Zwölftes Kapitel: Sams Erkenntnis
"Elanor, jetzt halt doch endlich still, es wird nur noch schlimmer, wenn du dich weiterhin bewegst", sagte Frodo und seufzte.
"Aber es ziept, mach das endlich ab!"
Frodo schüttelte den Kopf. Eine Strähne von Elanors Haaren hatte sich beim Spielen um einen Knopf seiner Weste gewickelt. Obwohl Frodo ihr davon abgeraten hatte, hatte Elanor zu erst versucht sich eigenständig aus der misslichen Lage zu befreien. Das Ergebnis war, dass sich die Haare nur noch mehr verknotet hatten und nun sogar um einen weiteren Knopf gewickelt waren. Der kleine Frodo kringelte sich vor Lachen auf dem Rasen, weil es einfach zu komisch aussah, wie Elanor mit schiefem Kopf vor Frodos Brust hockte und beide abwechselnd versuchten sich wieder von einander zu trennen. Frodo konnte seine Weste nicht ausziehen, weil Elanor so dicht an ihm hing und sofort laut jammerte, wenn Frodo sich irgendwie bewegte. "Das gibt's doch gar nicht, wie konnten sich deine Haare nur so um den Knopf wickeln", fragte Frodo und schüttelte ratlos den Kopf.
"Müssen wir jetzt für immer so bleiben", fragte Elanor ängstlich und blickte Frodo mit schiefem Kopf und völlig verknoteten Haaren an.
"Das will ich nicht hoffen. Das könnte ziemliche Probleme geben und wäre zudem sehr umständlich", antwortete Frodo und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Nach etlichen Minuten war die Situation ganz verfahren. Weder Frodo, noch Elanor wussten, wie genau es geschehen war, doch nun waren die Haare gänzlich verknotet, Elanor konnte gar nichts mehr sehen, weil sie ihren Kopf nun ganz schief legen musste und auch Frodo musste eine äußerst unbequeme Haltung einnehmen, damit er Elanor nicht allzu doll in den Haaren zog.
"Frodo, hol deinen Papa", forderte er den kleinen Frodo völlig verzweifelt auf, doch dieser lachte nur laut. "Ich möchte es gerne noch eine Weile sehen, es ist sehr lustig", sagte er fröhlich.
"Frodo, bitte, geh und hol deinen Papa oder deine Mama, guck mal, die Elanor ist schon ganz traurig."
"Das macht doch nichts", gab der kleine Frodo zurück.
Frodo stöhnte gequält, Elanor jammerte, weil sie nun doch wieder Angst hatte, sie müsse für immer in dieser Lage verharren und der kleine Frodo amüsierte sich über diese Situation in größtem Maße.
"Sam", rief Frodo, so laut er konnte und hoffte sehnlichst auf eine Antwort von Drinnen. Er hatte Glück, dass die Tür zur Hobbithöhle bei diesem schönen Wetter offen stand, ansonsten wäre es ganz und gar hoffnungslos gewesen, dass Sam sie hören würde.
"Sam", rief er noch einmal, als er keine Antwort bekam.
Zu Frodos Erleichterung ertönte nun ein leicht genervtes "ja", aus der Höhle.
"Komm mal schnell, du musst uns helfen, deine Tochter hängt im wahrsten Sinne des Wortes an mir!"
Sam erhob sich von seinem Tisch und wäre fast über den Glücksstein vom kleinen Frodo gefallen. Er blickte amüsiert drein, denn Elanor hatte sich vor ein paar Tagen einen kleinen Kiesel aus dem Garten geholt und ihn für ihren Glücksbringer erklärt. Daraufhin war der kleine Frodo ebenfalls in den Garten geeilt und hatte kurz darauf einen so riesigen Stein angeschleppt, den er selbst kaum tragen konnte. "Damit habe ich mehr Glück als Elanor mit ihrem kleinen Stein, den man kaum sieht", hatte er triumphierend gesagt. Der Kleine wollte sich um keinen Preis von seinem riesigen Stein trennen und als Rosie ihn einmal in aller Heimlichkeit hinausgeworfen hatte, weil er ständig im Weg lag und Sam bereits zweimal fast darüber gefallen wäre, hatte der Kleine ihn sofort wieder hineingeholt und schmollte den restlichen Tag über die Dreistigkeit seiner Mutter, seinen Glücksstein so achtlos hinauszuwerfen.
Als Sam hinaustrat musste er ungewollt lachen. Es sah wirklich komisch aus, wie Elanor da an Frodo hing und beide die unmöglichsten Verrenkungen machten.
"Papi, komm schnell, es ziept", rief Elanor sofort, als sie Sam aus den Augenwinkeln heraus sah.
Sam eilte zu den Beiden und hörte nicht auf seinen kleinen Sohn, der eindringlich darum bat die Beiden so zu lassen. Nach einigen Bemühungen von Sam musste auch er feststellen, dass es hoffnungslos war. Elanor begann jetzt zu weinen und Frodo versuchte sie so gut es ging zu trösten.
"Wie habt ihr das nur angestellt", fragte Sam und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Rosie erschien ebenfalls im Garten und begutachtete die verzwickte Lage, bevor sie sich dazu entschied eine Schere zur Hilfe zu nehmen. Elanor begann sofort lauthals hinauszurufen, dass bloß keiner auf den Gedanken kommen sollte, ihre Haare abzuschneiden und Frodo sagte daraufhin sofort: "Nein natürlich nicht, dann sollen sie lieber meine Weste zerschneiden."
Als Rosie wieder mit der Schere in der Hand erschien, hockte sie sich ebenfalls vor Frodo und Elanor und Frodo musste zwangsläufig laut lachen. Sam saß da, gab gute Tipps und konnte es nicht sein lassen seine Finger immer wieder unbeabsichtigt vor Rosies Schere zu legen, so dass sie mehrere Male laut schimpfte. Der kleine Frodo sah mit Trauer, dass es Rosie tatsächlich langsam gelang ihre Tochter von Frodo zu trennen.
Am Schluss hatte Frodo eine völlig zerschnittene Weste und Elanor ziemlich verknotete Haare, doch immerhin hingen sie nicht mehr aneinander. Alle, bis auf den kleinen Frodo lachten daraufhin ausgelassen und Rosie bot Frodo an, ihm eine neue Weste zu schneidern.
Vergnügt machten sie sich auf den Weg in die Höhle, denn Rosie hatte sowieso vor gehabt in Kürze alle zum Abendbrot zu rufen. Elanor schnappte sich die nächste Haarbürste und versuchte ihr langes Haar zu entwirren, Sam half Rosie beim Tischdecken und Frodo zog sich in sein Zimmer zurück, um sich umzuziehen.
Der Duft der Gemüsesuppe strömte durch die Zimmer und alle, bis auf Frodo, saßen bereits am gedeckten Tisch. "Fangt ruhig schon an, ich geh ihn holen", sagte Sam und stand wieder vom Tisch auf. Rosie nickte und hielt die kleine Rose im Arm, die müde an einem ihrer Finger nuckelte.
"Herr Frodo", sagte Sam leise und klopfte an die Tür.
Von drinnen ertönte ein gequältes "ja". Sam öffnete vorsichtig die Tür und schloss, als er Frodo erblickte, wissend die Augen. Der Hobbit lag in seinem Bett auf der Seite und hatte die Beine fest an den Körper gezogen. Er hatte die Augen krampfhaft geschlossen und ein leises Stöhnen entfuhr ihm von Zeit zu Zeit.
"Sind es wieder die Rückenschmerzen", fragte Sam, obwohl er die Antwort schon kannte.
Frodo nickte. "Und das Bein und das Handgelenk, wie immer, ich versteh das nicht."
Sam seufzte. Er wollte ihm so gern alles erzählen, immer wenn sich Frodo in dieser Lage befand, wollte er ihm die Wahrheit sagen. Wie oft quälten Frodo diese Schmerzen? Immer wieder kamen sie, ohne eine Vorwarnung, von einer Minute zur Anderen. Und jedes mal spielte Sam mit dem Gedanken Frodo zu erzählen, warum er diese Schmerzen hatte.
Sam hatte versucht einen Rhythmus der Schmerzen zu suchen, damit er sich darauf einstellen konnte und Frodo irgendwie mal unauffällig warnen konnte, damit es ihn nicht immer so unerwartet traf. Doch Sam konnte keinen Rhythmus finden. Die Schmerzen kamen ganz unregelmäßig. Auch wie lange sie andauerten und wie heftig sie waren ließ sich nicht vorhersagen. Mal war es so, dass Frodo eine ganze Nacht gegen den Schmerz ankämpfte, dann wieder nur einige Minuten. Mal klagte er nur über ein leichtes Ziehen und dann konnte er sich wieder kaum bewegen vor Schmerz.
Er brach so heftig oder auch weniger heftig über Frodo herein, wie eine Erinnerung, die er ja eigentlich auch war. Aber Sam musste sich eingestehen, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass die Erinnerung, die Frodo, wie Nevturiel es gesagt hatte, zurückbehalten sollte, manchmal so heftig und quälend war.
Es tat Sam leid und er fühlte sich in gewisser Weise verantwortlich dafür. Er hätte gern gewusst, ob dieser Zustand Frodos ganzes Leben andauern würde.
Sam setzte sich zu Frodo aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. Dann sah er seinen Freund mitleidig an. "Frodo, vielleicht sollte ich dir da etwas erzählen", begann er und Unsicherheit breitete sich in ihm aus, ob es tatsächlich die richtige Entscheidung war.
Frodo öffnete die Augen und hielt Sams Blick fest. Er hatte schon oft geahnt, dass Sam etwas auf dem Herzen hatte und ihm etwas sagen wollte, doch aus irgendeinem Grund tat er es nicht. Immer, wenn ihn Frodo darauf angesprochen hatte, wich er ihm aus. Irgendwie hatte Sam sich in den letzten Wochen verändert und Frodo hätte nur zu gerne gewusst, was es war, dass ihn so veränderte.
"Was willst du mir sagen, Sam", fragte er und ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Rücken.
Sam öffnete den Mund, doch kein Ton verließ ihn. Er konnte es einfach nicht. Was hätte es für Auswirkungen, wenn er es ihm erzählen würde?
Frodo sah ihn erwartungsvoll an und Sam entfloh seinem Blick. "Ach nichts, ist nicht so wichtig."
Frodo senkte enttäusch den Blick. So war es immer. Sam wich ihm schon wieder aus. Doch Frodo wusste auch, dass es nichts bringen würde, wenn er ihn jetzt fragen würde. Frodo versuchte stattdessen sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und eine weniger schmerzhafte Lage einzunehmen.
"Soll ich dir etwas bringen", fragte Sam, während er Frodo beobachtete.
"Nein danke, ich komme zurecht. Geh ruhig zu deiner Familie."
Der Hobbit sah seinen Freund prüfend an. "Wirklich nicht?"
Frodo schüttelte den Kopf und Sam verließ daraufhin den Raum. Er konnte zu seinem Bedauern sowieso nichts für Frodo tun.
Beim Abendessen verhielt sich Sam sehr schweigsam, er hätte so gerne etwas für Frodo getan, der immer noch in seinem Zimmer war. Lustlos kaute Sam auf seinem Brot herum und schwelgte in seinen Gedanken.
Nach dem Abendessen brachte Rosie die Kinder zu Bett und Sam entschloss sich mit einer Tasse Suppe zu Frodo zu gehen und sie ihm anzubieten. Die Küche würde er danach aufräumen.
Frodo kauerte immer noch in seinem Bett und nahm aber die Suppe dankbar entgegen. Danach machte sich Sam daran die Küche aufzuräumen. Auf dem Tisch türmten sich Berge von Geschirr, um dem Teller vom kleinen Frodo hatte sich eine Suppenpfütze angesammelt und der Boden war voller Krümel. Es würde ein gutes Stück Arbeit werden, die Küche wieder sauber zu kriegen. Doch Sam hatte sowieso nichts anderes zu tun. Frodo wollte er in Ruhe lassen, Rosie hatte zu tun und zum Lesen oder Schreiben hatte Sam heute gar keine Lust.
Sam arbeitete sich von hinten nach vorne durch die Küche hindurch und Rosie steckte nach einer ganzen Weile den Kopf zur Tür hinein und blickte Sam mit kleinen Augen an. "Bist du böse, wenn ich schon ins Bett gehe? Ich bin so müde, wir könne die Küche ja auch morgen früh zusammen aufräumen."
"Nein, geh du ruhig ins Bett, ich mach das hier schon. Ich bin ohnehin bald fertig", antwortete Sam, ging zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sie lächelte dankbar und verschwand dann im Schlafzimmer. Nach nur kurzer Zeit hörte Sam hinter sich ein Räuspern und als er sich umsah, stand Frodo in der Tür. Sam blickte ihn überrascht an. "Geht es dir besser?"
Frodo guckte beschämt auf den Boden und Sam wusste nicht ganz warum er das tat. "Ja, doch, nach der Suppe ging es besser."
Sam wischte den Tisch ab und war nun fast fertig mit seiner Arbeit.
"Sam, ich weiß, du bist gerade fertig mit deiner Arbeit, aber ich..."
"Du hast Hunger", beendete Sam den Satz.
Frodo nickte und Sam lächelte ihn an. "Na ja, du wirst wohl kaum so ein Chaos anstellen wie mein Sohn, von daher ist das nicht so schlimm, obwohl ich gerade fertig bin."
Frodo holte sich ein paar Sachen aus der Speisekammer und setzte sich dann an den Tisch. Sam leistete ihm während er aß Gesellschaft und sie begannen wieder von alten Zeiten zu erzählen. Es mussten Stunden vergangen sein, als plötzlich ein dumpfes Klopfen an der Haustür zu vernehmen war und beide erschreckt zusammenfuhren. "Wer kommt denn jetzt noch mitten in der Nacht", fragte Sam mit gerunzelter Stirn, nahm einen Kerzenständer und leuchtete sich den Weg durch den Flur.
Irgendwie ahnte Sam nichts gutes. Es würde wohl kaum jemand so spät in der Nacht vorbeikommen, wenn es nichts Ernstes gäbe. Oder waren es vielleicht Diebe? Sam schluckte und stellte sich vor die Tür. Wieder klopfte es, diesmal energischer als zuvor. "Wer ist da", fragte Sam vorsichtig und lauschte auf eine Antwort.
"Mach auf, Sam, ich bin es, Gandalf!"
Sam glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was machte Gandalf zu so später Nachtstunde hier? Er öffnete die Tür und Gandalf kam in geduckter Haltung hinein, damit er sich nicht den Kopf stieß, denn die Hobbithöhle war etwas zu klein für seine Größe. Frodo kam um die Ecke und guckte ebenfalls sehr verdutzt drein. "Gandalf", fragte er etwas ungläubig.
"Ja, ich bin´s", sagte der Zauberer und fröstelte leicht vor Kälte.
"Komm weiter", forderte ihn Sam auf und zog den Zauberer in die Küche, wo er ihm den Hut und seinen Stab abnahm. "Ich mach dir einen Tee", sagte Sam bestimmend und Frodo und Gandalf setzten sich an den Tisch. Frodo musterte den Zauberer. Sein Freund hatte sich irgendwie verändert. Schwarze Ringe umrandeten seine Augen, er war blässer als Frodo ihn in Erinnerung hatte und er wirkte ausgezehrt und schwächlich.
"Wie geht es euch allen", fragte Gandalf und wärmte seine klammen Hände mit seinem Atem.
"Gut", antwortete Frodo und verfolgte jede Bewegung des Zauberers. Gandalf nickte erleichtert. Wenigstens hier war die Welt noch heil. Doch er wusste auch, dass er sie gleich zerstören würde.
"Sag Gandalf, was treibt dich zu so später Stunde hierher", fragte Sam, während er den Tee zubereitete.
"Ich war unterwegs, ich komme aus Minas Tirith und musste unbedingt zu euch. Es ist etwas unhöflich hier mitten in der Nacht reinzuplatzen, aber ich wollte nicht noch eine Nacht unter freiem Himmel hausen. Ich hoffe, ich habe niemanden geweckt."
"Also wenn du meine Familie meinst, die schlafen immer wie Murmeltiere. Die haben gewiss nichts gemerkt", sagte Sam und goss heißes Wasser in eine Tasse.
"Du kommst aus Minas Tirith", fragte Frodo und sah Gandalf neugierig an. "Gibt es etwas neues von Aragorn?"
Gandalf sah den Hobbit an und Frodo bekam bei dem Blick des Zauberers ein Gefühl, als wenn er diese Frage nicht hätte stellen dürfen.
Sekunden vergingen, bevor Gandalf den Kopf senkte und flüsterte: "Sie sind alle tot."
Frodo sah den Zauberer an und hatte das Gefühl ihn nicht richtig verstanden zu haben. "Wer ist tot", fragte er ganz leise und Aufregung machte sich in seinem Inneren breit.
"Aragorn, Legolas, und Gimli. Arwen ist fortgelaufen, wir wissen nichts über ihr Schicksal."
Frodos Lippen begannen zu zittern und Sam ließ scheppernd die Tasse zu Boden fallen. Sie zersprang in tausend Scherben und Sam wendete sich dem Zauberer zu und blieb mit weit geöffneten Mund stehen. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht denken, die Worte des Zauberers hallten in seinem Kopf wider und er begann erst langsam zu begreifen, was sie überhaupt bedeuteten.
"Was meinst du mit: Sie sind alle tot? Das ist doch gar nicht möglich", fragte Frodo nach einer Weile und seine Stimme wurde bereits von Schluchzern unterbrochen. Wäre es nicht Gandalf, der vor ihm saß, er hätte das ganze für einen sehr schlechten Scherz gehalten.
"Doch Frodo, es ist wahr. Auch ich möchte es nicht glauben. Es waren viele unglückliche Zufälle, die ihnen schließlich den Tod gebracht haben."
"Was ist passiert", fragte Frodo und sein Magen krampfte sich zusammen.
Gandalf erzählte von Lhunroth, was Gimli und Legolas getan hatten und schließlich, was Aragorn passiert war. Er hatte erst überlegt den Hobbits nicht so genau von Aragorn zu erzählen, doch er fand, dass die Hobbits ein Recht hatten es zu wissen.
Frodo glaubte ihm würde schlecht werden und immer mehr Tränen verließen seine Augen. Als Gandalf geendet hatte war es ganz still. Niemand sagte ein Wort und man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Die Hobbits brauchten erst eine Weile, bis sie fähig waren irgendetwas zu tun. Frodo blinzelte ungläubig und Sam drückte sich gegen die Wand und eine grausame Erkenntnis schlich sich in sein Herz. "Das waren keine Zufälle", schluchzte er und hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. "Das hätte nie geschehen dürfen!"
Gandalf nickte. "Ich weiß, Sam."
"Nein, Gandalf diesmal weißt du nicht. Das hätte nie geschehen dürfen. Das wäre auch nie geschehen! Ich bin daran schuld", sagte er und seine Stimme wurde lauter.
Gandalf und Frodo sahen ihn an und hatten keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte.
"Sam, wie kannst du daran schuld sein? Du warst doch gar nicht dabei, du hast überhaupt nichts getan", sagte Gandalf ruhig und versuchte zu erraten, was in Sam vorging.
Sam stützte sich auf den Tisch und konnte selbst nicht sagen, was in ihm vorging. Da war Wut, Trauer, Enttäuschtheit, das Gefühl, gegen irgendetwas verloren zu haben. Ihm war bewusst, dass er nun nicht länger sein Geheimnis verstecken konnte. Er musste es erzählen, doch er fürchtete, dass sie ihn für verrückt halten würden. Es klang ja auch zu banal um wahr zu sein.
Sam erkannte, dass nun das eingetroffen war, was Nevturiel gesagt hatte und wovor er sich in der ersten Zeit so gefürchtet hatte. Doch er war schon wieder überrascht worden, genau wie bei Frodo. Er hätte nie gedacht, dass es Aragorn oder Legolas oder Gimli sein würden. Er hatte immer gefürchtet, dass es wieder Frodo war, dem etwas schreckliches passieren würde.
"Ich habe etwas getan, Gandalf. Etwas, dass ihr mir vielleicht nicht glauben werdet, aber ich kann es beweisen. Ich weiß, es klingt total verrückt, aber ich schwöre, dass es war ist."
Gandalf richtete sich auf und bohrte seinen Blick regelrecht in Sam hinein, so als wolle er seine Gedanken lesen. Mit jeder Reaktion hätte der Zauberer gerechnet, aber nicht mit solch einer. Frodo wusste gar nicht, was er denken sollte, er starrte Sam nur ungläubig an, und fragte sich ob er noch bei Verstand war.
Sam senkte seinen Kopf und zitterte heftig vor Aufregung. Er wusste nicht, was geschehen würde, wenn er es jetzt sagen würde.
"Also... Ich, ich... Am..", stotterte er und musste sich förmlich dazu zwingen die Worte herauszubringen.
"Vor ein paar Wochen, am 12. Oktober, da ist eigentlich etwas passiert, das alles ganz anders hätte kommen lassen."
Frodo überlegte. Was war am 12. Oktober? Ihm wollte nichts einfallen.
"Zu erst war alles so wie immer, doch dann wollten Frodo und ich den Apfelbaum ernten. Ich bin aber noch mal kurz hinein gegangen, weil Rosie meine Hilfe brauchte und Frodo ist allein auf die Leiter geklettert. Er war ganz oben im Baum, als Elanor hinausgelaufen kam und..."
"Aber Sam, das stimmt doch gar nicht. Du hast mich doch von der Leiter wieder hinuntergeholt, erinnerst du dich nicht mehr", fiel Frodo ihm ins Wort.
"Frodo, lass mich bitte ausreden", fuhr Sam ihn an und es tat ihm leid, dass es aggressiver ankam, als es eigentlich sein sollte.
Gandalf wusste zwar nicht ganz, warum Sam das nun erzählte, aber etwas in seinem Inneren sagte ihm, dass es von Bedeutung war.
Nach einer kurzen Pause fuhr Sam fort. "Als Elanor hinauslief ist sie über einen Eimer gestolpert und gefallen. Frodo wollte ihr wohl helfen und schnell vom Baum runter. Doch als er oben auf der Leiter war da ist..."
Sam schluckte schwer und sah Frodo in die Augen, der nur verwirrt den Kopf schüttelte.
"Die Sprosse ist durchgebrochen und Frodo ist hinuntergefallen."
Gandalf sah Frodo fragend an und dieser flüsterte ihm zu: "Das ist nicht wahr, ich weiß nicht, was das soll."
"Hört mir doch erst mal zu", sagte Sam und wurde ungeduldig. "Als ich dann hinausgelaufen kam, da wusste ich schon, dass etwas schlimmes passiert war. Ich bin dann zu ihm hingegangen und... Und dann.. dann."
"Was war dann", fragte Gandalf, der keine Ahnung hatte, worauf das Gespräch hinauslaufen würde.
Sam sah Frodo wieder fest in die Augen. Es war so dumm das jetzt zu sagen, obwohl Frodo doch vor ihm saß. "Er ist gestorben. Einfach so. In meinen Armen, ich konnte nichts tun."
Frodo schnappte nach Luft und erklärte Sam, obwohl er es nicht wollte, für verrückt. "Was redest du denn? Was ist denn bloß los mit dir", fragte er völlig außer sich und sah Gandalf hilfesuchend an.
"Er hatte sich den Rücken gebrochen und das Bein und Handgelenk", sagte Sam ganz langsam und seine Stimme klang tonlos, doch diese Worte drangen Frodo durch alles hindurch und lösten einen Schauder auf seinem Rücken aus. Ein leichtes Ziehen kündigte sich in seinem Rücken an, ein Stechen in seinem Bein und Handgelenk. Und ganz plötzlich schienen Sams Worte nicht mehr so verrückt, sondern bekamen eine Bedeutung. Frodo wurde von einer Kälte erfasst und er konnte nicht sagen warum, aber hatte das Gefühl, dass tief in seinem Inneren eine Erinnerung erwachte. Er starrte Sam nur an und sein Mund öffnete sich vor Erstaunen, als wirre Bilder in seinem Kopf entstanden und dieses Gefühl, dass es wahr war, was Sam erzählte, ihn ergriff.
"Ich konnte das nicht ertragen, ich konnte einfach nicht ohne ihn weiter leben. Es war meine Schuld, dass es so gekommen ist, denn die Leiter war morsch und ich hatte den Eimer dort gelassen, über den Elanor gefallen war."
Sam machte eine kleine Pause und Tränen rannen über sein Gesicht. Die Erinnerungen waren jetzt wieder da. Sie waren wieder klar und deutlich und so wirklich, dass Sam es mit der Angst zu tun bekommen hätte, wenn Frodo nicht vor ihm gesessen hätte.
"Ich bin dann nach Minas Tirith geritten, weil ich gehofft hatte dich zu treffen, Gandalf. Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen, und ihn irgendwie zurückbringen. Doch dann schickte mich Aragorn in die Bücherei, denn ich sollte etwas über einen Lhunroth herausfinden. Doch fand ich nichts, stattdessen fiel mir aber ein altes Schriftstück in die Hände und ich dachte, ich würde träumen, als ich las, was draufstand.
Von einer Frau war die Rede, die die Zeit zurückdrehen konnte. Obwohl ich es fast nicht glauben konnte, machte ich mich auf den Weg um sie zu suchen. Was hatte ich denn auch zu verlieren?
Und ich fand sie tatsächlich und ich ließ die Zeit einmal zurückdrehen. Sie warnte mich, dass etwas passieren könnte, wenn ich es tun würde, doch für mich zählte nur Frodos Leben. Nichts habe ich mir mehr gewünscht, als dass er wieder kommen würde."
Er sah Frodo an, der kaum etwas sehen konnte, weil die Tränen ihm die Sicht völlig nahmen.
"Als ich dich von der Leiter geholt habe, hatte ich die Zeit zurückgedreht. Deshalb wusste ich auch, was geschehen würde. Ich war so froh dich wiederzusehen, deshalb habe ich dich auch umarmt und kam dir vielleicht etwas komisch vor. Ich konnte mein Glück einfach nicht zurückhalten, es war einfach unglaublich."
Frodo wusste, dass es wahr war, was Sam erzählte. Er wusste es einfach, die Erkenntnis war da und er war sich sicher, dass das was Sam erzählte stimmte. Es war ein komisches Gefühl, wenn einem sein bester Freund erzählte, dass man bereits einmal gestorben war, doch Frodo war viel zu sehr von der Tatsache ergriffen, dass Sam für ihn die Zeit zurückgedreht hatte. Nur für ihn hatte er es getan und jetzt wusste er auch, was Sam ihm schon so lange hatte sagen wollen. Er erkannte nun den Grund für seine Schmerzen und er wusste, warum Sam sich manchmal so seltsam verhalten hatte und ihn regelrecht bewacht hatte. Als hätte er Sand in den Augen gehabt, wurde sein Blick nun klar und er begriff die Geschehnisse.
"Die Schmerzen sind übrigens eine Art Erinnerung an das, was eigentlich passiert wäre, hat Nevturiel, die Herrin der Zeit, gesagt. Ich wollte es dir immer sagen, aber ich konnte es nicht."
Sam setzte sich entkräftet auf einen Stuhl. Er fühlte sich freier, endlich hatte er das gesagt, was ihm schon so lange auf dem Herzen gelegen hatte. Er sah zu zweifelnd zu Gandalf, doch auch der Zauberer schien ihn nicht für verrückt zu halten, wie er es anfangs gefürchtet hatte, sondern er sah eher aus, als würde er überlegen.
Frodo stand auf und ging ohne ein Wort zu sagen zu Sam. Er nahm ihn in den Arm und drückte ihn an sich. Er wusste nicht, was er sagen sollte, doch es gab auch nichts zu sagen. Diese Umarmung sagte mehr als irgendwelche Worte es je gekonnt hätten. Sam lächelte und schloss Frodo ebenfalls in die Arme.
Nach einer ganzen Weile lösten sie sich voneinander und wischten sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Aber warum sind jetzt die anderen gestorben", fragte Frodo und versuchte all seine Gedanken wieder zu ordnen.
"Das kann ich dir sagen", antwortete Sam. "Als ich nach Minas Tirith geritten bin und Aragorn erzählt habe, dass du gestorben bist, hat er Legolas und Gimli zurückgeholt, denn die waren gerade auf dem Weg in den Düsterwald. Kurz nachdem Legolas und Gimli Minas Tirith erreicht hatten, brachten Aragorns Männer die Nachricht, dass einige Männer verhaftet wurden, die in die Stadt gekommen waren, weil sie anscheinend jemanden verfolgt hatten. Lhunroth hatten sie getötet, weil er völlig außer sich war und auf einen Wachmann losgegangen ist.
Ich glaube, dadurch, dass ich die Zeit und dein und mein Schicksal verändert habe, habe ich auch das Schicksal von allen anderen verändert. Da du nicht gestorben bist, bin ich nicht nach Minas Tirith geritten und Aragorn hat Legolas und Gimli nicht zurückgerufen. Nun wissen wir ja, wen Lhunroth und seine Männer verfolgt hatten. Die waren hinter Gimli und Legolas her und als Aragorn sie zurückgeholt hat, sind sie ihnen nach Minas Tirith gefolgt. Wahrscheinlich ist Lhunroth auch deswegen durchgedreht. Weil sein Plan nicht aufgegangen ist..."
"Nun hat er es ja geschafft ihn auszuführen", schaltete sich zum ersten Mal auch Gandalf in das Gespräch mit ein. Der Zauberer starrte vor sich hin und wirkte etwas abwesend.
Sam nickte und senkte den Kopf. "Ja, du hast recht, Gandalf. Aber ich könnte es ändern..."
Der Zauberer sah ihm fest in die Augen. "Ich glaube dir, Sam. Selbst für einen Zauberer wie mich, ist das was du erzählst ungewöhnlich aber ich glaube dir. Doch meinst du wirklich, sie würde es noch einmal tun?"
Sam runzelte die Augenbrauen. "Ich weiß es nicht, doch als sie das letzte Mal die Zeit zurückgedreht hat, hat sie gesagt, dass sie hofft, dass ich nicht wieder kommen muss, weil etwas passiert. Warum hätte sie das gesagt, wenn sie nicht bereit wäre es noch einmal zu tun?"
"Das weiß ich nicht, Sam. Aber die Zeit zurückdrehen ist gewiss kein Spiel, das man zu oft spielen sollte."
"Willst du damit sagen, wir sollten alles so lassen wie es ist", fragte Sam und sah Gandalf entrüstet an. "Das kann ich nicht Gandalf. Ich muss es wenigstens versuchen, ich schulde ihnen das, denn meinetwegen sind sie jetzt tot."
"Nein Sam, du verstehst mich falsch. Auch ich glaube nur zu gerne was du sagst, und bin sogar bereit dich auf deinem Weg zu der Herrin der Zeit zu begleiten. Nur was tun wir, wenn es wieder nicht gelingt? Wie oft können und wollen wir das wiederholen?"
"Darüber möchte ich mir jetzt noch keine Gedanken machen, Gandalf. Vielleicht hat Nevturiel eine Antwort auf die Frage."
Gandalf lächelte. "Ich kann nur immer wieder über euch Hobbits staunen. Ich kam hierher mit schwerem Herzen und dachte, ich würde euch durch die schlechten Nachrichten ebenfalls in die Verzweiflung stürzen, doch nun stelle ich fest, dass ihr es geschafft habt, dass selbst ich wider Hoffnung schöpfe und mich darüber freue, dass die Situation doch nicht so ganz unabänderlich ist, wie sie eigentlich sein müsste."
"Das ist vielleicht wahr, aber nur durch mich sind Aragorn, Legolas und Gimli jetzt tot und nur durch mich war es auch Frodo gewesen. Wenn ich Hobbit nicht wäre, dann wäre diese Situation jetzt gar nicht eingetreten", sagte Sam traurig.
Frodo klopfte ihm auf die Schulter und lächelte ihn freundlich an. "Ich glaube nicht, dass dich die Schuld trifft und außerdem, was spielt das für eine Rolle, wenn wir es rückgängig machen können?"
"Na ja, so ganz rückgängig können wir es ja nicht machen, denk nur mal an deine Rückenschmerzen."
Frodo sah ihn nachdenklich an. "Also, wenn ich ehrlich bin... Hätte ich gewusst woher die Schmerzen gekommen sind, dann wäre es wahrscheinlich auch nicht so schlimm gewesen. Denn lieber quäle ich mich mal ab und zu dadurch, als tot zu sein..."
Sam musste ungewollt schmunzeln. Sie redeten hier dauernd über Frodos Tod, sogar er selbst tat das, obwohl er lebenslustig vor ihnen saß.
"Ich werde jedenfalls mitkommen, wenn du wieder zu Ne... Ne... Wie heißt sie doch gleich, gehst", sagte Frodo und stellte fest, dass auch Gandalf nickte und damit verkündete, dass er ebenfalls mitgehen wollte.
"Sie heißt Nevturiel. Ich würde euch ja am liebsten bitten nicht mitzukommen, aber vielleicht ist es besser so, ich könnte eure Hilfe gebrauchen."
"Deswegen kommen wir ja auch mit", sagte Frodo überzeugend.
Eine Weile entstand eine Pause, bis Sam wieder das Wort ergriff. "Wisst ihr, ich fühle mich sehr schuldig für alles. Ich meine, sicher können wir es vielleicht wieder ändern, aber Aragorn, Legolas, Gimli und auch du mussten dennoch einmal sterben. Zumindest in meiner Erinnerung lässt sich das nicht wieder rückgängig machen. Es ist geschehen und nur wegen mir. Und obwohl ich weiß, dass sie vielleicht alle zurückkommen trauere ich dennoch um sie."
"Es wäre auch falsch das nicht zu tun", sagte Gandalf ruhig. "Sie haben es alle verdient dass man um sie trauert."
Frodo und Sam nickten. Obwohl Sams Augen vor Müdigkeit brannten, fühlte er selbst sich noch nicht müde. "Dann werden wir also gemeinsam versuchen das Schicksal ein weiteres Mal zu verändern", sagte er mehr zu sich selbst, als zu einem anderen. "Ich danke euch, dass ihr mir so schnell geglaubt habt, damit hätte ich nicht gerechnet."
"Ich bin langsam alt genug um zu wissen, dass fast nichts mehr unmöglich ist", brummte Gandalf und lächelte.
"Und ich kann nicht genau erklären warum, aber ich habe das Gefühl mich dunkel daran zu erinnern. Ich kann mich erinnern, als ich auf die Leiter am Apfelbaum geklettert bin, dachte ich, ich hätte es schon einmal erlebt. Es war ganz merkwürdig und nur für einen Moment, aber dann habe ich es wieder vergessen, weil du hinausgelaufen kamst und mich von der Leiter geholt hast. Aber jetzt erinnere ich mich wieder und ich glaube, mich dunkel auch noch an etwas mehr zu erinnern. Es ist seltsam, es ist nie geschehen und doch ist da irgendwas, was wie eine alte Erinnerung ist, die erst geweckt wurde als du davon erzählt hast. Deswegen glaube ich dir, obwohl ich es anfangs, wenn ich ehrlich bin, nicht getan habe", sagte Frodo und guckte etwas schuldbewusst drein.
"Mach dir darüber keine Gedanken, ich kann es selbst kaum glauben und wenn ich nicht die Erinnerungen an die Zeit vor dem Zeitdreher hätte, würde ich das ganze für einen albernen Traum halten."
Beide sahen Sam verständnisvoll an und für einen Moment lauschten sie alle nur dem Wind, der um die Hausecken pfiff.
"Ich schlage vor, wir machen uns so bald wie möglich auf den Weg. Bald kommt das schlechte Wetter und das wäre nicht gut. Wo müssen wir eigentlich hin", fragte Gandalf und legte seinen Umhang ab, weil ihm langsam wärmer wurde.
Sam erzählte wo sich Nevturiel befand und er erzählte über seine letzte Reise und wie Nevturiel lebte. Bald waren alle in ein aufgeregtes Gespräch vertieft, und Sam wurde abwechselnd von Frodo und Gandalf aufgefordert ihnen alle möglichen Fragen zu beantworten.
Als der Morgen bereits graute, kannten Frodo und Gandalf nahezu alle Details. Frodo wusste gar nicht recht, wie er sich Sam gegenüber verhalten sollte, es rührte ihn, was er alles für ihn getan hatte. Auch Gandalf war beeindruckt und ließ des öfteren verlauten, wie faszinierend doch so ein Hobbit ist. Sam seinerseits sagte oft, dass er ein schlechtes Gewissen wegen allem was geschehen war hatte, doch keiner, weder Frodo noch Gandalf, dachten im Entferntesten daran ihm einen Vorwurf zu machen.
Sie einigten sich darauf noch einen Tag zu warten, bevor sie aufbrechen wollten. Sam bestand darauf Flocke wieder mitzunehmen und Frodo lächelte im Nachhinein darüber, wie Sam sie gekauft hatte und ihn angelogen hatte, weil er die wahre Erklärung, warum er Flocke unbedingt kaufen wollte, nicht geben konnte.
Als die Sonne schon fast am Himmel stand, entschieden sie sich doch noch für in Weilchen das Bett aufzusuchen. Sam quartierte Gandalf im Wohnzimmer auf dem Sofa ein, obwohl das Sofa eigentlich etwas klein für den Zauberer war, doch es war bei weitem das Größte was Sam anzubieten hatte.
Frodo zog sich in sein Zimmer zurück und versuchte möglichst schnell Schlaf zu finden, weil er wusste, dass die Kinder gewiss bald wieder ihr morgendliches Aufweckritual durchführen würden.
Sam lag noch eine Weile mit offenen Augen im Bett und hatte ein merkwürdiges Gefühl. Er war froh endlich das gesagt zu haben, was er schon so lange hatte sagen wollen. Er war glücklich, wie gut Gandalf und Frodo ihn verstanden hatten, aber er war auch immer noch sehr betrübt über den Tod seiner anderen Freunde und ihm drehte sich der Magen um, ale er daran dachte, auf welche Weise sie alle gestorben waren. Schreckensbilder jagten ihm durch den Kopf und er zweifelte nicht für eine Sekunde daran, dass es seine Pflicht war erneut an dem Rad der Zeit drehen zu lassen.
Erst als Rosie schon neben ihm am Aufwachen war, schlief Sam endlich ein. Er hörte nicht mal kurze Zeit später, wie Rosie erschreckt aufschrie, weil sie den Zauberer auf dem Sofa entdeckt hatte und nicht im Entferntesten mit so überraschendem Besuch gerechnet hätte. Der kleine Frodo fand den Anblick von Gandalf äußerst interessant und schnappte sich sofort seinen Hut. Dieser war jedoch viel zu groß für ihn und so verschwand sein ganzer Kopf darunter. Gandalf fand danach keine Ruhe mehr, Elanor rannte mit seinem Umhang durch den Flur und forderte ihn auf, sie zu fangen und der kleine Frodo fiel Gandalf genau auf den Schoß, als er durch den viel zu großen Hut im Dunkeln tappte und nichts mehr sah.
Dadurch, dass die Kinder mit Gandalf beschäftigt waren, war es wenigstens Frodo gegönnt noch ein Weilchen zu schlafen. Es war schon fast Mittag, als er erwachte, feststellte, dass er Gandalfs Hut auf dem Kopf hatte und der kleine Frodo auf seinem Bauch saß. Sam kam nur kurze Zeit später mit ganz kleinen Augen aus dem Schlafzimmer geschlichen und fiel, wie fast jeden Morgen, beinahe über den Glücksstein vom kleinen Frodo.
Als sie alle zusammen am Mittagstisch saßen, versuchten Gandalf, Frodo und Sam so normal wie möglich zu wirken. Der Zauberer hatte sich eine gute Ausrede einfallen lassen, weshalb er so plötzlich vor der Tür gestanden hatte und auch für die kommende Reise nach Süd-Gondor würden sie sich noch eine Ausrede einfallen lassen. Alle waren sich einig, dass Sams Familie den wahren Grund der Reise und von Gandalfs Besuch nicht erfahren sollte. Sie sollten nichts von dem Tod von Aragorn, Legolas und Gimli erfahren, bald würde er sowieso ungeschehen gemacht werden...
Gandalf genoss den Nachmittag des Tages in vollen Zügen. Er sammelte neue Kraft und war dankbar für den Frieden und die Harmonie, die er hier im Auenland fand. Nach Aragorns Tod hätte er nicht geglaubt diesen Frieden so schnell wiederzufinden. Er hatte, wie Sam damals, das Gefühl gehabt den Geschehnissen machtlos gegenüberzustehen, doch nun erfuhr auch er dieses ermutigende Gefühl, wenn die Macht etwas tun zu können, wieder zurückkehrte.
Sam und Frodo waren den Nachmittag über damit beschäftigt Reisevorbereitungen zu treffen. Das taten sie meist dann, wenn Rosie nicht in der Nähe war, denn noch hatten sie ihr nicht gesagt, dass sie weggehen würden.
Erst beim Abendbrot log Sam seiner Frau vor, dass Gandalf ein paar Dinge in Gondor zu klären hätte und er und Frodo ihm dabei helfen sollten. Es würde nur ein paar Wochen dauern und er würde so schnell wie möglich wieder zurückkehren. Rosie war von der Sache nicht sehr erfreut und auch Elanor und der kleine Frodo wollten nicht, dass ihr Papa und ihr Onkel Frodo so lange weggingen.
"Es tut mir leid, Rosie, aber es ist sehr wichtig, dass Sam und Frodo mitkommen", bemerkte Gandalf und hoffte, dass Rosie es dadurch schneller akzeptieren würde.
"Aber wenn ihr jetzt geht und ein paar Wochen bleibt, dann wird das schlechte Wetter hereinbrechen! Dann werdet ihr nicht zurückkommen können, oder wollt ihr bei Regen und Sturm durchs Land ziehen", fragte Rosie und war etwas ärgerlich über diese schnelle Entscheidung ihres Mannes. Sicher verstand sie auch seine Angelegenheiten, aber warum musste jetzt so ein schneller Aufbruch stattfinden? Auch sie hatte Pläne mit Sam für die nächsten Wochen gehabt. Was konnte jetzt so wichtig sein, dass er jetzt und noch dazu wahrscheinlich bei schlechtem Wetter nach Gondor gehen musste?
"Die Angelegenheiten sind wichtig, Rosie und wenn es sein muss, dann komme ich auch bei schlechtem Wetter zurück zu dir. Ich bleibe nicht lange fort, das kann ich dir versprechen", sagte Sam und hoffte in den Augen seiner Frau Verständnis zu finden.
"Ich geh die Kinder ins Bett bringen", sagte Rosie unwirsch und stand hektisch vom Tisch auf. Das tat sie immer, wenn sie mit einer Sache nicht zufrieden war, aber merkte, dass sie nicht dagegen ankam. Sam seufze gequält, als Rosie die Küche verlassen hatte. Er verstand Rosie, aber er hatte keine andere Wahl und die Wahrheit sagen konnte er ihr schon gar nicht.
"Sie wird es verstehen, Sam", sagte Frodo leise, als er sah, dass Sam in tiefem Grübeln versunken war.
"Ja, vielleicht. Ich hätte wahrscheinlich genauso reagiert wie sie. Sie kommt sich jetzt bestimmt sehr überrumpelt vor, wo sie doch gerade neulich noch mit mir besprochen hat, was wir alles in den nächsten Wochen tun müssen, bevor der Winter reinbricht. Wie wichtig die Sache ist, die wir machen müssen weiß sie ja nicht, und ich glaube, das ist auch besser so."
"Ich schlage vor, wir brechen im Morgengrauen auf, dann habe wir den ganzen Tag vor uns", schlug Gandalf vor und lenkte damit vom Thema ab. Er verstand zwar die Diskussion von Sam und Frodo, aber sie war sinnlos. Sam würde mit Sicherheit nachher noch einmal mit Rosie sprechen und der Zauberer war sich sicher, dass sie es dann besser verstehen würde. So war es meistens immer. Und selbst wenn nicht, gab es keine andere Möglichkeit. Sie mussten weg und sie würden auch weggehen.
Die Hobbits nickten auf Gandalfs Vorschlag hin nur und damit war es beschlossene Sache. Sam übernahm wieder den Küchendienst, während Gandalf und Frodo ein Weilchen vor die Tür gingen um frische Luft zu schnappen. Sie gingen ein bisschen im Garten umher und blieben schließlich vor dem Apfelbaum stehen. Frodo lief mit einem Mal ein Schauer über den Rücken und er versuchte in der Dunkelheit bis in den Wipfel des Baumes zu gucken. Es fröstelte ihn und der Klang der raschelnden Blätter verursachte etwas Unheimliches. Der Stamm knackte und die Luft roch nach Laub und Erde.
Gandalf zündete sich eine Pfeife an und beobachtete, wie die Grashalme vom Wind in eine Richtung gedrückt wurden.
"Weißt du, wie unheimlich das ist, wenn du weißt, dass du hier schon einmal beerdigt wurdest", fragte Frodo plötzlich, steckte die Hände in die Hosentaschen und sah auf die Rasenfläche vor dem Apfelbaum.
"Ich kann es mir vorstellen, Frodo", antwortete Gandalf ruhig und beobachtete den Hobbit.
"Es ist so merkwürdig. Du weißt es, aber du verstehst es nicht. Es ist, als würdest du etwas lesen, was in einer anderen, dir unverständlichen, Sprache geschrieben ist. Du kannst es lesen, doch wirst du es nie verstehen was sie dir sagt. Genauso ist für mich das alles, was Sam uns erzählt hat. Die alten Erinnerungen sind dafür verantwortlich, dass ich Sam glaube, doch ich versteh es nicht." Frodo schüttelte leicht den Kopf und sein Blick starrte ins Leere.
"Es gibt so viel, was wir nicht verstehen. Wir wissen es zwar, aber verstehen es nicht und meistens merken wir das noch nicht mal. Vielleicht wäre es auch gar nicht gut, wenn du das verstehen würdest, Frodo. Warum solltest du es auch verstehen? Jetzt lebst du und nur das zählt."
"Ja, da hast du wahrscheinlich Recht. Wer weiß, ob mein Verstand das aushalten würde, wenn ich verstehen würde, dass ich wirklich schon mal gestorben bin."
Frodo spürte einen Regentropfen auf seiner Stirn und merkte, wie der Wind heftiger wurde. Diese Nacht würde es gewiss ein Unwetter geben.
"Weißt du, dass du einen wirklich außergewöhnlichen Freund hast, Frodo", fragte Gandalf nach einer Weile. Er blickte in Sams Höhle hinein und konnte erkennen, wie Sam sich mit Rosie unterhielt und beide heftig gestikulierten, aber trotzdem nicht aussahen, als wenn sie streiten würden. Dann lachten sie plötzlich beide und Gandalf sah mit einem Schmunzeln, wie Sam seine Frau in die Arme nahm.
Frodo nickte. "Ja, wenn Sam nicht wäre, dann wäre ich wahrscheinlich schon lange nicht mehr am Leben. Er hat schon so viel für mich getan, mehr als ich für ihn. Manchmal betrübt mich das. Sams Leben ist schon öfters nur durch mich außer Kontrolle geraten und das tut mir leid."
"Ich glaube, dass sieht Sam gar nicht so. Für ihn ist es wichtig, dass du sein Freund bist."
"Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass er mir mehr gibt, als ich ihm."
"Du gibst mehr als du denkst, Frodo."
Frodo und Gandalf wurden in ihrer Unterhaltung unterbrochen, als Sam über den Rasen gelaufen kam und sich zu ihnen stellte. "Was tut ihr denn hier in der Kälte", fragte er und sah die Beiden fröhlich an.
"Ach, wir unterhalten uns nur so ein bisschen", gab Frodo zurück und sah Gandalf mit einem vielsagenden Blick an.
"So, und worüber? Kann ich mitreden?"
"Ach, nur so über das eine und das andere. Hast du mit Rosie gesprochen", fragte Frodo um vom Thema abzulenken.
"Ja, habe ich. Sie ist jetzt nicht mehr böse. Sie sagt, sie sieht es ein und es tut ihr leid, dass sie so empfindlich reagiert hat. Wenn sie ehrlich war, dann hat sie so etwas schon geahnt, als du hier angekommen bist, Gandalf. Sie sagt, meistens ist irgendwas wenn du kommst, und sie hatte mit so was insgeheim schon gerechnet."
Gandalf guckte gespielt empört drein. "Ich glaube, ich muss mal öfters einfach so vorbeikommen, diesen Ruf, den Rosie mir da zuteilt, möchte ich nicht so gern auf mir sitzen lassen", sagte Gandalf und schmunzelte.
"Das ist doch mal eine gute Idee", meinte Sam und klopfte Gandalf freundschaftlich auf den Rücken.
Sie gingen alle früh zu Bett, um für den nächsten Tag ausgeruht zu sein. Sam hatte Flocke eine extra Portion Hafer gebracht und war einigermaßen durchgefroren, als er schließlich in die Höhle zurückkehrte. Er legte sich zu Rosie ins Bett und kuschelte sich an sie um etwas von ihrer Wärme zu stibitzen. Rosie war noch wach und quietschte erschreckt auf, als sie Sams kalte Hand in ihrem Rücken spürte. Sam amüsierte sich über dieses Geräusch derartig, dass er ausprobierte, ob sie genauso quietschte, wenn er seine Hand auf ihren Oberschenkel legte. Tatsächlich war die Reaktion dieselbe, doch danach hielt Rosie seine Hand fest, drehte sich um und küsste ihn zärtlich auf den Mund.
"Heißt das, du bist wirklich kein bisschen mehr böse auf mich", flüsterte Sam und seine Augen funkelten im Licht der Kerze, die auf Sams Nachttisch noch brannte.
"Vielleicht noch ein ganz klitzekleines Bisschen", antwortete sie, sah ihn auffordernd an und beugte sich über ihn.
"Und was kann ich tun, damit das klitzekleine Bisschen auch noch verschwindet", fragte Sam mit gespielter Unschuld und grinste Rosie schelmisch an.
Rosie begann nun ebenfalls ein breites Grinsen aufzusetzen und zog langsam ihr Nachthemd aus. Sams Grinsen wurde breiter, als sie das tat. "Aha, ich weiß schon Frau Gamdschie", flüsterte er.
Er zog sie plötzlich ganz schnell an sich und drehte sich, so dass sie unter ihm lag. Dabei legte er ihr die Hand auf den Mund, um ihren erstaunten Aufschrei zu unterdrücken. Sie lachte als Sam mit einem triumphierenden Blick auf sie hinunterblicken sah. Er begann zärtlich ihren Hals zu küssen und strich ihr ihre Locken zur Seite. Rosie genoss es Sam so nah zu sein und guckte etwas verdutzt als er plötzlich aufsah und flüsterte: "Warte kurz."
Dann drehte er sich und löschte die Kerze auf seinem Nachttisch. In völliger Dunkelheit drehte er sich wieder zu seiner Frau um, die in den weichen Kissen lag, und begann dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte.
Frodo lag noch eine ganze Weile einfach so im Bett. Der Wind ließ das Holz ständig Knacken und hinderte ihn damit am Einschlafen. Der Regen, der in längen Fäden zur Erde fiel, prasselte gegen seine Scheibe und machte zusätzlich zum Knacken des Holzes Lärm. Genervt drehte er sich von einer Seite zur Anderen und stand schließlich auf und ging ans Fenster. Er beobachtete, wie der Regen die Scheiben hinunterrann und öffnete das Fenster, auch auf die Gefahr hin, dass etwas Wasser in sein Zimmer floss. Eine kühle, feuchte Luft schlug ihm entgegen und er sog sie tief ein. Er liebte es, wenn die Luft nach Regen roch.
Frodo wusste, dass es nicht allein der Lärm war, der ihn nicht schlafen ließ. Er war aufgeregt. Aufgeregt auf die Dinge, die vor ihm lagen. Wie würde es sein, wenn er vor der Herrin der Zeit stehen würde? Wie fühlte es sich an, wenn sie die Zeit zurückdrehte? Sam hatte einiges erzählt und doch fragte Frodo sich, wie es wohl sein würde, wenn er es selbst erleben würde.
Wenn erst wieder Aragorn, Legolas und Gimli bei ihnen waren...
Frodo vermisste sie, obwohl er es eigentlich gewohnt war sie lange Zeit nicht zu sehen. Und wenn, dann nur mal den einen oder andern, selten kam es vor, dass er sie mal alle auf einmal antraf. Aber jetzt vermisste es sie.
Vielleicht lag es einfach nur daran, dass er wusste, dass es im Moment einfach nicht möglich war zu ihnen zu gehen. Sonst hatte er ja wenigstens diese Gewissheit gehabt.
Er seufzte laut, als er an sie dachte und er spürte das Bedürfnis sie in diesem Moment vor sich zu haben, wenn er auch keine Ahnung hatte, was er ihnen dann erzählen würde, wenn es so wäre. Er wollte sie einfach nur in seiner Nähe haben und das Gefühl haben, dass er mit ihnen reden konnte, wenn er wollte.
"Bald wieder", flüsterte er gedankenversunken und schloss das Fenster, als er merkte, wie es immer mehr hineinregnete.
Er legte sich zurück ins Bett und versuchte Schlaf zu finden, was ihm nach einer ganzen Zeit auch gelang.
Im Morgengrauen, brach die reinste Hektik in Beutelsend aus. Rosie eilte in die Küche um für Wegzehrung zu sorgen, Sam und Frodo rannten fast gegeneinander, als sie beide über den Flur liefen und Gandalf suchte seinen Hut, den er in dem Tumult wohl verlegt hatte. Der kleine Frodo war durch die Hektik ebenfalls schon erwacht und saß lachend unter dem Küchentisch und beobachtete den suchenden Gandalf. Es dauerte eine ganze Weile, bis Gandalf schließlich begriff, worüber sich der kleine Frodo so amüsierte.
"Sam, dein Sohn sitzt mit meinem Hut unter dem Küchentisch und ich bin leider zu groß und zu ungelenkig um da runterzukriechen, würdest du bitte", forderte er Sam mit gespielt bösem Ausdruck auf, worüber sich der kleine Frodo noch mehr amüsierte.
"Ich kann jetzt nicht", ertönte Sams Stimme aus dem Flur.
"Frodo...", begann Gandalf seine Frage. "Unmöglich, ich habe alle Hände voll", beantwortete Frodo seine Frage schon im Voraus.
Gandalf blickte fragend zu Rosie, doch die hatte die Hände voller Marmelade und Gandalf sah, dass seine Frage überflüssig war.
"Wunderbar, es bleibt alles an einem alten Zauberer wie mir hängen", murmelte er.
Nach einer ganzen Weile war alles fertig gepackt und Gandalf hatte es sogar mit viel Mühe geschafft seinen Hut wiederzubekommen. Als er fast unter dem Tisch stecken geblieben war, hatte er schon fast aufgeben wollen, doch das Versprechen dem kleinen Frodo einen ganz eigenen Zauberhut mitzubringen, hatte wahre Wunder gewirkt.
Flocke war voll beladen und auch Gandalfs Pferd hatte ordentlich was zu tragen. Nach einem sehr schnellen Frühstück standen sie alle draußen vor der Tür und Rosie nannte Sam tausend Sachen, die er vielleicht vergessen haben könnte.
"Glaub mir, wir haben alles und sind gut versorgt, mach dir keine Sorgen", sagte er immer wieder.
Der kleine Frodo bestand darauf, dass Sam seinen Glücksstein mitnehmen sollte, doch Sam hatte eigentlich keine Lust diesen riesigen Brocken auch noch mitzunehmen. Der Kleine ließ sich jedoch nicht überreden und Sam musste schließlich nachgeben und nahm den Stein an sich, was Rosie mit einem Lächeln verfolgte. Elanor kam ziemlich verschlafen aus der Tür und verabschiedete sich nur kurz von allen. Dann teilte sie Rosie mit, dass Rose aufgewacht war und schrie und zog sich dann wieder zurück. Sam hatte sich von Rose schon verabschiedet gehabt und ging deshalb nicht noch einmal hinein. Er verabschiedete sich mit einem Kuss von seiner Frau und die anderen umarmten Rosie zum Abschied.
Sam hielt Flocke an der Zügel, Gandalf sein Pferd und Frodo lief mit einem ledernen Rucksack in der Mitte. Sie winkten Rosie so lange zu, bis sie sie nicht mehr sahen.
Sam war guter Dinge und voller Tatendrang. Niemand brachte einfach seine Freunde um, selbst wenn es die Zeit und das Schicksal persönlich waren. Das würde er zu verhindern wissen, dagegen würde er kämpfen, nie würde er das einfach so zulassen. Er legte ein schnelles Tempo vor, immer dem Sonnenaufgang entgegen, hinaus aus dem Auenland.
Die Wolken der Nacht waren verschwunden und es sah nicht nach Regen aus. Sie würden an diesem Tag gut voran kommen, so wie es aussah. Sam freute sich, dass er nun auf seinem Weg Begleitung hatte, so würde es einfacher werden.
Als die anderen Hobbits erst aufwachten, waren Sam, Frodo und Gandalf schon ein gutes Stück vorangekommen. Die Insekten flogen tief und in Schwärmen dicht über den Wiesen hinweg und Tau hatte sich glitzernd an allen Pflanzen abgesetzt. Das weite Land erstreckte sich vor ihnen und entschlossen liefen sie weiter, immer weiter, in Richtung Gondor.
Die Tage vergingen und Sam bemerkte, wie viel leichter es war diesen Weg zurückzulegen mit Gandalf und Frodo an seiner Seite. Der Zauberer sorgte jeden Abend für ein wärmendes Feuer, gemeinsam kostete es viel weniger Kraft Flocke zu be- und entladen und der Weg nach Gondor war einfacher, weil sie sich stets untereinander unterhielten und die Gesellschaft der anderen genossen. Die Nächte waren weniger furchteinflößend und jeder fühlte sich irgendwo durch die anderen geschützt.
Sam fühlte sich freier, er musste jetzt nicht mehr darauf achten, ob er bei seinen Gesprächen mit Frodo versehentlich etwas von seinem Tod aussprach oder ob er Nevturiel unbeabsichtigt erwähnte. Er konnte alles ansprechen, was ihm auf dem Herzen lag, Frodo und Gandalf wussten über alles Bescheid und das gab Sam ein befreiendes Gefühl.
Das Wetter verschlechterte sich auf dem Weg nach Gondor merklich. Die Abende wurden kühler, oft setzten Regenschauer, Gewitter und Wind ein, und oft wurden Sam, Gandalf und Frodo dazu gezwungen irgendwo Schutz zu suchen, doch das hielt sie nicht auf stetig immer weiter zu gehen.
Sie erreichten Gondor und waren gezwungen an Minas Tirith vorbei zu gehen, wenn sie nicht einen riesigen Umweg in Kauf nehmen wollten. Noch immer wehte eine schwarze Flagge über der Stadt und als Sam sah, wie Gandalf gedankenverloren dorthin starrte und mit seinen Gedanken bei Aragorn, Legolas und Gimli war, stellte sich Sam neben den Zauberer und flüsterte: "Nicht mehr lange, Gandalf. Die schwarze Flagge wird bald verschwunden sein. Oder besser, es wird sie nie gegeben haben."
Gandalf nickte und führte sein Pferd weiter. Der Weg führte sie die Harad-Straße entlang, bis ins südliche Gondor hinein. Sam, Frodo und Gandalf rasteten jetzt nur, wenn sie es unbedingt mussten. Sie wollten schnell ihr Ziel erreichen, alle hatten das Bedürfnis die Dinge so schnell ungeschehen zu machen, wie es nur möglich war.
Es waren nur noch wenige Meilen, bis sie Nevturiels Halle erreichen würden, doch der Abend brach bereits herein und Wolken brauten sich am Himmel zusammen. Sie mussten sich einen geschützten Platz für die Nacht suchen und morgen würden sie dann mit Sicherheit zu Nevturiel gelangen. Unter einem großen Baum schlugen sie schließlich ihr Lager auf. Gandalf sorgte auch dieses Mal mit seinem Zauberstab für ein prasselndes Feuer, während die Hobbits damit beschäftigt waren, Decken für die Nachtruhe auszubreiten. Sie aßen zu Abend und beobachteten, wie der Vollmond am Himmel stand und langsam von Wolken verdeckt wurde. In der Ferne war ein Grollen zu hören und ein frischer Wind kam auf, der erste Regentropfen in Begleitung hatte.
Erst nach einer ganzen Zeit merkten alle, wie müde sie eigentlich waren und sogar Gandalf zog sich sehr bald auf sein eigenes Nachtlager zurück und schloss die Augen. Das Feuer ließen sie brennen, es flackerte unruhig durch den Wind hin und her. Der Regen erreichte die Gefährten zum Glück nicht, obwohl der Wind es zu wollen schien, schaffte er es nicht den Regen unter den Baum zu treiben, wo Gandalf, Sam und Frodo ruhten.
Der Regen rauschte in dichten Strähnen herab und das Donnern wurde heftiger. Erste Blitze zuckten in der Ferne und gaben den Blick auf die Umgebung frei. Wenn sich der Himmel durch sie erhellte schien es, als würde der Regen einen Vorhang bilden, so stark war er und das Rauschen, das ihn begleitete, wurde immer lauter. Frodo lag neben Sam unter seiner Decke und lauschte diesem Rauschen. Er starrte in die tanzenden Flammen des Feuers und konnte nicht schlafen. Obwohl er müde war ließ ihn das Unwetter keine Ruhe finden. Er bemerkte, dass auch Sam noch wach war, denn dieser drehte sich unruhig hin und her. Frodo überlegte. Er hatte Sam schon lange etwas fragen wollen, doch bisher hatte er nicht den Mut dazu gefunden. Diese Frage jedoch kreiste immer wieder in seinem Kopf umher und wollte ihm keine Ruhe lassen. Sollte er Sam wirklich das fragen, was ihn so sehr beschäftigte?
Er atmete geräuschvoll aus, weil er wieder ein Ziehen im Rücken verspürte. Er wurde schon wieder erinnert, doch diesmal quälten Frodo nicht die Fragen nach der Ursache. Er nahm es hin, denn nun wusste er, was ihm eigentlich widerfahren wäre.
"Sam, schläfst du schon", fragte er mit einem Mal ganz leise, obwohl er wusste, dass Sam es nicht tat.
"Nein, Herr Frodo", war die Antwort.
"Sam, ich muss dich etwas fragen. Es ist vielleicht etwas schwierig, aber ich muss das wissen, auch wenn ich selbst nicht genau weiß, warum..."
"Was ist denn", wollte Sam wissen und richtete sich auf. Dasselbe tat Frodo nun auch und sie blickten sich an.
"Bereust du eigentlich das, was du getan hast", fragte Frodo ganz vorsichtig und war sich plötzlich sehr unsicher, ob er das wirklich hätte fragen sollen.
"Was meinst du", fragte Sam und fühlte sich bei der Frage etwas überrumpelt, denn er wusste sehr wohl, was Frodo meinte, doch hatte er keine Ahnung, ob er eine Antwort darauf geben konnte.
"Ich meine, bereust du es, dass Aragorn, Legolas und Gimli passiert ist, weil du die Zeit meinetwegen zurückgedreht hast", fragte Frodo und seine Augen glänzten im Schein des Feuers.
Sam wich seinem Blick aus und in ihm stieg ein elendes Gefühl hoch. War das Reue, was er fühlte? Und wenn es so war, konnte er Frodo das einfach so sagen? Denn dann würde das bedeuten, dass Frodos Tod besser gewesen ist, als der Zustand jetzt. Sam sah Frodo hilflos an und sagte dann ganz leise: "Vielleicht ein bisschen." Nach einer kurzen Zeit fügte er hinzu: " Ich hoffe, Aragorn, Legolas und Gimli können mir das verzeihen, was ich jetzt sage, aber..." Sam schluckte schwer und wünschte sich diese Worte nicht aussprechen zu müssen. "Ich bereue es vielleicht ein bisschen, aber ich glaube, ich würde es nicht anders machen, wenn ich noch einmal die Wahl hätte..."
Frodo blickte ihm tief in die Augen und flüsterte: "Du hättest es auch gemacht, wenn du vorher gewusst hättest, was mit ihnen geschieht?"
Sam nickte schwach. "Ich hatte keine Wahl. Ich konnte dich nicht einfach so sterben lassen. Hätte ich gewusst, was passiert, dann hätte ich versucht euer aller Schicksal von vornherein zu ändern. Auch die anderen hätte ich nicht sterben lassen. So wie es jetzt gekommen ist, darf es nicht sein. So wie es vorher war, darf es auch nicht sein. Um ehrlich zu sein, ich fühle mich im Moment etwas überlistet. Ich wollte etwas ändern, doch habe ich eigentlich alles nur noch schlimmer gemacht. Aber eins weiß ich, Frodo. Trotz alledem, was passiert ist, ich würde dich nie einfach sterben lassen."
Frodo war sichtlich ergriffen von Sams Aussage. Er wusste nicht, was er sagen sollte, er empfand nur unendliche Dankbarkeit.
"Sam, wie kann ich dir jemals für das, was du für mich getan hast danken", fragte er mit zitternder Stimme.
Sam schmunzelte und klopfte Frodo auf die Schulter. "Du sollst leben! Mehr verlange ich nicht von dir. Und du könntest mir helfen, die anderen vor ihrem Tod zu bewahren, denn auch sie sollen leben. Das ist alles, was ich will."
Frodo umarmte Sam ganz fest und bemühte sich nicht zu schluchzen.
Als der Regen schon fast nachgelassen hatte und es mitten in der Nacht war, legten sie sich wieder hin. Gandalf schien fest zu schlafen und auch Frodo und Sam waren sich sicher, dass sie nun Schlaf finden würden. Das Gewitter war weitgehend in der Ferne geblieben und entfernte sich nun immer mehr. Die Wolken gaben den Blick auf den Vollmond und die Sterne wieder frei und der Wind wurde mit der Zeit immer schwächer. Alles war nun ruhig, nur das Prasseln des Feuers und das Wasser, das von den Pflanzen abperlte und zu Boden tropfte, war noch zu hören.
In aller Hektik wurde am nächsten Morgen die Sachen zusammen gepackt, damit sie sich schnell auf den Weg machen konnten. Die letzte Etappe sollte so schnell wie möglich geschafft werden. Gandalf blickte etwas beschämt drein, als er hörte, dass die Hobbits noch die halbe Nacht wachgelegen hatten, während er tief und fest geschlafen hatte.
Die Reittiere schienen etwas verwundert über den schnellen Aufbruch, doch sie ließen sich geduldig beladen und nahmen die Hektik in Kauf.
Gandalf, Frodo und Sam kamen schnell vorwärts. Bei Anbruch der Mittagszeit erkannte Sam die Burg, oder auch Ruine. Im Moment war es eine Burg, die Zeit war also gerade in der Vergangenheit. Der Wald und die Umgebung war von solch einer Ruhe befallen, dass es schon fast unheimlich war. Sam erklärte Gandalf und Frodo, was Nevturiel ihm über die Burg und die Stille gesagt hatte und beide schienen sehr beeindruckt von Sams Berichten.
Sam führte die Beiden schließlich zu Nevturiels Halle und ging als erster hinein. Der Anblick beeindruckte ihn wieder sehr stark und auch Frodo und Gandalf blickten sich mit interessierten Gesichtern um und vermochten keine Worte zu finden. Völlig fasziniert bleiben sie vor dem See der Zeit stehen und beobachteten das Rad, dass aus den vielen kleinen Rädern bestand und sich fortwährend drehte. Sie verfolgten die Bilder, die sich in dem See bildeten und wieder verschwanden und Frodo war darüber so erstaunt, dass er völlig in Gedanken murmelte: "Das ist unglaublich."
Wie bei Sams ersten Besuch, wurde er auch dieses Mal wieder überrascht, als Nevturiel plötzlich vor ihm stand und ihn mitleidig ansah. Gandalf musterte die Frau mit aufmerksamen Augen und Frodo blickte völlig fassungslos in ihr wechselndes Gesicht.
"Ich konnte dir deinen Wunsch nicht erfüllen...", flüsterte Sam und sah Nevturiel traurig an.
"Das sehe ich und es tut mir sehr leid, das zu hören. Ich weiß, was geschehen ist, ich habe es gesehen", antwortete sie und Sam bemerkte den mitleidigen Ton, der ihre seltsame Stimme begleitete.
"Du hast es gesehen", fragte Sam und bemerkte, wie Nevturiel Frodo und danach Gandalf scheinbar neugierig musterte.
"Das ist Frodo Beutlin und das Gandalf der Weiße", stellte er die beiden vor, indem er bei seinen Worten auf die Beiden zeigte.
"Ein Istari, und noch dazu so ein Mächtiger", sagte Nevturiel an Gandalf gerichtet, dessen weißes, aber schmutziges Gewand nun sichtbar wurde, als er seinen Umhang abnahm.
"Doch lange nicht so mächtig wie ihr", sagte Gandalf ruhig und nickte ihr als Gruß zu.
"Meine Kunst reicht nicht weit. Ich vermag es lediglich an dem Rad zu drehen, ich weiß nicht welche Folgen es hat, noch beherrsche ich die Zeit anderweitig."
"Und dennoch seit ihr im Stande die Zeit zurückzudrehen", bemerkte Gandalf.
"Aber manchmal mit schlimmen Folgen, wie man unschwer sieht." Sie machte eine Pause und sah Gandalf lange in die Augen.
Nevturiel ging hinüber zu dem See und hockte sich davor. Gandalf, Sam und Frodo folgten ihr und sie wartete, bis sie alle zu ihr hinüber gekommen waren. Wieder tauchte sie ihren Finger in das Wasser und wieder begannen alle Bilder zu verschwinden und ein großes entstand.
Aller starrten gebannt in den See, als sie Legolas und Gimli über einen Hügel reiten sahen. Die Bilder liefen schneller, als die Ereignisse in der Wirklichkeit geschehen waren, aber dennoch zeigten sie so ziemlich alles. Sie sahen wie der Elb und der Zwerg ein Nachtlager aufschlugen, wie sie überfallen wurden, wie Aragorn dort ankam. Sie sahen wie Gimli erschossen wurde, wie Lhunroth Legolas seine Wahl treffen ließ und wie der Elb in den Pfeil sprang.
Sam fiel auf die Knie und begann heftig zu schluchzen. Tränen flossen seine Wangen hinunter und tropften in den See der Zeit. "Verzeiht, bitte verzeiht mir", rief er immer wieder und schlang seine Arme um seinen Körper. Mit aller Macht ergriffen Schuldgefühle von ihm Besitz und die Frage: Wie konnte so etwas nur geschehen? Frodo versuchte ihn zu beruhigen, obwohl er selbst völlig fassungslos über die Bilder war. Seine Stimme versagte ihm jedoch völlig, als die Bilder der Heiler und Aragorn in dem See erschienen. Frodo saß wie angewurzelt dort und fühlte, wie ihm schlecht wurde.
Er schluckte schwer und ein Schwindel überkam ihn. "Wieso ist es nötig, dass wir das sehen", schrie Sam und funkelte Nevturiel unbeabsichtigt böse an.
"Wie du siehst hat nicht immer alles einen Sinn, doch du solltest sehen wie es passiert ist, vielleicht gewinnt es noch mal an Bedeutung."
Sie ging zu Sam hinüber und richtete ihn auf. "Was muss ich tun, um das zu ändern", fragte er laut schluchzend.
Nevturiel drehte sich um und entfloh so dem Blick der entsetzten Gesichter. Sie sah auf den See der Zeit hinaus und beobachtete das Rad. Geräuschvoll atmete sie aus und ihre grünen Augen blickten ratlos drein. Die Bilder in dem See zeigten die Geschehnisse, die nach Aragorns Tod stattfanden. Frodo, Sam und Gandalf konnten sich sogar selbst sehen, wie sie zu Nevturiels Halle gingen und wie sie in den See der Zeit blickten, so wie es gerade vor wenigen Minuten geschah. Schließlich enden die Bilder damit, dass sie Nevturiel zeigten, die in den See sah, so wie es gerade geschah. Jetzt liefen die Bilder parallel, und Sam, Frodo und Gandalf sahen Nevturiels Gesicht in dem See, obwohl sie ihnen den Rücken zugewandt hatte. Wie ein Spiegelbild zeigten die Bilder genau das, was gerade geschah.
"Was ist da geschehen", fragte Sam völlig verzweifelt, als er von Nevturiel keine Antwort zu bekommen schien.
"Ich glaube, es ist etwas eingetreten, was niemals hätte geschehen dürfen", sagte sie tonlos.
"Das wissen wir", gab Sam ungeduldig zurück.
"Nein, ich glaube nicht. Die Zeit lässt sich nicht gerne zurückdrehen. Und das Schicksal mag nicht gern verändert werden. Manchmal, dann schließen sie sich zusammen und werden zu einem sehr gefährlichen Feind. Zu einem Gegner, den man nur schwer besiegen kann. Eigentlich kann man es gar nicht, man kann nur versuchen sie zu überlisten, wenn die Zeit und das Schicksal gegen einen sind."
Gandalf schloss die Augen. Er hatte geahnt, dass hinter dem Tod von Aragorn, Legolas und Gimli mehr steckt, als nur einfache Zufälle.
Sam blickte ängstlich drein, sollte das heißen, Nevturiel würde ihm nicht noch einmal helfen?
"Was kann ich tun", fragte Sam und sah sie mit feuchten, hilfesuchenden Augen an. "Ich muss es ändern, so kann es nicht bleiben."
Die Frau drehte sich nun um und sah bedrückt die drei Gefährten an. Dann blieb ihr Blick eine Weile auf Frodo ruhen.
"Es gibt zwei Möglichkeiten", sagte sie an Sam gerichtet, obwohl ihr Blick immer noch auf Frodo gerichtet war, der nicht ganz wusste, wie er sich verhalten sollte.
"Was für Möglichkeiten", fragte Sam hoffnungsvoll und fühlte sich sicherer, als Nevturiel ihn wieder ansah.
"Die erste Möglichkeit ist nicht einfach, aber sie ist die Sicherste."
"Sag mir, was es ist, wurde sie von Sam aufgefordert.
"Ich werde die Zeit noch einmal zurückdrehen, doch du musst deinen Freund sterben lassen."
Frodo spürte einen heftigen Stich, der seinen Körper durchzuckte und konnte nur die fassungslosen Augen von Sam sehen.
"Ich weiß, das ist nicht leicht, aber so würdest du das Schicksal nicht verändern und die Zeit und das Schicksal würden keine Gegner mehr sein. Alles würde so geschehen, wie es ursprünglich der Fall war und du bist gezwungen damit zu leben."
Frodo senkte den Blick und konnte kaum die Bedeutung von Nevturiels Worten begreifen.
"Ich würde dir und dem Zauberer das Gedächtnis nehmen und du würdest nicht wissen, dass du sterben wirst. Es wird alles so geschehen, wie es schon einmal geschah, nur, dass Sam es wissen wird", sagte Nevturiel an Frodo gewannt.
"Und was ist mit seinem Gedächtnis", fragte er sie.
"Ich kann es Sam nicht nehmen. Obwohl er weiß, dass du sterben wirst, müsste er es geschehen lassen und er müsste genau das tun, was er schon einmal getan hatte. Ich kann ihm aber sein Gedächtnis nicht nehmen, obwohl das sicher einfacher wäre, aber wenn das geschieht, dann werden wir vielleicht in einen ewigen Kreislauf stürzen."
"Wieso", fragte Frodo völlig gedankenabwesend.
"Wenn er sein Gedächtnis verlieren würde, dann wüsste er auch nicht, dass er schon einmal hier war. Er würde wieder zu mir kommen und wir würden alle in einer endlosen Zeitschleife gefangen sein, weil sich die Dinge immer und immer wiederholen würden. Es wäre ein ewiger Kreislauf und e
r
würde jedes mal damit enden, dass ihr hier steht und jedes mal
würde er damit anfangen, dass du stirbst. Es sei denn, ich würde
mich weigern die Zeit zurückzudrehen, aber ich fürchte,
dass würde Sam nicht überstehen. Er würde an
gebrochenem Herzen und endlosen Vorwürfen zerbrechen."
"Du
verlangst von mir, dass ich meinen Freund sterben lasse? Ich soll es
einfach geschehen lassen? Das kann ich nicht! Es muss eine andere
Lösung geben! Ich muss einen anderen Ausweg finden", sagte
Sam fassungslos, wütend und mit neuen Tränen in den
Augen.
"Die zweite Möglichkeit wäre, dass du
kämpfst. Du könntest dich gegen die Zeit und das Schicksal
stellen und sie erneut herausfordern. Ich würde die Zeit ein
weiteres mal zurückdrehen und du könntest versuchen sie
alle vor ihrem Schicksal zu bewahren. Vielleicht schaffst du es, doch
es kann auch sein, dass dein Gegner sich nicht so einfach überlisten
lässt, sondern zurückschlägt. Ich vermag nicht zu
sagen, was dann geschehen wird."
"Erneut herausfordern?
Du meinst das alles ist geschehen, weil sie bereits gegen mich
waren", fragte Sam und seine Stimme klang ängstlich.
"Ja,
ich fürchte schon."
"Aber... Aber wieso lebe ich
dann noch? Wenn sie gegen mich sind, warum töten sie dann die
anderen?"
"Sie töten dich in gewisser Weise schon.
Sie nehmen dir die Leute, die dir wichtig sind, sie sorgen dafür,
dass du vor Schuldgefühlen fast vergehst. Sie machen dir Angst
und lassen dich an deinen Entscheidungen zweifeln. Sie töten
dich im Moment auf andere Weise."
"Im Moment",
schaltete sich Gandalf plötzlich ins Gespräch ein.
"Ja,
es ist im Moment ihre Art der Rache, doch die Zeit und das Schicksal
können manchmal sehr listenreich sein."
Sam starrte auf
das Rad, das sich mit leisen, knackenden Geräuschen drehte. Sah
so etwa der Feind aus? Ein einfaches Rad? Gegen Sams Willen keimte in
ihm der Gedanke hoch, vor Wut auf das Rad einzuschlagen.
"Denk
nicht mal daran, Sam! Wage es nicht auch nur den Gedanken aufkommen
zu lassen", sagte Nevturiel scheinbar wütend. Erst jetzt
wurde sich Sam bewusst, dass er den Gedanken versehentlich laut
ausgesprochen haben musste.
"Die Zeit würde stehen
bleiben, wenn du das Rad zerstörst und alles würde
untergehen."
"Es tut mir leid, ich würde es sowieso
nicht tun", antwortete Sam schuldbewusst und senkte beschämt
den Kopf.
Nevturiel sah ihn eindringlich an und ihre wütenden
Züge lockerten sich wieder etwas.
"Glaubst du, die Zeit
und das Schicksal würden es wagen, meiner Familie etwas
anzutun", fragte der Hobbit ganz leise und sah sie bittend
an.
"Warum stellst du Fragen, deren Antwort du bereits
kennst?"
Der Hobbit vergrub sein Gesicht in den Händen.
"Was soll ich denn nur tun", schluchzte er.
"Entscheide
dich zwischen den beiden Möglichkeiten, eine andere Wahl hast du
nicht. Lass Frodo sterben, oder fordere die Zeit und das Schicksal
zum Kampf heraus."
Sam drehte sich um und sah Frodo tief in
die Augen. Frodo wusste nicht, was er jetzt tun sollte, er wollte
nicht sterben, aber er wusste, dass die Entscheidung bei Sam lag. Es
war sein Kampf und er musste sich entscheiden. Auch Gandalf musterte
die beiden Hobbits eingehend und stellte fest, dass sie die gleichen
Gesichtsausdrücke hatten wie Aragorn und Legolas, kurz bevor der
Elb in den Pfeil gesprungen war. Genau diesen Ausdruck hatte Gandalf
in dem See der Zeit bei Aragorn und Legolas gesehen...
"Ich
werde kämpfen, ich lasse ihn nicht sterben! Aber... Habe ich
überhaupt eine Chance? Wie soll ich denn alle retten? Sie sind
doch alle an ganz unterschiedlichen Orten, so weit entfernt und die
Zeit ist gegen mich. Wie soll ich das schaffen? Und was ist, wenn
meiner Familie etwas passiert, während ich dafür sorge,
dass die anderen dem Tod entrinnen", fragte Sam und blickte
Frodo an, der erleichtert durchatmete.
Nevturiel lächelte
plötzlich. "Ich habe es geahnt, dass du dich so
entscheidest. Deine Selbstlosigkeit, ich wusste es."
Sie
machte eine Pause und betrachtete sich Gandalf und Frodo. "Pass
auf, Sam, ich will dir helfen und ich versuche alles zu tun, was in
meiner Macht liegt, denn es tut mir sehr leid, was geschehen ist. Du
hast nur wenig Zeit, nachdem du Frodo gerettet hast. Die Zeit dürfte
gerade genügen um entweder zu dem Zwerg und dem Elb zu gelangen
und sie zu warnen ODER zum König von Gondor zu reiten. Beides
jedoch wirst du nicht schaffen. Deiner Familie jedoch wird in dieser
Zeit gewiss nichts geschehen, so viel kann ich dir sagen, egal zu wem
du reitest."
"Wie kannst du dir da sicher sein?"
"Nach
Frodos Tod bist du auch nach Gondor geritten. Da ist nichts
geschehen, was so viel heißt wie, es dürfte auch jetzt
keine Rolle spielen, wenn du wegreitest. Das Schicksal kann sich
nicht völlig verändern und da du schon einmal fortgeritten
bist, kannst du dir ziemlich sicher sein, dass nichts geschehen wird,
wenn du es jetzt wieder tust."
"Das ist immerhin schon
mal ein Vorteil."
"Ja, das stimmt. Lass uns mal
überlegen. Nachdem Frodo gestorben ist, bist du ungefähr
nach zwei Tagen nach Gondor geritten. Zwei Tage... Das bedeutet,
diese zwei Tage hast du jetzt Vorsprung, bevor der Elb und der Zwerg
auf Lhunroth treffen. Denn das hätten sie ja genau dann getan,
wenn Aragorn sie nicht zurückgerufen hätte, als du in
Gondor eingetroffen bist."
Sam überlegte angestrengt und
versuchte ihr zu folgen, doch das war nicht gerade einfach.
"Weniger
als zwei Tage, das ist nicht viel", fuhr Nevturiel fort.
"Zumal
ich vorher noch Flocke kaufen muss, denn wenn ich wirklich alle
retten will, gehört das dazu." Sam überlegte
angestrengt. "Dann hätte ich vielleicht einen Tag
Vorsprung, wenn es hoch kommt. Das reicht nicht", sagte er
kopfschüttelnd.
"Nein, du hast recht, da brauchst du
Hilfe. Zumal es da noch ein Problem gibt... Die Zeit ist so knapp
bemessen, dass du Legolas und Gimli vielleicht nur wenige Stunden,
wenn überhaupt, vor Lhunroth abfangen würdest. Er könnte
euch folgen, vielleicht schneller, als ihr denkt. Du müsstest
auch ihn aufhalten."
"Oh, bei den Valar, wie soll ich
das tun", fragte Sam unschlüssig.
"Das schaffst du
gar nicht. Die Zeit reicht nicht, um vom Auenland zuerst zu Legolas
und Gimli zu reiten und danach zu Lhunroth und zwischendurch noch
Aragorn zu warnen."
"Können wir denn nichts tun",
fragte Frodo entschlossen und hatte ebenfalls Mühe mit den
ganzen Zeitrechnungen mitzukommen.
"Doch, ich denke schon. Wo
warst du am 12. Oktober, Gandalf?"
Der Zauberer blickte etwas
verwirrt drein. Am 12. Oktober? Er überlegte angestrengt. "In
der Nähe von Lorien", antwortete er nach einer ganzen
Zeit.
"Lorien" wiederholte Nevturiel und schien zu
überlegen. "Dann kommen dir Legolas und Gimli entgegen,
dass würde heißen, du währst ihnen am nächsten."
"Ja,
nur muss ich vorher erst den Anduin überqueren, dass kostet
Zeit. Es würde sehr knapp werden."
"Aber es wäre
einen Versuch wert. Dann müsste einer zu Lhunroth und ein
anderer zu Aragorn."
"Aber vielleicht ist es nicht gut,
wenn einer alleine zu Lhunroth geht. Vielleicht sollten das besser
zwei machen... Ich schlage vor, diejenigen, die bei Lhunroth sind,
erzählen ihm, dass Aragorn sich bedanken will für damals.
So könnten wir möglichen Gefahren aus dem Weg gehen, denn
wie wollen wir ihn sonst aufhalten? Anders ist es viel zu gefährlich.
So können wir nur hoffen, dass er friedlich mit nach Minas
Tirith kommt. Andererseits müsste Aragorn dann natürlich
Bescheid wissen und sich wirklich bei ihm bedanken, sonst würde
das ganze wahrscheinlich böse enden. So würden wir auch
Lhunroths Schicksal ändern, dass wäre nur allzu gerecht.
Doch ob Lhunroth einem einzelnen Hobbit Glauben schenkt",
murmelte Sam und beobachtete die Reaktionen der anderen.
"Da
hast du vielleicht recht, aber wer könnte denn noch mitgehen",
fragte Nevturiel.
"Merry und Pippin, aber sie wissen von
nichts. Wenn wir ihnen erst alles erklären müssten, würde
wieder kostbare Zeit verstreichen..."
"Da könnte
ich vielleicht etwas machen. Ihr müsstet es ihnen zwar dennoch
erklären, aber ich könnte etwas machen, damit sie euch
schnell glauben und nicht viel fragen."
Sie diskutierten
noch eine ganze Weile darüber, wie der Plan ausgeführt
werden sollte. Auch Gandalf schaltete sich irgendwann lebhaft in die
Diskussion mit ein. Nach einer Weile kamen sie zu dem Schluss, dass
ihr Plan ohne Merry und Pippin gar nicht funktionieren würde,
ganz gleich, ob Lhunroth einem einzelnen Hobbit trauen würde,
oder nicht. Die Zeit war einfach viel zu knapp, es mussten noch zwei
zur Hilfe gerufen werden, wenn alle zur rechten Zeit am rechten Ort
sein wollten. Und selbst dann würde es noch sehr knapp sein.
Irgendwann einigten sich Frodo und Sam darauf, dass sie zu Lhunroth
gehen und ihn zu Aragorn locken wollten, Gandalf würde Legolas
und Gimli warnen und sie auf einem Umweg, damit sie Lhunroth nicht in
die Arme liefen, nach Minas Tirith bringen. Merry und Pippin würden
direkt nach Gondor reiten und Aragorn von Lhunroth berichten, damit
er Bescheid wusste und ihm den nötigen Dank entgegenbringen
konnte.
Nevturiel warnte sie eindringlich davor, sich bei ihren
Wegen auf keinen Fall aufhalten zu lassen, denn sonst würde die
Zeit nicht reichen.
"Sollen wir ihnen denn die Wahrheit
erzählen, wenn wir es geschafft haben", fragte Sam, als das
Gespräch langsam ein Ende fand.
"Wenn ihr es für
richtig haltet... Wartet aber, bis sie ihre Erinnerungen erhalten
haben, dann werden sie euch auch glauben," antwortete
Nevturiel.
"Wann gehen sie eigentlich wieder weg? Ich hätte
nie gedacht, dass sie manchmal so schlimm sein können",
fragte Sam und warf einen besorgten Blick auf Frodo.
"Du
meinst seine Rückenschmerzen? Die wird er jetzt nicht mehr
haben. Denn diesmal ist er nicht gestorben und wenn ich die Zeit
jetzt wieder zurückdrehe, wird auch die Erinnerung daran
verschwinden. Die anderen werden ihre Erinnerungen wohl für eine
Weile beibehalten, aber sie werden mit der Zeit immer blasser, bis
sie schließlich völlig verschwinden werden."
Sam
nickte erleichtert. "Und was ist, wenn etwas schief läuft?"
"Das
kann ich dir nicht sagen, Sam. Es ist ein Kampf und wie er ausgehen
wird, kann ich dir nicht sagen."
"Aber werde ich
wiederkommen können, wenn etwas passiert?"
"Ja,
Sam, dass kannst du. Nur kann ich dieses Spiel nicht beliebig
fortführen. Irgendwann musst du dein Schicksal einmal
akzeptieren."
Sam wusste, dass er es dieses mal schaffen
musste. Er musste gewinnen.
Nach einer Zeit ging Nevturiel an den
See und dort tat sie etwas, das Sam nicht verstand. Sie zog eine
kleine Flasche aus ihrer Tasche und tauchte sie in den See. Als sie
gefüllt war ließ sie sie wieder in ihre Tasche
zurückgleiten. "Was tust du da", fragte Sam etwas
verwirrt.
Sie lächelte und ihr Lachen war etwa seltsam. "Das
spielt keine Rolle. Vielleicht ist es noch mal von Nutzen..."
Danach
stellte sie sich an das Rad und nickte ihnen zum Abschied zu.
Versucht euer Glück und seit schnell, ihr wisst, die Zeit ist
nur ein Gegner. Der andere ist genauso gefährlich..."
"Vielen
Dank", murmelte Sam und auch die anderen nickten ihr zum Dank
und Abschied zu. Wieder begann Nevturiel an dem Rad zu drehen und
wieder spürte Sam dieses Gefühl des Schwindels und die
Schwärze, die ihn umhüllte.
