An die folgenden Stunden konnte Sam sich nur schemenhaft erinnern. Zu viel
ungeordnete Gedanken beherrschten seine Sinne. Es konnte sich dunkel daran
erinnern, dass er mit Rosie in die Höhle gegangen war, doch was er dort
getan hatte, wusste er nicht mehr. Ein Hobbit aus der Nachbarschaft war
hinübergekommen, er hatte zusammen mit einem anderen Frodos toten Körper
ein Stück weiter entfernt von dem Apfelbaum getragen und hatte ihn mit
einem weißen Tuch zugedeckt.
Der Hobbit musste Sam gefragt haben, ob er irgendwas für ihn tun konnte, denn Merry und Pippin standen plötzlich vor der Tür und meinten, sie seien geschickt worden. Sam musste wohl den Auftrag erteilt haben, sie zu holen.
Die beiden hatten genau wie Sam tiefrote Augen und Pippin zitterte am ganzen Körper und war nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen. Merry stützte ihn und versuchte verzweifelt Worte zu finden, doch es gab nichts, dass er sagen konnte.
So saßen sie einfach nur da. Jeder war tief in seine eigenen Gedanken versunken, die alle um Frodo kreisten, und hin und wieder hörte man einen von ihnen schluchzen.
"Wir müssen ihn beerdigen", sagte Merry irgendwann ganz leise. Er erntete von Sam einen vorwurfsvollen Blick und er sah auf die Erde.
"Das ist das letzte was wir noch für ihn tun können", fügte er noch leiser hinzu.
Pippin sah Merry und Sam verzweifelt an. "Sollten wir nicht noch etwas warten, es ist doch erst ein paar Stunden her."
"Pippin, es ist auch schwer für mich zu begreifen, aber er ist tot, und er wacht nicht wieder auf."
"Ja leider, er wacht nicht wieder auf", wiederholte Sam und schien völlig in Gedanken zu sein.
"Dann lasst ihn uns begraben, damit er seinen Frieden hat", fügte Merry hinzu.
Sam vergrub das Gesicht in seinen Händen und versuchte die aufsteigenden Kopfschmerzen zu verdrängen. Merry ging zum Fenster und sah hinaus. In der Ferne türmten sich dunkle Wolkenberge auf und ließen nichts Gutes verheißen. "Es wird Regen geben, lasst uns rausgehen und ihn beerdigen, bevor das schlechte Wetter kommt." Merry hatte alle Mühe so etwas zu sagen, denn auch ihm fiel es schwer zu begreifen, dass Frodo nicht mehr lebte, und das er es war, den sie beerdigen wollten. Er fuhr sich mit den Fingern einmal über die Augen um zu verhindern, dass sich neue Tränen einen Weg aus seinen Augen suchten.
Pippin und Sam starrten ihn nur an, als könnten sie seinen Worten nicht folgen. Schließlich erhob Sam sich schwerfällig und ging ohne ein Wort zu sagen hinaus. Merry und Pippin folgten ihm langsam, vorbei an einem Zimmer, aus dem man Rosies und den Kindern ihre Stimmen hören konnte, bis hinaus in den Garten. Sam blieb einige Meter vom Apfelbaum entfernt stehen und betrachtete sich das weiße Tuch, unter dem sich Frodos Körper abzeichnete. Merry und Pippin blieben etwas entfernter stehen. Sam drehte sich plötzlich um und lief in den Schuppen hinter seiner Höhle. Als er zurück kam, hatte er zwei Spaten in der Hand und drückte Merry einen in die Hand. "Ich denke, wir sollten ihn in Rosies und meinem Garten beerdigen, hier hat es ihm immer gefallen", sagte Sam und seine Stimme zitterte heftig. Merry nickte und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wo genau", fragte er nach.
Sam nickte in Richtung des großen Apfelbaumes. "Dort wo er auch gestorben ist. Dort soll er auch seine Ruhe finden."
Merry nickte erneut und ging mit dem Spaten in der Hand zu der Stelle, die Sam ihm zeigte.
Zuerst mussten sie die Leiter wegräumen, die immer noch an genau der selben Stelle lag, an der sie umgestürzt war. Sam verspürte mehrere schmerzhafte Stiche in seinem Herzen, als er die durchgebrochene Sprosse erblickte und schluchzte einmal laut auf. Dann begannen sie ein großes Loch zu schaufeln. Beide Hobbits wechselten kein Wort miteinander, nur Pippin fragte einmal, ob sie die Beerdigung wirklich so still und heimlich machen sollten.
"Wie meinst du das", fragte Sam.
"Ich meine, willst du nicht noch jemand anderes dabeihaben, außer uns und Rosie?"
"Wer war denn noch wichtig für ihn? Gandalf, Aragorn, Legolas und Gimli wären die einzigen, die ich jetzt gerne noch hier hätte. Aber sie sind zu weit entfernt. Wer sollte denn sonst noch dabei sein?"
"Es tut mir leid, du hast recht."
Wie in Trance schaufelte Sam das Loch, er dachte an nichts, als er es tat, er hatte alle Gedanken verdrängt und spürte nur noch die Schmerzen in seinem Kopf. Irgendwann war das Loch dann groß genug, und zu dritt trugen sie den toten Frodo, der immer noch in das weiße Tuch gewickelt war und es auch bleiben sollte, zu dem Apfelbaum zurück. Alle hatten viele Tränen in den Augen, als sie ihren toten Freund zu seinem letztem Ruheplatz trugen. Sogar Sams Augen waren wieder feucht, obwohl er noch bis vor kurzem nicht eine Träne vergießen konnte. Sie wollten ihn schon in das Loch hineinlegen, als Sam plötzlich sagte: "Wartet, ich möchte ihn noch ein letztes Mal sehen."
Merry und Pippin schluckten schwer und Pippin konnte sich nicht erklären warum, aber er fürchtete sich vor dem Anblick seines toten Freundes.
Sie legten Frodo vorsichtig auf die Erde.
Merry sah Sam eindringlich an. "Sam, er ist tot. Sieh ihn dir nicht mehr an, behalte ihn lieber so in Erinnerung, wie er war."
"Aber vielleicht lebt er ja doch noch, vielleicht ist er wieder aufgewacht, vielleicht habe ich mich getäuscht..."
Merry sah Sam sehr besorgt an, er wollte immer noch nicht wahr haben was passiert war, er konnte es immer noch nicht glauben. Merry sah ihm eindringlich an. "Er kommt nicht mehr zurück, Sam, du musst das akzeptieren."
"Aber wie kann ich es akzeptieren", schluchzte Sam und fiel auf die Knie. "Er soll zurückkommen, ich wünschte diesen Tag heute hätte es nie gegeben, ich wünschte, das wäre alles nicht passiert!" Sam verlor völlig die Kontrolle über sich und Merry und Pippin wussten nicht, was sie nun tun sollten. Sie sahen Sam, der auf dem Boden kniete, die Arme dicht an seinen Körper gepresst hatte und all seine Trauer brach aus ihm heraus, denn langsam schien die Erkenntnis zu kommen, dass er Frodo nie mehr wieder sehen würde. "Wisst ihr, was das letzte Gespräch war, das ich mit ihm geführt hatte, als noch alles in Ordnung war?" Sam sah beide auffordernd an und bekam kaum Luft, weil er von einem heftigen Weinanfall geschüttelt wurde. "Ich habe ihm gesagt, er hätte noch eine glückliche Zukunft vor sich. Nach all den schrecklichen Erlebnissen der Vergangenheit. Das war nur kurze Zeit, bevor er von dieser verdammten Leiter gefallen ist!"
Merry und Pippin sahen ihn mitleidig an, er war schon ganz heiser, weil er seine Trauer so hinausschrie. Auch Pippin fing wieder an zu weinen.
"Ist das nicht eine schöne Zukunft" schrie Sam und deutete auf das weiße Tuch.
Merry und Pippin konnten nichts sagen, sie sahen Sam einfach nur an. "Wieso musste das passieren", brüllte Sam und schlug die Hände wieder vors Gesicht. Eine Zeitlang sagte keiner etwas. Dann sagte Merry in leisem Ton: "Vielleicht ist das einfach sein Schicksal. Vielleicht sollte es so sein." Sam sah ihn mehr als vorwurfsvoll an.
"Was sollte so sein? Du meinst, dass er in meinem Garten von der Leiter fällt und in meinen Armen stirbt? Von der Leiter... Frodo und ich sind damals zusammen bis nach Mordor gelaufen. Orks, Ringgeister, Kankra und selbst der dunkle Herrscher persönlich konnte und nicht aufhalten. Frodo hat alles geschafft, er ist dem Tod immer wieder entkommen. Und jetzt stirbt er an einem so friedlichen Tag, weil er von der Leiter fällt? Was ist das für eine grausame Ironie des Schicksals? Wie kann ich so etwas akzeptieren? Ich will das überhaupt nicht, er hat es nicht verdient so einen Tod zu erleiden und ich kann nicht einfach so hinnehmen, dass das sein Schicksal sein soll."
"Was willst du denn tun", fragte Merry, als Sam zwangsläufig ruhig sein musste, weil er schon keine Stimme mehr hatte.
Sam sah ihn an, mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf bald entzwei gespalten wurde, so hämmerte er. Er fühlte sich so elend, er war so schwach durch die viele Aufregung und ihm machte es zu schaffen, dass er auf Merrys Frage keine Antwort wusste.
"Du kannst nichts tun, Sam. Dieses Mal nicht. Du musst es hinnehmen, dir wird nichts anderes übrig bleiben. Genau so, wie wir es alle hinnehmen müssen", sagte Merry und Pippin nickte zustimmend und sah in tiefer Trauer auf die Erde. Im selben Moment fing es an sanft zu regnen und Sam hatte das Gefühl, dass der Himmel die Tränen vergießen wollte, die er nicht mehr vergießen konnte.
Merry legte ihm die Hand erneut auf die Schulter und Sam starrte auf das weiße Tuch. Er berührte es dort, wo er Frodos Arm vermutete und fühlte den kalten Körper seines Freundes. "Ich würde viel dafür geben, wenn ich ändern könnte, was geschehen ist", flüsterte er.
Merry und Pippin machten sich nun zu zweit daran Frodo in sein Grab zu legen. Sam sah ihnen zu, er konnte nichts anderes mehr tun.
Sie nahmen jeder einen Spaten und begannen vorsichtig die schwarze Erde wieder hinein zu schaufeln. Bald war von dem weißen Tuch nicht mehr viel zu sehen und Sam murmelte mit einem starren Blick und heiserer Stimme: "Auf wiedersehen, Herr Frodo."
Der Regen kühlte Sams erhitztes Gesicht und seine Locken waren schon völlig durchnässt. Rosie war die ganze Zeit am Fenster gewesen und hatte ebenfalls voll Trauer beobachtet, wie Frodo beerdigt wurde. Nun kam sie heraus, in der einen Hand hielt sie Rose und in der anderen den kleinen Frodo. Beide Kinder waren dick angezogen, damit sie sich nicht erkälteten. Elanor ging vor ihnen. "Was macht ihr denn da alle", fragte der kleine Frodo immer wieder, der nicht verstand was geschehen war. Doch niemand gab ihm eine Antwort und der Kleine blickte sich freudig um.
Rosie hatte Elanor versucht zu erklären, dass ihr Onkel Frodo jetzt wo anders hingegangen ist, an einen anderen Ort. Doch Rosie wusste nicht, was in ihr vorging und ob sie es verstanden hatte. Die Kleine hüllte sich ins Schweigen.
Sam hatte sich, als er seine Familie kommen sah, wieder erhoben und war bemüht eine möglichst gefasste Erscheinung zu machen. Rosie jedoch hatte schon erkannt, was in ihm vorging und sie sah ihn mit einem besorgten Blick an. Merry und Pippin schaufelten schweigend Frodos Grab zu und machten dabei sehr traurige Gesichter. Als sie es beendet hatten, blieben alle noch eine Weile davor stehen und blickten stillschweigend darauf. Alle versuchten es immer noch richtig zu begreifen und auch Rosie wischte sich hin und wieder einige Tränen weg. Der kleine Frodo fing nach einer Zeit an zu quängeln und Rosie verschwand mit ihm und den anderen Kindern mit langsamen Schritt in die Höhle. Auch Merry und Pippin drehten sich langsam um, um hinein zu gehen. Nur Sam blieb immer noch vor Frodos Grab stehen und sah stillschweigend auf den kleinen Erdhügel, unter dem sein Freund ruhte.
"Komm Sam, lass uns hinein gehen" hörte er Pippin sagen und wurde an seinem Arm weggezogen. Sam blickte beim Gehen immer wieder zurück und wäre gerne noch länger an Frodos Grab geblieben. Er blickte so lange zurück, bis sie schließlich in der Hobbithöhle ankamen und Pippin hinter ihnen die Tür schloss.
Langsam wurde es dunkel und ein starker Wind kam auf. Der Regen wurde auch heftiger und die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Als Sam spät am Abend noch einmal aus dem Fenster sah, konnte er nur noch undeutlich die Umrisse des großen Apfelbaumes ausmachen, der immer weiter in Dunkelheit getaucht wurde.
Rosie hatte ein notdürftiges Abendbrot hergerichtet, doch außer dem kleinen Frodo verspürte niemand das Bedürfnis etwas zu essen. Elanor saß stillschweigend am Tisch und Rosie sorgte sich sehr um sie, denn sie wirkte die ganze Zeit abwesend mit ihren Gedanken.
Pippin starrte die ganze Zeit auf seine Hände, die er in den Schoß gelegt hatte und war mit den Gedanken bei Gandalf, Aragorn, Legolas und Gimli. Was würden sie wohl sagen, wenn sie von Frodos Tod erfahren würden?
Merry überlegte die ganze Zeit, was er sagen könnte, doch ihm wollten die richtigen Worte nicht einfallen.
Sam starrte, wie Elanor stumm vor sich hin. Er hatte ein elendes Gefühl in der Magengegend, sein Kopf hämmerte und ihm war kalt, obwohl es in der Hobbithöhle angenehm warm war. Er hatte das Gefühl, als würde er krank werden, doch es störte ihn nicht. Nichts störte ihn in diesem Moment.
Elanor stand irgendwann stumm von Tisch auf und machte sich auf in ihr Zimmer, der kleine Frodo wollte so gern noch mit ihr versteck spielen, doch sie hatte ihm nicht mal geantwortet, als er sie das freudig gefragt hatte. Und so kaute der Kleine nun traurig auf einer trockenen Scheibe Brot herum und seine großen Augen blickten hoffnungsvoll in die Richtung, in der Elanor verschwand. Rosie streichelte ihm liebevoll über den Kopf, der Kleine war so fröhlich, doch niemand beachtete ihn.
Sam stand mit einem Male auf, und folgte Elanor in ihr Zimmer. Die anderen blickten ihm nur fragend nach und begannen dann, als er verschwunden war, den Tisch abzuräumen, auf dem noch fast das ganze Abendbrot stand. Immer noch sagte niemand ein Wort, es war so leise in der Hobbithöhle, dass man sogar das Rauschen des Windes in der Küche hören konnte.
Sam öffnete vorsichtig Elanors Tür und trat hinein. Die Kleine lag schon in ihrem Bett und hatte sich die Decke bis unters Kinn gezogen. Ihre Augen waren aber noch offen und blickten ihren Vater aufmerksam an, als er ihr kleines Zimmer betrat. Sam zündete eine Kerze an, und sie flackerte vor sich hin und erhellte den Raum schwach mit einem zitternden Licht. Sam setzte sich zu seiner Tochter aufs Bett und sah sie für eine Weile nur stillschweigend an, und sie tat es ihm gleich. Sam betrachtete sich die kleine Wunde auf ihrer Stirn, die sie vom Sturz über den Eimer davon getragen hatte. Sie war sehr klein und sah völlig harmlos aus, jetzt da das Blut getrocknet war. Sam musste zwangsläufig daran denken, dass Frodo wegen dieser kleinen Verletzung so hastig von dem Baum wollte und deshalb hinuntergestürzt war. Wieder stieg ein brennendes Gefühl in seine Augen.
Elanor richtete sich langsam in ihrem Bett auf und umarmte ihren Vater. Sam streichelte sie über ihre lockigen Haare.
"Kannst du mir sagen, was heute passiert ist, Elanor", fragte Sam und seine Stimme klang leise. "Ich muss das wissen, Elanor."
Die Kleine schluchzte einmal und sah zu ihrem Vater, der sie erwartungsvoll, aber mit traurigem Gesicht ansah.
"Du meinst, als..."
Sam nickte schon, noch ehe Elanor den Satz beendet hatte.
Die Kleine wich seinem Blick aus und sagte eine Weile gar nichts. Dann begann sie mit einem fast flüsternden Ton: "Ich bin rausgelaufen und Onkel Frodo war auf dem Baum. Ich habe ihm erzählt, wie sauber ich bin, weil Mama mich doch gebadet hat. Dann habe ich das Huhn in dem Beet gesehen und wollte es verscheuchen, weil du dich immer so darüber ärgerst. Und dann bin ich über den Eimer gefallen, der auf dem Rasen lag, und dann..." Sie schluchzte und sah ihren Vater mit ungläubigen Augen an, der sein Gesicht in den Händen vergraben hatte.
"Er kommt nicht wieder, oder", fragte Elanor und zog ihren Vater sanft am Ärmel.
"Nein, leider nicht", sagte Sam und seine Stimme zitterte so heftig, dass Elanor ihn kaum verstand. "Du musst jetzt schlafen, geh ins Bett", fuhr Sam urplötzlich fort und verlies hastig den Raum, ohne sich noch ein mal umzudrehen. Im Vorübergehen löschte er noch die Kerze und Elanor blickte ihm nur verwundert nach. Dann legte sie sich in ihr Bett und schloss die Augen, aber sie schlief noch eine ganze Weile nicht ein.
Sam schloss schnell die Tür zu Elanors Zimmer und lehnte sich an sie. Er atmete einmal tief durch und rief dann in die Küche, in der Rosie, Merry und Pippin immer noch mit dem Abendbrotgeschirr hantierten: "Ich gehe jetzt ins Bett."
Rosie blickte aus der Küche und sah, wie er auch schon im Schlafzimmer verschwand. Sie setzte einen besorgten und fragenden Blick auf, den Merry sofort bemerkte. Er sah sie an und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Gib ihm Zeit."
Sie nickte nur schwach und fuhr dann mit ihrer Arbeit fort.
Als sie nach einer ganzen Weile ins Schlafzimmer kam, saß Sam auf seiner Bettkante und blickte nicht einmal hoch, als sie hereinkam. Sie betrachtete ihn, und versuchte die Stille zu brechen, indem sie sagte: "Ich habe Merry und Pippin unser kleines Gästezimmer gegeben. Sie wollen bis morgen bleiben."
Von Sam kam keine Antwort, er war mit den Gedanken soweit entfernt, dass er sie nicht hörte.
"Sam, hast du gehört, was ich gesagt habe", fragte sie ihn und berührte ihn sanft am Rücken.
Sam fuhr überrascht herum. "Was ist?"
"Ach nichts, es ist nicht wichtig."
Sam sah sie an und seine Augen waren wieder feucht. "Ach sag das nicht, ich hätte auch nie gedacht, dass es mal eine Rolle spielen könnte, wo ich den Eimer liegen lasse."
Rosie sah ihn mit einem fragenden Blick an, sie verstand gar nicht worüber er redete. "Was meinst du?"
"Es ist alles meine Schuld", sagte Sam und er begann wieder zu weinen.
Rosie nahm ihn die Arme und er klammerte sich an sie.
"Nichts ist deine Schuld, Sam."
"Doch, ich hätte es verhindern können."
"Wie hättest du es denn verhindern können? Du kannst doch niemandem vor seinem Tod bewahren."
"Doch, bei ihm hätte ich es gekonnt. Ich wollte diesen verdammten Apfelbaum ernten. Ich habe die falsche Leiter aus dem Schuppen geholt, sie war doch morsch, so wie du es vermutet hattest. Ich habe mich immer über die Hühner im Garten aufgeregt, nur deswegen ist Elanor losgelaufen, und nur weil ich den Eimer mitten auf dem Rasen habe liegen lassen, ist sie darüber gefallen."
Rosie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie verstand nun, warum Sam sich Vorwürfe machte und sie wusste, dass ihr Mann damit vermutlich ein Leben lang nicht zurecht kommen würde. Sie antwortete nichts darauf, sie verstärkte ihre Umarmung nur und legte ihre Hand in seinen Nacken. Sam vergrub sein Gesicht in ihrer Kleidung und Rosie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Dann drehte er seinen Kopf so zur Seite, dass er mit seiner Wange immer noch an ihrer Schulter lag. "Weißt du noch, als wir uns gestern Abend über seine Rückkehr aus Valinor unterhalten haben?"
"Ja, natürlich erinnere ich mich daran", sagte Rosie und nickte bestätigend.
Sams Reden wurde wieder durch heftige Schluchzer unterbrochen. "Ich habe ihm erzählt wie sehr ich ihn vermisst habe, als er unterwegs war und er hat mir erzählt, wie sehr er mich vermisst hat."
Rosie nickte wieder und Sam löste sich aus ihrer Umarmung und sah sie eindringlich an. "Wieso musste er uns verlassen? Wieso ist das heute passiert?" Sam machte eine Pause und sah seine Frau verbittert an. "Er liegt jetzt da draußen unter der kalten Erde. Er wird nie wieder die Sonne aufgehen sehen. Er hat es immer so geliebt mit den Kindern zu spielen, nie wieder wird er das jetzt können."
Rosie berührte Sams Wange und atmete tief durch. "Aber die Zeit, die er hier bei uns war, die war doch schön gewesen. Es ist vielleicht nur ein kleiner Trost, aber er hat sich wohlgefühlt hier und er hat sein Leben hier genossen."
"Ja, er hat sich hier wohlgefühlt, und er hat uns viel zu schnell verlassen. Er hatte endlich Ruhe und Frieden hier und wurde einfach so aus dem Leben gerissen."
Rosie wusste, dass es sinnlos war, egal, was sie sagen würde, Sam würde immer etwas zu entgegnen haben. So sah sie ihn nur schweigend an.
"Weißt du, was für mich schwer ist zu verstehen", fragte Sam und blickte auf seinen Schoß. Rosie sah ihn nur erwartungsvoll an und so fuhr Sam fort. "Es ging so schnell. Gestern Abend, da saßen wir alle noch hier und keiner von uns hat geahnt, was passieren würde. Und als Frodo heute morgen aufgestanden ist und wir gefrühstückt haben... Weißt du es ist so schwer zu verstehen, das Frühstück heute morgen war das letzte in seinem Leben. Es war nur ein Frühstück, aber wer hätte gedacht, dass es Frodos letztes sein würde? Wer hätte gedacht, dass Frodo am heutigen Abend schon nicht mehr lebt? Verstehst du was ich meine, es ist für mich so schwer zu begreifen, dass..."
"Ich verstehe, was du meinst. Keiner ahnt es, wenn er morgens aus dem Bett steigt, dass er Mittags vielleicht nicht mehr leben könnte. Dieser Gedanke, dass man stirbt, liegt in so weiter Ferne. Und der Tod kommt so plötzlich, niemand ahnt es."
"Ja, der Gedanke ist so schrecklich, dass jede Handlung, die wir tun, vielleicht unsere letzte sein könnte. Als Frodo auf den Baum geklettert ist, hat er gewiss nicht gedacht, was passieren würde."
"Und ist es nicht besser so? Stell dir vor, er hätte heute morgen gewusst, dass heute sein Todestag ist. Es ist besser, wenn es unvorhergesehen kommt, das erspart einem eine menge Angst."
"Aber er wusste es, als er in meinen Armen gelegen hat. Er wusste, dass er stirbt, Rosie. Er hat es mir sogar gesagt und er hatte Angst. Und ich konnte nichts für ihn tun!"
Sam begann wieder zu weinen, all die Bilder von Frodos letzten Minuten keimten wieder in ihm hoch. Und schmerzlich hörte er Frodos letzte Worte in seinem Kopf: "Ich habe solche Angst, Sam".
Sam wusste, dass er diesen Tag nie vergessen würde. Er war zu Anfang so unscheinbar und ruhig gewesen, doch mit diesem Tag würde sich sein ganzes Leben verändern.
Sam sah Rosie wieder an und sagte dann nur: "Ich werde jetzt ins Bett gehen, mir ist so kalt und es gibt so wieso nicht mehr, was ich noch tun kann." Er kroch unter seine Bettdecke und kauerte sich zusammen. Rosie legte sich schweigend neben ihn und schloss ihre Arme um ihn.
Der Hobbit musste Sam gefragt haben, ob er irgendwas für ihn tun konnte, denn Merry und Pippin standen plötzlich vor der Tür und meinten, sie seien geschickt worden. Sam musste wohl den Auftrag erteilt haben, sie zu holen.
Die beiden hatten genau wie Sam tiefrote Augen und Pippin zitterte am ganzen Körper und war nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen. Merry stützte ihn und versuchte verzweifelt Worte zu finden, doch es gab nichts, dass er sagen konnte.
So saßen sie einfach nur da. Jeder war tief in seine eigenen Gedanken versunken, die alle um Frodo kreisten, und hin und wieder hörte man einen von ihnen schluchzen.
"Wir müssen ihn beerdigen", sagte Merry irgendwann ganz leise. Er erntete von Sam einen vorwurfsvollen Blick und er sah auf die Erde.
"Das ist das letzte was wir noch für ihn tun können", fügte er noch leiser hinzu.
Pippin sah Merry und Sam verzweifelt an. "Sollten wir nicht noch etwas warten, es ist doch erst ein paar Stunden her."
"Pippin, es ist auch schwer für mich zu begreifen, aber er ist tot, und er wacht nicht wieder auf."
"Ja leider, er wacht nicht wieder auf", wiederholte Sam und schien völlig in Gedanken zu sein.
"Dann lasst ihn uns begraben, damit er seinen Frieden hat", fügte Merry hinzu.
Sam vergrub das Gesicht in seinen Händen und versuchte die aufsteigenden Kopfschmerzen zu verdrängen. Merry ging zum Fenster und sah hinaus. In der Ferne türmten sich dunkle Wolkenberge auf und ließen nichts Gutes verheißen. "Es wird Regen geben, lasst uns rausgehen und ihn beerdigen, bevor das schlechte Wetter kommt." Merry hatte alle Mühe so etwas zu sagen, denn auch ihm fiel es schwer zu begreifen, dass Frodo nicht mehr lebte, und das er es war, den sie beerdigen wollten. Er fuhr sich mit den Fingern einmal über die Augen um zu verhindern, dass sich neue Tränen einen Weg aus seinen Augen suchten.
Pippin und Sam starrten ihn nur an, als könnten sie seinen Worten nicht folgen. Schließlich erhob Sam sich schwerfällig und ging ohne ein Wort zu sagen hinaus. Merry und Pippin folgten ihm langsam, vorbei an einem Zimmer, aus dem man Rosies und den Kindern ihre Stimmen hören konnte, bis hinaus in den Garten. Sam blieb einige Meter vom Apfelbaum entfernt stehen und betrachtete sich das weiße Tuch, unter dem sich Frodos Körper abzeichnete. Merry und Pippin blieben etwas entfernter stehen. Sam drehte sich plötzlich um und lief in den Schuppen hinter seiner Höhle. Als er zurück kam, hatte er zwei Spaten in der Hand und drückte Merry einen in die Hand. "Ich denke, wir sollten ihn in Rosies und meinem Garten beerdigen, hier hat es ihm immer gefallen", sagte Sam und seine Stimme zitterte heftig. Merry nickte und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wo genau", fragte er nach.
Sam nickte in Richtung des großen Apfelbaumes. "Dort wo er auch gestorben ist. Dort soll er auch seine Ruhe finden."
Merry nickte erneut und ging mit dem Spaten in der Hand zu der Stelle, die Sam ihm zeigte.
Zuerst mussten sie die Leiter wegräumen, die immer noch an genau der selben Stelle lag, an der sie umgestürzt war. Sam verspürte mehrere schmerzhafte Stiche in seinem Herzen, als er die durchgebrochene Sprosse erblickte und schluchzte einmal laut auf. Dann begannen sie ein großes Loch zu schaufeln. Beide Hobbits wechselten kein Wort miteinander, nur Pippin fragte einmal, ob sie die Beerdigung wirklich so still und heimlich machen sollten.
"Wie meinst du das", fragte Sam.
"Ich meine, willst du nicht noch jemand anderes dabeihaben, außer uns und Rosie?"
"Wer war denn noch wichtig für ihn? Gandalf, Aragorn, Legolas und Gimli wären die einzigen, die ich jetzt gerne noch hier hätte. Aber sie sind zu weit entfernt. Wer sollte denn sonst noch dabei sein?"
"Es tut mir leid, du hast recht."
Wie in Trance schaufelte Sam das Loch, er dachte an nichts, als er es tat, er hatte alle Gedanken verdrängt und spürte nur noch die Schmerzen in seinem Kopf. Irgendwann war das Loch dann groß genug, und zu dritt trugen sie den toten Frodo, der immer noch in das weiße Tuch gewickelt war und es auch bleiben sollte, zu dem Apfelbaum zurück. Alle hatten viele Tränen in den Augen, als sie ihren toten Freund zu seinem letztem Ruheplatz trugen. Sogar Sams Augen waren wieder feucht, obwohl er noch bis vor kurzem nicht eine Träne vergießen konnte. Sie wollten ihn schon in das Loch hineinlegen, als Sam plötzlich sagte: "Wartet, ich möchte ihn noch ein letztes Mal sehen."
Merry und Pippin schluckten schwer und Pippin konnte sich nicht erklären warum, aber er fürchtete sich vor dem Anblick seines toten Freundes.
Sie legten Frodo vorsichtig auf die Erde.
Merry sah Sam eindringlich an. "Sam, er ist tot. Sieh ihn dir nicht mehr an, behalte ihn lieber so in Erinnerung, wie er war."
"Aber vielleicht lebt er ja doch noch, vielleicht ist er wieder aufgewacht, vielleicht habe ich mich getäuscht..."
Merry sah Sam sehr besorgt an, er wollte immer noch nicht wahr haben was passiert war, er konnte es immer noch nicht glauben. Merry sah ihm eindringlich an. "Er kommt nicht mehr zurück, Sam, du musst das akzeptieren."
"Aber wie kann ich es akzeptieren", schluchzte Sam und fiel auf die Knie. "Er soll zurückkommen, ich wünschte diesen Tag heute hätte es nie gegeben, ich wünschte, das wäre alles nicht passiert!" Sam verlor völlig die Kontrolle über sich und Merry und Pippin wussten nicht, was sie nun tun sollten. Sie sahen Sam, der auf dem Boden kniete, die Arme dicht an seinen Körper gepresst hatte und all seine Trauer brach aus ihm heraus, denn langsam schien die Erkenntnis zu kommen, dass er Frodo nie mehr wieder sehen würde. "Wisst ihr, was das letzte Gespräch war, das ich mit ihm geführt hatte, als noch alles in Ordnung war?" Sam sah beide auffordernd an und bekam kaum Luft, weil er von einem heftigen Weinanfall geschüttelt wurde. "Ich habe ihm gesagt, er hätte noch eine glückliche Zukunft vor sich. Nach all den schrecklichen Erlebnissen der Vergangenheit. Das war nur kurze Zeit, bevor er von dieser verdammten Leiter gefallen ist!"
Merry und Pippin sahen ihn mitleidig an, er war schon ganz heiser, weil er seine Trauer so hinausschrie. Auch Pippin fing wieder an zu weinen.
"Ist das nicht eine schöne Zukunft" schrie Sam und deutete auf das weiße Tuch.
Merry und Pippin konnten nichts sagen, sie sahen Sam einfach nur an. "Wieso musste das passieren", brüllte Sam und schlug die Hände wieder vors Gesicht. Eine Zeitlang sagte keiner etwas. Dann sagte Merry in leisem Ton: "Vielleicht ist das einfach sein Schicksal. Vielleicht sollte es so sein." Sam sah ihn mehr als vorwurfsvoll an.
"Was sollte so sein? Du meinst, dass er in meinem Garten von der Leiter fällt und in meinen Armen stirbt? Von der Leiter... Frodo und ich sind damals zusammen bis nach Mordor gelaufen. Orks, Ringgeister, Kankra und selbst der dunkle Herrscher persönlich konnte und nicht aufhalten. Frodo hat alles geschafft, er ist dem Tod immer wieder entkommen. Und jetzt stirbt er an einem so friedlichen Tag, weil er von der Leiter fällt? Was ist das für eine grausame Ironie des Schicksals? Wie kann ich so etwas akzeptieren? Ich will das überhaupt nicht, er hat es nicht verdient so einen Tod zu erleiden und ich kann nicht einfach so hinnehmen, dass das sein Schicksal sein soll."
"Was willst du denn tun", fragte Merry, als Sam zwangsläufig ruhig sein musste, weil er schon keine Stimme mehr hatte.
Sam sah ihn an, mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf bald entzwei gespalten wurde, so hämmerte er. Er fühlte sich so elend, er war so schwach durch die viele Aufregung und ihm machte es zu schaffen, dass er auf Merrys Frage keine Antwort wusste.
"Du kannst nichts tun, Sam. Dieses Mal nicht. Du musst es hinnehmen, dir wird nichts anderes übrig bleiben. Genau so, wie wir es alle hinnehmen müssen", sagte Merry und Pippin nickte zustimmend und sah in tiefer Trauer auf die Erde. Im selben Moment fing es an sanft zu regnen und Sam hatte das Gefühl, dass der Himmel die Tränen vergießen wollte, die er nicht mehr vergießen konnte.
Merry legte ihm die Hand erneut auf die Schulter und Sam starrte auf das weiße Tuch. Er berührte es dort, wo er Frodos Arm vermutete und fühlte den kalten Körper seines Freundes. "Ich würde viel dafür geben, wenn ich ändern könnte, was geschehen ist", flüsterte er.
Merry und Pippin machten sich nun zu zweit daran Frodo in sein Grab zu legen. Sam sah ihnen zu, er konnte nichts anderes mehr tun.
Sie nahmen jeder einen Spaten und begannen vorsichtig die schwarze Erde wieder hinein zu schaufeln. Bald war von dem weißen Tuch nicht mehr viel zu sehen und Sam murmelte mit einem starren Blick und heiserer Stimme: "Auf wiedersehen, Herr Frodo."
Der Regen kühlte Sams erhitztes Gesicht und seine Locken waren schon völlig durchnässt. Rosie war die ganze Zeit am Fenster gewesen und hatte ebenfalls voll Trauer beobachtet, wie Frodo beerdigt wurde. Nun kam sie heraus, in der einen Hand hielt sie Rose und in der anderen den kleinen Frodo. Beide Kinder waren dick angezogen, damit sie sich nicht erkälteten. Elanor ging vor ihnen. "Was macht ihr denn da alle", fragte der kleine Frodo immer wieder, der nicht verstand was geschehen war. Doch niemand gab ihm eine Antwort und der Kleine blickte sich freudig um.
Rosie hatte Elanor versucht zu erklären, dass ihr Onkel Frodo jetzt wo anders hingegangen ist, an einen anderen Ort. Doch Rosie wusste nicht, was in ihr vorging und ob sie es verstanden hatte. Die Kleine hüllte sich ins Schweigen.
Sam hatte sich, als er seine Familie kommen sah, wieder erhoben und war bemüht eine möglichst gefasste Erscheinung zu machen. Rosie jedoch hatte schon erkannt, was in ihm vorging und sie sah ihn mit einem besorgten Blick an. Merry und Pippin schaufelten schweigend Frodos Grab zu und machten dabei sehr traurige Gesichter. Als sie es beendet hatten, blieben alle noch eine Weile davor stehen und blickten stillschweigend darauf. Alle versuchten es immer noch richtig zu begreifen und auch Rosie wischte sich hin und wieder einige Tränen weg. Der kleine Frodo fing nach einer Zeit an zu quängeln und Rosie verschwand mit ihm und den anderen Kindern mit langsamen Schritt in die Höhle. Auch Merry und Pippin drehten sich langsam um, um hinein zu gehen. Nur Sam blieb immer noch vor Frodos Grab stehen und sah stillschweigend auf den kleinen Erdhügel, unter dem sein Freund ruhte.
"Komm Sam, lass uns hinein gehen" hörte er Pippin sagen und wurde an seinem Arm weggezogen. Sam blickte beim Gehen immer wieder zurück und wäre gerne noch länger an Frodos Grab geblieben. Er blickte so lange zurück, bis sie schließlich in der Hobbithöhle ankamen und Pippin hinter ihnen die Tür schloss.
Langsam wurde es dunkel und ein starker Wind kam auf. Der Regen wurde auch heftiger und die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Als Sam spät am Abend noch einmal aus dem Fenster sah, konnte er nur noch undeutlich die Umrisse des großen Apfelbaumes ausmachen, der immer weiter in Dunkelheit getaucht wurde.
Rosie hatte ein notdürftiges Abendbrot hergerichtet, doch außer dem kleinen Frodo verspürte niemand das Bedürfnis etwas zu essen. Elanor saß stillschweigend am Tisch und Rosie sorgte sich sehr um sie, denn sie wirkte die ganze Zeit abwesend mit ihren Gedanken.
Pippin starrte die ganze Zeit auf seine Hände, die er in den Schoß gelegt hatte und war mit den Gedanken bei Gandalf, Aragorn, Legolas und Gimli. Was würden sie wohl sagen, wenn sie von Frodos Tod erfahren würden?
Merry überlegte die ganze Zeit, was er sagen könnte, doch ihm wollten die richtigen Worte nicht einfallen.
Sam starrte, wie Elanor stumm vor sich hin. Er hatte ein elendes Gefühl in der Magengegend, sein Kopf hämmerte und ihm war kalt, obwohl es in der Hobbithöhle angenehm warm war. Er hatte das Gefühl, als würde er krank werden, doch es störte ihn nicht. Nichts störte ihn in diesem Moment.
Elanor stand irgendwann stumm von Tisch auf und machte sich auf in ihr Zimmer, der kleine Frodo wollte so gern noch mit ihr versteck spielen, doch sie hatte ihm nicht mal geantwortet, als er sie das freudig gefragt hatte. Und so kaute der Kleine nun traurig auf einer trockenen Scheibe Brot herum und seine großen Augen blickten hoffnungsvoll in die Richtung, in der Elanor verschwand. Rosie streichelte ihm liebevoll über den Kopf, der Kleine war so fröhlich, doch niemand beachtete ihn.
Sam stand mit einem Male auf, und folgte Elanor in ihr Zimmer. Die anderen blickten ihm nur fragend nach und begannen dann, als er verschwunden war, den Tisch abzuräumen, auf dem noch fast das ganze Abendbrot stand. Immer noch sagte niemand ein Wort, es war so leise in der Hobbithöhle, dass man sogar das Rauschen des Windes in der Küche hören konnte.
Sam öffnete vorsichtig Elanors Tür und trat hinein. Die Kleine lag schon in ihrem Bett und hatte sich die Decke bis unters Kinn gezogen. Ihre Augen waren aber noch offen und blickten ihren Vater aufmerksam an, als er ihr kleines Zimmer betrat. Sam zündete eine Kerze an, und sie flackerte vor sich hin und erhellte den Raum schwach mit einem zitternden Licht. Sam setzte sich zu seiner Tochter aufs Bett und sah sie für eine Weile nur stillschweigend an, und sie tat es ihm gleich. Sam betrachtete sich die kleine Wunde auf ihrer Stirn, die sie vom Sturz über den Eimer davon getragen hatte. Sie war sehr klein und sah völlig harmlos aus, jetzt da das Blut getrocknet war. Sam musste zwangsläufig daran denken, dass Frodo wegen dieser kleinen Verletzung so hastig von dem Baum wollte und deshalb hinuntergestürzt war. Wieder stieg ein brennendes Gefühl in seine Augen.
Elanor richtete sich langsam in ihrem Bett auf und umarmte ihren Vater. Sam streichelte sie über ihre lockigen Haare.
"Kannst du mir sagen, was heute passiert ist, Elanor", fragte Sam und seine Stimme klang leise. "Ich muss das wissen, Elanor."
Die Kleine schluchzte einmal und sah zu ihrem Vater, der sie erwartungsvoll, aber mit traurigem Gesicht ansah.
"Du meinst, als..."
Sam nickte schon, noch ehe Elanor den Satz beendet hatte.
Die Kleine wich seinem Blick aus und sagte eine Weile gar nichts. Dann begann sie mit einem fast flüsternden Ton: "Ich bin rausgelaufen und Onkel Frodo war auf dem Baum. Ich habe ihm erzählt, wie sauber ich bin, weil Mama mich doch gebadet hat. Dann habe ich das Huhn in dem Beet gesehen und wollte es verscheuchen, weil du dich immer so darüber ärgerst. Und dann bin ich über den Eimer gefallen, der auf dem Rasen lag, und dann..." Sie schluchzte und sah ihren Vater mit ungläubigen Augen an, der sein Gesicht in den Händen vergraben hatte.
"Er kommt nicht wieder, oder", fragte Elanor und zog ihren Vater sanft am Ärmel.
"Nein, leider nicht", sagte Sam und seine Stimme zitterte so heftig, dass Elanor ihn kaum verstand. "Du musst jetzt schlafen, geh ins Bett", fuhr Sam urplötzlich fort und verlies hastig den Raum, ohne sich noch ein mal umzudrehen. Im Vorübergehen löschte er noch die Kerze und Elanor blickte ihm nur verwundert nach. Dann legte sie sich in ihr Bett und schloss die Augen, aber sie schlief noch eine ganze Weile nicht ein.
Sam schloss schnell die Tür zu Elanors Zimmer und lehnte sich an sie. Er atmete einmal tief durch und rief dann in die Küche, in der Rosie, Merry und Pippin immer noch mit dem Abendbrotgeschirr hantierten: "Ich gehe jetzt ins Bett."
Rosie blickte aus der Küche und sah, wie er auch schon im Schlafzimmer verschwand. Sie setzte einen besorgten und fragenden Blick auf, den Merry sofort bemerkte. Er sah sie an und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Gib ihm Zeit."
Sie nickte nur schwach und fuhr dann mit ihrer Arbeit fort.
Als sie nach einer ganzen Weile ins Schlafzimmer kam, saß Sam auf seiner Bettkante und blickte nicht einmal hoch, als sie hereinkam. Sie betrachtete ihn, und versuchte die Stille zu brechen, indem sie sagte: "Ich habe Merry und Pippin unser kleines Gästezimmer gegeben. Sie wollen bis morgen bleiben."
Von Sam kam keine Antwort, er war mit den Gedanken soweit entfernt, dass er sie nicht hörte.
"Sam, hast du gehört, was ich gesagt habe", fragte sie ihn und berührte ihn sanft am Rücken.
Sam fuhr überrascht herum. "Was ist?"
"Ach nichts, es ist nicht wichtig."
Sam sah sie an und seine Augen waren wieder feucht. "Ach sag das nicht, ich hätte auch nie gedacht, dass es mal eine Rolle spielen könnte, wo ich den Eimer liegen lasse."
Rosie sah ihn mit einem fragenden Blick an, sie verstand gar nicht worüber er redete. "Was meinst du?"
"Es ist alles meine Schuld", sagte Sam und er begann wieder zu weinen.
Rosie nahm ihn die Arme und er klammerte sich an sie.
"Nichts ist deine Schuld, Sam."
"Doch, ich hätte es verhindern können."
"Wie hättest du es denn verhindern können? Du kannst doch niemandem vor seinem Tod bewahren."
"Doch, bei ihm hätte ich es gekonnt. Ich wollte diesen verdammten Apfelbaum ernten. Ich habe die falsche Leiter aus dem Schuppen geholt, sie war doch morsch, so wie du es vermutet hattest. Ich habe mich immer über die Hühner im Garten aufgeregt, nur deswegen ist Elanor losgelaufen, und nur weil ich den Eimer mitten auf dem Rasen habe liegen lassen, ist sie darüber gefallen."
Rosie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie verstand nun, warum Sam sich Vorwürfe machte und sie wusste, dass ihr Mann damit vermutlich ein Leben lang nicht zurecht kommen würde. Sie antwortete nichts darauf, sie verstärkte ihre Umarmung nur und legte ihre Hand in seinen Nacken. Sam vergrub sein Gesicht in ihrer Kleidung und Rosie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Dann drehte er seinen Kopf so zur Seite, dass er mit seiner Wange immer noch an ihrer Schulter lag. "Weißt du noch, als wir uns gestern Abend über seine Rückkehr aus Valinor unterhalten haben?"
"Ja, natürlich erinnere ich mich daran", sagte Rosie und nickte bestätigend.
Sams Reden wurde wieder durch heftige Schluchzer unterbrochen. "Ich habe ihm erzählt wie sehr ich ihn vermisst habe, als er unterwegs war und er hat mir erzählt, wie sehr er mich vermisst hat."
Rosie nickte wieder und Sam löste sich aus ihrer Umarmung und sah sie eindringlich an. "Wieso musste er uns verlassen? Wieso ist das heute passiert?" Sam machte eine Pause und sah seine Frau verbittert an. "Er liegt jetzt da draußen unter der kalten Erde. Er wird nie wieder die Sonne aufgehen sehen. Er hat es immer so geliebt mit den Kindern zu spielen, nie wieder wird er das jetzt können."
Rosie berührte Sams Wange und atmete tief durch. "Aber die Zeit, die er hier bei uns war, die war doch schön gewesen. Es ist vielleicht nur ein kleiner Trost, aber er hat sich wohlgefühlt hier und er hat sein Leben hier genossen."
"Ja, er hat sich hier wohlgefühlt, und er hat uns viel zu schnell verlassen. Er hatte endlich Ruhe und Frieden hier und wurde einfach so aus dem Leben gerissen."
Rosie wusste, dass es sinnlos war, egal, was sie sagen würde, Sam würde immer etwas zu entgegnen haben. So sah sie ihn nur schweigend an.
"Weißt du, was für mich schwer ist zu verstehen", fragte Sam und blickte auf seinen Schoß. Rosie sah ihn nur erwartungsvoll an und so fuhr Sam fort. "Es ging so schnell. Gestern Abend, da saßen wir alle noch hier und keiner von uns hat geahnt, was passieren würde. Und als Frodo heute morgen aufgestanden ist und wir gefrühstückt haben... Weißt du es ist so schwer zu verstehen, das Frühstück heute morgen war das letzte in seinem Leben. Es war nur ein Frühstück, aber wer hätte gedacht, dass es Frodos letztes sein würde? Wer hätte gedacht, dass Frodo am heutigen Abend schon nicht mehr lebt? Verstehst du was ich meine, es ist für mich so schwer zu begreifen, dass..."
"Ich verstehe, was du meinst. Keiner ahnt es, wenn er morgens aus dem Bett steigt, dass er Mittags vielleicht nicht mehr leben könnte. Dieser Gedanke, dass man stirbt, liegt in so weiter Ferne. Und der Tod kommt so plötzlich, niemand ahnt es."
"Ja, der Gedanke ist so schrecklich, dass jede Handlung, die wir tun, vielleicht unsere letzte sein könnte. Als Frodo auf den Baum geklettert ist, hat er gewiss nicht gedacht, was passieren würde."
"Und ist es nicht besser so? Stell dir vor, er hätte heute morgen gewusst, dass heute sein Todestag ist. Es ist besser, wenn es unvorhergesehen kommt, das erspart einem eine menge Angst."
"Aber er wusste es, als er in meinen Armen gelegen hat. Er wusste, dass er stirbt, Rosie. Er hat es mir sogar gesagt und er hatte Angst. Und ich konnte nichts für ihn tun!"
Sam begann wieder zu weinen, all die Bilder von Frodos letzten Minuten keimten wieder in ihm hoch. Und schmerzlich hörte er Frodos letzte Worte in seinem Kopf: "Ich habe solche Angst, Sam".
Sam wusste, dass er diesen Tag nie vergessen würde. Er war zu Anfang so unscheinbar und ruhig gewesen, doch mit diesem Tag würde sich sein ganzes Leben verändern.
Sam sah Rosie wieder an und sagte dann nur: "Ich werde jetzt ins Bett gehen, mir ist so kalt und es gibt so wieso nicht mehr, was ich noch tun kann." Er kroch unter seine Bettdecke und kauerte sich zusammen. Rosie legte sich schweigend neben ihn und schloss ihre Arme um ihn.
