Sam konnte fast die ganze Nacht nicht schlafen. Die Müdigkeit war so groß,
und doch bekam er kein Auge zu. Er starrte stundenlang nur vor sich hin und
die unterschiedlichsten Bilder geisterten in seinem Kopf umher. Er hörte
Rosies ruhigen Atem hinter sich und wusste, dass sie schlief. Er wünschte
sich die selbe Ruhe zu finden, doch es war hoffnungslos. Mehrere Male
nickte er ein, doch schrak dann sofort wieder hoch. Die Nacht musste schon
fast zu Ende sein, als Sam aufstand und aus dem Schlafzimmer trat. Was er
da sah, ließ ihn vor Erstaunen fast den Halt verlieren. Frodo stand vor der
Tür und lächelte Sam an. "Gehen wir den Apfelbaum ernten, Sam", fragte er
mit einem Lächeln auf den Lippen.
Sam sah ihn an und seine Augen weiteten sich vor Entsetzten. "Nein, Herr Frodo etwas schreckliches wird geschehen, wenn wir das tun!"
Frodo lächelte und ging in Richtung Ausgangstür. Sam lief hinterher und packte ihn am Arm. "Hast du nicht gehört was ich gesagt habe, es wird etwas schreckliches passieren, wenn du das tust. Du wirst sterben, bleib stehen!"
Frodo lächelte nur und ging weiter. "Bleib stehen, du sollst stehen bleiben. Warum hörst du nicht auf mich? Bleib doch stehen!"
Frodo ging immer weiter und ließ sich nicht aufhalten, er lächelte nur, als Sam verzweifelt versuchte ihn aufzuhalten. Er ging hinaus in den Garten, auf den Apfelbaum zu, an dem eine Leiter lehnte.
"Herr Frodo, was tust du denn? Komm zurück, geh nicht auf die Leiter!"
Sam schrie so laut er konnte, aber Frodo reagierte gar nicht. Er lächelte nur und ging immer weiter. "Herr Frodo", hörte Sam sich immer wieder sagen und als er sah, wie Frodo die Leiter bestieg, krampfte sich sein Magen zusammen.
Sam schrak hoch. Schweißgebadet und schwer atmend. Seine Locken klebten an seiner Stirn und seine Haut glänzte. Sein Hals war trocken und dieses elende Gefühl war noch immer nicht verschwunden. Für einen Moment wusste er überhaupt nicht, wo er war und er erfasste mit hektischem Blick die Gegend. Das Schlafzimmer. Vor dem Fenster war die Gardine nicht zugezogen und Sam sah einen dunkelblauen Himmel, der ganz langsam immer heller wurde. Der Hobbit wischte sich mit seiner Hand den Schweiß von der Stirn und betrachtet sich immer noch die Umgebung. Rosie lag in ihre Decke gehüllt schlafend hinter ihm und schien nichts bemerkt zu haben.
"Ein Traum", fuhr es Sam durch den Kopf. "Nur ein Traum."
Er ließ sich in sein Kissen zurücksinken und blieb mit geöffneten Augen liegen. "Das eben war nur ein Traum", murmelte er vor sich hin und seine Augen weiteten sich. Vielleicht war ja alles nur ein Traum! Vielleicht war er eingeschlafen und hatte alles nur geträumt, vielleicht hat es den gestrigen Tag nie gegeben!
Sam stand auf und lief aus dem Schlafzimmer. Er bemühte sich kein lautes Geräusch zu machen, um Rosie nicht zu wecken. Der Hobbit schlich durch den Flur und blieb vor Frodos Zimmer stehen. Er wollte die Tür öffnen, doch die Aufregung hielt ihn davon ab. Sein Herz hämmerte wie wild und seine Hände begannen zu zittern. "Bei den Valar, lass ihn jetzt in seinem Bett liegen, lass mich den gestrigen Tag nur geträumt haben!" Er schluckte schwer und er hatte Angst, dass die ganze Hoffnung, die er im Moment verspürte, vielleicht umsonst war. Er blickte sich noch einmal um. Es war noch alles still in der Hobbithöhle, es war ja auch erst sehr früh am Morgen. Sam schloss die Augen und hoffte, dass würde die Chancen erhöhen, Frodo in seinem Bett, friedlich schlafend vorzufinden. Langsam öffnete er die Tür, trat ins Zimmer und öffnete dann vorsichtig die Augen.
Sam ließ sich schluchzend gegen die Wand fallen und blieb halb liegend, halb hockend auf der Erde liegen. All seine Hoffnung hatte sich zerschlagen, und er musste wieder feststellen, dass Frodos Tod unabänderlich war. Diese erneute Erkenntnis schmerzte so sehr, dass er das Gefühl hatte nicht mehr atmen zu können. Er weinte laut und ihm war es gleich, ob die anderen es hörten, oder nicht.
Frodos Zimmer sah noch genauso aus, wie er es verlassen hatte. Das Bett war leer. Die Kissen von der Kissenschlacht lagen immer noch an genau der selben Stelle, wo sie hingefallen waren und der Gedanke an dieses lustige Spiel, das auch Frodo so viel Freude bereitet hatte, ließ Sam einen regelrechten Weinkrampf bekommen. Frodos Decke lag zusammengerollt auf dem Boden. Kleidungsstücke von Frodo waren auf dem Fußboden verteilt und die Vorstellung, dass Frodo sie noch vor Kurzem getragen hatte, waren so schmerzlich für Sam. Er krabbelte über den Boden und hob eine Weste von Frodo auf. Er betrachtete sie sich, doch konnte er kaum etwas erkennen, denn seine Augen waren so voller Tränen. Er nahm die Weste und drückte sie fest an sich und große Tränen tropften aus seinen Augen und ließen die Weste feucht werden. "Es tut mir so leid, Herr Frodo, ich habe Schuld, dass dir das passiert ist. Komm doch bitte wieder zurück! Ich wünsche mir so sehr, dass du wieder zurückkommst."
Sam saß eine ganze Weile so auf dem Boden und hielt die Weste umklammert. Der Duft von Seife und Blüten stieg ihm in die Nase und er sog ihn in vollen Zügen ein, denn es war Frodos Geruch, der von seiner Weste ausging. Für einen Moment war es fast so, als würde Frodo in Sams Nähe sein, und Sam genoss diesen kurzen Moment so sehr er nur konnte.
Plötzlich kam Rosie völlig verschlafen, aber dennoch irgendwie aufgeregt ins Zimmer. Sie war von Sams Weinen geweckt worden und sah sehr besorgt aus. "Sam, was ist denn los, du machst mir Angst!"
Sie blickte auf ihren Mann, der immer noch die Weste umklammert hielt und kläglich schluchzte. Sie begriff, dass Sams Trauer einfach nicht anhalten wollte und sie kniete sich vor ihn auf den Boden. Sam umklammerte seine Frau an der Hüfte und lag auf dem Boden. Er war völlig aufgelöst und konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Rosie legte ihm ihre Hand auf den Kopf, der in ihrem Schoß lag, und auch ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie sorgte sich um Sam, sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen konnte und das war ein sehr unbehagliches Gefühl.
Auf einmal hörte man Elanors Stimme, die noch sehr müde aussehend aus ihrem Zimmer schwankte. Merry und Pippin kamen, warfen nur einen Blick in den Raum und Merry begriff sofort, was vorgefallen war. Noch ehe Elanor das Zimmer erreichen konnte wies er sie an, im Flur stehen zu bleiben und auf ihre Mutter zu warten. "Aber was ist denn los", fragte die Kleine noch, aber er antwortete ihr nicht, sondern war schon auf dem Weg in Frodos Zimmer, indem Rosie immer noch mit Sam auf der Erde saß.
Pippin lief hinterher und auch er sah nun, was los war. Merry kniete sich zu Rosie auf den Boden. "Los, kümmere dich um Elanor. Sie soll nicht sehen, was hier geschieht. Das wäre nicht gut."
Rosie sah ihn nur etwas fragend an, doch Merry blickte entschlossen zurück. "Los jetzt geh! Ich bleibe bei Sam."
Rosie stand auf, wischte sich ihre Tränen weg und eilte zu Elanor in den Flur. Dann nahm sie die Kleine an die Hand und verschwand mit ihr in der Küche.
Pippin schloss die Tür und Merry begann Sam vom Boden hochzuziehen. Der Hobbit schluchzte heftig und sackte immer wieder auf die Erde zurück. Erst, als Pippin hinzukam und sie Sam, jeder von einer Seite stützten, schafften sie es, ihn auf das Bett zu setzen. Pippin sah Sam wehmütig an, der sich immer noch nicht von Frodos Weste lösen konnte. Dann sagte Merry an Pippin gewand: "Vielleicht solltest du mal zu Rosie gehen und nachschauen, ob sie Hilfe braucht."
Pippin nickte nur und verließ dann den Raum, nachdem er Sam noch einmal mitfühlend auf die Schulter geklopft hatte.
Merry lief vor Sam auf und ab und für eine Weile sagte niemand etwas. Dann begann Merry mit dem Gespräch. "Verdammt Sam, glaub mir ich verstehe dich nur allzu gut, aber so etwas darfst du nicht machen! Rosie hat Angst um dich, die Kinder würden so einen Anblick von dir nur schwerlich verkraften, und du schadest dir doch nur selbst."
"Aber ich kann doch nichts dafür", war die klägliche Antwort, die er darauf bekam.
"Sam, so kann es nicht weiter gehen. Sicher, Frodos Tod ist für uns alle schwer, ich möchte nicht bezweifeln, dass er dich am härtesten getroffen hat, aber wir müssen uns alle damit abfinden, wenn es uns auch schwer fällt. Du hast eine Familie, Sam. Du darfst sie nicht im Stich lassen, sie brauchen dich, du darfst jetzt nicht zusammenbrechen! Das Leben geht weiter, für dich und für alle anderen auch."
Sam sah Merry an, und Merry wusste, dass Sam seinen Worten in diesem Moment nicht viel Glauben schenkte. Merry kniete sich vor Sam und wartete, bis dieser ihm in die Augen sah.
"Frodo hätte das nicht gewollt, Sam. Er würde es nicht wollen, dass du vor lauter Trauer um ihn zerbrichst!"
Sam sah seinen Freund an und diese Worte schienen in der Tat etwas in Sam zu bewegen. Dann sah er betrübt auf die Weste, die er in seiner Hand hielt.
"Vielleicht hast du ja recht, Merry", murmelte er.
"Nicht vielleicht. Bestimmt sogar. Das ist jetzt vielleicht ein törichtes Bespiel, aber wenn ich sterben würde, dann würde ich wollen, dass die, die ich zurücklasse, nicht zu sehr um mich trauern. Ich würde wollen, dass es ihnen gut geht und das sie ihr Leben genießen."
Sam lächelte schwach und umarmte Merry. "Ich danke dir und Pippin, dass ihr hier seid."
Merry lächelte "Schon gut, Sam."
Der kleine Frodo war, kurz nachdem Rosie mit Elanor in der Küche verschwunden war, aufgewacht und hatte sofort mit einem Juchzen und Quengeln auf sich aufmerksam gemacht. Als Pippin, der kurz nach Rosie und Elanor den Flur betrat das hörte, machte er sofort einen Abstecher in sein Zimmer und nahm den Kleinen mit in die Küche. Auf dem Weg dorthin zeigte Frodo ihm drei mal wie groß er schon war und erklärte ihm, dass er diese Nacht viel gewachsen wäre. Pippin lächelte und brachte den Kleinen zu Rosie und Elanor in die Küche. Rosie stand mit einem Geschirrtuch in der Hand vor dem Abwaschbecken und sah in die Runde. "Es ist zwar noch so früh, aber da wir ja so wieso alle wach sind, können wir auch gleich frühstücken."
Der kleine Frodo nahm sich einen Apfel, der auf dem Tisch lag und benutzte ihn als Ball, während Rosie und Pippin anfingen den Tisch zu decken. Kurz bevor sie fertig waren betraten dann Sam und Merry die Küche und Sam hatte nun einen ruhigen Gesichtsausdruck, der Rosie die Sorgen um Sam etwas vergessen ließen. Sam stand mitten im Raum, hinter ihm war Merry und Rosie stand vor dem Tisch und sagte nun: "Das Frühstück ist fast fertig, setzt euch doch schon mal an den Tisch."
Der kleine Frodo blickte fröhlich drein und sagte mit freudiger Stimme: "Darf ich Onkel Frodo wecken?"
Sam wich alle restliche Farbe aus dem Gesicht und er versuchte mit Mühe die gerade gewonnene Fassung zu behalten. Merry schloss für einen Moment die Augen und sah auf den kleinen Frodo, der nicht im geringsten wusste, was er mit diesen Worten gerade ausgelöst hatte. Rosie blieb mitten im Raum mit einem Teller stehen und starrte abwechselnd zu ihrem Sohn und zu ihrem Mann. Auch Elanor sah nur auf ihren Vater und war unfähig etwas zu sagen.
Pippin ließ bei Frodos Worten ein Brett fallen, dass laut scheppernd zu Boden fiel. Sam drehte sich um und stürmte aus der Küche, er rannte den Flur entlang und öffnete die Eingangstür nicht gerade sanft. Dann blieb er stehen und atmete die kühle Luft, des Morgens ein. Er schloss die Augen und versuchte die Traurigkeit zu unterdrücken. Er schluckte schwer und fuhr sich unwirsch mit der Hand durch die Haare.
Rosie senkte betrübt den Kopf, der kleine Frodo hatte noch nicht verstanden, dass sein Onkel nicht mehr da war und er verstand ebenso wenig, wieso sein Vater plötzlich davon gelaufen war. Der Kleine rieb sich traurig mit den Händen in den Augen und sah seine Mutter fragend an.
Rosie ging zu ihrem Sohn und nahm ihn in den Arm. "Onkel Frodo ist jetzt woanders, mein Kleiner. Du kannst ihn nicht mehr wecken."
"Wann kommt er denn wieder?"
Rosie sah ihn an und streichelte ihn liebevoll über seine Wange. "Er kommt nicht mehr wieder, mein Schatz."
"Wieso nicht?"
"Er ist weit weg und kann nicht mehr zurückkommen." Pippin sah ihn betrübt an und Merry unterhielt sich mit Elanor über ihren Schlafanzug.
Der kleine Frodo wusste zwar nicht, wieso sein Onkel weggegangen war, oder warum er nicht wieder kam, aber ihn interessierte das Essen, was Rosie auf den Tisch gestellt hatte bald mehr und sie war äußerst dankbar dafür.
Sam fand sich, ohne recht zu wissen, dass er überhaupt da hingegangen war, an Frodos Grab stehen und blickte gedankenverloren darauf. Wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass Frodo in dieser Stunde, aber einen Tag zurück noch gelebt hatte und fröhlich und lebenslustig gewesen war.
Der Gedanke, dass Frodo jetzt unter dem kleinen schwarzen Erdhügel lag, wo es kalt und dunkel war ließ ihn erschauern und er senkte traurig den Kopf und kniete sich vor Frodos Grab. Er schwieg und starrte erst zweifelnd auf den aufgeschütteten Hügel, doch dann tat er, was er vorhatte, aber sich irgendwie nicht recht traute.
"Hallo, Herr Frodo", begann er leise zu sagen. Sams Kehle begann wieder zu brennen, genauso, wie seine Augen und er strich sich etwas wütend die Tränen aus den Augen, er wollte doch nicht mehr weinen, er wollte sich doch Merrys Worte zu Herzen nehmen. Immer wieder dachte er daran, dass Merry mit seiner Behauptung durchaus recht hatte, als er gesagt hat, Frodo würde nicht wollen, dass er an seinem Tod zerbricht.
Für einen Moment kniete Sam einfach nur da und sah auf den kleinen Erdhügel, und hätte ihn jemand beobachtet, hätte er gedacht, Sam würde auf eine Antwort warten. "Merry hat gesagt, ich soll nicht mehr so sehr um dich trauern, du würdest es nicht wollen." Der Hobbit lächelte verbittert, doch sofort verzog sich sein Mund wieder und Sams Augen wurden gegen seinen Willen wieder feucht. "Aber es fällt mir so schwer, Herr Frodo. Es fällt mir doch so schrecklich schwer..."
Sam sank in sich zusammen und wieder schüttelte ihn ein Weinkrampf. Er versuchte dagegen anzukämpfen und rief sich immer wieder Merrys Worte ins Gedächtnis, doch es verursachte bei ihm nur Bauchschmerzen und ein elendes Gefühl. Die Tränen schienen sich scheinbar durch nichts zurückhalten zu lassen, sie strömten über seine Wange und betropften seine Weste und einige schafften es sogar den Boden zu befeuchten.
"Ich weiß ja nicht, ob du mich jetzt hören kannst, aber wenn es so sein sollte, dann möchte ich dir nur sagen, dass du mir sehr fehlst. Es ist kaum ein Tag her, dass du..." Er hielt inne und atmete tief durch.
"... von uns gegangen bist und schon jetzt kommt es mir vor wie hundert Jahre. Merry sagt, ich soll meine Familie nicht im Stich lassen, dass habe ich auch gewiss nicht vor Herr Frodo, aber du fehlst mir so sehr. Und dann denke ich immer es ist meine Schuld, dass alles so gekommen ist, wenn ich nur ein bisschen was anders gemacht hätte, dann könnten wir beide jetzt da drinnen sein." Er deute auf die Hobbithöhle und blickte dann wieder aufs Grab. "Hätte ich nur nicht den Eimer auf der Wiese liegen gelassen, oder hätte ich die andere Leiter genommen... Es wäre so einfach gewesen, wenn ich es doch nur vorher gewusst hätte. Dann könnten wir jetzt beide bei Rosie und den Kindern am Tisch sitzen und wären glücklich. Und der kleine Frodo hätte dich wecken können, so wie er und Elanor es immer getan haben. Dann müsste ich jetzt hier nicht sitzen und du müsstest da unten nicht liegen."
Sam wischte sich sein nasses Gesicht ab berührte die Erde, die den Hügel bildete. Ein frischer Wind ließ ihn die Tränen kalt auf seiner Haut spüren und ließ die Blätter des großen Apfelbaumes rascheln.
"Herr Frodo wenn es eine Möglichkeit gäbe das rückgängig zu machen, was geschehen ist, ich würde es tun. Mir wäre kein Preis zu hoch dafür, aber ich kann nichts tun. Und das verbittert mich so. Wenn ich daran denke, wie es für mich war, als du aus Valinor zurückgekehrt bist, was würde ich dafür geben um das jetzt noch mal erleben zu dürfen! Was würde ich nicht dafür geben um diese Freude über dein Zurückkommen noch mal zu spüren."
Sam wartete wieder einen zeitlang und dann stand er plötzlich auf. "Aber es hat keinen Sinn, du kommst nicht zurück, dieses mal nicht, und nichts in der Welt wird das wohl ändern können. Ich werde aber öfter zu dir ans Grab kommen, dann bist du nicht immer so allein da unten." Er schluchzte einmal laut und schloss die Augen. "Immerhin liegst du ja jetzt meinetwegen da unten und bist allein." Sam öffnete seine Augen wieder und drehte sich langsam um. Traurig setze er einen Fuß vor den anderen und machte sich auf den Weg zurück in die Höhle, dabei flüsterte er "Verzeih mir, Herr Frodo."
Er ging wieder in die Hobbithöhle hinein und versuchte alle Spuren, die darauf hindeuteten, dass er wieder geweint hatte, zu entfernen. Als er die Küche erneut betrat, saßen alle schweigend am Tisch und sahen ihn mitleidig an. Sam sah sofort Rosies besorgtes Gesicht und noch ehe sie etwas von sich geben konnte, sagte er: "Keine Sorge, mir geht es gut, es ist alles in Ordnung."
Obwohl es ihm niemand so recht glauben wollte, begannen sie nun endlich mit dem Frühstück. Wieder verlief die Malzeit voller Schweigen und Sam saß eigentlich mehr der Anwesenheit halber am Tisch, als dass er seinen Hunger, den er gar nicht hatte, stillte.
"Das Wetter ist heute sehr schön", bemerkte Pippin in einer Minute, die so still war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle sahen ihn an und nickten, doch jeder wusste, dass er eigentlich nur die Ruhe unterbrechen wollte. Das gelang ihm auch, denn der kleine Frodo war so fröhlich, dass endlich ein Wort gesagt wurde, dass er aufgeregt mit den Händen auf dem Tisch rumhämmerte. Elanor stieß kurz darauf ihr Trinkgefäß um und Rosie stand auf, um den Schaden zu beheben und das verschüttete Trinken wegzuwischen.
"Soll ich vielleicht einen Brief schicken", fragte Merry ganz plötzlich Sam und der begriff im ersten Moment gar nicht, worum es ging und starrte ihn nur verwirrt an. "Was meinst du?"
"Ach Sam komm. Ich meine, die anderen müssen es doch irgendwie erfahren. Und ich dachte, vielleicht kann ich dir helfen, wenn ich einen Brief schicke."
Sam überlegte einen Moment, und Merry wunderte sich schon, über was er so angestrengt nachdachte.
"Nein Merry, das mache wenn schon ich."
"Wieso wenn schon", fragte Merry und runzelte die Stirn.
"Eigentlich möchte ich nicht, dass sie es durch einen Brief erfahren. Ich meine... Frodo und ich wir haben schon öfters Briefe geschickt, da standen so belanglose Sachen drin. Diese Sache ist aber nun keineswegs belanglos. Ich finde es irgendwie nicht richtig das mal eben in einem Brief mitzuteilen."
Merry verstand zwar, was Sam meinte, aber er konnte nicht ganz durchschauen, was er nun tatsächlich beabsichtigte.
"Du meinst, es sei würdelos?"
"Na ja, vielleicht... Ich weiß auch nicht so genau, jedenfalls muss ich mir das mit dem Brief noch mal überlegen."
"Und wenn du dich nun gegen einen Brief entscheidest", fragte Merry weiter und Sam merkte, dass Merry es ganz genau wissen wollte, er kam um eine Erklärung nicht drum herum. Sam schwieg eine Weile und konnte Merrys bohrenden Blick förmlich auf der Haut spüren. "Was ist nun", hakte er nach.
Sam sah in die Runde und alle Blicke waren aufmerksam auf ihn gerichtet. "Ich spiele mit dem Gedanken selbst nach Gondor zu gehen und Aragorn die traurige Mitteilung zu überbringen."
Merry ließ sich zurückfallen und blickte finster drein, während Pippin seinen Blick senkte und dann zu Rosie guckte, die ihren Mann ansah, als hätte sie ihn nicht verstanden.
"Wieso Sam? Wieso willst du das tun? Möchtest du etwa alleine nach Gondor gehen? Ich...", begann Merry, doch Sam sprang plötzlich vom Tisch auf und machte ein erzürntes Gesicht.
"Ja Merry, ich weiß, was du jetzt sagen willst. Du hältst mich für verrückt, aber es bedeutet mir viel das selbst zu tun! Ich weiß du meinst es nur gut mit deinen ganzen Ratschlägen, aber sie helfen mir nur wenig!" Sam hatte seine Stimme ungewöhnlich erhoben und er wirkte erbost und war ungehalten. Merry ließ sich aber nicht davon abschrecken, sondern begann wieder etwas zu sagen. "Sam, du weißt, dass ich dich verstehe, aber lass mich doch sagen, dass..."
Sam schlug wütend die Hände auf den Tisch und alle sahen ihn verständnislos an. "Nein Merry, du verstehst gar nichts! Er ist nicht in deinen Armen gestorben! Du bist nicht dafür verantwortlich, dass er von der Leiter gefallen ist. Das ist ganz allein meine Schuld. Du weißt überhaupt nicht wie das ist. Seine letzten Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf und ich glaube auch, dass werden sie nie tun! Alles was ich hier im Moment sehe erinnert mich an Frodo, ich muss hier für eine Weile weg. Ich möchte nach Gondor gehen."
Merry sah ihn entgeistert an. Sam hatte ihn angeschrieen und er fühlte sich dadurch irgendwie bloßgestellt. Er hatte es nur gut gemeint, doch Sam hatte ihn angefahren und hatte seine guten Absichten überhaupt nicht erkannt. Ohne es zu wollen, keimte auch in ihm Wut hoch, er hatte zwar Mitleid mit Sam, aber er hatte trotzdem kein Recht ihn so zu behandeln. Er funkelte ihn böse an und verließ dann schlagartig die Küche. Der kleine Frodo weinte, weil sein Vater so geschrieen hatte und so wütend war und auch Elanor sah sehr erschreckt aus. Sam bemerkte seinen Fehler sofort und sah Rosie hilfesuchend an, doch die schüttelte nur den Kopf und wischte sich einmal über die Augen. Pippin nahm den kleinen Frodo und Elanor und forderte sie auf, ins Nebenzimmer zu kommen, um etwas lustiges zu spielen. Rosie und Sam sollten jetzt lieber erst mal allein sein. Bevor Pippin mit den Kindern im Nebenzimmer verschwand warf er noch einen Blick auf Rose, die in einem anderen Zimmer noch friedlich schlummerte.
Weder Rosie noch Sam sagten eine Wort, sie sahen sich nur an. "Es tut mir leid, meine Nerven sind mit mir durchgegangen", begann Sam schließlich das Gespräch.
"Ja, das habe ich gemerkt", sagte Rosie verbittert.
Sam kam auf sie zu und wollte sie in die Arme nehmen, doch sie wich ihm aus und drehte sich weg. "Wird das jetzt ewig so weiter gehen? In einer Minute bist du am Boden zerstört und in der nächsten so zornig, dass man vor dir Angst bekommen könnte?"
"Rosie, ich bitte dich, versteh mich doch."
"Aber das will ich ja. Aber soll ich dir etwas sagen, Merry hat recht! Es ist nicht mal wegen mir, aber du hast Kinder, Sam. Du hast Frodo verloren und ich weiß wie schrecklich das für dich ist, aber dein Leben ist nicht zu Ende. Es geht weiter, Sam. Du musst dich mit Frodos Tod abfinden, ich verstehe, dass du trauerst und ich will dir die Trauer um ihn nicht nehmen, aber ich habe Angst, dass das vielleicht ewig so weiter geht."
Sam sah sie an und verstand ihre Sorgen. Er hatte selbst Angst, dass das ewig so weiter geht.
"Gib mir ein bisschen Zeit, lass mich nach Gondor gehen und ich verspreche dir es wird anders sein, wenn ich wiederkomme."
"Bist du dir sicher?"
Obwohl Sam sich nicht sicher war, nickte er bestätigend. Rosie sah ihn an und nahm ihn in die Arme. "Sei nur vorsichtig, wenn du nach Gondor gehst", sagte sie und lächelte sanft.
Sam hatte keine Worte mehr. Er liebte Rosie und er war unendlich dankbar für ihr Verständnis. Sie machte sich Sorgen um ihn und das verstand er nur zu gut, aber dennoch bemerkte sie auch gleichzeitig, wie wichtig es für ihn war selbst nach Gondor zu gehen und hinderte ihn nicht daran. Sie brachte so viel Verständnis für ihn auf, und Sam war glücklich sie als Frau zu haben.
Sam verließ die Küche und sah sich suchend in der Hobbithöhle um. Er konnte Merry nicht finden, der irgendwo hingelaufen war, nachdem Sam ihn angeschrieen hatte. Er öffnete jedes Zimmer, aber fand ihn nicht. Als er das Zimmer neben der Küche betrat, fand er dort Pippin mit den beiden Kindern. Pippin hockte auf allen Vielen auf dem Boden, der kleine Frodo saß auf seinem Rücken und Elanor hatte eine hölzerne Schüssel vor Pippin gestellt und tat so, als würde sie sie mit irgendetwas füllen. Als Pippin Sam hinein kommen sah, lächelte er und meinte dann: "Ich bin das Pferd, Frodo ist mein Reiter und Elanor füttert mich." Sam nickte und lächelte. "Papa, magst du auch mitspielen", fragte der kleine Frodo belustigt und trieb Pippin dabei an, schneller über den Boden zu krabbeln.
"Jetzt nicht, mein Schatz, jetzt muss ich erst mal Onkel Merry finden."
"Bist du noch böse", wollte Elanor wissen, als Sam schon wieder den Raum verlassen wollte.
"Nein, ich bin nicht böse. Spielt ihr mal schön weiter, ich komme nachher noch mal."
Elanor begann wieder die Schüssel mit dem unsichtbaren Futter zu füllen und Sam nickte Pippin als Dank für die Beschäftigung der Kinder zu.
Als Sam feststellte, dass Merry nicht mehr in der Höhle sein konnte, verlies er sie und fand Merry schließlich im Garten vor Frodos Grab vor. Sam näherte sich ihm langsam und schon von weitem erkannte er, dass Merry schluchzte. Sam kniff die Augen zusammen, das hatte er nicht gewollt. Zorn keimte über sich selbst in ihm auf. Wie hatte er nur so die Beherrschung verlieren können? Das schlechte Gewissen regte sich in ihm und er ging langsam zu Merry hinüber. Merry drehte sich nicht um und machte auch keine Anstalten wegzugehen, als er Sam bemerkte. Er stand einfach nur da. Sam legte ihm die Hand auf die Schulter und murmelte leise: "Es tut mir leid, Merry, ich war nicht ganz ich selbst. Ich wollte dich nicht verärgern, du hattest mit allem Recht, was du gesagt hast."
"Hab ich das", fragte Merry und lächelte verbittert. "Weißt du Sam, ich glaube, du bist hier der jenige, der Recht hat. Ich muss dir ziemlich kaltherzig vorkommen, oder? Ich stehe hier, hab eigentlich keine genaue Ahnung, was gestern wirklich geschah, aber versuche hier kluge Ratschläge zu geben. Aber glaub mir Sam, es ist bei den Valar nicht einfach für mich so nüchtern an die Sache ranzugehen. Auch mich hat Frodos Tod hart getroffen, und ich wage zu sagen, dass auch ich es immer noch nicht richtig glauben kann. Und auch durch meine Gedanken geistert diese schreckliche Frage nach dem Grund für all das. Aber weißt du, wenn ich diese ganze Sache etwas realistischer sehe, dann komme ich irgendwie besser mit der Trauer zurecht, das heißt aber nicht, dass ich Frodos Tod einfach so abtue, als wäre nichts."
Sam nickte und sein schlechtes Gewissen begann ihn mehr und mehr zu plagen, er hatte Merry unrecht getan. "Oh Merry, ich glaube, ich mache in letzter Zeit so viel falsch. Die Fehler, die ich mache können nicht wieder gut gemacht werden. Verzeih mir bitte."
"Es gibt nichts zu verzeihen." Merry lächelte und klopfte Sam auf die Schulter. Seine Augen waren glasig und drohten jeden Moment neue Tränen zu verlieren, auch Sam rang wieder mit sich nicht erneute Trauer rauszulassen.
"Weißt du Merry, ich fühle mich elend. Es ist ganz merkwürdig. Ich bin so traurig, dass er nicht mehr bei mir ist, ich bin wütend, weil ich glaube, dass es meine Schuld ist, und ich habe Angst, Merry. Ich habe Angst, dass diese Gefühle nie wieder weggehen. Das ich sie vielleicht mein Leben lang mit mir rumtragen muss. Er ist gestern gestorben und ich fühle mich so schwach. Die Trauer ist nicht nur in meinem Kopf, sie beherrscht auch meinen Körper. Ich will mich ja um meine Familie kümmern, aber soll ich dir was sagen? Wenn ich den Namen meines Sohnes höre, dann denke ich, es sticht mir jemand ins Herz. Wenn ich meine Tochter sehe, dann sehe ich sie immer zusammen mit Frodo. Frodo hat so oft mit ihr gespielt oder sich um sie gekümmert. Und wenn ich meine Frau sehe, dann denke ich immer an den Abend, als er aus Valinor zurückgekommen ist. Wie Rosie in der Tür stand und genauso ungläubig geguckt hat wie ich..." Sam schmunzelte. "Obwohl ich weiß, dass es nie geschehen wird, warte ich förmlich darauf, dass es wieder an der Tür klopft. Ich warte darauf, dass er wieder davor steht, genau wie damals, und dass er wieder zurückkommt."
Merry sah Sam fest in die feuchten Augen und begriff langsam, worauf Sam hinauswollte. "Meine Familie erinnert mich immerzu an ihn. Alles hier erinnert mich immerzu an ihn. Es ist erst einen Tag her und man sagt ja immer, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber was ist, wenn sie das nicht tut? Was ist, wenn ich diese Trauer immer mit mir rumtragen muss? Wie soll ich denn jemals wieder ein fröhliches Leben führen können, wenn mich alles an ihn erinnert und wenn ich mich an ihn erinnere, dann spüre ich immer diese nagende Schuld. Deshalb möchte ich nach Gondor. Ich hoffe, dass wenn ich wieder komme, es anders sein wird."
Merrys Blick war bohrend und Sam wusste, dass er ihm etwas sagen wollte, doch ihn schien etwas daran zu hindern.
"Und du willst wirklich ganz allein gehen?"
"Ja, was soll schon passieren? Ich werde vorsichtig sein. Aber ich möchte jetzt einfach mal eine Weile allein sein und ich möchte nicht an jeder Stelle hier an ihn erinnert werden." Sam machte eine Pause und fragte dann mit einem etwas unsicheren Gesichtsausdruck: "Darf ich dich um ein Gefallen bitten?"
Merry nickte und blickte neugierig zu Sam.
Sam schwieg eine Weile und sah auf die Erde. "Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich Rosie hier ganz alleine mit den Kindern lasse. Könntest du und Pippin vielleicht etwas auf meine Familie Acht geben und Rosie vielleicht etwas zur Hand gehen? –Nur solange ich fort bin, ihr würdet mir da sehr helfen."
Merry nickte und lächelte leicht. "Natürlich Sam, ich habe nichts dagegen, und ich denke, auch Pippin wird wohl einverstanden sein. Vielleicht wird auch mal einer von uns für einen Tag nach Hause gehen, aber ich versichere dir, es wird immer jemand bei Rosie und den Kindern sein, wenn du das möchtest." Sam umarmte ihn und wirkte sehr erleichtert. "Ach, was würde ich nur ohne euch alle tun?"
Sam verließ Frodos Grab wieder und kehrte zurück in die Hobbithöhle. Er war erleichtert, dass Merry nicht mehr böse auf ihn war und das er sich sogar noch dazu bereit erklärt hatte mit Pippin auf Rosie und die Kinder aufzupassen.
Merry sah Sam nach, als dieser wieder in seine Behausung ging und setzte ein bedrücktes Gesicht auf. Er war nicht böse auf Sam, er machte sich eher Sorgen um ihn. Nicht die Reise nach Minas Tirith, die Sam vor sich war es, die Merry das Herz schwer werden ließ, sondern viel mehr, weil Sam es einfach nicht zulassen wollte, dass die Hoffnung aus seinem Herzen wich. Merry wusste, dass auch der Weg nach Gondor nicht ungefährlich war, aber wirklich große Gefahren gab es nicht mehr, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Eigentlich war es auch nicht so sehr die Hoffnung, die Merry dazu veranlasste sich um Sam zu sorgen, sondern eher die Reaktion von Sam, wenn auch diese wohl letzte Hoffnung von Sam, zerschlagen würde...
Merry wusste nämlich, dass Sam noch einen Grund hatte nach Gondor zu gehen, und dieser war weitaus bedeutender für ihn als die anderen, die er bisher genannt hatte. Sam wollte sich noch immer nicht mit Frodos Tod abfinden, und er setzte all seine letzte Hoffnung in Gandalf. Merry vermutete, dass Sam im Stillen hoffte Aragorn würde vielleicht wissen, wo sich der Zauberer aufhält, oder der Zauberer würde vielleicht sogar selbst in der Stadt sein. Sam hoffte mit Sicherheit, dass Gandalf etwas wusste, dass die Situation ändern könnte, die ihm das Herz so schwer machte, denn der Zauberer war einmal von den Toten zurückgekehrt. Und dieser Umstand machte es möglich, dass Sam so entschlossen war nach Gondor zu gehen und immer noch hoffte. Und er klammerte sich an diese letzte Hoffnung, wie ein ertrinkendes Tier an einen Strohhalm.
Merry überlegte, ob er seinen Freund hindern sollte diese Reise anzutreten, oder ob er etwas über seine Vermutung sagen sollte. Doch was würde es bringen? Sam würde sich mit Sicherheit nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen, er würde die Hoffnung so lange nicht aufgeben, bis Gandalf selbst sie zerschlagen würde, und Merry war sich fast sicher das dies geschah. Und ihn quälte die Vorstellung, wie bitter das für Sam sein würde, denn dann gab es nichts mehr, dann musste sich Sam wirklich mit Frodos Tod abfinden, so schmerzlich das auch sein würde.
Sam berücksichtigte gar nicht, dass als Gandalf den Tod fand, es etwas ganz anderes war, als es jetzt bei Frodo der Fall war. Gandalf war zurückgeschickt worden, weil er noch eine Rolle zu spielen hatte, er war mächtig und konnte etwas bewirken, er war im Stande das Schicksal in eine andere Richtung zu lenken und das war ihm auch durch seine Rückkehr, damals im Ringkrieg gelungen. So schwer es Merry auch viel, als er darüber nachdachte, er wusste, dass es bei Frodo etwas ganz anderes war.
Merry lächelte verbittert, als er feststellte, dass es bei Gandalfs Rückkehr einen wahren Grund gegeben hatte. Doch welchen gab es bei Frodo? So schwer es auch war, sich das einzugestehen, Frodo war nur ein Hobbit, und die Zeiten verlangten keine großen Taten mehr von ihm. Früher war er der Ringträger gewesen, aber heute war nur ein Hobbit. Es war ungerecht, was Frodo passiert ist, keine Frage, doch vieles war ungerecht in der Welt und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
Merry kniete sich vor Frodos Grab und sah bedrückt auf den kleinen Erdhügel. "Hast du das mitbekommen? Nur ein Hobbit...
Und trotzdem warst du etwas ganz besonderes, Frodo. Wenn ich es auch nicht zugeben will, so hoffe ich doch, dass ich mit meinen Überlegungen über Gandalfs Rückkehr unrecht habe, und dass Sam vielleicht etwas findet. Von ganzem Herzen wünsche ich Sam, dass er bei Gandalf, wenn er ihn dann trifft, etwas findet, was ihm, dir und uns allen hilft. Wenn ich auch nicht ganz weiß, was das sein sollte, auch in mir will die Hoffnung noch nicht sterben. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut so, denn die Hoffnung ist manchmal das Einzige, was einem noch bleibt."
Merry blickte wehmütig auf Frodos Grab und erhob sich dann langsam wieder. Er folgte Sam in die Höhle und traf Pippin, der mit dem kleinen Frodo und jetzt auch mit Rose auf dem Arm, ihm entgegen kam. Merry lächelte und streichelte den kleinen Frodo, der daraufhin sofort Anstalten machte, bei Merry auf den Arm zu gehen.
Merry nahm den Kleinen und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze um ihn zu necken. Dann blickte Merry zu Pippin, der Rose hin und her wiegte, während der kleine Frodo fröhlich quietschte.
"Hast du von Sam gehört, dass wir...", begann er, doch Pippin fiel ihm sofort ins Wort.
"Ja, habe ich. Er hat mich schon gefragt, ob es mir recht ist, wenn ich zusammen mit dir bei seiner Familie bleibe. Ich habe nichts dagegen."
Merry atmete hörbar auf. "Gut, ich hatte schon Angst, voreilige Entscheidungen für dich getroffen zu haben."
"Nein, hast du nicht, es war schon alles richtig so. Außerdem müsstest du mich lange genug kennen, um zu wissen, dass ich so eine Bitte nicht abschlagen würde!" Pippin lächelte und sah Rose an, die mit ihren kleinen Fingerchen an einem Knopf seiner Weste spielte. "Sam ist schon am Packen, ich hoffe nur, dass er heil in Gondor ankommt. Ich finde es eigentlich nicht so gut, dass er so ganz alleine geht."
"Ich glaube nicht, dass was passiert. So lange er sich nicht verläuft, oder das Wetter schlecht wird... Das einzige, worüber ich mir ernstlich Gedanken mache, ist dass er vielleicht..."
"Was denn?" Pippin sah Merry aufmerksam an, und wunderte sich über die Unterbrechung.
Merry dachte an Gandalf , aber er wollte eigentlich nicht sagen was ihm durch den Kopf ging. Deshalb blickte er zu Pippin und meinte nur: "Ach nichts, ist nicht so wichtig, es wird schon alles gut gehen."
"Trotzdem bin ich besorgt, dass er so ganz alleine ist, Merry."
Merry überlegte eine Weile und sah dann Pippin mit überlegtem Gesichtsausdruck an. "Vielleicht muss er ja gar nicht alleine gehen, Pippin, komm mal mit, ich glaube, ich habe da eine Idee!"
Verdutzt lief Pippin hinter Merry her, der mit schnellen Schritten die Höhle verließ. Pippin hatte immer noch Rose auf dem Arm und Merry den kleinen Frodo. Elanor fasste Pippin an einen Zipfel seiner Weste und folgte den Beiden dann hinaus.
Sam war gerade mit Rosie in der Küche und packte Verpflegung für seine Reise ein. Kuchen, Brot und Äpfel wurden ordentlich verpackt und in einem ledernen Rucksack verstaut. Sam entschloss sich, nur eine kleine Flasche Wasser mitzunehmen, denn auf dem Weg nach Minas Tirith gab es genügend klare Bäche und Flüsse, wo es möglich war, seinen Durst zu stillen.
Sam lief in der Küche hektisch hin und her und verspürte im Moment keine Trauer. Merry hatte recht mit seiner Vermutung über Gandalf, alle Hoffnung die Sam noch hatte, setzte er in den Zauberer. Sam wollte das eigentlich gar nicht, denn auch ihm war es wohl bewusst, dass es gut möglich war, dass er nur wieder eine bittere Enttäuschung erfahren würde. Sam fragte sich mehrere Male, auf was er eigentlich hoffte. Was erwartete er eigentlich von Gandalf, wenn er ihn überhaupt traf, denn auch das stand noch in den Sternen. Der Zauberer konnte genauso gut in Rohan, Düsterwald oder sonst wo sein. Und selbst wenn er ihn traf... Was sollte Gandalf eigentlich tun?
Sam wusste es nicht. Er wusste nur, dass sein Herz im Moment leicht und hoffnungsvoll war, wenn er an Gandalf dachte, und dieses befreiende Gefühl der Hoffnung wollte er sich in diesem Moment nicht nehmen lassen, denn es war so schön die Verzweiflung von der Hoffnung verdrängen zu lassen, und wenn es auch nur für kurze Zeit war.
Es war erleichternd für Sam nicht zu weinen und nicht dieses elende Gefühl in der Magengegend zu haben. Und es war für Sam eine große Erleichterung das Gefühl zu haben, endlich etwas tun zu können. Nicht tatenlos sein zu müssen, sondern endlich eine Aufgabe vor Augen zu haben, ermutigte ihn und ließ ihn sich besser fühlen.
Im Moment war von Trauer nicht viel zu sehen, Sams Augen waren kleiner als gewöhnlich, immer noch hatte er leichte Kopfschmerzen vom vielen Weinen, aber zur Zeit störte ihn das alles nicht.
Sam war in nicht mehr als einer halben Stunde fertig mit packen. Er hatte alles zusammengesucht, was er für wichtig hielt, und stellte fest, dass er die ganzen Taschen, Beutel und Rucksäcke bei Weitem nicht alleine tragen konnte. Mit gerunzelten Augenbrauen und einem kritischen Blick sah er hilfesuchend zu Rosie, die nur ahnungslos den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte.
Plötzlich hörte Sam Hufgetrappel und sah verdutzt zur Tür. Wo waren eigentlich Merry, Pippin und die Kinder? Er hatte sie schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Er ging, immer noch mit einem verdutzten Gesichtsausdruck in Richtung Tür und öffnete sie.
Draußen fand er Merry, der Rose auf einem Arm hielt und die Zügel eines Ponys in der anderen Hand. Dahinter stand Pippin, der Elanor und Frodo fest hielt, die beide auf dem Rücken des Tieres saßen und völlig übermütig waren.
"Was habt ihr denn da", fragte Sam und blickte fassungslos drein.
Merry lächelte. "Das ist Flocke, eigentlich heißt sie Schneeflocke, aber sie hört entweder auf den Namen Flocke oder Flöckchen. Pippin und ich möchten dich doch nicht so ganz alleine auf so einer Reise lassen und da du uns nicht mitnehmen möchtest, geben wir dir Flocke an deine Seite. Sie ist ein liebes Tier und wird dir gewiss ein treuer Gefährte sein." Er streichelte dem Pony über die Nüstern. Sam blickte immer noch erstaunt auf Flocke, die jetzt genüsslich zu grasen begann.
Die Stute war fast schneeweiß, nur der Bereich um ihre Nüstern herum, ihre Mähne und Schweif und ein kleines Stück oberhalb der Hufen waren pechschwarz. Sie hatte große, dunkle Augen und schien gut genährt und kräftig zu sein.
Sam entfuhr ein Ausruf des Erstaunens und der Überraschung. "Wo habt ihr sie her", fragte er und streichelte das Tier am Kopf.
"Sie ist eigentlich nur geliehen, kann man so sagen. Ihr Besitzer ist zufällig ein guter Bekannter von mir und mit uns hier nach Hobbingen gekommen. Er will sie hier verkaufen, aber er hat gesagt, er wartet damit noch ein bisschen, wenn wir sie brauchen", sagte Merry und zog das Pony sanft an den Zügeln, weil es schon fast eine kahle Stelle in das Gras vor Sam und Rosies Höhle gefressen hatte.
"Ja, er hat sie uns überlassen. Wir dachten weil du kein Pony hast, seit der gute Lutz tot ist, wird dir Flöckchen bestimmt recht dienlich sein. Sie ist rundum ein liebes und geduldiges Tier, ihr einziger Nachteil ist ihr großer Hunger." Pippin grinste bei diesen Worten. "Na ja, was heißt Nachteil, sagen wir, sie ist uns Hobbits in gewisser Weise sehr ähnlich."
Sam hatte immer noch einen sehr fassungslosen Gesichtsausdruck, und Pippin schien das zu amüsieren. "Wieso sitzt ihr eigentlich auf Flocke", fragte er Frodo und Elanor mit einem Lächeln und die Kinder schienen äußerst vergnügt.
"Flocke gibt ein besseres Pferd ab, als ich", beantwortete Pippin die Frage und hielt Frodo fest, der fast vom Rücken des Ponys heruntergerutscht wäre.
"Das glaube ich" bestätigte Sam. "Also ich bin wirklich sprachlos, wie kann ich euch für all das danken", fragte Sam und errötete leicht im Gesicht.
"Komm nur einfach heil nach Gondor und wieder zurück", meinte Merry entschlossen.
Sam nickte "Ich gebe mir Mühe".
Rose begann plötzlich auf Merrys Arm zu weinen und Rosie ging mit ihr hinein, um sie zu füttern. Elanor und Frodo ließen sich in keiner Weise von Flocke runterholen, sie bestanden darauf, noch eine Runde auf ihr zu reiten, und so führte Pippin Flocke und die Kinder im Garten umher, während Merry Sam half das Gepäck nach draußen zu tragen, damit sie es dann auf Flocke laden konnten.
"Und du bist dir wirklich sicher, dass du ganz alleine gehen willst", fragte Merry noch einmal und spielte erneut mit dem Gedanken Sam auf seine Vermutung mit Gandalf anzusprechen.
"Ich bin ja nicht allein, ich habe jetzt Flocke".
"Sam, du weißt, was ich meine, bist du dir sicher ganz alleine nach Gondor zu wollen?"
Sam wusste sehr wohl, was er meinte, aber er wollte nicht wieder eine derartige Diskussion. "Ja, Merry, ich bin mir sicher. Ich möchte allein sein, ich brauche etwas Abstand. Von allem."
Merry nickte. "Du gehst nicht zufällig dahin, weil du hoffst, dass...", er biss sich auf die Lippen, das hatte er doch gar nicht sagen wollen.
"Was?"
"Ach nichts, vergiss es. Ist nur so eine Vermutung von mir, lass uns Flocke beladen", lenkte Merry schnell ab.
Die Kinder ließen sich protestierend vom Pony heben und Flocke war innerhalb von ein paar Minuten beladen und abreise fertig. Der kleine Frodo fragte mehrere Male, ob er denn nicht mit nach Gondor gehen dürfte und war sehr enttäuscht, als Sam immer wieder den Kopf schüttelte.
Sam überlegte, ob er auch wirklich alles hatte was er brauchte, doch ihm wollte nichts einfallen, was noch unbedingt nötig gewesen wäre und so war er schließlich endgültig fertig und bereit zu gehen.
Rosie kam wieder mit Rose heraus um sich zu verabschieden. Obwohl sie es nicht wollte hatte sie doch etwas feuchte Augen bei dem Gedanken, dass Sam nun ganz alleine für Wochen unterwegs sein würde. Pippin nahm kurz Rose auf seinen Arm, damit Sam sich von Rosie richtig verabschieden konnte.
Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. "Sei bitte vorsichtig, ich und die Kinder brauchen dich", hörte Sam seine Frau leise flüstern. Sam gab ihr einen Kuss auf den Mund und streichelte ihr einmal über das Haar. "Ich komme schon zurück, hab keine Angst."
Dann streichelte er Roses kleine, rote Pausbäckchen und steckte einmal seinen Finger in ihre Hand. Sie griff sofort danach und begann ein paar quietschende Laute auszustoßen. Rosie lächelte und nahm sie Pippin ab, damit auch er sich von Sam verabschieden konnte.
Sam umarmte ihn. "Ich danke dir, dafür, dass du hier bleibst und für alles, was du getan hast." Pippin nickte und lächelte.
"Ähm, Sam?"
"Ja, was ist denn?"
"Warte mal ganz kurz."
Sam blickte erwartungsvoll drein und beobachtete Pippin, der nach Drinnen verschwand und kurz darauf mit Stich, Frodos altem Schwert, zurückkam.
"Nimm das bitte mit, man kann ja nie wissen... Ich habe es vorhin zufällig gefunden, es lag auf dem Boden. Es muss wohl aus einem kleinen Schrank gefallen sein, der umgestürzt war. Ich kam gerade rechtzeitig, bevor der Kleine es gefunden hätte." Er deutete mit seiner Hand auf den kleinen Frodo.
Sam schluckte, er ahnte schon, was für ein Schrank das war aus dem das Schwert herausgefallen war. Mit Sicherheit war es der kleine Schrank, den Sam hochgehalten hatte und unter dem Rosie das Wasser weggewischt hatte, als Elanor ins Zimmer gelaufen kam, nachdem Frodo vom Baum gefallen war. Als Sam ihn dann in der Panik hatte fallen lassen, war das Schwert vermutlich herausgefallen.
Als Sam Stich sah, musste er sofort an Frodo denken, wie er es oft in der Hand gehalten hatte, um sich gegen irgendwelche drohenden Gefahren zu verteidigen. Sam wollte es eigentlich nicht nehmen, doch er sah Pippins bittenden Blick und beschloss, es zwar mitzunehmen, aber so bald wie möglich in irgendeine Tasche zu stecken, damit er es nicht ständig sehen musste. Viel zu sehr würde es ihn sonst an seinen Freund erinnern...
Sam betrachtete sich das Schwert kurz und nahm es dann mit einem Nicken entgegen.
Dann verabschiedete sich Sam von Merry und auch er wurde, wie alle anderen, von Sam umarmt. "Auch dir vielen Dank für alles!" Merry klopfte ihm auf den Rücken. "Schon gut."
Dann verabschiedete Sam sich noch von dem kleinen Frodo und Elanor, indem er sie beide einmal auf den Arm nahm und jedem einen Kuss auf die Wange drückte. "Aber ich will nicht, dass du weg gehst Papi", sagte Elanor und schluchzte.
"Ich komm doch bald wieder, so lange passt du auf deine Geschwister und deine Mutter auf, du bist doch mein großes Mädchen." Elanor lächelte, damit gab sie sich dann zufrieden.
Sam nahm Flockes Zügel in die Hand und begann durch den Garten in Richtung Straße zu gehen. Im vorbeigehen sah er noch auf seine roten Rosen, die langsam am abblühen waren. Nur noch eine Blüte stand in voller Pracht. Er übergab Merry noch einmal kurz die Zügel des Ponys und eilte zu dem Rosenbusch hinüber. Er pflückte die letzte Blüte und ging zu Frodos Grab. Wieder kniete er sich davor und legte die Blüte auf den Erdhügel. "Hier, Herr Frodo, die ist für dich", sagte er und atmete einmal tief durch. Er blieb noch für einen kurzen Moment davor knien und starrte auf die wunderschöne Blüte, die auf dem schwarzen, trostlosen Boden regelrecht zu leuchten schien. Dann erhob er sich wieder und klopfte sich den Sand von den Knien. Bevor er sich umdrehte und davon ging, murmelte er noch "Tschüss, Herr Frodo".
Merry, Pippin, Rosie und die Kinder begleiteten Sam noch bis vor die Strasse.
"Bis bald" sagte Sam und setzte sich mit Flocke an der Zügel langsam in Bewegung, die Strasse hinunter.
Plötzlich drehte er sich noch mal um und sah zurück. "Und kommt nicht auf die Idee den Apfelbaum abzuernten, dieses Jahr sollen die Vögel die Äpfel haben," sagte er wehmütig und betrachtete noch einmal den großen Baum mit den prächtigen Äpfeln daran.
Alle sahen ihn an und nickten nur stumm. Sam drehte sich langsam wieder um und setzte seinen Weg fort, die Strasse entlang. Merry, Pippin, Rosie und die Kinder winkten ihm noch hinterher, so lange, bis er ihrem Blickfeld entschwand.
Sam sah ihn an und seine Augen weiteten sich vor Entsetzten. "Nein, Herr Frodo etwas schreckliches wird geschehen, wenn wir das tun!"
Frodo lächelte und ging in Richtung Ausgangstür. Sam lief hinterher und packte ihn am Arm. "Hast du nicht gehört was ich gesagt habe, es wird etwas schreckliches passieren, wenn du das tust. Du wirst sterben, bleib stehen!"
Frodo lächelte nur und ging weiter. "Bleib stehen, du sollst stehen bleiben. Warum hörst du nicht auf mich? Bleib doch stehen!"
Frodo ging immer weiter und ließ sich nicht aufhalten, er lächelte nur, als Sam verzweifelt versuchte ihn aufzuhalten. Er ging hinaus in den Garten, auf den Apfelbaum zu, an dem eine Leiter lehnte.
"Herr Frodo, was tust du denn? Komm zurück, geh nicht auf die Leiter!"
Sam schrie so laut er konnte, aber Frodo reagierte gar nicht. Er lächelte nur und ging immer weiter. "Herr Frodo", hörte Sam sich immer wieder sagen und als er sah, wie Frodo die Leiter bestieg, krampfte sich sein Magen zusammen.
Sam schrak hoch. Schweißgebadet und schwer atmend. Seine Locken klebten an seiner Stirn und seine Haut glänzte. Sein Hals war trocken und dieses elende Gefühl war noch immer nicht verschwunden. Für einen Moment wusste er überhaupt nicht, wo er war und er erfasste mit hektischem Blick die Gegend. Das Schlafzimmer. Vor dem Fenster war die Gardine nicht zugezogen und Sam sah einen dunkelblauen Himmel, der ganz langsam immer heller wurde. Der Hobbit wischte sich mit seiner Hand den Schweiß von der Stirn und betrachtet sich immer noch die Umgebung. Rosie lag in ihre Decke gehüllt schlafend hinter ihm und schien nichts bemerkt zu haben.
"Ein Traum", fuhr es Sam durch den Kopf. "Nur ein Traum."
Er ließ sich in sein Kissen zurücksinken und blieb mit geöffneten Augen liegen. "Das eben war nur ein Traum", murmelte er vor sich hin und seine Augen weiteten sich. Vielleicht war ja alles nur ein Traum! Vielleicht war er eingeschlafen und hatte alles nur geträumt, vielleicht hat es den gestrigen Tag nie gegeben!
Sam stand auf und lief aus dem Schlafzimmer. Er bemühte sich kein lautes Geräusch zu machen, um Rosie nicht zu wecken. Der Hobbit schlich durch den Flur und blieb vor Frodos Zimmer stehen. Er wollte die Tür öffnen, doch die Aufregung hielt ihn davon ab. Sein Herz hämmerte wie wild und seine Hände begannen zu zittern. "Bei den Valar, lass ihn jetzt in seinem Bett liegen, lass mich den gestrigen Tag nur geträumt haben!" Er schluckte schwer und er hatte Angst, dass die ganze Hoffnung, die er im Moment verspürte, vielleicht umsonst war. Er blickte sich noch einmal um. Es war noch alles still in der Hobbithöhle, es war ja auch erst sehr früh am Morgen. Sam schloss die Augen und hoffte, dass würde die Chancen erhöhen, Frodo in seinem Bett, friedlich schlafend vorzufinden. Langsam öffnete er die Tür, trat ins Zimmer und öffnete dann vorsichtig die Augen.
Sam ließ sich schluchzend gegen die Wand fallen und blieb halb liegend, halb hockend auf der Erde liegen. All seine Hoffnung hatte sich zerschlagen, und er musste wieder feststellen, dass Frodos Tod unabänderlich war. Diese erneute Erkenntnis schmerzte so sehr, dass er das Gefühl hatte nicht mehr atmen zu können. Er weinte laut und ihm war es gleich, ob die anderen es hörten, oder nicht.
Frodos Zimmer sah noch genauso aus, wie er es verlassen hatte. Das Bett war leer. Die Kissen von der Kissenschlacht lagen immer noch an genau der selben Stelle, wo sie hingefallen waren und der Gedanke an dieses lustige Spiel, das auch Frodo so viel Freude bereitet hatte, ließ Sam einen regelrechten Weinkrampf bekommen. Frodos Decke lag zusammengerollt auf dem Boden. Kleidungsstücke von Frodo waren auf dem Fußboden verteilt und die Vorstellung, dass Frodo sie noch vor Kurzem getragen hatte, waren so schmerzlich für Sam. Er krabbelte über den Boden und hob eine Weste von Frodo auf. Er betrachtete sie sich, doch konnte er kaum etwas erkennen, denn seine Augen waren so voller Tränen. Er nahm die Weste und drückte sie fest an sich und große Tränen tropften aus seinen Augen und ließen die Weste feucht werden. "Es tut mir so leid, Herr Frodo, ich habe Schuld, dass dir das passiert ist. Komm doch bitte wieder zurück! Ich wünsche mir so sehr, dass du wieder zurückkommst."
Sam saß eine ganze Weile so auf dem Boden und hielt die Weste umklammert. Der Duft von Seife und Blüten stieg ihm in die Nase und er sog ihn in vollen Zügen ein, denn es war Frodos Geruch, der von seiner Weste ausging. Für einen Moment war es fast so, als würde Frodo in Sams Nähe sein, und Sam genoss diesen kurzen Moment so sehr er nur konnte.
Plötzlich kam Rosie völlig verschlafen, aber dennoch irgendwie aufgeregt ins Zimmer. Sie war von Sams Weinen geweckt worden und sah sehr besorgt aus. "Sam, was ist denn los, du machst mir Angst!"
Sie blickte auf ihren Mann, der immer noch die Weste umklammert hielt und kläglich schluchzte. Sie begriff, dass Sams Trauer einfach nicht anhalten wollte und sie kniete sich vor ihn auf den Boden. Sam umklammerte seine Frau an der Hüfte und lag auf dem Boden. Er war völlig aufgelöst und konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Rosie legte ihm ihre Hand auf den Kopf, der in ihrem Schoß lag, und auch ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie sorgte sich um Sam, sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen konnte und das war ein sehr unbehagliches Gefühl.
Auf einmal hörte man Elanors Stimme, die noch sehr müde aussehend aus ihrem Zimmer schwankte. Merry und Pippin kamen, warfen nur einen Blick in den Raum und Merry begriff sofort, was vorgefallen war. Noch ehe Elanor das Zimmer erreichen konnte wies er sie an, im Flur stehen zu bleiben und auf ihre Mutter zu warten. "Aber was ist denn los", fragte die Kleine noch, aber er antwortete ihr nicht, sondern war schon auf dem Weg in Frodos Zimmer, indem Rosie immer noch mit Sam auf der Erde saß.
Pippin lief hinterher und auch er sah nun, was los war. Merry kniete sich zu Rosie auf den Boden. "Los, kümmere dich um Elanor. Sie soll nicht sehen, was hier geschieht. Das wäre nicht gut."
Rosie sah ihn nur etwas fragend an, doch Merry blickte entschlossen zurück. "Los jetzt geh! Ich bleibe bei Sam."
Rosie stand auf, wischte sich ihre Tränen weg und eilte zu Elanor in den Flur. Dann nahm sie die Kleine an die Hand und verschwand mit ihr in der Küche.
Pippin schloss die Tür und Merry begann Sam vom Boden hochzuziehen. Der Hobbit schluchzte heftig und sackte immer wieder auf die Erde zurück. Erst, als Pippin hinzukam und sie Sam, jeder von einer Seite stützten, schafften sie es, ihn auf das Bett zu setzen. Pippin sah Sam wehmütig an, der sich immer noch nicht von Frodos Weste lösen konnte. Dann sagte Merry an Pippin gewand: "Vielleicht solltest du mal zu Rosie gehen und nachschauen, ob sie Hilfe braucht."
Pippin nickte nur und verließ dann den Raum, nachdem er Sam noch einmal mitfühlend auf die Schulter geklopft hatte.
Merry lief vor Sam auf und ab und für eine Weile sagte niemand etwas. Dann begann Merry mit dem Gespräch. "Verdammt Sam, glaub mir ich verstehe dich nur allzu gut, aber so etwas darfst du nicht machen! Rosie hat Angst um dich, die Kinder würden so einen Anblick von dir nur schwerlich verkraften, und du schadest dir doch nur selbst."
"Aber ich kann doch nichts dafür", war die klägliche Antwort, die er darauf bekam.
"Sam, so kann es nicht weiter gehen. Sicher, Frodos Tod ist für uns alle schwer, ich möchte nicht bezweifeln, dass er dich am härtesten getroffen hat, aber wir müssen uns alle damit abfinden, wenn es uns auch schwer fällt. Du hast eine Familie, Sam. Du darfst sie nicht im Stich lassen, sie brauchen dich, du darfst jetzt nicht zusammenbrechen! Das Leben geht weiter, für dich und für alle anderen auch."
Sam sah Merry an, und Merry wusste, dass Sam seinen Worten in diesem Moment nicht viel Glauben schenkte. Merry kniete sich vor Sam und wartete, bis dieser ihm in die Augen sah.
"Frodo hätte das nicht gewollt, Sam. Er würde es nicht wollen, dass du vor lauter Trauer um ihn zerbrichst!"
Sam sah seinen Freund an und diese Worte schienen in der Tat etwas in Sam zu bewegen. Dann sah er betrübt auf die Weste, die er in seiner Hand hielt.
"Vielleicht hast du ja recht, Merry", murmelte er.
"Nicht vielleicht. Bestimmt sogar. Das ist jetzt vielleicht ein törichtes Bespiel, aber wenn ich sterben würde, dann würde ich wollen, dass die, die ich zurücklasse, nicht zu sehr um mich trauern. Ich würde wollen, dass es ihnen gut geht und das sie ihr Leben genießen."
Sam lächelte schwach und umarmte Merry. "Ich danke dir und Pippin, dass ihr hier seid."
Merry lächelte "Schon gut, Sam."
Der kleine Frodo war, kurz nachdem Rosie mit Elanor in der Küche verschwunden war, aufgewacht und hatte sofort mit einem Juchzen und Quengeln auf sich aufmerksam gemacht. Als Pippin, der kurz nach Rosie und Elanor den Flur betrat das hörte, machte er sofort einen Abstecher in sein Zimmer und nahm den Kleinen mit in die Küche. Auf dem Weg dorthin zeigte Frodo ihm drei mal wie groß er schon war und erklärte ihm, dass er diese Nacht viel gewachsen wäre. Pippin lächelte und brachte den Kleinen zu Rosie und Elanor in die Küche. Rosie stand mit einem Geschirrtuch in der Hand vor dem Abwaschbecken und sah in die Runde. "Es ist zwar noch so früh, aber da wir ja so wieso alle wach sind, können wir auch gleich frühstücken."
Der kleine Frodo nahm sich einen Apfel, der auf dem Tisch lag und benutzte ihn als Ball, während Rosie und Pippin anfingen den Tisch zu decken. Kurz bevor sie fertig waren betraten dann Sam und Merry die Küche und Sam hatte nun einen ruhigen Gesichtsausdruck, der Rosie die Sorgen um Sam etwas vergessen ließen. Sam stand mitten im Raum, hinter ihm war Merry und Rosie stand vor dem Tisch und sagte nun: "Das Frühstück ist fast fertig, setzt euch doch schon mal an den Tisch."
Der kleine Frodo blickte fröhlich drein und sagte mit freudiger Stimme: "Darf ich Onkel Frodo wecken?"
Sam wich alle restliche Farbe aus dem Gesicht und er versuchte mit Mühe die gerade gewonnene Fassung zu behalten. Merry schloss für einen Moment die Augen und sah auf den kleinen Frodo, der nicht im geringsten wusste, was er mit diesen Worten gerade ausgelöst hatte. Rosie blieb mitten im Raum mit einem Teller stehen und starrte abwechselnd zu ihrem Sohn und zu ihrem Mann. Auch Elanor sah nur auf ihren Vater und war unfähig etwas zu sagen.
Pippin ließ bei Frodos Worten ein Brett fallen, dass laut scheppernd zu Boden fiel. Sam drehte sich um und stürmte aus der Küche, er rannte den Flur entlang und öffnete die Eingangstür nicht gerade sanft. Dann blieb er stehen und atmete die kühle Luft, des Morgens ein. Er schloss die Augen und versuchte die Traurigkeit zu unterdrücken. Er schluckte schwer und fuhr sich unwirsch mit der Hand durch die Haare.
Rosie senkte betrübt den Kopf, der kleine Frodo hatte noch nicht verstanden, dass sein Onkel nicht mehr da war und er verstand ebenso wenig, wieso sein Vater plötzlich davon gelaufen war. Der Kleine rieb sich traurig mit den Händen in den Augen und sah seine Mutter fragend an.
Rosie ging zu ihrem Sohn und nahm ihn in den Arm. "Onkel Frodo ist jetzt woanders, mein Kleiner. Du kannst ihn nicht mehr wecken."
"Wann kommt er denn wieder?"
Rosie sah ihn an und streichelte ihn liebevoll über seine Wange. "Er kommt nicht mehr wieder, mein Schatz."
"Wieso nicht?"
"Er ist weit weg und kann nicht mehr zurückkommen." Pippin sah ihn betrübt an und Merry unterhielt sich mit Elanor über ihren Schlafanzug.
Der kleine Frodo wusste zwar nicht, wieso sein Onkel weggegangen war, oder warum er nicht wieder kam, aber ihn interessierte das Essen, was Rosie auf den Tisch gestellt hatte bald mehr und sie war äußerst dankbar dafür.
Sam fand sich, ohne recht zu wissen, dass er überhaupt da hingegangen war, an Frodos Grab stehen und blickte gedankenverloren darauf. Wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass Frodo in dieser Stunde, aber einen Tag zurück noch gelebt hatte und fröhlich und lebenslustig gewesen war.
Der Gedanke, dass Frodo jetzt unter dem kleinen schwarzen Erdhügel lag, wo es kalt und dunkel war ließ ihn erschauern und er senkte traurig den Kopf und kniete sich vor Frodos Grab. Er schwieg und starrte erst zweifelnd auf den aufgeschütteten Hügel, doch dann tat er, was er vorhatte, aber sich irgendwie nicht recht traute.
"Hallo, Herr Frodo", begann er leise zu sagen. Sams Kehle begann wieder zu brennen, genauso, wie seine Augen und er strich sich etwas wütend die Tränen aus den Augen, er wollte doch nicht mehr weinen, er wollte sich doch Merrys Worte zu Herzen nehmen. Immer wieder dachte er daran, dass Merry mit seiner Behauptung durchaus recht hatte, als er gesagt hat, Frodo würde nicht wollen, dass er an seinem Tod zerbricht.
Für einen Moment kniete Sam einfach nur da und sah auf den kleinen Erdhügel, und hätte ihn jemand beobachtet, hätte er gedacht, Sam würde auf eine Antwort warten. "Merry hat gesagt, ich soll nicht mehr so sehr um dich trauern, du würdest es nicht wollen." Der Hobbit lächelte verbittert, doch sofort verzog sich sein Mund wieder und Sams Augen wurden gegen seinen Willen wieder feucht. "Aber es fällt mir so schwer, Herr Frodo. Es fällt mir doch so schrecklich schwer..."
Sam sank in sich zusammen und wieder schüttelte ihn ein Weinkrampf. Er versuchte dagegen anzukämpfen und rief sich immer wieder Merrys Worte ins Gedächtnis, doch es verursachte bei ihm nur Bauchschmerzen und ein elendes Gefühl. Die Tränen schienen sich scheinbar durch nichts zurückhalten zu lassen, sie strömten über seine Wange und betropften seine Weste und einige schafften es sogar den Boden zu befeuchten.
"Ich weiß ja nicht, ob du mich jetzt hören kannst, aber wenn es so sein sollte, dann möchte ich dir nur sagen, dass du mir sehr fehlst. Es ist kaum ein Tag her, dass du..." Er hielt inne und atmete tief durch.
"... von uns gegangen bist und schon jetzt kommt es mir vor wie hundert Jahre. Merry sagt, ich soll meine Familie nicht im Stich lassen, dass habe ich auch gewiss nicht vor Herr Frodo, aber du fehlst mir so sehr. Und dann denke ich immer es ist meine Schuld, dass alles so gekommen ist, wenn ich nur ein bisschen was anders gemacht hätte, dann könnten wir beide jetzt da drinnen sein." Er deute auf die Hobbithöhle und blickte dann wieder aufs Grab. "Hätte ich nur nicht den Eimer auf der Wiese liegen gelassen, oder hätte ich die andere Leiter genommen... Es wäre so einfach gewesen, wenn ich es doch nur vorher gewusst hätte. Dann könnten wir jetzt beide bei Rosie und den Kindern am Tisch sitzen und wären glücklich. Und der kleine Frodo hätte dich wecken können, so wie er und Elanor es immer getan haben. Dann müsste ich jetzt hier nicht sitzen und du müsstest da unten nicht liegen."
Sam wischte sich sein nasses Gesicht ab berührte die Erde, die den Hügel bildete. Ein frischer Wind ließ ihn die Tränen kalt auf seiner Haut spüren und ließ die Blätter des großen Apfelbaumes rascheln.
"Herr Frodo wenn es eine Möglichkeit gäbe das rückgängig zu machen, was geschehen ist, ich würde es tun. Mir wäre kein Preis zu hoch dafür, aber ich kann nichts tun. Und das verbittert mich so. Wenn ich daran denke, wie es für mich war, als du aus Valinor zurückgekehrt bist, was würde ich dafür geben um das jetzt noch mal erleben zu dürfen! Was würde ich nicht dafür geben um diese Freude über dein Zurückkommen noch mal zu spüren."
Sam wartete wieder einen zeitlang und dann stand er plötzlich auf. "Aber es hat keinen Sinn, du kommst nicht zurück, dieses mal nicht, und nichts in der Welt wird das wohl ändern können. Ich werde aber öfter zu dir ans Grab kommen, dann bist du nicht immer so allein da unten." Er schluchzte einmal laut und schloss die Augen. "Immerhin liegst du ja jetzt meinetwegen da unten und bist allein." Sam öffnete seine Augen wieder und drehte sich langsam um. Traurig setze er einen Fuß vor den anderen und machte sich auf den Weg zurück in die Höhle, dabei flüsterte er "Verzeih mir, Herr Frodo."
Er ging wieder in die Hobbithöhle hinein und versuchte alle Spuren, die darauf hindeuteten, dass er wieder geweint hatte, zu entfernen. Als er die Küche erneut betrat, saßen alle schweigend am Tisch und sahen ihn mitleidig an. Sam sah sofort Rosies besorgtes Gesicht und noch ehe sie etwas von sich geben konnte, sagte er: "Keine Sorge, mir geht es gut, es ist alles in Ordnung."
Obwohl es ihm niemand so recht glauben wollte, begannen sie nun endlich mit dem Frühstück. Wieder verlief die Malzeit voller Schweigen und Sam saß eigentlich mehr der Anwesenheit halber am Tisch, als dass er seinen Hunger, den er gar nicht hatte, stillte.
"Das Wetter ist heute sehr schön", bemerkte Pippin in einer Minute, die so still war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle sahen ihn an und nickten, doch jeder wusste, dass er eigentlich nur die Ruhe unterbrechen wollte. Das gelang ihm auch, denn der kleine Frodo war so fröhlich, dass endlich ein Wort gesagt wurde, dass er aufgeregt mit den Händen auf dem Tisch rumhämmerte. Elanor stieß kurz darauf ihr Trinkgefäß um und Rosie stand auf, um den Schaden zu beheben und das verschüttete Trinken wegzuwischen.
"Soll ich vielleicht einen Brief schicken", fragte Merry ganz plötzlich Sam und der begriff im ersten Moment gar nicht, worum es ging und starrte ihn nur verwirrt an. "Was meinst du?"
"Ach Sam komm. Ich meine, die anderen müssen es doch irgendwie erfahren. Und ich dachte, vielleicht kann ich dir helfen, wenn ich einen Brief schicke."
Sam überlegte einen Moment, und Merry wunderte sich schon, über was er so angestrengt nachdachte.
"Nein Merry, das mache wenn schon ich."
"Wieso wenn schon", fragte Merry und runzelte die Stirn.
"Eigentlich möchte ich nicht, dass sie es durch einen Brief erfahren. Ich meine... Frodo und ich wir haben schon öfters Briefe geschickt, da standen so belanglose Sachen drin. Diese Sache ist aber nun keineswegs belanglos. Ich finde es irgendwie nicht richtig das mal eben in einem Brief mitzuteilen."
Merry verstand zwar, was Sam meinte, aber er konnte nicht ganz durchschauen, was er nun tatsächlich beabsichtigte.
"Du meinst, es sei würdelos?"
"Na ja, vielleicht... Ich weiß auch nicht so genau, jedenfalls muss ich mir das mit dem Brief noch mal überlegen."
"Und wenn du dich nun gegen einen Brief entscheidest", fragte Merry weiter und Sam merkte, dass Merry es ganz genau wissen wollte, er kam um eine Erklärung nicht drum herum. Sam schwieg eine Weile und konnte Merrys bohrenden Blick förmlich auf der Haut spüren. "Was ist nun", hakte er nach.
Sam sah in die Runde und alle Blicke waren aufmerksam auf ihn gerichtet. "Ich spiele mit dem Gedanken selbst nach Gondor zu gehen und Aragorn die traurige Mitteilung zu überbringen."
Merry ließ sich zurückfallen und blickte finster drein, während Pippin seinen Blick senkte und dann zu Rosie guckte, die ihren Mann ansah, als hätte sie ihn nicht verstanden.
"Wieso Sam? Wieso willst du das tun? Möchtest du etwa alleine nach Gondor gehen? Ich...", begann Merry, doch Sam sprang plötzlich vom Tisch auf und machte ein erzürntes Gesicht.
"Ja Merry, ich weiß, was du jetzt sagen willst. Du hältst mich für verrückt, aber es bedeutet mir viel das selbst zu tun! Ich weiß du meinst es nur gut mit deinen ganzen Ratschlägen, aber sie helfen mir nur wenig!" Sam hatte seine Stimme ungewöhnlich erhoben und er wirkte erbost und war ungehalten. Merry ließ sich aber nicht davon abschrecken, sondern begann wieder etwas zu sagen. "Sam, du weißt, dass ich dich verstehe, aber lass mich doch sagen, dass..."
Sam schlug wütend die Hände auf den Tisch und alle sahen ihn verständnislos an. "Nein Merry, du verstehst gar nichts! Er ist nicht in deinen Armen gestorben! Du bist nicht dafür verantwortlich, dass er von der Leiter gefallen ist. Das ist ganz allein meine Schuld. Du weißt überhaupt nicht wie das ist. Seine letzten Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf und ich glaube auch, dass werden sie nie tun! Alles was ich hier im Moment sehe erinnert mich an Frodo, ich muss hier für eine Weile weg. Ich möchte nach Gondor gehen."
Merry sah ihn entgeistert an. Sam hatte ihn angeschrieen und er fühlte sich dadurch irgendwie bloßgestellt. Er hatte es nur gut gemeint, doch Sam hatte ihn angefahren und hatte seine guten Absichten überhaupt nicht erkannt. Ohne es zu wollen, keimte auch in ihm Wut hoch, er hatte zwar Mitleid mit Sam, aber er hatte trotzdem kein Recht ihn so zu behandeln. Er funkelte ihn böse an und verließ dann schlagartig die Küche. Der kleine Frodo weinte, weil sein Vater so geschrieen hatte und so wütend war und auch Elanor sah sehr erschreckt aus. Sam bemerkte seinen Fehler sofort und sah Rosie hilfesuchend an, doch die schüttelte nur den Kopf und wischte sich einmal über die Augen. Pippin nahm den kleinen Frodo und Elanor und forderte sie auf, ins Nebenzimmer zu kommen, um etwas lustiges zu spielen. Rosie und Sam sollten jetzt lieber erst mal allein sein. Bevor Pippin mit den Kindern im Nebenzimmer verschwand warf er noch einen Blick auf Rose, die in einem anderen Zimmer noch friedlich schlummerte.
Weder Rosie noch Sam sagten eine Wort, sie sahen sich nur an. "Es tut mir leid, meine Nerven sind mit mir durchgegangen", begann Sam schließlich das Gespräch.
"Ja, das habe ich gemerkt", sagte Rosie verbittert.
Sam kam auf sie zu und wollte sie in die Arme nehmen, doch sie wich ihm aus und drehte sich weg. "Wird das jetzt ewig so weiter gehen? In einer Minute bist du am Boden zerstört und in der nächsten so zornig, dass man vor dir Angst bekommen könnte?"
"Rosie, ich bitte dich, versteh mich doch."
"Aber das will ich ja. Aber soll ich dir etwas sagen, Merry hat recht! Es ist nicht mal wegen mir, aber du hast Kinder, Sam. Du hast Frodo verloren und ich weiß wie schrecklich das für dich ist, aber dein Leben ist nicht zu Ende. Es geht weiter, Sam. Du musst dich mit Frodos Tod abfinden, ich verstehe, dass du trauerst und ich will dir die Trauer um ihn nicht nehmen, aber ich habe Angst, dass das vielleicht ewig so weiter geht."
Sam sah sie an und verstand ihre Sorgen. Er hatte selbst Angst, dass das ewig so weiter geht.
"Gib mir ein bisschen Zeit, lass mich nach Gondor gehen und ich verspreche dir es wird anders sein, wenn ich wiederkomme."
"Bist du dir sicher?"
Obwohl Sam sich nicht sicher war, nickte er bestätigend. Rosie sah ihn an und nahm ihn in die Arme. "Sei nur vorsichtig, wenn du nach Gondor gehst", sagte sie und lächelte sanft.
Sam hatte keine Worte mehr. Er liebte Rosie und er war unendlich dankbar für ihr Verständnis. Sie machte sich Sorgen um ihn und das verstand er nur zu gut, aber dennoch bemerkte sie auch gleichzeitig, wie wichtig es für ihn war selbst nach Gondor zu gehen und hinderte ihn nicht daran. Sie brachte so viel Verständnis für ihn auf, und Sam war glücklich sie als Frau zu haben.
Sam verließ die Küche und sah sich suchend in der Hobbithöhle um. Er konnte Merry nicht finden, der irgendwo hingelaufen war, nachdem Sam ihn angeschrieen hatte. Er öffnete jedes Zimmer, aber fand ihn nicht. Als er das Zimmer neben der Küche betrat, fand er dort Pippin mit den beiden Kindern. Pippin hockte auf allen Vielen auf dem Boden, der kleine Frodo saß auf seinem Rücken und Elanor hatte eine hölzerne Schüssel vor Pippin gestellt und tat so, als würde sie sie mit irgendetwas füllen. Als Pippin Sam hinein kommen sah, lächelte er und meinte dann: "Ich bin das Pferd, Frodo ist mein Reiter und Elanor füttert mich." Sam nickte und lächelte. "Papa, magst du auch mitspielen", fragte der kleine Frodo belustigt und trieb Pippin dabei an, schneller über den Boden zu krabbeln.
"Jetzt nicht, mein Schatz, jetzt muss ich erst mal Onkel Merry finden."
"Bist du noch böse", wollte Elanor wissen, als Sam schon wieder den Raum verlassen wollte.
"Nein, ich bin nicht böse. Spielt ihr mal schön weiter, ich komme nachher noch mal."
Elanor begann wieder die Schüssel mit dem unsichtbaren Futter zu füllen und Sam nickte Pippin als Dank für die Beschäftigung der Kinder zu.
Als Sam feststellte, dass Merry nicht mehr in der Höhle sein konnte, verlies er sie und fand Merry schließlich im Garten vor Frodos Grab vor. Sam näherte sich ihm langsam und schon von weitem erkannte er, dass Merry schluchzte. Sam kniff die Augen zusammen, das hatte er nicht gewollt. Zorn keimte über sich selbst in ihm auf. Wie hatte er nur so die Beherrschung verlieren können? Das schlechte Gewissen regte sich in ihm und er ging langsam zu Merry hinüber. Merry drehte sich nicht um und machte auch keine Anstalten wegzugehen, als er Sam bemerkte. Er stand einfach nur da. Sam legte ihm die Hand auf die Schulter und murmelte leise: "Es tut mir leid, Merry, ich war nicht ganz ich selbst. Ich wollte dich nicht verärgern, du hattest mit allem Recht, was du gesagt hast."
"Hab ich das", fragte Merry und lächelte verbittert. "Weißt du Sam, ich glaube, du bist hier der jenige, der Recht hat. Ich muss dir ziemlich kaltherzig vorkommen, oder? Ich stehe hier, hab eigentlich keine genaue Ahnung, was gestern wirklich geschah, aber versuche hier kluge Ratschläge zu geben. Aber glaub mir Sam, es ist bei den Valar nicht einfach für mich so nüchtern an die Sache ranzugehen. Auch mich hat Frodos Tod hart getroffen, und ich wage zu sagen, dass auch ich es immer noch nicht richtig glauben kann. Und auch durch meine Gedanken geistert diese schreckliche Frage nach dem Grund für all das. Aber weißt du, wenn ich diese ganze Sache etwas realistischer sehe, dann komme ich irgendwie besser mit der Trauer zurecht, das heißt aber nicht, dass ich Frodos Tod einfach so abtue, als wäre nichts."
Sam nickte und sein schlechtes Gewissen begann ihn mehr und mehr zu plagen, er hatte Merry unrecht getan. "Oh Merry, ich glaube, ich mache in letzter Zeit so viel falsch. Die Fehler, die ich mache können nicht wieder gut gemacht werden. Verzeih mir bitte."
"Es gibt nichts zu verzeihen." Merry lächelte und klopfte Sam auf die Schulter. Seine Augen waren glasig und drohten jeden Moment neue Tränen zu verlieren, auch Sam rang wieder mit sich nicht erneute Trauer rauszulassen.
"Weißt du Merry, ich fühle mich elend. Es ist ganz merkwürdig. Ich bin so traurig, dass er nicht mehr bei mir ist, ich bin wütend, weil ich glaube, dass es meine Schuld ist, und ich habe Angst, Merry. Ich habe Angst, dass diese Gefühle nie wieder weggehen. Das ich sie vielleicht mein Leben lang mit mir rumtragen muss. Er ist gestern gestorben und ich fühle mich so schwach. Die Trauer ist nicht nur in meinem Kopf, sie beherrscht auch meinen Körper. Ich will mich ja um meine Familie kümmern, aber soll ich dir was sagen? Wenn ich den Namen meines Sohnes höre, dann denke ich, es sticht mir jemand ins Herz. Wenn ich meine Tochter sehe, dann sehe ich sie immer zusammen mit Frodo. Frodo hat so oft mit ihr gespielt oder sich um sie gekümmert. Und wenn ich meine Frau sehe, dann denke ich immer an den Abend, als er aus Valinor zurückgekommen ist. Wie Rosie in der Tür stand und genauso ungläubig geguckt hat wie ich..." Sam schmunzelte. "Obwohl ich weiß, dass es nie geschehen wird, warte ich förmlich darauf, dass es wieder an der Tür klopft. Ich warte darauf, dass er wieder davor steht, genau wie damals, und dass er wieder zurückkommt."
Merry sah Sam fest in die feuchten Augen und begriff langsam, worauf Sam hinauswollte. "Meine Familie erinnert mich immerzu an ihn. Alles hier erinnert mich immerzu an ihn. Es ist erst einen Tag her und man sagt ja immer, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber was ist, wenn sie das nicht tut? Was ist, wenn ich diese Trauer immer mit mir rumtragen muss? Wie soll ich denn jemals wieder ein fröhliches Leben führen können, wenn mich alles an ihn erinnert und wenn ich mich an ihn erinnere, dann spüre ich immer diese nagende Schuld. Deshalb möchte ich nach Gondor. Ich hoffe, dass wenn ich wieder komme, es anders sein wird."
Merrys Blick war bohrend und Sam wusste, dass er ihm etwas sagen wollte, doch ihn schien etwas daran zu hindern.
"Und du willst wirklich ganz allein gehen?"
"Ja, was soll schon passieren? Ich werde vorsichtig sein. Aber ich möchte jetzt einfach mal eine Weile allein sein und ich möchte nicht an jeder Stelle hier an ihn erinnert werden." Sam machte eine Pause und fragte dann mit einem etwas unsicheren Gesichtsausdruck: "Darf ich dich um ein Gefallen bitten?"
Merry nickte und blickte neugierig zu Sam.
Sam schwieg eine Weile und sah auf die Erde. "Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich Rosie hier ganz alleine mit den Kindern lasse. Könntest du und Pippin vielleicht etwas auf meine Familie Acht geben und Rosie vielleicht etwas zur Hand gehen? –Nur solange ich fort bin, ihr würdet mir da sehr helfen."
Merry nickte und lächelte leicht. "Natürlich Sam, ich habe nichts dagegen, und ich denke, auch Pippin wird wohl einverstanden sein. Vielleicht wird auch mal einer von uns für einen Tag nach Hause gehen, aber ich versichere dir, es wird immer jemand bei Rosie und den Kindern sein, wenn du das möchtest." Sam umarmte ihn und wirkte sehr erleichtert. "Ach, was würde ich nur ohne euch alle tun?"
Sam verließ Frodos Grab wieder und kehrte zurück in die Hobbithöhle. Er war erleichtert, dass Merry nicht mehr böse auf ihn war und das er sich sogar noch dazu bereit erklärt hatte mit Pippin auf Rosie und die Kinder aufzupassen.
Merry sah Sam nach, als dieser wieder in seine Behausung ging und setzte ein bedrücktes Gesicht auf. Er war nicht böse auf Sam, er machte sich eher Sorgen um ihn. Nicht die Reise nach Minas Tirith, die Sam vor sich war es, die Merry das Herz schwer werden ließ, sondern viel mehr, weil Sam es einfach nicht zulassen wollte, dass die Hoffnung aus seinem Herzen wich. Merry wusste, dass auch der Weg nach Gondor nicht ungefährlich war, aber wirklich große Gefahren gab es nicht mehr, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Eigentlich war es auch nicht so sehr die Hoffnung, die Merry dazu veranlasste sich um Sam zu sorgen, sondern eher die Reaktion von Sam, wenn auch diese wohl letzte Hoffnung von Sam, zerschlagen würde...
Merry wusste nämlich, dass Sam noch einen Grund hatte nach Gondor zu gehen, und dieser war weitaus bedeutender für ihn als die anderen, die er bisher genannt hatte. Sam wollte sich noch immer nicht mit Frodos Tod abfinden, und er setzte all seine letzte Hoffnung in Gandalf. Merry vermutete, dass Sam im Stillen hoffte Aragorn würde vielleicht wissen, wo sich der Zauberer aufhält, oder der Zauberer würde vielleicht sogar selbst in der Stadt sein. Sam hoffte mit Sicherheit, dass Gandalf etwas wusste, dass die Situation ändern könnte, die ihm das Herz so schwer machte, denn der Zauberer war einmal von den Toten zurückgekehrt. Und dieser Umstand machte es möglich, dass Sam so entschlossen war nach Gondor zu gehen und immer noch hoffte. Und er klammerte sich an diese letzte Hoffnung, wie ein ertrinkendes Tier an einen Strohhalm.
Merry überlegte, ob er seinen Freund hindern sollte diese Reise anzutreten, oder ob er etwas über seine Vermutung sagen sollte. Doch was würde es bringen? Sam würde sich mit Sicherheit nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen, er würde die Hoffnung so lange nicht aufgeben, bis Gandalf selbst sie zerschlagen würde, und Merry war sich fast sicher das dies geschah. Und ihn quälte die Vorstellung, wie bitter das für Sam sein würde, denn dann gab es nichts mehr, dann musste sich Sam wirklich mit Frodos Tod abfinden, so schmerzlich das auch sein würde.
Sam berücksichtigte gar nicht, dass als Gandalf den Tod fand, es etwas ganz anderes war, als es jetzt bei Frodo der Fall war. Gandalf war zurückgeschickt worden, weil er noch eine Rolle zu spielen hatte, er war mächtig und konnte etwas bewirken, er war im Stande das Schicksal in eine andere Richtung zu lenken und das war ihm auch durch seine Rückkehr, damals im Ringkrieg gelungen. So schwer es Merry auch viel, als er darüber nachdachte, er wusste, dass es bei Frodo etwas ganz anderes war.
Merry lächelte verbittert, als er feststellte, dass es bei Gandalfs Rückkehr einen wahren Grund gegeben hatte. Doch welchen gab es bei Frodo? So schwer es auch war, sich das einzugestehen, Frodo war nur ein Hobbit, und die Zeiten verlangten keine großen Taten mehr von ihm. Früher war er der Ringträger gewesen, aber heute war nur ein Hobbit. Es war ungerecht, was Frodo passiert ist, keine Frage, doch vieles war ungerecht in der Welt und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
Merry kniete sich vor Frodos Grab und sah bedrückt auf den kleinen Erdhügel. "Hast du das mitbekommen? Nur ein Hobbit...
Und trotzdem warst du etwas ganz besonderes, Frodo. Wenn ich es auch nicht zugeben will, so hoffe ich doch, dass ich mit meinen Überlegungen über Gandalfs Rückkehr unrecht habe, und dass Sam vielleicht etwas findet. Von ganzem Herzen wünsche ich Sam, dass er bei Gandalf, wenn er ihn dann trifft, etwas findet, was ihm, dir und uns allen hilft. Wenn ich auch nicht ganz weiß, was das sein sollte, auch in mir will die Hoffnung noch nicht sterben. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut so, denn die Hoffnung ist manchmal das Einzige, was einem noch bleibt."
Merry blickte wehmütig auf Frodos Grab und erhob sich dann langsam wieder. Er folgte Sam in die Höhle und traf Pippin, der mit dem kleinen Frodo und jetzt auch mit Rose auf dem Arm, ihm entgegen kam. Merry lächelte und streichelte den kleinen Frodo, der daraufhin sofort Anstalten machte, bei Merry auf den Arm zu gehen.
Merry nahm den Kleinen und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze um ihn zu necken. Dann blickte Merry zu Pippin, der Rose hin und her wiegte, während der kleine Frodo fröhlich quietschte.
"Hast du von Sam gehört, dass wir...", begann er, doch Pippin fiel ihm sofort ins Wort.
"Ja, habe ich. Er hat mich schon gefragt, ob es mir recht ist, wenn ich zusammen mit dir bei seiner Familie bleibe. Ich habe nichts dagegen."
Merry atmete hörbar auf. "Gut, ich hatte schon Angst, voreilige Entscheidungen für dich getroffen zu haben."
"Nein, hast du nicht, es war schon alles richtig so. Außerdem müsstest du mich lange genug kennen, um zu wissen, dass ich so eine Bitte nicht abschlagen würde!" Pippin lächelte und sah Rose an, die mit ihren kleinen Fingerchen an einem Knopf seiner Weste spielte. "Sam ist schon am Packen, ich hoffe nur, dass er heil in Gondor ankommt. Ich finde es eigentlich nicht so gut, dass er so ganz alleine geht."
"Ich glaube nicht, dass was passiert. So lange er sich nicht verläuft, oder das Wetter schlecht wird... Das einzige, worüber ich mir ernstlich Gedanken mache, ist dass er vielleicht..."
"Was denn?" Pippin sah Merry aufmerksam an, und wunderte sich über die Unterbrechung.
Merry dachte an Gandalf , aber er wollte eigentlich nicht sagen was ihm durch den Kopf ging. Deshalb blickte er zu Pippin und meinte nur: "Ach nichts, ist nicht so wichtig, es wird schon alles gut gehen."
"Trotzdem bin ich besorgt, dass er so ganz alleine ist, Merry."
Merry überlegte eine Weile und sah dann Pippin mit überlegtem Gesichtsausdruck an. "Vielleicht muss er ja gar nicht alleine gehen, Pippin, komm mal mit, ich glaube, ich habe da eine Idee!"
Verdutzt lief Pippin hinter Merry her, der mit schnellen Schritten die Höhle verließ. Pippin hatte immer noch Rose auf dem Arm und Merry den kleinen Frodo. Elanor fasste Pippin an einen Zipfel seiner Weste und folgte den Beiden dann hinaus.
Sam war gerade mit Rosie in der Küche und packte Verpflegung für seine Reise ein. Kuchen, Brot und Äpfel wurden ordentlich verpackt und in einem ledernen Rucksack verstaut. Sam entschloss sich, nur eine kleine Flasche Wasser mitzunehmen, denn auf dem Weg nach Minas Tirith gab es genügend klare Bäche und Flüsse, wo es möglich war, seinen Durst zu stillen.
Sam lief in der Küche hektisch hin und her und verspürte im Moment keine Trauer. Merry hatte recht mit seiner Vermutung über Gandalf, alle Hoffnung die Sam noch hatte, setzte er in den Zauberer. Sam wollte das eigentlich gar nicht, denn auch ihm war es wohl bewusst, dass es gut möglich war, dass er nur wieder eine bittere Enttäuschung erfahren würde. Sam fragte sich mehrere Male, auf was er eigentlich hoffte. Was erwartete er eigentlich von Gandalf, wenn er ihn überhaupt traf, denn auch das stand noch in den Sternen. Der Zauberer konnte genauso gut in Rohan, Düsterwald oder sonst wo sein. Und selbst wenn er ihn traf... Was sollte Gandalf eigentlich tun?
Sam wusste es nicht. Er wusste nur, dass sein Herz im Moment leicht und hoffnungsvoll war, wenn er an Gandalf dachte, und dieses befreiende Gefühl der Hoffnung wollte er sich in diesem Moment nicht nehmen lassen, denn es war so schön die Verzweiflung von der Hoffnung verdrängen zu lassen, und wenn es auch nur für kurze Zeit war.
Es war erleichternd für Sam nicht zu weinen und nicht dieses elende Gefühl in der Magengegend zu haben. Und es war für Sam eine große Erleichterung das Gefühl zu haben, endlich etwas tun zu können. Nicht tatenlos sein zu müssen, sondern endlich eine Aufgabe vor Augen zu haben, ermutigte ihn und ließ ihn sich besser fühlen.
Im Moment war von Trauer nicht viel zu sehen, Sams Augen waren kleiner als gewöhnlich, immer noch hatte er leichte Kopfschmerzen vom vielen Weinen, aber zur Zeit störte ihn das alles nicht.
Sam war in nicht mehr als einer halben Stunde fertig mit packen. Er hatte alles zusammengesucht, was er für wichtig hielt, und stellte fest, dass er die ganzen Taschen, Beutel und Rucksäcke bei Weitem nicht alleine tragen konnte. Mit gerunzelten Augenbrauen und einem kritischen Blick sah er hilfesuchend zu Rosie, die nur ahnungslos den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte.
Plötzlich hörte Sam Hufgetrappel und sah verdutzt zur Tür. Wo waren eigentlich Merry, Pippin und die Kinder? Er hatte sie schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Er ging, immer noch mit einem verdutzten Gesichtsausdruck in Richtung Tür und öffnete sie.
Draußen fand er Merry, der Rose auf einem Arm hielt und die Zügel eines Ponys in der anderen Hand. Dahinter stand Pippin, der Elanor und Frodo fest hielt, die beide auf dem Rücken des Tieres saßen und völlig übermütig waren.
"Was habt ihr denn da", fragte Sam und blickte fassungslos drein.
Merry lächelte. "Das ist Flocke, eigentlich heißt sie Schneeflocke, aber sie hört entweder auf den Namen Flocke oder Flöckchen. Pippin und ich möchten dich doch nicht so ganz alleine auf so einer Reise lassen und da du uns nicht mitnehmen möchtest, geben wir dir Flocke an deine Seite. Sie ist ein liebes Tier und wird dir gewiss ein treuer Gefährte sein." Er streichelte dem Pony über die Nüstern. Sam blickte immer noch erstaunt auf Flocke, die jetzt genüsslich zu grasen begann.
Die Stute war fast schneeweiß, nur der Bereich um ihre Nüstern herum, ihre Mähne und Schweif und ein kleines Stück oberhalb der Hufen waren pechschwarz. Sie hatte große, dunkle Augen und schien gut genährt und kräftig zu sein.
Sam entfuhr ein Ausruf des Erstaunens und der Überraschung. "Wo habt ihr sie her", fragte er und streichelte das Tier am Kopf.
"Sie ist eigentlich nur geliehen, kann man so sagen. Ihr Besitzer ist zufällig ein guter Bekannter von mir und mit uns hier nach Hobbingen gekommen. Er will sie hier verkaufen, aber er hat gesagt, er wartet damit noch ein bisschen, wenn wir sie brauchen", sagte Merry und zog das Pony sanft an den Zügeln, weil es schon fast eine kahle Stelle in das Gras vor Sam und Rosies Höhle gefressen hatte.
"Ja, er hat sie uns überlassen. Wir dachten weil du kein Pony hast, seit der gute Lutz tot ist, wird dir Flöckchen bestimmt recht dienlich sein. Sie ist rundum ein liebes und geduldiges Tier, ihr einziger Nachteil ist ihr großer Hunger." Pippin grinste bei diesen Worten. "Na ja, was heißt Nachteil, sagen wir, sie ist uns Hobbits in gewisser Weise sehr ähnlich."
Sam hatte immer noch einen sehr fassungslosen Gesichtsausdruck, und Pippin schien das zu amüsieren. "Wieso sitzt ihr eigentlich auf Flocke", fragte er Frodo und Elanor mit einem Lächeln und die Kinder schienen äußerst vergnügt.
"Flocke gibt ein besseres Pferd ab, als ich", beantwortete Pippin die Frage und hielt Frodo fest, der fast vom Rücken des Ponys heruntergerutscht wäre.
"Das glaube ich" bestätigte Sam. "Also ich bin wirklich sprachlos, wie kann ich euch für all das danken", fragte Sam und errötete leicht im Gesicht.
"Komm nur einfach heil nach Gondor und wieder zurück", meinte Merry entschlossen.
Sam nickte "Ich gebe mir Mühe".
Rose begann plötzlich auf Merrys Arm zu weinen und Rosie ging mit ihr hinein, um sie zu füttern. Elanor und Frodo ließen sich in keiner Weise von Flocke runterholen, sie bestanden darauf, noch eine Runde auf ihr zu reiten, und so führte Pippin Flocke und die Kinder im Garten umher, während Merry Sam half das Gepäck nach draußen zu tragen, damit sie es dann auf Flocke laden konnten.
"Und du bist dir wirklich sicher, dass du ganz alleine gehen willst", fragte Merry noch einmal und spielte erneut mit dem Gedanken Sam auf seine Vermutung mit Gandalf anzusprechen.
"Ich bin ja nicht allein, ich habe jetzt Flocke".
"Sam, du weißt, was ich meine, bist du dir sicher ganz alleine nach Gondor zu wollen?"
Sam wusste sehr wohl, was er meinte, aber er wollte nicht wieder eine derartige Diskussion. "Ja, Merry, ich bin mir sicher. Ich möchte allein sein, ich brauche etwas Abstand. Von allem."
Merry nickte. "Du gehst nicht zufällig dahin, weil du hoffst, dass...", er biss sich auf die Lippen, das hatte er doch gar nicht sagen wollen.
"Was?"
"Ach nichts, vergiss es. Ist nur so eine Vermutung von mir, lass uns Flocke beladen", lenkte Merry schnell ab.
Die Kinder ließen sich protestierend vom Pony heben und Flocke war innerhalb von ein paar Minuten beladen und abreise fertig. Der kleine Frodo fragte mehrere Male, ob er denn nicht mit nach Gondor gehen dürfte und war sehr enttäuscht, als Sam immer wieder den Kopf schüttelte.
Sam überlegte, ob er auch wirklich alles hatte was er brauchte, doch ihm wollte nichts einfallen, was noch unbedingt nötig gewesen wäre und so war er schließlich endgültig fertig und bereit zu gehen.
Rosie kam wieder mit Rose heraus um sich zu verabschieden. Obwohl sie es nicht wollte hatte sie doch etwas feuchte Augen bei dem Gedanken, dass Sam nun ganz alleine für Wochen unterwegs sein würde. Pippin nahm kurz Rose auf seinen Arm, damit Sam sich von Rosie richtig verabschieden konnte.
Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. "Sei bitte vorsichtig, ich und die Kinder brauchen dich", hörte Sam seine Frau leise flüstern. Sam gab ihr einen Kuss auf den Mund und streichelte ihr einmal über das Haar. "Ich komme schon zurück, hab keine Angst."
Dann streichelte er Roses kleine, rote Pausbäckchen und steckte einmal seinen Finger in ihre Hand. Sie griff sofort danach und begann ein paar quietschende Laute auszustoßen. Rosie lächelte und nahm sie Pippin ab, damit auch er sich von Sam verabschieden konnte.
Sam umarmte ihn. "Ich danke dir, dafür, dass du hier bleibst und für alles, was du getan hast." Pippin nickte und lächelte.
"Ähm, Sam?"
"Ja, was ist denn?"
"Warte mal ganz kurz."
Sam blickte erwartungsvoll drein und beobachtete Pippin, der nach Drinnen verschwand und kurz darauf mit Stich, Frodos altem Schwert, zurückkam.
"Nimm das bitte mit, man kann ja nie wissen... Ich habe es vorhin zufällig gefunden, es lag auf dem Boden. Es muss wohl aus einem kleinen Schrank gefallen sein, der umgestürzt war. Ich kam gerade rechtzeitig, bevor der Kleine es gefunden hätte." Er deutete mit seiner Hand auf den kleinen Frodo.
Sam schluckte, er ahnte schon, was für ein Schrank das war aus dem das Schwert herausgefallen war. Mit Sicherheit war es der kleine Schrank, den Sam hochgehalten hatte und unter dem Rosie das Wasser weggewischt hatte, als Elanor ins Zimmer gelaufen kam, nachdem Frodo vom Baum gefallen war. Als Sam ihn dann in der Panik hatte fallen lassen, war das Schwert vermutlich herausgefallen.
Als Sam Stich sah, musste er sofort an Frodo denken, wie er es oft in der Hand gehalten hatte, um sich gegen irgendwelche drohenden Gefahren zu verteidigen. Sam wollte es eigentlich nicht nehmen, doch er sah Pippins bittenden Blick und beschloss, es zwar mitzunehmen, aber so bald wie möglich in irgendeine Tasche zu stecken, damit er es nicht ständig sehen musste. Viel zu sehr würde es ihn sonst an seinen Freund erinnern...
Sam betrachtete sich das Schwert kurz und nahm es dann mit einem Nicken entgegen.
Dann verabschiedete sich Sam von Merry und auch er wurde, wie alle anderen, von Sam umarmt. "Auch dir vielen Dank für alles!" Merry klopfte ihm auf den Rücken. "Schon gut."
Dann verabschiedete Sam sich noch von dem kleinen Frodo und Elanor, indem er sie beide einmal auf den Arm nahm und jedem einen Kuss auf die Wange drückte. "Aber ich will nicht, dass du weg gehst Papi", sagte Elanor und schluchzte.
"Ich komm doch bald wieder, so lange passt du auf deine Geschwister und deine Mutter auf, du bist doch mein großes Mädchen." Elanor lächelte, damit gab sie sich dann zufrieden.
Sam nahm Flockes Zügel in die Hand und begann durch den Garten in Richtung Straße zu gehen. Im vorbeigehen sah er noch auf seine roten Rosen, die langsam am abblühen waren. Nur noch eine Blüte stand in voller Pracht. Er übergab Merry noch einmal kurz die Zügel des Ponys und eilte zu dem Rosenbusch hinüber. Er pflückte die letzte Blüte und ging zu Frodos Grab. Wieder kniete er sich davor und legte die Blüte auf den Erdhügel. "Hier, Herr Frodo, die ist für dich", sagte er und atmete einmal tief durch. Er blieb noch für einen kurzen Moment davor knien und starrte auf die wunderschöne Blüte, die auf dem schwarzen, trostlosen Boden regelrecht zu leuchten schien. Dann erhob er sich wieder und klopfte sich den Sand von den Knien. Bevor er sich umdrehte und davon ging, murmelte er noch "Tschüss, Herr Frodo".
Merry, Pippin, Rosie und die Kinder begleiteten Sam noch bis vor die Strasse.
"Bis bald" sagte Sam und setzte sich mit Flocke an der Zügel langsam in Bewegung, die Strasse hinunter.
Plötzlich drehte er sich noch mal um und sah zurück. "Und kommt nicht auf die Idee den Apfelbaum abzuernten, dieses Jahr sollen die Vögel die Äpfel haben," sagte er wehmütig und betrachtete noch einmal den großen Baum mit den prächtigen Äpfeln daran.
Alle sahen ihn an und nickten nur stumm. Sam drehte sich langsam wieder um und setzte seinen Weg fort, die Strasse entlang. Merry, Pippin, Rosie und die Kinder winkten ihm noch hinterher, so lange, bis er ihrem Blickfeld entschwand.
