Kurzer Kommentar: So, wir sind angelangt am letzten Kapitel. Der Grund, warum ich diese Geschichte überhaupt erst geschrieben habe... letztendlich ist es nicht so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe, aber... nun gut, es ist nun nicht mehr zu ändern.
Ich möchte nicht viel sagen, nur soviel, dass es sein kann, das gegen Ende vielleicht noch ein paar Fragen offen sind, aber die werden - hoffentlich - im Epilog beantwortet (der dann aber noch eine Woche auf sich warten lässt')
Nun denn, dann Vorhang auf für das letzte Kapitel des Schicksals!
Part Four - Truth
Gott ist tot.
Nach ihm wird nicht mehr gesucht.
Wir sind zum ewigen Leben verflucht.
Es zieht uns
näher zur Sonne,
doch wir fürchten das Licht.
Wir glauben nur Lügen
verachten Verzicht.
Was wir nicht hassen,
das lieben wir nicht.
(Tanz der Vampire - Gott ist tot)
Grau war es, das ihn beherrschte. Es war überall. In ihm, um ihm. Licht gab es nicht, nur undurchdringliches Grau. Flatternd hoben sich Harrys Augenlider. Er musste einige Male blinzeln um auch die letzte Benommenheit loszuwerden. Was war passiert? Verwirrt sah er sich um. Er schien in einer Zelle oder ähnlichem zu sitzen. Um ihn herum waren nur graue, kalte Steinwände. Er saß direkt in der Mitte des Raumes auf einem harten Holzstuhl. Direkt vor ihm war eine schwere Eisentür eingelassen, links ein Fenster am oberen Rand des Wand mit Gittern davor. Harry konnte den Himmel erkennen, doch dieser war beherrscht von schweren grauen Wolken.
Voldemorts Palast!, schoss es dem jungen Mann dann durch den Kopf! Natürlich! Er war gekommen um zum finalen Schlag anzusetzen, doch dann... was war geschehen? War er von hinten attackiert worden? War er mit einem Betäubungsfluch beschossen worden? Warum hatte er seine Deckung vernachlässigt, was war mit-
Harry zog scharf die Luft ein, als er sich erinnerte.
Sirius! Sein Sirius! Er hatte vor ihm gestanden! Lebendig! Nicht tot! Ganz und gar lebendig! Es war keine Illusion gewesen, kein Trick! Harry war sich nicht ganz sicher, woher er das wusste, aber er spürte es einfach. Sirius lebte! Er lebte wirklich! Doch dann senkte der Schwarzhaarige seinen Blick und verengte die Augen zu Schlitzen. Aber sollte er glücklich über diese Tatsache sein? Sollte er sich wirklich freuen, dass sein Pate noch lebte, wenn er...
Harry schüttelte den Kopf, vielleicht hatte er es sich nur eingebildet. Vielleicht war es etwas anderes gewesen... aber... es hatte so sehr nach Schlange und Totenkopf ausgesehen, was sich dort auf dem Arm des Mannes abgezeichnet hatte...
Er schüttelte den Kopf. Egal jetzt. Zuerst musste er dort herauskommen, dann konnte er weitersehen. Er würde die Wahrheit schon noch herausfinden, aber wenn er blieb, hatte er schlechte Karten.
Harry versuchte aufzustehen, merkte aber erst in diesem Augenblick, dass seine Hände auf der Rückseite des Stuhles zusammengekettet waren, genauso seine Füße. Er fluchte leicht, dann wandte er den Blick nach hinten. Er konnte die Ketten zwar nicht richtig sehen, aber er musste versuchen sie mit Hilfe der zauberstablosen Magie zu sprengen. Seinen Zauberstab hatten sie ihm wahrscheinlich längst abgenommen.
Der Schwarzhaarige konzentrierte sich ein paar Sekunden, dann ließ er die Kraft auf die Ketten frei - und spürte im nächsten Moment einen gleißenden Schmerz durch seine Arme gleiten! Unwillkürlich schrie er auf.
Ein paar Sekunden später war es vorbei und schwer atmend saß Harry auf dem Stuhl. Verdammt, was war das gewesen? Hatte er etwas falsch gemacht oder-
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er Schritte auf dem Gang hörte. Schnelle Schritte, lange Schritte. Ein Klirren, ein paar gemurmelte Zauberformeln und dann öffnete sich die Tür vor ihm mit einem leisen Quietschen.
Die Tür lag im Dunkeln, eigentlich konnte Harry nur ihre Umrisse erkennen. Noch weniger von der Person, die nun dahinter zum Vorschein kam. Das erste, was er sah, waren die schwarzen Stiefel, dann der schwarzblaue Stoff. Sein Herz krampfte sich zusammen und sein Atem stockte, als er begriff, wer nun eintreten würde.
Auf Sirius' Gesicht lag kein bisschen der Freundlichkeit und Liebe mehr, die er Harry einst gezeigt hatte. Es war nur leer und ausdruckslos, sein Blick dazu noch etwas herablassend. Was war mit dem Mann geschehen, denn der Junge einst geliebt hatte wie einen Vater?
"Harry..." Eine Stimme kalt wie Eis. Der Angesprochene schüttelte ungläubig den Kopf. Nein, das konnte nicht sein! Das konnte nicht Sirius sein!
Dieser fing an zu grinsen, als er die Reaktion des Jüngeren sah. Ein kaltes Grinsen, nicht das freche, fröhliche, das sonst typisch für ihn gewesen war.
"Oh, glaub es ruhig, mein Junge. Ich bin es wirklich. Du bildest dir nichts ein."
Er schloss die Tür hinter sich und trat näher, seinen Blick stetig auf den Gefangenen gerichtet, der nicht fähig war ein Wort zu sagen.
"Was denn? Da sehen wir uns nach acht Jahren wieder und du hast nicht mal eine Begrüßung für deinen Paten übrig?"
Harry war nicht in der Lage laut zu sprechen. "Warum?"
Sirius schwieg, bevor sich seine Lippen zu einem teuflischen Grinsen verzogen. "Was warum? Warum ich noch lebe oder warum ich dies trage?" Dabei schlug er den Stoff seines linken Ärmels zurück und legte das Dunkle Mal bloß. Harry konnte nur darauf starren und apathisch den Kopf schütteln. Das konnte nicht wahr sein! Das konnte einfach nicht wahr sein!!
"Ach, Harry", ganz plötzlich klang Sirius' Stimme ganz weich und sanft legte er seine rechte Hand auf die Wange des jungen Mannes. "Du willst es mir nicht glauben, nicht wahr?" Er seufzte. "Aber nun ja, ich kann es verstehen. Es ist schwer, wenn man immer nur Lügen erzählt bekommen hat und plötzlich die Wahrheit erfährt." Sirius kniete sich hin und sah nun von unten in die grünen Augen. Trotz des weichen Klanges seiner Stimme, waren seine Augen immer noch hart. "Aber nun ist die Zeit der Lügen vorbei. Was du von nun an erfährst, wird nichts als die reine Wahrheit sein."
Ein teuflisches Kichern drang aus seiner Kehle und er richtete sich wieder auf. Wie eine Raubkatze ging er langsam um Harry herum. Dieser war ein paar Sekunden zu verwirrt. Lügen? Was für Lügen? Er wollte fragen, doch anscheinend stand ihm diese Frage ins Gesicht geschrieben.
"Womit soll ich anfangen? Beim Ministeriumskampf? Bei der Flucht aus Azkaban? Oh, oder vielleicht sogar bei der einen schicksalshaften Halloweennacht 1981?!" Wieder dieses diabolische Kichern und die Art und Weise, wie er den letzten Satz aussprach, ließ Harry eine Gänsehaut bekommen.
"W-was... was meinst du damit?"
"Ach, Harry. Weißt du, ich habe deinen Vater wirklich gemocht. Ich habe James geliebt wie einen Bruder. Und es wäre niemals soweit gekommen, hätte er sich nicht dieses Schlammblut zur Frau genommen..." Sirius ließ die letzten Worte über seine Lippen kommen, als wären sie Gift. Harry fühlte den Zorn in sich aufkommen. Aber er bekam keine Gelegenheit zu sprechen:
"Ich konnte sie nie ausstehen, diese widerliche kleine Schlammbluthure. Aber dein Vater hatte in Sachen Frauen leider einen extrem schlechten Geschmack. Anfangs hab ich es noch als einfache Flirterei abgetan, aber leider war es dann doch mehr. Nun, ich hab ihn gewähren lassen, irgendwann wäre sie bei einem Death Eater Angriff sowieso umgekommen."
"Aber-"
Sirius schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. Dann seufzte er ein weiteres Mal. "Nun gut, vielleicht sollte ich am Anfang beginnen. Lass mich ausreden, deine Fragen kannst du immer noch stellen.
Ich hatte wirklich nie einen guten Draht zu meinen Eltern, das war nicht gelogen. Und ich war anfangs auch noch froh, dass ich nach Gryffindor kam und nicht nach Slytherin. Zu Beginn meiner Schulzeit hatte ich nicht wirklich etwas gegen Schlammblüter, ich mochte sie nicht, aber ich hasste sie auch nicht. Im Grunde waren sie mir egal. Ich gab mich auch nicht mit ihnen ab. Na gut, Remus war ein Halbblut, aber sein Muggelvater war schon früh gestorben und so habe ich ihn als praktisch reinblütig angesehen.
Doch als dein Vater sich mehr und mehr mit Evans abgab und seine Gefühle für sie intensiver wurden, wurde mein Hass auf Schlammblüter immer größer. Ich weiß nicht genau warum, vielleicht war ich eifersüchtig, vielleicht habe ich auch nach langer Blindheit endlich die Wahrheit erkannt. Jedenfalls habe ich mich dem Dunklen Lord angeschlossen nach der Schulzeit."
"Aber du warst im Orden!!"
Sirius grinste. "Natürlich! Spion ist ein nettes Dasein, wenn man es richtig macht. Dumbledore hat nichts davon geahnt, er hat mir blind vertraut. Genauso wie dein Vater!"
Harry verengte die Augen, als er glaubte zu verstehen. "Der Fidelus-Zauber... Ihr habt nie getauscht..." Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Sirius lachte. Dieses hundeartige Lachen, das diesmal kälter klang als Eis. "Nein, in der Tat nicht, aber es war nicht so einfach, wie du dir vorstellst! Weißt du, Peter hat nie etwas davon gewusst, dass ich ebenfalls Death Eater war. Ich aber wusste von ihm.
Als James mich fragte, ob ich sein Geheimniswahrer werden würde, habe ich augenblicklich zugestimmt. Das war immerhin das beste, was uns passieren konnte. Ich hatte gedacht, dass ich dem Lord verrate, wo sie sind, aber ich kannte ja die Prophezeiung nicht. Er hatte einen ganz anderen Plan, ein ausgreifenden, perfiden und perfekten Plan, der sich über Jahre hinweg erstreckte. Aber ich greife vor.
Ich wurde also zu James' Geheimniswahrer, bewahrte in mir auf, dass ihr in Godrics Hollow Zuflucht gesucht habt. Dann sagte ich deinem Vater, dass ich herausgefunden hatte, dass Peter ein Death Eater war. Zuerst wollte er mir nicht glauben, aber ich war sein bester Freund und hatte ihn in seinen Augen nie angelogen..." Er zuckte mit den Schultern. "Aber das war noch nicht alles, was ich ihm erzählte. Ich sagte ihm, ich hätte den perfekten Plan dem Dunklen Lord ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Wir mussten Peter nur vormachen, dass ich meinen Posten als Geheimniswahrer ihm übergeben würde. Wir würden ihm einen falschen Ort sagen, an dem wir den Lord mühelos dingfest machen konnten und der Schrecken wäre endgültig vorbei. James war begeistert und stimmte zu. Also trafen wir Peter und spielten unser Spiel. Besser gesagt, mein Spiel! Peter ging zum Lord und verkündete voller Stolz, dass er wisse, wo die Potters sich versteckten. Er ahnte nicht, dass ich den wahren Ort schon viel früher verraten hatte und auch er nur eine Marionette im teuflischen Spiel des Dunklen Lords war. Den Rest der Geschichte kennst du im Grunde. Der Lord tötete deine Eltern, verlor beim Versuch dich zu töten seine Kraft, Peter schob die Schuld auf mich, täuschte seinen Tod vor und ich kam ins Gefängnis. Aber das war alles ein Teil des Plans." Wieder dieses Kichern aus der Kehle des Mannes.
Harry saß perplex auf seinem Stuhl. Er konnte nicht glauben, was er dort hörte, wollte es nicht! Das durfte nicht wahr sein! Es durfte einfach nicht wahr sein!
"Du hast Dad geliebt..."
"Ja, das habe ich... aber er stand dem im Weg, an das ich glaubte, und um Ziele zu erreichen muss man Opfer bringen. Auch wenn man sie liebt und wenn man selbst nicht genau weiß, warum man es tun muss."
"WAS?!" Harry schrie und es war ihm egal, wenn er klang wie ein kleines Kind. "Nein! NEIN!! Du bist nicht Sirius!! Du bist nicht er!!! Hör auf! Verschwinde! GEH!!"
Mit einem mitleidigen Seufzen kniete der Ältere sich wieder vor sein Patenkind. "Ach Junge... glaub mir doch, ich bin es... Ich spiele nur nicht mehr meine Rolle, das ist alles."
Harry atmete schwer und spürte wie die Tränen aufstiegen, aber er wollte nicht weinen und unterdrückte sie. Sirius strich ihm wieder über die Wange und fuhr fort.
"Die Zeit verging und ich fristete mein Dasein in Azkaban. Aber ich wusste ja, dass der Lord wieder auferstehen würde, ich wusste, dass eines Tages unsere Herrschaft anbrechen würde und so wartete ich auf das Zeichen, dass unser neues Spiel einleiten würde. Was passiert ist, muss ich dir ja nicht erzählen, immerhin warst du dabei." Er kicherte. "Ich war erstaunt, wie einfach man dich doch reinlegen konnte. Aber es war ja auch zum Teil Peters Verdienst. Der Arme, er hatte zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Ahnung von allem gehabt und war der festen Überzeugung gewesen, dass er den Tod deiner Eltern verursacht hatte. Es gelang mir sogar Dumbledore ein weiteres Mal reinzulegen und so war ich bald wieder einer des Ordens.
Gut, was danach passiert ist weißt du auch. Ich nehme an, dass dich das Geschehen nach dem Ministeriumskampf mehr interessieren wird. Ganz genau kann ich dir auch nicht sagen, was passiert ist. Es gehörte nun mal zum Plan. Ich sollte meinen Tod vortäuschen, damit du seelisch zermürbt würdest. Und wie wir alle wissen hat das perfekt geklappt!" Er lachte. "Das nächste Jahr blieb ich im Untergrund, es wäre fatal gewesen, wenn mich die falschen Leute gesehen hätten. Erst als der Lord die Macht übernahm konnte ich wieder auftauchen, auch wenn ich mich außerhalb der Gemächer des Inneren Kreises stetig verhüllen musste. Aber es das irritierte sowieso niemanden. Mein 'Berufsstand' war normalerweise immer maskiert."
Auf Harrys nicht verstehenden Blick, grinste er nur und zog schließlich das riesige Schwert aus dem hinteren Teil seines Gürtels, dass er bei ihrem ersten Wiedersehen in den Händen gehalten hatte. Harry hatte es zuvor nicht beachtet, nun musterte er es und sah, dass auf der Klinge Unmengen von Blut klebte.
"Schön, nicht wahr? Und immer noch scharf! Ein Schärfungszauber, für den keine Säuberung nötig ist." Abwesend hielt Sirius das Schwert in den Händen, fuhr mit den Fingerspitzen sanft darüber. Die Spitze der Waffe war mit Leder umhüllt, wie dem Gefangenen auffiel, doch der Ältere löste es nun. Auch dieser Teil war blutbesudelt, schien jedoch nur einmal in die rote Flüssigkeit getaucht worden zu sein.
Grinsend beugte Sirius sich zu seinem Patensohn hinab und hielt ihm die Spitze unter die Nase. "Weißt du, wessen Blut das ist? Er war der erste, den ich tötete, den ersten, den ich köpfte."
Geschockt sah Harry in Sirius' Augen.
"Ja, mein Kind. Ich bin der Henker und dies ist Percys Blut!"
- - -
Harrys Gedanken wirbelten, kreisten um so vieles und doch gleichzeitig nur um eine Frage: Warum? Er verstand das alles nicht. Was war mit Sirius geschehen? Warum hatte er sich so verändert? Das konnte nicht der Sirius sein, den er einst gekannt hatte! Ja, Sirius war aufbrausend gewesen, sturköpfig, manchmal etwas aggressiv, aber er konnte doch niemanden töten! Er konnte kein Henker sein! Er konnte niemand sein, dem es nichts ausmachte zu töten! Das konnte nicht sein!!
Der Mann ließ dem Jungen ein paar Minuten Zeit um seine Gedanken zu sammeln. Auch wenn er sich sicher war, dass er viel zu viel hatte, das er nicht begreifen konnte. Das Schwert steckte wieder in seinem Gürtel, die Spitze jedoch nicht mehr verschleiert. Er hatte es nur getan, damit er Harry eines Tages das Blut seines ersten Opfers in Ausübung seiner Pflicht hatte zeigen können und dieser Tag war heute gekommen.
"Das ergibt keinen Sinn", fing der Jüngere schließlich an, außergewöhnlich ruhig.
"Was ergibt keinen Sinn?"
"Alles. Voldemort hat seine Kraft ganz plötzlich verloren, weil er mich töten wollte. Er war fast tot, es war ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hatte. Er konnte in dieser Verfassung nicht planen, dass du ausbrechen solltest und mein Vertrauen gewinnen, um mich ein paar Jahre später leiden zu lassen."
Sirius lachte. "Stimmt, das konnte er nicht."
"Also!"
"Oh, Harry, du verstehst nicht! Das war alles schon vorher geplant! Weit vor deiner Geburt!"
Der Gefangene stutzte. Er war sich seiner Sache sicher gewesen, dass das alles nur eine dumme Geschichte war. Dass sich Sirius alles nur aus den Fingern gesogen hatte um ihn zu verunsichern. Peter hatte seine Eltern verraten, nicht Sirius! Doch dieser Tonfall, diese Art, wie er es sagte. Der Mann war so selbstsicher, so selbstbewusst. Und irgendwas tief in Harry drin sagte ihm, dass Sirius die Wahrheit sagte.
"Wie soll das gehen?"
"Oh, das kann ich dir auch nicht sagen. Weißt du, keiner ist in den Einen Plan wirklich komplett eingeweiht, außer dem Lord selbst. Nur er wird dir die Einzelheiten erklären können. Aber du wirst dich noch eine Weile gedulden müssen. Er ist gerade dabei Peru zu übernehmen."
Harrys Augen verengten sich. "Aber-"
"Ach ja, Severus hat dir gesagt, er wäre hier, nicht wahr?"
Erst in diesem Augenblick fiel dem jungen Mann wieder ein, dass er nicht alleine gekommen war. Draco und Severus mussten auch noch irgendwo sein. Harry hielt den Atem an. Wenn Severus ihm etwas gesagt hatte, was nicht stimmte, hieß das dann, er war aufgeflogen? Harry wusste was Voldemort mit den Verrätern tat...
"Nein", flüsterte er kaum hörbar.
Sirius legte die Stirn in Falten, dann schien er zu verstehen und ließ ein weiteres Mal jenes teuflisch kalte Lachen verlauten.
"Harry, Harry, Harry, du bist wirklich zu einfältig." Noch bevor der Angesprochene etwas erwidern konnte, war der Mann zur Tür gegangen, öffnete sie und schrie hinaus: "Hey, komm her! Es wird Zeit, dass du ihn aufklärst!"
Wieder waren Schritte zu hören. Wieder lang, wieder ausholend. Harrys Atem beschleunigte sich bei jedem dieser Schritte. Nein. Er kannte diese Schritte! Nein! Er hatte sie in den letzten Jahren so gut kennengelernt! Nein!!! Er hatte ihm doch vertraut, sie alle hatten ihm vertraut!
"NEIN!", schrie er und schüttelte erneut apathisch den Kopf. Nicht er auch noch, nicht noch einmal! Er wollte nicht noch einen Vater an die Dunkle Seite verlieren. Doch als Severus dann den Raum betrat, wurde ihm klar, dass die Dunkle Seite ihn wohl nie hergegeben hatte.
- - -
Schweigen herrschte in der Zelle, auch noch Minuten nachdem Severus sie betreten hatte. Harry starrte ihn unverwandt an, doch die schwarzen Augen blickten nur kalt und emotionslos zurück. Sirius sah zwischen ihnen umher, schloss irgendwann die Tür und wanderte dann unruhig herum. Nach einiger Zeit nahm der ehemalige Professor den Blick von dem jungen Mann und betrachtete den anderen.
"Du hättest ihn darauf vorbereiten können", meinte er nüchtern, doch Sirius zuckte nur mit den Schultern.
"Wir waren an dem Punkt angelangt, an dem er mir wohl nichts mehr geglaubt hätte. Da hab ich mir gedacht, ich zeige es ihm besser."
Severus verdrehte kaum merklich die Augen, dann beschwor er einen Stuhl und setzte sich Harry genau gegenüber. Ein paar Minuten vergingen in erneutem Schweigen, anscheinend wartete er darauf, dass der Gefangene begann, doch dieser konnte nicht sprechen.
Severus hatte sie immer belogen? Genauso wie Sirius sie immer belogen hatte? Aber Dumbledore hatte ihm doch geglaubt, er hatte ihm doch vertraut! Und all die langen Jahre hatte Severus immer Informationen über die Aktivitäten der Death Eater gegeben! Er... er konnte kein Death Eater mehr sein!
"Warum?", flüsterte er schließlich.
"Hey, das hat er mich auch zuerst gefragt!" Sirius grinste und knuffte Severus gegen den Arm. Dieser überging den anderen Mann einfach.
"Ein Teil des Plans. Und bevor du jetzt fragst welcher, kann ich dir gleich sagen, dass der Lord dir das alles ausführlich erläutern wird, wenn er aus Peru zurückkehrt."
"Das hab ich ihm auch schon gesagt!", warf der Langhaarige ein, wurde aber ein weiteres Mal geflissentlich ignoriert.
"Meine Gründe solltest du kennen. Die Ziele des Dunklen Lords sind immerhin allgemein bekannt. Macht, Herrschaft, Ausrottung von Muggeln und Schlammblütlern..."
Harrys Augen weiteten sich ein weiteres Mal entsetzt. Es waren nicht die Gründe, die Severus aufzählte - die waren, wie er schon sagte, allgemein bekannt - sondern wie er es sagte. Kalt, fast schon gelangweilt, als wäre es das normalste auf der Welt. Sicher war er nie jemand gewesen, der sich großartig Sorgen um andere machte, aber es konnte doch nicht mal an ihm spurlos vorbei gehen, dass Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten, nur weil ein Wahnsinniger den Hass auf seinen Vater nicht überwinden konnte.
"Aber... aber ihr beide wisst doch, was er ist! Ihr wisst doch, dass Voldemort auch ein Halbblut ist!" Es konnte doch nicht sein, dass sie ihm trotzdem folgten, wenn sie eine derartige Abscheu gegen solche wie ihn hegten!
Sirius und Severus wechselten einen Blick, bevor letzterer fortfuhr:
"Ja, das wissen wir. Aber wir haben noch andere Motive. Du dürftest dir selbst darüber im Klaren sein, wie groß die Welt ist und dass ein einziger Mann nicht alleine über alles herrschen kann."
Harrys Augen weiteten sich, als er begriff. Natürlich! Die beiden wollten auch Macht! Die beiden wollten auch herrschen! Auch wenn Voldemort mächtig war, konnte er sich nicht aufspalten und würde Teile der Welt unter die Verwaltung anderer stellen müssen.
"Das ist alles, wofür ihr alles verratet?!" Harrys Stimme triefte nur vor Abscheu. Er ekelte sich vor diesen beiden Männern, die er bis vor kurzem noch wie Väter geliebt hatte.
Sirius zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern. "Macht ist verlockend und macht süchtig. In solchen Fällen hatte ich nie einen starken Willen. Außerdem ist die Aussicht auf einen schönen Lebensabend in Kalifornien mit Millionen von Sklaven doch durchaus verlockend, findest du nicht?!" Wieder dieses Grinsen und erneut konnte Harry nicht glauben, was er hörte. Danach wandte er seinen Blick Severus zu. Der meinte in seinem gelangweilten Ton.
"Länder interessieren mich nicht sonderlich. Ich bin an der alten Magie interessiert, die in den Tiefen Afrikas liegt. Na gut, ein kleines Land würde ich auch nicht verschmähen."
"Am besten mit ein paar Nundus, was?!", stichelte Sirius grinsend. Dann meinte er zu Harry:
"Über Nunduinnereien kann er sich freuen wie ein kleines Kind. Wirklich schlimm!"
Severus schlug nach ihm, doch der Langhaarige wich kichernd aus.
Harry war zu verwirrt um reagieren zu können. Dieses ganze Gespräch hätte ohne den grausamen Inhalt wirken können, wie ein ganz normales Gespräch unter Freunden. Er betrachtete die Männer vor sich, die er immer nur streitend erlebt hatte. Er hatte gedacht sie würden sich hassen, verachten bis auf den Tod, aber wenn er sie nun so sah...
Mit einem Murren beschwor Severus noch einen Stuhl und meinte forsch zu dem anderen:
"Setz dich endlich hin, du machst mich wahnsinnig, wenn du die ganze Zeit hier rumrennst..." Sirius rollte mit den Augen, setzte sich aber - jedoch verkehrt herum - auf den Stuhl und legte Arme und Kopf auf die Lehne. Dann fuhr Severus fort:
"Um deine Frage zu beantworten, die dir ins Gesicht geschrieben steht: Ja, früher haben wir uns gehasst, als er sich jedoch ebenfalls den Death Eatern anschloss haben wir uns wohl irgendwie doch... angefreundet... Es gab gewisse Dinge, die uns verbanden, die dich aber nicht zu interessieren haben. Wir wurden dadurch jedenfalls so etwas wie... Freunde..." Er betonte das letzte Wort, als würde er lieber ein anderes benutzen, jedoch keines finden und es nur notgedrungen nehmen. "Außerdem hatten wir die selbe Aufgabe. Im Grunde jedenfalls, ich war eigentlich Doppelspion."
"Scheißjob, oder?"
Severus zuckte mit den Schultern. "War gut bezahlt. Ich hab Nundunieren gekriegt."
Sirius lachte.
"Wie dem auch sei. Wir haben beschlossen, dass es wohl besser sei, wenn wir in Ordenskreisen bei unserem 'Schulhass' blieben, dann würde niemals jemand auf die Idee kommen, dass wir zusammen eine Verschwörung planten. Augenscheinlich hat das auch gut geklappt, du siehst ja, dass wir letztendlich unser Ziel erreicht haben."
"Ziel?", flüsterte Harry, nicht fähig dazu laut zu sprechen.
"Ich sollte dich zuerst psychisch fertig machen, er dein Vertrauen gewinnen und dich vor mir verteidigen. Nach seinem Tod sollte es sich ändern, damit du am Ende, wenn du die Wahrheit erfährst, noch mehr geschockt bist. Ich denke, ich muss dir nicht sagen, dass genau dies jetzt der Fall ist, oder?"
Harry schüttelte den Kopf, nicht aus Zustimmung, sondern noch immer aus Unglaube. Das konnte doch nicht sein! Das konnten sie nicht geplant haben! Wie, verdammt nochmal, sollte man das alles planen können? Was war dieser Eine Plan, wie Sirius ihn genannt hatte?
"Hast du sonst noch irgendwelche Fragen? Unsere Zeit ist knapp bemessen, immerhin haben wir hier ein Land zu regieren, während der Lord abwesend ist."
Wie in Trance sah Harry auf, er konnte nicht wirklich klar denken. Irgendwie kamen seine Gedanken zu den Ketten und er sah nach hinten. Dies schien genug für Severus zu sein:
"Ich nehme an, du hast bereits versucht sie zu sprengen und das Resultat gespürt. Ich habe den Lord natürlich in Kenntnis gesetzt von deinen neuen Kräften, er hat alle nötigen Vorbereitungen getroffen. Die Ketten sind mit einem uralten Bannspruch belegt, der die zauberstablose Magie abweist und sie in Form von Schmerz zurück auf den Anwender wirft. Es wäre Schwachsinn versuchen sie zu sprengen, also rate ich dir es lieber zu lassen. Sonst noch was?"
Harry kam sich vor wie kurz vor einer Operation, wo man alle Einzelheiten genau erklärt bekam und man Fragen stellen konnte, während man schon die ersten Narkosemittel eingeflößt bekam, die die Gedanken verschleierten.
Er schüttelte nur den Kopf, doch als die beiden Männer sich bereits dazu aufmachten die Zelle zu verlassen, fiel ihm noch etwas ein:
"Draco!!" Mit angstgeweiteten Augen sah er Severus an. Dieser sah nur ausdruckslos zurück.
"Draco wirst du wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist."
Und mit diesen Worten schloss sich die Tür und Harry war wieder allein.
- - -
Tränen flossen unablässig aus den grünen Augen. Harry wusste nicht, was für welche es waren. Tränen des Schmerzes, Tränen des Hasses, Tränen der Enttäuschung. Vielleicht alle. Er wurde nicht von schluchzen geschüttelt, sein Atem hatte sich nicht verschnellert und er drohte nicht an ihnen zu ersticken. Sie flossen einfach nur stumm über seine Wangen und tropften hinab auf seine Hose. Selbst wenn er eine Hand freigehabt hätte um sie wegzuwischen, hätte es nichts gebracht. Es dauerte Stunden bis der Strom langsam versiegte.
Harry hatte alles ausgeblockt. Er wollte jetzt an nichts denken, er wollte jetzt nicht noch einmal alles durchgehen, was er in den Gesprächen mit den beiden Männern erfahren hatte. Und so saß er da, weinte stumm und dachte an nichts, doch in seinem Unterbewusstsein nagten die schrecklichen Erkenntnisse bereits an seiner Seele.
Irgendwann senkte sich die Nacht über das Land, auch wenn man angesichts der dicken Wolkenschicht kaum einen Unterschied zwischen ihr und dem Tag machen konnte. Es donnerte ein paar Mal und hin und wieder zuckte ein Blitz, aber es floss kein Regen. Irgendwann schlief Harry ein.
Als er wieder erwachte schien es erneut Tag zu sein, doch sicher war er sich nicht. Im Grunde war es ihm egal. Seine Augen brannten und waren verkrustet von den Rückständen der Tränen. Die Arme taten ihm weh, genauso wie seine Beine und der Rest seines Körpers. Der Holzstuhl war sehr unbequem, die Ketten taten ihr übriges. Aber was hatte Harry denn erwartet? Er war der Feind, der einzige, der Voldemort vielleicht noch aufhalten konnte. Man musste alles daran setzen, damit er körperlich geschwächt war um nicht irgendwie die Chance zu bekommen den Dunklen Lord zu stürzen.
Harry lachte bitter auf. Selbst wenn er körperlich dazu in der Verfassung gewesen wäre, seelisch war er viel zu zermürbt. Ja, Severus hatte Recht gehabt. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Harry war so oft angelogen und betrogen worden, hatte so wenigen je sein vollstes Vertrauen geschenkt und dann kamen zwei von diesem kleinen Kreis und traten es mit Füßen. Zehn Jahre lang hatte Sirius ihn nur belogen und betrogen, Severus sogar noch länger. Wie konnte man noch an etwas glauben, wenn man derart enttäuscht wurde? Wie sollte man mit so etwas leben können? Wie-
Harry brach jäh ab, als er merkte, dass er wieder in das Loch der Verzweiflung zu rutschten drohte.
"Nein", flüsterte er und schüttelte enerigsch den Kopf, auch wenn es ihm weh tat. Er durfte nicht wieder so denken. Er musste stark bleiben, er musste kämpfen... er musste leben!! Er hatte es Draco versprochen und er würde es auch halten, egal was noch kommen würde! Er würde nicht aufgeben!
Draco. Das war es, was ihn am meisten Sorgen machen sollte. Wo war Draco? Wie ging es ihm? Was hatten sie mit ihm gemacht? Draco war als letzter gegangen, vielleicht hatte er irgendwie entkommen können. Über dem Schloss lagen zwar Apparationsperren, aber vielleicht hatte er fliehen können. Draco war schnell und außerdem konnte er sich in einen Adler verwandeln. Doch Severus wusste dies auch und hatte sich sicherlich darum gekümmert.
"Draco wirst du wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist."
Harry seufzte. Was sollte dieser Satz bedeuten? Er hatte weder in Severus' Ton noch in seinem Blick irgendeinen Hinweis auf die Verfassung des Blonden herauslesen können. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass Severus Draco etwas antun würde. Er liebte ihn doch! Er war doch wie ein Sohn für ihn! Aber Sirius... Sirius hatte auch Percy getötet! Sirius hatte als Voldemorts Vollstrecker so viele andere Menschen getötet! Lucius Malfoy! Er würde sicherlich auch hier sein und man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass er sich für die Schande, die sein Sohn über ihn gebracht hatte, rächen würde.
Kurz verzweifelte Harry wieder, bevor er sich erneut zur Besinnung rief. Er versuchte telepathisch Kontakt mit Draco aufzunehmen, doch auch dies verhinderten die Ketten und schmerzhaft aufschreiend, gab er den Versuch auf.
"Draco wirst du wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist."
Harry seufzte wieder. Dann konnte er wohl nur eines tun: Warten bis die Zeit gekommen war. Und dann kämpfen, um Draco dort herrauszuholen!
- - -
Die Zeit verging, Harry konnte nicht sagen wieviel. Er hatte sein Zeitgefühl gänzlich verloren. Sirius brachte ihm irgendwann etwas zu essen. Fast liebevoll säuberte er das Gesicht seines Patensohnes von den Tränenspuren, doch der junge Mann sah ihn nur verachtend aus seinen grünen Augen an. Er lehnte das Essen ab und starrte weiter. Irgendwann gab Sirius auf und verschwand.
Beim nächsten Mal kam Severus, doch auch dieser konnte ihn nicht dazu bringen etwas zu sagen oder zu essen. Dann wechselten sie sich ab, aber Harry weigerte sich jedes Mal. Er wusste nicht, ob es ihm nur so vorkam, oder ob sie irgendwann nicht mehr so oft kamen. Anhand der Mahlzeiten schätzte er, dass er seit ungefähr vier Tagen gefangen gehalten wurden. Er saß fortwährend auf dem Stuhl, angekettet, ohne Bewegungsmöglichkeit. Er konnte nicht einmal aufstehen. Der Schmerz ließ irgendwann nach und wurde von Taubheit abgelöst. Auf die Toilette musste er nicht, er vermutete, dass Sirius und Severus irgendeinen Spruch anwandten, wenn sie kamen, um seine Exkremente sofort verschwinden zu lassen. Aber es war ihm egal, er würde ausharren bis die Zeit gekommen war.
Sein Schlaf war unruhig angesichts der unbequemen Position, seine Träume durch Sorge wirr. Ab und zu sah er Draco, wie er auf ihn zugerannt kam, aber ihn nie erreichte. Dann sah er wie Severus und Sirius dem Blonden den Weg versperrten. In einem anderen Traum hielt Severus Draco fest und Sirius Harry, sie waren gerade soweit getrennt, dass ihre Fingerspitzen nur Millimeter voneinander entfernt waren. Dann wachte Harry auf und fand sich alleine in der Zelle wieder.
Tag und Nacht zogen vorbei, unbemerkt. Der Himmel war immer grau und wolkenverhangen, kein Sonnenstrahl drang hindurch. Harry fragte sich, wie man hier leben konnte. Dann drang das Bild von Hogwarts in ihm Hoch. Das Schloss, das schon immer sein einziges zuhause gewesen war, wie es hoch oben auf seinem Berg stand, eine stabile Festung im gleißenden Sonnenlicht und seine Bewohner, die sicher in ihm waren.
Unwillkürlich fragte Harry sich, ob diese Vision noch stimmte. Vielleicht war es bereits eingenommen. Severus wusste, wie man hineinkam, er kannte all die Fallen, Banne und Zauber, die sich den Death Eatern immer in den Weg gestellt hatten.
Er fragte sich, was aus Hermine und dem Baby geworden war. Aus ihren Eltern, den Weasleys, Luna, Minerva und den ganzen anderen Kämpfern. Er hatte dem Kind doch nur eine bessere Zukunft geben wollen. Ein schönes Leben, wie er es nie gehabt hatte...
- - -
"Hey!"
Schlaftrunken öffnete Harry die Augen. Er hatte geschlafen, diesmal ungewöhnlich fest. Ein dumpfer Schmerz an seinem Bein drang in sein Bewusstsein ein, dann die Stimme.
"Hey!"
Blinzelnd erkannte er, wie jemand mit einem Stock gegen sein Schienbein schlug, anscheinend fest, doch weil seine Beine sowieso halbtaub waren, merkte er es nicht wirklich. Da er den Blick nach unten gerichtet hatte, konnte er zuerst nur die Füße und den Saum eines silbergrünen Umhangs sehen. Also war des weder Sirius noch Severus, die schwarzblaue und schwarzgrüne Umhänge trugen.
Matt und unter Schmerzen hob Harry den Kopf. Beine, Rumpf, blonde Haare... Augenblicklich war er hellwach und sein Blick raste nach oben! Erst dann bemerkte er, dass die Haare viel zu lang waren. Ein abfälliger Laut drang aus seiner Kehle und er musterte den Mann vor sich mit offener Abscheu.
"Lucius Malfoy."
Der Angesprochene grinste sadistisch. "Ah, schau an, man ist aufgewacht! Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Schlaf!"
Harry knurrte. Doch der andere lachte nur leise, während er um ihn herum ging und ihn musterte. "Eine wirklich schöne Unterkunft hast du hier. Ich hoffe, du fühlst dich wohl und es geht dir gut!" Der blonde Mann grinste wieder, doch der Schwarzhaarige ließ sich davon nicht provozieren. Trocken meinte er:
"Natürlich! Die Sonne strahlt, es wird warm und die Welt wird endlich wieder bunt - wie kann es mir da nicht gut gehen?"
Lucius zog belustig eine Augenbraue hoch. "Ich wusste gar nicht, dass du so sarkastisch bist!"
"Und ich wusste nicht, dass Sie sich an Gefangenen aufgeilen..."
Der Mann zog scharf die Luft ein und sah aus, als würde er den Sitzenden am liebsten ohrfeigen, doch er hielt sich zurück. Warum konnte Harry nicht sagen. Vielleicht war es ihm verboten worden. Severus und Sirius hatten teilweise Dinge gesagt, die Harry darauf schließen ließen, dass sie höher gestellt waren als der Rest der Death Eater. Anscheinend waren sie Voldemorts direkte Vertreter.
Mit einem tiefen Atemzug erlangte Lucius seine Fassung zurück und legte wieder dieses Grinsen auf sein Gesicht.
"Dir scheint es wirklich gut zu gehen. Draco war besorgt, dass du wieder in deine Lethargie verfallen könntest."
Harry riss entsetzt die Augen auf. "Was haben Sie Draco angetan?! Ich schwöre Ihnen, wenn Sie ihm auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann kriegen Sie es mit mir zu tun!"
Lucius lachte. "Wie rührend! Du hast Freundschaft mit meinem Sohn geschlossen!"
"Was haben sie mit ihm gemacht?!"
"Oh, ich habe gar nichts mit ihm gemacht!"
Harry kniff die Augen zusammen und musterte den Anderen. Er wusste nicht, ob er ihm glauben sollte. Lucius Malfoy war für ihn der schmierigste Mensch, den er überhaupt je getroffen hatte. Bei ihm wusste man nie, woran man war.
"Lucius, was tust du hier?"
Severus stand plötzlich in der Tür und sah den Blonden ein wenig verwirrt an.
"Ich wollte mir nur unseren werten Gast anschauen."
"Das hier ist kein Zoo!", sagte der Schwarzhaarige kalt. Harry sah das Zucken in Lucius' Gesicht, doch der Ältere sagte nichts, was Harrys Vermutung bestätigte. "Verschwinde jetzt! Soweit ich weiß hast du noch einiges zu tun, oder?!" Bösen Blickes und Unverständliches murmelnd, verschwand Malfoy. Dann richtete Severus seinen Blick auf Harry:
"Mit ihm redest du, aber mit uns nicht?"
Schweigen.
Der Mann rollte genervt mit den Augen. "Wie dem auch sei. Ich denke es wird dich freuen zu hören, dass die Zeit nun gekommen ist."
Harry verstand nicht gleich, dann hörte er die Schritte. Draco! Sein Atem beschleunigte sich ein wenig, sein Herz klopfte schneller. Schritte hießen, dass er noch lebte! Und da es regelmäßige Schritte waren, schien er nicht verletzt zu sein. Harry war erleichtert. Er hatte sich solche Sorgen um den anderen gemacht! Doch er war nicht vorbereitet auf das, was kommen sollte...
Severus ließ ein leises Knurren verlauten, das mehr an ein Seufzen erinnerte, als Draco zu ihm trat.
"Was hat Dad hier gemacht? Hat er sich wieder an Gefangenen aufgegeilt?!"
"Du weißt doch wie er ist... Sei nachsichtig, der Lord will noch einen Dialog mit ihm führen und keinen Monolog." Damit ging Severus. Draco sah ihm kurz nach, dann trat er in die Zelle und schloss die Tür hinter sich.
"Hey, Harry", lächelte er den Sitzenden an, während er das Essenstablett abstellte und eine Decke auf dem Boden ausbreitete. Harry sah ihn nur stumm an. Draco ging es gut. Er war gesund. Vollkommen gesund. Keine Schramme, kein Kratzer, weder körperlich noch seelisch. Als er sich setzte raschelten die silberschwarzen Roben, die er trug und ihn als einen der Dunklen Armee kennzeichneten.
- - -
Nachdem Draco sich gesetzt hatte, breitete er das Essen, welches auf dem Tablett stand, nun auf der Decke aus. Es war diesmal für zwei Personen. Dann stand der Blonde wieder auf und löste Harrys Fesseln so, dass dieser sich bewegen konnte. Gefesselt war er jedoch trotz allem. Danach setzte sich Draco erneut und blickte erwartend in die grünen Augen.
Doch Harry stand nicht auf von seinem Stuhl. Alles was er tat, war auf den anderen zu starren, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Nur einer zuckte immer wieder leuchtend aus dem Wirrwarr des Restes hinaus. 'Ich hätte es wissen müssen.'
In diesem Moment zersprang Harrys ganze Welt. Hatte der Schock über Sirius und Severus schon die ersten Risse verursacht, splitterte nun alles. Wie eine heruntergefallene Vase lag alles in Scherben und nichts auf der Welt konnte sie jemals wieder zusammenfügen.
Draco hatte ihn verraten. Draco hatte ihn getäuscht. Genauso schändlich wie Sirius und Severus hatte er immer nur eine Rolle gespielt, die mit größter Wahrscheinlichkeit auch nur jenem geheimnisumwobenen Plan diente, den Voldemort verfolgte. Harry fragte sich ernsthaft, was das für ein Plan war, der beinhaltete den größten Feind immer wieder aus der Lethargie zu holen. Anders wäre es doch so viel einfacher gewesen.
Die Ketten klirrten, als der Schwarzhaarige schließlich doch aufstand. Seine Gelenke schmerzten, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er würde keine Schwäche zeigen. Dann setzte er sich auf den Boden, die Augen nicht vom Gesicht des anderen nehmend.
"Schau mich nicht so an..." Draco blickte über den Rand seines Bechers hinweg, aus dem er gerade trank.
"Wie soll ich denn sonst schauen? Soll ich mich freuen, dass du mir immer nur etwas vorgespielt hast?" Harrys Stimme war so kalt und emotionslos, wie nie zuvor. Er wunderte sich selbst, dass er nicht augenblicklich wieder in das Loch der Verzweiflung gefallen war, aber anscheinend hatte Draco seine Spuren bei ihm hinterlassen - ob er es nun noch wollte oder nicht. Der Blonde hatte ihn zweimal aus diesem Loch geholt, hatte ihn zwei Mal des Lebens und des Kämpfens ermahnt und selbst wenn es nur ein Teil des Plans war, war das der einzig richtige Weg, den Harry einschlagen konnte. Vielleicht hatte Draco ihn immer wieder auf diesen Augenblick vorbereitet, von dem er sicherlich wusste, dass er eines Tages kommen würde - ob nun bewusst oder unterbewusst sei dahin gestellt. Aber der Blonde hatte in ihm Überzeugungen und Meinungen gebildet, die er jetzt nicht mehr so einfach abschaffen konnte, auch wenn er nun erfahren hatte, dass der andere nur nach dem Willen des Feindes gehandelt hatte.
Harry nahm nun seinerseits den Becher, der für ihn bestimmt war. Als er die Flüssigkeit herunterschluckte, merkte er erst, wie durstig er überhaupt war, doch er beherrschte sich und trank langsam. Mit dem Essen verhielt es sich genauso, während er seinen kalten Blick immer noch nicht abwandte.
"Es war nötig, Harry. Es gehört-"
"Jaja, ich weiß! 'Zum Einen Plan!' Weißt du, wie oft ich das in den letzten paar Tagen gehört habe?!"
Draco schwieg.
"Willst du mir jetzt auch deine Gründe erklären?!" Der Schwarzhaarige war genervt.
"Nur wenn du willst. Wir können auch nur zusammen essen, wenn dir das lieber ist."
Harrys Augen verengten sich, aber er sagte nichts. So auch der andere.
Für Minuten war nur das Geklapper des Bestecks zuhören. Der Schwarzhaarige hatte einige Probleme mit dem Essen, da seine Fesseln es nicht erlaubten die Hände sehr weit auseinander zu führen. Doch Draco half ihm aus und schnitt ihm das Fleisch klein, damit es leichter zu essen war. Man hätte fast meinen können, es wäre ein ganz normales Essen.
"Ich hab' nicht wirklich was gegen dich...", begann der Blonde schließlich, jedoch ohne aufzusehen. Harry gab einen abfälligen Laut von sich.
"Ja, darum belügst du mich auch sieben Jahre lang und lieferst mich dann Voldemort aus."
Draco seufzte. "In den letzten sieben Jahren warst du nicht so sarkastisch..."
"In den letzten sieben Jahren dachte ich auch wir wären FREUNDE!"
Harry hatte das letzte Wort geschrieen. Seine Vorsätze sich zu beherrschen bröckelten. Verdammt, er hatte Draco als seinen Freund angesehen, als seinen Bruder! Und er hatte nichts besseres zu tun als ihn sieben verdammte Jahre lang zu belügen!! Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das musste doch alles ein Albtraum sein!
Harry lachte wieder bitter und schüttelte den Kopf.
"Kam es dir nicht lächerlich vor, mir immer Mut und Hoffnung zu machen?! Du hättest mich gleich beim ersten Mal verrecken lassen können und alles wäre schnell erledigt gewesen. Stattdessen erzählst du mir sieben Jahre lang irgendwelche Dinge, die vollkommen gegen deine wahren Überzeugungen sprechen und holst mich sogar noch ein zweites Mal aus diesem Loch! Das ist doch lächerlich! Vollkommen lächerlich!"
"Ich weiß."
Schweigen, dann: "Und warum hast du es dann getan?"
Draco senkte den Blick und überlegte einige Augenblicke. Als er wieder aufsah war sein Blick genauso kalt, wie der von Harry. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes wurde der Schwarzhaarige zurück auf seinen Stuhl gerissen und die Ketten legten sich erneut unsanft um dessen Glieder. Unwillkürlich drang ein Schmerzenslaut über seine Lippen.
"Du hast keine Ahnung von Politik, Harry. Was glaubst du, wäre es für eine Schlagzeile gewesen, wenn du dich selbst getötet hättest! Schön, wir hätten dich losgehabt, aber das aufrührerische Volk gegen uns. Die Leute hätten begriffen, dass es eine Schande war, dich für sie kämpfen zu lassen, dass du daran zerbrochen bist und dass sie nun selbst etwas dagegen tun müssen. Wir sind dabei eine Welt zu erobern, Harry, da können wir keine Aufstände gebrauchen."
Draco kam näher und stützte sich auf Harrys Beinen ab. Ihre Gesichter waren nur Millimeter voneinander entfernt.
"Aber wenn wir dich fangen! Wenn wir dich fangen und der Lord dich tötet, was glaubst du, hat das für ein Resultat?! Genau! Pure Verzweiflung. Dann sehen die Leute, dass es umsonst wäre aufzustehen, dass eine Revolte ihnen nur das gleiche Schicksal bescheren würde! Wenn nicht einmal Harry Potter gegen den Lord gewinnt, dann können sie es erst Recht nicht. Das ist es, Harry! Das ist es, was der Lord will."
Der Schwarzhaarige gab es nicht gerne zu, aber es klang logisch. Wäre er damals zerbrochen, hätten die Leute ihren Fehler vielleicht eingesehen und hätten gekämpft. Aber wenn er getötet wurde von Voldemort höchstpersönlich, würden sie auf ewig ihre Hoffnung verlieren.
"Ein einfacher Plan..."
"Ja, und gleichzeitig doch der komplizierteste von allen."
Draco stellte sich wieder aufrecht hin und ging langsam um den anderen herum. Dieser beobachtete ihn dabei.
Da war er wieder, dieser kalte, abschätzige Blick, den Harry die ersten fünf Schuljahre an Draco gekannt hatte. Dieses Kinnrecken, dass ihn so arrogant wirken ließ. Aber Harry wusste, dass es nur Fassade war. Dracos wahrer Charakter war der, den er die letzten sieben Jahre kennengelernt hatte. Auch wenn er nur Lügen erzählt hatte, verstellt hatte er sich nicht.
"Warum bist du jetzt wieder so abweisend? Eben warst du noch richtiggehend nett..."
"Ich habe meine Gründe." Draco wusste, dass es sinnlos war zu leugnen, dass er immer nur gespielt hatte. Er hatte die ersten fünf Schuljahre gespielt, nicht die letzten sieben Jahre. Und Harry wusste das.
"Willst du, dass ich dich hasse?" Ein belustigter und zugleich bitterer Unterton lag in der Stimme des Gefangenen.
"Es würde dir einiges leichter machen."
Harry schwieg, bevor er schließlich doch meinte: "Ich werde dich nicht hassen können. Ich werde keinen von euch hassen können, selbst wenn ich es wollte."
Auch wenn es lächerlich klang, nach allem was er in den letzten Tagen erfahren hatte, es stimmte. Er konnte wütend auf sie werden, er könnte sich Hass auf sie einreden und gegen sie kämpfen. Aber tief in seinem Inneren würde er sie trotzdem weiter lieben, denn sie waren nun einmal was sie waren: seine Familie.
Draco seufzte nur und meinte fast traurig darauf: "Da wäre ich mir nicht so sicher..."
- - -
Sie schwiegen, während der Blonde das Geschirr zusammenräumte. Dann brach Harry die Stille.
"Was ist mit den Träumen?"
Draco sah auf, nicht verstehend, was der andere meinte.
"Die Träume von deiner Initialisierung. Oder hast du nachts einfach hin und wieder ein 'Nein' und 'Nicht' gestöhnt..."
"Die waren echt. Der Lord ist sehr gründlich in diesen Dingen." Er zuckte mit den Schultern. "Aber interessant Dinge zu sehen, die man nie erlebt hat."
Die grünen Augen verengten sich. "Was heißt das?"
"Ach, Harry. Stell dich doch nicht dümmer an, als du bist. Es gab nie so einen Vorfall. Sev hat Dumbledore vorgemacht, dass ich initialisiert werden sollte, mit ihm einen Plan ausgeheckt, den dem Lord erzählt und dann haben wir in unserer Höhle geduldig gewartet, bis die Zeit gekommen war und ich bin mit dem Portschlüssel in Dumbledores Büro geschickt worden."
Harry schüttelte den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass Albus keinen Verdacht geschöpft hatte. Er hatte Severus immer vertraut, das hatte er ihm immer gesagt. Einen Grund hatten sie jedoch nie erfahren und Harry war sich ziemlich sicher, dass der alte Zauberer jenen mit ins Grab genommen hatte.
Schweigen für eine Weile. Eigentlich hätte Harrys es sich denken können, nicht alles, aber jedenfalls die Sache mit Severus. Wie hatten sie nur alle glauben können, dass Voldemort ihm vergeben hatte? Ihn wieder in seinen Kreis aufgenommen, obwohl der Mann jahrelang mit Dumbledore zusammengearbeitet hatte? Es war lächerlich dies zu glauben, wurde Harry schließlich klar. Vollkommen lächerlich. Der Dunkle Lord vergab nicht. Für ihn gab es nur Gehorsam und einmaligen Verrat. Gehorsam bedeutete Leben, Verrat Tod. Er hätte Severus gleich umgebracht, wenn jener wirklich übergelaufen wäre.
"Tut es nicht weh jene zu verletzen, die man liebt?", flüsterte er schließlich.
"Man lernt diese Gefühle auszublocken. Manchmal muss man auch die opfern, die man liebt um sein Ziel zu erreichen, selbst wenn man nicht mal selbst genau weiß, warum man es tut."
Harry lachte wieder bitter auf. Sirius' Worte. Seine hatten Harrys Vater betroffen, Dracos bezogen sich auf ihn.
"Was ist mit Hogwarts?"
"Gestürmt, bereits am gleichen Tag."
"Was ist mit den anderen?"
"Die meisten Kämpfer wurden getötet. Bei den Frauen und Kindern nur die Reinblütigen am Leben gelassen. Die Grangers sind tot, die Weasleys leben alle noch, Luna ebenfalls. Minerva mussten sie auch töten, sie war vollkommen hysterisch geworden."
"Remus?"
"Er lebt noch, der Lord will ihn auf seine Seite ziehen. Er ist ein alter Werwolf, die sind mächtig."
"Das wird er niemals freiwillig tun."
"Imperius."
"Remus hat einen starken Willen."
"Nicht mehr seit er die Wahrheit erfahren hat."
Harrys Augen weiteten sich geschockt. Dann kniff er sie zusammen. Natürlich, es würde den Werwolf seelisch zerstören, wenn er die Wahrheit über Sirius herausfand. Und mit einem gebrochenen Willen konnte Voldemort alles tun, was er wollte.
Einige Zeit musterte Draco den anderen nur. Dann fragte er schließlich.
"Du willst kämpfen, oder?"
"Das hast du mir doch beigebracht."
"Trotz allem?"
"Trotz allem."
Selbst wenn er nun nicht einmal mehr ein zuhause hatte, zu dem er zurückkehren konnte, er würde kämpfen.
Draco knurrte. "Manchmal lohnt es sich nicht mehr zu kämpfen."
Harry lachte auf. "Willst du es mir wieder leichter machen?"
Schweigen.
"Harry, du wirst zerbrechen. Das ist dein Schicksal."
Ein überraschter Ausdruck legte sich in die grünen Augen. Das war sein Schicksal? Schicksal?! Aus Dracos Mund?! Was war denn jetzt los?!
"Seit wann glaubst du denn an das Schicksal? Du hast mich doch immer angeschrieen, wenn ich davon angefangen habe."
"Deine Vorstellung von Schicksal war ja auch reichlich lächerlich." Er näherte sich dem Gefangen wieder, während er sprach. "Weißt du Harry, es gibt durchaus ein Schicksal. Aber es ist nicht irgendeine höhere, übermenschliche geschweige denn göttliche Macht. Nein, du bist das Schicksal, ich bin das Schicksal. Alle Menschen sind das Schicksal."
Harry verstand nicht und legte fragend den Kopf schief. Draco schüttelte den Kopf und fuhr mit einem fast schon diabolischen Grinsen fort:
"Ach, Harry, verstehst du denn nicht? Die Menschen bestimmen ihr Schicksal gegenseitig. Wenn jemand einem Freund eine Reise schenkt und dieser Freund im Urlaub seine große Liebe findet, war der Schenkende das Schicksal seines Freundes. Oder wenn jemand aufgehalten wird, dadurch aber nicht in eine Katastrophe gerät, bei der er gestorben wäre, dann hat der Aufhaltende das Schicksal des anderen gemacht. Das gleiche ist, wenn du deinen besten Freund zum Spionieren schickst und er dabei etwas herausfindet, was er nicht wissen darf und deshalb getötet werden muss. Dann hast du das Schicksal deines besten Freundes gemacht."
Harry verstand nicht gleich die Bedeutung der letzten Sätze. Doch dann, ganz langsam, fügten sich alle Teile zu einem großen Bild zusammen...
"Was ist eigentlich mit der Stonehengesache?" -"Ich wollte dich bitten, dich da ein wenig umzuschauen..." - "Ja, sicher, kein Problem." "Sei aber vorsichtig und fall nicht auf, ja?" - "Jetzt komm schon, Harry! Die werden da wohl kaum jedes umherstreunende Wiesel untersuchen, ob es ein Animagus ist. Dafür gibt es dort viel zu viele... und auch wenn es nicht so viele rote gibt, werden die wohl kaum denken, dass ich es bin." - Doch Ron war noch nicht wieder da. - "Er ist einer unserer zuverlässigsten Männer, er hätte sich gemeldet. Wir müssen davon ausgehen, dass er gefangen genommen wurde." - "Draco wird ihn suchen." - "Ist Draco wieder da?" - Rons Augen waren geschlossen. Es sah aus, als würde er schlafen. Doch Harry wusste, dass das nicht stimmte. Ron schlief nicht. Denn Ron war tot.
"Nein..." Harry schüttelte den Kopf, zuerst langsam, dann immer heftiger.
"Nein!" Er kniff die Augen zusammen. Er wolle sich nicht erinnern, er wollte diese Erkenntnis nicht haben, die sich langsam bildete.
"NEIN!" Sein Atem wurde heftiger und er keuchte, als er sich langsam wieder beruhigte. Seine Hände zitterten trotz der Fesseln und als er seine grüne Augen aufrichtete und den anderen ansah, da waren sie voller Hass. "Nein..."
Draco grinste überheblich, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. "Oh doch, mein Lieber. Ich habe Ron getötet."
- - -
Hassen und lieben sind beides Wörter, die man immer viel zu leichtfertig benutzt. Wie oft sagen wütende Kinder zu ihren Eltern, sie würden sie hassen und tun es im Grunde doch gar nicht. Wie oft schwören sich Pärchen gegenseitig Liebe und sind im nächsten Moment mit den Gedanken schon wieder bei anderen Personen. Hass und Liebe sind die intensivsten Gefühle, die es auf dieser Welt gibt. Nichts ist stärker als diese beiden und nur sie können einander bekämpfen und besiegen. Doch kann man wirklich nur hassen oder nur lieben? Oder kann das eine nicht ohne das andere sein? In den alten Sprichwörtern heißt es, Liebe und Hass sind die zwei Seiten einer Medaille. Vollkommen verschieden und doch Teil des Ganzen. Ohne Hass gibt es keine Liebe und ohne Liebe keinen Hass. Und diese Tatsache kann niemand auf der Welt ändern.
Die Dunkelheit war stärker geworden, jedenfalls hatte Harry das Gefühl. Aber vielleicht gewann die Dunkelheit in ihm drin ja doch wieder die Oberhand.
Draco hatte Ron getötet.
Er wusste nicht zum wie vielten Male er diesen Satz bereits wiederholte.
Draco hatte Ron getötet.
Er konnte es nicht glauben, es war doch nicht möglich. Sie waren doch Freunde geworden, richtige Freunde. Sie hatten ihre Feindschaft begraben. Sie hatten sich doch so gut verstanden nach all den langen Jahren.
Draco hatte Ron getötet.
Und trotzdem hatte der Blonde alles zerstört, was sie sich aufgebaut hatte, nur um Voldemorts Plan gerecht zu werden.
Harry schüttelte den Kopf. Es war doch nicht möglich, dass ein einziger Mann eine derartige Macht hatte, dass sich sogar Freunde verrieten und töten. Nur weil ein Mann seinen Vater hasste, musste eine ganze Welt darunter leiden. Aber vielleicht hatte Tom Riddle seinen Vater nie gehasst. Vielleicht hatte er ihn immer geliebt und wollte es sich nur nicht eingestehen. Er sehnte sich wie jeder Sohn nach der Anerkennung seines Vaters, doch er hatte sie nie bekommen. Und so wählte er den einfacheren Weg. Statt zu kämpfen begann er zu hassen. Derart intensiv, dass es die Welt zerstörte und Freunde zu Mördern machte.
"Es wäre leichter für dich, wenn du mich hassen würdest."
Ja, das wäre es in der Tat. Doch man kann keinen Menschen hassen ohne ihn vorher geliebt zu haben und Liebe dauerte ewig. Auch wenn Draco Dinge getan hatte, die nicht zu vergessen waren, vielleicht nicht einmal zu verzeihen, Harry würde ihn immer lieben und doch gleichzeitig hassen. Denn im Grunde war es ein und dasselbe.
- - -
Die Tage vergingen und wieder kamen sie. Seine kleine Familie. Er weigerte sich nicht mehr zu essen und zu trinken, jedoch sprach er noch immer kein Wort. Sirius schien von seiner Sturheit nur genervt zu sein, in Severus' Augen konnte er nicht lesen, doch es schien dem Tränkemeister ziemlich egal. Nur in Dracos grauen Augen blitzte hin und wieder ein wenig Enttäuschung auf.
Harry verbrachte die Zeit damit nachzudenken. Ab und an versuchte er auch noch die Ketten zu sprengen, doch Voldemorts Bann war mächtig und er schaffte es nicht. Nach ein paar Versuchen sah er es schließlich ein. Er konnte nicht fliehen und er würde nicht fliehen. Er würde bleiben und kämpfen und wie es enden würde, würde sich letztendlich zeigen.
Der Gefangene dachte viel über sein Leben nach. Über alles, was er je getan hatte, über alle, die er je kennengelernt hatte. Er fragte sich wie es Fleur in Frankreich ging. Ob sie gefangen oder getötet wurde oder den aussichtslosen Kampf des Widerstandes kämpfte. Was Krum in Bulgarien alles widerfahren war. Durmstrang hatte sich zu einem großen Teil Voldemort angeschlossen, doch Krum war nicht der Typ dafür. Er würde lieber sterben als ein Death Eater zu sein. Ja, Harry fragte sich sogar, was aus den Dursleys geworden war. Er glaubte nicht, dass sie noch lebten, keiner von ihnen war ein Kämpfer.
Bei dem Gedanken an Hermine krampfte sich Harrys Herz unweigerlich zusammen. Er fragte sich, ob sie gleich getötet worden war, oder ob sie das Kind noch bekommen hatte. Und wenn ja, was war mit dem Kind? Es war nicht ganz reinblütig, aber es hatte wenigstens Zaubererblut in sich. Doch als der Schwarzhaarige weiterdachte, realisierte er, dass - auch wenn es grausam klang - es vielleicht besser war, wenn das Kind tot war. Denn so würde es nur von Death Eatern erzogen werden und zu einem von ihnen werden, niemals auch nur wissend, dass sein Vater gegen sie gekämpft hatte und dafür gestorben war.
Harrys Träume waren wieder nur ein stumpfes Grau. Er wusste nun über alle Bescheid, um die er sich Sorgen gemacht hatte. Albträume fanden nun keinen Ansatzpunkt mehr bei ihm, denn Albträume zeigten das schlimmste, was man sich ausmalen konnte und in seinem Fall war das Schlimmste bereits eingetreten.
Tag und Nacht zogen vorbei, immer noch nicht voneinander unterscheidbar. Seine Familie kam und ging und er sprach kein Wort, sondern wartete. Wartete auf die Person, die ihm alles erzählen würde und nach deren Worten er seinen entgültigen Entschluss fassen würde: Voldemort.
- - -
Ein Klacken riss Harry aus seinem Schlaf. Sein Körper hatte mittlerweile aufgehört zu schmerzen, alles war taub. Draco lockerte ihm hin und wieder die Fesseln, damit er ein paar Schritte gehen konnte, doch das half auch nicht sehr viel, angesichts dessen, dass er den Großteil des Tages auf dem harten Holzstuhl verbrachte.
Als er seine grünen Augen langsam öffnete, fand er seinen Blick erneut auf dem Boden. Er rechnete damit irgendeinen Saum eines Umhanges zu sehen, doch stattdessen sah er den Saum eines dunkelblauen Kleides. Blinzelnd hob er den Blick und sah eine Sekunde später in das höhnisch blickende Gesicht Bellatrix Lestranges.
Sie sah ganz anders aus, als Harry sie in Erinnerung hatte. Das letzte Mal hatte er sie beim Ministeriumskampf gesehen. Damals war sie mager gewesen, ihre Wangen eingefallen, der Blick und die Haare stumpf. Fünfzehn Jahre Azkaban hatte damals ihre Spuren an ihr hinterlassen, doch nun waren diese Jahre wie weggewischt.
Trotz ihres Alters war sie wieder eine durchaus begehrenswerte Frau geworden. Sie war nicht mehr mager, aber auch nicht dick, die Rundungen waren an den richtigen Stellen, Taille und Hüfte waren ausgesprochen schlank. Ihre Haare glänzten wieder und waren zu einer eindrucksvollen Frisur hochgesteckt. Die Wangen waren nicht mehr eingefallen und sie hatte sogar einen etwas dunkleren Teint bekommen. Die Schreckensherrschaft des Dunklen Lords hatte ihr durchaus gut getan.
"Hallo." Ein Grinsen legte sich auf ihr Gesicht und Harry wurde unwillkürlich an Sirius und Draco erinnert. Der gleiche Blick, die gleiche Geste. Erst jetzt verstand der Schwarzhaarige, dass die drei sich wahrscheinlich blendend verstanden.
"Hallo", erwiderte Harry gelassen, aber kalt. Er wusste nicht, wie sie stand. Bellatrix war immer offensichtlich eine der Ranghöchsten gewesen, nicht zuletzt dadurch, dass sie wohl Voldemorts fanatischste Anhängerin war. Doch es war auch immer erschienen, als hätte Lucius Malfoy weit oben gestanden, doch im Endeffekt stand er unter Sirius und Severus. Ob es bei der Frau genauso war, wusste Harry nicht.
Ein paar Minuten musterte Bellatrix den jungen Mann vor sich. Schließlich legte sie Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand unter sein Kinn und hob es hoch. Harry wollte sich wegdrehen, doch da packte sie seinen Kiefer mit der ganzen Hand.
"Hör zu, Junge. Ich habe keine Angst vor deinem werten Paten und Severus. Ich kusche nicht wie Lucius, also halte lieber ruhig, wenn du nicht noch mehr Schmerzen spüren willst."
Eigentlich war es Harry egal, ob er leiden würde oder nicht, aber der Griff der Frau war außergewöhnlich fest und er hatte in seinem geschwächten Zustand nicht die Kraft sich zu wehren.
"Wollen Sie sich auch an mir aufgeilen?", fragte er stattdessen gelangweilt. Bellatrix lachte jedoch nur belustigt:
"Jaja, mein Schwager hat seltsame Vorlieben, das ist uns allen schon aufgefallen. Ich bin froh, dass bei Draco die Blackseite durchgeschlagen hat." Sie ging langsam um ihn herum und musterte ihn. Er hatte immer noch dieselben Sachen an, wie seit seinem geplatzten Sturmangriff. Sein Haar war noch wirrer als sonst und wahrscheinlich sah er elendig aus. Aber das war ihm egal - im Gegensatz zu der Frau, wie es schien.
Zu Harrys Überraschung zauberte die Schwarzhaarige eine Schüssel mit Wasser und Waschlappen herbei und noch dazu einen Kamm. Als sie damit anfing sein Gesicht abzutupfen, fragte er verwirrt:
"Was tun Sie da...?"
"Ich bereite dich auf deinen Besuch vor. So tritt man keiner Frau gegenüber. Nicht einmal einer wie ihr..."
... hatte Harry richtig gehört? Besuch?!
"Was für ein Besuch?"
"Hat man dir davon nichts gesagt?"
"Nein."
Nachdem sie damit fertig war sein Gesicht zu säubern, nahm sie den Kamm und versuchte seine Haare zu ordnen, was ihr jedoch augenscheinlich nicht gelang. Es wäre auch ungewöhnlich gewesen, niemand hatte bisher geschafft diese Haare zu bändigen.
Als er gerade im Begriff war zu fragen, wer kommen würde, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal. Gespannt sah er an Bellatrix vorbei, doch den eintretenden Mann kannte er nicht... oder doch?
"Hi!"
Es war ein großer Mann in einem dunkelbraunen Umhang. Sein braunes Haar stand wirr vom Kopf ab und fiel ihm in Strähnen ins Gesicht. Die Augen waren bernsteinfarben und funkelten fröhlich. Bei genauerem Hinsehen konnte Harry jedoch auch die Kälte und Skrupellosigkeit erkennen, die in ihnen lag. Und dann fiel es ihm wieder ein. Rodolphus Lestrange, Bellatrix' Mann. Auch er schien sich von Azkaban wieder erholt zu haben.
Harry beobachtete, wie der Mann sich in einer Ecke des Zimmers zu schaffen machte. Er breitete eine dicke Matratze aus und baute eine Art Zaun darum auf. Dann legte er irgendwelche Gegenstände hinein, die Harry jedoch nicht erkennen konnte. Als er fertig war, trat er an die Seite seiner Frau und meinte mit einem Grinsen:
"Na, fertig für den großen Besuch? Die werte Mrs. Weasley wartet schon!"
Mrs. Weasley?! Molly?! Aber... aber sie war doch vollkommen in einer anderen Welt versunken! Bevor er fragen konnte, wandte sich Rodolphus an Bellatrix.
"Fertig, Schatz?"
"Diese Haare sind eine Katastrophe..."
Der Braunhaarige kicherte. "Das liegt in der Familie."
Bellatrix schüttelte abwertend den Kopf. "Ich verstehe nicht, was Evans jemals daran finden konnte..." und mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, Wasserschale und Kamm mitnehmend. Harry sah ihr verwirrt nach. Rodolphus beugte sich zu ihm herunter und flüsterte:
"Sie kam mit deiner Mutter nicht klar. Die zwei haben sich ständig in den Haaren gelegen. Waren fast schlimmer als Sev und Sirius." Dann wandte auch er sich zur Tür, meinte kurz davor aber noch:
"Wir sind gleich wieder da. Nicht weggehen!"
Harry indes wusste nicht, über was er sich mehr Gedanken machen sollte. Über den Besuch oder über das seltsame Verhalten der Lestranges. Wobei er Rodolphus nicht einschätzen konnte, da er ihn nie wirklich kennengelernt hatte. Draco hatte einmal erzählt, dass er ein wenig verrückt war. Harry befand, dass es stimmte. Dieser Mann war viel zu fröhlich für einen Death Eater.
Dann hörte der Gefangene die Schritte auf dem Gang. Es mussten drei Personen sein.
Als die Tür sich öffnete trat zuerst Bellatrix hinein und meinte dabei: "Du hast eine Stunde, dann holen wir dich wieder ab, nicht mehr und nicht weniger." Sie trat um Harry herum und löste seine Fesseln, damit er sich bewegen konnte. Doch die grünen Augen waren starr auf die Tür gerichtet. Das war nicht Molly Weasley, die dort stand. Nein, das war jemand ganz anderes.
"Hermine", flüsterte er ungläubig, als seine alte Freundin sich bereits um seinen Hals warf.
- - -
Harry hatte ungelenk seine schmerzenden Arme um die Frau gelegt. Er konnte es nicht glauben. Draco hatte doch gesagt, die Grangers waren tot! Aber Hermine lebte! Hermine lebte und lag in seinen Armen! Er drückte sie so fest es ging an sich, schloss die Augen und genoss für einige wenige Augenblicke den Moment. Dann fiel ihm etwas auf. Sie war nicht mehr dick.
Widerstrebend löste er sich von ihr und schob sie an den Schultern zurück. Ihre Augen hatten einen leidenden und zugleich glücklichen Ausdruck, doch in diesem Moment überwiegte das Fragende alles.
"Wo ist das Kind?"
Ein verstehendes Aufleuchten ging durch ihr Gesicht, dann blickte sie unsicher zurück. Harry folgte ihrem Blick und sah, wie Rodolphus Lestrange in weiteres Mal den Raum betrat. Im einen Arm hielt er ein Kind - und im anderen ein weiteres. Der Schwarzhaarige folgte dem Älteren perplex mit den Augen, als dieser in die Ecke trat, in der er zuvor die Decken ausgebreitet hatte und die Kinder nun behutsam in den improvisierten Laufstall legte. Dann verließ er die Zelle ohne ein weiteres Wort. Harrys Blick wanderte zurück zu Hermine:
"Zwillinge?!"
Sie nickte mit einem kleinen Lächeln. Sie half ihm, als er sich mühsam aufrichtete und hinüber in die Ecke humpelte. Jeder Schritt tat ihm weh und er konnte sich fast nicht bewegen, aber das war ihm egal. Alles was zählte war, dass Hermine und die Kinder lebten.
Die beiden setzten sich in den großen Laufstall. Harry konnte seine Augen nicht von den beiden abwenden. Sie waren noch so klein, höchstens zwei oder drei Wochen alt. Das spärliche Haar, das sie bereits besaßen war braun mit einem Rotstich. Die Augen waren, wie die aller Babys, blau.
"Sie sind wunderschön..." Er streckte eine Hand nach dem einen Baby aus, das mit seinen kleinen Fingern danach griff. Das erste Lächeln seit er gefangen war, stahl sich auf Harrys Lippen. "Was sind sie?"
"Zwei Jungen." Hermines erste Worte. Ihre Stimme war leise und rau. Aber auch auf ihren Lippen lag ein kleines, glückliches Lächeln.
"Und wie heißen sie?", fragte er, während er seine andere Hand nach dem zweiten Baby ausstreckte.
"Das hier...", Hermine nahm das erste Kind vorsichtig hoch und legte es in Harrys Schoß, "...ist Ron. Und er..." auch das zweite nahm sie nun und gab es dem Mann, "... heißt Harry."
Der Schwarzhaarige hob überrascht die Augen. Doch Hermine lächelte nur. "Ich wollte, dass sie die Namen der beiden Männer bekommen, die mir am meisten bedeuten." Ihre Stimme brach und sie senkte traurig den Blick. Harry streichelte abwesend die beiden Kinder in seinem Schoß, die ihn neugierig beäugten und ihre kleinen Hände nach ihm ausstreckten.
"Wie geht es dir?", fragte er nach einer Weile.
"Es geht... ich... ich wurde begnadigt. Ich weiß nicht warum... ich glaube, Draco hat das veranlasst. Er hat auch gemeint, er würde mir helfen die beiden großzuziehen. Er war sogar bei der Geburt dabei."
Sie schien nicht sauer auf den anderen zu sein, dass er sie verraten hatte. Aber Harry vermutete, dass sie einfach nur glücklich war, dass ihre Kinder nicht in Gefahr schwebten. Kurz überlegte er ihr zu sagen, wer an Rons Tod Schuld war, ließ es dann aber doch. Es würde ihr nur schaden und wenigstens tat Draco seine Schuldigkeit, in dem er sich um sie und die Babys kümmerte.
"Und die anderen?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht genau. Luna scheint im Lazarett zu sein. Charlie, Ginny, Fred und George müssen irgendwelche schweren Arbeiten erledigen. Sie werden wie Muggel behandelt. Von den anderen weiß ich nichts. Draco meinte, man kümmere sich um sie..."
Harry nickte abwesend und betrachtete wieder die Kinder. Als Hermine erneut sprach, war ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern:
"Harry, was geschieht jetzt mit dir?"
Ängstlich sah sie ihn an und er überlegte lange, was er ihr sagen sollte. Am Ende entschied er sich für die Wahrheit, denn er hatte gesehen, wozu alles andere führte.
"Ich weiß es nicht. Voldemort war bisher noch nicht da."
Hermine sah aus als, wollte sie etwas sagen, schwieg dann aber doch.
"Was?", hakte Harry nach.
"Ich... ich glaube, er ist wieder hier..."
Der Schwarzhaarige zog scharf die Luft ein. Das erklärte alles. Hermines Besuch war so etwas wie die Henkersmahlzeit, der letzte, den er jemals bekommen würde. Harry war sich sicher, dass Voldemort seinen Tod plante - und zwar bald. Doch davon sagte er der Frau nichts. Er wollte sie nicht noch mehr verängstigen.
"Naja, dann werde ich wohl bald Gewissheit über alles haben..."
Hermine setzte wieder zum Sprechen an, doch Harry schnitt ihr das Wort ab. "Nein! Lass uns über andere Dinge sprechen, okay?"
Kurz sah sie ihn an, dann nickte sich lächelnd.
"Wie hast du die beiden genannt...?"
Die Frau sah ihn blinzelnd an. "Das hab ich dir doch schon gesagt..."
Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. "Nein, ich meine den Nachnamen."
Hermine sah hinunter auf ihre Kinder und ergriff Rons kleines Händchen. Dann sagte sie traurig lächelnd. "Sie heißen Weasley... Wir alle heißen Weasley..."
- - -
Den Rest der Stunde spielten sie mit den Kindern. Es war so schön und Harry erwischte sich bei dem Wunsch, dass diese Stunde niemals enden würde. Doch das war unrealistisch, das wusste er und so verdrängte er es schnell. Auf so was sollte er seine Hoffnungen nicht verschwenden.
Dann erklangen die Schritte auf dem Gang und kurz darauf öffnete sich die Tür. Herein kam wieder Rodolphus Lestrange, diesmal mit einem Mann, der ihm ähnlich sah. Harry tippte darauf, dass es sein Bruder Rabastan war.
"Die Zeit ist um."
Hermine nickte schwach und umarmte ihren Freund noch einmal. Währenddessen hob Rodolphus die Kinder hoch und gab sie seinem Bruder.
"Harry, versprich mir, dass du auf dich aufpasst...", flüsterte Hermine ihm mit brüchiger Stimme ins Ohr. Harry presste die Augen zusammen.
"Lass mich keine Versprechungen machen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie halten kann..."
Die Frau schluchzte einmal kurz auf. Dann löste sie sich von dem Schwarzhaarigen. In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen, doch sie kämpfte eisern gegen sie an. Ein paar Sekunden sah sie Harry noch in die Augen und drückte seine Hand. Schließlich wandte sie sich an Rodolphus.
"Okay."
"Rabastan wird dich nach draußen begleiten."
Sie nickte und folgte dem jüngeren der Lestranges. Sie sah nicht zurück, als sie die Zelle verließ. Aber Harry wusste, dass sie weinte.
Minuten vergingen in Schweigen. Der Braunhaarige schien den Abschied zu respektieren und sprach erst, als der andere ihn mit einem fragenden Blick ansah. Er deutete auf den Holzstuhl und Harry setzte sich widerstandslos darauf. Rodolphus machte sich daran ihn wieder festzubinden, diesmal die Hände jedoch in den Schoß.
"Er mag es nicht, wenn Er die Hände seines Gegenübers nicht sieht", erklärte der Mann auf sein wohl verwirrtes Gesicht. Harry musste nicht wissen, wer mit 'Er' gemeint war.
Als Rodolphus aufstand, betraten Bellatrix und Lucius den Raum. Kurz darauf Draco, Severus und Sirius. Der Gefangene fragte sich kurz, was der Auflauf zu bedeuten hatte, dann fiel ihm ein, dass Voldemort schon immer Wert auf einen guten Auftritt gelegt hatte.
Von links nach rechts bauten sich Lucius, Draco, Severus, Sirius, Bellatrix und Rodolphus in einer Reihe vor ihm auf. Harry seufzte demonstrativ gelangweilt und lehnte sich zurück. Dann ließ er seinen Blick auf Draco ruhen.
"Ich habe ihr nichts gesagt."
Der Blonde nickte, sagte aber nichts.
"Du weißt, warum wir hier sind?", begann Severus schließlich.
"Ihr wollt eine Revolution anzetteln und braucht jetzt mich dafür!"
Lucius Auge zuckte und er wollte auf Harrys Zynismus etwas erwidern, doch Severus hielt ihn mit einer Geste zurück. Draco schüttelte den Kopf, Sirius hob eine Augenbraue und die Lestranges tauschten einen belustigten Blick.
"Lass den Sarkasmus lieber, Junge", sprach sein Patenonkel dann weiter. "Das mag Er nicht besonders."
"Nya... ich mag harte Holzstühle auch nicht sonderlich und muss trotzdem damit Vorlieb nehmen. Wir kriegen nicht immer alle das, was wir wollen..."
Bevor einer der Death Eater etwas sagen konnte, erschallte das Lachen. Das kalte, grausame, vollkommen emotionslose Lachen, das Harry so oft im Traum gehört hatte. Wie auf Kommando traten die Malfoys und Severus ein paar Schritte nach links, Sirius und die Lestranges nach rechts und gaben den Blick auf die Tür frei.
Und dort stand er in dem wallenden grünen Umhang. Sein Kopf war immer noch kahl, die Haut fortwährend die einer Schlange. Die Pupillen schlitzförmig und die Iris blutrot. Voldemort hatte sich kein bisschen geändert.
"Hallo, Harry!"
Der dunkle Lord breitete die Arme in einer einladenden Geste aus, als er grinsend auf ihn zutrat. Doch Harry blieb gelassen.
"Tom."
- - -
Mit einem Schlag fiel die Tür ins Schloss. Für einen Moment fragte Harry sich, ob Voldemort ihn gleich umbringen würde, doch dann besann er sich. Das war nicht sein Stil, er würde noch mit ihm spielen wollen. Seine Death Eater hatte er rausgeschickt und nun befanden nur noch sie beide sich in der Zelle. Der alte mächtige Hexer und der kleine junge Mann, verfeindet seit der Jüngere geboren war oder vielleicht sogar noch darüber hinaus.
Voldemort ging in langen Schritten einmal um ihn herum, dann blieb er vor ihm stehen. Wieder legte sich ein Grinsen auf seine Lippen, doch die roten Augen blieben kalt und hart.
"Harry, wie lange haben wir uns nun schon nicht mehr gesehen?"
"Nicht lange genug..."
Der Lord lachte.
"Du hast dich verändert, mein Junge."
"Du dich nicht... Tom!" Mit Zufriedenheit sah er das Zucken im Gesicht des Schlangenmensches. Harry wusste, dass er seinen richtigen Namen verabscheute und genau deshalb nannte er ihn so. Es erinnerte Voldemort an sein Erbe, an das, was er wirklich war. Nämlich nicht mehr als das, was er so verabscheute: ein Schlammblut!
"Harry, du weißt doch, dass ich diesen Namen schon vor langer Zeit abgelegt habe. Du kennst doch meinen jetzigen Namen, jenen, den alle Menschen fürchten!"
"Fast alle... außerdem sehe ich nicht ein, dass du mich Harry nennen darfst, ich dich aber nicht Tom... wo wir uns doch so gut kennen, müssen wir doch keine gekünstelte Höflichkeit vortäuschen... oder wollt Ihr das etwa, Lord Voldemort?!"
Der Schwarzhaarige betonte die letzten beiden Wörter besonders abschätzig. Der Ältere zog die Augen zusammen, sagte aber nichts. Er schien zu spüren, dass er den Jungen wohl nicht davon abbringen konnte, ihn bei seinem alten Namen zu nennen. Aber egal, sollte er, lange würde er es sowieso nicht mehr tun.
"Wie war dein Besuch?", fragte der Lord stattdessen mit einem zweideutigen Grinsen. Doch Harry blieb kalt.
"Du meinst meinen Henkersbesuch?"
"Ah, du hast es also gemerkt? Ich habe nichts anderes von dir erwartet, du warst schon immer ein kluger Junge!" Sein rechter Zeigefinger legte sich unter Harrys Kinn. Der Jüngere bekämpfte die Versuchung den anderen anzuspucken, legte aber einen Ausdruck eindeutigen Ekels auf sein Gesicht.
"Dafür musste man nicht sonderlich schlau sein. Mich zu töten ist doch das, was du seit dreiundzwanzig Jahren tun willst..."
Voldemort lachte. "Das stimmt."
"Und?"
"Was?"
"Willst du mir deinen tollen, großartigen Plan nicht erzählen? Du bist doch niemand, der seinen Feind einfach so umbringt ohne ihm vorher seinen genialen Plan zu erklären..."
Voldemort schwieg. Dann fügte Harry dazu:
"Weißt du, dass in Muggelfilme diese Art von Bösen immer verlieren, eben weil sie so viel erzählen. Währenddessen finden die Helden nämlich immer einen Ausweg und besiegen die Bösen."
Der Lord lachte erneut. "Muggelfilme gibt es nicht mehr. Und glaub mir, mein Junge, sie wird es nie mehr geben. Und ja, ich werde dir alles erzählen, damit du begreifst und daran zu Grunde gehst, denn genau das ist es, worauf ich seit Jahren hinarbeite. Aber einen Ausweg wirst du nicht finden, denn einen Ausweg hat es nie gegeben. Noch vor deiner Geburt war dir das Schicksal bestimmt, dass dich nun ereilt hat. Denn ich habe es mir ausgedacht, es bestimmt und gemacht. Ich bin dein Schicksal, Harry, und du kannst mir nicht entkommen! Aber hören wir auf vorzugreifen und beginnen am Anfang.
Ich muss dir ja nicht alles erzählen. Meine Lebensgeschichte kennst du. Du weißt, wie mein Muggelvater meine Mutter schmählich im Stich gelassen hat, nur weil er die Magie ablehnte. Und du weißt, was ich in meiner Schulzeit tat, wie ich deinen guten Freund Hagrid reinlegte, wie er von der Schule geworfen wurde, obwohl ich die Kammer des Schreckens geöffnet habe. Und natürlich weißt du auch, dass ich sowohl meinen Vater als auch seine feinen Eltern kaltblütig ermordete. Ein erhabenes Gefühl muss ich dir sagen." Er lachte kalt. "Aber ich möchte dich nicht langweilen und ich möchte dir auch nicht von meinen langen Vorbereitungen erzählen, von meinen vielen Reisen und meinen vielen Verwandlungen. Denn das ist nicht Teil der Sache, unwichtig für dich. Für dich zählen nur jene Prophezeihungen, die mir damals in die Hände fielen. Von der einen weißt du, und ja, auch ich wusste davon. Aber frag mich nun nicht, warum ich meine Death Eater schickte sie zu holen, dazu kommen wir später.
Die andere, die von der du nichts weißt, ist die entscheidende. Denn sie warnte mich vor dem, was geschehen würde Halloween 1981. In Afrika leben viele Seherinnen. Schamanen werden sie dort genannt und sie sind keineswegs so dilettantisch, wie jene, die du in der 'zivilisierten' Welt antriffst. Die Umstände wie, wann und wo zu erklären würden uns jetzt zu weit wegführen. Aber ein Jahr vor deiner Geburt weissagte mir eine solche Schamanin, dass ich mich in Acht nehmen sollte, vor Gefühlen, die ich nicht kannte, denn jene würden es sein, die mich erst schwächen würden und dann besiegen könnten, würde ich nicht aufpassen. In Zusammenhang mit der Prophezeiung deiner Lehrerin war die Nachricht deutlich:
Ein Kind würde geboren werden, am Ende des Julis 1980, und seine Gefühle - die Fähigkeit zu lieben, zu Trauern, Schmerz zu fühlen und Mitleid zu empfinden - würden das sein, was mich zu besiegen vermochte - vorausgesetzt ich würde nichts dagegen unternehmen. Aber du kennst mich ja, ich sitze nicht untätig herum und schaue zu. Und so dachte ich mir den Plan aus, jenen Einen Plan, der dein Leben von Anfang an bestimmte.
Es war ein glücklicher Umstand, dass ausgerechnet der beste Freund deines Vaters zu mir überlief und gleichzeitig auch Wurmschwanz. Die Möglichkeiten, die sich mir boten, waren mir schnell klar und ich sorgte dafür, dass Wurmschwanz nichts von Sirius erfuhr. Sicher, der kleine Peter war ein loyaler Untertan und tat alles, was man ihm sagte. Doch er besaß keine Willensstärke, kein Selbstbewusstsein. Eigenschaften, auf die ich Wert legte, und darum wurde er nur eine Marionette.
Sirius erzählte mir, dass deine Eltern sicherlich alles tun würden, um dich zu schützen. Liebe ist ein starkes Gefühl, das selbst den Tod abwenden kann. Ich hatte davon gehört, es aber nie wirklich geglaubt. Trotzdem zog ich auch diese Möglichkeit in Betracht, denn wenn man plant, muss man für jede mögliche Wendung ein weiteres Vorgehen parat haben.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die Ausmaße falsch eingeschätzt habe, die der Schutzzauber deiner Mutter hatte. Mir war klar, dass ich wohl einiges an Kraft verlieren würde, aber dass deine reizende Mutter nach allem, was ich ihr angetan hatte, noch so eine Kraft aufbringen würde, hätte ich nicht erwartet. Doch ich hatte jede Möglichkeit in Betracht bezogen, auch diese. Ich hatte meine Death Eater angewiesen auf mich zu warten, bis ich ihnen wieder ein Zeichen geben würde, woraufhin wir unsere Herrschaft ein weiteres Mal anbrechen lassen würden. Wurmschwanz jedoch wusste nichts davon und spielte sein eigenes Spiel mit Sirius. Aber es brachte uns nicht vom Weg ab.
Als ich in deinem ersten Schuljahr versuchte meine Macht wiederzuerlangen und dich zu vernichten, merkte ich, dass es nicht so einfach war. Der Schutzzauber deiner Mutter wirkte noch immer. Also versuchte ich etwas anderes. Kurz vor deinem dritten Jahr gelang es mir Sirius ein Zeichen zu geben und er begann sein Spiel mit dir: Er sollte dein Vertrauen gewinnen, damit du später zerbrechen würdest, würde er sterben.
Wie es weiterging weißt du ja. Peter verschwand, fand mich und mit seiner Hilfe und dem guten Barty jr. gelang es mir dich zu holen und jenes alte Ritual durchzuführen, dass mich nicht nur wieder in Vollbesitz meiner Kräfte brachte, sondern auch den Schutzzauber deiner Mutter löste.
Auch hier muss ich wieder zugeben, dass ich eigentlich vorhatte dich damals zu töten. Der Zauber, der sich über unsere Zauberstäbe legte kam unerwartet, aber ich hatte mit der Möglichkeit gerechnet, dass du entkommen würdest. Und danach fiel es mir wieder ein. Die Worte jener zweiten Prophezeiung, die Macht, die ich nicht kannte und die mich besiegen konnte. Gefühle. Liebe, Leid, Schmerz, Mitleid. Ja, sie sind mir durchaus unbekannt, ich kenne keines von ihnen. Ich habe nie Liebe erfahren, habe nie gelitten oder Schmerz erlebt, weil mir jemand wichtiges genommen wurde, denn so jemanden hatte ich nie. Und Mitleid war ein Wort, über das ich immer gelacht hatte. Aber auch wenn ich sie nicht kannte, dann war mir doch eines klar: diese Gefühle konnten gegen mich gerichtet werden und zum Sieg über mich führen. Doch gleichzeitig konnte ich sie auch gegen dich benutzen. Konnte deine Gefühle zu meinem Vorteil ausspielen. Und so inszenierte ich dein fünftes Schuljahr. Ließ dich den Angriff auf Weasley sehen, damit du später glauben würdest, ich hätte deinen ach so geliebten Paten. Und wir alle wissen, wie es ausging. Sirius und Bella haben eine durchaus beindruckende Show hingelegt, die dich mit der Zeit immer näher an den Abgrund drängen würde.
Ich nehme an, du willst wissen, was danach mit Sirius geschah. Nun, der Todesvorhang ist kompliziert, genau kann ich es dir auch nicht sagen. Aber es reicht, wenn du weißt, dass Personen nicht gleich sterben, wenn sie hindurchgestoßen werden. Sie überdauern ein paar Tage - auch wenn es für sie Jahre sind - in einer kalten, grauen Welt, in der es keine Gefühle gibt und in der die Seele langsam zerstört wird. Schlimmer als Azkaban. Früher war es die schlimmste Bestrafungsmethode, bevor ein barmherziger Zauberminister sie abschaffte und Azkaban einführte. Eigentlich schade. Wie dem auch sei. Wenn man eine Person hindurchstößt, kann man im Tausch gegen eine andere Seele die erste wieder herausholen, sozusagen freikaufen. Also nahm ich meinen kleinen, treuen Wurmschwanz, der mittlerweile ausgedient hatte und tauschte ihn gegen Sirius. Ein durchaus lohnender Tausch, muss ich sagen. Ich könnte mir keinen besseren Henker vorstellen als deinen Paten.
Was nach dem fingierten Tod von Sirius passierte dürfte dir ja klar sein, das Problem war nur, dass ich nicht an dich herankam. Die Ferien verbrachtest du bei deinen Verwandten, wo ich dich trotz allem nicht attackieren konnte und Hogwarts war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls eine uneinnehmbare Festung für mich. Ich war mir sicher, dass ich nur warten müsste, bis du seelisch so am Ende wärst und deinem Leben ein Ende bereiteten würdest. Doch was hätte ich davon? Nichts, als eine Nation, die ihren Fehler einsähe und sich gegen mich auflehnte. Also habe ich Draco geschickt. Den Jungen, den du solange gehasst hast und der dich aus diesem schwarzen Loch der Verzweiflung herausholte, einzig und allein zu dem Zweck, damit ich dich erneut brechen und schließlich töten könnte.
Ende des sechsten Schuljahres begann dann mein Eroberungsfeldzug. Mit Londons Zerstörung hoffte ich dich und Dumbledore aus Hogwarts herauszulocken. Mit etwas Glück wärst du damals in der Lage gewesen mich zu besiegen, noch war ich nicht so mächtig. Aber der Alte baute auf Sicherheit und wollte dich erst eine Magie lehren, mit der du mich später besiegen würdest. An sich ein guter Plan, wäre nicht Severus gewesen.
Zu deinem Pech hast du dich auch noch mit ihm angefreundet. Mir sollte es nur recht sein. Ich bekam jeden noch so kleinen Fortschritt von dir zu hören und würde dich gleichzeitig noch stärker brechen, wenn die Zeit gekommen wäre.
Unser erster Sturm auf Hogwarts sollte dein Ende bereiten, Draco und Severus hätten von innen agiert, doch leider konnten sie Dumbledore nicht aufhalten, als er sich opferte und einen Bann über das Schloss legte, der es mir nicht erlaubte selbst auf den geheimen Wegen ins Schloss zu gelangen. Es war wohl ein Blutbann, der mich und nur mich davon abhielt. Sicher, ich hätte meine Death Eater schicken können, aber sie hätten dich niemals lebend fangen können. Also blieb mir nur eine Möglichkeit: warten bis du zu mir kamst.
Wie lange war mir egal, ich habe Zeit, mein Junge, von nun an bis in alle Ewigkeit. Dass dein Freund starb war unvorhergesehen. Wir wussten zwar, dass er ein Animagus war und dass jemand von euch kommen würde auf die fingierte Stonehengesache, aber Lucius ist manchmal leider sehr unbeherrscht. Glücklicherweise ist sein Sohn besonnener und hat nicht lange gezögert, bevor er ihn tötete. Bedauerlich angesichts der zwei entzückenden Kinder, die er hat, aber unabwendbar.
Eine weitere unvorhergesehene Folge war, dass du wieder in deiner Lethargie versankst. Ich hatte gehofft, dass du nach diesem Zwischenfall so sauer sein würdest und mich endlich angreifen. Aber stattdessen hast du dich in dich selbst zurückgezogen und wärst beinah gestorben. Zu meiner großen Freude war Draco jedoch in der Lage dich ein weiteres Mal ins Leben zurückzureißen und zu meiner weiteren Freude hattest du dich durch diesen Zwischenfall schließlich doch noch entschieden mich anzugreifen.
Ich muss sagen, dein Plan war nicht schlecht, aber du hast dir die falschen Gefährten ausgesucht. Es war ganz einfach dich gefangen zu nehmen, denn deinen geliebten Paten mit meinem Zeichen zu sehen, würde dich derart entsetzen, dass Draco und Severus dich überwältigen konnten. Und danach würde die letzte Phase meines Planes einsetzen: totale seelische Zerstörung."
Erneut verzogen sich die Lippen zu einem teuflischen Grinsen. Harry schwieg. Nicht aus Trotz, sondern weil er nicht sprechen konnte. Dieser Plan... dieser Eine Plan... das konnte doch nicht sein. Wenn das wirklich alles stimmte, dann war im Grunde sein Leben von Anfang an geplant gewesen. Voldemort hatte alles arrangiert und auch wenn manche Dinge sich anders entwickelt hatten, als zuvor gedacht, war er immer auf seinem Weg geblieben und war, zwar mit einigen Umwegen, zu seinem Ziel gekommen. Selbst wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen war, hatte Voldemort eine Alternative gehabt und war darauf umgestiegen. Der Lord war Harrys Leben immer einen Schritt voraus gewesen.
Der Schwarzhaarige senkte den Blick und kniff die Augen zusammen. Sein Atem wurde schneller, als er gegen die Erkenntnis kämpfte, die sich ihm langsam aufdrängte. Er wollte das nicht wahrhaben, er wollte es sich nicht eingestehen, doch er konnte es nicht abwenden und kam schließlich zu der Überzeugung, dass Voldemort recht hatte am Anfang seiner Rede. Es gab keinen Ausweg. Denn selbst, wenn Harry sich irgendwie befreien könnte, hätte der andere sicherlich wieder eine Möglichkeit ihn zurückzuholen. Egal was er tun würde, alles endete mit Voldemorts Sieg und seiner Niederlage.
Als er die Augen wieder öffnete waren sie matt und beinah leblos. Es war vorbei. In diesem Augenblick hatte der Dunkle Lord seinen Sieg davon getragen. Es gab keine Hoffnung mehr.
"Ah, wie ich sehe hast du verstanden, dass es keinen Ausweg mehr gibt. In der Tat hätte ich noch Reservepläne, falls es dir tatsächlich gelingen würde zu fliehen. Aber das wäre ein Wunder. Du bist zwar stark, aber durch deine Ketten wird die Kraft zurückgehalten. Und selbst wenn, du hättest mich nicht besiegen können..."
Beim letzten Satz hatte Voldemort seine Stimme bedrohlich gesenkt. Dazu hatte er sich zu Harry hinabgebeugt und dessen Gesicht in seine Hände genommen. Der Schwarzhaarige fragte sich kurz, was der andere mit den letzten Worten gemeint hatte, als die roten Augen aufleuchteten und die Wände und die Tür um sie herum zu Staub zerfielen. Nur vier Pfeiler der Mauer blieben übrig um die Zelle zu stützen. Harrys Augen weiteten sich als er verstand. Voldemort grinste wieder.
"Zauberstablose Magie ist etwas schönes, nicht wahr, mein Junge?! Oh, jetzt habe ich deine schöne Zelle zerstört. Aber das lässt sich ja wieder bereinigen."
Er vollzog mit seinen Händen eine Geste, als wolle er jemanden zum Aufstehen bewegen, und kurz darauf standen sowohl Wände als auch Tür der Zelle wieder. Harry stieß einen scharfen Atemzug aus. Er hatte gedacht, er wäre stark, er hatte gedacht, er könnte mit zauberstabloser Magie gewinnen. Aber er hatte sich getäuscht. Er hatte vergessen, dass auch Voldemort stärker werden würde und der Mann hatte sehr viel mehr Erfahrung. Er konnte dasselbe wie Harry und noch viel mehr. Selbst wenn der Schwarzhaarige nicht hintergangen und verraten worden wäre von allen Seiten, selbst dann hätte er keine Chance gehabt den Dunklen Lord zu besiegen.
Kurze Zeit verging in Stille, bis Harry monoton fragte:
"Warum Sirius und Severus?"
Voldemort sah ihn an, nicht verstehend, was der Gefangene meinte.
"Wieso sind sie deine ersten Vertreter? Bellatrix und Lucius dürften sehr viel fanatischer sein."
Eine Frage, die ihn schon die ganze Zeit quälte. Bellatrix und Lucius waren skrupellos, sie würden töten ohne mit der Schulter zu zucken. Sirius tat dies zwar auch, aber nur wenn er musste. Harry war sich sicher, dass er unter normalen Umständen auch Gnade walten ließ. Genauso wie Severus. Ansonsten hätten sie ihn wohl kaum so gut behandelt.
Der Dunkle Lord wurde ein wenig nachdenklich.
"Ja, in der Tat. Bella und Lucius sind wohl meine zwei treusten Anhänger, doch leider würden sie nicht damit klar kommen, wenn sie von meiner wahren Natur erführen. Severus und Sirius bindet etwas anderes an mich. Sie wissen von meinem Muggelvater, aber es kümmert sie nicht."
"Was? Was bindet sie an dich?"
"Unerwiderte Liebe kann schnell zu grenzenlosem Hass umschlagen. Ich weiß nicht, ob Sirius dir genau erklärt hat, warum er die Seiten gewechselt hat. Ich denke nicht, da er es sich wohl bis heute nicht eingestanden hat. Aber er konnte nicht sehen, wie deine Eltern zusammen glücklich waren und er dabei zerbrach, also kam er zu mir."
Harry stutzte. Das war es? Darum hatte er seine Eltern in den Tod geschickt... Er hatte jenen Menschen, den er liebte, lieber getötet als ihn in den Armen eines anderen zu sehen? Harry seufzte.
"Und Severus?"
"Severus ist ein gebrochener Mann. Weder von seiner Umwelt noch von seinem Vater je wirklich akzeptiert. Im letzten Punkt, sind wir uns ähnlich."
Der Schwarzhaarige nickte. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Für einen Moment überlegte er, wieder Essen und Trinken abzulehnen und so vielleicht zu sterben, bevor Voldemort ihn töten würde. Aber er war sicher, dass der andere dies nicht mehr allzu lang hinauszögern würde.
"Wann ist meine Hinrichtung?"
Voldemort grinste. "In der Tat, du bist ein schlauer Junge." Er lachte kurz. "Übermorgen wird es soweit sein. Übermorgen am 21. Juni werde ich das beenden, was ich vor sieben Jahren begonnen habe. Ich habe mir erlaubt ein paar Leute dafür einzuladen. Dich natürlich auch." Er grinste höhnisch und als er den nächsten Satz aussprach, war seine Stimme kalt, grausam und voller Belustigung:
"Die Feier ist um acht Uhr. Es würde mich freuen, wenn du kommen würdest."
