu sein, denn er hatte die gleichen spitzen Bemerkungen, das anzügliche Grinsen, die anderen typisch Black - nun gut jedenfalls typisch Sirius - Blicke drauf. Harry glich nicht nur äußerlich seinem Vater, sondern auch innerlich. Auch wenn er seiner Mutter charakterlich ähnlicher war, den Humor hatte er eindeutig von James geerbt. Ansonsten würde er ziemlich empfindlich auf Dracos Witze reagieren. Lily hatte immer Anfälle bekommen, wenn Sirius einen seiner typischen Sprüche abgelassen hatte.
Das Essen verlief lustig, die restlichen Gryffindors machten auch die Entdeckung, dass es eine ganz andere Perspektive war an einem der übrigen Haustische zu sitzen, McGonagall stand mittlerweile wohl vor dem Herzinfarkt, denn sie sah extrem geschockt aus, als sie diesmal die ganze Truppe inklusive Remus am Slytherintisch sah und Snape schien sich bei den Hauselfen einen Whiskey bestellt zu haben, jedenfalls sah das Glas, das neben seinem normalen Becher stand, verdächtig nach einem Whiskeyglas aus. Dumbledore schien über die ganze Situation sehr erfreut, denn er lachte immer wieder in ihre Richtung.
Als die Essenszeit ihrem Ende zuging und eigentlich nur noch Draco aß - der sowieso immer als erster anfing und als letzter aufhörte - trat Snape ganz plötzlich hinter sie.
Er stellte einen Becher mit einer weißdampfenden Flüssigkeit vor Lupin und meinte:
"Trink es gleich, bevor du es wieder vergisst..."
Remus blinzelte überrascht, schluckte aber dann - wenn auch wiederwillig angesichts des Geschmacks - den Wolfsbanntrank in großen Zügen hinunter. Er wusste nicht, ob Dumbledore es dem Tränkemeister befohlen oder er es aus freien Stücken gemacht hatte. Er tippte eigentlich eher auf letzteres, weil er den Direktor noch nicht besucht hatte. Eigentlich verwunderlich, aber irgendwie war dieser Tag schon so verrückt gewesen, dass es ihn nicht wirklich störte.
Dann holte Snape ein Buch aus seinem Umhang und legte es mit einem Murren neben Dracos Teller. Harry erkannte es, als das, was er dem anderen Jungen zum Lesen gegeben hatte.
"Schon gelesen?" Die grauen Augen musterten ihren Paten, nicht wirklich überrascht. Severus las unglaublich schnell, allerdings fand er nicht immer Zeit dazu 'Freizeitliteratur' zu lesen, wie er es nannte.
"Ja...", sonderlich begeistert klang die Stimme nicht. Weiter sprechen konnte er nicht, denn Neville fiel eine Schüssel herunter, die unter einem schrillen Klirren zerbrach. Snape starrte kurz ein paar Sekunden auf die Scherben. Dann meinte er emotionslos, bevor er sich abwandte:
"Versucht 'Simsalabim'..."
Die Rein- und Halbblüterfraktion am Tisch brach wieder in Gelächter aus, während Hermine sie alle wütend anfunkelte.

- - -

Remus blieb noch ein paar Tage, musste dann aber auch wieder gehen. Vorher nahm er Harry noch das Versprechen ab, ihm dieses Mal auf seine Briefe zu antworten. Der Junge stimmte lachend zu und zu Remus Belustigung meinte Draco, der das Gespräch zufälligerweise mitbekommen hatte, dass er Harry ansonsten in den Hintern treten würde.
Das Wetter war inzwischen konstant. Seit Tagen schien die Sonne vom wolkenlosen, blauen Himmel hinab, die Luft jeden Tag um ein paar Grad erwärmend. Die Tage wurden länger und die Nächte kürzer. Die meisten Schüler verbrachten Pausen, Freistunden und Abende mittlerweile auf der Wiese vor dem Schloss. Genossen die warmen Strahlen, die sie im Winter und am Anfang des verregneten Frühlings so vermisst hatten, und ließen sie ihre Sorgen für ein paar weitere glückliche Momente vertreiben.
Auch Harry versuchte das, so gut er konnte, doch immer wenn er einem der Ordensmitglieder begegnete, wurde ihm bewusst, dass wohl etwas in der Luft lag. Der nervöse Ausdruck war immer noch nicht aus ihren Gesichtern gewichen und Snape schien immer häufiger zu Versammlungen von Voldemort gerufen zu werden.
Im Kreis von fünf saßen die Weasleys, Hermine, Harry und Draco nun häufiger zusammen und beratschlagten, was der Grund für alles sein könnte. Draco stellte irgendwann die Frage, die keiner auszusprechen wagte, doch Harry meinte nur, dass er bereits seit dem letzten Schuljahr keine Träume oder Visionen mehr über Voldemort gehabt hätte. Er wusste nicht, ob er es irgendwie geschafft hatte den dunklen Magier auszusperren oder ob dieser nur bedächtiger mit seinen Gedanken geworden war. Er wollte auch nicht versuchen in Voldemorts Gedanken einzudringen, was er seinen Freund ein wenig kleinlaut vortrug. Doch diese waren nur entsetzt darüber und er musste ihnen mindestens hundertmal versprechen, dass er es wirklich nicht versuchen würde. Draco erinnerte ihn seit diesem Tag jedes Mal vorm Schlafengehen daran und ließ nicht locker, bis er vollends überzeugt war. Das konnte nur unter Umständen einige Zeit dauern...
Die Prüfungen kamen und gingen vorbei, keiner befürchtete durchgefallen zu sein, vielleicht war das Ergebnis hin und wieder nicht so wie gewollt, aber sie würden es wohl alle schaffen. Die vorletzte Juniwoche brach an und so näherte sich nicht nur der Sommeranfang, sondern auch die letzten Sommerferien, die sie je haben würden. Keiner konnte wirklich glauben, dass das letzte Schuljahr schon so nahe vor der Tür stand.

- - -

"Hm... in einem Jahr sind wir fertig...", meinte Draco, als sie am 20. Juni ins Bett gingen.
"Ja... gar nicht mehr so lang..."
Der Blonde nickte. "Was machst du nach der Schule?"
Harry überlegte eine Weile. "Ich denke, ich werde Auror..."
Der andere grinste. "Ja, das passt auch."
"Und du?"
Nun überlegte Draco. "Eigentlich... muss ich nur warten, bis Vater, Mutter, Tantchen, Onkelchen und Rabastan sich gegenseitig umbringen..."
Die grünen Augen weiteten sich entsetzt. "Bitte was?!"
"Was denn? Dann hab ich ausgesorgt... dann krieg ich Malfoy Manor plus Vermögen und Lestrange Manor plus Vermögen, weil weder Tantchen und Onkelchen noch Rabastan Kinder haben..."
Harry war irgendwie zu entsetzt um etwas sagen zu können.
"Und wenn Sev tot ist, krieg ich dem sein Haus und sein Geld auch noch..." Dracos Augen waren zu überlegenden Schlitzen verengt, dann trat ein missmutiger Ausdruck auf seinem Gesicht. "Aber was soll ich eigentlich mit drei Häusern machen? Allein Malfoy Manor ist viel zu groß um alleine darin zu wohnen..."
Der Schwarzhaarige ließ sich entnervt in die Kissen fallen. "Ist das dein einziges Problem?"
Draco zuckte mit den Schultern. "Hey, ich kann nichts dafür. Ich stamme nun mal aus einer Wirtschaftsfamilie, wir überlegen immer, wie wir das größte Kapital erlangen können... das kann man nicht so leicht abstellen."
Harry schüttelte mit dem Kopf, dann löschte er das Licht.
"Was hast du versprochen?", kam Dracos Stimme aus der Dunkelheit.
"Dass ich nicht versuche in Voldemorts Gedanken einzudringen..."
"Brav." Glücklicherweise schien der Blonde heute mit einem Mal zufrieden gestellt zu sein.
Gerade als Harry ihm eine gute Nacht wünschen wollte, meinte der andere:
"Morgen ist Sommeranfang, oder?"
"Äh... ja, warum?"
"Merlin sei Dank, dann hört Sevs Frühlingslaune auf..."
"Was?"
"Sevs Frühlingslaune... er hasst Frühling, das ist echt schlimm, er ist zu dieser Zeit immer am miesesten gelaunt."
Harry lachte, dann meinte Draco noch:
"Allerdings fängt dann seine Sommerlaune an, weil Sommer hasst er auch abartig..."

- - -

Dunkelheit war es, was ihn umgab. Undurchdringliche Dunkelheit, kein Funken Licht, nirgends zu sehen. Es war still, totenstill, als ob nichts leben würde, als ob nichts je gelebt hätte. Harry stand... oder flog er? Er konnte es nicht sagen. Er spürte Wind, erst nur leicht, dann stärker.
Lichter funkelten unter ihm auf, Tausende, Millionen. Gelbe, weiße, grüne, rote, sogar blaue. Weitere, in allen Farben des Regenbogens, Farben darüber hinaus. Manche Lichter waren klein, andere groß. Manche bewegten sich, andere waren still, wieder andere blinkten unaufhörlich. Es gab Punkte, Streifen, Kreise, Quadrate, Rechtecke, Kugeln, Quader, Pyramiden. Sie blendeten und Harry musste die Augen zusammenkneifen.
Dann trat der Lärm an seine Ohren, aber er konnte keine einzelnen Geräusche ausmachen, dafür war es zu viel auf einmal, das auf ihn eindrang. Irgendwann sah er Bewegungen unter sich. Eigentlich hatte sich schon die ganze Zeit etwas zwischen den Lichtern bewegt, aber dies war wie ein großer Strom gewesen, die Bewegungen, die er jetzt sah, waren anders. Einzelner, schneller... ungewöhnlicher... In großen Sprüngen huschten sie über die Lichter, aber immer nur ganz kurz, als ob sie eigentlich gar nicht da wären. Wieder ein Schwall von Lärm, wieder keine Möglichkeit Dinge herauszufiltern.
Dann erklang das kalte Lachen über allem, deutlich und klar, sämtlichen Lärm übertönend. Harry drehte sich um. Hinter ihm stand plötzlich der Mond, voll und hell, beschien die Lichter unter sich. Doch inmitten des Mondes befand sich eine Gestalt, klein im Gegensatz zum stillen Erdtrabanten und gleichzeitig doch so groß.
Harry konnte sie nicht erkennen, wallende Gewänder umhüllten sie, nur ihr Lachen drang deutlich durch die Nacht.
Dann öffnete die Gestalt ihre Augen und als Harry in die rote Iris mit der schlitzförmigen Pupille sah, zerbarst unter ihm alles in einer schrillen Kakophonie verschiedenster Geräusche. Schreie waren nun herauszuhören, Explosionen, Quietschen, Bersten, Brechen, doch über allem trohnte immer noch das kalte, grausame Lachen und dann war es wieder ganz still und kein Licht schien mehr am Boden...

Schweißgebadet schreckte Harry auf, sein Atem ging schnell, seine Augen waren geweitet. Er musste geschrieen haben, denn auch Draco war wach und sah ihn durch die Dunkelheit hindurch an. Die grünen Augen wanderten aus dem Fenster, konnten nichts Ungewöhnliches entdecken und sahen gleichzeitig, dass sich alles geändert hatte.
Der Blonde zündete eine Kerze an. Die Uhr zeigte 3:27 Uhr, es war still um sie herum und er wagte es nicht laut zu sprechen:
"Was ist?"
Minuten starrten sie sich nur in die Augen, Harry atmete weiterhin schwer. Er konnte sich nicht beruhigen. Dann fand er seine Stimme wieder.
"Es hat begonnen... von nun an herrscht Krieg."

Daily Prophet - Sonderausgabe 21.06.1996

Die Welt liegt in Trümmern - die Apokalypse ist letztendlich gekommen

In einer beispiellosen Aktion haben heute Nacht Millionen von Menschen ihr Leben lassen müssen, als der Unnennbare um 3:27 Uhr England in einer gewaltigen Explosion erzittern ließ. Die Nacht war still und vom Vollmond übertrohnt, als der Dunkle Lord mit Hilfe seiner Dunklen Armee London zerstört hat.
Mit tiefster Trauer müssen wir Ihnen berichten, dass nicht nur sämtliche Regierungseinrichtungen der Muggel und deren gesamte Königsfamilie, sondern auch das Zauberministerium, sowie St. Mungos Hospital für magische Verletzungen als auch die Winkelgasse, vernichtet wurden.
Unseren Quellen zufolge ist unter den Opfern auch Zauberminister Fudge, der sich zu diesem Zeitpunkt in seinem Londoner Wohnsitz aufhielt.
Wir sind erschüttert über diese Zerstörungswut und trauern mit all jenen - nicht nur Zauberern, sondern auch Muggeln - die ihre Familie, Freunde und Bekannten verloren haben. Wir haben keinerlei Informationen, wie der Unnennbare eine Zerstörung dieses Ausmaßes bewerkstelligen konnte, von der einstigen Metropole steht nichts mehr. Selbst unter den Bomben des muggelischen Zweiten Weltkrieges hat es keine solche Zerstörung gegeben.
Von einigen unserer Auslandskorrespondenten haben wir erfahren, dass auch in anderen Ländern die Gewaltwelle um sich greift. Sowohl Irland, als auch Belgien, die Niederlande, Frankreich, Luxemburg und Deutschland befinden sich im Ausnahmezustand. Nicht nur die Zauberregierungseinrichtungen wurden gestürzt, sondern auch jene der Muggel. Wir gehen davon aus, dass es weitere Übergriffe geben wird. Experten sind der Ansicht, dass bereits in wenigen Tagen ganz Europa unter der Herrschaft der Death Eater steht. Wie weit sich der Putsch über die Erde ziehen wird, lässt sich jedoch nicht einschätzen.

Wort an die Nation - von Percy Weasley, Stellvertreter Cornelius Fudges


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Unser Land wurde heute von der schwersten Katastrophe seiner Geschichte gezeichnet. Nicht einmal in den alten Kriegen mussten so viele unschuldige Menschen auf einmal sterben. Wir alle sind erfüllt von tiefster Trauer, von Schmerz und von Hass. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass wir nicht alleine sind. Nicht nur wir wurden erschüttert und nicht nur wir wissen nun, was Verlust bedeutet.
Die kommenden Zeiten werden schwierig, hart, vielleicht werden einige von uns sie nicht überleben. Ich möchte Sie nicht anlügen, wahrscheinlich werden viele von uns nicht überleben. Aber ich bitte Sie, niemals aufzugeben, denn das einzige was uns nun noch retten und aufrecht erhalten kann, ist die Hoffnung. Verlieren Sie die Hoffnung nicht, halten Sie sie fest. Vergessen Sie nicht, Sie sind nicht allein, es wird immer jemanden geben, der an Ihrer Seite stehen wird. Was uns nun bevorstehen wird, wird unsere größte Prüfung sein, stehen wir auf und treten wir ihr entgegen, in der Hoffnung sie bestehen zu können.
Merlin stehe uns allen bei.